Inhalt

VG Bayreuth, Urteil v. 20.03.2025 – B 4 K 23.741
Titel:

Natürliche Betrachtungsweise, Keine Verlängerung einer bestehenden Anbaustraße, Aufgabe des ursprünglichen Bauprogramms wegen Unterbrechung des Weiterbaus über eine lange Zeit, Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage, Eintritt der Vorteilslage, Nachholung der Widmung nach Erlass des Beitragsbescheids, Kosten für die Errichtung einer Linksabbiegespur auf einer Staatsstraße

Normenketten:
KAG Art. 5a
KAG Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1
BauGB §§ 125, 127 ff.
Schlagworte:
Natürliche Betrachtungsweise, Keine Verlängerung einer bestehenden Anbaustraße, Aufgabe des ursprünglichen Bauprogramms wegen Unterbrechung des Weiterbaus über eine lange Zeit, Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage, Eintritt der Vorteilslage, Nachholung der Widmung nach Erlass des Beitragsbescheids, Kosten für die Errichtung einer Linksabbiegespur auf einer Staatsstraße
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20367

Tenor

1. Der Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2022 (Az.: …) in Gestalt des Widerspruchbescheids des Landratsamts … vom 8. August 2023 wird aufgehoben.
Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
2. Die Klägerin trägt 63 % und die Beklagte 37 % der Kosten des Verfahrens.
3. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
4. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 v.H. des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.   

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen für drei ihrer Grundstücke in der Gemarkung … Die Klägerin ist Alleineigentümerin des Grundstücks FlNr. 106/26 (B. …-Straße, ….), Gemarkung …, und gemeinsam mit ihrem Ehemann jeweils zu 1/2 Eigentümerin der Grundstücke FlNrn. 106/27 und 106/28 (B. …-Straße . und, ….), jeweils Gemarkung … Das Grundstück mit der FlNr. 106/26, Gemarkung …, ist mit einem Wohnhaus und einer Garage, das Grundstück mit der FlNr. 106/27, Gemarkung …, mit einer Garage sowie einem überdachten Schwimmbecken und das Grundstück mit der FlNr. 106/28, Gemarkung …, mit einer Garage bebaut.
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Die Beklagte hat am 9. Dezember 1987 eine Erschließungsbeitragssatzung (im Folgenden: EBS) erlassen, welche zuletzt mit der Änderungssatzung vom 10. Oktober 2001 abgeändert wurde.
3
Die klägerischen Grundstücke liegen im westlichen Teil von … Dieses Gebiet kann nur von der Staatsstraße St. … aus angefahren werden; für den von Westen kommenden Verkehr wurde im Verlauf dieser Staatsstraße hierfür eine Linksabbiegespur angelegt. Die Linksabbiegespur führt zur Straße „S. …“, die auf dem Grundstück FlNr. 118/9, Gemarkung …, errichtet wurde. Die Straße „S. …“ verläuft von der Staatsstraße St. … aus betrachtet in nördliche Richtung. Ca. 40 m nach ihrem südlichen Beginn zweigt von ihr eine Stichstraße in östliche Richtung ab. Einige Meter danach verläuft die Straße „S. …“ über eine Rechtskurve weiter in Richtung Norden. In Richtung Westen schließt an dieser Stelle in einer Linkskurve die „B. …-Straße“ an die Straße „S. …“ an. Die „B. …-Straße“ verläuft auf den Grundstücken mit den FlNrn. 118/10 und 106/9, jeweils Gemarkung …, weiter in Richtung Westen bis sie in einem Wendehammer endet. Auf Höhe der Grundstücke mit den FlNrn. 106/59 und 106/34, jeweils Gemarkung …, befindet sich der Einmündungsbereich von der „B. …-Straße“ in die Straße „…N. …“.
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Der westliche Teil von … liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… West“, welcher am 1. April 1995 ortsüblich bekannt gemacht wurde, und des Bebauungsplans „… West II“, welcher am 1. September 1997 ortsüblich bekannt gemacht wurde. Im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… West“ liegt ein Teil der Staatsstraße St. …, u.a. die Linksabbiegespur, sowie das nordöstlich der Staatsstraße St. … liegende Gebiet des Ortsteils „… West“. Im Geltungsbereich dieses Bebauungsplans liegt auch die Straße „S. …“ sowie das sich auf der FlNr. 118/10, Gemarkung …, befindende Straßenstück der „B. …-Straße“. Der Geltungsbereich des Bebauungsplans „… West II“ schließt unmittelbar an die nordwestliche Grenze des Geltungsbereichs des Bebauungsplans „… West“ an und überplant das nordwestliche Gebiet. Im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… West II“ liegt das Straßenstück der „B. …-Straße“, welches auf dem Grundstück FlNr. 106/9, Gemarkung …, verläuft, sowie die Straße „…N. …“. Auch die klägerischen Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… West II“. Für das Gebiet „… West II“ setzt der Bebauungsplan ein allgemeines Wohngebiet fest. Im gesamten Gebiet dürfen max. zwei Vollgeschosse errichtet werden, wobei das zweite Vollgeschoss im Dachgeschoss liegen muss. Bei günstiger Hanglage ist der Ausbau des talseitigen Untergeschosses vorgesehen.
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Mit der Herstellung der Linksabbiegespur auf der Staatsstraße St. …, der Straße „S. …“ und des Straßenstückes der „B. …-Straße“, welches auf dem Grundstück mit der FlNr. 118/10, Gemarkung …, liegt, wurde entsprechend der vorgelegten Baustellentagesberichte im Jahr 1995 begonnen. In einer Anzeige im Staatsanzeiger schrieb die Beklagte am 3. Juli 1995 die Straßenbauarbeiten im Erschließungsgebiet „…-West I“ aus. Als Baubeginn wurde der 28. August 1995 genannt. Als Datum der Fertigstellung der Tragschicht wurde der 30. November 1995 und als Datum der Fertigstellung des Deckenbaus der 30. Mai 1996 angegeben. Die Schlussrechnung der Fa. … stammt vom 30. September 1996/10. Dezember 1996. Die öffentliche Bekanntmachung der Widmung der Straße „S. …“ als Orts straße vom 15. Dezember 1995 erfolgte im Amtlichen Mitteilungsblatt der Verwaltungsgemeinschaft … vom 29. Dezember 1995. Ausweislich eines Messnachtrags vom 29. März 1996 seien von der FlNr. 106, Gemarkung …, u.a. 294 m² weggemessen und als FlNr. 118/10, Gemarkung …, neu gebildet worden.
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Am 10. August 1999 beschloss der Gemeinderat der Beklagten die Durchführung der Erschließungsplanung für das Baugebiet „… West II“. Ein Aktenvermerk vom 19. Januar 2000 über ein Abstimmungsgespräch der Beklagten mit dem Planungsbüro weist aus, dass die Beklagte noch in diesem Jahr einen ersten Teilbauabschnitt, der die Straße „…N. …“, den Planweg 1 und eventuell auch den Planweg 2 umfasse, realisieren wolle. Ein weiterer Aktenvermerk vom 16. Februar 2000 enthält die Angabe, dass der Gemeinderat der Beklagten der Planung des Planungsbüros zugestimmt habe. Der Bauabschnitt, welcher bis Ende 2000 abgeschlossen sein solle, umfasse u.a. den Straßenbau des Straßenteils „…N. …“ und den Anschluss zum Straßenteil „B. …-Straße“ bis zum Einmündungsbereich; dem Aktenvermerk war als Anlage ein undatierter Planauszug beigefügt. Mit Schreiben vom 17. Februar 2000 teilte die Beklagte der Planungsgruppe … mit, dass die Entwurfsplanung für den Straßenbau, die Entwässerung und die Wasserversorgung in der letzten Gemeinderatssitzung am 8. Februar 2000 vorgestellt und grundsätzlich befürwortet worden seien. Beim Straßenbau sollten einige Änderungen (werden dargestellt) umgesetzt werden. Die Auftragsvergabe für die Errichtung der Straße „…N. …“ und eines ca. 35 m langen Straßenstücks der „B. …-Straße“ auf dem Grundstück FlNr. 106/9, Gemarkung …, das im Bereich der Eimündung zur Straße „…N. …“ liegt und entlang der klägerischen Grundstücke mit den FlNrn. 106/26 und 106/27, jeweils Gemarkung …, verläuft, wurde am 20. April 2000 erteilt. Ein Aktenvermerk vom 8. Juni 2000 weist aus, dass die Baueinweisung für den Nachunternehmer am 8. Juni 2000 stattfinden solle. Als Baubeginn sei der 19. Juni 2000 vorgesehen, Bauende sei der 31. August 2000. Entsprechend eines Aktenvermerks vom 6. Juli 2000 habe der Nachunternehmer für den Straßenbau an diesem Tag mit den Arbeiten begonnen. Die Achsabsteckung sei bereits durch die Planungsgruppe … erfolgt. In einem Aktenvermerk vom 10. Juli 2000 wird ausgeführt, dass im Jahr 1994 bei Abschluss des Ingenieurvertrags für die Erschließungsanlage und gleichzeitig mit der Erstellung des Ingenieurvertrags für den Bebauungsplan der Umfang und die technischen Notwendigkeiten für die Erschließungsanlagen noch nicht bekannt gewesen seien. In einem Aktenvermerk vom 20. Juli 2000 sind Informationen zum Straßenbau enthalten. Ein Aktenvermerk vom 3. August 2000 weist u.a. aus, dass am morgigen Tag mit dem Pflastern der Einfassungen und der 3-zeiligen Muldenrinne begonnen werde. Entsprechend des Baustellentagesberichts vom 3. August 2000 sei an diesem Tag mit dem Schotterplanum begonnen worden. Die förmliche Abnahme der errichteten Straßen fand am 31. August 2005 statt, als Datum des Bauendes wurde dabei der 31. August 2000 genannt.
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Der Grundstückseigentümer der Grundstücke mit den FlNrn. 106/45 und 106/46, jeweils Gemarkung …, fragte mit Schreiben vom 21. Juli 2003 bei der Beklagten an, wann mit einer Erschließung seiner Grundstücke zu rechnen sei, da er gerne noch im Jahr 2003 aufgrund staatlicher Fördermittel einen Bauplan einreichen wolle. Der Gemeinderat der Beklagten stimmte in der Sitzung am 22. Juli 2003 einstimmig dafür, wegen der noch nicht absehbaren Erschließung einer Genehmigungsfreistellung nicht zuzustimmen und teilte dies dem Eigentümer der Grundstücke FlNr. 106/45 und 106/46, jeweils Gemarkung …, mit Schreiben vom 25. Juli 2003 mit. Zu einer daraufhin erfolgten Beschwerde dieses Grundstückseigentümers beim Landratsamt … (im Folgenden: Landratsamt) vom 6. Dezember 2004 nahm die Beklagte mit Schreiben vom 26. November 2004 dahingehend Stellung, dass an der geplanten Erschließungsanlage „B. …-Straße“ (FlNrn. 106/9 und 118/10, jeweils Gemarkung ….) 15 Baugrundstücke anlägen, von denen derzeit erst neun Grundstücke verkauft seien. Sechs Baugrundstücke befänden sich noch im Eigentum der ursprünglichen Grundstückseigentümerin, der Familie …, welche auch Eigentümerin der geplanten Straßenfläche FlNr. 106/9, Gemarkung …, sei. Um haushaltsrechtlich eine Sicherheit wegen der Bezahlung der Erschließungskosten zu haben, habe sich der Gemeinderat der Beklagten vor vielen Jahren folgende Richtschnur vorgegeben: Es sollten danach nur solche Baugebiete erschlossen werden, bei denen von den beitragspflichtigen Grundstücken mindestens 2/3 verkauft worden seien und wo gewährleistet sei, dass die Erschließungsbeiträge bezahlt würden. Zudem setze die Erschließung noch die Abtretung der Grundstücksfläche FlNr. 106/9, Gemarkung …, voraus; hierfür fehle die Zustimmung der Familie … Die Durchführung einer Enteignung sei im Gemeinderat der Beklagten nicht mehrheitsfähig und die entsprechenden Enteignungsvoraussetzungen würden nicht vorliegen.
