Inhalt

VG München, Beschluss v. 23.06.2025 – M 31 S 25.32488
Titel:

Asyl, Herkunftsland Brasilien, Offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Keine asylerhebliche Verfolgung oder Bedrohung vorgebracht, Eindutig unstimmige und widersprüchliche Angaben, Familiäre Bindungen, Feststellung eines Abschiebungsverbots (verneint)

Normenketten:
AsylG § 30 Abs. 1 Nr. 1 und 2
AsylG § 36 Abs. 1, Abs. 4
AufenthG § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Schlagworte:
Asyl, Herkunftsland Brasilien, Offensichtlich unbegründeter Asylantrag, Keine asylerhebliche Verfolgung oder Bedrohung vorgebracht, Eindutig unstimmige und widersprüchliche Angaben, Familiäre Bindungen, Feststellung eines Abschiebungsverbots (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20507

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragsteller haben gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens zu tragen.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller, ein Ehepaar, sind Staatsangehörige Brasiliens. Sie reisten am *8. September 2023 gemeinsam mit dem minderjährigen Sohn der Antragstellerin zu 2) auf dem Luftweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellten am 10. November 2023 Asylanträge. Nach Anhörung am 23. Januar 2025 (Antragsteller zu 1) bzw. 4. April 2025 (Antragstellerin zu 2) lehnte das Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gegenüber der gesamten Familie mit gemeinsamem Bescheid vom 22. Mai 2025, den Antragstellern zugestellt am 28. Mai 2025, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf Gewährung subsidiären Schutzes (Nr. 3) jeweils als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufenthG nicht vorliegen (Nr. 4). Die Antragsteller wurden aufgefordert, das Bundesgebiet binnen einer Woche nach Bekanntgabe der Entscheidung zu verlassen; widrigenfalls wurde ihnen die Abschiebung nach Brasilien oder in einen sonstigen Staat, in den sie einreisen dürfen oder der zur Rückübernahme verpflichtet ist, angedroht. Die Vollziehung der Abschiebungsandrohung und der Lauf der Ausreisefrist wurden bis zum Ablauf der einwöchigen Klagefrist und, im Falle einer fristgerechten Stellung eines Antrags auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage, bis zur Bekanntgabe der Ablehnung des Eilantrags durch das Verwaltungsgericht ausgesetzt (Nr. 5). Das Verbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG wurde auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
2
Die Antragsteller haben mit Schreiben vom 2. Juni 2025, eingegangen bei Gericht am 4. Juni 2025, Klage gegen den Bescheid vom 22. Mai 2025 erhoben. Angestrebt wird dabei die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft, hilfsweise die Zuerkennung des subsidiären Schutzes, weiter hilfsweise die Feststellung von nationalen Abschiebungsverboten. Das Klageverfahren wird bei Gericht unter M 31 K 25.32487 geführt. Im zugleich anhängig gemachten Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes wird sinngemäß beantragt,
3
die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Abschiebungsandrohung in Nr. 5 des Bescheids vom 22. Mai 2025 anzuordnen.
4
Gleichzeitig wurde ausdrücklich mitgeteilt, dass der minderjährige Sohn freiwillig nach Brasilien zurückkehren wird.
5
Im behördlichen Verfahren wurden diverse ärztliche Unterlagen vorgelegt, darunter ein Arztbrief der Prof. Dr. med. … K. und Dr. med. … R. vom 8. Januar 2025, in dem als Diagnose eine Ovarialzyste aufgeführt wurde.
6
Die Antragsgegnerin übersandte die Verfahrensakten und beantragt,
7
den Antrag abzulehnen.
8
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Gerichtssowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
II.
9
Der zulässige Antrag hat keinen Erfolg.
10
Die gemäß § 36 Abs. 1, § 34 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung ist kraft Gesetzes sofort vollziehbar (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG), der hiergegen gerichtete Eilantrag nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO mithin statthaft. Der Antrag vom 4. Juni 2025 wahrt zudem die Wochenfrist des § 36 Abs. 3 Satz 1 Hs. 1 AsylG.
