Titel:
Bayerisches Oberstes Landesgericht, Nachprüfungsverfahren, Entscheidungen der Vergabekammer, Gleichbehandlungsgrundsatz, Erstattungsfähigkeit, Rechtsmittelbelehrung, Zuschlagskriterien, Beigezogene Akten, Gebührenfestsetzung, Vergabeverfahren, Sofortige Beschwerde, Kostenvorschuss, Öffentlicher Auftraggeber, Verfahren vor der Vergabekammer, Ermessensentscheidung, Verfahrensbeteiligte, Wettbewerbsverzerrung, Verbundene Unternehmen, Rechtsschutzziel, Leistungsverzeichnis
Normenketten:
GWB § 124 Abs. 1 Nr. 6
VgV § 5
VGV § 7
GWB § 124 Abs. 1 Nr. 9b
Leitsätze:
1. Der Ausschluss eines vorbefassten Bieters nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB ist immer nur letztes Mittel und kommt nur dann in Betracht, wenn die Chancengleichheit aller Bieter nicht auch auf andere Weise sichergestellt werden kann.
2. Auch wenn bei der Vergabe von Bauaufträgen die Namen der Bieter und die Endbeträge der Angebote nach § 14EU Abs. 6 VOB/A bekanntgegeben werden, handelt es sich bei den Angaben zur Kalkulation in den Formblättern 221 bis 223 des Vergabehandbuchs um vertrauliche Angebotsinhalte i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 VgV, die der öffentliche Auftraggeber vertraulich zu behandeln hat.
3. Der öffentliche Auftraggeber darf solche Angebotsinhalte nach § 5 Abs. 1 Satz 1 VgV auch nicht an für ihn tätige Planungsbüros herausgeben, wenn ihm durch Rüge bekannt wird, dass diese mit konkurrierenden Bauunternehmen personell und gesellschaftsrechtlich eng verflochten sind.
4. Der Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB kann erfüllt sein, wenn ein Unternehmen die entgegen § 5 Abs. 1 und 2 VgV erlangte Kenntnis vertraulicher Angebotsinhalte von direkten Konkurrenten aus anderen Vergabeverfahren bei der Erstellung des eigenen Angebots nutzt.
Schlagworte:
Vergabeverfahren, Vorbefassung, Wettbewerbsverzerrung, Chancengleichheit, Interessenkonflikt, Angebotskalkulation, Vertraulichkeit
Fundstellen:
ZfBR 2025, 615
BeckRS 2025, 20197
Tenor
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, erneut in die Prüfung der Ausschlussgründe hinsichtlich der Beigeladenen einzutreten und unter Berücksichtigung der Grundsätze der Verhältnismäßigkeit und der Gleichbehandlung sowie der Rechtsauffassung der Vergabekammer über einen Ausschluss der Beigeladenen von der Teilnahme an dem streitgegenständlichen Vergabeverfahren zu befinden.
2. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen gesamtschuldnerisch die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) zu 2/3, wobei sich der Kostenanteil der Beigeladenen im Außenverhältnis auf 1/3 reduziert. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Verfahrens (Gebühren und Auslagen) zu 1/3.
3. Die Antragsgegnerin und die Beigeladene tragen die der Antragstellerin zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung entstandenen notwendigen Aufwendungen jeweils zu 1/3. Die Antragstellerin trägt die der Antragsgegnerin und der Beigeladenen zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung entstandenen notwendigen Aufwendungen zu 1/3.
4. Für das Verfahren wird eine Gebühr in Höhe von …,00 EUR festgesetzt. Auslagen sind nicht angefallen. Die Antragsgegnerin ist von der Zahlung der Gebühr befreit.
5. Die Hinzuziehung eines Verfahrensbevollmächtigten durch alle Beteiligten war notwendig.
Gründe
1
Mit Auftragsbekanntmachung vom 03.02.2025, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am …2025 unter Nr. …-2025, schrieb die Antragsgegnerin einen Bauauftrag über „Natur- und Kunststeinarbeiten mit Verblechungen aus Blei für die Sanierung des P…turms in A…“ im Wege eines offenen Verfahrens aus. Zuschlagskriterium war gemäß Ziffer 5.1.10. der Bekanntmachung der Preis.
