Inhalt

VG München, Urteil v. 30.07.2025 – M 18 K 20.6968
Titel:

Kostenerstattung (Abweisung), Vorrang-Nachrang-Verhältnis, Begriff der geeigneten Wohnform, Ambulantes betreutes Einzelwohnen, Hilfe zur Erziehung

Normenketten:
SGB X § 104
SGB VIII § 10
SGB VIII § 19
SGB VIII § 27
SGB VIII § 31
Schlagworte:
Kostenerstattung (Abweisung), Vorrang-Nachrang-Verhältnis, Begriff der geeigneten Wohnform, Ambulantes betreutes Einzelwohnen, Hilfe zur Erziehung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20535

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein Sozialhilfeträger, begehrt vom Beklagten, einem Jugendhilfeträger, die Erstattung von Kosten, die er für die Leistungsempfängerin J.G. für den Zeitraum vom 4. März 2016 bis 31. Oktober 2018 aufgewendet hat.
2
Die am ... 1985 geborene Leistungsempfängerin gebar am ... 2014 ihren Sohn L.
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Hinsichtlich des Sohnes L. der Leistungsempfängerin wurde vom Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum dessen Förderung in Kindertagespflege bei einer Tagesmutter in erheblichem Umfang bewilligt. Die Tagesmutter übernahm teilweise auch die Betreuung des Kindes an den Wochenenden. Im Übrigen wurde L. oftmals auch von der Mutter der Leistungsempfängerin betreut, insbesondere häufig an den Wochenenden und teilweise auch über Nacht.
4
Bei der Leistungsempfängerin wurde in Arztberichten der K.-Klinik vom 4. Dezember 2015 und 19. Januar 2016 eine emotional instabile Persönlichkeitsstörung vom Borderline-Typ (ICD-10 F 60.31) sowie zunächst eine schwere depressive Episode ohne psychotische Symptome (ICD-10 F 32.2) und später eine mittelgradige rezidivierende depressive Störung (ICD-10 F 33.2) diagnostiziert. Bei ihr liege als vorrangige Behinderung eine seelische/psychische Behinderung vor, durch die ihre Fähigkeit zur Teilhabe am Leben in der Gesellschaft bereits eingeschränkt sei oder mit hoher Wahrscheinlichkeit zu erwarten sei.
5
Mit Datum vom 3. März 2016 stellte die Leistungsempfängerin beim Kläger einen Antrag auf Gewährung von ambulanter Eingliederungshilfe im Rahmen des betreuten Einzelwohnens in ihrer angemieteten Privatwohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten durch die Sozialpsychiatrischen Dienste des Leistungserbringers D.
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Am 4. März 2016 begann hinsichtlich der Leistungsempfängerin das „Intensiv Betreute Einzelwohnen für Menschen mit psychischer Erkrankung und Sucht“ des Leistungserbringers D.
7
Im Sozialbericht des Leistungserbringers D. vom 12. März 2016 wurde insbesondere ausgeführt, dass bei der Leistungsempfängerin inzwischen eine Stabilisierung habe erfolgen können. Jedoch sei sie mit ihrem Kind und den damit verbundenen Anforderungen immer noch in einer Übergangsphase, die weiterhin institutioneller Hilfe bedürfe. Auch mit der Bewältigung ihres eigenen Lebens habe die Leistungsempfängerin große Schwierigkeiten und einen hohen Bedarf an Unterstützung.
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Mit Bescheid vom 17. Juni 2016 gewährte der Kläger für die Leistungsempfängerin im Zeitraum vom 4. März 2016 bis zunächst 31. Juli 2016 Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für das vom Leistungserbringer D. angebotene (ambulante) intensiv betreute Einzelwohnen.
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Die Leistungsempfängerin zog am 3. Juli 2016 zusammen mit ihrem Sohn L. in ein Frauenhaus im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten ein. Dort erhielt sie weiterhin Leistungen durch den Leistungserbringer D.
10
Mit Schreiben vom 5. August 2016 meldete der Kläger gegenüber dem Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch für den Zeitraum vom 4. März 2016 bis 31. Juli 2016 gemäß § 105 SGB X an.
11
Im Herbst 2016 zog die Leistungsempfängerin in eine neue Privatwohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten. Das „intensiv betreute Wohnen“ durch den Leistungserbringer D. fand weiterhin statt.
12
Der Beklagte lehnte mit Schreiben an den Kläger vom 17. Oktober 2016 eine Kostenerstattung ab.
13
Mit Bescheiden vom 16. November 2016, 20. Juli 2017 und 16. Februar 2018 gewährte der Kläger für die Leistungsempfängerin im Zeitraum vom 1. August 2016 bis zunächst 28. Februar 2019 vorläufig gemäß § 43 Abs. 1 SGB I Eingliederungshilfe in Form der Kostenübernahme für das vom Leistungserbringer D. angebotene (ambulante) intensiv betreute Einzelwohnen.
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Der Kläger meldete mit Schreiben vom 9. Januar 2017 gegenüber dem Beklagten einen weiteren Erstattungsanspruch gemäß § 102 SGB X für den Zeitraum ab dem 1. August 2016 an und bat diesen um Übernahme der Hilfegewährung in eigener Zuständigkeit zum nächstmöglichen Zeitpunkt. Der Beklagte lehnte dies mit Schreiben an den Kläger vom 30. Januar 2017 ab.
