Titel:
Erfolglose baurechtliche Nachbarklage gegen eine Baugenehmigung für die Errichtung eines Gästehauses auf einer Grenzgarage
Normenketten:
BauGB § 34
BayBO Art. 6, Art. 59
BayVwVfG Art. 37
VwGO § 113 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Eine Garage kann ihre (eng auszulegende) bauordnungsrechtliche Privilegierung, ausnahmsweise an der Grenze oder abweichend vom sonst geltenden Abstandsflächenrecht grenznah errichtet werden zu dürfen, insgesamt verlieren, wenn sie mit einer anderen, abstandsflächenrechtlich nicht privilegierten baulichen Nutzung eine bauliche Einheit bildet. Die einheitliche Außenwand der beiden Anlagen ist insoweit allerdings nicht ausreichend. Erforderlich ist vielmehr, dass die Anlage mit dem privilegierten Gebäude eine räumliche und funktionelle Einheit bildet, sodass eine selbständige Benutzbarkeit von Teilen der Anlage ausscheidet. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
baurechtliche Nachbarklage, Neuerrichtung von Gästehaus oberhalb einer Grenzgarage, Abstandsflächen, abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung, bejaht, Entprivilegierung, verneint, Bauantrag, Garage, Grenzgarage, Wohnhaus, Abstandsflächenrecht, Nachbarschutz, Rücksichtnahmegebot, Baugenehmigung, baulichen Nutzung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20640
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens als Gesamtschuldner zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Der jeweilige Kostenschuldner kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrages abwenden, wenn nicht der jeweilige Kostengläubiger vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.
Tatbestand
1
Die Kläger wenden sich gegen eine den Beigeladenen erteilte Baugenehmigung des Landratsamts M.-S. für die Errichtung eines Gästehauses auf einer Grenzgarage.
2
1. Die Kläger sind Eigentümer des Grundstücks Fl.Nr. …4 der Gemarkung … a. Main ( … … … … a. Main), welches mit einem Wohnanwesen bebaut ist. Auf dem unmittelbar angrenzenden Baugrundstück Fl.Nr. …5 der Gemarkung … a. Main ( … … … … a. Main), welches im Eigentum der Eltern der Beigeladenen steht, befinden sich ein Wohngebäude und eine hiervon abgesetzte, grenzständige und ins hängige Gelände eingebaute Doppelgarage. Beide Grundstücke liegen außerhalb des Geltungsbereichs eines Bebauungsplans.
3
Mit Bauantrag vom 5. November 2023 in der Änderungsfassung vom 15. Oktober 2024 beantragten die Beigeladenen die Errichtung eines Gästehauses oberhalb einer Teilfläche ihrer bestehenden Doppelgarage (Bl. 2 ff. der Behördenakte). Das Vorhaben soll in zwei Ebenen unterteilt sein: eine untere Wohnebene mit Aufenthaltsraum, Dusche und WC sowie eine obere Schlafebene mit einem Doppelbett. Das Gästehaus soll anders als die darunterliegende Garage nicht direkt an der Grundstücksgrenze errichtet werden. Stattdessen soll der Baukörper 3,00 m von der westlichen Grenzwand der Garage zurückversetzt und oberhalb dem östlichen Teil der Grenzgarage errichtet werden. Den Bauvorlagen zufolge soll das Gästehaus eine Gesamtlänge von 7 m haben und den Garagenbau damit in südöstlicher um ca. 24 cm und in nordwestlicher Richtung um ca. 66 cm überschreiten. Konstruktiv soll das Gästehaus im Bereich des südöstlichen Überstands auf Stützpfeilern errichtet werden, im nordwestlichen Teil soll es auf einem in den Boden eingelassenes Stelzenfundament gründen. Zwischen dem Garagendach und dem Boden des Gästehauses soll eine Trennfuge bestehen. Es soll ausweislich der Südostansicht in den Planzeichnungen (Bl. 16 der Behördenakte) eine Höhe zwischen 6,78 m (3,78 m bis – 2,91 m) und 7,28 m (4,37 m bis – 2,91 m) aufweisen. Im Einzelnen wird auf die Planzeichnungen verwiesen.