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Mit Schreiben an das Landratsamt vom 19. November 2015 beschwerte sich der Eigentümer der Grundstücke mit den FlNrn. 106/45 und 106/46, jeweils Gemarkung …, darüber, dass es seit 13 Jahren keine erkennbaren Fortschritte im Baugebiet „… West II“ gebe und noch keine Erschließung seiner Baugrundstücke erfolgt sei. Die Beklagte machte dem Eigentümer der Grundstücksfläche FlNr. 106/9, Gemarkung …, mit den Schreiben vom 21. März 2016 und vom 30. September 2016 Kaufangebote und informierte sich über Enteignungsmöglichkeiten. Der Gemeinderat der Beklagten beschloss in der Sitzung am 13. November 2017, ein Verkaufsangebot des Eigentümers für den Erwerb der Grundstücksfläche mit der FlNr. 106/9 (1.027 m²), Gemarkung …, sowie der Fläche mit der FlNr. 106/12 (507 m²), Gemarkung …, anzunehmen. Der entsprechende Kaufvertrag wurde mit notarieller Urkunde vom 3. Mai 2018 geschlossen. Die Eintragung im Grundbuch erfolgte am 6. Juni 2018. Aus einem Aktenvermerk vom 8. Mai 2018 geht hervor, dass die Planungsgruppe … mit Datum vom 30. März 2000 eine Entwurfsplanung zur Erschließung des Baugebietes „… West II“ erarbeitet habe. Die Ausführung der Fortführung der „B. …-Straße“ und des Planweges 3 solle entsprechend dieses Planungsentwurfs erfolgen. Abweichend von der Entwurfsplanung sollten in der „B. …-Straße“ die beiden geplanten Baumpflanzbeete im Mehrzweckstreifen entfallen und der Streifen durchgezogen werden. Die aktuellen Vorschriften und Richtlinien seien zu beachten. Der Gemeinderat der Beklagten beschloss am 4. Juni 2018 die Auftragsvergabe der Ingenieurleistungen für den Weiterbau der „B. …-Straße“ auf dem Grundstück FlNr. 106/9, Gemarkung …, bis zum Wendehammer. Ein ergänzender Ingenieurvertrag stamme vom 9. Mai 2018. Die Auftragsvergabe für den Straßenbau erfolgte mit Schreiben vom 30. August 2018. Laut den Baustellentagesberichten zur Bauausführung fanden am 25. März 2019 Vorarbeiten statt. Mit dem Erdaushub wurde am 27. März 2019 begonnen. Der Straßenbau wurde am 16. Juli 2019 abgenommen.
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Die vom Bürgermeister der Beklagten unterzeichnete „Widmung von Ortsstraßen“ vom 11. November 2022 weist aus, dass der Gemeinderat der Beklagten am 14. September 2020 die Widmung des Straßenzuges „B. …-Straße“ auf den FlNrn. 106/9 und 118/10, jeweils Gemarkung …, mit einer Länge von 0,164 km beschlossen habe. Als Anfangspunkt ist die Einmündung „S. …“ und als Endpunkt der Wendehammer an der nördlichen Grundstücksgrenze FlNr. 106/9, Gemarkung …, genannt. Die Straße wurde mit Eintragungsverfügung vom 6./10. November 2020 in das Bestandsverzeichnis der Gemeindestraßen (Gemeindeverbindungs-, Ortsstraßen) eingetragen. Die Widmung wurde im Amtlichen Mitteilungsblatt der Verwaltungsgemeinschaft … vom 9. Dezember 2022 bekannt gemacht.
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Mit drei Bescheiden vom 6. Oktober 2022 setzte die Beklagte gegenüber der Klägerin für die Erschließungsanlage „Straßenerschließung B. …-Straße“ für das Grundstück FlNr. 106/26, Gemarkung …, einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 21.206,28 EUR (Az.: ….), für das Grundstück mit der FlNr. 106/27, Gemarkung …, einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 18.051,88 EUR (Az.: ….) und für das Grundstück mit der FlNr. 106/28, Gemarkung …, einen Erschließungsbeitrag in Höhe von 18.208,04 EUR (Az.: ….) fest.
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Zur Begründung wurde in den Bescheiden jeweils ausgeführt, dass sich der Erschließungsbeitrag nach der Grundstücksfläche und dem Verteilungsschlüssel des § 6 der EBS auf die durch die „Straßenerschließung B. …-Straße“ erschlossenen Baugrundstücke (Summe der Nettogrundstücksflächen 11.417,03 m²) verteile. Alle klägerischen Grundstücke seien durch die Erschließungsmaßnahme erschlossen und deshalb beitragspflichtig. Von den tatsächlichen Kosten der Herstellung der Anlage und des Grundstückserwerbs (304.762,78 EUR) seien 10% als Eigenanteil der Gemeinde (30.476,28 EUR) abzuziehen. Der anderweitig nicht gedeckte und beitragsfähige Erschließungsaufwand in Höhe von 274.286,50 EUR sei der Errechnung der jeweiligen Erschließungsbeiträge für die klägerischen Grundstücke zugrunde gelegt worden. Die Grundstücksflächen seien je nach Anzahl der Vollgeschosse mit einem entsprechenden Nutzungsfaktor multipliziert worden. Für das Grundstück FlNr. 106/26, Gemarkung …, wurde so bei einer abrechenbaren Grundstücksfläche von 679,00 m² und einem Nutzungsfaktor von 1,3 ein Flächenansatz von 882,70 m² ermittelt, sodass bei einem Erschließungsbeitrag je m² in Höhe von 24,024330 EUR/m² ein zu zahlender Erschließungsbeitrag für dieses Grundstück in Höhe von 21.206,28 EUR berechnet wurde. Für das Grundstück FlNr. 106/27, Gemarkung …, wurde unter Berücksichtigung einer abrechenbaren Grundstücksfläche von 751,40 m³, einem Nutzungsfaktor von 1,30, einem Flächenansatz von 751,40 m² und einem Erschließungsbeitrag je m² in Höhe von 24,024330 EUR/m² ein zu zahlender Erschließungsbeitrag in Höhe von 18.051,88 EUR ermittelt. Der Berechnung des festgesetzten Erschließungsbeitrags für das Grundstück FlNr. 106/28, Gemarkung …, in Höhe von 18.208,04 EUR lagen eine Grundstücksfläche von 583,00 m², ein Nutzfaktor von 1,3, ein Flächenansatz von 757,90 m³ und ein Erschließungsbeitrag je m² in Höhe von 24,024330 EUR/m² zugrunde.
12
Mit Schreiben ihrer Bevollmächtigten vom 3. November 2022 – Eingang bei der Beklagten am 4. November 2022 – ließ die Klägerin gegen die Bescheide vom 6. Oktober 2022 Widerspruch einlegen und unter dem 5. Dezember 2022 begründen. Die Beklagte legte den Widerspruch dem Landratsamt zur Entscheidung vor.
13
Mit Widerspruchsbescheid vom 8. August 2023 wurde der Widerspruch der Klägerin zurückgewiesen. Zur Begründung führte die Widerspruchsbehörde aus, die Beklagte müsse nach Art. 5a des Kommunalabgabengesetzes (KAG) i.V.m. §§ 127 ff. des Baugesetzbuches (BauGB) und der EBS für den anderweitig nicht gedeckten Herstellungsaufwand einer Erschließungsanlage Erschließungsbeiträge erheben. Nach der natürlichen Betrachtungsweise bilde die komplette „B. …-Straße“ vom Wendehammer bis zur Einmündung in die Straße „S. …“ und der südliche Teil der Straße „S. …“ ab der Hausnummer 5 bis zur Einmündung in die Staatsstraße inklusive der kurzen, einfahrtsähnlichen Stichstraße nördlich der FlNr. 122/3, Gemarkung …, eine Anlage. Obwohl für die Bestimmung der abzurechnenden Anlage im Erschließungsbeitragsrecht grundsätzlich diese natürliche Betrachtungsweise gelte, zerfalle die Erschließungsanlage „Südliches Teilstück S. …B. …-Straße“ in Anwendung des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG rechtlich in zwei separat zu betrachtende Teile. Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG sei in der vorliegenden Konstellation anwendbar. So liege bei dem im Bebauungsplan „… West“ liegenden Teilstück der Erschließungsanlage „Südliches Teilstück S. …B. …-Straße“ der Herstellungsbeginn mehr als 25 Jahre zurück. Bei dem anderen, sich im Bebauungsplan „… West II“ befindlichen Teilstück, liege der Baubeginn keine 25 Jahre zurück. Der Beginn der Bauarbeiten auf dem Grundstück FlNr. 106/9, Gemarkung …, sei im Jahr 1998, die zielgerichtete Herstellung der „B. …-Straße“ (FlNr. 106/9, Gemarkung ….) sogar noch später erfolgt. Für den älteren Teil könne gemäß Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG kein Erschließungsbeitrag mehr erhoben werden, da der Baubeginn bereits 1995 gewesen sei. Für den erst später hergestellten Teil seien, wie Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG klarstelle, Erschließungsbeiträge zu erheben, da für diesen Teil der Bürger kein berechtigtes Vertrauen bilden konnte, dass kein Erschließungsbeitrag mehr erhoben werden könne. Es sei gerade kein lange zurückliegender, in tatsächlicher Hinsicht abgeschlossener Vorgang gegeben, der Anknüpfungspunkt für neue Lasten bilden würde. Die Grundstücke der Klägerin lägen am neuen Teil, für den noch Erschließungsbeiträge zu erheben seien. Erschlossen sei in aller Regel das gesamte Baugrundstück; wo die Einfahrt liege oder Garagen festgesetzt seien, spiele keine Rolle. Entsprechend des vom Bundesverwaltungsgericht (8 C 75.88) aufgestellten Grundsatzes, dass auch Kosten für außerhalb der eigentlichen Erschließungsanlage erforderlich werdenden Maßnahmen (z.B. Ausgleichsflächen für Eingriffe in Natur und Landschaft, Linksabbiegespur) zum beitragsfähigen Aufwand gehören könnten, handele es sich bei der Linksabbiegespur um eine Einrichtung, die für die erstmalige Herstellung der „B. …-Straße“ (und weiterer Straßen) erforderlich sei, die gleichwohl aber nicht Teil der Erschließungsanlage sei. Da sie nicht Bestandteil der Anlage sei, habe die Errichtung der Linksabbiegespur keinen Einfluss auf die In-Gang-Setzung der 25-Jahresfrist. Die Aufteilung der Kosten für die Linksabbiegespur auf die Straßen „S. …“, „…N. …“, „B. …-Straße“ und „Z. …M. …“ entspreche der Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (6 B 00.749 und 6 B 00.860), nach der beim Vorliegen eines „isolierten“ Baugebietes, das, wie im vorliegenden Fall, ausschließlich über die höher qualifizierte Straße angefahren werden könne, die einmündungsbedingten Kosten auf alle erschlossenen Grundstücke innerhalb eines Baugebietes zu verteilen seien. Die Beitragspflicht könne frühestens mit der Widmung einer Anlage entstehen, vorher könnten jedoch Vorausleistungen in gleicher Höhe erhoben werden. Da die letzte Unternehmerrechnung eingegangen sei, mithin die Höhe des Aufwands bei Bescheiderlass bereits in exakter und endgültiger Höhe festgestanden habe, könne die nochmalige Festsetzung – nach nunmehr erfolgter Widmung – als obsolet angesehen werden. Der Widerspruchsbescheid wurde der Bevollmächtigten der Klägerin gegen Empfangsbekenntnis am 14. August 2023 zugestellt.
14
Hiergegen ließ die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Bevollmächtigten vom 13. September 2023 – Eingang beim Bayerischen Verwaltungsgericht Bayreuth am 14. September 2023 – Klage erheben und mit Schriftsatz vom 13. Dezember 2023 beantragen,
1.
Die Bescheide der Beklagten vom 6. Oktober 2022 Az. … … Objekt-Nr.: … … PK-Nr.: … (Fl.Nr. 106/26), Az. … … Objekt-Nr.: . … PK-Nr.: … (Fl.Nr. 106/27) sowie Az. … … Objekt-Nr.: . … PK-Nr.: … (Fl.Nr. 106/28) sowie der Widerspruchsbescheid des Landratsamts vom 8. August 2023, Az. … werden aufgehoben.
2.
Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren wird für notwendig erklärt.
15
Zur Begründung wurde ausgeführt, dass die gesamte „B. …-Straße“ vom Wendehammer bis zur Einmündung in die Straße „S. …“ und der Teil der Straße „S. …“ der dann in die Staatsstraße münde, als einheitliche Erschließungsanlage zu betrachten sei. Entgegen der Ausführungen im Widerspruchsbescheid könne die Erschließungsanlage nicht in Teilstrecken aufgeteilt werden, da die Weiterführung der „B. …-Straße“ in Richtung Westen stets erkennbar und geplant gewesen sei (wird näher erläutert). Selbst wenn dem nicht so wäre, müsste beachtet werden, dass der ca. 8 m lange Bereich der Grundstückszufahrt und Garage des klägerischen Grundstücks FlNr. 106/26, Gemarkung …, an das Teilstück „S. …B. …-Straße 1“ angrenze, sodass diese Grundstücksfläche aus der Berechnung herauszunehmen wäre. Darüber hinaus sei mit der Herstellung der Linksabbiegespur spätestens im Jahr 1995 technisch begonnen worden. Damit sei – unabhängig von einer rechtlichen Trennung der beiden Ausbaugebiete – der Beginn der Maßnahme auf 1995 zu datieren. Es könne sein, dass Kosten für diese Spur erst im Jahr 1999 errechnet worden seien, für Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG komme es aber nicht auf diesen Zeitpunkt, sondern auf den des Beginns der technischen Herstellung an. Es könne nicht sein, dass Kosten für die Linksabbiegespur in den streitgegenständlichen Erschließungsbeiträgen berücksichtigt worden seien, gleichzeitig aber der Baubeginn der Erschließungsanlage unabhängig von der Errichtung der Linksabbiegespur bestimmt werde, weil diese mit dem rechtlich zu trennenden Baugebiet nichts zu tun habe. Zum Zeitpunkt des Erlasses der Erschließungsbeitragsbescheide am 6. Oktober 2022 sei die Orts straße „B. …-Straße“ noch nicht gewidmet gewesen. Die Veröffentlichung der Widmung sei auf den 11. November 2022 datiert, sodass es zum Zeitpunkt der Bescheiderlasse an der endgültigen Herstellung der Erschließungsanlage gefehlt habe.
