Titel:
Versammlungsrecht, Radsternfahrt, Gefahrenprognose, beschränkende Verfügung, Untersagung der Durchführung auf der Bundesautobahn 96
Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
GG Art. 8
BayVersG Art. 15 Abs. 1
Schlagworte:
Versammlungsrecht, Radsternfahrt, Gefahrenprognose, beschränkende Verfügung, Untersagung der Durchführung auf der Bundesautobahn 96
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20556
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf 2.500 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die beschränkende Verfügung, nach welcher die von ihm angemeldete Versammlung nicht auf einer Teilfläche der Bundesautobahn 96 (BAB A96) durchgeführt werden darf.
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Der Antragsteller, ein eingetragener Verein, möchte am 18. Mai 2025 eine „Radsternfahrt“ in das Stadtgebiet der Antragsgegnerin durchführen. Das Versammlungsthema lautet „…-Radsternfahrt: einfach aufsteigen, sicher ankommen! Verkehrswende, Radinfrastruktur wie & statt Autobahnen“. Erste Kooperationsgespräche zu Termingestaltung und Routenverlauf fanden ab Herbst 2024 statt. Die Veranstaltungsanzeige erfolgte am 18. Februar 2025 und wurde zuletzt am 14. April 2025 offiziell geändert. Der Antragsteller geht von ca. 8.000 – 10.000 Teilnehmern aus. In mehreren Kooperationsgesprächen legte die Antragsgegnerin und weitere Fachbehörden dem Antragsteller dar, dass die Sternfahrt nicht mehr im gleichen Umfang wie in den vorangegangenen Jahren möglich sei und eine Nutzung der BAB A96 abgelehnt werde. Der Antragsteller legte im weiteren Verlauf mehrere Trassenvarianten vor, welche entweder über die BAB A96 führten oder auf das Befahren einer Bundesautobahn ganz verzichteten. Der Antragsteller lehnte die Nutzung der BAB A95, wie in dem von der Polizei erarbeiteten Gegenvorschlag vorgeschlagen, ab. Die geänderte Versammlungsanzeige vom 14. April 2025 umfasst zwei Streckenvarianten. Beiden Varianten ist gemeinsam, dass sich die Teilnehmer über sieben Außenäste und vier innerstädtische Stränge zum Ziel K.platz bewegen. Die vom Antragsteller bevorzugte Variante führt im Bereich zwischen der Anschlussstelle … und der Anschlussstelle … in beiden Fahrtrichtungen über die BAB A96 („Variante BAB A96“). Die alternative Variante führt ohne Inanspruchnahme einer Bundesautobahn über das nachgeordnete Straßenverkehrsnetz bis zum K. platz („Variante L. str.“). Am 22. April 2025 legte der Veranstalter ein Dossier vor, in dem der Bezug des Themas der Radsternfahrt zur Autobahn dargelegt wird. Er vertritt darin die Auffassung, dass die Nutzung der Autobahn unerlässlich sei, um den von der Radsternfahrt gewünschten Beitrag zur politischen und gesellschaftlichen Kommunikation zu erreichen. Die Autobahn GmbH des Bundes – Niederlassung Südbayern –, das Polizeipräsidium …, die Branddirektion der Landeshauptstadt M. und das Mobilitätsreferat der Landeshauptstadt M.n gaben Gefahrenbewertungen zu den einzelnen innerstädtischen Streckenverläufen sowie zur Nutzung der BAB A96 ab.
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Das Bayerische Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration bestimmte die Antragsgegnerin mit Schreiben vom 4. April 2025 als zuständige Kreisverwaltungsbehörde für die überörtliche Versammlung des Antragstellers.
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Mit Bescheid vom 9. Mai 2025, geändert mit Schriftsatz vom 13. Mai 2025, erließ die Antragsgegnerin unter Ziffer 3.2 folgende beschränkende Auflage,
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„3.2 Örtliche Verlegungen
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Die angezeigte Variante der sich fortbewegenden Versammlung, unter Nutzung der Bundesautobahn (BAB) 96 zwischen der Anschlussstelle (AS) … … und der AS … …, wird auf die vom Veranstalter geplante Alternativvariante, ohne Nutzung einer BAB, verlegt.