4
Mit Stellungnahme vom 7. Februar 2024 teilte die Gemeinde mit, dass sie ihr Einvernehmen zu dem Vorhaben nicht erteile. Unter dem 8. Februar 2024 wurde vom Landratsamt M.-S. aktenkundig vermerkt, dass die übermittelte Versagung des Einvernehmens der Gemeinde keine Auswirkung auf das Verfahren habe, da die 2-Monats-Frist am 10. Januar 2024 abgelaufen sei.
5
2. Mit Bescheid vom 25. November 2024 erteilte das Landratsamt M.-S. den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung nach den Maßgaben der beigefügten und mit Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen unter im Einzelnen aufgeführter Nebenbestimmungen. Inhaltlicher Bestandteil der Genehmigung seien die Pläne vom 15. Oktober 2024.
6
In den Gründen wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die subjektiven Abwehrrechte der Nachbarn würden von der Baugenehmigung nicht verletzt. Unmittelbare nachbarliche Abwehrrechte entstünden nur bei der Art der baulichen Nutzung nach § 34 Abs. 2 BauGB. Diese sei bei der Errichtung des Gästehauses eingehalten. Über das Gebot der Rücksichtnahme sei auch das „Einfügen“ nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB mittelbar nachbarschützend. Das Bauvorhaben füge sich allerdings in Bezug auf Baumasse, Höhe, Geschosszahl und Grundfläche nach § 34 BauGB in die Umgebung ein. Unmittelbar nachbarschützend seien zudem die gesetzlich einzuhaltenden Abstandsflächen. Das geplante Gästehaus werde konstruktiv selbstständig und demnach statisch losgelöst von der bestehenden Grenzgarage errichtet und sei somit abstandsflächenrechtlich als eigener Baukörper zu betrachten. Daher verliere die Garage ihre abstandsflächenrechtliche Privilegierung nach Art. 6 Abs. 7 BayBO nicht. Folglich sei lediglich das Gästehaus abstandsflächenrechtlich zu bewerten. Nachdem das Gästehaus die notwendigen Abstandsflächen zu allen angrenzenden Grundstücken vollständig einhalte, werde auch hierbei der Nachbarschutz gewahrt. Einer ausreichenden Belichtung und Belüftung sei damit Sorge getragen. Auch das Rücksichtnahmegebot werde durch das Bauvorhaben nicht verletzt, da insbesondere kein Einmauerungseffekt entstehe. Die Baugenehmigung werde unbeschadet der privaten Rechte Dritter erteilt. Bedenken über eine mögliche Wertminderung des Gebäudes sowie hinsichtlich eines Grenzüberbaus der Bestandsgarage berechtigten nicht zur Versagung der Baugenehmigung.
7
3. Am 20. Dezember 2024 erhob die Klägerbevollmächtigte Klage, sinngemäß mit dem Antrag:
Die Baugenehmigung des Landratsamts M.-S. vom 25. November 2024 (Az. …) wird aufgehoben.
8
Zur Begründung führte die Klägerseite im Wesentlichen aus: Es liege ein Verstoß gegen das Abstandsflächenrecht vor. Maßgeblich für die Beurteilung der Abstandsflächen sei das gesamte Grenzgebäude in seiner Kombination aus Gästehaus und darunterliegender Garage. Es sei eine abstandsflächenrechtliche Neubeurteilung für das gesamte Grenzgebäude, einschließlich der bestehenden Grenzgarage und des Anbaus des Gästehauses, vorzunehmen. Durch die Errichtung des Gästehauses mit Aufenthaltsräumen auf der Garage werde diese nicht mehr als „Nebenanlage“ eingestuft, was zur Entprivilegierung der Grenzgarage führe. Die abstandsflächenrechtliche Privilegierung gelte nur für die in Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO genannten Nutzungen. Wenn bereits für Dachterrassen gelte, dass sie auf einer nach § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO privilegierten Grenzgarage unzulässig seien, müsse dieser Grundsatz erst recht für aufgesetzte Wohngebäude