16
Die Beklagte ließ mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 17. Oktober 2023 beantragen,
die Klage abzuweisen.
17
Unter dem 10. Januar 2024 erwiderte die Beklagtenseite, dass sich der Beginn der technischen Herstellung ca. im Jahr 1993 nur auf die Teilstrecke der „B. …-Straße“ auf dem Grundstück FlNr. 118/10, Gemarkung …, bezogen habe, sodass die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für die Herstellung der Teilstrecke auf der FlNr. 106/9, Gemarkung …, nach Art. 5a Abs. 7 Satz 3 KAG gerade nicht ausgeschlossen sei. Mit der Herstellung der Teilstrecke auf dem Grundstück FlNr. 106/9, Gemarkung …, sei nicht vor dem Jahr 1998 begonnen worden. Die Errichtung dieses Teils sei daher zu einem Zeitpunkt begonnen worden, der zum Zeitpunkt der Bescheiderlasse noch keine 25 Jahre zurückgelegen habe. Vorliegend seien auch ausschließlich diejenigen Kostenanteile betreffend die Erschließungsmaßnahmen jenseits der Teilstrecke FlNr. 118/10, Gemarkung …, durch die Beiträge erfasst worden. Die bloße Planung der Erweiterung nach Westen sowie die Betrachtung als einheitliche Erschließungsanlage stehe der möglichen Erhebung eines Erschließungsbeitrags, wie vorliegend geschehen, nicht entgegen. Bezüglich der Linksabbiegespur werde darauf verwiesen, dass nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts die Kosten für eine außerhalb der Erschließungsanlage liegende Maßnahme dem beitragsfähigen Aufwand zugehörig seien, soweit diese Maßnahme eine Einrichtung sei, die für die erstmalige Herstellung der Erschließungsanlage notwendig sei. Dies sei bei der Linksabbiegespur der Fall. Nachdem es sich jedoch um eine Maßnahme außerhalb der eigentlichen Erschließungsanlage handele, greife die zeitliche Grenze der Ergebung von Beiträgen nach Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG hierfür nicht, da Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG explizit auf die erstmalige technische Herstellung der Erschließungsanlage bzw. deren Beginn abstelle. Die anteiligen Kosten der Linksabbiegespur hätten somit, obwohl mit ihrer technischen Herstellung bereits im Jahr 1995 begonnen worden sei, mit den Erschließungskosten der hier maßgeblichen Anlage abgerechnet werden können. Hinsichtlich der Widmung sei anzumerken, dass zwar die Umdeutung eines rechtswidrigen Erschließungsbescheides in einen Vorausleistungsbescheid unzulässig sei, hier aber der Sonderfall beachtet werden müsse, dass ausschließlich die Widmung für die Entstehung der sachlichen Beitragspflicht bei Erlass der Bescheide gefehlt habe, die letzte Unternehmerrechnung hingegen bereits vorgelegen habe. Nichtsdestotrotz seien die Bescheide zwischenzeitlich rechtmäßig geworden, da die fehlende Widmung während des Widerspruchsverfahrens nachgeholt worden sei, sodass eine Heilung ex nunc eingetreten sei und die Bescheide entsprechend der obergerichtlichen Rechtsprechung nicht der Aufhebung unterlägen.
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Mit Schriftsatz vom 2. Oktober 2024 führte der Bevollmächtigte der Beklagten – nach entsprechender Aufforderung durch das Gericht vom 6. September 2024 – aus, die Baugebiete „… West“ und „… West II“ seien über eine gemeinsame Linksabbiegespur erschlossen. In einer Aufstellung ohne Datumsangabe (als Anlage beigefügt) sei von der Verwaltung die Einteilung der beiden durch die Linksabbiegespur erschlossenen Baugebiete vorgenommen worden. Mit Schreiben vom 20. Dezember 1994 habe das Staatliche Straßenbauamt … (im Folgenden Staatliches Straßenbauamt) der Beklagten im Rahmen der öffentlichen Auslegung vom 9. Dezember 1994 bis 9. Januar 1995 zur Aufstellung des Bebauungsplans „… West“ mitgeteilt, dass außer der geplanten Erschließungsstraße keine weiteren unmittelbaren Zufahrten zur Staatsstraße angelegt werden dürften bzw. bestehende Zufahrten aufzulassen seien. Folglich sei diese Stellungnahme in die Planung mit aufgenommen und im Satzungsbeschluss vom 10. Januar 1995 beschlossen worden. Das Baugebiet „… West“ sei durch die Planung so weit vorgeplant worden, dass eine Erweiterung mit dem Baugebiet „… West II“ bereits bei Anlage der Linksabbiegespur vorgesehen gewesen sei. Die „Vereinbarung zum Bau einer Linksabbiegespur am westlichen Ortsausgang von …“ sei vom Staatlichen Straßenbauamt und dem damaligen Bürgermeister der Beklagten am 8. September/22. September 1995 unterzeichnet worden. Ein vorheriger zustimmender Gemeinderatsbeschluss habe dem zugrunde gelegen. Zeitlich und planerisch parallel dazu sei mit der Aufstellung des Bebauungsplans „… West II“ begonnen worden, dessen Planstraße B zur heutigen „B. …-Straße“ geworden sei. Während der Anhörung der Träger öffentlicher Belange habe das Staatliche Straßenbauamt wiederholt, dass es keine weitere Zufahrt auf die Staatsstraße geben dürfe, was in der Sitzung des Gemeinderats am 4. Februar 1997 gebilligt worden sei. Die Abrechnung mit dem Staatlichen Straßenbauamt sei mit Feststellung vom 18. August 1998 erfolgt. Durch die geschaffene Linksabbiegespur würden die Erschließungsstraßen „S. …“, „…N. …“, „B. …-Straße“ und „Z. …M. …“ erschlossen. Auf die „B. …-Straße“ entfielen laut Berechnung 8.139,33 m², was einen prozentualen Anteil von 18,734% an der Gesamtfläche betrage. Somit seien von den Gesamtkosten in Höhe von 146.212,90 DM zur Errichtung der Linksabbiegespur der „B. …-Straße“ 27.391,95 DM (= 14.005,28 EUR) zuzurechnen, welche auf die einzelnen Grundstücke umgelegt worden seien. Final sei das Landratsamt um Stellungnahme gebeten worden, welche anfallenden Kosten beitragsfähig seien. Laut Mitteilung vom 22. September 1998 seien die Kosten der Herstellung der Linksabbiegespur auf der Staatsstraße teilweise nicht beitragsfähig, da es sich hierbei nur um Unterhaltskosten gehandelt habe. Die Beklagte habe die Erschließung der Linksabbiegespur zeitgleich mit den Erschließungen des Gehweges zur „L. …straße“, des Fußweges zur „F. …straße“ und der Straße „S. …“ vorangetrieben, sodass die vier Maßnahmen in einem Gesamtpaket im Staatsanzeiger ausgeschrieben worden seien. Die ca. 15-jährige Unterbrechung zum Weiterbau der „B. …-Straße“ auf dem Grundstück FlNr. 106/9, Gemarkung …, erkläre sich dadurch, dass die Beklagte keine Eigentümerin des Grundstücks gewesen sei. Der Eigentumserwerb der für die Erschließungsanlage notwendigen Grundstücke FlNr. 106/9 und 106/12, jeweils Gemarkung …, sei erst im Jahr 2018 erfolgt. Bereits ab dem 21. März 2016 habe der jetzige Bürgermeister die gemeindlichen Bemühungen zum Erwerb vorangetrieben und sogar die Möglichkeiten eines Enteignungsverfahrens abgeklärt. Im Übrigen wurden die Einzelmaßnahmen zu den Erschließungsmaßnahmen näher erläutert.
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Am 21. Oktober 2024 erfolgte durch die Berichterstatterin als beauftragte Richterin eine Inaugenscheinnahme der örtlichen Verhältnisse im Bereich der „B. …-Straße“. Bezüglich der Ergebnisse dieser Inaugenscheinnahme wird auf das Protokoll vom 21. Oktober 2024 verwiesen. Mit gerichtlichen Schreiben vom 29. Oktober 2024 und vom 12. November 2024 wurde die Beklagte zur Vorlage weiterer Unterlagen aufgefordert. Unter dem 13. November 2024 teilte der Beklagtenbevollmächtigte dem Gericht mit, dass keine (weitere) Erschließungsplanung für den zweiten Bauabschnitt, sprich die Erschließung der Straße „…N. …“, insbesondere die vom Gericht angeforderte Entwurfsplanung vom 30. März 2000, gefunden werden konnte. Lediglich die bereits übermittelte Bestandsplanung vom 30. Oktober 2000 habe aufgefunden werden können.
20
Am 21. November 2024 fand eine mündliche Verhandlung statt, im Rahmen derer das Gericht seine vorläufige Rechtsansicht dergestalt äußerte, dass der östliche Teil der „B. …-Straße“, welcher im ersten und zweiten Bauabschnitt (bis 2000) fertiggestellt worden sei, und der Teil der „B. …-Straße“, welcher im dritten Bauabschnitt (2019) errichtet worden sei, aus Rechtsgründen als zwei jeweils selbstständige Erschließungsanlagen anzusehen seien. Die im ersten und zweiten Bauabschnitt errichtete eigenständige Erschließungsanlage „B. …-Straße“, welche im Jahr 2000 baulich fertiggestellt worden sei, könne nach vorläufiger Einschätzung des Gerichts aufgrund der wohl eingetretenen Festsetzungsverjährung nicht mehr abgerechnet werden. Für die andere westlich gelegene selbstständige Erschließungsanlage dürfte dagegen die Erhebung von Erschließungsbeiträgen noch möglich sein. Das Gericht forderte die Beklagte zu Vergleichsberechnungen mit den Maßgaben auf, dass nur noch die Kosten des im Jahr 2019 errichteten Bauabschnitts der „B. …-Straße“ abrechenbar seien. Die Kosten für die Errichtung der Linksabbiegespur seien anteilig zu kürzen. Das Abrechnungsgebiet sei entsprechend der abzurechnenden Erschließungsanlage anzupassen, mit der Folge, dass sowohl das klägerische Grundstück FlNr. 106/26 als auch das Grundstück FlNr. 106/59, jeweils Gemarkung …, nicht mehr zu berücksichtigen seien. Bei dem Grundstück FlNr. 106/34, Gemarkung …, sei eine Ermäßigung nach § 6 Abs. 11 der EBS wegen Mehrfacherschließung zu berücksichtigen, beim klägerischen Grundstück FlNr. 106/27, Gemarkung …, hingegen nicht. Die Beteiligten verzichteten übereinstimmend auf die Durchführung einer weiteren mündlichen Verhandlung. Hinsichtlich des Verlaufs der mündlichen Verhandlung wird ergänzend auf das Sitzungsprotokoll vom 21. November 2024 Bezug genommen.
21
Mit Schriftsatz vom 20. Dezember 2024 legte die Beklagte die entsprechenden Vergleichsberechnungen vor. Hiernach würden sich die Kosten der Linksabbiegespur bzgl. der „B. …-Straße“ im dritten Bauabschnitt auf 11.846,62 EUR belaufen. Abzüglich des Eigenanteils der Beklagten von 10% ergebe sich ein umlagefähiger Erschließungsaufwand für die Erschließungsanlage in Höhe von 257.183,52 EUR und damit ein Beitragssatz von 28,3795 EUR/m². Auf die klägerischen Grundstücke mit den FlNrn. 106/27 und 106/28, jeweils Gemarkung …, würden somit Erschließungsbeiträge in Höhe von 21.324,36 EUR und 21.508,82 EUR entfallen.
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Das Gericht bat die Beklagte mit Schreiben vom 23. Dezember 2024 um Klärung, welche Leistungen unter den Abrechnungspositionen „Vermessungskosten Anteil Feldgeschworene 06.04.1998“ (11,81 EUR) und „Anteil Vermessungsamt Zerlegungskosten 25.05.1998“ (126,46 EUR) abgerechnet worden seien und inwieweit diese Kostenpositionen allein dem in dem Jahr 2019 errichteten Bauabschnitt der „B. …-Straße“ zuzurechnen seien. Hierauf ließ die Beklagte mit Schriftsatz ihres Bevollmächtigten vom 7. Januar 2025 vortragen, dass es sich um Kosten der Vermessung der Umfanggrenzen und Zerlegung für das Baugebiet „… West II“ handele. Die Kosten seien erforderlich gewesen, um das neue Baugebiet vermessungstechnisch abzustecken und daher dem hier maßgeblichen Abschnitt zuzurechnen. Die Klägerseite monierte mit Schriftsatz vom 3. Februar 2025 den Ansatz dieser Kostenpositionen, da diese auch den Bauabschnitt der „B. …-Straße“ im Eimündungsbereich zur Straße „…N. …“ betreffen würden. Eine anteilige Kürzung sei erforderlich. Daraufhin erklärte der Bevollmächtigte der Beklagten unter dem 21. Februar 2025, dass eine anteilige Aufteilung der Kosten schwierig sei, sodass die Beklagte den Betrag in Höhe von 138,27 EUR im Rahmen der Beitragsberechnung nicht mehr geltend mache.