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Innerhalb dieser Alternativvariante werden folgende Änderungen bestimmt:
8
Die Auffahrt der Routen auf den M. Ring wird, nach der geplanten gemeinsamen Pause am S. platz der Route M 4, statt über die B 11, weiter über die A. straße, M. Straße erfolgen. Im weiteren Verlauf wird der L. Tunnel oberirdisch befahren (vgl. Anlage 2).
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Die Route U 5 verläuft, statt über die B 11 (mit Zuführung über die B. Straße), weiter geradeaus über die W. straße, um sich mit den weiteren Routen auf dem L. - …Platz zu vereinigen (vgl. Anlage 2).
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Die Route M 2 wird verkürzt und vereinigt sich mit den Routen aus dem Norden und Osten bereits an der Kreuzung U. straße / F. Ring (vgl. Anlage 2).“
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Zur Begründung der Ablehnung der Nutzung der BAB A96 durch die Versammlung wurde u.a. auf die Gefahrenprognosen der Fachdienststellen und Fachbehörden hingewiesen, deren Einschätzung sich die Antragsgegnerin zu eigen machte. Nach den eingeholten Stellungnahmen der beteiligten Fachstellen sei eine Vollsperrung der Autobahn erforderlich, wenn die Versammlungsteilnehmer diese befahren würden. Der Mittlere Ring einschließlich der Autobahnenden wäre zum Großteil für mehrere Stunden belegt. Das innerstädtische Verkehrsnetz würde sowohl für den Individualverkehr, wie auch für den öffentlichen Personennahverkehr und den sonstigen Verkehr, wozu auch Rettungsfahrten, eilige Lieferungen und Pflegedienste gehören, zum Erliegen kommen. Die Beeinträchtigungen für Dritte wären deshalb besonders stark. An den Stauenden, insbesondere auf den Autobahnen und in den Tunnelanlagen bestünden große Unfallgefahren. Neben der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs sehe die Antragsgegnerin deshalb bei Nutzung der BAB A96 Leib und Leben anderer Verkehrsteilnehmer und Dritter als konkret gefährdet an. Die Verlegung sei geeignet, erforderlich und angemessen. Die von der Antragsgegnerin gewährte „Variante Leopold straße“ sei in der Gesamtschau mit insgesamt geringeren Auswirkungen durchführbar, wenngleich auch diese Variante beträchtliche Eingriffe in den Straßenverkehr bedeute. Ein konkreter Bezug zu einer bestimmten Autobahn sei von dem Antragsteller trotz Nachfrage der Antragsgegnerin nicht geltend gemacht worden. Eine Verlegung der Strecken auf die BAB A95 zwischen der Anschlussstelle * . … – und der Anschlussstelle * . – hätte eine geeignete mildere Maßnahme darstellen können. Zwar sei das Endstück der BAB A95 nicht mehr als Bundesautobahn gewidmet, jedoch in diesem Teilstück wie eine Bundesautobahn ausgebaut und als solche wahrnehmbar. Soweit es dem Antragsteller mit seiner Versammlung um den Bezug zur Autobahn gegangen sei, hätte dem durch das Endstück der BAB A95 Rechnung getragen werden können. Diese Option sei jedoch vom Antragsteller abgelehnt worden.
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Am 13. Mai 2025 erhob der Antragsteller durch seine Bevollmächtigten Klage beim Verwaltungsgericht München gegen den Bescheid vom 9. Mai 2025 (Az. M 10 K 25.2909) und beantragte am gleichen Tag,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 9. Mai 2025 insoweit anzuordnen, als darin die Durchführung der Versammlung am 18. Mai 2025 auf der Autobahn BAB 96 Anschlussstelle … bis Anschlussstelle … untersagt wird, hilfsweise als darin die Durchführung der Versammlung am 18. Mai 2025 auf der Autobahn BAB 95 von der Anschlussstelle . -Süd bis zur Anschlussstelle . - … untersagt wird.
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Mit Schriftsatz vom 14. Mai 2025 wurde der Antrag wie folgt erweitert:
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Hilfsweise wird für den Fall, dass keine Autobahn befahren werden darf, die aufschiebende Wirkung der Klage vom 13. Mai 2025 gegen den Bescheid vom 9. Mai 2025 insoweit angeordnet, als darin bei der „Variante L. str.“ Die Route M2 teilweise untersagt wird (Verkürzung der Route M2 in Verbindung mit einer frühzeitigen Vereinigung mit den Zügen M3, U1, U2, U3, bereits an der Kreuzung U. straße / F. Ring).
