Titel:
Eilantrag, Baugenehmigung, Genehmigungsfiktion, Rücknahme, Außenbereich, Teilprivilegierung (verneint), Außenbereichssatzung
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5 S. 1
BayBO Art. 68 Abs. 2 S. 1
BayVwVfG Art. 42a
BayVwVfG Art. 48
BauGB § 35 Abs. 3 S. 1
BauGB § 35 Abs. 4 S. 1 Nr. 2, S. 2
BauGB § 35 Abs. 6
Schlagworte:
Eilantrag, Baugenehmigung, Genehmigungsfiktion, Rücknahme, Außenbereich, Teilprivilegierung (verneint), Außenbereichssatzung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20566
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 10.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller begeht die Anordnung der aufschiebenden Wirkung seiner Klage gegen die mit Bescheid vom 13. März 2025 verfügte und für sofort vollziehbar erklärte Rücknahme einer fingierten Baugenehmigung für die Neuerrichtung eines Wohngebäudes mit Garage als Ersatzbau für das bestehende Wohngebäude auf dem Grundstück FlNr. …, Gemarkung … (im Folgenden: Baugrundstück).
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Das Baugrundstück liegt im Geltungsbereich der Außenbereichssatzung „…“ der Gemeinde …, zuletzt geändert am 12. August 2021. Dieses regelt unter anderem in § 2 Nr. 3, dass Wohnzwecken dienende Vorhaben nach § 35 Abs. 6 BauGB nur innerhalb der festgesetzten Baugrenzen zulässig sind und setzt diesbezüglich Baugrenzen fest. Das Baugrundstück liegt außerhalb dieser Baugrenzen.
3
Mit Antrag vom 2. Oktober 2023, eingegangen beim Antragsgegner am 9. Oktober 2023, beantragte der Antragsteller den Neubau eines Wohngebäudes mit Garage als Ersatzbau für das bestehende Wohngebäude auf dem Baugrundstück.
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Die Gemeinde … lehnte mit Beschluss vom 14. November 2023 die Erteilung des gemeindlichen Einvernehmens ab.
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Mit Bescheid vom 28. März 2024 lehnte das Landratsamt E. den Antrag auf Baugenehmigung ab. Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass das Vorhaben unter keinen der Privilegierungstatbestände des § 35 Abs. 1 BauGB falle und kein teilprivilegiertes Vorhaben nach § 35 Abs. 4 BauGB vorliege. Das bestehende Wohngebäude wie auch das an gleicher Stelle geplante neue Wohngebäude lägen zwar innerhalb des Geltungsbereichs der Außenbereichssatzung „…“, die Satzung sehe aber für das Bauvorhaben keine eigenen Baugrenzen vor. Eine Befreiungsmöglichkeit sei nicht vorgesehen und nicht möglich. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit richte sich somit alleine nach § 35 Abs. 2 BauGB. Danach sei das Vorhaben unzulässig, da es öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtige. Es widerspreche den Darstellungen des Flächennutzungsplans der Gemeinde …, der das Grundstück als Fläche für die Landwirtschaft darstelle, und beeinträchtige die natürliche Eigenart der Landschaft. Zudem sei die Gefahr der Erweiterung und Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten, da mit weiteren Anträgen zur Errichtung von gleichartigen oder ähnlichen Bauvorhaben gerechnet werden müsse. Die Voraussetzungen für ein begünstigtes Ersatzbauvorhaben im Sinne des § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB seien nicht erfüllt. Der Wohnhausbestand wie auch der geplante Ersatzbau würden nicht zur Deckung des Wohneigenbedarfs durch den Antragsteller und seine Familie verwendet. Auch seien keine Missstände oder Mängel am Baubestand nachgewiesen, die einen gleichartigen Neubau an gleicher Stellung erforderlich machten. Auf den Inhalt des Bescheids vom 28. März 2024 im Übrigen wird Bezug genommen.
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Der Antragsteller ließ mit Schriftsatz seines damaligen Bevollmächtigten vom 13. April 2024, bei Gericht am selben Tag eingegangen, Klage gegen den Bescheid vom 28. März 2024 erheben (Az. M 9 K 24.1916).