11
Nach § 80 Abs. 5 VwGO kann das Gericht der Hauptsache auf Antrag die aufschiebende Wirkung der Klage anordnen. Bei dieser Entscheidung sind das öffentliche Interesse an der sofortigen Vollziehung des Verwaltungsakts einerseits und das private Aussetzungsinteresse, also das Interesse des Betroffenen, bis zur rechtskräftigen Entscheidung über die Rechtmäßigkeit des angefochtenen Verwaltungsakts von dessen Vollziehung verschont zu bleiben, gegeneinander abzuwägen. Maßstab ist dabei vorliegend, ob ernstliche Zweifel an der Rechtmäßigkeit des angegriffenen Verwaltungsaktes bestehen, Art. 16a Abs. 4 Satz 1 GG, § 36 Abs. 4 Satz 1 AsylG. Streitgegenstand im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ist hier gemäß § 36 Abs. 3 Satz 1 AsylG die nach § 36 Abs. 1, § 34 AsylG i.V.m. § 59 Abs. 1 und 2 AufenthG erlassene Abschiebungsandrohung, die die offensichtliche Unbegründetheit des Asylantrags i.S.d. § 30 AsylG voraussetzt. Die Erfolgsaussichten eines entsprechenden Eilantrags hängen davon ab, ob gerade das Offensichtlichkeitsurteil des Bundesamtes ernstlichen Zweifeln begegnet, ohne dass der Ablehnungsbescheid selbst zum Verfahrensgegenstand wird (vgl. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris; U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1516/93 – juris). Ernstliche Zweifel sind nur dann gegeben, wenn erhebliche Gründe dafürsprechen, dass die Maßnahme einer rechtlichen Prüfung wahrscheinlich nicht standhält (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996, aaO). Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts setzt die Ablehnung von Asylantrag und Rechtsbehelf gleichermaßen als offensichtlich unbegründet voraus, dass an der Richtigkeit der tatsächlichen Feststellungen vernünftigerweise keine Zweifel bestehen und sich bei einem solchen Sachverhalt nach allgemein anerkannter Rechtsauffassung die Ablehnung geradezu aufdrängt (vgl. BVerfG, B.v. 25.4.2018 – 2 BvR 2435/17 – juris). Die gerichtliche Prüfung der vom Bundesamt getroffenen Offensichtlichkeitsfeststellung hat aufgrund der als asylerheblich vorgetragenen oder zu erkennenden Tatsachen und in Anwendung des materiellen Asylrechts zu erfolgen (z.B. BVerfG, B.v. 2.5.1984 – 2 BvR 1413/83 – juris). Dabei hat das Gericht die Frage der Offensichtlichkeit eigenständig zu klären (BVerfG, aaO), wobei es jedenfalls im Eilverfahren auch genügt, wenn die Offensichtlichkeitsfeststellung des Bescheids zumindest im Ergebnis nicht ernstlich zweifelhaft ist (vgl. z.B. Pietzsch in: Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 38. Edition 1.1.2023, § 36 AsylG Rn. 40.1 m.w.N.). Die Prüfung schließt das (Nicht-) Vorliegen von Abschiebungshindernissen ein (§ 34 Abs. 1 Nr. 3 AsylG), wobei maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage der Zeitpunkt der Entscheidung des Gerichts ist (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 AsylG).
12
Dies zugrunde gelegt, begegnet die Entscheidung des Bundesamts keinen rechtlichen Bedenken, da die Antragsteller offensichtlich keinen Anspruch auf Zuerkennung des internationalen Schutzes nach § 1 Abs. 1 Nr. 2 AsylG in Gestalt der Flüchtlingseigenschaft gemäß §§ 3 ff. AsylG haben. Auch daran, dass das Bundesamt das Vorliegen von Abschiebungsverboten nach § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG zutreffend verneint hat, bestehen keine rechtlichen Zweifel. Gleiches gilt hinsichtlich der Abschiebungsandrohung und Befristung des verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbots.
13
Bei den Antragstellern liegen die Voraussetzungen dafür vor, ihre Asylanträge als offensichtlich unbegründet abzulehnen. Davon geht das Bundesamt im streitbefangenen Bescheid vom 22. Mai 2025 jedenfalls im Ergebnis zutreffend aus.
14
1. Ein Asylantrag ist gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht hat, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang sind. Gleiches gilt gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 2 AsylG, wenn der Ausländer eindeutig unstimmige und widersprüchliche, eindeutig falsche oder offensichtlich unwahrscheinliche Angaben gemacht hat, die im Widerspruch zu hinreichend gesicherten Herkunftslandinformationen stehen.