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Bei dem vom Antragsteller gewählten Teilstück der BAB A96 handele es sich um ein Autobahnende im Stadtgebiet … Die Geschwindigkeit sei in beiden Fahrtrichtungen beschränkt. Es bestünden durchgreifende Mängel hinsichtlich der behördlichen Gefahrenprognose. Dieser Autobahnabschnitt sei als Versammlungsort gewählt worden, da sich dort aktuell eine Baustelle am Tunnel … befinde, die Kosten in Höhe von rund 33 Millionen EUR verursache. Es solle auf das Missverhältnis zwischen Ausgaben für Autobahnen und für Radverkehrswege hingewiesen werden. Der Antragsteller halte die von der Antragsgegnerin im Jahr 2023 genannte Anzahl der Teilnehmenden auf der BAB A96 nach den ihm vorliegenden Daten um den Faktor 2 zu klein. Von den sieben Brücken bzw. Stegen aus könne die Versammlung gut gesehen, fotografiert und gefilmt werden. Hierdurch sei die Sichtbarkeit und Kommunikation der Versammlung im Zusammenhang mit der Autobahn gegeben. Die Untersagung der Durchführung der Versammlung auf der BAB A96 stelle sich als unangemessener Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Antragstellers bzw. der Versammlungsteilnehmer dar. Zum weiteren Hilfsantrag führt der Antragsteller aus, dass die eigenständige Fahrstrecke des Zugs M2 bei der angeordneten Verkürzung gerade einmal 700 m betragen würde.
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Die Antragsgegnerin beantragte am 9. Mai 2025 mit einer Schutzschrift,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Antragserwiderung wurde am 14. Mai 2025 u.a. vorgetragen, auch bei der Sperrung der BAB A96 für die Radsternfahrt im Januar 2023 seien frühzeitig kommunikative Maßnahmen zur Information der Verkehrsteilnehmer ergriffen worden. Es habe sich jedoch gezeigt, dass sich die Verkehrsteilnehmer an die ergangenen Empfehlungen nicht gehalten hätten. Dementsprechend könne nicht davon ausgegangen werden, dass durch frühzeitige kommunikative Maßnahmen die Verkehrsmenge hinreichend reduziert werden könne. Hinsichtlich der Möglichkeit von der Versammlung Luftbildaufnahmen zu fertigen habe der Antragsteller bereits mehrere Drohnenstartplatzgenehmigungen für Örtlichkeiten abseits der Bundesautobahn beantragt und erhalten und sei nicht auf die Brücken der BAB A96 angewiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten und des umfangreichen Vorbringens der Beteiligten im Übrigen wird ergänzend auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren und im Klageverfahren (Az. M 10 K 25.2909) sowie auf die von der Antragsgegnerin vorgelegte Behördenakte verwiesen.
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Der Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage gegen die im Bescheid der Antragsgegnerin vom 9. Mai 2025 enthaltene beschränkende Verfügung Ziffer 3.2 Örtliche Verlegung ist gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO zulässig, aber unbegründet und hat daher keinen Erfolg.
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1. Gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Anfechtungsklage anordnen, wenn diese – wie hier – gegen die beschränkende Verfügung einer Versammlung kraft Gesetzes (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO, Art. 25 Bayerisches Versammlungsgesetz – BayVersG) keine aufschiebende Wirkung hat.
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2. Die von der Anzeige abweichende alternative Wegstrecke in Ziffer 3.2 des streitgegenständlichen Bescheids erweist sich nach summarischer Prüfung im vorliegenden Verfahren voraussichtlich als rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
24
Im Rahmen der Entscheidung nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO über die Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer Anfechtungsklage ist eine Interessenabwägung zwischen dem öffentlichen Vollzugsinteresse und dem privaten Suspensivinteresse am Eintritt der aufschiebenden Wirkung des Rechtsbehelfs vorzunehmen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, für die in erster Linie die Erfolgsaussichten des Hauptsacherechtsbehelfs maßgeblich sind. An der Anordnung der aufschiebenden Wirkung einer voraussichtlich aussichtslosen Klage besteht kein überwiegendes Interesse. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich erfolgreich sein, weil die Klage zulässig und begründet ist, so wird regelmäßig nur die Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Bei offener Erfolgsprognose ist eine Interessenabwägung durchzuführen. Dem Charakter des Verfahrens nach § 80 Abs. 5 VwGO entspricht dabei grundsätzlich eine summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage. Zum Schutz von Versammlungen ist indes schon im Eilverfahren durch eine intensivere Prüfung dem Umstand Rechnung zu tragen, dass der Sofortvollzug der umstrittenen Maßnahme in der Regel zur endgültigen Verhinderung der Versammlung in der beabsichtigten Form führt (vgl. BVerfG, B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 18 m.w.N.).