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Zur Begründung wird im Klageverfahren mit Schriftsatz vom 8. Dezember 2024 im Wesentlichen ausgeführt, dass der Antragsteller mit Vertrag vom 22. Mai 2019 mit der Gemeinde eine Vereinbarung bezüglich der Änderung der Außenbereichssatzung in … getroffen habe. Danach sollte es dem Antragsteller durch die Änderung der Außenbereichssatzung ermöglicht werden, ein Ersatzwohngebäude auf dem Baugrundstück zu errichten. Tatsächlich habe die Gemeinde durch die 1. Änderung der Außenbereichssatzung dem Antragsteller die Möglichkeit genommen, ein Ersatzgebäude nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB zu errichten und das für das Bestandsgebäude bestehende Baurecht über Baugrenzen beschränkt. Diesen Genehmigungsanspruch könne die Gemeinde aber nicht beschränken, so dass der Vertrag und die Satzung nichtig seien. Aus welchem Grund eine Genehmigungsfähigkeit des Vorhabens des Antragstellers nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB abgelehnt werde, sei nicht erkennbar. Abgesehen davon sei das Vorhaben nach § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB genehmigungsfähig. Zudem sei das Vorhaben nach § 35 Abs. 2 BauGB genehmigungsfähig, da es den Außenbereich nicht erstmals zusätzlich in Anspruch nehme. Seine Zulassung schaffe keine weiteren Bezugsfälle für die Ausweitung der Bebauung. Auf den Schriftsatz im Übrigen wird Bezug genommen.
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Der Antragsgegner führt mit Schriftsatz vom 3. Februar 2025 klageerwidernd im Wesentlichen aus, dass das Vorhaben planungsrechtlich nach § 35 Abs. 2 BauGB zu bewerten sei. Für § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB fehle es daran, dass das vorhandene Gebäude Missstände oder Mängel aufweise und vom Eigentümer seit längerer Zeit selbst genutzt worden sei oder werde. Eine Genehmigungsfähigkeit nach § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB i. V. m. Satz 1 Nr. 1 BauGB müsse ausgeschlossen werden, da kein begründeter Einzelfall vorliege und das vorhandene Gebäude keine Merkmale erkennen lasse, nach denen es vom äußeren Erscheinungsbild zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert sei. Es würden öffentliche Belange nach § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtigt. Auf den Schriftsatz im Übrigen wird Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 13. März 2025 hob das Landratsamt E. unter Nr. 1 des Bescheids die dem Antragsteller am 14. März 2024 durch Eintritt der Genehmigungsfiktion entstandene Baugenehmigung für den Neubau eines Wohngebäudes mit Garage als Ersatzbau für das bestehende Wohngebäude auf dem Baugrundstück auf und lehnte den Bauantrag vom 9. Oktober 2023 im Übrigen ab. Die sofortige Vollziehung von Nr. 1 des Bescheides wurde angeordnet (Nr. 2 des Bescheids). Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die fingierte Baugenehmigung rechtswidrig und daher zurückzunehmen sei. Eine Anhörung sei nicht geboten gewesen und es werde von ihr gemäß Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG abgesehen, da die relevanten tatsächlichen und rechtlichen Gesichtspunkte bereits hinreichend geklärt seien. Die Rücknahme sei erforderlich, um eine baurechtswidrige Ausführung des beantragten Vorhabens zu verhindern. Das Ermessen hierbei werde pflichtgemäß ausgeübt. Das wirtschaftliche Interesse des Antragstellers an der antragsgemäßen Ausführung des Bauvorhabens habe hinter dem öffentlichen Interesse an der Einhaltung der öffentlich-rechtlichen Bauvorschriften klar zurückzustehen. Zudem sei dem gemeindlichen Planungswillen der Gemeinde …, die das Einvernehmen verweigert habe, eine besondere Bedeutung beizumessen. An der sofortigen Vollziehung der Rücknahme der Baugenehmigung bestehe ein besonderes öffentliches Interesse, da dadurch die Schaffung bzw. Verfestigung baurechtswidriger Zustände durch den ansonsten möglichen sofortigen Baubeginn verhindert werde. Auf den Inhalt des Bescheids vom 13. März 2025 im Übrigen wird Bezug genommen.