15
Dem Sachvortrag der Antragsteller ist – wie vom Bundesamt zutreffend gewürdigt – weder eine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung, die im zeitlichen Zusammenhang mit ihrer Ausreise steht, noch ein flüchtlingsrechtlich relevantes Anknüpfungsmerkmal zu entnehmen. Es ergeben sich aus dem Vorbringen der Antragsteller rechtlich wie tatsächlich keine plausiblen und nachvollziehbaren Anhaltspunkte für eine asylerhebliche Verfolgung oder Bedrohung nach Art. 16a Abs. 1 GG bzw. §§ 3 ff. AsylG. Die Begründung ihres Asylantrags ist zur Überzeugung des Gerichts aufgrund von eindeutig unstimmigen, widersprüchlichen und offensichtlich wahrscheinlichen Abgaben der Antragsteller auch offensichtlich nicht überzeugend. Selbst im Falle einer Wahrunterstellung wäre jedenfalls weder ersichtlich, welcher Verfolgungsgrund i.S.d. § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG vorliegt, noch, dass dieser von einem Akteur herrührt, von dem Verfolgung ausgehen kann (§ 3c AsylG).
16
Die Antragsteller schildern im Wesentlichen, sie seien von Mitgliedern der kriminellen Bande Primeiro Comando da Capital (PCC) bedroht worden. Das Auto des Antragstellers zu 1) sei mutmaßlich von diesen immer wieder ohne sein Einverständnis benutzt und dabei auch beschädigt worden; auch seien daraus Werkzeuge entwendet worden und es habe verschiedene Provokationen auf dem Grundstück der Antragsteller gegeben. Als der Antragsteller zu 1) eines Tages auch Drogen in seinem Auto vorgefunden, die Personen daraufhin zur Rede gestellt und mit einer Anzeige bei der Polizei gedroht habe, hätten ihn die Bandenmitglieder aufgefordert binnen zwei Wochen zu verschwinden, ansonsten würden sie ihn und seine Familie töten. Nachdem er dies zunächst nicht ernst genommen habe, sei auf sein Wohnhaus geschossen worden. Die Antragsteller seien daraufhin mit ihrem Sohn zunächst in einem Hotel und dann bei der Schwester der Antragstellerin zu 2) in einem anderen Stadtviertel untergekommen. Der Antragsteller zu 1) habe dann zunächst den Plan gefasst, in einen anderen Bundesstaat in Brasilien umzuziehen, habe sich aber aus Angst vor der landesweit bzw. kontinentweit operierenden Bande PCC dazu entschlossen, das Land zu verlassen und Asyl in Deutschland zu beantragen.
17
Zutreffend und für das Gericht ohne Weiteres nachvollziehbar geht das Bundesamt davon aus, dass die Antragsteller ausschließlich asylrechtlich irrelevante kriminelle Übergriffe Dritter schildern, die auch hinsichtlich der Intensität die asylerhebliche Schwelle nicht überschreiten und zudem keinen hinreichenden zeitlichen Zusammenhang zu ihrer Ausreise aufweisen. Zur Vermeidung von Wiederholungen wird hierzu zunächst auf die entsprechenden Feststellungen im streitbefangenen Bescheid (dort S. 4 f.) Bezug genommen (§ 77 Abs. 3 AsylG).