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Der Ausschreibung gingen langjährige Untersuchungen, Schadenskartierungen und Planungen voraus. So erfolgte in den Jahren 2016 und 2017 eine Befahrung des P…turms mit Schadenskartierung und Begutachtung der oberen Geschosse durch die P… Planungsbüro und … GmbH & Co.KG im Auftrag der Antragsgegnerin. In der Folgezeit vergab die Antragsgegnerin die Leistungsphasen 1 bis 3 der Tragwerksplanung für die Sanierung des P…turms an das Büro P… Baustatik, Inh. J… P… Am 21.07.2022 erfolgte die Vergabe der Planungsleistungen der Objektplanung an die ARGE j…b. Zu deren Unterstützung vergab die Antragsgegnerin im Jahr 2023 einen Auftrag an die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. für „Beratung Natursteinsanierung und -restaurierung“ und für die Erstellung eines „Bauteilkatalogs“. Im Zuge der Objektplanung durch die ARGE j…b erhielt diese von der P… Planungsbüro und … GmbH & Co das sog. „P…’sche Natur…-Standard-Leistungsverzeichnis“. Dieses floss in die Leistungsbeschreibung des vorliegenden Vergabeverfahrens ein.
3
Das Staatliche Bauamt … führte im Frühjahr 2025 ein offenes Verfahren mit der Bezeichnung „F…M., Gesamtinstandsetzung und konservatorische Behandlung, Eiseneinbindungen ertüchtigen“ durch, veröffentlicht im Supplement zum Amtsblatt der Europäischen Union am 19.12.2024 unter Nr. 778717-2024. Die Angebotsprüfung erfolgte durch die P… Planungsbüro und … GmbH & Co.KG im Auftrag des Staatlichen Bauamts … Die Antragstellerin hatte hier zum Schlusstermin am 05.03.2025 das günstigste Angebot abgegeben, die Beigeladene hatte sich an diesem Verfahren nicht beteiligt. Das Verfahren ist Gegenstand eines bei der Vergabekammer Südbayern unter dem Gz. 3194.Z3-3_01-25-26 anhängigen Nachprüfungsverfahrens aufgrund des Ausschlusses des Angebots der Antragstellerin. Über dieses ist noch nicht entschieden.
4
In dem Verfahren „F… M.“ erfolgte zwischen dem 17. und 19.03.2025 eine Aufklärung der Preise und der Kalkulation der Antragstellerin. Die entsprechenden Schreiben wurden von einer Frau R… von der P… Planungsbüro und … GmbH & Co.KG im Auftrag des Staatlichen Bauamts … verfasst. Die Antragstellerin rügte im Verfahren „F… M.“ am 24.03.2025 einen Interessenkonflikt des Verfahrensbetreuers.
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Komplementär-GmbH der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG ist die P… Verwaltungs GmbH. Diese und die Beigeladene haben identische Geschäftsführer. Ältester und mit den meisten Befugnissen ausgestatteter Geschäftsführer beider Unternehmen ist Herr Dr. M… P… Im hier streitgegenständlichen Verfahren zur Sanierung des P…turms in A… reichten unter anderem sowohl die Antragstellerin als auch die Beigeladene innerhalb der auf den12.03.2025, 10:00 Uhr festgesetzten Angebotsfrist ein Angebot ein. Das Angebot der Beigeladenen war mit relativ geringem Vorsprung vor dem der Antragstellerin des günstigste, alle weiteren Angebote waren erheblich höher.
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Mit Schreiben vom 18.03.2025 beanstandete die Antragstellerin im streitgegenständlichen Vergabeverfahren die Beteiligung der Beigeladenen am Verfahren als vergaberechtswidrig. Die Beigeladene sei nach § 7 VgV vorbefasst. Sie habe bei der Vorbereitung der Ausschreibung mitgearbeitet und zudem die Schadenskartierung den Unterlagen beigefügt. Die Beigeladene bilde zusammen mit der „P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG“ und der „P… Baustatik“ die „ARGE P…“. Die beauftragten Architekten hätten bei der Erstellung des Leistungsverzeichnisses auf Dr. P… und seine Mitarbeiter zurückgegriffen, möglicherweise ohne Kenntnis der Antragsgegnerin. Die Vorbefassung der Beigeladenen sei nicht ausgleichbar, daher greife ein Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB.