23
Ergänzend wird nach § 117 Abs. 3 Satz 2 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) auf die Gerichtsakte und die vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
24
Das Gericht kann ohne mündliche Verhandlung entscheiden, da die Beteiligten hierzu ihr Einverständnis erklärt haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
II.
25
Die zulässige Klage hat in der Sache teilweise Erfolg. Der Beitragsbescheid vom 6. Oktober 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2023, durch welchen für das klägerische Grundstück FlNr. 106/26, Gemarkung …, ein Erschließungsbeitrag festgesetzt wurde, ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die durch zwei weitere Bescheide der Beklagten vom 6. Oktober 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2023 festgesetzten Erschließungsbeiträge betreffend die klägerischen Grundstücke mit den FlNrn. 106/27 und 106/28, jeweils Gemarkung …, sind der Höhe nach zwar rechtlich zu beanstanden, verletzen die Klägerin jedoch nicht in ihren Rechten.
26
1. Rechtsgrundlage für die Erschließungsbeitragsforderungen ist Art. 5a KAG, Art. 2 Abs. 1 KAG, §§ 127 ff. BauGB i.V.m. der EBS der Beklagten. Nach Art. 5a Abs. 1 KAG und § 1 der EBS erhebt die Beklagte zur Deckung ihres anderweitig nicht gedeckten Aufwands für Erschließungsanlagen einen Erschließungsbeitrag.
27
2. Die abrechenbare Erschließungsanlage ist vorliegend nicht, wie von der Beklagten bei Erlass der streitgegenständlichen Bescheide zugrunde gelegt, das Straßenstück der „B. …-Straße“, das auf dem Grundstück mit der FlNr. 106/9, Gemarkung …, verläuft. Zwar stellt der südliche Teil der Straße „S. …“, der auf Höhe der nordöstlichen Grenze des Grundstücks FlNr. 118/14, Gemarkung …, in die „B. …-Straße“ (FlNr. 118/10, Gemarkung ….) übergeht, samt der Stichstraße, welche nördlich der Grundstücke FlNrn. 122/3 und 122/3, jeweils Gemarkung …, verläuft und die „B. …-Straße“, die auf den Grundstücken FlNrn. 118/10 und 106/9, jeweils Gemarkung …, errichtet wurde, nach natürlicher Betrachtungsweise eine Erschließungsanlage dar (vgl. a.). Diese Erschließungsanlage zerfällt jedoch aus Rechtsgründen in zwei selbstständige Erschließungsanlagen. So bildet der südliche Bereich der Straße „S. …“ samt Stichstraße und das bis zum Jahr 2000 errichtete östliche Straßenstück der „B. …-Straße“, welches westlich des Einmündungsbereichs zur Straße „…N. …“ auf Höhe des klägerischen Grundstücks FlNr. 106/27, Gemarkung …, endet, eine selbstständige Erschließungsanlage. Das an diese Anlage anschließende und im Jahr 2019 hergestellte westliche Straßenteilstück der „B. …-Straße“ stellt wiederum eine eigenständige Erschließungsanlage dar (vgl. b.).
28
a. Die beitragsfähige Erschließungsanlage ist unabhängig vom Inhalt eines Bebauungsplans lediglich die (nach Maßgabe des einschlägigen Landesstraßenrechts öffentliche) Anlage in ihrem tatsächlich angelegten Umfang. Denn der Begriff der beitragsfähigen Erschließungsanlage ist nicht ein Begriff des Erschließungs- oder des Planungsrechts, sondern ein solcher des Erschließungsbeitragsrechts (BVerwG, U.v. 25.2.1994 – 8 C 14.92 – juris Rn. 28; U.v. 7.3.2017 – 9 C 20.15 – juris Rn. 11 m.w.N.). Für die Beurteilung der Frage, wo eine selbstständige Erschließungsanlage beginnt und endet, ist das durch die tatsächlichen Gegebenheiten geprägte Erscheinungsbild maßgebend (BVerwG, U.v. 25.2.1994 – 8 C 14.92 – juris Rn. 28; U.v. 7.3.2017 – 9 C 20.15 – juris Rn. 12). Abzustellen ist auf die tatsächlich sichtbaren Verhältnisse, wie sie zum Beispiel durch Straßenführung, Straßenbreite, Straßenlänge und Straßenausstattung geprägt werden und wie sie sich im Zeitpunkt des Entstehens sachlicher Beitragspflichten einem unbefangenen Beobachter bei natürlicher Betrachtungsweise darstellen (BVerwG, U.v. 7.3.2017 – 9 C 20.15 – juris Rn. 12 m.w.N.). Erforderlich ist eine Würdigung aller dafür relevanten Umstände. Die natürliche Betrachtungsweise ist nicht aus einer Vogelperspektive anzustellen; vielmehr ist grundsätzlich der Blickwinkel eines Betrachters am Boden einzunehmen. Wegen der damit unter Umständen verbundenen Einengung des Horizonts kann gegebenenfalls ergänzend auch der sich aus Plänen oder Luftbildaufnahmen ergebende Straßenverlauf mit in die Betrachtung einzubeziehen sein (BVerwG, U.v. 7.3.2017 – 9 C 20.15 – juris Rn. 12; U.v. 10.6.2009 – 9 C 2.08 – juris Rn. 18). Deshalb hat sich der ausschlaggebende Gesamteindruck nicht an Straßennamen, Grundstücksgrenzen oder dem zeitlichen Ablauf von Planung und Bauausführung auszurichten (stRspr vgl. BayVGH, U.v. 25.3.2019 – 6 ZB 18.1416 – juris Rn. 9 m.w.N.). Ob eine Stichstraße (Sackgasse) schon eine selbstständige Orts straße bildet oder noch ein lediglich unselbstständiges „Anhängsel“ und damit einen Bestandteil der (Haupt-)Straße, von der sie abzweigt, ist, bestimmt sich nach dem Gesamteindruck, den die tatsächlichen Verhältnisse einem unbefangenen Beobachter von der zu beurteilenden Verkehrseinrichtung vermitteln. Dabei kommt neben der Ausdehnung der Stichstraße und der Zahl der durch sie erschlossenen Grundstücke vor allem dem Maß der Abhängigkeit zwischen ihr und der Hauptstraße Bedeutung zu. Vor diesem Hintergrund sind grundsätzlich alle abzweigenden Straßen als unselbstständig zu qualifizieren, die nach den tatsächlichen Verhältnissen den Eindruck einer Zufahrt vermitteln, d.h. (ungefähr) wie eine Zufahrt aussehen. Das ist typischerweise dann der Fall, wenn die Stichstraße bis zu 100 m lang und nicht abgeknickt ist (vgl. BayVGH, U.v. 13.4.2017 – 6 B 14.2720 – juris Rn. 22; B.v. 6.7.2018 – 6 ZB 18.493 – juris Rn. 4; jeweils m.w.N.).
29
Entsprechend dieser Maßstäbe besteht die hier maßgebliche Erschließungsanlage nach natürlicher Betrachtungsweise aus dem ca. 86 m langen (gemessen über BayernAtlas) südlichen Straßenstück der Straße „S. …“, der „B. …-Straße“ sowie der Stichstraße, welche nördlich der Grundstücke mit den FlNrn. 122/3 und 122/2, jeweils Gemarkung …, verläuft. Entgegen der Ansicht der Klägerseite ist die Linksabbiegespur auf der Staatsstraße St. … mangels Anbaufunktion nicht Bestandteil dieser Erschließungsanlage „Südlicher Teil S. …B. …-Straße“, sie kann allenfalls einen Rechnungsposten bilden (zu einer Linksabbiegespur auf einer Bundesstraße vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2004 – 6 CS 03.3376 – juris Rn. 26). Der südliche Teil der Straße „S. …“ beginnt im Einmündungsbereich zur Staatsstraße St. … Nach der Einmündung verläuft die Straße „S. …“, wie beim gerichtlichen Augenschein festgestellt, zunächst geradlinig bergauf in Richtung Norden. Die Stichstraße, welche ca. 40 m nach dem Einmündungsbereich in Richtung Osten von der Straße „S. …“ abzweigt und nördlich der Grundstücke mit den FlNrn. 122/3 und 122/2, jeweils Gemarkung …, verläuft, ist als unselbstständige Straße und damit Bestandteil der Erschließungsanlage zu bewerten. Die Stichstraße ist lediglich 46 m (gemessen über BayernAtlas) lang und dient der Erschließung weniger Grundstücke. Sie verläuft geradlinig und endet in einem Wendehammer, sodass sie den Eindruck einer Zufahrt vermittelt. Nach der Abzweigung der Stichstraße beginnt die Straße „S. …“ in Richtung Nordwesten (weiterhin bergauf) zu verlaufen und schließt nach ca. 20 m in einer leichten Linkskurve nahtlos an die „B. …-Straße“ an, welche dann ca. 160 m (gemessen über BayernAtlas) leicht ansteigend und überwiegend geradlinig in Richtung Nordwesten verläuft, wo sie in einem Wendehammer endet. Der Übergang der Straße „S. …“ in die „B. …-Straße“ ist optisch nicht wahrnehmbar. Lediglich die Flurnummer des Straßengrundstücks und die Straßenbezeichnung ändern sich an dieser Stelle. Die leichte Linkskurve ist übersichtlich und der weitere Straßenverlauf ist gut einsehbar; es handelt sich demnach nicht um eine unübersichtliche Einmündungssituation, sodass es hier zu keiner Zäsur bei der Anlagenabgrenzung kommt. Der Umstand, dass die Straße „S. …“ beim Übergang in die „B. …-Straße“ selbst weiter in einer Rechtskurve bergauf in Richtung Norden verläuft, führt nicht dazu, dass der südliche Teil der Straße „S. …“ nach natürlicher Betrachtungsweise mit ihrem nördlichen Teil eine Erschließungsanlage bildet. Zum einen sind die einheitliche Flurnummer, auf der die Straße verläuft, und die Straßenbezeichnung – wie dargestellt – nicht maßgeblich für die Bestimmung des Umfangs der Erschließungsanlage. Zum anderen handelt es sich bei dieser Rechtskurve in Richtung Norden um einen Einmündungsbereich, welcher den weiteren – überwiegend kurvigen und stark verzweigten – Straßenverlauf der Straße „S. …“ nicht erkennen lässt. Ferner befindet sich im Einmündungsbereich eine Durchbrechung der Asphaltschicht durch eine ca. fünf Meter breite Pflasterung, was eine zusätzliche gestalterische Maßnahme darstellt, die den südlichen Teil der Straße „S. …“ optisch von ihrem nördlichen Teil trennt. Einige Meter nach dem Übergang der Straße „S. …“ in die „B. …-Straße“ zweigt die Straße „…N. …“ von der dort geradlinig verlaufenden „B. …-Straße“ ab. Vor und nach dem Einmündungsbereich „…N. …“ befindet sich jeweils eine Naht in der Asphaltschicht der „B. …-Straße“. Die Asphaltschicht weist vor, im und nach dem Einmündungsbereich leichte Unterschiede im Farbton auf. Weder die Nähte noch die Farbunterschiede in der Asphaltdecke führen zu einer Trennung der Erschließungsanlage in mehrere Anlagen, da sie dem Umstand geschuldet sind, dass die Herstellungsarbeiten der Erschließungsanlage „Südlicher Teil S. …B. …-Straße“ in drei Bauabschnitten stattfanden. Dies ist für die nach der natürlichen Betrachtungsweise vorzunehmende Beurteilung der „fertigen“ Anlage gerade ohne Belang (vgl. BayVGH, U.v. 3.5.2001 – 6 B 95.766 – juris Rn. 53). Die Einmündung in die Straße „…N. …“ auf Höhe der klägerischen Grundstücke ist ebenfalls nicht geeignet, die Erschließungsanlage „Südlicher Teil S. …B. …-Straße“ in zwei eigenständige Erschließungsanlagen zu teilen. Die Straße „…N. …“ zweigt hier in Richtung Süden von der „B. …-Straße“ ab. Sie verläuft zunächst ca. 42 m (gemessen über BayernAtlas) bergab in Richtung Süden und anschließend geradlinig in Richtung Westen, wo sie in einem Wendehammer endet. Da die „B. …-Straße“ vor und nach der Einmündung in die Straße „…N. …“ in gerader Linie fortführt, stellt die Einmündung in die Straße „…N. …“ bei natürlicher Betrachtungsweise keine Zäsur/Unterbrechung dar (vgl. so auch OVGNds. U.v. 11.5.2023 – 9 LB 225/20 – juris LS 1 und Rn. 88). Die Straße „…N. …“ ist zudem kein Bestandteil der Erschließungsanlage, da sie aufgrund ihrer Länge von ca. 160 m (gemessen über BayernAtlas) und ihrem – oben beschriebenen – nicht durchgängig geradlinigen Verlauf nicht den Eindruck einer reinen Zufahrt vermittelt.