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Mit Schriftsatz seines Bevollmächtigten vom 21. März 2025 erweiterte der Antragsteller seine Klage um den Bescheid vom 13. März 2025 und ließ mit weiterem Schriftsatz vom 4. Juli 2025 beantragen,
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die aufschiebende Wirkung der Klage vom 21. März 2025 gegen den Bescheid des Landratsamts E. vom 13. März 2025, Az.: … wiederherzustellen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Rücknahme der fingierten Baugenehmigung ermessensfehlerhaft und rechtswidrig sei. Aufgrund der gesetzlichen Grundentscheidung für einen von der materiellen Genehmigungsfähigkeit unabhängigen Fiktionseintritt und für einen ebenso von der materiellen Rechtslage unabhängigen Anspruch auf unverzügliche Ausstellung des Fiktionseintrittszeugnisses lägen besondere Umstände vor, die eine Rücknahme, gestützt auf ein intendiertes Ermessen, nicht zu rechtfertigen vermögen würden. Auf den Schriftsatz im Übrigen wird Bezug genommen.
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Der Antragsgegner hat mit Schriftsatz vom 21. Juli 2025 beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, dass die Rücknahme der fingierten Baugenehmigung sich auf eine ermessengerechte Abwägung stütze. Auf den Schriftsatz im Übrigen wird Bezug genommen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte in diesem sowie im zugehörigen Klageverfahren, Az. M 9 K 24.1916 und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
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I. Der Antrag auf Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung der Klage im Verfahren M 9 K 24.1916 gegen den Bescheid vom 13. März 2025 bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Die aufschiebende Wirkung der fristgerecht erhobenen Klage des Antragstellers gegen den Bescheid vom 13. März 2025 ist entfallen, weil der Antragsgegner in Nr. 2 des Bescheids die sofortige Vollziehung gem. § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO angeordnet hat. Mit einem gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 2 VwGO statthaften Antrag kann das Gericht der Hauptsache in einem solchen Fall die aufschiebende Wirkung der Klage wiederherstellen.
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2. Der Antrag ist unbegründet.
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a. Die Anordnung des Sofortvollzugs ist formell rechtmäßig. Gemäß § 80 Abs. 3 Satz 1 VwGO ist das besondere Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts schriftlich zu begründen. Dabei reicht jede schriftliche Begründung, die zu erkennen gibt, dass die anordnende Behörde eine Anordnung des Sofortvollzugs im konkreten Fall für geboten erachtet. Die Begründung muss kenntlich machen, dass sich die Behörde bewusst ist, von einem rechtlichen Ausnahmefall Gebrauch zu machen. Auf die inhaltliche Richtigkeit der Begründung kommt es nicht an (Hoppe in Eyermann, Verwaltungsgerichtsordnung, 16. Auflage 2022, § 80 Rn. 55).
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Die Begründung im Bescheid genügt diesen Anforderungen. Die Notwendigkeit der sofortigen Rücknahme der fingierten Baugenehmigung wird damit begründet, dass nur durch den Sofortvollzug verhindert werden könne, dass durch den ansonsten möglichen sofortigen Baubeginn baurechtswidrige Zustände geschaffen bzw. verfestigt würden. Das Interesse des Antragstellers müsse dahinter zurückstehen. Die Begründung geht auf den Einzelfall ein und begnügt sich gerade nicht mit nur formelhaften Ausführungen.
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b. Im Übrigen trifft das Gericht bei der Entscheidung über den Antrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO eine eigene Ermessensentscheidung darüber, ob die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsaktes sprechenden Interessen oder die für die Anordnung der aufschiebenden Wirkung streitenden Interessen höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind insbesondere die Erfolgsaussichten der Hauptsache als Indiz heranzuziehen, wie sie sich aufgrund der summarischen Prüfung im Zeitpunkt der Entscheidung darstellen. Sind die Erfolgsaussichten hingegen offen, so kommt es darauf an, ob das Interesse eines Beteiligten es verlangt, dass die Betroffenen sich so behandeln lassen müssen, als ob der Verwaltungsakt bereits unanfechtbar sei.