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Mit Schreiben vom 24.03.2025 antwortete die Antragsgegnerinder Antragstellerin, dass ihren Rügen nicht abgeholfen werde. Nicht die Beigeladene, sondern die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG sei vorbefasst. Das Planungsbüro habe für ein sehr überschaubares Honorarvolumen von weniger als 10.000 € die Antragsgegnerin zum Sanierungsumfang des P…turms mit Voruntersuchungen und Schadenskartierungen der Natursteine beraten. Die P… Baustatik aus U… sei von 2017 bis 2019 für die Vor- und Entwurfsplanung in den Leistungsphasen 1-3 für die Tragwerksplanung beauftragt gewesen, nicht aber mit der Ausführungsplanung und Vorbereitung der Vergabe. Nach Abschluss der Entwurfsplanung sei die Tragwerksplanung in einem VgV-Verfahren für die Leistungsphasen 3-9 europaweit neu ausgeschrieben worden. Hieran habe sich das Planungsbüro P… Baustatik nicht beteiligt. Zu keinem Zeitpunkt seien für die Sanierung des P…turms das Planungsbüro P… Baustatik und die Beigeladene gemeinsam oder als ARGE im Projekt aufgetreten.
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Das Leistungsverzeichnis sei durch die ARGE j…b verfasst worden. Sämtliche Arbeitsergebnisse und Erkenntnisse, die aus der Vorbefassung des Planungsbüros Dr. P… entstanden seien, seien mit den Vergabeunterlagen aktiv zur Verfügung gestellt worden. Dazu zählten Übersichtsfotos aller zu bearbeitenden Bereiche, Bauforschungsberichte, Bestandspläne, umfangreiche Bauteilkataloge, Unterlagen zu allen abgeschlossenen Untersuchungen wie den Fassaden-Befahrungen im Jahr 2023 mit Kartierung aller Schäden und Befunde, der Befahrung im Jahr 2021 mit Kartierung aller Schäden und Befunde, der Befahrung im Jahr 2016 sowie die Befahrung des Glockengeschosses und des Balustradengeschosses im Jahr 2015 mit Kartierung aller Schäden und Befunde. Ein etwaiger Vorsprung der Erstplatzierten sei auch dadurch ausgeglichen worden, dass nicht die 30-tägige Mindestfrist, sondern eine 38-tägige Angebotsfrist gewählt worden sei. Weiter sei die Rüge verspätet. Wären hier nicht marktübliche handwerkliche Spezialtechniken vorgegeben worden, die sich nicht mit dem konkreten Auftragsgegenstand rechtfertigen ließen, hätte die Antragstellerin dies rechtzeitig vor Angebotsfrist rügen müssen. Auch hätten die Pauschalpositionen keinen wertungsrelevanten Unterschied ausgemacht.
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Nachdem den Rügen der Antragstellerin nicht abgeholfen wurde, stellte die Antragstellerin mit Schreiben vom 09.04.2025 einen Nachprüfungsantrag gem. § 160 Abs. 1 GWB.
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Zur Begründung wiederholt und vertieft die Antragstellerin ihren Vortrag aus der Rüge. Die Voraussetzungen eines Angebotsausschlusses nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB lägen vor. Im vorliegenden Verfahren stehe nach der Überzeugung der Antragstellerin fest, dass die Beigeladende bzw. deren Geschäftsführer Dr. M… P… über ein mit ihr verbundenes Planungsbüro – die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG – das Leistungsverzeichnis des streitgegenständlichen Verfahrens faktisch verfasst habe. Die Antragsgegnerin selbst habe eingeräumt, dass diese Gesellschaft an der Vorbereitung der Maßnahme durch Schadenskartierungen und Voruntersuchungen beteiligt gewesen sei. Für eine Vorbefassung spreche der Umstand der nahezu vollständigen Übereinstimmung mit dem Leistungsverzeichnis der Maßnahme „F… M.“, das unstreitig von der P… Planungsbüro erstellt worden sei, mit identischer Terminologie, Gliederung, Materialvorgaben und spezifischen Techniken (z. B. die sogenannte Inlay-Technik, entwickelt von Dr. P…) und einer inhaltlichen Struktur und Textidentität. Ein maschineller Abgleich beider Leistungsverzeichnisse belege einen frappierenden Gleichlauf.