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b. Abweichend vom Grundsatz der natürlichen Betrachtungsweise zerfällt die Erschließungsanlage „Südlicher Teil S. …B. …-Straße“ aus Rechtsgründen in zwei jeweils selbstständige Erschließungsanlagen. So bildet der südöstliche Teil dieser Erschließungsanlage, bestehend aus dem südlichen Teil der Straße „S. …“, der Stichstraße und dem östlichen Teil der „B. …-Straße“, welcher bis zum Jahr 2000 hergestellt wurde und nach dem Einmündungsbereich zur Straße „…N. …“ endet, eine eigenständige Erschließungsanlage. Das westliche Straßenstück der „B. …-Straße“, das im Jahr 2019 errichtet wurde, stellt ebenfalls eine selbstständige Erschließungsanlage dar.
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aa. Die Selbstständigkeit der beiden Erschließungsanlagen ergibt sich nicht daraus, dass die im ersten Bauabschnitt in den Jahren 1995/1996 bzw. im zweiten Bauabschnitt im Jahr 2000 bereits endgültig hergestellte Straße durch die Erschließungsmaßnahmen im dritten Bauabschnitt im Jahr 2019 lediglich verlängert wurde. In diesen Konstellationen ergibt sich die Selbstständigkeit einer Erschließungsanlage abweichend vom Grundsatz der natürlichen Betrachtungsweise aus Rechtsgründen nur, wenn eine endgültig hergestellte Anbaustraße, für die bereits sachliche Beitragspflichten entstanden (nicht notwendigerweise auch Beiträge erhoben worden) sind, nachträglich verlängert oder fortgeführt wird. In einem solchen Fall ist die Verlängerungsstrecke unabhängig von ihrer optischen Zugehörigkeit zum weiteren Straßenteil erschließungsbeitragsrechtlich als eigene selbstständige Anbaustraße zu qualifizieren (stRspr vgl. BayVGH, B.v. 20.10.2022 – 6 CS 22.1804 – juris Rn. 15; B.v. 13. Juni 2016 – 6 ZB 14.2404 – juris Rn. 13; jeweils m.w.N.). Dies ist vorliegend nicht der Fall, da für den südöstlichen Straßenteil, der bis zum Jahr 2000 errichtet wurde, die sachliche Beitragspflicht nicht vor der Verlängerung der „B. …-Straße“ im dritten Bauabschnitt im Jahr 2019 entstanden war. Die Öffentlichkeit einer Erschließungsanlage, sprich die Widmung der Straße, ist Voraussetzung für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, selbst wenn die Straße bereits endgültig hergestellt ist (BayVGH, B.v. 17.1.2011 – 6 CE 10.2875 – juris Rn. 13; U.v. 23.3.2023 – 6 B 22.200 – juris Rn. 18). Die Widmung muss sich hierfür in räumlicher Hinsicht auf alle Teile der Verkehrsanlage und ihre gesamte Ausdehnung in Länge und Breite beziehen. Erst wenn die Straße vollständig gewidmet ist oder als gewidmet gilt, stellt sie eine öffentliche Einrichtung dar, für die Erschließungsbeiträge erhoben werden dürfen (vgl. Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand 1.5.2024, K.I.2.2.c. Rn. 1104). Zwar wurde die Straße „S. …“ bereits mit der Widmungsverfügung vom 15. Dezember 1995, veröffentlicht im Amtlichen Mitteilungsblatt der Verwaltungsgemeinschaft … am 29. Dezember 1995, als Orts straße gewidmet. Jedoch beschloss der Gemeinderat der Beklagten erst am 14. September 2020 die Widmung der „B. …-Straße“ (FlNrn. 118/10 und 106/9, jeweils Gemarkung ….) als Orts straße. Die entsprechende Widmungsverfügung vom 11. November 2022 wurde am 9. Dezember 2022 im Amtlichen Mitteilungsblatt der Verwaltungsgemeinschaft … ortsüblich bekannt gemacht. Dementsprechend ist der im ersten und zweiten Bauabschnitt errichtete südöstliche Straßenteil erst seit dem Jahr 2022 in seiner gesamten Länge gewidmet, sodass die sachliche Beitragspflicht hierfür zum Zeitpunkt der Verlängerung der „B. …-Straße“ im dritten Bauabschnitt im Jahr 2019 noch nicht entstanden war.
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bb. Jedoch erwächst der südöstliche Straßenteil, welcher bis zum Jahr 2000 hergestellt wurde, aufgrund der bis zur Verlängerung der „B. …-Straße“ im Jahr 2019 erfolgten Aufgabe des Weiterbaus der nach natürlicher Betrachtungsweise einheitlichen Erschließungsanlage „Südlicher Teil S. …B. …-Straße“ in eine selbstständige Erschließungsanlage, sodass die westliche „B. …-Straße“, die im Jahr 2019 gebaut wurde, ebenfalls eine eigenständige Erschließungsanlage ist.
33
Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kann auch eine Straße, die sich bei natürlicher Betrachtung als Abschnitt einer weitergehenden Erschließungsanlage darstellt, durch Zeitablauf in die Eigenschaft einer selbstständigen Erschließungsanlage hineinwachsen. Der Umstand, dass eine Anlage lange Zeit nicht weitergebaut wird, kann zu dem Schluss zwingen, dass die seinerzeitigen Ausbauarbeiten endgültig beendet worden sind mit der Folge, dass eine etwaige spätere Verlängerung nur als eine neue, selbstständige Erschließungsanlage in Betracht kommt (BVerwG, U.v. 15.11.2022 – 9 C 12.21 – juris Rn. 35; U.v. 7.3.2017 – 9 C 20.15 – juris Rn. 14; BVerwG, U.v. 12.5.2016 – 9 C 11.15 – juris Rn. 28). Entsprechend der älteren Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt dies insbesondere dann, wenn eine im Bebauungsplan ausgewiesene Straße nur auf einer kürzeren Strecke angelegt und die verbleibende Reststrecke abweichend von der ursprünglichen Planung für andere als Verkehrszwecke in Anspruch genommen wird (BVerwG, U.v. 12.5.2016 – 9 C 11.15 – juris Rn. 28). In neueren Entscheidungen wird gefordert, dass die Realisierung des ursprünglichen Bauprogramms durch den längeren Baustopp aufgegeben werden muss (BVerwG, U.v. 15.11.2022 – 9 C 12.21 – juris Rn. 35; so auch zur Vorteilslage: BayVGH, B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 11).
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Bereits in den Jahren 1995/1996 wurde der südliche Teil der Straße „S. …“, die Stichstraße sowie der Straßenteil der „B. …-Straße“, welcher auf dem Grundstück FlNr. 118/10, Gemarkung …, verläuft, hergestellt. Der Weiterbau der „B. …-Straße“ im Einmündungsbereich zur Straße „…N. …“ auf einer Länge von ca. 35 m und damit die (erste) Verlängerung der seit 1996 bestehenden „B. …-Straße“ auf der FlNr. 118/10, Gemarkung …, erfolgte im Jahr 2000. Dementsprechend lag zwischen dem ersten und dem zweiten Bauabschnitt zur Errichtung der nach natürlicher Betrachtungsweise einheitlichen Erschließungsanlage „Südlicher Teil S. …B. …-Straße“ kein längerer Baustopp, der dazu geführt hätte, dass entsprechend obiger Rechtsprechung die natürliche Betrachtungsweise durchbrochen wird.
35
Anders stellt sich dies bezüglich des im dritten Bauabschnitt errichteten westlichen Straßenstücks der „B. …-Straße“ dar. Bereits zwischen dem Ende der Bauarbeiten im zweiten Bauabschnitt und dem Beginn der Grundstücksverhandlungen zum Erwerb des Straßengrundstücks FlNr. 106/9, Gemarkung …, im Jahr 2016 lag ein Zeitraum von 16 Jahren. Der Grundstückserwerb und die konkrete Planung zum Weiterbau der „B. …-Straße“ in Richtung Westen waren im Jahr 2018. Die westliche „B. …-Straße“ wurde letztlich im Jahr 2019 und damit 19 Jahre nach dem Ende des zweiten Bauabschnitts errichtet. Dementsprechend wurde die nach natürlicher Betrachtungsweise einheitliche Erschließungsanlage „Südlicher Teil S. …B. …-Straße“ über eine lange Zeit nicht weitergebaut (vgl. zur Bejahung eines längeren Zeitraums bei einer Unterbrechung von zehn Jahren BVerwG, U.v. 12.5.2016 – 9 C 11.15 – juris Rn. 28 und von über 15 Jahren BVerwG, U.v. 7.3.2017 – 9 C 20.15 – juris Rn. 14). Dies lässt vorliegend den Schluss zu, dass die Ausbauarbeiten dieser Erschließungsanlage im Jahr 2000 endgültig beendet und ein bereits zu diesem Zeitpunkt geplanter Weiterbau aufgegeben wurde. Dass der Weiterbau ursprünglich vorgesehen war, ergibt sich zum einen daraus, dass der Bebauungsplan „… West II“, der am 1. September 1997 ortsüblich bekannt gemacht wurde, die „B. …-Straße“ auf ihrer gesamten Länge bis zum westlichen Wendehammer zeichnerisch erfasst, diese Straße aber nur auf einer kürzeren als der vorgesehenen Länge im Jahr 2000 und bis zum Jahr 2019 errichtet worden war (vgl. zur Maßgeblichkeit des Bebauungsplans: BVerwG, U.v. 12.5.2016 – 9 C 11.15 – juris Rn. 28). Zum anderen ist aufgrund der vorgelegten Unterlagen der Beklagten anzunehmen, dass zum Zeitpunkt des Endes der Bauarbeiten im zweiten Bauabschnitt im Jahr 2000 bereits ein hinreichend konkretes Bauprogramm für die gesamte „B. …-Straße“ existierte, dessen vollständige Realisierung durch den längeren Baustopp nicht weiter fortgeführt wurde (vgl. zur Maßgeblichkeit des Bauprogramms: BVerwG, U.v. 15.11.2022 – 9 C 12.21 – juris Rn. 35). So beschloss der Gemeinderat der Beklagten am 10. August 1999 die Durchführung der Erschließungsplanung für das Baugebiet „… West II“ (Bl. 401 BA), welche in Teilbauabschnitten vollzogen werden sollte (vgl. Aktenvermerk vom 19. Januar 2000 [Bl. 66 BA]). Zuerst war dabei die Herstellung der Straße „…N. …“ und der Teilfläche der „B. …-Straße“ in deren Einmündungsbereich vorgesehen (vgl. Aktenvermerk vom 16. Februar 2000 [Bl. 67 BA]). Eine Entwurfsplanung zur Erschließung des Baugebiets „… West II“ und damit auch für die Verlängerung der „B. …-Straße“ nach Westen im dritten Bauabschnitt hat bereits am 3. März 2000 vorgelegen. Dies ergibt sich aus einem Aktenvermerk der Beklagten vom 8. Mai 2018 (Bl. 414 f. BA), wonach die Ausführungen der Fortführung der „B. …-Straße“ entsprechend dieses Entwurfs (mit Abweichung bzgl. der geplanten Baumpflanzbeete) erfolgen solle. Dementsprechend muss schon die Entwurfsplanung vom 3. März 2000 – welche die Beklagte nicht mehr auffinden konnte – hinreichend konkret gewesen sein und die maßgeblichen flächenmäßigen Teileinrichtungen (Asphaltdecke, Straßenentwässerung und Beleuchtung, vgl. § 8 Abs. 2 Nrn. 1 und 2 der EBS), welche Inhalt des Bauprogramms sind (vgl. BVerwG, U.v. 10.10.1995 – 8 C 13.94 – juris LS 2), für den westlichen Teil der Straße „B. …-Straße“ enthalten haben. Zudem war dem Aktenvermerk vom 16. Februar 2000 ein undatierter Planauszug (Bl. 70 BA) beigefügt, welcher ebenfalls detaillierte Vorgaben für die Errichtung der „B. …-Straße“ im dritten Bauabschnitt enthält. So waren bereits die Maße für Straße und Mehrzweckstreifen, deren genaue Position, die Baumbepflanzung und die Entwässerung vorgesehen. Selbige Detailplanung enthielt auch der nach Beendigung der Bauarbeiten im zweiten Bauabschnitt angefertigte Bestandslageplan vom 30. Oktober 2000 (Bl. 13 BA).
