Titel:
Ausländerrecht, Afghanischer Staatsangehöriger, Abschiebungsverbot, Aufhebung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Ausschlusstatbestand der Straftat von erheblicher Bedeutung
Normenketten:
AufenthG § 11 Abs. 4
AufenthG § 25 Abs. 3 S. 1
AufenthG § 25 Abs. 3 S. 3 Nr. 2
AufenthG § 60 Abs. 5
Schlagworte:
Ausländerrecht, Afghanischer Staatsangehöriger, Abschiebungsverbot, Aufhebung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots, Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen, Ausschlusstatbestand der Straftat von erheblicher Bedeutung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20513
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Der Kläger darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Der 25-jährige Kläger, ein afghanischer Staatsangehöriger, begehrt die Aufhebung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots und die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis.
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Der Kläger reiste nach eigenen Angaben erstmals am … … … in das Bundesgebiet ein. Mit Bescheid des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 3. Mai 2017 wurde sein Asylantrag zunächst abgelehnt und festgestellt, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 AufenthG nicht vorliegen. Eine hiergegen gerichtete Klage wies das Bayerische Verwaltungsgericht München mit Urteil vom 4. Februar 2019 ab (M 6 K 1740694) sowie einen hiergegen gerichteten Antrag auf Zulassung der Berufung lehnte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 6. November 2019 (13a ZB 19.32042) ab. Ein Folgeantrag des Klägers vom 24. Februar 2020 wurde mit Bescheid des Bundesamts vom 2. März 2020 als unzulässig abgelehnt. Auf einen weiteren Folgeantrag vom 17. Februar 2023 stellte das Bundesamt mit Bescheid vom 6. Juni 2023 unter Abänderung des Bescheids vom 3. Mai 2017 das Vorliegen eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 5 AufenthG hinsichtlich Afghanistans fest und hob die Abschiebungsandrohung im Bescheid vom 3. Mai 2017 auf. Der Kläger ist seitdem im Besitz von Duldungsbescheinigungen, nach Aktenlage zuletzt befristet bis zum … … …
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Der Kläger wurde mit Bescheid der Regierung von Oberbayern – Zentrale Ausländerbehörde – (Regierung) vom 29. September 2020 ausgewiesen. Gegen ihn wurde ein Einreise- und Aufenthaltsverbot erlassen und auf die Dauer von sieben Jahre ab der Ausreise bzw. Abschiebung befristet. Dieser Entscheidung lag eine rechtskräftige Verurteilung des Klägers durch das Amtsgericht München vom 31. Juli 2019 zugrunde, das ihn zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern in zwei tatmehrheitlichen Fällen, in einem Fall in Tateinheit mit Vergewaltigung und mit vorsätzlicher Körperverletzung, verurteilt hatte (1021 Ls 459 Js 191930/18). Der Kläger befand sich in dieser Sache vom 9. Oktober 2018 bis zum 8. Oktober 2020 in Untersuchungs- und Jugendstrafhaft. Ein hiergegen gerichtetes Klageverfahren wurde mit Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts München vom 5. Juli 2022 eingestellt (M 27 K 20.5276).
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Die ausländerrechtliche Zuständigkeit wurde mit Schreiben vom 16. Juni 2023 von der Regierung auf das Landratsamt … (Landratsamt) übertragen.
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Am … … … stellte der Kläger einen Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen nach § 22 ff AufenthG. Mit Schreiben vom … … … beantragten die Bevollmächtigten des Klägers die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots aus dem Bescheid der Regierung vom 29. September 2020.
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Auf eine Anhörung vom … … … zur beabsichtigten Ablehnung des Antrags auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nahmen die Klägerbevollmächtigten mit Schriftsatz vom … … … Stellung.
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Am … … … übermittelte der Kläger dem Landratsamt eine Bescheinigung des zuständigen Standesamtes vom … … … über die Anmeldung zur Eheschließung mit einer irakischen Staatsangehörigen.