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Mit Schreiben vom 6. Juli 2017 teilte der Leistungserbringer D. dem Kläger unter anderem mit, dass die Leistungsempfängerin die Begleitung durch ihre Bezugsperson hauptsächlich im Sinne der Eingliederungshilfe für ihre Belange als psychisch kranke erwachsene Frau benötige. Da sie arbeite und viel Zeit für sich und ihre Belange benötige, befinde sich ihr Sohn L. unter der Woche Montag bis Donnerstag ganztags bei der Tagesmutter sowie an den Freitagen und Wochenenden häufig bei der Mutter der Leistungsempfängerin, die einen Großteil der Erziehung des Kindes übernehme. Auch die Tagesmutter biete manchmal die Betreuung auch an den Wochenenden an. Insgesamt nutze die Leistungsempfängerin das Angebot des betreuten Wohnens, um sich weiter zu stabilisieren, und um Möglichkeiten zu finden, ihren Alltag mit ihren psychischen Erkrankungen zu bewältigen. Der Umgang mit dem Kind spiele dabei nur eine nebengeordnete Rolle, da sie hierfür das beschriebene stabile Hilfenetz aufgebaut habe.
16
Zum 1. November 2018 zog die Leistungsempfängerin mit ihren inzwischen zwei Kindern und ihrem neuen Lebensgefährten in eine gemeinsame Privatwohnung im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
17
Der Beklagte gewährte mit Bescheid vom 15. Januar 2019 für den Sohn L. der Leistungsempfängerin ab 26. November 2018 Erziehungshilfe in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe.
18
Das intensiv betreute Einzelwohnen wurde zum 31. Dezember 2020 beendet.
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Der Kläger erhob am 30. Dezember 2020 Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte,
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den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die für die Leistungsberechtigte J.G. im Zeitraum vom 4. März 2016 bis 31. Oktober 2018 aufgewendeten Leistungen der Eingliederungshilfe in Höhe von 40.099,42 € zu erstatten.
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Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass der Beklagte für die vom Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum erbrachten Leistungen zuständig sei. Die Leistungsempfängerin leide an einer seelischen Behinderung. Sie habe auf die streitgegenständlichen Leistungen des ambulant betreuten Einzelwohnens zwei gleichartige Ansprüche, nämlich einen Anspruch gemäß § 19 SGB VIII und einen Eingliederungshilfeanspruch gemäß § 53 SGB XII. Gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII würden Leistungen nach dem SGB VIII den Leistungen nach dem SGB XII grundsätzlich vorgehen. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII komme nicht zur Anwendung. Die Betreuungsmaßnahme habe im streitgegenständlichen Zeitraum – unabhängig davon, dass sie auch positive Auswirkungen auf die erziehungsunabhängigen, behinderungsbedingten Defizite der Leistungsempfängerin gehabt habe – die Voraussetzungen des § 19 SGB VIII erfüllt. Denn die seelische Behinderung habe die Leistungsempfängerin in ihrer Erziehungsfähigkeit eingeschränkt und Unterstützungsmaßnahmen erforderlich gemacht, die auch auf ihre Erziehungsfähigkeit und die Beziehung zu ihrem Sohn abgezielt hätten. Der Hilfebedarf und die Betreuung im betreuten Einzelwohnen seien somit auch auf die Mutter-Sohn-Beziehung ausgerichtet gewesen. Die Leistungen seien auch im Sinne von § 19 SGB VIII in einer gemeinsamen Wohnform erbracht worden. Dies könnten auch ambulante betreute Wohngemeinschaften oder – wie vorliegend – betreutes Einzelwohnen sein. Die Argumentation des Beklagten, dass die Betreuung der Leistungsempfängerin durch den Leistungserbringer D. in der eigenen Wohnung nicht von § 19 SGB VIII erfasst sei, finde sich nicht im Gesetz wieder.
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Mit Schriftsatz vom 26. Juli 2021 beantragte der Beklagte,
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die Klage abzuweisen,
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und begründete seinen Antrag im Wesentlichen damit, dass eine privat angemietete Wohnung keine Wohnform im Sinne von § 19 SGB VIII darstelle, da hierfür eine institutionelle Betreuung erforderlich sei. Unterkunft und Betreuung müssten wenigstens für einen Teil des Tages in der Verantwortung eines Trägers nach dessen Hilfekonzept erfolgen. Eine lediglich ergänzende ambulante Hilfe reiche nicht aus. Vorliegend habe zwischen dem Wohnen der Leistungsempfängerin und der Eingliederungshilfeleistung des Leistungserbringers D. keinerlei Funktionszusammenhang bestanden. Die Hilfe sei unabhängig vom jeweiligen Aufenthaltsort der Leistungsempfängerin geleistet worden. Daher habe es sich um eine ambulante Hilfe gehandelt, die in eine privat angemietete Wohnung „hineingetragen“ worden sei, nicht hingegen um eine Leistung im Sinne von § 19 SGB VIII. Das streitgegenständliche intensiv betreute Einzelwohnen richte sich zudem ausnahmslos an psychisch kranke erwachsene Hilfeempfänger. Eine entsprechend der Zielsetzung der Leistungen nach § 19 SGB VIII erforderliche Gewährleistung der Grundbedürfnisse auch der Kinder der Hilfeempfänger sei konzeptionell nicht enthalten und auch die jugendhilferechtlichen Anforderungen an einen ausreichenden Kinderschutz seien nicht erfüllt. Beim Sohn L. der Leistungsempfängerin sei der Kinderschutz durch die vom Beklagten geleistete intensive Betreuung in Tagespflege gewährleistet worden. Der Kostenerstattungsanspruch könne auch nicht auf eine Leistungskonkurrenz wegen eines Anspruchs auf Hilfe zur Erziehung gemäß § 31 SGB VIII gestützt werden, da auch dessen Voraussetzungen nicht erfüllt seien. Diese Hilfe solle die gesamte Familie in Erziehungsaufgaben unterstützen und Hilfe zur Selbsthilfe geben. Eine entsprechende Leistung sei im Eingliederungshilferecht nicht vorgesehen, in dem die Leistungen personenzentriert seien. Dies stehe im Widerspruch zu der für die sozialpädagogische Familienhilfe notwendige ganzheitliche Betrachtung. Somit sei auch diesbezüglich keine vorrangige Leistungspflicht des Jugendhilfeträgers gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gegeben.