gelten. Ein Wohnhaus mit Aufenthaltsräumen und entsprechenden Außenwänden verändere die ursprüngliche Struktur der Grenzgarage grundlegend und führe zu einer völlig neuen baulichen Nutzung, die mit den Grundsätzen der Privilegierungen des § 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO nicht vereinbar sei. Aus der Begründung der Baugenehmigung vom 25. November 2024 ergebe sich, dass sich die Baugenehmigungsbehörde letztlich auf den Standpunkt gestellt habe, dass das Gästehaus konstruktiv selbständig und demnach statisch losgelöst von der bestehenden Grenzgarage errichtet werde. Die obigen Ausführungen zeigten auf, dass eine isolierte Betrachtung des Gästehauses als eigenständiger Baukörper in der hier vorliegenden Konstellation nicht möglich sei. Zudem weise die vom Bayerischen Verwaltungsgerichtshof entschiedene Streitsache (BayVGH, B.v. 25.4.2023 – 9 ZB 22.434), auf die Begründung der Baugenehmigung Bezug nehme, in entscheidenden Punkten erhebliche Unterschiede zum hiesigen Fall auf. Jener Fall habe einen Balkon betroffen, der sich nur teilweise über dem Dach einer Grenzgarage befunden und um 5,33 m aus einem bestehenden Gebäude herausragt habe. Der Balkon sollte auf sechs Stahlträgern errichtet werden, die sich zum Großteil im Durchgang bzw. nördlich vor der Garage befanden; nur eine Stahlstütze habe auf der Dachhaut der Garage gelastet. Die so entstehende Freiaufenthaltsfläche habe eine vollständig eigene Bodenkonstruktion gehabt. Der Balkon habe sich auch nicht nur über das Dach der Garage, sondern zusätzlich und vor allen Dingen über den Durchgang zwischen Wohnhaus und Garage erstreckt und sei „schwebend“ hergestellt worden. Hier sei hingegen offensichtlich, dass die Grenzgarage und das Gästehaus eine räumliche und funktionale Einheit bildeten. Betrachte man das streitgegenständliche Grenzbauwerk in seiner Gesamtheit, so sei bei natürlicher Betrachtungsweise zweifelsfrei eine einheitliche Außenwand festzustellen; auf eine horizontale Versetzung der Wand oder einen etwaigen Spalt von wenigen Zentimetern zwischen Garage und Anbau komme es nicht an. Eine künstliche Trennung durch ein Schraubfundament, Stelzen oder eine „Trennfuge“ – die für die geplante Errichtung des Gästehauses nicht erforderlich seien, wie die ursprünglichen Baupläne aus 2023 zeigten – könne nicht dazu führen, dass das Gästehaus als unabhängig von der Garage anzusehen sei. Die Einzeichnung der Trennfuge spreche auch eher dafür, dass die Baumaterialien entweder direkt auf der Garage auflägen oder mit einer Ausdehnung auf das Garagendach zu rechnen sei. Die Versuche der Beigeladenen, durch die zeichnerischen Änderungen in den Bauvorlagen und die Einfügung einer „Trennfuge“ oder nicht notwendige Stelzen eine Eigenständigkeit zu suggerieren, seien rechtlich nicht haltbar und stellten lediglich einen Versuch dar, die rechtlichen Vorschriften und die geltenden Grundsätze über die Entprivilegierung von Garagen zu umgehen. Die Errichtung des Gästehauses auf der Grenzgarage und die damit verbundenen baulichen Änderungen verletzten zudem in unzulässiger Weise das baurechtliche Rücksichtnahmegebot. Die Schaffung einer zusätzlichen Wohneinheit durch das Gästehaus werde voraussichtlich zu spürbaren nachteiligen Auswirkungen auf das angrenzende, nachbarliche Grundstück der Kläger führen und den nachbarlichen „Wohnfrieden“ erheblich beeinträchtigen. Im Weiteren sei die Baugenehmigung unbestimmt und es seien Fehler in den Planzeichnungen hinsichtlich des Grenzabstands und des natürlichen Geländeverlaufs zu konstatieren.