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Gemessen hieran überwiegt vorliegend das Vollzugsinteresse des Antragsgegners gegenüber dem Aussetzungsinteresse des Antragstellers, da die Klage des Antragstellers in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben wird.
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Der Bescheid vom 13. März 2025 ist voraussichtlich rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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aa. Vorliegend ist die grundsätzlich nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erforderliche Anhörung nicht erfolgt. Diese war auch entgegen der Rechtsauffassung des Antragsgegners nach Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG nicht deshalb entbehrlich, weil die relevanten Tatsachen und rechtlichen Gesichtspunkte bereits hinreichend geklärt gewesen und die gegensätzlichen Auffassungen zur Rechtslage bereits ausführlich dargelegt worden wären. Denn diese Tatsachen, Gesichtspunkte und Auffassungen zur Rechtslage betrafen den Antrag auf Baugenehmigung des Antragstellers sowie dessen Ablehnung durch Bescheid vom 28. März 2024 und nicht die streitgegenständliche Rücknahme der Baugenehmigung durch Bescheid vom 13. März 2025. Es ist zwar grundsätzlich zulässig, bei der Ermessensentscheidung über ein Absehen von der Anhörung nach Art. 28 Abs. 2 BayVwVfG zu berücksichtigen, ob der Betroffene bereits anderweitig Kenntnis von den wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Aspekten der vorgesehenen Entscheidung hatte. Die Anhörungspflicht entfällt aber nicht schon deshalb, weil der Beteiligte zu dem Sachverhalt schon in einem anderen Verwaltungsverfahren – hier dem Antrag auf Baugenehmigung – gehört wurde (vgl. Kallerhoff/Mayen in Stelkens/Bonk/Sachs, Verwaltungsverfahrensgesetz, 10. Auflage 2023, § 28 VwVfG Rn. 48).
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Ein hieraus folgender Verfahrensmangel kann aber jedenfalls noch bis zum Abschluss der letzten Tatsacheninstanz im verwaltungsgerichtlichen Verfahren geheilt werden (Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG), sodass nicht allein deshalb die aufschiebende Wirkung der Klage wiederhergestellt wird.
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bb. Der Bescheid ist in materieller Hinsicht nicht zu beanstanden.
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(1) Nach Art. 42a Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG gilt eine beantragte Genehmigung nach Ablauf einer für die Entscheidung festgelegten Frist als erteilt (Genehmigungsfiktion), wenn dies durch Rechtsvorschrift angeordnet und der Antrag hinreichend bestimmt ist; gemäß Art. 42a Abs. 2 Satz 1 BayVwVfG beträgt die Frist drei Monate, soweit durch Rechtsvorschrift nichts Abweichendes bestimmt ist. Nach Art. 68 Abs. 2 Satz 1 BayBO gilt Art. 42a BayVwVfG, wenn ein Bauantrag die Errichtung oder Änderung eines Gebäudes, das ausschließlich oder überwiegend dem Wohnen dient, oder eine Nutzungsänderung, durch die Wohnraum geschaffen werden soll, betrifft; die Frist für die Entscheidung beginnt nach der hier einschlägigen Regelung des Art. 68 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1a) BayBO drei Wochen nach Zugang des Bauantrags.
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Der Bauantrag des Antragstellers ging gemäß Eingangsstempel am 9. Oktober 2023 beim Landratsamt E. ein, so dass die 3-Wochen-Frist nach § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 30. Oktober 2023 endete und die 3-Monats-Frist gemäß § 187 Abs. 2, § 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 30. Januar 2024 endete. Der (erste) Ablehnungsbescheid erging erst am 28. März 2024.
31
Nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG kann ein rechtswidriger Verwaltungsakt, auch nach dem er unanfechtbar geworden ist, ganz oder teilweise mit Wirkung für die Zukunft oder für die Vergangenheit zurückgenommen werden, wobei nach Art. 48 Abs. 1 Satz 2 BayVwVfG ein Verwaltungsakt, der ein Recht oder einen rechtlich erheblichen Vorteil begründet oder bestätigt hat (begünstigender Verwaltungsakt), nur unter den Einschränkungen der Abs. 2 – 4 zurückgenommen werden darf.
