Inhalt

VG München, Beschluss v. 07.08.2025 – M 10 S 25.50166
Titel:

Asylrecht (Herkunftsland: Türkei), Dublin III-VO (Zielstaat, Kroatien), Abschiebungsanordnung, Keine systemischen Mängel im kroatischen Asylverfahren

Normenketten:
AsylG § 29 Abs. 1 Nr. 1
AsylG § 34a
AsylG § 77 Abs. 3
Dublin III-VO
Schlagworte:
Asylrecht (Herkunftsland: Türkei), Dublin III-VO (Zielstaat, Kroatien), Abschiebungsanordnung, Keine systemischen Mängel im kroatischen Asylverfahren
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20543

Tenor

I. Die Anträge werden abgelehnt.
II. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller begehren vorläufigen Rechtsschutz gegen die angeordnete Überstellung nach Kroatien im Rahmen des sogenannten „Dublin-Verfahrens“.
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Der am … … 1984 in …, Russland geborene Antragsteller zu 1., die am … … 1993 in …, Russland geborene Antragstellerin zu 2. und die am … … 2022 in …, Russland geborene Antragstellerin zu 3. sind ihren Ausweisen zufolge Staatsangehörige der Russischen Föderation. Der Antragsteller zu 1. und die Antragstellerin zu 2. sind miteinander verheiratet. Die Antragstellerin zu 3. ist ihr gemeinsames Kind. Sie sind nach eigenen Angaben islamischen Glaubens und der Volksgruppe der Tschetschenen zugehörig. Die Antragsteller reisten am 19. März 2025 in die Bundesrepublik Deutschland ein. Später äußerten sie Asylgesuche, von denen die Antragsgegnerin am 25. März 2025 schriftlich Kenntnis erlangte. Am 8. April 2025 stellten die Antragssteller förmliche Asylanträge.
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Aufgrund der Eurodac-Treffermeldung vom 25. März 2025, die Treffer der Kategorie 1 für Kroatien (* … für den Antragsteller zu 1. und … für die Antragstellerin zu 2.) vom 17. März 2025 enthielt, richtete die Antragsgegnerin am 9. April 2025 ein Wiederaufnahmegesuch an die kroatischen Behörden, das am gleichen Tag dort einging. Die kroatischen Behörden erklärten mit Schreiben vom 22. April 2025 ihre Zuständigkeit für die Bearbeitung des Asylantrags nach Art. 18 Abs. 1b) Dublin III-VO.
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Im Rahmen ihrer Anhörungen über die Zulässigkeit ihrer Asylanträge am 23. April 2025 trugen die Antragsteller zu 1. und zu 2. vor, dass Ihnen in Kroatien Fingerabdrücke abgenommen worden seien. Einen Asylantrag hätten sie dort nicht gestellt. Bisher sei ihnen nicht bewusst gewesen, dass Kroatien überhaupt existiere. Ihr Ziel sei Deutschland gewesen. In Russland hätte die Familie am 31. August 2024 einen Unfall gehabt, bei der die Antragstellerin zu 3. schwer verletzt worden sei. Sie habe eine Arm-Lähmung. Der Antragsteller zu 1. trug weiter vor, dass er aus Sicherheitsgründen in Deutschland bleiben wolle. Er habe Angst vor tschetschenischen Spitzeln und davor nach Russland verschleppt zu werden. Er erhoffe sich in Deutschland eine medizinische Behandlung für seine Tochter. In Deutschland lebe der Bruder des Antragstellers zu 1.. Die Antragstellerin zu 2. trug weiter vor, dass sie sich in Kroatien nicht sicher gefühlt habe. Sie und ihre Tochter seien körperlich behindert. Die Antragstellerin zu 2. habe sich beim Unfall im letzten Jahr ihr linkes Bein beidseitig gebrochen. Sie habe eine Platte eingesetzt bekommen. Deswegen würde das Bein bei längeren Fußwegen anschwellen und sich dunkel verfärben. Bezüglich des weiteren Vorbringens wird auf die Behördenakte Bezug genommen.