9
4. Der Beklagtenvertreter beantragte,
10
Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Die Klage sei unbegründet. Es sei unstreitig, dass eine zunächst im Sinne des Art. 6 BayBO privilegierte Grenzgarage diese Privilegierung wieder verliere, wenn sie baulich verändert, insbesondere unter Verwendung der Bausubstanz der Garage aufgestockt werde. Das bestehende Gesamtbauwerk löse dann insgesamt Abstandsflächen aus. Hiervon zu unterscheiden sei der vorliegende Fall, wenn der zu errichtende Überbau konstruktiv selbständig sei und der Überbau einerseits und die unterliegende Grenzgarage losgelöst voneinander abgerissen werden könnten. In diesem Zusammenhang müsse die Aussage der Klägerbevollmächtigten, das Gästehaus sei nicht als eigenständiger Baukörper anzusehen, zurückgewiesen werden. Der vorliegende Plan gehe von dem Gästehaus als eigenständigem Baukörper aus. Nicht überzeugend sei die Annahme, die seitens des Beklagten angeführte Rechtsprechung sei lediglich auf Balkone anwendbar. Zunächst handele es sich sowohl bei einem Balkon als auch bei dem streitgegenständlichen Gästehaus um eine bauliche Anlage, die für den Aufenthalt von Menschen geeignet sei und die bei dem Bestehen einer konstruktiven Einheit mit der Grenzgarage zum Verlust der abstandsflächenrechtlichen Privilegierung führen würde. Entsprechend könne die auch Frage dahingehend, ob sich die bauliche Anlage nur über einen Teil des Dachs der Grenzgarage erstrecke, kein taugliches Differenzierungskriterium sein. Ausgehend von der Funktion des Abstandsflächenrechts, den Sozialfrieden zu wahren, sei das streitgegenständliche Gästehaus zulässig. So sei es gerade nicht die Funktion der Vorschriften des Abstandsflächenrechts, andere – eventuell sogar abstandsflächenpflichtige – Anlagen zu „verhindern“, was sich schon daraus ergebe, dass die privilegierten Anlagen in den Abstandsflächen anderer Anlagen zulässig seien. Mithin müsse also unter dem Aspekt des Schutzzwecks nur ein „Übergreifen“ vor allem im Sinne einer unkontrollierbaren Vermischung von Aufenthaltsnutzung und privilegierten Anlagen ausgeschlossen werden. Eine solch unkontrollierbare Vermischung werde hier schon durch dadurch verhindert, dass das übrige Flachdach schon gar nicht vom streitgegenständlichen Gästehaus zugänglich sei. Es bestehe weder eine Zugangsmöglichkeit zu den Garagenräumen vom Gästehaus noch könne die übrige Dachhaut der Grenzgarage unproblematisch zum Aufenthalt genutzt werden. Zudem sei auf den konkreten Wortlaut zu verweisen, den der bayerische Verwaltungsgerichtshof in seiner Entscheidung vom 25. April 2023 gewählt habe. Zusammenfassend handele es sich bei dem streitgegenständlichen Vorhaben um ein bauordnungsrechtlich nicht zu beanstandendes Vorhaben, welches insbesondere die Abstandsflächen einhalte und zu keiner abstandsflächenrechtlichen Entprivilegierung der betreffenden Grenzgarage führe. Auch eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme sei nicht ersichtlich. Insbesondere halte das streitgegenständliche Vorhaben die erforderlichen Abstandsflächen ein. Zusätzlich sei auszuführen, dass nach dem Bauantrag die nicht überschwebte Dachfläche der Garage nicht als Dachterrasse oder ähnliches genutzt werden soll. Das Wohnhaus der Kläger sei nach überschlägiger Messung ca. 9 Meter von der Grundstücksgrenze entfernt, vom Gästehaus insgesamt ca. 12 Meter.
11
5. Die Beigeladenen stellten keinen Antrag und gaben keine Stellungnahme ab.
12
6. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
13
Die zulässige Klage ist unbegründet.
14
Die Klage ist unbegründet, da die angefochtene Baugenehmigung des Landratsamts M. S. vom 25. November 2024 die Kläger nicht in ihren subjektiv-öffentlichen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
15
1. Nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO ist die Baugenehmigung zu erteilen, wenn dem Vorhaben keine öffentlich-rechtlichen Vorschriften entgegenstehen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind. Insoweit ist das Landratsamt M-S hier zutreffender Weise vom vereinfachten Genehmigungsverfahren des Art. 59 BayBO ausgegangen.
16
Der Nachbar eines Vorhabens kann eine Baugenehmigung nur dann mit Erfolg anfechten, wenn öffentlich-rechtliche Vorschriften verletzt sind, die auch seinem Schutz dienen, oder wenn es das Vorhaben an der gebotenen Rücksichtnahme auf seine Umgebung fehlen lässt und dieses Gebot im Einzelfall Nachbarschutz vermittelt. Nur daraufhin ist das genehmigte Vorhaben in einem nachbarrechtlichen Anfechtungsprozess zu prüfen (vgl. BayVGH, B.v. 24.7.2020 – 15 CS 20.1332; B.v. 26.5.2020 – 15 ZB 19.2231; BVerwG, B.v. 28.7.1994 – 4 B 94/94; U.v. 19.9.1986 – 4 C 8.84; U.v. 13.6.1980 – IV C 31.77; alle juris).