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Bei einer Baugenehmigung handelt es sich nicht um einen Geldleistungsverwaltungsakt im Sinn des Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG. Dementsprechend sind keine über Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG hinausgehenden Tatbestandsmerkmale für die Rücknahmeentscheidung zu beachten. Die in Art. 48 Abs. 2 BayVwVfG genannten Gesichtspunkte eines schutzwürdigen Vertrauens sind aber auch in den Fällen des Art. 48 Abs. 3 BayVwVfG bei Betätigung des Rücknahmeermessens zu berücksichtigen (vgl. BayVGH v. 24.5.2017 – 9 ZB 16.391 – juris Rn. 17, m.w.N.).
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Da eine Baugenehmigungsfiktion lediglich verfahrensrechtliche Bedeutung hat und ohne Einfluss auf die materielle Rechtslage ist, ist es bei einer fingierten, aber rechtswidrigen Genehmigung nicht ausgeschlossen, diese Genehmigung nach Maßgabe der landesrechtlichen Vorschriften über das Verwaltungsverfahren zurückzunehmen (vgl. BayVGH U. v. 30.7.2001 – 2 B 99.1323 – juris Rn. 19 m.w.N. zur planungsrechtlichen Zulässigkeitsfiktion des § 5 Abs. 4 BauGBMaßnG).
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(2) Die Tatbestandsvoraussetzungen des Art. 48 Abs. 1 BayVwVfG für eine Rücknahme der fingierten Baugenehmigung liegen vor. Denn diese ist rechtswidrig.
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(a) Das streitgegenständliche Vorhaben ist nicht genehmigungsfähig, da es bauplanungsrechtlich unzulässig ist.
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Das streitgegenständliche Bauvorhaben soll nach insoweit eindeutiger Aktenlage im Außenbereich verwirklicht werden. Anzeichen für eine mögliche Privilegierung gemäß § 35 Abs. 1 BauGB sind weder ersichtlich noch vorgetragen. Der streitgegenständliche Ersatzbau, der somit als sog. sonstiges, nicht privilegiertes Vorhaben (§ 35 Abs. 2 BauGB) zu qualifizieren ist, widerspricht bauplanungsrechtlichen Vorschriften.
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Gemäß § 35 Abs. 2 BauGB können sonstige Vorhaben im Außenbereich im Einzelfall zugelassen werden, wenn ihre Ausführung oder Benutzung öffentliche Belange (§ 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB) nicht beeinträchtigt und die Erschließung gesichert ist.
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Das streitgegenständliche Vorhaben beeinträchtigt jedoch jedenfalls den öffentlichen Belang des § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB, da die Verfestigung einer Splittersiedlung zu befürchten ist.
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Anliegen dieses öffentlichen Belangs ist es, eine unorganische Siedlungsstruktur und Zersiedlung des Außenbereichs zu verhindern. Der Antragsteller muss sich in Zusammenhang mit § 35 Abs. 2 und 3 BauGB so behandeln lassen, als wenn er an der vorgesehenen Stelle erstmalig ein Gebäude errichten möchte. Ein Vergleich zwischen Alt- und Neubau ist allenfalls und erst im Rahmen der Prüfung des § 35 Abs. 4 BauGB vorzunehmen (vgl. BVerwG, U.v. 19.2.2004 – 4 C 4.03 – juris Rn. 7). Das bestehende Wohngebäude kann bei der Prüfung der Belange nach § 35 Abs. 3 Satz 1 BauGB nicht als „Vorbelastung“ eingestellt werden. Durch die Zulassung des Bauvorhabens droht daher, auch wenn dieses ersatzweise an Stelle des Wohngebäudes errichtet werden soll, insbesondere auch die erstmalige Entstehung eines im Außenbereich unerwünschten Siedlungssplitters i.S.d. § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB. Besondere Gründe, die zu einer abweichenden planungsrechtlichen Beurteilung führen könnten, sind weder vorgetragen noch ersichtlich.