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Mit dem streitgegenständlichen Bescheid vom 27. Juni 2025, zugestellt am 3. Juli 2025, lehnte die Antragsgegnerin die Asylanträge als unzulässig ab (Nr. 1, stellte das Fehlen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG fest (Nr. 2), ordnete die Abschiebung nach Kroatien an (Nr. 3) und befristete das Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 AufenthG auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Nr. 4). Auf die Begründung des Bescheids wird Bezug genommen.
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Die Antragsteller haben am 10. Juli 2025 zu Protokoll der Rechtsantragsstelle Klage gegen den Bescheid vom 27. Juni 2025 erhoben (Az. M 10 K 25.50165). Zugleich beantragen sie,
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die aufschiebende Wirkung der Klage gemäß § 80 Abs. 5 VwGO wiederherzustellen.
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Zur Begründung nahmen die Antragsteller Bezug auf ihre Angaben gegenüber der Antragsgegnerin. Zudem führten die Antragsteller aus, dass die Antragstellerin zu 3. schwer krank sei und im Krankenhaus liege. Sie benötige medizinische Hilfe.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung bezieht sie sich auf den angefochtenen Bescheid.
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Die Antragstellerin zu 3. legte einen ärztlichen Entlassungsbericht vom 10. Juli 2025 vor. Sie wurde vom 8. Juli 2025 bis zum 11. Juli 2025 aufgrund einer Armplexusparese rechts, sowie Sprachentwicklungsstörungen stationär behandelt. Es fanden sich keine Zeichen einer Hirnfunktionsstörung.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die Gerichtsakte, die Gerichtsakte im Verfahren Az. M 10 K 25.50165 sowie die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag nach § 34a Abs. 2 Satz 1 AsylG i.V.m. § 80 Abs. 5 VwGO bleibt in der Sache ohne Erfolg.
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Entfaltet ein Rechtsbehelf – wie hier (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG) – von Gesetzes wegen keine aufschiebende Wirkung, kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO anordnen. Das Gericht trifft dabei eine eigene Ermessensentscheidung, bei der es abzuwägen hat zwischen dem sich aus § 75 AsylG ergebenden öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehung des Bescheids und dem Interesse des Antragstellers an der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfes. Dabei sind insbesondere die Erfolgsaussichten des Hauptsacheverfahrens zu berücksichtigen. Ergibt die im Eilverfahren gebotene summarische Prüfung, dass die Klage voraussichtlich erfolglos sein wird, tritt das Interesse des Antragstellers regelmäßig zurück.
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Gemessen an diesen Maßstäben geht die Interessenabwägung im vorliegenden Fall zu Lasten der Antragsteller aus. Nach summarischer Prüfung sind die Erfolgsaussichten ihrer Klage gegen die Abschiebungsanordnungen im streitgegenständlichen Bescheid als gering anzusehen. Die Abschiebungsanordnungen erweisen sich mit hoher Wahrscheinlichkeit als rechtmäßig, da die Asylanträge zutreffend nach § 29 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a AsylG als unzulässig abgelehnt worden sind. Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts (§ 77 Abs. 1 Satz 1 AsylG). Auf die Begründung des streitgegenständlichen Bescheids vom 7. Mai 2025 wird nach § 77 Abs. 3 AsylG ausdrücklich Bezug genommen.
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1. Nach § 29 Abs. 1 Nr. 1a AsylG i.V.m. der Dublin III-VO ist Kroatien für die Durchführung des Asylverfahrens zuständig.
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Art. 3 Abs. 1 Satz 2 Dublin III-VO sieht vor, dass der Asylantrag von dem Mitgliedstaat geprüft wird, der nach den Kriterien des Kapitels III der Dublin III-VO (Art. 7 ff. Dublin III-VO) als zuständiger Mitgliedstaat bestimmt wird. Lässt sich anhand dieser Kriterien der zuständige Mitgliedstaat nicht bestimmen, ist gemäß Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO der erste Mitgliedstaat, in dem der Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde, zuständig.