17
2. Das Bauvorhaben hält die notwendigen Abstandsflächen zum Grundstück der Kläger ein. Ein Verstoß gegen das unmittelbar nachbarschützende Abstandsflächenrecht (Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b i.V.m. Art. 6 BayBO) liegt nicht vor.
18
Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 BayBO sind vor den Außenwänden von Gebäuden Abstandsflächen von oberirdischen Gebäuden freizuhalten. Satz 1 gilt entsprechend für andere Anlagen, von denen Wirkungen wie von Gebäuden ausgehen, gegenüber Gebäuden und Grundstücksgrenzen (Art. 6 Abs. 1 Satz 2 BayBO). Diese Abstandsflächen müssen auf dem Grundstück selbst liegen, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 BayBO. Die Tiefe der Abstandsfläche bemisst sich gemäß Art. 6 Abs. 4 Satz 1 BayBO nach der Wandhöhe und beträgt gemäß Art. 6 Abs. 5 Satz 1 BayBO (in der seit dem 1. Februar 2021 geltenden Fassung – G.v. 23.12.2020, GVBl. S. 663) grundsätzlich 0,4 H, mindestens 3 m.
19
2.1. Die Kammer geht zunächst davon aus, dass eine abstandsflächenrechtliche Neubetrachtung des aus Grenzgarage und Gästehaus bestehenden Gebäudekomplexes veranlasst ist. Durch das vorgesehene Gästehaus oberhalb der bestehenden Garage entsteht bei natürlicher Betrachtungsweise eine erhöhte Außenwand zur Grundstücksgrenze der Kläger (vgl. BayVGH, B.v. 19.9.2022 – 9 CS 22.1627 – juris m.w.N.). Daran ändert auch der Umstand nichts, dass nach den in der Akte befindlichen Plänen das Gästehaus gegenüber der grenzständigen Außenwand der Garage um 3,00 m zurückversetzt werden und aufgrund der Trennfuge über einen geringen Abstand zum Garagendach verfügen soll. Die entstehende, höhere Außenwand betrifft sowohl das Ausmaß als auch die Tiefe der einzuhaltenden Abstandsflächen. Zu beurteilen ist deshalb, ob der Gebäudekomplex die maßgeblichen, bei Bescheiderlass aktuellen Anforderungen des Art. 6 BayBO erfüllt.
20
2.2. Nach der gebotenen Neubeurteilung sind die abstandsflächenrechtlichen Anforderungen gewahrt.
21
Den genehmigten Planunterlagen lässt sich entnehmen, dass bezüglich des genehmigten Gästehauses mit einem Abstand von 3,00 m zur Grundstücksgrenze bei einer Wandhöhe von maximal 6,78 m (-2,91 m bis 3,87 m, vgl. Südostansicht, Bl. 15 der elektronischen Behördenakte) die nach Art. 6 Abs. 4 und 5 BayBO erforderlichen Abstandsflächen von 0,4 H, mindestens 3 m, eingehalten werden. Dass dies der Fall ist, wenn man das Gästehaus isoliert betrachtet, wird auch von Klägerseite nicht bestritten.