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Das in Art. 8 Abs. 1 GG gewährleistete Grundrecht der Versammlungsfreiheit schützt die Freiheit, mit anderen Personen zum Zwecke der gemeinschaftlichen, auf Teilhabe an der öffentlichen Meinungsbildung gerichteten Erörterung oder Kundgebung örtlich zusammenzukommen (vgl. BVerfG, B.v. 30.8.2020 – 1 BvQ 94/20 – juris Rn. 14 m.w.N.; B.v. 14.10.2001 – 1 BvR 1190/90 u.a. – juris Rn. 39 ff.). Als Freiheit zur kollektiven Meinungskundgabe ist die Versammlungsfreiheit für eine freiheitlich demokratische Staatsordnung konstituierend.
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Aus Art. 8 Abs. 1 GG folgt auch das Recht der Grundrechtsträger, insbesondere des Veranstalters, selbst über Ort, Zeitpunkt, Art und Inhalt der Versammlung zu bestimmen (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 16 m.w.N.; BVerwG, U.v. 24.5.2022 – 6 C 9.20 – juris Rn. 19 m.w.N.). Die Bürger sollen damit selbst entscheiden können, wo sie ihr Anliegen – gegebenenfalls auch mit Blick auf Bezüge zu bestimmten Orten oder Einrichtungen – am wirksamsten zur Geltung bringen können (vgl. BVerfG, B.v. 18.7.2015 – 1 BvQ 25/15 – juris Rn. 9 m.w.N.). Das Grundrecht auf Versammlungsfreiheit schützt dabei auch das Interesse des Veranstalters, einen Beachtungserfolg nach seinen Vorstellungen zu erzielen, also gerade auch durch eine möglichst große Nähe zu dem symbolhaltigen Ort (vgl. BVerfG, B.v. 27.6.2022 – 1 BvQ 45/22 – juris Rn. 6 m.w.N.). Allerdings verschafft die Versammlungsfreiheit kein Zutrittsrecht zu beliebigen Orten. Insbesondere gewährt sie keinen Zutritt zu Orten, die der Öffentlichkeit nicht allgemein zugänglich sind oder zu denen schon den äußeren Umständen nach nur zu bestimmten Zwecken Zugang gewährt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.7.2015 – 1 BvQ 25/15 – juris Rn. 5 m.w.N.; BVerwG, B.v. 8.1.2021 – 6 B 48.20 – juris Rn. 11). Demgegenüber verbürgt die Versammlungsfreiheit die Durchführung von Versammlungen aber dort, wo ein allgemeiner öffentlicher Verkehr eröffnet ist (vgl. BVerfG, B.v. 9.12.2020 – 1 BvR 2734/20 – juris Rn. 10).
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Gemäß Art. 8 Abs. 2 GG kann das Recht auf friedliche Versammlungen unter freiem Himmel durch Gesetz oder aufgrund eines Gesetzes beschränkt werden. Für Bayern ist in Art. 15 Abs. 1 BayVersG bestimmt, dass die zuständige Behörde eine Versammlung beschränken oder verbieten kann, wenn nach den zur Zeit des Erlasses der Verfügung erkennbaren Umständen die öffentliche Sicherheit oder Ordnung bei Durchführung der Versammlung unmittelbar gefährdet ist.
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Der Begriff der „öffentlichen Sicherheit“ umfasst die gesamte Rechtsordnung und damit auch straßenverkehrsrechtliche Vorschriften, die die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs regeln (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2023 – 10 CS 23.847 – juris Rn. 11; BVerwG, U.v. 21.4.1989 – 7 C 50/88 – juris Rn. 15). Die „unmittelbare Gefahr“ i.S.d. Art. 15 Abs. 1 BayVersG erfordert eine konkrete Sachlage, die bei ungehindertem Geschehensablauf mit hoher Wahrscheinlichkeit zu einem Schaden für die der Versammlungsfreiheit entgegenstehenden Rechtsgüter führt. Als Grundlage der Gefahrenprognose sind konkrete und nachvollziehbare tatsächliche Anhaltspunkte erforderlich, die bei verständiger Würdigung eine hinreichende Wahrscheinlichkeit des Gefahreneintritts ergeben; bloße Verdachtsmomente und Vermutungen reichen für sich allein nicht aus (vgl. BVerfG, B.v. 19.12.2007 – 1 BvR 2793/04 – juris Rn. 20). Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen von Gründen für ein Verbot oder eine Beschränkung liegt grundsätzlich bei der Behörde (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2012 – 1 BvR 2794/10 – juris Rn. 17; B.v. 12.5.2010 – 1 BvR 2636/04 – juris Rn. 19).