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Vorliegend ist aufgrund der Angaben der Antragsteller zu 1. und zu 2. gegenüber der Antragsgegnerin in Zusammenschau mit der Eurodac-Treffermeldung der Kategorie 1 und der Erklärung der kroatischen Behörden vom 22. April 2025 davon auszugehen, dass in Kroatien der erste Antrag auf internationalen Schutz gestellt wurde. Nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO ist Kroatien daher verpflichtet, die Antragsteller nach Maßgabe der Art. 23, 24, 25 und 29 Dublin III-VO wiederaufzunehmen, um das Verfahren zur Bestimmung des zuständigen Mitgliedstaats zum Abschluss zu bringen.
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Im Wiederaufnahmeverfahren beschränkt sich die Prüfung darauf, ob der andere Mitgliedstaat nach Art. 20 Abs. 5 i.V.m. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b bis d Dublin III-VO dazu verpflichtet ist, die Antragsteller wiederaufzunehmen (vgl. zum Ganzen EuGH, U.v. 2.4.2019 – C-582/17, C-583/17 – juris Rn. 58 ff.).
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2. Die Zuständigkeit Kroatiens für die Asylverfahren der Antragssteller ist nicht gem. Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO entfallen. Es sind keine Anhaltspunkte dafür ersichtlich, dass die Antragsteller im Falle einer Abschiebung nach Kroatien infolge systemischer Schwachstellen des dortigen Asylverfahrens oder der dortigen Aufnahmebedingungen einer hinreichend wahrscheinlichen Gefahr einer unmenschlichen oder entwürdigenden Behandlung im Sinne des Art. 4 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union ausgesetzt wären. Auch insoweit wird auf die ausführliche Begründung im angefochtenen Bescheid verwiesen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
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Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 und 2 BvR 2315/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10 und C-493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union entspricht. Allerdings ist diese Vermutung nicht unwiderleglich. Der Begriff des Vertrauens meint im konkreten Rechtskontext in einer Situation des Nichtwissens das Bestehen von Normkonformitätserwartungen des überstellenden Staates an den Zielstaat, was im Grundsatz mit Kontrollverzichten und Unbeachtlichkeitsregeln einhergeht (vgl. Lübbe, NVwZ 2017, 674). In diesem Sinn reicht Vertrauen so weit, bis es von entgegenstehenden Realitäten erschüttert wird (vgl. Lübbe, NVwZ 2017, 674). Den nationalen Gerichten obliegt insoweit die Prüfung, ob es im jeweiligen Mitgliedstaat Anhaltspunkte für systemische Mängel des Asylverfahrens und der Aufnahmebedingungen für Asylbewerber gibt, welche zu einer Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen und erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh ausgesetzt zu werden (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011, – C-411/10 und C-493/10 – juris). Die Vermutung ist aber nicht schon bei einzelnen einschlägigen Regelverstößen der zuständigen Mitgliedstaaten widerlegt. Regelverstöße, die Betroffene schicksalhaft treffen, sind nicht vorhersehbar und lassen sich – anders als bei regelhaft vorkommenden Rechtsverstößen – nicht verlässlich prognostizieren (vgl. Lübbe, ʹ‘Systemic Flaws’ and Dublin Transfers: Incompatible Tests before the CJEU and the ECtHR? ʹ in International Journal of Refugee Law  2015, 135). An die Feststellung systemischer Mängel sind daher hohe Anforderungen zu stellen. Systemische Schwachstellen bzw. Mängel, die eine Überstellung im Sinn von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO unmöglich machen, liegen nur dann vor, wenn Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im zuständigen Mitgliedstaat aufgrund größerer Funktionsstörungen regelhafte Defizite aufweisen und als Folge davon im konkreten Fall dem Asylbewerber im Zeitpunkt der Überstellung, während des Asylverfahrens oder nach dessen Abschluss daraus die Gefahr unmenschlicher oder erniedrigender Behandlung droht (vgl. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B66.21 – juris; BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6.14 – juris; VGH BW, U.v. 16.4.2014 – A 11 S 1721/13 – juris; grundlegend EuGH, U.v. 21.12.2011 – C-411/10, „Abdullahi“ – NVwZ 2012, 417). Auf der anderen Seite machen selbst schwerwiegende Schwachstellen oder Mängel im Asylverfahren oder in den Aufnahmebedingungen, die nicht nur vereinzelt vorkommen (und damit „systemisch“ sind), eine Überstellung im Sinn von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO nicht unmöglich, wenn sich daraus im konkret zu entscheidenden Einzelfall keine Gefahr einer erniedrigenden oder unmenschlichen Behandlung entgegen Art. 4 GRCh ableiten lässt (vgl. NdsOVG, U.v. 11.10.2023 – 10 LB 18/23 – juris; vgl. für den Fall des Vorliegens einer konkreten Garantieerklärung durch den Dublin-Zielstaat bei ansonsten vorliegenden systemischem Mangel: BayVGH, B.v. 27.2.2023 – 24 ZB 22.50056 – juris). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union ist zu berücksichtigen, dass der Begriff der systemischen Schwachstellen nicht notwendigerweise gesamtbezogen auf das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen im Überstellungsstaat zu verstehen ist, sondern auch Teilbereiche hiervon erfasst sein können, die lediglich bestimmte Personengruppen betreffen (EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – NVwZ 2017, 691 m. Anm. Hruschka; BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris). Andererseits kann auch die beachtliche Wahrscheinlichkeit einer Verletzung von Art. 4 GRCh eine Überstellung im Sinn von Art. 3 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO unmöglich machen, wenn diese Rechtsverletzung nicht die Konsequenz aus der Existenz systemischer Schwachstellen im Überstellungsstaat ist (vgl. EuGH, U.v. 16.2.2017 – C-578/16 PPU – NVwZ 2017, 691 m. Anm. Hruschka). Der rechtliche Bezug zu Art. 4 GRCh setzt dabei in jedem Fall das Erreichen einer besonders hohen Erheblichkeitsschwelle voraus. Diese besonders hohe Schwelle der Erheblichkeit ist (auch) erreicht, wenn die Gleichgültigkeit der Behörden eines Mitgliedstaats zur Folge hätte, dass sich eine vollständig von öffentlicher Unterstützung abhängige Person unabhängig von ihrem Willen und ihren persönlichen Bedürfnissen in einer Situation extremer materieller Not befände, die es ihr nicht erlaubte, ihre elementarsten Bedürfnisse zu befriedigen (vgl. BVerwG, B.v. 17.1.2022 – 1 B 66.21 – juris; EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-297/17 „Ibrahim“ u.a. – juris und C-163/17, „Jawo“ – juris).
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In der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist dabei geklärt, dass es ungeachtet des europarechtlichen Grundsatzes des gegenseitigen Vertrauens zwischen den Mitgliedstaaten sowohl verfassungsrechtlich als auch europa- und konventionsrechtlich geboten sein kann, dass sich die zuständigen Behörden und Gerichte vor der Rückführung eines Asylsuchenden in einen anderen Staat über die dortigen Verhältnisse informieren und gegebenenfalls Zusicherungen der zuständigen Behörden einholen müssen (vgl. BVerfG, B.v. 10.10.2019 – 2 BvR 1380/19 – juris). Insoweit kann nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte, die gemäß Art. 6 Abs. 3 