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Außerdem bestehe ein struktureller Wettbewerbsvorteil insbesondere dadurch, dass die Beigeladene vollständige Kenntnis von sämtlichen Ausschreibungsinhalten gehabt habe, da sie bzw. ihr Geschäftsführer sie selbst formuliert habe. Sie habe das Leistungsverzeichnis sprachlich, inhaltlich und technisch so gestalten können, dass es exakt auf ihre Arbeitsweise, Maschinen, Materialien und Techniken zugeschnitten sei. Der Wissensvorsprung betreffe nicht nur technische Details, sondern auch preisrelevante Positionen, Mengenvorgaben und Formulierungsspielräume, was sich unmittelbar auf die wirtschaftliche Angebotserstellung auswirke.
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Über die bereits dargelegte Vorbefassung hinaus bestehe eine nochmals eigenständige, besonders gravierende Form der Wettbewerbsverzerrung: Im Rahmen des Vergabeverfahrens „F… M.“ habe die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG, vertreten durch Herrn Dr. P… – unstreitig – exakt sieben Tage vor Ablauf der Angebotsfrist im hiesigen Vergabeverfahren die Submission durchgeführt. Ein Abgleich der beiden Submissionsprotokolle zeige, dass sich die Bieterlisten beider Verfahren nahezu vollständig überschneiden. Dies sei nicht verwunderlich, da der Markt von Firmen, die solche Restaurierungen durchführen können, sehr klein sei. Hierfür müssten diese Unternehmen nämlich hoch spezialisiertes Personal, Knowhow und Gerät vorhalten, was sich nur für wenige Unternehmen lohne. Der Markt sei somit klein und umkämpft. Es sei damit vollkommen klar gewesen, dass nahezu alle Bieter, die für das Bauvorhaben F… ein Angebot abgegeben haben, auch ein Angebot für die Restaurierung des P…turms abgeben würden – was sich auch so eingestellt habe. Dies bedeute, dass Herr Dr. P… nicht nur die Namen, sondern auch die konkreten Angebotspreise sämtlicher Mitbewerber aus dem Bieterkreis des hiesigen Verfahrens bereits vor Abgabe seines eigenen Angebots gekannt habe.
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Darüber hinaus hätten ihm im Rahmen des Verfahrens F… die EFB-Preisblätter der Bieter vorgelegen, welche eine detaillierte Aufgliederung der Einheitspreise enthalten. Damit habe Herr Dr. P… nicht nur über die Endpreise, sondern über die vollständige Kalkulationsstruktur der wesentlichen Wettbewerber verfügt. Einige Tage nach Kenntnisnahme dieser Preisdaten habe Herr Dr. P… sodann – als Geschäftsführer der Beigeladenen – für das vorliegende Verfahren ein eigenes Angebot abgegeben, das preislich minimal unter dem zweitgünstigsten Angebot liege. Angesichts der erheblichen inhaltlichen Überschneidungen zwischen den beiden Leistungsverzeichnissen – sowohl in den Positionen als auch in der gewerkeweisen Struktur – liege auf der Hand, dass die Kenntnis der Preiszusammensetzung der Konkurrenz für die Angebotskalkulation von entscheidender Bedeutung war.
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Die daraus resultierende Wettbewerbslage sei mit dem vergaberechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz sowie dem Grundsatz der Diskriminierungsfreiheit nicht mehr vereinbar. Herr Dr. P… habe im Rahmen seiner Rolle als Planer im Verfahren F… auf vertrauliche Informationen zugreifen können, die nicht nur dem Geschäftsgeheimnisschutz unterliegen, sondern die zentrale Grundlage einer wirtschaftlich fundierten Angebotsabgabe darstellen. Diese Informationen – insbesondere die internen Kalkulationsansätze, Preisaufschlüsselungen und Zuschlagsstrategien der Mitbewerber – würden hoch sensible betriebswirtschaftliche Erkenntnisse darstellen, deren Kenntnis einen strategisch nicht mehr einholbaren Vorteil verschaffe. Eine solche Konstellation stelle eine besonders schwerwiegende Form der Wettbewerbsverzerrung dar, die nicht mehr durch bloße Vorbefassung erklärbar sei, sondern den Kern der vergaberechtlichen Integrität betreffe.
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Die Antragsgegnerin habe zudem keine Kenntnis davon gehabt, dass die Beigeladene bzw. deren Geschäftsführer das Leistungsverzeichnis der streitgegenständlichen Ausschreibung maßgeblich erstellt oder jedenfalls inhaltlich geprägt habe. Mangels dieser Kenntnis habe die Antragsgegnerin auch keine weitergehende Abwägung anstellen oder ihr Ermessen sachgerecht ausüben können. Eine tatsächliche Ermessensentscheidung i.S.v. § 40 VwVfG sei daher im Ergebnis nicht erfolgt. Es liege außerdem eine unzureichende Ermessensausübung für die bekannte Vorbefasstheit vor. Die Rechtsfolge sei der Ausschluss der Beigeladenen.