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Die Beeinträchtigung des oben genannten Belangs ist auch nicht gemäß § 35 Abs. 4 BauGB unbeachtlich. Für das Vorhaben ist keine der dort vom Gesetzgeber abschließend (Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL November 2024, § 35 Rn. 131) und somit einer wertenden Gesamtbetrachtung nicht zugänglichen, vorgesehenen Fallgruppen einer sog. Teilprivilegierung einschlägig. Insbesondere liegen weder die Voraussetzungen von § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB noch die Voraussetzungen von § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB vor.
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§ 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 2 BauGB regelt die Teilprivilegierung einer Neuerrichtung eines gleichartigen Wohngebäudes an gleicher Stelle unter den dort in Buchst. a) bis d) aufgezählten Voraussetzungen. Dabei scheitert die Anwendbarkeit dieser Vorschrift im vorliegenden Fall bereits daran, dass das bestehende Wohngebäude nach dem unwidersprochenen Vortrag des Antragsgegners seit längerer Zeit nicht vom Eigentümer selbst genutzt wurde oder wird sowie es auch keine Missstände oder Mängel aufweist. Damit scheidet die Anwendung dieses Teilprivilegierungstatbestands im vorliegenden Fall aus.
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Weiter liegt keine Teilprivilegierung nach § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB vor. Danach liegt im begründeten Einzelfall eine Teilprivilegierung für die Neuerrichtung eines Gebäudes im Sinne des § 35 Abs. 1 Nr. 1 BauGB vor, dem eine andere Nutzung zugewiesen werden soll, wenn das ursprüngliche Gebäude vom äußeren Erscheinungsbild auch zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist, keine stärkere Belastung des Außenbereichs zu erwarten ist als in Fällen des Satzes 1 und die Neuerrichtung auch mit nachbarlichen Interessen vereinbar ist, und zusätzlich die entsprechend geltenden Anforderungen nach § 35 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 Buchst. b) bis g) BauGB vorliegen
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Die Anwendung dieser Vorschrift scheidet bereits deshalb aus, weil keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich sind, dass das bestehende Wohngebäude vom äußeren Erscheinungsbild auch zur Wahrung der Kulturlandschaft erhaltenswert ist.
44
Darüber hinaus ist weder vorgetragen noch ersichtlich, dass das Wohngebäude im räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs steht.
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Doch selbst wenn man von einem räumlich-funktionalen Zusammenhang mit der Hofstelle eines land- oder forstwirtschaftlichen Betriebs ausgehen könnte, fände § 35 Abs. 4 Satz 2 BauGB keine Anwendung, da es sich dann denklogisch um keine (erstmalige) Änderung der Nutzung handeln könnte, denn das bestehende Gebäude ist bereits ein Wohngebäude.
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Zudem ist auch nicht erkennbar, warum ein „begründeter Einzelfall“ vorliegen soll.
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Schließlich liegt keine Teilprivilegierung gemäß § 35 Abs. 6 Satz 1 BauGB vor, da das Bauvorhaben des Antragstellers außerhalb der festgesetzten Baugrenzen der Außenbereichssatzung „…“ liegt.