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Zusätzlich zur längeren Unterbrechung des Weiterbaus zeigen auch weitere Unterlagen, dass die Beklagte die seinerzeitigen Ausbauarbeiten im Jahr 2000 als endgültig beendet betrachtete. So beschloss der Gemeinderat der Beklagten zwar am 10. August 1999 die Erschließung des gesamten Baugebiets „… West II“. Jedoch wurde der westliche Teil der „B. …-Straße“ im dritten Bauabschnitt nicht zeitnah nach der Fertigstellung des zweiten Bauabschnitts im Jahr 2000 realisiert. Grund hierfür war, dass die Beklagte im Jahr 2000 noch nicht Eigentümerin der Straßenfläche FlNr. 106/9, Gemarkung …, war. Zudem wollte die Beklagte diesen Teil des Baugebiets „… West II“ erst erschließen, wenn mindestens zwei Drittel der Grundstücke, die an die „B. …-Straße“ anliegen, veräußert wurden und die Bezahlung der Erschließungsbeiträge dadurch gewährleistet ist. Dies war aus Sicht der Beklagten noch nicht der Fall (vgl. Gemeinderatsbeschluss vom 22. Juli 2003; Schreiben vom 26. November 2004). Deshalb verweigerte die Beklagte dem Eigentümer der Grundstücke FlNrn. 106/45 und 106/45, jeweils Gemarkung …, im Jahr 2003 (vgl. Gemeinderatsbeschluss vom 22. Juli 2003) eine Genehmigungsfreistellung; eine Erschließung seines Grundstücks sei in absehbarer Zeit noch nicht zu erwarten. Trotz der Forderung des Eigentümers der Grundstücke FlNrn. 106/45 und 106/46, jeweils Gemarkung …, seine Grundstücke zu erschließen und der Aufstellung des Bebauungsplans „… West II“, der unter bestimmten Voraussetzungen zu einer Verdichtung der gemeindlichen Erschließungslast führen kann (vgl. hierzu BayVGH, U.v. 12.10.2004 – 4 B 01.722 – juris Rn. 28 f.), hat sich die Beklagte über mehrere Jahre nicht um den Erwerb des Straßengrundstücks FlNr. 106/9 bemüht und von einem Weiterbau der „B. …-Straße“ in Richtung Westen – entsprechend des damaligen Bauprogramms – abgesehen.
37
Die längere Unterbrechung des Weiterbaus der nach natürlicher Betrachtungsweise einheitlichen Erschließungsanlage „Südlicher Teil S. …B. …-Straße“ und die Entscheidung der Beklagten, die „B. …-Straße“ trotz einer entsprechenden Anfrage im Jahr 2003 nicht in Richtung Westen zu erweitern, zwingen zu dem Schluss, dass die seinerzeitigen Ausbauarbeiten endgültig beendet worden sind. Dies hat zur Folge, dass der südöstliche Teil der nach natürlicher Betrachtungsweise einheitlichen Erschließungsanlage „Südlicher Teil S. …B. …-Straße“, der seit dem Jahr 2000 besteht, in eine selbstständige Erschließungsanlage (im Folgenden südöstliche Erschließungsanlage bezeichnet) erwächst. Die spätere Verlängerung der „B. …-Straße“ in Richtung Westen im Jahr 2019 ist deshalb eine neue, selbstständige Erschließungsanlage (im Folgenden als westliche Erschließungsanlage bezeichnet).
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3. Der Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts ist für die Erhebung von Erschließungsbeiträgen für diese beiden Erschließungsanlagen entgegen der Ansicht der Klägerin nicht nach Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG ausgeschlossen.
39
Nach Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG kann kein Erschließungsbeitrag erhoben werden, sofern seit dem Beginn der erstmaligen technischen Herstellung einer Erschließungsanlage mindestens 25 Jahre vergangen sind. Bei Auslegung dieser Norm ist zu berücksichtigen, dass der Gesetzgeber nicht nur vom Beginn der erstmaligen technischen Herstellung spricht, sondern diese ausdrücklich auf eine Erschließungsanlage bezieht, mithin auf den Anfang des durch zentrale erschließungsbeitragsrechtliche Begriffe umschriebenen Vorgangs der „erstmaligen Herstellung“ (vgl. Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 128 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BauGB) einer beitragsfähigen „Erschließungsanlage“ (Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 127 Abs. 2 BauGB) abstellt. Demnach wird der fristauslösende Beginn nicht durch irgendwelche sichtbaren Bauarbeiten markiert, sondern nur durch solche, die objektiv auf die erstmalige Herstellung einer Erschließungsanlage gerichtet sind, sprich mit denen das gemeindliche Bauprogramm für eine bestimmte Anbaustraße (Teilstrecke) verwirklicht werden soll (BayVGH, U.v. 5.2.2024 – 6 ZB 23.1545 – juris Rn. 13 f.; U.v. 27.11.2023 – 6 BV 22.306 – juris Rn. 29). Gemeint ist der Beginn des sichtbaren technischen Ausbaus („erster Spatenstich“), an dessen Ende die jeweilige Erschließungsanlage in der gesamten vorgesehenen Ausdehnung mit sämtlichen vorgesehenen Teileinrichtungen erstmalig hergestellt ist. Die Frage nach dem Beginn kann ebenso wie diejenige nach dem Ende der erstmaligen technischen Herstellung allein danach beurteilt werden, welche Planung die Gemeinde als Trägerin der Erschließungsaufgabe (§ 123 Abs. 1 BauGB) verfolgt. Maßgeblich sind daher neben dem Teileinrichtungs- und dem technischen Ausbauprogramm in der Erschließungsbeitragssatzung insbesondere das auf die konkrete Anlage bezogene Bauprogramm, das von der Gemeinde auch formlos aufgestellt werden kann und in der Regel wird (vgl. BayVGH, U.v. 27.6.2024 – 6 BV 23.1394 – juris Rn. 24; U.v. 5.2.2024 – 6 ZB 23.1545 – juris Rn. 13 m.w.N.).
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a. Bezüglich der südöstlichen Erschließungsanlage ist der Beginn ihrer erstmaligen technischen Herstellung nicht bereits auf das Jahr 1995, sondern auf das Frühjahr 2000 zu datieren. Entsprechend der oben zitierten Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs ist mit Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG nur der Beginn des sichtbaren technischen Ausbaus gemeint, an dessen Ende die jeweilige Erschließungsanlage in der gesamten vorgesehenen Ausdehnung mit sämtlichen vorgesehenen Teileinrichtungen erstmalig hergestellt ist. Bei Beginn der Bauarbeiten im Jahr 1995 zur Errichtung der Straße „S. …“ samt der Stichstraße und des Straßenstücks der „B. …-Straße“, welches auf dem Grundstück FlNr. 118/10, Gemarkung …, verläuft, lag noch kein Bauprogramm vor, welches auch das Straßenstück der „B. …-Straße“ im Einmündungsbereich zur Straße „…N. …“ und damit die gesamte südöstliche Erschließungsanlage samt all ihrer Teileinrichtungen umfasste. So weist der Lageplan Straßenbau vom 11. März 1996 (Bl. 7 BA) und ein undatierter Plan (Bl. 93 der Anlagen zum Schriftsatz vom 2. Oktober 2024) lediglich den Teil der Erschließungsanlage samt ihren Teileinrichtungen aus, der sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… West“ befindet. Das Bauende ist jeweils an der Grenze zum Baugebiet „… West II“ eingezeichnet und deutet zwar an, dass eine spätere Erweiterung geplant ist, zu dieser Erweiterung enthalten die Pläne jedoch noch keine zeichnerischen Festsetzungen. Auch aus den weiteren von der Beklagten vorgelegten Unterlagen lassen sich keine Hinweise für ein bereits im Jahr 1995 existentes Bauprogramm, welches auch die „B. …-Straße“ im Einmündungsbereich „…N. …“ umfasst, entnehmen. Zwar beruht der im Jahr 1997 erlassene und in Kraft getretene Bebauungsplan „… West II“ auf einem Entwurfsplan vom 21. Februar 1995 (Ergänzung vom 12. Dezember 1995). Da jedoch der letztlich beschlossene Bebauungsplan „… West II“ keine hinreichenden Angaben zur Straßenbeleuchtung und Straßenentwässerung der Planstraße B, welche die heutige „B. …-Straße“ auf dem Grundstück FlNr. 106/9, Gemarkung …, ist, enthält, ist nicht davon auszugehen, dass der Entwurfsplan hinreichend konkrete Aussagen zu sämtlichen vorgesehenen Teileinrichtungen der „B. …-Straße“ im Einmündungsbereich „…N. …“ enthielt. Darüber hinaus beschloss der Gemeinderat der Beklagten erst am 10. August 1999 die Durchführung der Erschließungsplanung für das Baugebiet „… West II“. Das Bauprogramm, das auch die „B. …-Straße“, die auf der FlNr. 106/9, Gemarkung …, verläuft und damit den Einmündungsbereich zur Straße „…N. …“ umfasst, lag erst im Jahr 2000 vor (vgl. obige Ausführungen). Dementsprechend waren die Baumaßnahmen im Jahr 1995 noch nicht auf die erstmalige technische Herstellung der südöstlichen Erschließungsanlage in ihrer gesamten vorgesehenen Ausdehnung gerichtet, sondern erst die Baumaßnahmen im Frühjahr 2000. Die 25-Jahresfrist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG war dementsprechend zum Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Bescheide am 6. Oktober 2022 bzw. der öffentlichen Bekanntmachung der Widmung am 9. Dezember 2022 noch nicht abgelaufen.
41
b. Mit der erstmaligen technischen Herstellung der westlichen Erschließungsanlage wurde erst im März 2019 begonnen. Die Errichtung der Linksabbiegespur im Jahr 1995 ist nicht maßgeblich für den Beginn der erstmaligen technischen Herstellung dieser Anlage, da die Linksabbiegespur selbst nicht Teil der Erschließungsanlage ist, sondern allenfalls einen eigenen Rechnungsposten bildet (zu einer Linksabbiegespur auf einer Bundesstraße vgl. BayVGH, B.v. 23.3.2004 – 6 CS 03.3376 – juris Rn. 26). Der Gemeinderat der Beklagten beschloss – nach zwischenzeitlicher Aufgabe des Weiterbaus des westlichen Straßenstücks „B. …-Straße“ (vgl. oben) – erst am 4. Juni 2018 die Auftragsvergabe zum Weiterbau der westlichen „B. …-Straße“ und änderte hierbei die Entwurfsplanung der Planungsgruppe .. vom 30. März 2000 entsprechend ab. Für die westliche Erschließungsanlage lag somit erst zu diesem Zeitpunkt ein (neues und geändertes) Bauprogramm vor. Die ersten Bauarbeiten, an deren Ende die erstmalige technische Herstellung der westlichen Erschließungsanlage in ihrer gesamten in diesem Bauprogramm vorgesehenen Ausdehnung stand, fanden am 25. bzw. 27. März 2019 (Vorarbeiten bzw. Erdaushub) statt, sodass die 25-Jahres-Frist des Art. 5a Abs. 7 Satz 2 KAG offenkundig noch nicht abgelaufen ist.
42
4. Für die südöstliche Erschließungsanlage durften jedoch sowohl im Zeitpunkt des Erlasses der streitgegenständlichen Bescheide am 6. Oktober 2022 als auch zum Zeitpunkt der öffentlichen Bekanntmachung der Widmung am 9. Dezember 2022 keine Erschließungsbeiträge mehr nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG i.V.m. § 169 der Abgabenordnung (AO) festgesetzt werden (vgl. a.). Der Bescheid der Beklagten vom 6. Oktober 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2023, der einen Erschließungsbeitrag für das klägerische Grundstück mit der FlNr. 106/26, Gemarkung …, festsetzt, ist daher rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten (vgl. b.).
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a. Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG ist die Festsetzung eines Beitrags ohne Rücksicht auf die Entstehung der Beitragsschuld spätestens 20 Jahre nach Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eintrat, nicht mehr zulässig; liegt ein Verstoß gegen die Mitwirkungspflicht nach Art. 5 Abs. 2a KAG vor und kann der Beitrag deswegen nicht festgesetzt werden, beträgt die Frist 25 Jahre. Der Begriff der Vorteilslage knüpft an rein tatsächliche, für den möglichen Beitragsschuldner erkennbare Gegebenheiten an und lässt rechtliche Entstehungsvoraussetzungen für die Beitragsschuld außen vor (vgl. LT-Drs. 17/370 S. 13). Es kommt demnach für die Ausschlussfrist mit Blick auf eine beitragsfähige Erschließungsanlage auf die tatsächliche – bautechnische – Durchführung der jeweiligen Erschließungsmaßnahme an, nicht aber auf die rechtlichen Voraussetzungen für das Entstehen der sachlichen Beitragspflichten, wie die Widmung der Anlage, die planungsrechtliche Rechtmäßigkeit ihrer Herstellung, die Wirksamkeit der Beitragssatzung oder den vollständigen Grunderwerb als Merkmal der endgültigen Herstellung. Ob eine Erschließungsmaßnahme tatsächlich durchgeführt und die Vorteilslage folglich eingetreten ist, beurteilt sich nicht nach – kaum greifbaren – allgemeinen Vorstellungen von einer „Benutzbarkeit“ und „Gebrauchsfertigkeit“ der Anlage oder einer „ausreichenden Erschließung“ der angrenzenden Grundstücke. Beurteilungsmaßstab ist vielmehr die konkrete Planung der Gemeinde für die jeweilige Anlage. Denn allein die Gemeinde entscheidet im Rahmen der ihr obliegenden Erschließungsaufgabe (§ 123 Abs. 1 BauGB) und der sich daraus ergebenden gesetzlichen Schranken über Art und Umfang der von ihr für erforderlich gehaltenen Erschließungsanlagen. Entscheidend kommt es mit anderen Worten darauf an, ob die – wirksame – konkrete gemeindliche Planung für die Erschließungsmaßnahme sowohl im räumlichen Umfang als auch in der bautechnischen Ausführung bislang nur provisorisch ausgeführt oder schon vollständig umgesetzt ist. Dementsprechend tritt die Vorteilslage bei einer Anbaustraße (Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB) (erst) dann ein, wenn sie endgültig technisch fertiggestellt ist, das heißt dem gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen und sonstigen Teileinrichtungen sowie dem technischen Ausbauprogramm vollständig entspricht. Bleibt der Ausbau hinter der Planung zurück, ist zu prüfen, ob die Gemeinde ihre weitergehende Planung – wirksam – aufgegeben hat und den erreichten technischen Ausbauzustand nunmehr als endgültig mit der Folge ansieht, dass mit Aufgabe der Planung die Vorteilslage eingetreten ist (BayVGH, B.v. 4.5.2017 – 6 ZB 17.546 – juris Rn. 10 m.w.N.).