EUV, Art. 52 Abs. 3 Satz 1 GRCh im Dublin-Rechtskontext zu berücksichtigen ist, der Grundsatz des „mutual trust“ nicht im Sinn eines „blinden Vertrauens“ zur Rechtfertigung von Überstellungen zwischen EU-Mitgliedstaaten verstanden und auch nicht „schematisch“ bzw. „mechanisch“ angewandt werden (stRspr, vgl. EGMR, U.v. 21.9.2019 (GK) – Ilias und Ahmed/Ungarn, Nr. 47287/15 – NVwZ 2020, 937; U.v. 23.5.2016 – Avotiņš/Litauen, Nr. 17502/07 – NJOZ 2018, 1515; U.v. 3.7.2014 – Mohammadi/Österreich, Nr. 71932/12 – BeckRS 2014, 127908; U.v. 21.1.2011 (GK) – M.S.S./Belgien u. Griechenland, Nr. 30696/09 – NVwZ 2011, 413). Dass gegenseitiges Vertrauen nicht mit „blindem Vertrauen“ verwechselt werden darf, hat zuletzt auch die Generalanwältin im Verfahren C-753/22 vor dem Gerichtshof der Europäischen Union dargelegt (vgl. Schlussanträge vom 25.1.2024 – C-753/22 – BeckRS 2024, 688). In der zitierten Entscheidung Ilias und Ahmed/Ungarn hat der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte unter Verweis auf das M.S.S.-Urteil nachdrücklich bekräftigt, dass der abschiebende Staat nicht einfach unterstellen könne, der Asylbewerber werde im Drittstaat unter Einhaltung von Konventionsgarantien behandelt, er müsse vielmehr zunächst selbst prüfen, wie die dortigen Behörden ihr Asylrecht in der Praxis anwenden (vgl. EGMR, U.v. 21.9.2019 (GK) – Ilias und Ahmed/Ungarn, Nr. 47287/15 – NVwZ 2020, 937). Bei einer zutreffenden Handhabung der mit dem Grundsatz des gegenseitigen Vertrauens einhergehenden Vermutungsregel ergeben sich insofern auch keine praktischen Unterschiede zwischen den Maßstäben des Gerichtshofs der Europäischen Union sowie des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (vgl. Lübbe, ʹ‘Systemic Flaws’ and Dublin Transfers: Incompatible Tests before the CJEU and the ECtHR?ʹ in International Journal of Refugee Law  2015, 135).
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Es entspricht der überwiegenden neueren verwaltungsgerichtlichen, obergerichtlichen Rechtsprechung in Bayern und anderen Bundesländern, wonach das kroatische Asylsystem aktuell weder für nicht-vulnerable noch für vulnerable Dublin-Rückkehrer an systemischen Mängeln leidet (vgl. BayVGH, U.v. 28.1.2025 – 24 B 24.50035 – juris; U.v. 28.1.2025 – 24 B 24.50036 – juris; NdsOVG, U.v. 4.12.2023 – 10 LB 91/23 – juris; U.v. 11.10.2023 – 10 LB 18/23 – juris Rn. 46ff.; B.v. 22.2.2023 – 10 LA 12/23 – juris Rn. 8; VGH Mannheim, U.v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 36; VG München, B. 26.2.2024 – M 19 S 24.50182 – n.v. Rn. 21 ff.; VG Ansbach, B.v. 21.12.2022 – AN 14 S 22.50376 – juris Rn. 28 ff.; VG Augsburg, B.v. 23.10.2023 – Au 8 S 23.50391 – juris Rn. 22ff.; GB v. 15.3.2022 – Au 3 K 22.50042 – juris Rn. 14 ff.VG Leipzig, B.v. 6.12.2022 – 6 L 678/22.A – juris S. 6 ff.; VG Hannover, B.v. 21.11.2022 – 4 B 4791/22 – juris S. 5 ff.; VG Karlsruhe, B.v. 31.10.2022 – A 1 K 3034/22 – juris S. 11 m.w.N.; VG Stuttgart, U.v. 30.9.2022 – A 13 K 4446/22 – juris S. 5 ff.; VG Aachen, B.v. 28.9.2022 – 6 L 498/22.A – juris S. 5; VG Frankfurt (Oder), B.v. 15.8.2022 – VG 10 L 194/22.A – juris S. 3 ff; VG Göttingen, B.v. 8.7.2022 – 4 B 110/22 – juris S. 4 m.w.N.; VG Trier, B.v. 10.5.2022 – 7 L 1184/22.TR – juris S. 3 f.; U.v. 26.2.2020 – 7 K 2325/19.TR – juris Rn. 39 ff.; a.A. bisher VG München, U.v. 22.2.2024 – M 10 K 22.50479 – juris; VG Sigmaringen, B.v. 13.11.2023 – A 5 K 2470/23 – juris; VG Hannover, B.v. 7.9.2022 – 15 B 3250/22 – juris Rn. 14 ff.; VG Stuttgart, B.v. 2.9.2022 – A 16 K 3603/22 – juris Rn. 21ff.; VG Freiburg, B.v. 2.9.2022 – A 16 K 3603/22 – juris Rn. 21; VG Braunschweig, U.v. 24.5.2022 – 2 A 26/22 – juris Rn. 34 ff., 46).