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Das der zuständigen Behörde durch Art. 15 Abs. 1 BayVersG eingeräumte Entschließungsermessen ist grundrechtlich gebunden. Die Versammlungsfreiheit hat nur dann zurückzutreten, wenn eine Abwägung unter Berücksichtigung der Bedeutung des Freiheitsrechtes ergibt, dass dies zum Schutz anderer mindestens gleichwertiger Rechtsgüter notwendig ist. Dabei kollidierende Grundrechtspositionen sind hierfür in ihrer Wechselwirkung zu erfassen und nach dem Grundsatz der praktischen Konkordanz so in Ausgleich zu bringen, dass sie für alle Beteiligten möglichst weitgehend wirksam werden (vgl. BVerfG, B.v. 11.4.2018 – 1 BvR 3080/09 – juris, Rn. 32). Wichtige Abwägungselemente sind dabei unter anderem die Dauer und Intensität der Aktion, deren vorherige Bekanntgabe, Ausweichmöglichkeiten, die Dringlichkeit der blockierten Tätigkeit Dritter, aber auch der Sachbezug zwischen den beeinträchtigten Dritten und dem Protestgegenstand (stRspr des BayVGH, vgl. zuletzt BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 16 m.w.N.). Zu beachten ist auch, dass vom Selbstbestimmungsrecht des Veranstalters nicht die Entscheidung umfasst ist, welche Beeinträchtigungen die Träger der kollidierenden Rechtsgüter hinzunehmen haben. Insofern ist auch zu prüfen, ob das Selbstbestimmungsrecht unter hinreichender Berücksichtigung der gegenläufigen Interessen Dritter oder der Allgemeinheit ausgeübt worden ist (vgl. BVerfG, B.v. 24.10.2001 – 1 BvR 1190/90 – juris, Rn. 63).
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Zwar schließt die spezifische Widmung der Autobahnen für den überörtlichen Kraftfahrzeugverkehr gemäß § 1 Abs. 3 Satz 1 Fernstraßengesetz deren Nutzung für Versammlungszwecke nicht generell aus (vgl. BayVGH, B.v. 12.5.2023 – 10 CS 23.847 – juris Rn. 12.). Jedoch kommt ihre Nutzung für Versammlungszwecke nur sehr eingeschränkt in Betracht, denn hier wird den Verkehrsinteressen im Rahmen von versammlungsrechtlichen Anforderungen nach Art. 15 Abs. 1 BayVersG erhebliche Bedeutung beigemessen. Die Einstufung einer Straße als Bundesautobahn oder Bundesstraße entscheidet allerdings nicht bereits darüber, ob auf dieser Straße grundsätzlich eine Versammlung stattfinden darf und entbindet Versammlungsbehörden und Gerichte nicht von einer Güterabwägung. Sie entfaltet allenfalls Indizwirkung für das Gewicht der gegen eine Versammlung sprechenden Interessen der Öffentlichkeit oder Dritter (vgl. BayVGH, B.v. 24.3.2023 – 10 CS 23.575 – juris Rn. 17).