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Der Kläger teilte mit Schreiben vom 8. Januar 2025, das er mit Schreiben vom 15. Januar 2025 konkretisierte, sowie der Beklagte am 24. Januar 2025 mit, dass Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
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Die zulässige Leistungsklage ist unbegründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten keinen Anspruch auf Erstattung der von ihm im streitgegenständlichen Zeitraum vom 4. März 2016 bis 31. Oktober 2018 aufgewendeten Kosten für das intensiv betreute Einzelwohnen der Leistungsempfängerin.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände (vgl. VGH BW, U.v. 23.2.2024 – 12 S 775/22 – juris Rn. 32). Hinsichtlich des materiellen Rechts ist daher maßgeblich auf die Rechtslage für den Zeitraum vom 4. März 2016 bis 31. Oktober 2018 abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.2011 – 5 C 6/11 – juris Rn. 6). Die in dem vorliegenden Verfahren maßgeblichen Normen haben zwar zum Teil Abwandlungen erhalten, inhaltlich jedoch – soweit vorliegend relevant – keine entscheidungserhebliche Änderung erfahren. Das Gericht verzichtet daher aus Gründen der besseren Lesbarkeit und Nachvollziehbarkeit bei den nachfolgenden Bezugnahmen auf gesetzliche Regelungen auf den Zusatz der jeweils geltenden Fassung.
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Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum keinen Anspruch auf Kostenerstattung gegen den Beklagten gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
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1. Als Anspruchsgrundlage für die geltend gemachte Kostenerstattung kommt vorliegend allein § 104 SGB X in Betracht.
32
§ 105 SGB X, auf den der Kläger sich in seinem Schreiben an den Beklagten zur Anmeldung des Kostenerstattungsanspruchs vom 5. August 2016 noch berufen hatte, ist nicht einschlägig. Denn gemäß § 53 SGB XII a.F. bzw. § 99 SGB IX ist auch der Kläger für Eingliederungsmaßnahmen aufgrund seelischer Behinderung zuständig und kann daher nicht als unzuständiger Leistungsträger i.S.v. § 105 SGB X, sondern lediglich im obigen Sinne als nachrangiger Leistungsträger i.S.v. § 104 SGB X geleistet haben. Bei der Leistungsempfängerin lag im streitgegenständlichen Zeitraum – zwischen den Parteien auch unstreitig – eine solche seelische Behinderung vor, die zu einer Teilhabebeeinträchtigung führte (vgl. insbesondere die Ausführungen hierzu im ärztlichen Bericht des K.-Klinikums vom 19. Januar 2016).
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Der Anspruch gemäß § 104 SGB X ist daher auch nicht wegen des Vorrangs eines Erstattungsanspruchs nach § 14 SGB IX a.F. bzw. § 16 SGB IX ausgeschlossen. Denn für diesen wäre ebenfalls Voraussetzung, dass der Erstattungsberechtigte als an sich unzuständiger Leistungsträger geleistet hat (vgl. BayVGH, B.v. 24.2.2014 – 12 ZB 12.715 – juris Rn. 29), was hier nicht vorliegt.
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Auch § 102 SGB X, auf den der Kläger sich in seinem Schreiben an den Beklagten zur Anmeldung des Kostenerstattungsanspruchs vom 9. Januar 2017 berufen hatte, ist vorliegend nicht die maßgebliche Anspruchsgrundlage. Denn auch ein Anspruch nach § 102 SGB X kommt vorliegend nicht in Betracht, obwohl der Kläger die streitgegenständlichen Bescheide teilweise als „vorläufig“ bezeichnet hat, da der Kläger bei der allein maßgeblichen materiell-rechtlichen Betrachtung (vgl. hierzu: BayVGH, 24.2.2014 – 12 ZB 12.715 – juris Rn. 24) keine vorläufige Leistung erbracht hat. Denn eine vorläufige Leistung ist in der hier zugrundeliegenden Konstellation des Vorrang-/Nachrangverhältnisses von Kläger und Beklagtem als Sozialleistungsträger bzw. Jugendhilfeträger systemwidrig und damit ausgeschlossen, weshalb sich die Erstattungsforderung vorliegend nur nach § 104 SGB X richten kann (vgl. VG München, U.v. 17.7.2024 – M 18 K 19.5332 – juris Rn. 44; Luthe in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl., § 10 SGB VIII, Stand: 16.07.2025, Rn. 110).
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2. Die Anspruchsvoraussetzungen des § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X sind nicht erfüllt.
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Gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist der Leistungsträger erstattungspflichtig, gegen den der Leistungsberechtigte vorrangig einen Anspruch hat oder hatte, wenn ein nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht hat und – wie hier – weder die Voraussetzungen von § 103 Abs. 1 SGB X vorliegen noch der (vorrangige) Leistungsträger nicht bereits selbst geleistet hat, bevor er von der Leistung des anderen Leistungsträgers Kenntnis erlangt hat. Voraussetzung für einen Anspruch nach § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist demnach, dass Leistungspflichten zweier Leistungsträger nebeneinander bestehen und miteinander konkurrieren, wobei die Verpflichtung eines der Leistungsträger der Leistungspflicht des anderen nachgehen muss (vgl. BVerwG, U.v. 9.2.2012 – 5 C 3/11 – juris Rn. 26).