44
Es ist – entsprechend obiger Ausführungen zur Aufgabe des ursprünglichen Bauprogramms – davon auszugehen, dass mit dem Abschluss der Baumaßnahmen im Jahr 2000 die Herstellung der südöstlichen Erschließungsanlage in tatsächlicher Sicht endgültig abgeschlossen und die Vorteilslage eingetreten war (so auch BVerwG, U.v. 15.11.2022 – 9 C 12.21 – juris Rn. 36, welches im Falle, in dem das ursprüngliche Bauprogramm durch einen jahrzehntelangen Nichtweiterbau als aufgegeben betrachtet wurde, den Zeitpunkt des Eintritts der Vorteilslage mit dem Zeitpunkt des Abschlusses der Baumaßnahmen gleichstellte). Der Abschluss der Bauarbeiten fand entsprechend der vorgelegten Unterlagen am 31. August 2000 statt. Mangels entgegenstehender Anhaltspunkte ist davon auszugehen, dass der Straßenbau entsprechend dem technischen Ausbauprogramm und Bauprogramm realisiert wurde. Hierauf deutet auch der am 30. Oktober 2000 angefertigte Bestandsplan hin. Weitere Maßnahmen, die auf die erstmalige Herstellung dieser Erschließungsanlage gerichtet waren, sind weder aktenkundig festgehalten noch von Beklagtenseite vorgetragen. Dass die Schlussabnahme des zweiten Bauabschnitts erst am 31. August 2005 stattfand, ändert nichts daran, dass die Vorteilslage bereits mit Abschluss der Baumaßnahmen im Jahr 2000 eingetreten ist. Die Abnahme am 31. August 2005 diente der Mängelfeststellung, da die Gewährleistungsfrist an diesem Tage endete. Entsprechend des Abnahmeprotokolls war bezüglich des Straßenbaus die Anschlussfuge an das bestehende Straßenstück „S. …“ offen und musste nachgeschnitten und vergossen werden. Die weitere Mängelfeststellung betraf die Straße „…N. …“, die Abwasseranlage und die sonstigen Mängel im Altbestand. Bei den aufgeführten Straßenmängeln handelte es sich um solche, die nach der Fertigstellung der Straße durch deren Nutzung entstanden sind. Eine offene Anschlussfuge wäre andernfalls nicht bei Abschluss der Bauarbeiten am 31. August 2000 über fünf Jahre unbeanstandet geblieben.
45
Nach Art. 13 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. b Doppelbuchst. bb Spiegelstrich 1 KAG begann die 20-Jahresfrist mit Ablauf des Jahres, in dem die Vorteilslage eingetreten ist, also mit Ablauf des 31. Dezember 2000. Somit war die Festsetzung von Erschließungsbeiträgen für die südöstliche Erschließungsanlage im Jahr 2022 offensichtlich ausgeschlossen.
46
b. Von den drei streitgegenständlichen klägerischen Grundstücken ist nur das Grundstück mit der FlNr. 106/26, Gemarkung …, allein über die hier maßgebliche südöstliche Erschließungsanlage erschlossen. Das Grundstück mit der FlNr. 106/27, Gemarkung …, liegt hingegen an beiden hier streitgegenständlichen Erschließungsanlagen und das Grundstück FlNr. 106/28, Gemarkung …, nur an der westlichen Erschließungsanlage an. Für das Grundstück FlNr. 106/26, Gemarkung …, hätten daher keine Erschließungsbeiträge mehr festgesetzt werden dürfen. Der dieses Grundstück betreffende Bescheid vom 6. Oktober 2022 (Az.: ….) in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2023 ist daher rechtswidrig, verletzt die Klägerin in ihren Rechten und ist vom Gericht aufzuheben (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
47
5. Die mit den die klägerischen Grundstücke FlNrn. 106/27 und 106/28, jeweils Gemarkung …, betreffenden Bescheiden vom 6. Oktober 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2023 erfolgten Festsetzungen von Erschließungsbeiträgen sind zwar dem Grunde nach rechtmäßig (vgl. a., b. und c.). Sie sind der Höhe nach hingegen rechtswidrig. Die rechtsfehlerfreie Nachberechnung hat jedoch gezeigt, dass die Klägerin hierdurch nicht in ihren Rechten verletzt ist (vgl. d.).
48
a. Die westliche Erschließungsanlage ist eine öffentliche zum Anbau bestimmte Straße i.S.d. Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 127 Abs. 2 Nr. 1 BauGB, die die Rechtmäßigkeitsvoraussetzungen des § 125 Abs. 1 BauGB (Planerfordernis) erfüllt. Nach § 125 Abs. 1 BauGB setzt die Herstellung der Erschließungsanlagen i.S.d. § 127 Abs. 2 BauGB einen Bebauungsplan voraus. Gemäß § 125 Abs. 3 BauGB wird die Rechtmäßigkeit der Erschließungsanlagen durch Abweichungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans nicht berührt, wenn die Abweichungen mit den Grundzügen der Planung vereinbar sind und die Erschließungsanlagen hinter den Festsetzungen zurückbleiben (Nr. 1) oder die Erschließungsbeitragspflichtigen nicht mehr als bei einer planmäßigen Herstellung belastet werden und die Abweichungen die Nutzung der betroffenen Grundstücke nicht wesentlich beeinträchtigen (Nr. 2). Die hier maßgebliche westliche Erschließungsanlage liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans „… West II“. Abweichungen von den Festsetzungen des Bebauungsplans, die mit den Grundzügen der Planung unvereinbar wären, wurden weder vorgetragen noch sind sie ersichtlich. Insbesondere der Mehrzweckstreifen befindet sich auf der im Bebauungsplan ausgewiesenen Seite und der zeichnerisch erfasste Wendehammer wurde entsprechend errichtet. Die gerichtliche Messung bei der Inaugenscheinnahme ergab Straßenbreiten von 4,4 m und 4,65 m, sodass die im Bebauungsplan „…-West II“ ausgewiesene Straßenbreite von 4,5 m nur minimal unter- bzw. überschritten wurde. Dies ist mit den Grundzügen der Planung vereinbar.
49
b. Die sachliche Beitragspflicht ist nach Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 133 Abs. 2 BauGB und § 8 der EBS entstanden.
50
aa. Die Öffentlichkeit einer Erschließungsanlage ist Voraussetzung für das Entstehen der sachlichen Beitragspflicht, selbst wenn sie bereits endgültig hergestellt ist (BayVGH, B.v. 17.1.2011 – 6 CE 10.2875 – juris Rn. 13; U.v. 23.3.2023 – 6 B 22.200 – juris Rn. 18). Eine entsprechende Widmung der „B. …-Straße“ zur öffentlichen Straße liegt vor. So hat der Gemeinderat der Beklagten am 14. September 2020 die Widmung des Straßenzuges „B. …-Straße“ auf den FlNrn. 106/9 und 118/10, jeweils Gemarkung …, beschlossen. Eine entsprechende Widmungsverfügung des ersten Bürgermeisters der Beklagten vom 11. November 2022 mit dem Inhalt, dass die Widmung „B. …-Straße“ auf den FlNrn. 106/9 und 118/10, jeweis Gemarkung …, auf einer Länge von 0,164 km als Orts straße beschlossen wurde und der Nennung des Anfangspunks (Einmündung „S. …“) und des Endpunkts (Wendehammer an der nördlichen Grundstücksgrenze FlNr. 106/9) der Straße, wurde im Amtlichen Mitteilungsblatt der Verwaltungsgemeinschaft … vom 9. Dezember 2022 bekannt gemacht. Dass die Widmung erst nach Erlass der Ausgangsbescheide am 6. Oktober 2022 erfolgte, bedeutet zwar, dass die Bescheide „verfrüht“ vor der Entstehung der sachlichen Beitragspflicht erlassen wurden und damit rechtswidrig waren. Mit Blick auf die Beitragserhebungspflicht unterliegen sie jedoch nicht der gerichtlichen Aufhebung, wenn sie im Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung aufgrund rechtlicher oder tatsächlicher Veränderungen in rechtmäßiger Weise erlassen werden müssten (vgl. BVerwG, U.v. 27.4.1990 – 8 C 87.88 – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 27.11.2014 – 6 ZB 12.2446 – juris Rn. 6). Das beruht (auch) auf dem Gedanken, dass es sinnlos wäre, den angefochtenen (rechtswidrigen, weil verfrüht erlassenen) Bescheid aufzuheben, obwohl aufgrund der geänderten Sachlage sogleich wieder ein inhaltsgleicher Bescheid an den in Anspruch Genommenen gerichtet werden müsste (BVerwG, U.v. 27.4.1990 – 8 C 87.88 – juris Rn. 12 ff.; BayVGH, U.v. 23.3.2023 – 6 B 22.200 – juris Rn. 30). Da die Widmung während des Widerspruchsverfahrens und sogar vor der Klageerhebung nachgeholt wurde, werden die ursprünglich rechtswidrigen Bescheide vom 6. Oktober 2022 betreffend die Grundstücke mit den FlNrn. 106/27 und 106/28, jeweils Gemarkung …, von der Aufhebung bewahrt.
51
bb. Die westliche Erschließungsanlage weist die satzungsgemäßen Herstellungsmerkmale einer endgültigen Herstellung auf. So konnte bei der gerichtlichen Inaugenscheinnahme festgestellt werden, dass die westliche „B. …-Straße“ durchgängig eine Asphaltdecke i.S.d. § 8 Abs. 1 Nr. 1 der EBS aufweist. Straßenbeleuchtung sowie Entwässerung sind vorhanden (vgl. § 8 Abs. 1 Nr. 2 der EBS.). Der Anschluss an eine dem öffentlichen Verkehr gewidmete Straße i.S.d. § 8 Abs. 2 Nr. 3 der EBS liegt ebenfalls vor, da die Straßen der südöstlichen Erschließungsanlage gewidmet wurden.
52
cc. Dass die Herstellung der westlichen Erschließungsanlage dem Bauprogramm und der Ausführungsplanung entspricht, wurde von der Klägerseite weder in Zweifel gezogen noch sind gegenteilige Anhaltspunkte erkennbar. Die letzte Unternehmerrechnung stammt von der Planungsgruppe .. vom 13. Dezember 2019 und liegt vor.
53
c. Die Heranziehung der Klägerin als Beitragspflichtige entspricht Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 134 Abs. 1 Satz 1 und 2 Halbs. 1 BauGB. Die Klägerin und ihr Ehemann sind Miteigentümer der verfahrensgegenständlichen Grundstücke FlNrn. 106/27 und 106/28, jeweils Gemarkung … Sie haften für die Beitragsschuld gesamtschuldnerisch.
54
d. Die Beklagte ging bei der Ermittlung des Erschließungsaufwands, des umlagefähigen Erschließungsaufwands, des Abrechnungsgebiets und der Erschließungsbeiträge für die klägerischen Grundstücke FlNrn. 106/27 und 106/28, jeweils Gemarkung …, von einer anderen Anlagenabgrenzung als das erkennende Gericht aus. Das Straßenstück der „B. …-Straße“ im Einmündungsbereich zur Straße „…N. …“ wurde von der Beklagten der westlichen anstatt der südöstlichen Erschließungsanlage zugerechnet. Die von der Beklagten durchgeführten und den streitgegenständlichen Bescheiden zugrunde gelegten Berechnungen entsprechen damit nicht den Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. §§ 128 ff. BauGB und §§ 2 ff. der EBS. Die Bescheide vom 6. Oktober 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2023 sind somit rechtswidrig.
55
Sie unterliegen jedoch nicht der gerichtlichen Aufhebung nach § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO, da die rechtsfehlerfreie Nachberechnung (vgl. aa. bis ee.) zeigt, dass für die hier maßgeblichen klägerischen Grundstücke sogar höhere Erschließungsbeiträge als die festgesetzten geschuldet wären. Die rechtswidrigen Bescheide vom 6. Oktober 2022 in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2023 verletzten die Klägerin daher nicht in ihren Rechten (vgl. ff.). Diesbezüglich war die Klage der Klägerin abzuweisen.