18
Bei einer Gesamtschau des Vortrags erweist sich dieser darüber hinaus auch als eindeutig unstimmig und widersprüchlich und offensichtlich unwahrscheinlich. Es drängt sich dem Gericht der Eindruck auf, dass die Antragsteller zur angeblichen Bedrohung durch Kriminelle im Wesentlichen nicht ein von ihnen selbst erlebtes, sondern ein in weiten Teilen fingiertes Geschehen schildern. So berichtet der Antragsteller zu 1) erst auf Nachfrage, er sei im Zeitraum von 2021 bis 2022 öfter bedroht worden, nachdem er zuvor lediglich von Provokationen und einer Bedrohung mit Ultimatum und den anschließenden Schüssen auf sein Wohnhaus berichtet hatte. Auch die auf Nachfrage genannte Zeitangabe bezüglich der Schüsse auf sein Haus, die er auf Ende 2022/ Anfang 2023 datiert, passt nicht zu der vorangegangenen Schilderung, wonach diese etwas mehr als zwei Wochen nach der Drohung erfolgt seien, die er auf Ende 2021/ Anfang 2022 datiert. Der Vortrag enthält damit offensichtlich unstimmige Steigerungen und ist in sich widersprüchlich. Zudem ergeben sich Widersprüche zwischen den Schilderungen der beiden Antragsteller. Während der Antragsteller zu 1) nur verbale Bedrohungen und Warnschüssen nennt, berichtet die Antragstellerin zu 2), ihr Hund sei als Racheakt überfahren worden und in den Hof geworfen worden. Schließlich ist auch offensichtlich unwahrscheinlich, dass die Antragsteller nach rund acht Monaten, die sie offenbar unbehelligt in einem anderen Viertel von Sao Paulo lebten, noch mit Verfolgung rechnen mussten, zumal sie die Bandenmitglieder auch nicht bei der Polizei angezeigt hatten.
19
Im Übrigen handelte es sich – unabhängig vom Vorstehenden – bei der von den Antragstellern vorgebrachten Bedrohungen durch eine Bande – selbst im Falle einer Wahrunterstellung – um kriminelles Unrecht, das keine Anknüpfung an die für die Flüchtlingseigenschaft maßgeblichen Merkmale des § 3 Abs. 1 Nr. 1 i.V.m. § 3b AsylG erkennen lässt und damit keine begründete Furcht vor Verfolgung wegen seiner Rasse, Religion, Staatsangehörigkeit, politischen Überzeugung oder Zugehörigkeit zu einer bestimmten sozialen Gruppe belegen kann. Es ist nicht ersichtlich, dass eine Verfolgung durch einen gemäß § 3c AsylG relevanten Akteur zu befürchten wäre. Es besteht zur Überzeugung des Gerichts auf Grundlage der aktuellen Auskunftslage in Brasilien keine Situation im Sinne des § 3c Nr. 2 AsylG, wonach Parteien oder Organisationen den Staat oder wesentliche Teile des Staatsgebiets beherrschen. Auch wenn organisierte Kriminalität – darunter insbesondere die Gruppe PCC – landesweit erfolgreich operieren, so erreicht diese aber nicht ein solches Niveau, dass davon auszugehen wäre, dass der brasilianische Staat seine hoheitlichen, insbesondere exekutiven Eingriffsmöglichkeiten in einem so wesentlichen Umfang und Ausmaß verloren hätte, dass von einem flüchtlingsrechtlich maßgeblichen staatlichen Beherrschungsverlust auszugehen wäre. Den vorliegenden Erkenntnismitteln ist jedenfalls nicht zu entnehmen, dass Sicherheitsbehörden generell nichts willens oder unfähig seien, einen zumindest (gerade noch) ausreichenden Schutz der Bürger vor kriminellen Übergriffen zu garantieren (vgl. Home Office; Country Policy and Information Note Brazil: Organised criminal groups, Version 1.0, Stand: März 2025, Executive Summary, S. 4).
20
Insgesamt vermag folglich der Vortrag der Antragsteller zu ihren Asylgründen nach Aktenlage offensichtlich nicht zu überzeugen. Dies gilt umso mehr, als die Antragsteller in der Antragsschrift selbst vortragen, dass der minderjährige Sohn den Entschluss gefasst habe, nach Brasilien zurückzukehren und die Antragstellerin zu 2) als alleinige Sorgeberechtigte ihr ausdrückliches Einverständnis zur Rückführung des Kindes erteilt habe. Inwieweit die vorgebrachten Asylgründe, die im Rahmen der Anhörung vor dem Bundesamt ausdrücklich auch für den Sohn gelten sollten, nunmehr einer Rückführung bei diesem nicht entgegenstehen sollen, bei den Antragstellern hingegen schon, erschließt sich nicht.
21
2. Abschiebungsverbote gemäß § 60 Abs. 5 und Abs. 7 Satz 1 AufenthG scheiden unter Berücksichtigung der allgemeinen Situation in Brasilien und der individuellen Umstände der Antragsteller aus.