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Mit Bescheid vom 29. November 2024, zugestellt am 4. Dezember 2024, lehnte das Landratsamt den Antrag des Klägers vom 29. Mai 2024 auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbotes aus dem Bescheid der Regierung vom 29. September 2020 (Nr. 1) sowie den Antrag auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus völkerrechtlichen oder dringenden humanitären Gründen nach § 22 ff. AufenthG vom 20. November 2023 ab (Nr. 2). Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots sei abzulehnen, da bislang keine Ausreise bzw. Rückführung erfolgt sei und die siebenjährige Frist daher noch nicht begonnen habe zu laufen. Die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 3 AufenthG lägen nicht vor, da der Ausschlussgrund nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG gegeben sei. Der Kläger habe eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen. Sexueller Missbrauch von Kindern, der nach § 176c StGB strafbar sei, sei vom Katalog des § 100a Abs. 2 StPO umfasst und auch eine Einzelfallprüfung ergebe, dass es sich um eine Straftat von erheblicher Bedeutung handele, die der schweren Kriminalität zuzuordnen sei, den Rechtsfrieden empfindlich störe und das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich beeinträchtige. Kinder seien besonders schutzbedürftig. Die Straftaten widersprächen den grundlegenden moralischen und rechtlichen Werten der Gesellschaft. Es käme nicht darauf an, wie lange die Tat zurückliege und ob gegenwärtig eine Wiederholungsgefahr bestehe. Die Ablehnung der Erteilung eines Aufenthaltstitels stütze sich zudem auf die Titelerteilungssperre aus § 11 Abs. 1 Satz 3 AufenthG.
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Dagegen hat der Kläger am 18. Dezember 2024 Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragen lassen,
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1. den Beklagten zu verpflichten, unter Aufhebung des Bescheids vom 29. November 2024 das Einreise- und Aufenthaltsverbot aus dem Bescheid vom 29. September 2020 gem. § 11 Abs. 4 AufenthG aufzuheben und
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2. dem Kläger einen Aufenthaltstitel nach §§ 22 ff. AufenthG zu erteilen.
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Zur Begründung wird im Wesentlichen ausgeführt, die Erteilungsvoraussetzungen bezüglich eines humanitären Aufenthaltstitels, insbesondere nach § 25 Abs. 3 AufenthG, und für die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AufenthG lägen vor. Es liege ein Verfahrensfehler vor, da der Kläger in Bezug auf die Ablehnung des Aufenthaltstitels nicht ordnungsgemäß i.S.d. Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG angehört worden sei. Der Ausschlussgrund nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG sei vorliegend nicht einschlägig, da der Schuldspruch des Amtsgerichts München vom 31. Juli 2019 kein Kapitalverbrechen darstelle und ein Kapitalverbrechen nötig sei, um eine Straftat von erheblicher Bedeutung annehmen zu können. Ferner gehe vom Kläger keine Gefahr für die nationale Sicherheit und öffentliche Ordnung (mehr) aus. Er habe sich seit der Haftentlassung äußerst positiv entwickelt. Vorgelegt wurde unter anderem ein Beschluss des Amtsgerichts … vom 4. März 2024, in dem die Führungsaufsicht des Klägers für beendet erklärt worden ist sowie ein Abschlussbericht der Diakonie vom 29. März 2023, in dem ein niedrig-moderates Rückfallrisiko sowie kein forensischer Interventionsbedarf durch diese Einrichtung gesehen wird. Weiterhin wurde eine Teilnahmebestätigung für einen Orientierungskurs in der Justizvollzugsanstalt … vom … … … sowie ein Zeugnis über einen qualifizierenden Abschluss der Mittelschule vorgelegt.