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In Kroatien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit gerichtlicher Beschwerdemöglichkeit (Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich (BFA), Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Kroatien, Stand: 14.4.2023, S. 1; VG Hannover, B.v. 21.11.2022 – 4 B 4791/22 – juris S. 5). Schutzsuchende, die im Rahmen des Dublin-Verfahrens aus anderen Mitgliedstaaten nach Kroatien zurückgeführt werden, haben grundsätzlich vollen Zugang zum dortigen Asylverfahren. Nur wer vor Verlassen des Landes seinen Antrag ausdrücklich zurückgezogen hat bzw. abgelehnt wurde, gilt als Folgekläger (BFA, a.a.O., S. 6; AIDA, Country Report Croatia, 2023 Update, 20.7.2024, S. 57; BayVGH, U.v. 28.1.2025 – 24 B 24.50035 – juris; U.v. 28.1.2025 – 24 B 24.50026 – juris; VG Köln, B.v. 7.6.2023 – 6 L 858/23.A – juris Rn. 31 f. m.w.N.; VG Ansbach, B.v. 21.12.2022 – AN 14 S 22.50376 – juris Rn. 30).
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Was die Aufnahmebedingungen anbelangt, erhalten Asylbewerber in Kroatien Unterkunft, Verpflegung, Kleidung und finanzielle Unterstützung. Die Unterbringung erfolgt in den Aufnahmezentren in Zagreb („Hotel Porin“) und in Kutina (AIDA, Country Report: Croatia, 2023 Update, 20.7.2024, S. 92 ff.). Das Aufnahmezentrum in Zagreb verfügt über 600 Plätze. Das Aufnahmezentrum in Kutina ist für vulnerable Personen vorgesehen und verfügt über 300 Plätze. Familien werden gemeinsam untergebracht. Für Vulnerable gelten spezielle Verfahrens- und Unterbringungsgarantien (AIDA, Country Report: Croatia, 2023 Update, 20.7.2024, S. 94 ff., 104 ff.). Danach sollen die Aufnahmebedingungen an die jeweiligen speziellen Bedürfnisse angepasst werden; hierunter kann auch eine anderweitige Unterbringung fallen, wenn das Aufnahmezentrum keine geeignete Unterkunft bietet. Die entsprechenden Maßgaben werden jedenfalls in Teilen auch praktisch angewandt, wenn auch von Schwierigkeiten bei der Umsetzung berichtet wird (AIDA, Country Report: Croatia, 2023 Update, 20.7.2024, S. 104 ff.).
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Asylwerber haben das Recht auf medizinische Notversorgung und notwendige Behandlung von Krankheiten und mental-psychischen Störungen. Diese Behandlung ist in den Aufnahmezentren Zagreb und Kutina verfügbar. In beiden Zentren ist eine Ambulanz für chronische und lebensbedrohliche Krankheiten eingerichtet. Eine Spezialambulanz wurde für vulnerable Antragsteller eingerichtet, die auch pädiatrische Versorgung umfasst. Ergänzend werden Antragsteller zu örtlichen Krankenhäusern überwiesen. Kindern (bis zum Alter von 18 Jahren) ist die gesundheitliche Versorgung im selben Umfang wie bei der verpflichtenden Krankenversicherung garantiert (AIDA, Country Report: Croatia, 2023 Update, 20.7.2024, S. 100 ff.); die medizinische Versorgung der Kinder erfolgt in Kutina und Porin zur Zufriedenheit der Eltern sowohl in Bezug auf Impfungen als auch auf Verletzungen und Krankheiten (ACCORD vom 9. April 2024, Anfragebeantwortung zu Kroatien). Des Weiteren ist ein Team der Médecins du Monde (MDM) in den Aufnahmezentren, das medizinische Versorgung anbietet und den Antragstellern den Zugang zu Einrichtungen des öffentlichen Gesundheitswesens, insbesondere auch zu fachärztlichen Behandlungen oder Untersuchungen, erleichtert. Dies schließt erste Untersuchungen von neu Eingetroffenen und fortlaufende medizinische Beratungen auf dem Gelände des Aufnahmezentrums ein. Die MDM führt insbesondere auch Transporte zu anderen Gesundheitseinrichtungen durch. Das Team von MDM ist jeden Werktag im Aufnahmezentrum in Zagreb und gelegentlich, abhängig vom Bedarf, in Kutina (AIDA, Country Report: Croatia, 2023 Update, 20.7.2024, S. 101 f.).