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Die Antragstellerin beantragt
1. Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, den Zuschlag nur unter Berücksichtigung der Rechtsauffassung der Vergabekammer zu erteilen.
2. Hilfsweise: Das Vergabeverfahren ist in den Stand vor Aufforderung zur Angebotsabgabe zurückzuversetzen.
3. Der Antragstellerin ist Einsicht in die Vergabeakten zu gewähren.
4. Die Hinzuziehung des Verfahrensbevollmächtigten der Antragstellerin gemäß § 182 Abs. 4 GWB wird für notwendig erklärt.
5. Dem Antragsgegner werden die Kosten des Verfahrens einschließlich der Kosten der zweckentsprechenden Rechtsverfolgung der Antragstellerin auferlegt
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Die Antragsgegnerin beantragt
1. Der Nachprüfungsantrag der Antragstellerin vom 09.04.2025 wird zurückgewiesen.
2. Die Antragstellerin trägt die Kosten des Nachprüfungsverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Antragsgegnerin.
3. Die Hinzuziehung eines Bevollmächtigten durch die Antragsgegnerin wird für notwendig erklärt
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Zur Begründung trägt die Antragsgegnerin vor, dass die Antragstellerin mit ihrem Vorbingen im Hinblick auf den Vorgang „F…“ präkludiert sei. Weiter sei der Nachprüfungsantrag unbegründet. Die Beigeladene sei nicht nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB auszuschließen. Der Antragsgegnerin sei zum Zeitpunkt der Ausschreibung eine begrenzte (mittelbare) Vorbefassung der Beigeladenen – nämlich durch die beauftragten Voruntersuchungen und Schadenskartierungen der Natursteine – bekannt gewesen. Sie habe diese begrenzte Vorbefassung intern diskutiert und entschieden, diese durch eine umfassende Offenlage aller Unterlagen, die auch der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG zur Verfügung gestanden hätten oder von ihr erarbeitet worden seien, über das eigentliche Leistungsverzeichnis hinaus zu kompensieren. Auch in zeitlicher Hinsicht sei der Wissensvorsprung der Beigeladenen ausgeglichen worden, indem die Mindestangebotsfrist um eine Woche verlängert worden sei.
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Infolge des Nachprüfungsantrags habe die Antragsgegnerin Kenntnis davon erlangt, dass die Vorbefassung der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG weiter reiche, als die Antragsgegnerin bislang gewusst habe. Die Antragsgegnerin habe im Zuge der Anhörung der Beigeladenen erfahren, dass die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG der von der Antragsgegnerin beauftragten ARGE j…b ihr „Natur…-Standard-Leistungsverzeichnis“ zur Verfügung gestellt habe, das u. a. Inlay-Techniken als von Prof. Dr. M… P… mitentwickelte Spezialtechnik vorsehe. Die Inlay-Techniken würden in einem Leitfaden dargestellt und in mehreren Studiengängen im Literaturverzeichnis erwähnt sowie bei einer Vielzahl von Ausschreibungen verwendet. Dies relativiere den Vorwurf der Mitwirkung. Der Beitrag beschränke sich im Ergebnis auf die Erstellung eines Bauteilkatalogs und die Zurverfügungstellung eines Muster-Leistungsverzeichnisses.
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Die Antragsgegnerin habe ungeachtet der partiellen Präklusion der Antragstellerin von Amts wegen mit einem Auskunftsersuchen beim Staatlichen Bauamt M. 1 und einer Anhörung der Beigeladenen erneut die Vorbefassung der Beigeladenen geprüft. Sie habe anschließend eine erneute Ermessensentscheidung über einen fakultativen Ausschluss nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB getroffen. Sie sei zu dem Ergebnis gekommen, dass keine hinreichenden Gründe für einen Ausschluss der Beigeladenen von dem Vergabeverfahren vorliegen und die getroffenen Ausgleichsmaßnahmen auch im Hinblick auf die mit der Rüge und dem Vergabenachprüfungsverfahren gewonnen Anhaltspunkte für eine etwas weitergehende Vorbefassung noch hinreichend seien.
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Mit Beiladungsbeschluss vom 06.05.2025 wurde die Beigeladene beigeladen.