22
Entgegen der Auffassung der Klägerseite entfällt aufgrund des Vorhabens der Beigeladenen auch nicht die bisherige Privilegierung der im Rahmen der abstandsflächenrechtlichen Neubetrachtung ebenfalls zu beleuchtenden Grenzgarage nach Art. 6 Abs. 7 Satz 1 Nr. 1 BayBO, so dass auch hierdurch kein Abstandsflächenrechtsverstoß entsteht. Nach der vorgenannten Vorschrift sind u.a. in den Abstandsflächen sowie ohne eigene Abstandsflächen zulässig Garagen einschließlich ihrer Nebenräume mit einer mittleren Wandhöhe bis zu 3 m und einer Gesamtlänge je Grundstücksgrenze von 9 m. Privilegiert ist aber lediglich eine reine Garagennutzung, d.h. eine ausschließliche Nutzung zum Abstellen von Kraftfahrzeugen bzw. die Lagerung typischer Garagengegenstände. Eine Garage kann ihre (eng auszulegende) bauordnungsrechtliche Privilegierung, ausnahmsweise an der Grenze oder abweichend vom sonst geltenden Abstandsflächenrecht grenznah errichtet werden zu dürfen, zwar insgesamt verlieren, wenn sie mit einer anderen, abstandsflächenrechtlich nicht privilegierten baulichen Nutzung eine bauliche Einheit bildet (BayVGH, B.v. 25.4.2023 – 9 ZB 22.434; B.v. 15.1.2018 – 15 ZB 16.2508 – juris Rn. 12; U.v. 19.7.1984 – 26 B 83 A.596; weitergehend: VGH BW, U.v. 24.7.1998 – 8 S 1306/98; OVG Saarl, B.v. 31.5. 2007 – 2 A 189/07; NdsOVG, B.v. 8.5.2018 – 1 ME 55/18 – jeweils juris). Die einheitliche Außenwand der beiden Anlagen ist insoweit allerdings nicht ausreichend. Erforderlich ist vielmehr, dass die Anlage mit dem privilegierten Gebäude eine räumliche und funktionelle Einheit bildet, so dass eine selbständige Benutzbarkeit von Teilen der Anlage ausscheidet (BayVGH, B.v. 25.4.2023 – 9 ZB 22.434 – juris). Bildet etwa eine Dachterrasse mit dem Garagendach und dem Geländer als Bestandteile des Nebengebäudes zusammen mit diesem eine Einheit, unterliegt diese einem einheitlichen, rechtlichen Schicksal (BayVGH, B.v. 25.4.2023 – 9 ZB 22.434 – juris). Einer Privilegierung steht etwa auch entgegen ein Dachraum, der nur vom Wohngebäude her zugänglich ist, auch wenn er in einem Abstand von 3 m zur Grundstücksgrenze „abgemauert“ ist (BayVGH, B.v. 21.11.2006 – 15 CS 06.2862 – juris). In Anwendung dieser Grundsätze ist hier nicht von der erforderlichen räumlichen und funktionellen Einheit zwischen dem Gästehaus und der privilegierten Grenzgarage der Beigeladenen auszugehen. Entscheidend spricht dagegen, dass das Gästehaus – wie die Beklagtenseite zutreffend hervorgehoben hat – konstruktiv selbständig über dem Dach der Grenzgarage errichtet werden soll. Zwar ist nur eine „Trennfuge“ und damit nur ein minimaler Höhenversatz vorgesehen, jedoch soll nach der im Verlauf des Verwaltungsverfahrens erfolgten Umplanung der Lastenabtrag des Gästehauses nicht über das Garagendach, sondern über zwei vorgelagerte Stützpfeiler und über ein in den Erdboden eingelassenes Fundament erfolgen. Zwischen der Dachhaut der Garage und dem Gästehaus soll dementsprechend keinerlei bauliche Verbindung bestehen. Das Gästehaus soll ferner – was den hiesigen Fall ebenfalls von dem einer auf dem Garagendach errichteten Dachterrasse bzw. eines Dachraums auf dem Garagendach unterscheidet – über eine eigene, statisch selbständige Bodenkonstruktion verfügen. Anders als in den Fällen des Dachraums und der Dachterrasse hat das Garagendach weder eine bauliche Verbindung mit dem Gästehaus noch übernimmt das Garagendach zugleich die Funktion des Fußbodens des Gästehauses. Es fehlt damit jedenfalls an der erforderlichen funktionellen Einheit; eine selbständige Benutzbarkeit der Anlagenteile im Sinne der vorgenannten Anforderungen ist ebenso gewährleistet.
23
Die streitgegenständliche Baugenehmigung umfasst die Errichtung des Gästehauses in der genehmigten Art und Weise. Der Bauantrag ist ausweislich der Bauunterlagen auf eine Entkopplung von Garage und Gästehaus gerichtet (schwebende Herstellung mit Stahlstützen), was sich aus den genehmigten Plänen ergibt (vgl. Querschnitt A-A: Trennfuge). Ebenso bezieht es sich auf eine Planung, bei der das Gästehaus den Mindestabstand von 3,00 m wahrt. Streitgegenstand bildet allein das Vorhaben entsprechend dieser Eingabeplanung, nicht eine möglicherweise abweichende Ausführung (vgl. BayVGH, B.v. 6.10.2021 – 9 ZB 21.1537 – juris Rn. 7; B.v. 5.7.2017 – 9 CS 17.603 – juris Rn. 18). Nicht entscheidend ist hierbei, ob das geplante Gästehaus tatsächlich als statisch eigenständiger Überbau realisierbar ist und nicht nur theoretisch so konzipiert wurde; insoweit ist zu berücksichtigen, dass Fragen der Standsicherheit nicht Teil des vereinfachten Genehmigungsverfahrens nach Art. 59 BayBO sind (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.1999 – 2 CS 99.2387 – juris).