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Mit Schreiben vom … … … teilte das Bundesamt mit, dass die Straffälligkeit im Rahmen eines Abschiebungsverbots nicht berücksichtigt werde und daher derzeit keine Hinweise für ein Aufhebungsverfahren hinsichtlich des Abschiebungsverbots des Klägers bestünden.
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Mit E-Mail vom … … … übermittelte der Kläger dem Landratsamt ein Foto des Mutterpasses seiner Verlobten, aus dem sich eine Schwangerschaft und der errechnete Entbindungstermin am 16. Dezember 2025 ergibt.
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Der Beklagte hat die Behördenakten vorgelegt und beantragt,
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Zur Begründung wird mit Schriftsätzen vom 14. Januar sowie 16. Januar 2025 im Wesentlichen ausgeführt, die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach § 25 Abs. 3 AufenthG sei sowohl aufgrund des bestehenden Einreise- und Aufenthaltsverbots als auch aufgrund des zwingenden Ausschlussgrundes nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG ausgeschlossen. Es liege kein Verfahrensfehler vor, da eine Anhörung nicht erforderlich gewesen sei. Durch die Ablehnung der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis sei nicht in die Rechte des Klägers eingegriffen worden, sondern lediglich ein beantragter Vorteil nicht gewährt worden. Jedenfalls sei die unterbliebene Anhörung unbeachtlich bzw. könne im verwaltungsgerichtlichen Verfahren noch nachgeholt werden.
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Das Gericht hat am 24. Juli 2025 mündlich zur Sache verhandelt. Die Bevollmächtigten des Klägers haben den am 18. Dezember 2024 zugleich gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung zurückgenommen (M 27 E 24.7631).
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie im Hauptsacheverfahren (M 27 K 24.7629) und die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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1. Die zulässige Klage ist unbegründet. Der streitgegenständliche Bescheid ist rechtmäßig und verletzt den Kläger nicht in seinen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Er hat weder einen Anspruch auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots aus dem Bescheid der Regierung vom 29. September 2020 nach § 11 Abs. 4 AufenthG noch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen (§ 113 Abs. 5 Satz 1 VwGO).
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1.1 Der Kläger hat keinen Anspruch auf Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots aus dem Bescheid der Regierung vom 29. September 2020 nach dem – allein streitgegenständlichen – Aufhebungstatbestand in § 11 Abs. 4 AufenthG.
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Das mit Bescheid der Regierung vom 29. September 2020 verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot mit siebenjähriger Dauer ist infolge der Einstellung des hiergegen gerichteten Klageverfahrens bestandskräftig geworden.
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Das Einreise- und Aufenthaltsverbot kann nach § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG zur Wahrung schutzwürdiger Belange des Ausländers oder, soweit es der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots nicht mehr erfordert, aufgehoben oder die Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots verkürzt werden. Solche schutzwürdigen Belange sind weder vorgetragen noch ersichtlich. Auch ist der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots bislang nicht weggefallen. Insbesondere begründet das Verlöbnis und die Schwangerschaft der Verlobten des Klägers keinen derartigen Ausnahmefall, dass das bestandskräftig verfügte Einreise- und Aufenthaltsverbot insgesamt aufgehoben werden müsste und diesbezüglich eine Ermessensreduzierung auf Null vorläge. Zudem ist der Kläger wegen seines Abschiebungsverbots bislang nicht ausgereist, sodass die siebenjährige Frist noch nicht begonnen hat zu laufen (§ 11 Abs. 4 Satz 3 AufenthG).
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Das Einreise- und Aufenthaltsverbot soll ferner nach § 11 Abs. 4 Satz 2 AufenthG aufgehoben werden, wenn die Voraussetzungen für die Erteilung eines Aufenthaltstitels nach Kapitel 2 Abschnitt 5 des AufenthG vorliegen. Einen solchen Anspruch auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen hat der Kläger jedoch nicht.