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Gemessen an diesen verfassungsrechtlichen und einfachgesetzlichen Vorgaben erweist sich bei Würdigung aller Gesamtumstände des Einzelfalls die Änderung der Versammlungsroute im vorliegenden Fall voraussichtlich als angemessener Eingriff in die Versammlungsfreiheit des Antragstellers bzw. der Versammlungsteilnehmer. Etwaige Ermessensfehler sind, zumal bei summarischer Prüfung, ebenso wenig ersichtlich, wie eine Unverhältnismäßigkeit der angeordneten abweichenden Streckenführung. Es wird entsprechend Bezug auf die detaillierte Begründung im streitgegenständlichen Bescheid genommen, die nach Auffassung der Kammer rechtlich nicht zu beanstanden ist (vgl. §§ 122 Abs. 2, 117 Abs. 5 (analog) VwGO). Ergänzend wird ausgeführt:
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Hinsichtlich der angezeigten Streckenführung über einen Teilabschnitt der BAB A96 wird das sich aus der Einstufung als Bundesautobahn ergebende Indiz für ein Überwiegen der Belange der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs gegenüber den versammlungsrechtlichen Belangen des Antragstellers respektive der Versammlungsteilnehmer im Lichte der vorstehenden Maßgaben bei einer vorzunehmenden Güterabwägung nicht widerlegt.
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Die Antragsgegnerin hat die Änderung der Route auf eine unmittelbare Gefährdung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung gestützt. Es sei davon auszugehen, dass mit massiven (Rück-)Staubildungen und Behinderungen im Stadtgebiet … zu rechnen sei und sich hierdurch mit hinreichend hoher Wahrscheinlichkeit konkrete Gefahren für das Leben, die Gesundheit, das Eigentum, die Berufsausübung sowie die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs ergeben würden.
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Die (Gefahren-)Prognose der Antragsgegnerin, die der Änderung der Route zugrunde liegt und auf die Einschätzungen der beteiligten Fachstellen zurückgeht, begegnet keinen Bedenken. In rechtlich nicht zu beanstandender Weise legt die Antragsgegnerin mit der Autobahn GmbH des Bundes und dem Polizeipräsidium … zugrunde, dass bei einer Durchführung der angezeigten Versammlung über einen Teilabschnitt der BAB A96 eine Vollsperrung von nicht nur unerheblicher Dauer notwendig wäre, wodurch es zu einem gefahrenträchtigen Rückstau auf der Autobahn bzw. an der Ausleitungsstelle käme. Aufgrund des Ausflugsverkehrs von und aus Richtung Ammersee und Starnberger See ist die Einschätzung, dass die BAB A96 auch sonntags hoch belastet ist gerechtfertigt. Die BAB A96 stellt nicht vorwiegend nur eine Pendlerautobahn dar, sondern ist eine beliebte Strecke für Ausflüge am Wochenende. Zudem ist zu berücksichtigen, dass der Autobahnring A99 im südlichen Bereich …, also südlich der BAB A96 nicht fortgeführt ist. Eine Verbindung zu den weiteren Bundesautobahnen im Süden, also der BAB A95 in Richtung Garmisch oder der BAB A995 als Zubringer zur BAB A8 in Richtung Salzburg besteht nicht. Verkehrsteilnehmer, die über die BAB A96 kommend in Richtung Garmisch oder Salzburg weiterfahren wollen, sind auf die Verbindung über den M. Ring B2R angewiesen. Auch eine Umfahrungsmöglichkeit besteht insoweit nicht. Darüber hinaus ist gerade am 18. Mai 2025 aufgrund zahlreicher anderer Veranstaltungen in der Landeshauptstadt M. (unter anderem Meisterfeier des FC Bayern auf dem M. platz, Motorradkorso „The Distinguished Gentlesman’s Ride, Messe „High End Munich“) mit erhöhtem Verkehrsaufkommen zu rechnen.
35
Zwischen dem Autobahndreieck M. Süd-West und dem Autobahnende … müssten weiterhin alle Anschlussstellen der BAB A96 gesperrt werden, um zu verhindern, dass Autofahrer nach der Ableitung bei der nächsten Einfahrt wieder auf die BAB A96 auffahren. Umfangreiche Sicherungs- und Umleitungsmaßnahmen wären daher über einen Zeitraum von mehreren Stunden erforderlich.