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Vorliegend hat der Kläger im streitgegenständlichen Zeitraum nicht als nachrangig verpflichteter Leistungsträger Sozialleistungen erbracht. Denn für die Bewilligung der streitgegenständlichen Leistungen war der Beklagte in diesem Zeitraum nicht vorrangig zuständig.
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Das Verhältnis konkurrierender Leistungsansprüche der Jugendhilfe und der Sozialhilfe hat der Gesetzgeber ausdrücklich in § 10 Abs. 4 SGB VIII geregelt (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2009 – 5 C 19/08 – juris Rn. 20). Nach § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gehen Leistungen der Jugendhilfe nach dem SGB VIII den Leistungen der Sozialhilfe nach dem SGB XII bzw. SGB IX grundsätzlich vor. Abweichend hiervon gehen gemäß § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII sozialhilferechtliche Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Menschen, die körperlich oder geistig behindert oder von einer derartigen Behinderung bedroht sind, den Leistungen der Jugendhilfe vor.
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Die Ausnahmeregelung des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII ist vorliegend bereits deswegen nicht anwendbar, da die Leistungsempfängerin zu Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums bereits kein junger Mensch i.S.v. § 7 Abs. 1 Nr. 4 SGB VIII mehr war. In einem solchen Fall ist auch keine teleologische Extension des § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII vorzunehmen (vgl. BayVGH, B.v. 30.1.2012 – 12 BV 11.2216 – juris Rn. 17; VG München, U.v. 8.6.2022 – M 18 K 17.4961 – juris Rn. 47).
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Somit ist vorliegend hinsichtlich des Vorrangverhältnisses § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII maßgeblich.
41
Da die Leistungsempfängerin gegen den Beklagten im streitgegenständlichen Zeitraum jedoch keinen Anspruch auf weitere, neben der geleisteten Tagesbetreuung und Betreuungsleistungen in Notsituationen, Hilfeleistung nach jugendhilferechtlichen Vorschriften hatte, kann eine solche auch nicht gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII vorrangig zur Leistung des Klägers sein.
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Ein solcher Anspruch der Leistungsempfängerin gegen den Beklagten ergibt sich weder aus § 19 SGB VIII, noch aus §§ 27 ff. SGB VIII.
43
2.1. Der Leistungsempfängerin stand – entgegen der Rechtsansicht des Klägers – im streitgegenständlichen Zeitraum kein Anspruch auf die vom Kläger erbrachten Leistungen des intensiv betreuten Einzelwohnens gemäß § 19 SGB VIII zu.
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Gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII sollen Mütter oder Vater, die allein für ein Kind unter sechs Jahren zu sorgen haben oder tatsächlich sorgen, gemeinsam mit dem Kind in einer geeigneten Wohnform betreut werden, wenn und solange sie aufgrund ihrer Persönlichkeitsentwicklung dieser Form der Unterstützung bei der Pflege und Erziehung des Kindes bedürfen.
45
Vorliegend stellte das intensiv betreute Einzelwohnen der Leistungsempfängerin bereits keine Wohnform i.S.v. § 19 SGB VIII dar.
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In der Praxis besteht hinsichtlich der von § 19 SGB VIII erfassten geeigneten Wohnform je nach Betreuungsintensität und abhängig vom Hilfebedarf der Mütter/Väter eine Vielfalt unterschiedlicher Konzeptionen und Modelle, die auch Wohnformen einbezieht, die in stärkerem Umfang auf Verselbstständigung und selbstverantwortliche Lebensführung ausgerichtet sind. Grundsätzlich kann daher zwar im Einzelfall auch die Betreuung im Rahmen des betreuten Einzelwohnens eine geeignete Wohnform i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII darstellen. Allerdings genügt hierfür grundsätzlich nicht eine lediglich ambulante Betreuung bei eigenverantwortlicher Lebensführung in einer privat angemieteten Wohnung. Erforderlich ist vielmehr die organisatorische, fachliche und personelle Anbindung der Unterkunft und Betreuung an das Hilfesystem eines Leistungserbringers in Gestalt eines „institutionalisierten Wohnens mit Kind“. Die Wohnung muss insoweit also als dezentraler Teil einer Einrichtung dieses Leistungserbringers zu qualifizieren sein. Dabei müssen auch Angebote der gezielten Förderung für in einer solchen Einrichtung lebenden Kinder bereitgehalten werden. Hierzu gehören insbesondere altersgerechte Spielzeuge und Spielräume, Gruppenangebote für Kinder, aber auch Eltern-Kind-Angebote sowie kreative und sportliche Aktivitäten (vgl. VG München, U.v. 10.11.2021 – M 18 K 17.5671 – juris Rn. 41 m.w.N.; Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 8. Auflage 2022, § 19 SGB VIII, Rn. 8; Schmidt in: BeckOnline Großkommentar, Stand: 1.5.2025, § 19 SGB VIII, Rn. 31 f.; Telscher in: Schlegel/ Voelzke, juris-PK-SGB VIII, 3. Aufl., Stand: 1.8.2022, § 19 SGB VIII, Rn. 49 f. und Rn. 61).
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Ein solches „institutionalisiertes Wohnen mit Kind“ ist bei dem hier vorliegenden intensiv betreuten Einzelwohnen durch den Leistungserbringers D. nicht gegeben.