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Nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG soll einem Ausländer eine Aufenthaltserlaubnis erteilt werden, wenn – wie hinsichtlich des Klägers mit Bescheid des Bundesamts vom 6. Juni 2023 geschehen – ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG festgestellt ist. Die Aufenthaltserlaubnis wird jedoch nach § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG unter anderem nicht erteilt, wenn schwerwiegende Gründe die Annahme rechtfertigen, dass der Ausländer eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat.
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Bei einer Straftat von erheblicher Bedeutung im Sinne von § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG muss es sich um ein Kapitalverbrechen oder eine sonstige Straftat handeln, die in den meisten Rechtsordnungen als besonders schwerwiegend qualifiziert ist und entsprechend strafrechtlich verfolgt ist (vgl. BVerwG, U.v. 25.03.2015 – 1 C 16.14 – juris Rn. 27; BayVGH, U.v. 20.3.2013 – 19 BV 11.288 – juris Rn. 54). Nach den Ausführungsvorschriften zum Aufenthaltsgesetz (AufenthGAVwV – Ziffer 25.3.8.2.1f.) liegt eine Straftat von erheblicher Bedeutung vor, wenn die Straftat mindestens dem Bereich der mittleren Kriminalität angehört, den Rechtsfrieden empfindlich stört und geeignet ist, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Zur Bewertung der konkreten Tat können als Anhaltspunkte auf die Tatausführung, das verletzte Rechtsgut, die Schwere des eingetretenen Schadens sowie die von dem Straftatbestand vorgesehene Strafandrohung abgestellt werden. Eine Straftat von erheblicher Bedeutung liegt grundsätzlich bei schweren Verbrechen wie z.B. Mord, Totschlag, Raub, Kindesmissbrauch, Entführung, schwerer Körperverletzung, Brandstiftung und Drogenhandel vor (vgl. Kluth in: BeckOK, Ausländerrecht 44. Ed. Stand: 1.10.2024, § 25 Rn. 53.5).
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Hieran gemessen rechtfertigen schwerwiegende Gründe die Annahme, dass der Kläger mit der vom Amtsgericht München mit Urteil vom 31. Juli 2019 abgeurteilten Tat eine Straftat von erheblicher Bedeutung begangen hat. Der Kläger wurde unter anderem wegen schweren sexuellen Missbrauchs von Kindern und Vergewaltigung zu einer Jugendstrafe von zwei Jahren verurteilt. Entgegen der Ansicht der Klägerbevollmächtigten ist unerheblich, dass der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern sowie die Vergewaltigung keine Kapitalverbrechen darstellen, da auch eine sonstige schwere Straftat erhebliche Bedeutung haben kann. Dies ist vorliegend der Fall. Der schwere sexuelle Missbrauch von Kindern ist inzwischen in § 176c StGB strafbewehrt und sieht ebenso wie die zum Verurteilungszeitpunkt gültige Vorgängervorschrift des § 176a Abs. 2 Nr. 1 StGB a.F. sowie der Straftatbestand der Vergewaltigung nach § 177 Abs. 6 Satz 2 Nr. 1 StGB eine Mindeststrafandrohung von zwei Jahren Freiheitsstrafe vor. Die Tat stellt mithin ein Verbrechen nach § 12 Abs. 1 StGB dar und ist zudem in dem Katalog schwerer Straftaten nach § 100a Abs. 2 Nr. 1 Buchst. f StPO genannt. Die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung schützen ein wichtiges Rechtsgut und stören den Rechtsfrieden insbesondere im Hinblick auf die Begehung zum Nachteil eines besonders schutzbedürftigen Kindes empfindlich. Die Straftat, die der schweren Kriminalität zuzuordnen ist, ist darüber hinaus geeignet, das Gefühl der Rechtssicherheit der Bevölkerung erheblich zu beeinträchtigen. Auch die konkrete Tatverwirklichung durch den Kläger und strafrechtliche Ahndung mit einer Jugendstrafe von zwei Jahren war nach Art und Schwere so gewichtig, dass die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis unbillig wäre.