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Die Beigeladene stellt keine Anträge.
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Die Beigeladene führt aus, dass die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG und die Antragstellerin jeweils vom gleichen Geschäftsführer vertreten werden. Die P… Baustatik sei ein autarkes Einzelunternehmen und die ARGE P… operativ nicht mehr tätig. Außerdem teilt die Beigeladene mit, dass sie nicht an der Erstellung des Leistungsverzeichnisses mitgewirkt habe. Dieses sei von der ARGE j…b erstellt worden. Dass diese sich für den zur Verfügung gestellten Standardkatalog „P…“ für Natursteinarbeiten als Planungsgrundlage für die Erfüllung der ihr gegenüber der Antragsgegnerin obliegenden Verpflichtungen entschieden hätten, sei deren Entscheidung.
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Ob eine Schadenskartierung und Bestandsdokumentation grundsätzlich eine Vorbefassung vermitteln kann, sei zweifelhaft. In jedem Fall besäße diese Art von Vorbefassung kein Potenzial einer Wettbewerbsverzerrung oder die Anlage eines auszugleichenden Vorteils eines Projektanten. Auch bestehe keine Wettbewerbsverzerrung durch die Kenntnis der Beigeladenen von den Preisen des Marktes. Es sei richtig, dass die P… Planungsbüro und … GmbH & Co KG das Staatliche Bauamt … im Bauvorhaben „F… M.“, Vergabenummer 24 E0578 bei der Vergabe von Natursteinarbeiten unterstützt habe. Auch sei es richtig, dass die P… Planungsbüro und … GmbH & Co KG die Vergabestelle auf einzelne auffällige Einheitspreise der Antragstellerin, die gerade keine Marktpreise gewesen seien, im Zuge der Prüfung der Angebote der Bieter im Vergabeverfahren „F… M.“ aufmerksam gemacht habe. Unterlagen mit Details zur Kalkulation habe die Antragstellerin zu späterem Zeitpunkt verschlüsselt an die Antragsgegnerin gesandt. Diese Details seien der Beigeladenen nicht bekannt geworden. Die Kenntnis von Einheitspreisen aus einem vorangegangenen Vergabeverfahren stelle keine Wettbewerbsverzerrung dar. Zudem würden die Einheitspreise nicht nur saisonal, konjunkturell und betriebswirtschaftlich kalkuliert, sondern von Projekt zu Projekt schwanken, sodass sich kein Bieter darauf verlassen könne, dass der Markt so bietet, wie in früheren Vergabeverfahren. Hinzu komme, dass die Projekte F… M. und P…turm, A… einen völlig unterschiedlichen Arbeits- und Kostenschwerpunkt aufweisen und den Umgang mit unterschiedlichen Natursteinmaterialien erfordern würden.
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Mit Schriftsatz vom 29.05.2025 erwiderte die Antragstellerin, dass die Antragsgegnerin versuche, die Vorbefassung der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG herunterzuspielen, um den Eindruck zu erwecken, die Beigeladene habe keine nennenswerten Vorteile bei der eigenen Angebotserstellung aus dieser Vorbefassung generieren können. Es lasse sich festhalten, dass die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG für die hiesige Ausschreibung den konkreten Leistungstext den Architekten zur Verfügung gestellt, die maßgebliche Mengenermittlung im Wege der Schadenskartierung durchgeführt, den entsprechenden Bauteilkatalog erstellt, die notwendigen Prinzipskizzen erstellt und den Architekten zur Überführung in CAD überlassen und das Konzept für die Bohrungen und Ausklinkungen am P…turm erstellt habe. Somit könne nicht von einer überschaubaren Vorbefassung die Rede sein. Die Antragsgegnerin habe offenbar gar nicht gewusst, in welch erheblichen Umfang die Beigeladene vorbefasst gewesen sei. Es sei nicht nachvollziehbar, ob das Ermessen jemals im notwendigen Umfang ausgeübt worden sei, da eine Dokumentation der maßgeblichen Erwägungsgründe für die Ausgleichsmaßnahmen der Vorbefassung unterlassen worden sei.
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Die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG habe tiefgehenden Einblick in das Angebot und dessen Kalkulation im Vergabeverfahren „F… M.“ erhalten. Sämtliche Informationen, die die Beigeladene gebraucht habe, um ein günstigeres Angebot als die Antragstellerin kalkulieren zu können seien im Hauptangebot F… sowie in den abgegebenen EFB-Preisblättern 221 und 223 enthalten gewesen. Von diesen habe die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG eine Woche vor Submission des hiesigen Verfahrens vollumfänglich Kenntnis genommen.