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Denn im streitgegenständlichen Zeitraum lebte die Leistungsempfängerin eigenverantwortlich in ihren Privatwohnungen und es erfolgte dort lediglich eine ambulante sozialpsychiatrische Betreuung und Begleitung durch den Leistungserbringer D. Auch während des Aufenthalts der Leistungsempfängerin im Frauenhaus wurden durch den Leistungserbringer D. lediglich ambulante Leistungen erbracht. Durch den Leistungserbringer D. erfolgte somit gerade keine institutionalisierte Betreuung der Leistungsempfängerin im obigen Sinne.
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Denn in der Konzeption „Intensiv betreutes Einzelwohnen für Menschen mit Komorbidität/ Doppeldiagnose „Psychische Erkrankung und Sucht“ des Leistungserbringers D. vom 15. März 2011 (künftig: Konzeption), die Bestandteil des Betreuungsvertrages vom 4. März 2016 ist (vgl. § 2 Abs. 1 des Betreuungsvertrages), wird bei den Punkten „Finanzierung“ sowie „Organisatorische Anbindung und Trägerschaft“ (S. 14 der Konzeption) ausgeführt, dass das Angebot eine lediglich ambulante Maßnahme der Eingliederungshilfe für Behinderte nach SGB XII sei. Die Kosten für Wohnraum und Lebensunterhalt trage die betreute Person selbst; die Betreuungskosten würden bei Bedürftigkeit vom zuständigen Sozialhilfeträger übernommen. Das intensiv betreute Einzelwohnen sei fachlich und organisatorisch an den Leistungserbringer D. angebunden. Beim Punkt „Ziele“ (S. 6 der Konzeption) wird zudem u.a. die Ermöglichung einer weitgehend selbständigen Lebensführung in der eigenen Wohnung genannt; das Hilfespektrum sei niederschwellig und aufsuchend. Beim Punkt „Betreuungsangebot“ (S. 7 der Konzeption) wird ausgeführt, dass die vorwiegende Leistung Hausbesuche seien.
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Auch in der „Individuellen Leistungsvereinbarung für das ambulant betreute Wohnen sowie für Tagesstätten zur Versorgung von Menschen mit seelischer Behinderung in Oberbayern“ zwischen dem Leistungserbringer und dem Kläger vom 30. Juli 2010 (künftig: Leistungsvereinbarung), die laut Mitteilung des Klägers mit Schreiben vom 3. Juni 2025 während des gesamten streitgegenständlichen Zeitraums maßgeblich war, wird als Leistungstyp “ambulant betreutes Wohnen (IBEW)“ und als „Einrichtung“ lediglich das intensiv betreute Einzelwohnen des Leistungserbringers D. genannt. Bei „Standort/Infrastruktur“ wird ausgeführt, dass das intensiv betreute Einzelwohnen im ganzen örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten angeboten werde. Es werden Büroräume erwähnt, aber es deutet nichts darauf hin, dass das intensiv betreute Einzelwohnen sich quasi als dezentraler Teil einer Einrichtung darstellt und an deren übergeordnetes Hilfesystem gekoppelt wäre. Die Ausführungen auf S. 4 ff. der Leistungsvereinbarung zum Leitbild, konzeptionellen Grundlagen, Zielen, etc. beschreiben ebenfalls keinen institutionellen Rahmen, der für eine gemeinsame Wohnform i.S.v. § 19 SGB VIII ausreichend wäre. Denn dort wird insbesondere ausgeführt, dass es unter anderem um die Eröffnung und Erhaltung einer weitgehend eigenständigen Lebensführung der Leistungsempfänger in ihrer eigenen Wohnung gehe. Dabei sei das Hilfespektrum niederschwellig und aufsuchend. Zudem wird auch auf S. 9 ff. der Leistungsvereinbarung betont, dass vorwiegende Leistung der Hausbesuch sei.
51
Allein die Tatsache, dass die Betreuung nach fachlichen Standards erfolgte, ist entgegen der Auffassung des Klägers, der sich insoweit auf das Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts vom 10. Mai 2016 (Az.: L 8 SO 46/15) berief, nicht ausreichend für das Vorliegen einer gemeinsamen Wohnform i.S.d. § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII. Abgesehen davon, dass diese vom Kläger getroffene Schlussfolgerung der zitierten Entscheidung nicht zu entnehmen ist, ist dieser Argumentation des Klägers in ihrer Pauschalität nicht zu folgen. Eine Betreuung nach fachlichen Standards sollte in jedweder Betreuungsform erfolgen und ist als Abgrenzungskriterium damit untauglich (vgl. hierzu auch: VG München, U.v. 10.11.2021 – M 18 K 17.5671 – juris Rn. 42).
52
Dem o.g. Urteil des Bayerischen Landessozialgerichts, welches der Kläger auch im Übrigen als Stütze seiner Argumentation heranzieht, lag überdies ein mit dem vorliegenden Fall nicht vergleichbarer Sachverhalt zugrunde.
53
Das im dortigen Fall als Wohnform gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII eingeordnete Einzelwohnen beschreibt das Landessozialgericht in seiner Entscheidung als „Teil eines Gesamtkonzeptes mit der stationären Einrichtung im gleichen Haus“, welches – anders als im vorliegenden Fall – vorwiegend als Anschlussmaßnahme für Mütter, die zuvor eine klassische Mutter/Vater-Kind-Einrichtung besucht hätten, fungiere. Das Konzept des dort streitgegenständlichen betreuten Wohnens sah zudem – anders als im vorliegenden Fall – eine ständige Leistungsbereitschaft wochentags und am Wochenende nach Absprache und eine Anknüpfung an die stationäre Einrichtung vor (vgl. hierzu bereits: VG München, U.v. 10.11.2021 – M 18 K 17.5671 – juris Rn. 42).