48
Gemäß § 35 Abs. 6 Satz 1 BauGB kann die Gemeinde für bebaute Bereiche im Außenbereich, die nicht überwiegend landwirtschaftlich geprägt sind und in denen eine Wohnbebauung von einigem Gewicht vorhanden ist, durch Satzung bestimmen, dass Wohnzwecken dienenden Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Nach § 35 Abs. 6 Satz 3 BauGB kann die Gemeinde in der Satzung nähere Bestimmungen über die Zulässigkeit treffen. Die Reichweite des § 35 Abs. 6 Satz 3 BauGB wird durch die Funktion der Außenbereichssatzung bestimmt. Diese besteht lediglich darin, die beiden in § 35 Abs. 6 Satz 1 BauGB genannten öffentlichen Belange, die von nicht privilegierten Außenbereichsvorhaben in der Regel beeinträchtigt werden, „auszublenden“. Nur insoweit regelt eine Außenbereichssatzung die Zulässigkeit von Vorhaben und nur insoweit kann Näheres bestimmt werden. Solche Regelungen müssen sich somit unmittelbar auf die durch die Satzung bewirkte „Teilprivilegierung“ beziehen. Beispielsweise kann näher bestimmt werden, welche Art von Wohngebäuden in den Genuss der Teilprivilegierung kommen soll. Es kann auch geregelt werden, welchen Umfang (Nutzungsmaß) die begünstigten Vorhaben nicht überschreiten dürfen und wie sie angeordnet werden müssen (überbaubare Grundstücksfläche), damit die Verfestigung der Splittersiedlung und der Widerspruch zum Flächennutzungsplan hingenommen werden können (BayVGH, U.v. 16.10.2003 – 1 N 01.3178 – juris Rn. 17; U.v. 28.6.2010 – 1 B 09.1911 – juris Rn. 52). Die Gemeinde muss also nicht zwingend entweder alle Wohnbauvorhaben begünstigen oder keines. Sie kann auch differenzieren und sich beispielsweise darauf beschränken, nur Änderungen, Nutzungsänderungen oder Ersatzbauten in die Reichweite der Begünstigung einzubeziehen (Spieß in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, 10. Aufl. 2022, § 35 Rn. 303).
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Vorliegend wollte die Gemeinde ausschließlich die Neuschaffung bzw. Vergrößerung der Wohnflächen für den Eigenbedarf ermöglichen und es war nicht beabsichtigt, über den unmittelbaren Bedarf weiteres Wohnung im Außenbereich zuzulassen. Um dies umzusetzen wurde unter § 2 Nr. 3 der Satzung festgesetzt, dass Wohnzwecken dienende Vorhaben nur innerhalb der festgesetzten Baugrenzen zulässig sind (vgl. Seite 2 der Begründung der 1. Änderung der Außenbereichssatzung …“). Damit ist aber lediglich geregelt, dass solchen Vorhaben auf diesen Grundstücken nicht entgegengehalten werden kann, dass sie einer Darstellung im Flächennutzungsplan über Flächen für die Landwirtschaft oder Wald widersprechen oder die Entstehung oder Verfestigung einer Splittersiedlung befürchten lassen. Eine Außenbereichsatzung kann nämlich – ohne dass sie dies ausdrücklich regeln müsste – ausschließlich die Rechtsfolge bewirken, die § 35 Abs. 6 Satz 1 BauGB vorgibt (Spieß in Jäde/Dirnberger/Weiß, BauGB, 10. Aufl. 2022, § 35 Rn. 297). Sie begründet eine Begünstigung von im Übrigen nach § 35 Abs. 2 BauGB zu beurteilenden Vorhaben (Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 35 Rn. 172). Alle anderen sonstigen Vorhaben – hier solche außerhalb der festgesetzten Baugrenzen wie das Baugrundstück – müssen sich vollumfänglich an § 35 Abs. 2 BauGB messen lassen.
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Eine Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB kommt nicht in Betracht. Diese Abweichungsmöglichkeit ist nur für Festsetzungen eines Bebauungsplans bzw. einzelne Festsetzungen in einer Satzung gemäß § 34 Abs. 4 Satz 1 Nrn. 2 und 3 BauGB oder in einer Satzung nach § 22 BauGB vorgesehen, nicht aber für Regelungen zur näheren Bestimmung der Zulässigkeit gemäß § 35 Abs. 6 Satz 3 BauGB (vgl. BayVGH, U.v. 28.6.2010 – 1 B 09.1911 – juris Rn. 59).
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Schließlich führt auch der Vertrag des Antragstellers mit der Gemeinde vom 22. Mai 2019 nicht zu einer bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens. Denn auch die seitens des Antragstellers behauptete Nichtigkeit der Außenbereichssatzung hätte lediglich zur Folge, dass für alle Vorhaben, die im Geltungsbereich der Außenbereichssatzung liegen, die Teilprivilegierung des § 35 Abs. 6 Satz 1 BauGB nicht zur Anwendung kommt; daher wäre das Vorhaben dann ebenfalls bzw. erst recht bauplanungsrechtliche unzulässig.