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Vor diesem Hintergrund geht das Gericht davon aus, dass die Antragsteller bei Rückkehr nach Kroatien sowohl eine Unterkunft als auch möglicherweise benötigte medizinische Versorgung erhalten werden. Insoweit lassen sich keine Anhaltspunkte entnehmen, dass das nach Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh zu fordernde Mindestmaß bei Dublin-Rückkehrern bei einer zu erwartenden Unterbringung in Zagreb oder Kutina unterschritten würde. Selbst vulnerablen Antragstellern droht weder während des Asylverfahrens noch im Falle einer Anerkennung als international Schutzberechtigte eine gegen Art. 3 EMRK bzw. Art. 4 GRCh verstoßende Behandlung (zum Ganzen m.w.N. NdsOVG, U.v. 4.12.2023 – 10 LB 91/23 – juris Rn. 31 ff.; VGH BW, U.v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 92 ff.; vgl. auch VG Augsburg, U.v. 11.03.2020 – Au 6 K 20.50007 – juris Rn. 18 ff.; VG Ansbach, B.v. 21.12.2022 – AN 14 S 22.50376 – juris Rn. 30 ff.).
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Es sind keine belastbaren Hinweise dafür ersichtlich, dass Asylsuchende, welche nach der Dublin-III-VO nach Kroatien zurück überstellt werden, keinen Zugang zum dortigen Asylverfahren haben (vgl. BayVGH, U.v. 28.1.2025 – 24 B 24-50035 – juris; U.v. 28.1.2025 – 24 B 24.50036 – juris; NdsOVG, U.v. 4.12.2023 – 10 LB 91/23 – juris Rn. 92 ff. m.w.N.; U.v. 10.10.2023 – 10 LB 18/23 – juris Rn. 46 ff.; VGH BW, U.v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 36 ff., 84 ff.). Insbesondere gibt es keine belastbaren Erkenntnisse, die darauf hindeuten, dass Personen wie die Antragsteller, die nach der Dublin III-VO aus Deutschland wieder nach Kroatien überstellt werden, von illegalen Push-Backs oder Kettenabschiebungen betroffen sein könnten (vgl. BayVGH, U.v. 28.1.2025 – 24 B 24-50035 – juris; U.v. 28.1.2025 – 24 B 24.50036 – juris; OVG NW, B.v. 4.7.2024 – 11 A 2105/23.A – juris Rn. 17 ff.; NdsOVG, B.v. 4.12.2023 – 10 LB 91/23 – juris Rn. 92 ff.; U.v. 11.10.2023 – 10 LB 18/23 – juris Rn. 47ff.; B.v. 22.2.2023 – 10 LA 12/23 – juris Rn. 8; VGH Mannheim, U.v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 58; VG Leipzig, B.v. 6.12.2022 – 6 L 678/22.A – juris S. 8; VG Stuttgart, U.v. 30.9.2022 – A 13 K 4446/22 – juris S. 5; VG Frankfurt (Oder), B.v. 15.8.2022 – VG 10 L 194/22.A – juris S. 4 unter Bezugnahme auf VG Braunschweig, U.v. 24.5.2022 – 2 A 26/22 – juris Rn. 34 ff.; ebenso: Bundesverwaltungsgericht der Schweiz, U.v. 22.3.2023 – E-1488/2020 – S. 20 ff., https://www.bvger.ch/media-releases/0246dd17-2ee0-4ea1-a630-3c8c5a49831a/ de/e-1488_2020_web.pdf).