24
2.3. Im Ergebnis liegt eine Verletzung der Vorgaben des Abstandsflächenrechts liegt nicht vor.
25
3. Auch in bauplanungsrechtlicher Hinsicht liegt keine Rechtsverletzung der Kläger vor.
26
Soweit sich die Klägerseite auf das nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme beruft, verhilft dies – gleich ob dieses an § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO oder an § 34 Abs. 1 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO angeknüpft wird – der Klage nicht zum Erfolg.
27
Gemäß § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO ist ein Vorhaben unzulässig, wenn von ihm Belästigungen oder Störungen ausgehen können, die nach der Eigenart des Baugebiets (im Baugebiet selbst oder) in dessen Umgebung unzumutbar sind. Dies ist dann der Fall, wenn sich das Vorhaben nach Abwägung aller Belange, insbesondere der Interessen des Bauherrn und des Nachbarn, als rücksichtslos darstellt, weil es auf besonders schutzbedürftige und qualifizierte Belange des Nachbarn intensiv einwirkt (BVerwG, U.v. 25.2.1977 – 4 C 22/75 – juris). Welche Anforderungen das Gebot der Rücksichtnahme begründet und ob von einer unzumutbaren Situation auszugehen ist, hängt nach der Rechtsprechung wesentlich von den jeweiligen Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Nachbarn aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 35 Rn. 78).
28
Dies berücksichtigend ergibt sich eine Verletzung des Gebots der Rücksichtnahme insbesondere nicht unter dem Gesichtspunkt einer erdrückenden Wirkung. Es finden sich in der näheren Umgebung Gebäude, die das Bauvorhaben in seiner Höhenentwicklung übertreffen. Zu berücksichtigen ist insoweit, dass die Abstandsflächen, deren Schutzfunktion auch die Belichtung und Besonnung benachbarter Grundstücke umfasst, – wie vorerwähnt – eingehalten sind. Ein Ausnahmefall, in dem trotz Einfügens des Baukörpers in die nähere Umgebung ein Verstoß gegen das Rücksichtnahmegebot gegeben ist, liegt nicht vor. Eine erdrückende Wirkung (vgl. bspw. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris Rn. 38: 12-geschossiges Gebäude in 15 m Entfernung zum 2,5-geschossigen Nachbarwohnhaus; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – juris Rn. 15: drei 11,05 m hohe Siloanlagen im Abstand von 6 m zu einem zweigeschossigen Wohnanwesen), die von der Rechtsprechung regelmäßig nur bei in Höhe und Volumen überdimensionierten Baukörpern zu benachbarten Wohnbebauung angenommen wird (BayVGH, B.v. 11.5.2010 – 2 CS 10.454 – juris Rn. 5), scheidet vorliegend aufgrund der Höhenentwicklung und Entfernung der sich gegenüberstehenden Baukörper aus. Das Gebot der Rücksichtnahme schützt weiterhin grundsätzlich nicht vor der Möglichkeit, in andere Grundstücke von benachbarten Häusern aus Einsicht zu nehmen. Weder das Bauplanungsrecht im Allgemeinen noch das Gebot der Rücksichtnahme im Speziellen vermitteln einen generellen Schutz vor unerwünschten Einblicken. Allenfalls in besonderen, von den Umständen des jeweiligen Einzelfalls geprägten Ausnahmefällen kann sich etwas Anderes ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 13.4.2018 – 15 ZB 17.342 – juris Rn. 15 m.w.N.; B.v. 1.3.2018 – 9 ZB 16.270 – juris Rn. 18). Dies kann nur in einem situationsbedingten Ausnahmefall der Fall sein (z. B. wenn von einer unmittelbar an der Grenze vorgesehenen Dachterrasse in bisher nicht oder nur schwer einsehbare, grenznah gelegene und schützenswerte Räume aus kurzer Distanz von oben her eingesehen werden kann). In der hier gegebenen Fallkonstellation ist von einem solchen Ausnahmefall nicht auszugehen, da durch das dem Grundstück der Kläger zugewandte Fenster des Gästehauses unter Berücksichtigung der vorliegenden Gebäudeabstände keine Einsichtsmöglichkeiten aus nächster Nähe in schützenswerte Bereiche des klägerischen Anwesens eröffnet werden. Insgesamt sind die zu erwartenden Beeinträchtigungen für die Wohnsituation noch als sozialadäquat zu bewerten.