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Im dortigen Fall handelte es sich laut dem Tatbestand des o.g. Urteils des Bayerischen Landessozialgerichts – anders als im vorliegenden Fall – auch explizit um ein „Betreutes Einzelwohnen für psychisch erkrankte Mütter mit ihren Kindern“. Dementsprechend wurden dort in der Leistungsvereinbarung bei der Zielbeschreibung die Aspekte „Mutter, Kind und Mutter-Kind-Beziehung“ aufgeführt und auch im dortigen Betreuungsvertrag wurden Teilbereiche der Mutter-Kind-Beziehung erwähnt.
55
Ein derartiges Konzept der Leistungserbringung war vorliegend jedoch gerade nicht gegeben. Denn das streitgegenständliche intensiv betreute Einzelwohnen des Leistungserbringers D. war vorrangig auf die Betreuung psychisch kranker Menschen fokussiert, jedoch gerade nicht auf die Betreuung von Mütter mit Kindern i.S.v. § 19 SGB VIII ausgelegt. In dem o.g. Betreuungsvertrag in Verbindung mit der o.g. Konzeption und der o.g. Leistungsvereinbarung wurden – soweit für das Gericht erkennbar -Kinder bei der Zielgruppe gar nicht erwähnt, der im Einzelfall erforderliche Kinderschutz spielte ebenfalls keine Rolle und es wurden in Bezug auf Kinder bzw. im Hinblick auf die Mutter-Kind-Interaktion keinerlei fachliche Standards festgelegt.
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Konkret wurde in der o.g. Konzeption bei der Darstellung der konzeptionellen Grundlagen (S. 3 der Konzeption) kein Bezug zum Zusammenleben des jeweiligen Leistungsempfängers mit Kindern hergestellt. Stattdessen liegt der Schwerpunkt der Betreuung auf den Auswirkungen der psychischen Erkrankung und Sucht. Demensprechend wird beim Punkt „Zielgruppe“ (S. 4 der Konzeption) lediglich ausgeführt, dass sich das Angebot an psychisch kranke und behinderte bzw. von Behinderung bedrohte Menschen mit Doppeldiagnose in näher dargestellten Lebenssituationen richte. Kinder werden weder dort, noch bei den im folgenden dargestellten Einzelzielen oder beim Punkt „Betreuungsangebot“ (S. 7 der Konzeption) erwähnt. Die „Sachliche Ausstattung“ (S. 13 der Konzeption) ist ebenfalls nicht auf Mütter mit Kindern zugeschnitten. Auch in der o.g. Leistungsvereinbarung wurde kein konkreter Bezug zum Zusammenleben der jeweiligen Leistungsempfänger mit Kindern hergestellt; insbesondere beziehen sich auch die auf S. 9 ff. der Leistungsvereinbarung aufgeführten Leistungen nur auf die psychisch erkrankten Leistungsempfänger selbst. Auch die Ausführungen zur „Erreichbarkeit“, die nur Wochentags, Vormittags und teilweise Nachmittags bestand (Details siehe S. 3 f. der Leistungsvereinbarung), deuten gerade nicht darauf hin, dass das intensiv betreute Einzelwohnen auch auf Kinder ausgelegt war.
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Ein Anspruch der Leistungsempfängerin gegen den Beklagten gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 SGB VIII scheidet daher mangels Vorliegens einer geeigneten Wohnform aus.
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2.2. Auch ein im Hinblick auf die erbrachten Leistungen denkbarer Anspruch auf Hilfe zur Erziehung nach §§ 27 ff. SGB VIII, z.B. in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe gemäß § 31 SGB VIII, war vorliegend im streitgegenständlichen Zeitraum nicht gegeben.
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Dabei kann dahinstehen, ob – wie der Beklagte meint – vorliegend bereits keine Leistungskongruenz zwischen der vom Kläger bewilligten Eingliederungshilfe und einer Hilfe zur Erziehung i.S.v. § 27 SGB VIII i.V.m. § 31 SGB VIII besteht und ob bereits deshalb keine vorrangige Leistungspflicht des Beklagten gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII gegeben sein kann.
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Denn vorliegend besteht insoweit bereits deswegen keine vorrangige Leistungspflicht des Beklagten gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII, weil im streitgegenständlichen Zeitraum hinsichtlich des intensiv betreuten Einzelwohnens der Leistungsempfängerin die Voraussetzungen für Hilfe zur Erziehung gemäß §§ 27 ff. SGB VIII, insbesondere in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe gemäß § 31 SGB VIII, nicht gegeben waren.
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§ 27 Abs. 1 SGB VIII gewährt dem Personensorgeberechtigten bei der Erziehung eines Kindes oder Jugendlichen einen Anspruch auf Hilfe zur Erziehung, wenn eine dem Wohl des Kindes oder des Jugendlichen entsprechende Erziehung nicht gewährleistet und die Hilfe für seine Entwicklung geeignet und notwendig ist. Die Norm setzt demnach das Vorliegen einer erzieherischen Mangellage im Hinblick auf das Wohl des Kindes oder des Jugendlichen voraus. Ob eine Mangellage vorliegt, bemisst sich daran, ob die Erziehung durch die Eltern dem Kindeswohl entspricht (vgl. Nellissen in: Schlegel/Voelzke, jurisPK-SGB VIII, 3. Aufl. 2022 (Stand: 13.02.2025), § 27, Rn. 41). Werden die in der konkreten Familiensituation erreichbaren Standards für eine gelungene geistige, körperliche oder seelische Entwicklung des Kindes nicht erreicht und ist dadurch das Kindeswohl gefährdet, liegt ein Erziehungsdefizit vor. Das Defizit ist hierbei nicht am Maßstab eines erzieherischen Optimums (bestmögliche Erfüllung des Kindeswohls), sondern an dem des „erzieherischen Minimums“ (keine Gefährdung des Kindeswohls) zu messen (vgl. Kunkel/Kepert in: Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, 8. Aufl. 2022, § 27 Rn. 5).