36
Die Kammer folgt auch der Auffassung, dass die Situation aufgrund der Baustellen in den Bereichen von möglichen Ableitungsrouten nicht mit der Situation im Januar 2023 vergleichbar ist. Neben dem Individualverkehr würde auch der oberirdische öffentliche Personennahverkehr zum Erliegen kommen bzw. es würden sich erhebliche Verzögerungen ergeben. Gegenüber dem Jahr 2023 führt in diesem Jahr die baustellenbedingte Sperrung der U-Bahn-Linie U6 zwischen den Haltestellen „I. straße“ und „Klinikum …“ im öffentlichen Personennahverkehr zu einer besonderen Problemlage. Nach der nachvollziehbaren Gefahrenprognose der Branddirektion der Landeshauptstadt M. stellt die BAB A96 außerdem eine besonders wichtige Route für den Patiententransport ins Klinikum der …-Universität … in … dar. Seit Mai 2024 laufen zudem die Bauarbeiten an der Tram-Westtangente, die einen Neubau der Hauptwasserleitung 5 (HW5) erforderlich macht. Insbesondere der Neubau der HW5 betrifft auch die Bundesautobahnen A96 und A95. Im Bereich der BAB A96 wird die HW5 von der Brücke F. Straße östlich des Brückenneubaus unter der BAB A96 verlegt. Entlang der F. Straße gibt es im Zug des Baus der Tram-Westtangente zahlreiche Baustellen und Sperrungen von Seitenstraßen (vgl. auch Baustellenkarte der Landeshauptstadt München, https://geoportal.muenchen.de/portal/baustellen/).
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Die Kammer nimmt mit der Antragsgegnerin an, dass mildere Mittel (zur Anordnung der alternativen Streckenführung „Variante L. str.“) – wie insbesondere eine Geschwindigkeitsbegrenzung – nicht in Betracht kommen. Insbesondere das durch die Sperrungen zu erwartende Verkehrschaos wäre dadurch nicht zu verhindern. Schlüssig hat die Antragsgegnerin in diesem Zusammenhang darauf hingewiesen, dass das nachgeordnete Straßenverkehrsnetz im Umgriff zu dem streitgegenständlichen Autobahnabschnitt nicht dafür ausgelegt ist, den abzuleitenden Verkehr der BAB A96 aufzunehmen. Ausgehend von der plausiblen Darlegung im streitgegenständlichen Bescheid, dass eine mehrstündige Vollsperrung aufgrund eines gebotenen zeitlichen Vor- und Rücklaufs für Sicherungsmaßnahmen etc. zur reinen Durchfahrzeit auf der BAB A96 in Ansatz zu bringen ist, führt der angezeigte Verlauf der Versammlung über dieses Autobahnteilstück zu einer unverhältnismäßigen, nicht mehr vom Grundrecht der Versammlungsfreiheit zu rechtfertigenden Behinderung der Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs und den aufgezeigten Gefahren für Leben und Gesundheit.
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Entgegen der Auffassung des Antragstellers ist auch die durch Lärmschutzwälle bzw. Wände im angezeigten Streckenabschnitt der BAB A96 entstehende Gefahr für die Teilnehmer der Versammlung nach Einschätzung der Kammer nicht ganz unerheblich. Wenn Radfahrer kollidieren und stürzen kann es leicht zu größeren Auffahrunfällen kommen, die bei fehlender Fluchtmöglichkeit zu einer Massenpanik führen können. Die Gefahr ist auch nicht deshalb von der Hand zu weisen, weil sich im Jahr 2023 eine solche Gemengelage nicht ergeben hat.
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Daher entspricht es der praktischen Konkordanz zwischen der Versammlungsfreiheit sowie der durch die Versammlung beeinträchtigten Sicherheit und Leichtigkeit des Straßenverkehrs, dem Schutz von Leben und Gesundheit der Straßenverkehrsteilnehmer sowie der Versammlungsteilnehmer den Streckenverlauf der Versammlung – wie von der Antragsgegnerin auch im Übrigen ermessensfehlerfrei angeordnet – zu verändern. Im Interesse praktischer Konkordanz hat die Antragsgegnerin einen kürzeren Teilabschnitt der BAB A95 vorgeschlagen, der optisch den Eindruck einer Autobahn erweckt, auch wenn das Teilstück nicht mehr als Autobahn gewidmet ist. Diese Alternative hat der Antragsteller jedoch abgelehnt und sich stattdessen für die „Variante L. straße“ entschieden.