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Gegenteiliges ergibt sich auch nicht aus dem von den Klägerbevollmächtigten angeführten Urteil des Verwaltungsgerichts Stuttgart vom 17. Juni 2013 (11 K 377/13). Das Bundesverwaltungsgericht hat auf eine gegen das Berufungsurteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 11. Dezember 2013 (11 S 1770/13) eingelegte Revision entschieden, dass die Versagungsgründe des § 25 Abs. 3 Satz 2 AufenthG gefahrenunabhängige Ausschlussgründe wegen Unwürdigkeit sind und keine der Gefahrenabwehr dienende Erteilungssperre (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16.14 – juris Rn. 26). Der Ausschlusstatbestand des § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG stellt allein auf die erhebliche Bedeutung der begangenen Straftat ab. Der Ausschlussgrund ist nicht gefahren- oder präventionsabhängig, sondern als dauerhaft wirkender Ausschlusstatbestand konzipiert. Im Anschluss an Art. 17 Abs. 1 Buchst. b RL 2011/95/EU bezeichnet er Fälle, in denen der Ausländer einer Aufenthaltsgewährung als unwürdig erachtet wird. Diese aus der Begehung einer schweren Straftat folgende „Unwürdigkeit“, einen qualifizierten Aufenthaltstitel zu erlangen, besteht auch dann fort, wenn keine Wiederholungsgefahr (mehr) besteht und von dem Ausländer auch sonst keine aktuellen Gefahren für den Aufenthaltsstaat ausgehen (vgl. BVerwG, U.v. 25.3.2015 – 1 C 16.14 – juris Rn. 29; zuletzt U.v. 24.3.2025 – 1 C 15.23 – juris Rn. 37).
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Eine Straftat ist somit jedenfalls bis zur Tilgung aus dem Bundeszentralregister und des damit einhergehenden Verwertungsverbots nach § 51 Abs. 1 BZRG als „erheblich“ anzusehen. Vorliegend beträgt die Tilgungsfrist gem. § 46 Abs. 1 Nr. 2 Buchst. c BZRG zehn Jahre und endet frühestens am 31. Juli 2029.
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1.2 Der Kläger hat keinen Anspruch auf die Erteilung eines humanitären Aufenthaltstitels nach §§ 22 ff. AufenthG.
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Ungeachtet der Frage, ob eine Anhörung zur Ablehnung der Aufenthaltserlaubnis nach Art. 28 Abs. 1 BayVwVfG erforderlich war, ist diese mit Schreiben des Landratsamts vom 10. Juli 2024, das auch auf die fehlenden Voraussetzungen für die Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen Bezug nimmt, erfolgt. Jedenfalls wäre eine unterbliebene Anhörung durch Nachholung im gerichtlichen Verfahren nach Art. 45 Abs. 1 Nr. 3, Abs. 2 BayVwVfG geheilt worden.
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In materieller Hinsicht steht der Erteilung einer humanitären Aufenthaltserlaubnis bereits die Titelerteilungssperre aus dem mit Bescheid der Regierung vom 29. September 2020 verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbot entgegen (§ 11 Abs. 1 Satz 3 a.E. AufenthG). Zudem steht der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 3 Satz 1 AufenthG der zwingende Ausschlusstatbestand des § 25 Abs. 3 Satz 3 Nr. 2 AufenthG entgegen (vgl. 1.1). Auch eine Ermessensreduzierung auf Null hinsichtlich der Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis nach § 25 Abs. 5 AufenthG kommt nicht in Betracht. Im Übrigen führen die beabsichtigte Eheschließung des Klägers im Bundesgebiet sowie die Schwangerschaft seiner Verlobten nicht zu einem Anspruch des Klägers auf Erteilung einer Aufenthaltserlaubnis aus humanitären Gründen.
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2. Die Kostenfolge ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 713 ZPO.