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a) Zwar ist aus Sicht des Gerichts davon auszugehen, dass im streitgegenständlichen Zeitraum eine für Hilfe zur Erziehung im Generellen notwendige erzieherische Mangellage im Hinblick auf die Leistungsempfängerin und ihren Sohn L. vorlag.
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Denn die Leistungsempfängerin war – insbesondere bedingt durch ihre psychischen Erkrankungen – im streitgegenständlichen Zeitraum immer wieder zumindest phasenweise nicht in der Lage, die Erziehung ihres Sohnes L. selbst in ausreichendem Maße übernehmen zu können.
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Darauf, dass bei der Leistungsempfängerin insbesondere am Anfang des streitgegenständlichen Zeitraums teilweise erhebliche – krankheitsbedingte – Defizite in Bezug auf ihre Erziehungsfähigkeit vorgelegen haben dürften, deuten bereits die Arztberichte der K.-Klinik vom 4. Dezember 2015 und vom 19. Januar 2016 hin, die allerdings noch vor Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums erstellt wurden. Dort wurde insbesondere ausgeführt, dass die Leistungsempfängerin sich seit dem 19. November 2015 zunächst gemeinsam mit ihrem Sohn L. auf der offenen-psychotherapeutischen Mutter-Kind-Station befunden habe. Es habe sich jedoch rasch gezeigt, dass sie selbst im stationären Setting und mit erzieherischer Unterstützung kaum in der Lage gewesen sei, auf die Bedürfnisse des Kindes einzugehen oder auch nur für Sicherheit zu sorgen. Um überhaupt an Verbesserung der Mutter-Kind-Interaktion arbeiten zu können, sei daher eine alleinige Therapie der Leistungsempfängerin unabdingbar gewesen. Um dies zu ermöglichen, sei eine vorübergehende, mehrwöchige Betreuung von L. bei der ihm bereits vertrauten Tagesmutter eingeleitet worden. Die Leistungsempfängerin sei daraufhin auf eine offen geführte, psychotherapeutisch orientierte Station verlegt worden. Zwar hatte sich die Situation offenbar bis zum Beginn des streitgegenständlichen Zeitraums am 4. März 2016 gebessert, jedoch ist davon auszugehen, dass weiterhin eine erzieherische Mangellage bestand. So wurde im Sozialbericht des Leistungserbringers D. vom 12. März 2016 insbesondere ausgeführt, dass zwar eine Stabilisierung der Leistungsempfängerin habe erfolgen können, dass sie mit ihrem Kind und den damit verbundenen Anforderungen jedoch immer noch in einer Übergangsphase sei, die weiterhin institutioneller Hilfe bedürfe. Im Bericht des Leistungserbringers D. vom 21. Juli 2016 wurde insbesondere ausgeführt, dass die Leistungsempfängerin in Erziehungsfragen sehr unsicher und oft überfordert sei. Im Entwicklungsbericht des Leistungserbringers D. vom 8. Dezember 2016 wurden als Rahmenziele insbesondere das Fördern von Selbstbewusstsein auch in Erziehungsfragen, die Förderung von Konsequenz im Erziehungsstil sowie die Abgrenzung zum Sohn L. (Erwachsene-Kind-Struktur), der bis zu fünf Tagen in der Woche bei der Tagesmutter sei, genannt. Zudem wurde ausgeführt, dass die Rückmeldungen zur konsequenten und angemessenen Haltung der Leistungsempfängerin in Erziehungsfragen und der Tagesgestaltung für ihren Sohn L. weiterhin hilfreich seien. Aus den Ausführungen im Entwicklungsbericht des Leistungserbringers D. vom 19. Januar 2018 ergibt sich, dass bis zu diesem Zeitpunkt eine weitere Verbesserung hinsichtlich der Erziehungsfähigkeit der Leistungsempfängerin eingetreten war.
65
b) Jedoch bestand im streitgegenständlichen Zeitraum trotz der erzieherischen Mangellage kein jugendhilferechtlicher Bedarf im Hinblick auf die Betreuung des Sohnes L. der Leistungsempfängerin, der eine sozialpädagogische Familienhilfe gemäß § 31 SGB VIII erforderlich gemacht hätte.
66
Denn die Leistungsempfängerin hatte sich ein stabiles, funktionierendes Hilfenetz aufgebaut, insbesondere bestehend aus ihrer Mutter und einer vom Beklagten finanzierten, erfahrenen Tagesmutter. Dieses Hilfenetz hatte sich insbesondere auch in Phasen der psychischen Instabilität der Leistungsempfängerin, in denen sie sich auch immer wieder stationär in Kliniken aufhielt, bewährt. Dieses Hilfenetz deckte in Zeiträumen, in denen dies aufgrund der psychischen Erkrankungen der Leistungsempfängerin erforderlich wurde, auch die Betreuung des Kindes L. über Nacht und an den Wochenenden ab; insbesondere gewährte der Beklagte für das Kind L. im streitgegenständlichen Zeitraum Leistungen der Tagesmutter nicht nur auf Grundlage der §§ 23, 24 SGB VIII (vgl. z.B. Bescheide des Beklagten vom 8. Dezember 2015, 19. Mai 2016 und 18. April 2018). Vielmehr erfolgte in krisenhaften Zeiten, in denen dies aufgrund der psychischen Verfassung der Leistungsempfängerin erforderlich wurde, die Bewilligung auch auf Grundlage der Betreuung und Versorgung des Kindes in Notsituationen gemäß § 20 SGB VIII (vgl. z.B. Aktenvermerk des Beklagten vom 8. Dezember 2015; Bescheide des Beklagten vom 10. November 2017).