29
4. Ferner kann nicht von einer nachbarrechtsrelevanten Unbestimmtheit der Baugenehmigung (Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG) ausgegangen werden.
30
Hinreichend bestimmt im Sinne des Art. 37 Abs. 1 BayVwVfG ist eine Baugenehmigung, wenn die getroffene Regelung für jeden Beteiligten eindeutig zu erkennen ist und deshalb keiner unterschiedlichen Bewertung zugänglich ist. Der Gegenstand der Baugenehmigung wird vom Bauherrn durch seinen Bauantrag bestimmt. Er ergibt sich aus den Regelungen und der Begründung im Baugenehmigungsbescheid und wird konkretisiert durch die in Bezug genommenen Bauvorlagen und sonstigen Unterlagen. In nachbarrechtlichen Streitigkeiten ist die Bestimmtheit der Baugenehmigung daraufhin zu prüfen, ob es dem Nachbarn möglich ist, festzustellen, ob und in welchem Umfang er durch das Vorhaben in seinen drittschützenden Rechten betroffen wird (vgl. BayVGH, B.v. 9.4.2019 – 9 CS 18.2200 – juris Rn. 23). Ein Nachbar kann die unzureichende inhaltliche Bestimmtheit einer Genehmigung geltend machen, soweit dadurch nicht sichergestellt ist, dass das genehmigte Vorhaben allen dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht (vgl. BayVGH, U.v. 14.10.1985 – 14 B 85 A.1224 – BayVBl. 1986, 143 ff.).
31
Eine Unbestimmtheit in diesem Sinne ergibt sich zunächst nicht aus der von Klägerseite in Zweifel gezogene technische Umsetzbarkeit der Lastenabtragung über die Stützpfeiler. Aus den Planzeichnungen geht die beabsichtigte Bauausführung in eindeutiger Weise hervor; diesbezügliche Bestimmtheitsmängel sind nicht erkennbar und können sich insbesondere nicht aus einer fehlenden Darstellung technischer Einzelheiten zur Lastenabtragung ergeben.
32
Auch kann nicht davon ausgegangen werden, dass die Baugenehmigung aufgrund fehlerhafter Angabe der Höhenlage in nachbarrechtsrelevanter Weise unbestimmt sein könnte, weil sich die Abstandsflächen nach Art. 6 BayBO nicht zutreffend bestimmen lassen. Zwar bestehen bei Betrachtung der das Vorhaben der Beigeladenen betreffenden Planzeichnungen (Bl. 16 ff. der Behördenakte) sowie der Baupläne zum Genehmigungsbescheid vom 29. Oktober 2002 (vgl. Anlage K3) Zweifel an den richtigen und vollständigen Höhenangaben bezogen auf den natürlichen Geländeverlauf. Es ist gleichwohl nicht zu ersehen, dass sich dies in nachbarrechtsrelevanter Weise zulasten der Kläger auswirken könnte, weil – wie vorstehend ausgeführt – selbst bei einer angenommenen Gebäudehöhe von 6,87 m (unter Einschluss einer ggf. nicht erfolgten Abgrabung im Umfang von 2,91 m) im Abstand von 3,00 m zur Grundstücksgrenze, die auch unter Berücksichtigung des in den Planzeichnungen zum Genehmigungsbescheid vom 29. Oktober 2002 eingetragenen natürlichen Geländeverlaufs nicht überschritten würde, keine Abstandsflächenrechtsverletzung hervorgerufen werden kann. Damit ist sichergestellt, dass das genehmigte Vorhaben den dem Nachbarschutz dienenden Vorschriften entspricht.
33
5. Im Ergebnis war die Klage abzuweisen.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1, § 159 Satz 2 VwGO. Nachdem die Beigeladenen keinen Antrag gestellt und kein Kostenrisiko übernommen haben, kommt es nicht in Betracht, sie gemäß § 154 Abs. 3 VwGO an der Kostentragung zu beteiligen bzw. ihre außergerichtlichen Aufwendungen nach § 162 Abs. 3 VwGO der Klägerseite aufzuerlegen.
35
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.