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Zudem habe die Beigeladene weitere systematische Vorteile durch die Vorgabe der Inlay-Technik gehabt. Diese sei bisher ausschließlich bei Bauvorhaben zum Einsatz gebracht worden, bei denen die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG mit der Planung und Fachbauleitung beauftragt gewesen sei. Auch sei die erneute Ermessensausübung der Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung fehlerhaft. Nach dem Vortrag der Antragsgegnerin habe sie nämlich auch bei der erneuten Ermessensausübung falsche bzw. falsch gewichtete Tatsachen in ihre Erwägungen eingestellt.
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In der mündlichen Verhandlung vom 03.06.2025 wurde die Sach- und Rechtslage erörtert. Die Verfahrensbeteiligten hatten Gelegenheit zum Vortrag und zur Stellungnahme. Die Vergabekammer wies darauf hin, dass aus den beigezogenen Akten des Nachprüfungsverfahrens Gz. 3194.Z3-3_01-25-26 die Aussage des Staatlichen Bauamts … gegenüber der Antragsgegnerin, dass die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG keine Details des Angebots der Antragstellerin im Vergabeverfahren „F… M.“ kannte, nicht nachvollzogen werden könne. Alle Aufklärungsschreiben des Staatlichen Bauamts … an die Antragstellerin seien von einer Frau R… unterzeichnet worden, die jedenfalls Mitarbeiterin der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG sei. Ob sie auch Mitarbeiterin der Beigeladenen ist, sei derzeit nicht bekannt. Aus den gestellten Fragen zur Angebotsaufklärung gehe hervor, dass zumindest diese Mitarbeiterin inhaltliche Kenntnis von Details des Angebots der Antragstellerin im Verfahren „F… M.“ hatte. Sie habe punktuelle Nachfragen zu Eintragungen des FB 221 gestellt und ihre Fragen zu den Einzelpreisen der Antragstellerin vom 18.03.2025 würden Kenntnis der Inhalte des mit dem Angebot am 05.03.2025 abgegebenen FB 223, also der Aufgliederung der Einheitspreise erfordern.
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Mit Schriftsatz vom 16.06.2025 teilte die Antragsgegnerin mit, dass die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG ihr P…’sches Natur…s-Standard-Leistungsverzeichnis zur Verfügung gestellt, die Schadenskartierung vorgenommen und einen Bauteilkatalog sowie Teile der Prinzipskizzen (nämlich die Anlagen A.10.1 Prinzipskizze Naturstein und A.10.3 Prinzipskizze Gleitfugen) und einen Übersichtsplan (A.13-1) erstellt bzw. hieran mitgewirkt habe. Diese Unterlagen seien aber mit dem Leistungsverzeichnis in vollem Umfang zur Verfügung gestellt worden. Somit seien alle denkbaren Maßnahmen ergriffen worden, um den Wissensvorsprung der Beigeladenen zu kompensieren. Die Antragstellerin selbst habe ausweislich des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom 03.06.2025 keine weiteren Ausgleichsmaßnahmen benennen können, die ihr ein besser kalkuliertes Angebot ermöglicht hätten. Zum anderen habe die Antragsgegnerin, nachdem sie durch die Rüge der Antragstellerin vom Sachverhalt erfahren habe, alle möglichen Aufklärungsmaßnahmen ergriffen, insbesondere die Beigeladene zu den erhobenen Vorwürfen angehört und das Staatliche Bauamt … um Stellungnahme ersucht. Dass die Stellungnahme des Staatlichen Bauamts nur bedingt mit der Aktenlage zur F… in Einklang gebracht werden könne, könne der Antragsgegnerin nicht angelastet werden. Auf der Grundlage der erhaltenen Informationen habe die Antragsgegnerin in ihrer Antragserwiderung erneut eine Ermessensentscheidung zu dem von der Antragstellerin geforderten fakultativen Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB getroffen.