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Hinsichtlich Kettenabschiebungen deuten die vorliegenden Quellen darauf hin, dass es sich hierbei um informelle Rückübernahmen auf Grundlage bilateraler „readmission agreements“ handelt, die in der Vergangenheit offenbar zur Anwendung kamen, wenn die Eingereisten keinen Asylantrag stellten und daher als illegal eingestuft wurden. Unabhängig davon, ob eine Registrierung ausbleibt, weil die Behörden vor Ort Asylanträge ignorieren oder Eingereiste das Stellen eines Asylantrags vermeiden, um eine Rücküberstellung zu verhindern, gibt es keine Anhaltspunkte dafür, dass es sich bei diesen Wiederaufnahmen um solche im Rahmen des Dublin-III-Systems handelt (s. hierzu eingehend VGH BW, U.v. 11.5.2023 – A 4 S 2666/22 – juris Rn. 51 ff. m.w.N.).
31
In Ermangelung tragfähiger Erkenntnisse zu systematischen Kettenabschiebungen bzw. Kollektivausweisungen (auch) von Dublin-Rückkehrern geht das Gericht angesichts der aktuellen Erkenntnislage davon aus, dass zumindest Personen, die als Dublin-Rückkehrer aus Deutschland nach Kroatien überstellt werden und dort bereits registriert sind, nicht mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit der Gefahr einer Abschiebung in einen Drittstaat ohne vorherige Prüfung ihres (weiteren) Asylantrags ausgesetzt sind (vgl. BayVGH, U.v. 28.1.2025 – 24 B 24-50035 – juris; U.v. 28.1.2025 – 24 B 24.50036 – juris).
32
Vorliegend haben die kroatischen Behörden die Antragsteller als Asylbewerber registriert und ausdrücklich mit Schreiben vom 22. April 2025 ihre Zuständigkeit nach Art. 20 Abs. 5 Dublin III-VO für deren Aufnahme erklärt, weil diese einen Asylantrag in Kroatien gestellt haben. Es sind keine Umstände ersichtlich, die eine Ausnahme von den oben dargelegten Annahmen nahelegen würden. Insbesondere ist nichts dafür ersichtlich, dass die Antragsteller wie von Ihnen behauptet, keinen Asylantrag in Kroatien gestellt hätten.
33
3. Es liegen keine anderweitigen Gründe i.S.v. § 34a Abs. 1 Satz 1 AsylG vor, wonach die Abschiebung nicht durchgeführt werden könnte. Insbesondere sind weder individuelle, außergewöhnliche humanitäre Gründe, die die Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO notwendig machen, noch inlands- oder zielstaatsbezogene Abschiebungshindernisse nach § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK oder § 60 Abs. 7 AufenthG anzunehmen. Auch insoweit wird auf die zutreffende Begründung des Bescheids Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
34
Von einer menschenrechtswidrigen Behandlung der Antragsteller in Kroatien ist angesichts der vorstehenden Ausführungen nicht auszugehen. Es ist auch weder dargetan noch ersichtlich, dass die Antragsteller aktuell an einer schwerwiegenden Krankheit leiden würden, die sich durch die Abschiebung wesentlich oder gar lebensbedrohlich verschlechtern würde. Die in Deutschland behandelten Erkrankungen der Antragstellerin zu 3. lagen alle bereits im Heimatland vor und wurden dort nach eigenem Vortrag auch behandelt. Es ist davon auszugehen, dass die Antragstellerin zu 3. in Kroatien ebenfalls die nötige medizinische Versorgung erhalten kann. Die Antragstellerin zu 3. liegt nicht mehr im Krankenhaus, sondern wurde bereits am 11. Juli 2025 wieder entlassen. Laut ärztlichem Entlassungsbericht fanden sich keine Zeichen einer Hirnfunktionsstörung.
35
Auch der Vortrag des Antragsstellers zu 1., dass sein Bruder in Deutschland lebt, vermag daran nichts zu ändern. Das vom Antragsteller zu 1. vorgetragene Verwandtschaftsverhältnis ist nicht von Art. 2 g) Dublin III-VO umfasst.
36
4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
37
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).