56
aa. Die Beklagte hat bei der Nachberechnung aus dem primär zugrunde gelegten Erschließungsaufwand (Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 128 Abs. 1 BauGB und § 2 f. der EBS) in Höhe von 304.762,78 EUR diejenigen Kostenpositionen, die die Errichtung der „B. …-Straße“ im Einmündungsbereich zur Straße „…N. …“ betreffen, herausgerechnet. Dabei hat sie zunächst tatsächliche Erschließungskosten in Höhe von 285.759,28 EUR (Anlagen zum Schriftsatz vom 20. Dezember 2024) ermittelt und diesen Betrag nochmals um 138,27 EUR verringert (Schriftsatz vom 21. Februar 2025), da dieser Betrag nicht allein der hier maßgeblichen Erschließungsanlage zuzurechnen war. Es ergibt sich demnach ein Erschließungsaufwand in Höhe von 285.621,01 EUR.
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Die Berücksichtigung der anteiligen Kosten für die Errichtung der Linksabbiegespur in Höhe von 11.846,62 EUR beim Erschließungsaufwand, ist rechtlich nicht zu beanstanden. Entgegen der klägerischen Auffassung bilden die Kosten für die Errichtung der Linksabbiegespur einen Rechnungsposten und gehören – im vorliegenden Fall anteilig – zum beitragsfähigen Erschließungsaufwand. Der beitragsfähige Erschließungsaufwand für die erstmalige Herstellung einer Anbaustraße umfasst für den Fall, dass diese Straße in eine bestehende klassifizierte Straße einmündet, die von der Gemeinde zu tragenden, einmündungsbedingten Kosten einschließlich ggf. der Kosten für die Abbiegespur auf der klassifizierten Straße (vgl. Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand 1.5.2024, Rn. 192; im Falle einer Abbiegespur auf einer Bundesstraße: BVerwG, U.v. 23.2.1990 – 8 C 75.88 – juris LS 2 und Rn. 13 f.). Die Kostenlast trifft die Gemeinde aufgrund gesetzlicher Vorschriften; auch eine vertraglich vereinbarte Kostenerstattung an den anderen Straßenbaulastträger ist also keine freiwillige Leistung, die nicht Eingang in den beitragsfähigen Aufwand finden dürfte. Beim Bau einer neuen Einmündung in eine Staatsstraße hat nach Art. 31 Abs. 1 Satz 2 i.V.m. Art. 32 Abs. 1 Satz 1 und 2 des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes (BayStrWG) der Träger der Straßenbaulast für die neu hinzukommende Straße die Kosten der Einmündung zu tragen, zu denen auch die Kosten für Änderungen der klassifizierten Straße gehören, die unter Berücksichtigung der übersehbaren Verkehrsentwicklung notwendig sind (vgl. zu einer Abbiegespur auf einer Kreisstraße: BayVGH, U.v. 7.12.2005 – 6 B 00.860 – juris Rn. 19). Eine entsprechende Notwendigkeit ist hier gegeben. Ausweislich des Schreibens des Staatlichen Straßenbauamts vom 20. Dezember 1994, der Seite 2 des Berichts über die 3. Öffentliche Auslegung gemäß § 3 Abs. 3 BauGB zum Bebauungsplan „… West“, des Aktenvermerks über eine Gemeinderatssitzung der Beklagten am 18. Oktober 1994, § 1 Nr. 4 und § 3 der Vereinbarung des Freistaates Bayerns mit der Beklagten aus dem Jahr 1995 und der Seite 6 des Berichts der Beklagten über die Anhörung der Träger öffentlicher Belange gemäß § 4 Abs. 1 BauGB zum Bebauungsplan „… West II“ (vgl. Anlagen B 2, B 3, B 5, B 6 und B 8 zum Schriftsatz der Beklagten vom 2. Oktober 2024) wurde bei der Aufstellung der Bebauungspläne „… West“ und „… West II“ von Seiten des Staatlichen Straßenbauamts die Linksabbiegespur auf der Staatsstraße St. … gefordert. Danach muss die Einmündung der Straße „S. …“ die einzige Zufahrtsmöglichkeit von der Staatsstraße St. … zum Baugebiet „… West I und II“ sein und bleiben, um die Sicherheit und Leichtigkeit des Verkehrs zu ermöglichen. Es wurde vereinbart, dass die Beklagte die anfallenden Baukosten im Knotenpunktbereich trägt. Die auf der Staatsstraße St. … angelegte Linksabbiegespur war dementsprechend aus Gründen der Verkehrssicherheit und Straßenbaugestaltung notwendig. Bei den zahlreichen, sich im Baugebiet befindenden Baugrundstücken ist der Aspekt der Verkehrssicherheit aufgrund der zu erwartenden Menge des einmündenden und ausfahrenden Verkehrs plausibel.
58
Beim vorliegenden Gebiet „… West“ handelt es sich zudem um ein sog. isoliertes Baugebiet. Das Baugebiet darf (vgl. oben) und kann nur über die Staatsstraße St. … angefahren werden, wie auch auf den Luftbildern (BayernAtlas) und dem darauf ersichtlichen Verkehrsnetz deutlich erkennbar ist. Die Bewertung als isoliertes Baugebiet zieht nach sich, dass allein der durch das gesamte Neubaugebiet ausgelöste Verkehr die Erforderlichkeit einer Abbiegespur begründet, also abweichend von der der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 23. Februar 1990 (8 C 75.88 – juris) zugrundeliegenden Situation ein Anhaltspunkt dafür fehlt, nur die Anlieger der einmündenden Straße würden die zusätzlichen Kosten verursachen. Sie hat ferner zur Folge, dass für alle Grundstücke an Anbaustraßen des Baugebiets die Abbiegespur Voraussetzung für die verkehrsmäßige Erschließung ist, weil eine anderweitige ausreichende Verbindung mit dem allgemeinen Straßennetz fehlt, sämtlichen Eigentümern also der Sondervorteil der Bebaubarkeitsvoraussetzungen ihrer Grundstücke zuwächst, der durch den Erschließungsbeitrag ausgeglichen werden soll. Dieser Situation ist durch entsprechende Aufteilung der Kosten Rechnung zu tragen (vgl. BayVGH, U.v. 7.12.2005 – 6 B 00.860 – juris Rn. 24). Die Beklagte hat diese Grundsätze berücksichtigt und vorliegend nur den Teil der Gesamtkosten in Höhe von 146.212,90 DM für die Herstellung der Linksabbiegespur in die Nachberechnung einbezogen, der auf die westliche Erschließungsanlage entfällt.
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bb. Bei den durch die Beklagte durchgeführten Nachberechnungen wurde der Eigenanteil der Beklagten in Höhe von 10% (Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 129 Abs. 1 Satz 3 BauGB, § 4 der EBS) berücksichtigt. Dieser beträgt 28.562,10 EUR, sodass sich ein umlagefähiger Erschließungsaufwand in Höhe von 257.058,91 EUR ergibt.
60
cc. Das Abrechnungsgebiet (Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 131 Abs. 1 BauGB, § 5 Satz 1 der EBS) wurde bei den Nachberechnungen zu recht verkleinert. Es wurde eine Nettogrundstücksfläche multipliziert mit den Nutzungsfaktoren (vgl. § 6 Abs. 2 Nr. 2 der EBS) in Höhe von 9.062,30 m² (anstatt ursprünglich 11.417,03 m²) angesetzt.
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Das Abrechnungsgebiet wird gemäß § 5 Satz 1 der EBS und Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 131 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3 BauGB aus den von einer Erschließungsanlage erschlossenen Grundstücken gebildet. Hierbei ergibt sich ein Abrechnungsgebiet von insgesamt 7.195 m². Die Grundstücke mit den FlNrn. 106/26 und 106/59, jeweils Gemarkung …, wurden richtigerweise nicht länger in das Abrechnungsgebiet einbezogen, da sie nicht an der hier maßgeblichen westlichen Erschließungsanlage anliegen und durch diese erschlossen sind. Das klägerische Grundstück mit der FlNr. 106/27, Gemarkung …, wurde hingegen zu recht in das Abrechnungsgebiet aufgenommen. Es liegt zwar überwiegend an der nicht mehr abrechenbaren südöstlichen Erschließungsanlage an, sodass es durch diese Erschließungsanlage erschlossen wird. Eine (weitere) Erschließung dieses Grundstücks erfolgt jedoch auch über die hier maßgebliche westliche Erschließungsanlage, da das Grundstück mit einer Breite von ca. 7 m (gemessen über BayernAtlas) unmittelbar an die Anlage angrenzt. Hierdurch ist eine angemessene Breite für das Heranfahren- und Betretenkönnen, die nicht zuletzt im Interesse des Brandschutzes (vgl. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 der Bayerischen Bauordnung – BayBO) mindestens 1,25 m betragen muss (vgl. BayVGH, U.v. 6.4.2017 – 6 B 16.1043 – juris Rn. 19 m.w.N.), gegeben. Da die südöstliche und die westliche Erschließungsanlage je für sich das klägerische Grundstück FlNr. 106/27, Gemarkung … erschließen (grds. zur Mehrfacherschließung vgl. BVerwG, U.v. 17.6.1998 – 8 C 34.96 – juris Rn. 96), ist dieses klägerische Grundstück im hier maßgeblichen Abrechnungsgebiet zu berücksichtigen.
62
Trotz Mehrfacherschließung wurde richtigerweise die volle Grundstücksfläche für das klägerische Grundstück FlNr. 106/27, Gemarkung …, und nicht nur 2/3 hiervon (vgl. § 6 Abs. 11 Satz 1 der EBS) bei der Abrechnung berücksichtigt. Nach § 6 Abs. 11 Satz 2 Nr. 1 der EBS scheidet diese Vergünstigung wegen Mehrfacherschließung aus, wenn ein Erschließungsbeitrag nur für eine Erschließungsanlage erhoben wird und Beiträge für weitere Anlagen zu deren erstmaligen Herstellung weder nach dem geltenden Recht noch nach vergleichbaren früheren Rechtsvorschriften erhoben worden sind oder erhoben werden. Für die südöstliche Erschließungsanlage wurden für das Grundstück FlNr. 106/27, Gemarkung …, bisher keine Erschließungsbeiträge erhoben bzw. können entsprechend obiger Ausführungen auch nicht mehr erhoben werden. Beim Grundstück FlNr. 106/34, Gemarkung …, ist hingegen eine Ermäßigung nach § 6 Abs. 11 Satz 1 der EBS richtigerweise angewandt worden, da für dieses Grundstück für die erstmalige Herstellung der Straße „…N. …“ Erschließungsbeiträge erhoben wurden.
63
Das für alle im Abrechnungsgebiet einbezogenen Grundstücke, auch für die beiden klägerischen Grundstücke FlNrn. 106/27 und 106/28, jeweils Gemarkung …, ein Nutzungsfaktor von 1,3 angesetzt wurde, entspricht Art. 5a Abs. 2 KAG i.V.m. § 131 Abs. 2 Nr. 1 BauGB und § 6 Abs. 2 Nr. 2 und Abs. 5 Satz 1 der EBS, da der Bebauungsplan „… West II“ eine Bebaubarkeit mit maximal zwei Vollgeschossen vorsieht, wobei das zweite Vollgeschoss im Dachgeschoss liegen muss.
64
dd. Es ergibt sich somit ein beitragsfähiger Erschließungsaufwand in Höhe von 28,3657 EUR/m² (257.058,91 EUR/9.062,30 m²).
65
ee. Das klägerische Grundstück FlNr. 106/27, Gemarkung …, hat eine Grundstücksfläche von 578 m². Multipliziert mit einem Nutzungsfaktor von 1,3 ergeben sich 751,50 m². Der Erschließungsbeitrag für dieses Grundstück beträgt somit 21.316,82 EUR (751,50 m² x 28,3657 EUR/m²). Das Grundstück FlNr. 106/28, Gemarkung …, hat eine Grundstücksfläche von 583 m². Multipliziert mit einem Nutzungsfaktor von 1,3 ergeben sich 757,90 m². Es berechnet sich daher ein Erschließungsbeitrag für dieses Grundstück in Höhe von 21.498,36 EUR (757,90 m² x 28,3657 EUR/m²).
66
ff. Da in den diese Grundstücke betreffenden streitgegenständlichen Bescheiden vom 6. Oktober 2022 jeweils in Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 8. August 2023 Erschließungsbeiträge in Höhe von 18.051,88 EUR (FlNr. 106/27, Gemarkung ….) und 18.208,04 EUR (FlNr. 106/28, Gemarkung ….) festgesetzt wurden, führt die Neuberechnung im Ergebnis nicht zu einem niedrigeren Beitrag. Durch die insoweit erfolgte Festsetzung geringerer Erschließungsbeiträge in den streitgegenständlichen Bescheiden wird die Klägerin daher nicht in ihren Rechten verletzt.
III.
67
Die Kostenentscheidung stützt sich auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten für das Vorverfahren war nach § 162 Abs. 2 Satz 2 VwGO als notwendig zu erklären, da diese wegen der Komplexität des Erschließungsbeitragsrechts vom Standpunkt einer verständigen, nicht rechtskundigen Partei als erforderlich anzusehen ist (vgl. OVG NW, B.v. 21.6.1989 – 3 B 521/87 – juris Rn. 3; Schübel-Pfister in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 162 Rn. 29). Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 1 VwGO i.V.m. § 709 Satz 1 und 2 der Zivilprozessordnung (ZPO).