67
Indem der Beklagte die Betreuung des Kindes L. durch eine erfahrene Tagesmutter in diesem Umfang und auch für Zeiten bewilligte und finanzierte, in denen aufgrund der psychischen Erkrankungen der Leistungsempfängerin eine umfassende Betreuung des Kindes durch dritte Personen erforderlich wurde, deckte er den im streitgegenständlichen Zeitraum aus der o.g. erzieherischen Mangellage resultierenden jugendhilferechtlichen Bedarf des Kindes L. bereits vollständig ab.
68
Ein darüber hinaus gehender jugendhilferechtlicher Bedarf für Hilfe zur Erziehung gemäß § 27 SGB VIII i.V.m. § 31 SGB VIII bestand angesichts dessen im streitgegenständlichen Zeitraum in Bezug auf das intensiv betreute Einzelwohnen nicht, zumal dieses vorliegend gerade nicht der Deckung eines jugendhilferechtlichen Bedarfs des Kindes L. gemäß §§ 27 ff. SGB VIII diente.
69
Denn das intensiv betreute Einzelwohnen war angesichts der Ausführungen unter Ziffer 2.1. von seiner Konzeption her auf die Betreuung der Leistungsempfängerin selbst in Bezug auf die aus ihren psychischen Erkrankungen folgenden Hilfebedarfe zugeschnitten, nicht hingegen auf die Betreuung von Kindern bzw. auf die Behebung etwaiger Erziehungsdefizite (s.o.). Das Schreiben des Leistungserbringers D. an den Kläger vom 6. Juli 2017 bestätigt dies auch für die konkrete Ausgestaltung des intensiv betreuten Einzelwohnens im vorliegenden Einzelfall. Denn dort wurde insbesondere ausgeführt, dass die Leistungsempfängerin die Begleitung durch ihre Bezugsperson hauptsächlich im Sinne der Eingliederungshilfe als psychisch kranke erwachsene Frau benötige. Sie nutze die Termine mit ihrer Bezugsbetreuung, um Beziehungen zu anderen Menschen zu besprechen, insbesondere, um ihre frühere, sehr belastende Beziehung zu reflektieren und für sich Strategien zu erarbeiten, um im Umgang mit anderen Menschen frühzeitig Grenzen aufzuzeigen und stabile Beziehungen zu entwickeln. Die Betreuungsperson unterstütze die Leistungsempfängerin im Umgang mit ihren besonderen Bedürfnissen, die ihre psychische Erkrankung mit sich bringe. Der Sohn der Leistungsempfängerin sei unter der Woche Montag bis Donnerstag ganztags bei der Tagesmutter sowie an den Freitagen und an den Wochenenden häufig bei der Mutter der Leistungsempfängerin, die sie in der Erziehung ihres Kindes intensiv unterstütze und einen Großteil der Erziehung des Kindes übernehme. Auch die Tagesmutter biete manchmal eine Betreuung an den Wochenenden an. Insgesamt nutze die Leistungsempfängerin das Angebot des betreuten Wohnens, um sich weiter zu stabilisieren und um Möglichkeiten zu finden, ihren Alltag mit ihren psychischen Erkrankungen zu bewältigen. Der Umgang mit dem Kind spiele dabei nur eine nebengeordnete Rolle, da die Leistungsempfängerin hierfür das o.g. stabile Hilfenetz aufgebaut habe. Auch aus den o.g. Entwicklungsberichten des Leistungserbringers D. ist ersichtlich, dass bei den Hausbesuchen bei der Leistungsempfängerin zwar auch über die Mutter-Kind-Interaktion, Erziehungsfragen, die Beziehung der Leistungsempfängerin zu ihrem Kind, etc. gesprochen wurde. Jedoch wurde auch in den Entwicklungsberichten betont, dass der Fokus vorrangig auf der psychischen Erkrankung der Leistungsempfängerin und der Aufarbeitung von deren früheren Beziehungen, etc. lag.
70
Ein Bedarf für Hilfe zur Erziehung in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe gemäß § 27 SGB VIII i.V.m. § 31 SGB VIII entstand erst nach Ablauf des streitgegenständlichen Zeitraums infolge des Umzugsstresses und der neuen Familiensituation nach dem Zusammenzug der Leistungsempfängerin mit ihrem neuen Lebensgefährten und ihren inzwischen zwei Kindern zum 1. November 2018 (zu den genauen Hintergründen vgl. insbesondere die Ausführungen im Hilfeplan des Beklagten bezüglich des Kindes L. vom 15. Januar 2019). Daher bewilligte der Beklagte mit Bescheid vom 15. Januar 2019 auch erst für einen Zeitraum nach Ablauf des streitgegenständlichen Zeitraums, konkret ab 26. November 2018 für das Kind L. Hilfe zur Erziehung in Form einer sozialpädagogischen Familienhilfe gemäß § 27 SGB VIII i.V.m. § 31 SGB VIII.
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Der Kläger war somit für die im streitgegenständlichen Zeitraum bewilligten Leistungen im Rahmen des intensiv betreuten Einzelwohnens der Leistungsempfängerin vorrangig zuständig und hat daher keinen Erstattungsanspruch gegen den Beklagten.
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Die Klage war somit abzuweisen.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
74
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.