22
2.1 Im Hinblick auf § 60 Abs. 5 AufenthG i.V.m. Art. 3 EMRK reicht der Umstand, dass die Lage des Betroffenen und seine Lebensumstände im Fall einer Aufenthaltsbeendigung erheblich beeinträchtigt würden, allein nicht aus, einen Verstoß gegen Art. 3 EMRK anzunehmen; anderes kann nur in besonderen – hier nicht vorliegenden – Ausnahmefällen gelten, in denen humanitäre Gründe zwingend gegen die Aufenthaltsbeendigung sprechen (vgl. EGMR, U.v. 27.5.2008 – 26565/05 – NVwZ 2008, 1334; BVerwG, U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris; B.v. 25.10.2012 – 10 B 16/12 – juris). Unabhängig davon, in welchen Fällen existenzbedrohende Armut im Sinne von Art. 3 EMRK relevant sein kann, liegen Anhaltspunkte hierfür nicht ansatzweise vor.
23
Ihre wirtschaftliche Situation in Brasilien haben beide Kläger vor dem Bundesamt als „gut“ bzw. „normal“ beschrieben. Des Weiteren verfügt Brasilien nach der aktuellen Erkenntnismittellage mit dem Sistema Único de Saúde (SUS) über ein kostenloses und universelles öffentliches Gesundheitssystem (vgl. sogleich unter 2.2.). Die Antragsteller zu 1) und zu 2) sind 44 bzw. 35 Jahre alt und arbeitsfähig; die normative Vermutung nach § 60a Abs. 2c AufenthG ist nicht widerlegt. Hinweise darauf, dass sie nach ihrer Rückkehr nicht in der Lage sein werden, das Existenzminimum für sich – und auch den minderjährigen Sohn – zu sichern, sind nicht ersichtlich. Der Antragsteller zu 1) hat eine Malerausbildung abschlossen und war in seiner Heimat in diesem Beruf in seinem eigenen Betrieb sowie auch in anderen Beschäftigungen tätig. Die Antragstellerin zu 2) hat eine umfassende Schulausbildung absolviert und hat als Aushilfe und Produktionshilfe gearbeitet. Es ist nichts dafür erkennbar, dass beide Antragsteller vor diesem Hintergrund nicht in der Lage wären, zumindest „von ihrer Hände Arbeit“ im Falle ihrer Rückkehr den Lebensunterhalt zu bestreiten. Bessere wirtschaftliche oder soziale Perspektiven in Deutschland begründen im Übrigen gerade kein Abschiebungsverbot.
24
2.2 Nach § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG soll von einer Abschiebung abgesehen werden, wenn im Zielstaat für den Ausländer eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib, Leben oder Freiheit besteht.
25
Bei den in Brasilien vorherrschenden Lebensbedingungen handelt es sich um eine Situation, der die gesamte Bevölkerung ausgesetzt ist, weshalb Abschiebeschutz nach § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausschließlich durch eine generelle Regelung nach § 60a Abs. 1 Satz 1 AufenthG gewährt wird. Eine extreme Gefährdungslage, bei der aufgrund der Schutzwirkungen der Grundrechte aus Art. 1 Abs. 1 und Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG die Sperrwirkung des § 60 Abs. 7 Satz 6 AufenthG ausnahmsweise dann nicht greift (vgl. BVerwG, U.v. 17.10.1995 – 9 C 9/95 – juris; U.v. 31.1.2013 – 10 C 15/12 – juris), wenn ein Einzelner gleichsam sehenden Auges dem sicheren Tod oder schwersten Verletzungen ausgeliefert würde, liegt offenkundig nicht vor.
26
Mit Blick auf § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 AufentG wird im Übrigen nach § 77 Abs. 3 AsylG auf die entsprechenden Ausführungen unter 4. des streitbefangenen Bescheids Bezug genommen.