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Das Gericht verkennt hierbei nicht, dass das Versammlungsthema einer echten Gleichberechtigung des Radverkehrs, eingebunden in aktuelle politische Entwicklungen, von öffentlicher Bedeutung ist, und es sich um ein schutzwürdiges Anliegen im Rahmen von Art. 8 GG handelt. Allerdings ist in die Abwägung auch einzustellen, dass trotz einer gegebenen Nähe von Versammlungsthema und -ort eine spezifische Verknüpfung zur BAB A96 nicht ohne weiteres erkennbar ist. Zwar findet sich in den genannten Themen der geplanten Versammlung „…-Radsternfahrt: einfach aufsteigen, sicher ankommen! Verkehrswende, Radinfrastruktur wie & statt Autobahnen“ der Begriff „Autobahnen“ wieder. Es fehlt jedoch an einem für den zuletzt angezeigten Teilabschnitt auf der BAB A96 erforderlichen ganz spezifischen Zusammenhang. Erst mit der Antragsbegründung wurde vorgetragen, dass sich der spezifische Bezug zur Teilstrecke der BAB A96 aus den hohen Kosten der Sanierung des G. Tunnels ergeben soll (Seite 37 der Antragsbegründung). Die bis dahin vorgebrachten Themen, mit denen die Radsternfahrt auch immer noch im Internet beworben wird, beziehen sich ganz allgemein auf eine Radinfrastruktur, die die Qualität von Autobahnen haben sollte, ohne dass ein konkreter Bezug zur BAB A96 hergestellt wird. Im Übrigen führt die angemeldete Strecke auf der BAB A96 auch nicht in die unmittelbare Nähe des G. Tunnels, noch wäre dieser und die dort befindliche Baustelle für die Teilnehmer sichtbar.
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Aus dem Vortrag des Antragstellers, dass von den Brücken über die BAB A96 besonders gut fotografiert und gefilmt werden kann lässt sich ebenfalls keine spezifische Verknüpfung mit dem Thema der Versammlung herstellen. Geeignete Luftbildaufnahmen können unter anderem auch durch Drohnen gefertigt werden. Entsprechende Genehmigung hat der Antragsteller beantragt.
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3. Der hilfsweise gestellte Antrag, die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid vom 9. Mai 2025 insoweit anzuordnen, als darin die Durchführung der Versammlung am 18. Mai 2025 auf der Autobahn BAB A95 von der Anschlussstelle . Süd bis zur Anschlussstelle . untersagt wird, geht ins Leere, da der Bescheid keine solche Untersagung enthält. Der Antragsteller hat nach allen Kooperationsgesprächen nur die „Variante BAB 96“ und alternativ die „Variante L. str.“ angezeigt. Eine Entscheidung der Antragsgegnerin zur Nutzung der BAB A95 erfolgt im Bescheid vom 9. Mai 2025 gerade nicht.
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4. Der weitere Hilfsantrag bleibt ebenfalls ohne Erfolg. Die Kammer folgt insoweit der Einschätzung der Antragsgegnerin, dass eine Routenführung der Route M2 über die H. straße aus Sicherheitsgründen nicht in Betracht kommt, da dies eine Sperrung der Abfahrt der BAB A9 an der Anschlussstelle … … in beiden Fahrtrichtungen erforderlich machen würde. Neben den damit verbundenen Gefahren bei der Errichtung und Entfernung der Sperre hat das Gericht keinen Zweifel daran, dass die Bayerische Polizei aus Kapazitätsgründen diese weiteren Maßnahmen nicht mehr durchführen kann. Wie von der Antragsgegnerin dargelegt, wurde bereits in den Kooperationsgesprächen erläutert, dass für die Radsternfahrt im Vergleich zu anderen Lagen auch keine Kräfte aus anderen Bundesländern um Amtshilfe ersucht werden können. Aus diesem Grund ist auch die vom Antragsteller im Schriftsatz vom 14. Mai 2025 (Seite 9) angebotene Änderung der Routenführung dahingehend, dass der aus … kommende Zug zunächst zur S. stadt fährt, sich mit den dortigen Teilnehmenden zu einem Strang vereinigt und dann über die H. straße fährt keine realisierbare Alternative. Unabhängig von den logistischen und personalbedingten Problemen der Polizei bei der Sperrung der Abfahrten der BAB A9 würde eine solche Maßnahme zu nicht unerheblichen Behinderungen der Besucher des MOC … führen. Auch am 18. Mai 2025 findet dort noch die Messe „High End …“ statt. Nach den Angaben der Antragsgegnerin wurde vom Messebetrieb mitgeteilt, dass rund 5000 Besucher erwartet werden. Auch in der benachbarten Motorworld im E. Park findet am 18. Mai 2025 eine Veranstaltung statt.
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 53 Abs. 2 Nr. 2 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG in Verbindung mit Nummer 45.4 und Nummer 1.5, Satz 2 Streitwertkatalog für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013.