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Dies gilt unabhängig davon, dass es bereits in § 2 des Vertrages vom 22. Mai 2019 ausdrücklich heißt, dass die Parteien des Vertrages sich einig darüber sind, dass die Gemeinde durch die Vereinbarung keine Zusage gibt, die Außenbereichssatzung zugunsten des Antragstellers zu ändern, und ungeachtet dessen, dass sich eine Gemeinde vertraglich nicht zur Aufstellung bzw. Änderung von städtebaulichen Satzungen verpflichten kann und es gemäß § 1 Abs. 3 Satz 2 BauGB keinen Rechtsanspruch durch Vertrag gibt, dass eine Gemeinde eine solche Satzung aufstellt, ändert oder aufhebt. Somit sind keine Gründe für die Nichtigkeit der Außenbereichssatzung ersichtlich.
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(b) Zudem liegt wohl ein Verstoß gegen die abstandsrechtlichen Vorschriften vor, was einer Genehmigungsfähigkeit des beantragten Vorhabens entgegensteht.
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Das Vorhaben hält die gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 und Abs. 5 Satz 1 BayBO erforderliche Mindestabstandsfläche von 3 m zum nördlich angrenzenden Grundstück Fl.Nr* …, Gemarkung … nicht ein. Ausweislich der eingereichten Bauvorlagen beträgt der Grenzabstand des geplanten Bauvorhabens zur gemeinsamen Grundstücksgrenze mit der Fl.Nr. …, Gemarkung … lediglich 1,53 m, sodass die gesetzliche Mindestabstandsfläche von 3 m deutlich nicht eingehalten wird.
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Eine Abweichung von den Abstandsflächen gemäß Art. 63 Abs. 1 BayBO wurde durch den Antragsteller entgegen Art. 63 Abs. 2 Satz 1 HS. 1 BayBO nicht beantragt. Ein solcher Abweichungsantrag ist zwingende Voraussetzung für einen entsprechenden Verpflichtungs- oder auch Neuverbescheidungsanspruch des Antragstellers (vgl. Dhom/Simon, in Busse/Kraus, BayBO, 157. EL Januar 2025, Art. 63, Rn. 48; BayVGH, U.v. 29.10.2015 – 2 B 15.1431- juris).
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Nach alledem liegen die Voraussetzungen für eine Rücknahme der fingierten Baugenehmigung vor.
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(3) Es liegt auch kein Ermessensfehler vor.
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Zwar liegt bei der Rücknahme rechtswidriger Verwaltungsakte nach Art. 48 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG grundsätzlich kein Fall intendierten Ermessens vor, sofern dem anzuwendenden Fachrecht nicht ausnahmsweise eine andere Wertung zu entnehmen ist, wobei dies auch dann gilt, wenn sich der Betroffene nicht auf Vertrauensschutz berufen kann (vgl. BVerwG, U. v. 24.2.2021 – 8 C 25.19 – juris Rn. 11).
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Ermessensfehler sind aber weder ersichtlich noch substantiiert dargetan. Der Antragsgegner hat einerseits das öffentliche Interesse an der Rücknahme der fingierten Baugenehmigung und andererseits das Interesse des Antragstellers an der Aufrechterhaltung der fingiert erteilten Baugenehmigung und Ausführung des Bauvorhabens betrachtet.
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3. Eine reine Interessensabwägung führt auch zu keinem anderen Ergebnis. Das öffentliche Interesse der Verhinderung der Schaffung baurechtswidriger Zustände überwiegt das Interesse des Antragstellers auf eine Ausübung seines Baurechts vor Entscheidung im Hauptsacheverfahren. Zudem verhindert die sofort vollziehbare Rücknahmeentscheidung der fingierten Baugenehmigung den Eintritt vollendeter Tatsachen durch eine mögliche Errichtung des Vorhabens bis zum Abschluss des Hauptsacheverfahrens und damit erhebliche finanzielle und baurechtlich schwer rückgängig zu machende Folgen (vgl. BayVGH, B.v. 16.6.2023 – 15 CS 23.731 – juris Rn. 23, 31)
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II. Nach alledem wird der Antrag abgelehnt. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. dem Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit, dort Nrn. 9.1.1.1 in entsprechender Anwendung sowie 1.5.