27
Ergänzend wird auf die Ausführungen im Arztbrief vom 8. Januar 2025 verwiesen, wonach festgestellt wurde, dass sich im Rahmen der durchgeführten Operation der Verdacht auf einen Tumor am Eileiter gerade nicht bestätigt hat und die vorgefundene Zyste erfolgreich und komplikationslos behandelt wurde, so dass die Antragstellerin zu 2) „in gutem Allgemeinzustand und bei reizlosen Wundverhältnissen in die ambulante Weiterbehandlung entlassen“ werden konnte. In Ermangelung einer neuerlichen (qualifizierten) ärztlichen Bescheinigung, die auf einen anderen Gesundheitszustand schließen lassen würde, liegen keine konkreten Anhaltspunkte dafür vor, dass die Antragstellerin zu 2) an einer lebensbedrohlichen oder schwerwiegenden Erkrankung leidet, die sich durch die Abschiebung alsbald wesentlich verschlechtern würde. Die vorgelegten ärztlichen Unterlagen lassen keinerlei Rückschlüsse darauf zu, dass eine wesentliche Verschlimmerung der geltend gemachten Erkrankung durch zielstaatsbezogene Umstände alsbald nach der Rückkehr droht. Unabhängig davon ist eine erhebliche bzw. lebensbedrohliche Verschlechterung des Gesundheitszustandes der Antragstellerin zu 2) im Sinne von § 60 Abs. 7 Satz 3 AufenthG allein deswegen nicht zu erwarten, weil die geltend gemachte Erkrankung in Brasilien behandelbar ist. Nach der aktuellen Erkenntnismittellage verfügt Brasilien mit dem Sistema Único de Saúde (SUS) über ein kostenloses und universelles öffentliches Gesundheitssystem (vgl. Bertelsmann-Stiftung, BTI 2022 Country Report Brazil, S. 24). Das SUS ist eines der größten und komplexesten öffentlichen Gesundheitssysteme der Welt, das von der einfachen bis hin zur komplexen Versorgung reicht und einen vollständigen, universellen und freien Zugang für die gesamte Bevölkerung des Landes gewährleistet (ZIRF/IOM, 1. Quartal 2020, Medizinische Versorgung). Mit einer sog. SUS-Karte, die auf Antrag erteilt wird, kann die Gesundheitsversorgung in den Gesundheitsinstituten und Krankenhäusern Brasiliens als Teil des SUS-Netzwerks genutzt und Arzneimittel kostenlos erhalten werden (ZIRF/IOM, aaO). Im privaten Sektor ist das medizinische Versorgungsangebot zumindest in den großen Städten überwiegend auf westeuropäischem Standard. (vgl. AA, Brasilien: Reise- und Sicherheitshinweise, aufgerufen am 23.4.2025; BFA, Länderinformationsblatt der Staatendokumentation Brasilien, Stand 26.7.2018, S. 17 ff.) Es ist aufgrund der individuellen Lebenssituation Antragstellerin zu 2) nicht davon auszugehen, dass diese nicht im Stande sein sollte, die notwendigen finanziellen Mittel für ihre etwaige Behandlung zu erlangen.
28
3. Schließlich begegnen auch die Abschiebungsandrohung und Befristungsentscheidung des verfügten Einreise- und Aufenthaltsverbotes keinen ernstlichen Zweifeln an der Rechtmäßigkeit. Insbesondere stehen der Abschiebungsandrohung gemäß § 34 Abs. 1 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG nach dem im einstweiligen Rechtsschutz gebotenen Prüfungsmaßstab und -umfang des § 36 Abs. 4 Satz 2 und 3 AsylG keine Kindeswohlbelange bzw. familiären Bindungen im Sinne von Art. 5 der RL 2008/115/EG (Rückführungsrichtlinie) entgegen, die nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs (EuGH, B.v. 15.02.2023 – Rs. C-484/22 – Rn. 24f) grundsätzlich bereits im Rahmen des Erlasses eine Abschiebungsandrohung zu berücksichtigen sind. Denn der minderjährige Sohn der Antragstellerin zu 2), Victor Gabriel Araujo de Paula Candido, geboren am 25. Oktober 1990, ist gleichermaßen Adressat des streitgegenständlichen Bescheids, der mangels gerichtlicher Anfechtung in seinem Namen mittlerweile in Bestandskraft erwachsen ist, zumal die Antragsteller selbst in ihrer Klage- und Antragsschrift mitteilen, dass der Sohn freiwillig in sein Heimatland Brasilien zurückkehren wird und die Antragstellerin zu 2) als alleinige Sorgeberechtigte ihr Einverständnis zu dessen Rückführung erteilt hat.
29
Sonach war der Antrag mit der Kostenfolge des §§ 154 Abs. 1, 159 Satz 2 VwGO abzulehnen; nach § 83b AsylG werden Gerichtskosten nicht erhoben.
30
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 80 AsylG).