30
Die Ausschlussgründe nach § 124 Abs. 1 Nr. 4, 5, 6, 9b GWB lägen nicht vor. Zudem habe die Antragsgegnerin keine Anhaltspunkte dafür, dass ein Mitarbeiter des Planungsbüros P… vor dem Submissionstermin zum P…turm am 12.03.2025 bzw. vor der Angebotsabgabe der Beigeladenen am 10.03.2025 Detailkenntnisse von den Angebotsunterlagen der Antragstellerin gehabt habe und dass diese Informationen vom Planungsbüro P… an die Beigeladene weitergegeben worden seien. Im Gegenteil seien ausweislich des Protokolls zur mündlichen Verhandlung vom 03.06.2025 die Aufklärungsfragen im Verfahren F… erst nach dem Termin zur Angebotsabgabe für den P…turm gestellt worden. Dies indiziere, dass zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe durch die Beigeladene noch keine Kenntnis der Angebotskalkulation der Antragstellerin beim Planungsbüro P… bestanden habe.
31
Mit Schriftsatz vom 17.06.2025 teilte die Beigeladene mit, dass die Kenntnis der Urkalkulation aus einem Vorprojekt eines Konkurrenten einem Bieter keinen Wettbewerbsvorteil verschaffe, da es sich um unterschiedliche Objekte mit unterschiedlichen Maßnahmen handle und es mathematisch unmöglich sei, zu prognostizieren oder zu planen, welcher Einheitspreis zu welcher Position losgelöst von der eigenen Kalkulation eingesetzt hätte werden müssen, um einen wettbewerbsrelevanten Vorteil erringen zu können. Zudem habe sie nicht die besondere Kalkulationstechnik der Antragstellerin übernommen und keinen Kalkulationsvorteil durch die Kenntnis früherer Preise und keine Kenntnis des Bieterkreises erlangt. Weiter habe es keine wettbewerbsrelevante Vorbefassung gegeben.
32
Die Beteiligten wurden durch den Austausch der jeweiligen Schriftsätze informiert. Auf die ausgetauschten Schriftsätze, das Protokoll der mündlichen Verhandlung, die Verfahrensakte der Vergabekammer sowie auf die Vergabeakten, soweit sie der Vergabekammer vorgelegt wurden, wird ergänzend Bezug genommen.
33
Die Vergabekammer Südbayern ist für die Überprüfung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens zuständig.
34
Die sachliche und örtliche Zuständigkeit der Vergabekammer Südbayern ergibt sich aus §§ 155, 156 Abs. 1, 158 Abs. 2 GWB i. V. m. §§ 1 und 2 BayNpV.
35
Gegenstand der Vergabe ist ein Bauauftrag i. S. d. § 103 Abs. 3GWB. Die Antragsgegnerinist Auftraggeber gemäß §§ 98, 99 Nr. 1 GWB. Der geschätzte Auftragswert der gesamten Baumaßnahmen zur Sanierung des P…turms überschreitet den gemäß § 106 GWB maßgeblichen Schwellenwert.
36
Eine Ausnahmebestimmung der §§ 107 – 109 GWB liegt nicht vor.
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1. Der Nachprüfungsantrag ist zulässig.
38
Gemäß § 160 Abs. 2 GWB ist ein Unternehmen antragsbefugt, wenn es sein Interesse am Auftrag, eine Verletzung in seinen Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB und zumindest einen drohenden Schaden darlegt.
39
Die Antragstellerinhat ihr Interesse am Auftrag durch die Abgabe eines Angebots nachgewiesen. Es ist nicht erkennbar, dass sie mit diesem Nachprüfungsantrag einen anderen Zweck verfolgt, als den, den strittigen Auftrag zu erhalten. Die Antragstellerinhat eine Verletzung in ihren Rechten nach § 97 Abs. 6 GWB insbesondere durch die Teilnahme der Beigeladenen am Vergabeverfahren geltend gemacht. Sie macht geltend, dass die Beigeladene durch die Vorbefassung ihres Schwesterunternehmens P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG bei der Vorbereitung des hier streitgegenständlichen Vergabeverfahrens sowie wegen der aus dem Vergabeverfahren „F… M.“ erlangten Kenntnisse der dortigen Kalkulation der Antragstellerin nicht ausgleichbare Vorteile erlangt habe und daher nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB vom Vergabeverfahren auszuschließen sei.
40
Der Zulässigkeit des Nachprüfungsantrags steht auch keine Rügepräklusion nach § 160 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 GWB entgegen, da die Antragstellerin von der Teilnahme der Beigeladenen am Vergabeverfahren frühestens mit dem Submissionsprotokoll vom 12.03.2025 Kenntnis haben konnte und bereits mit der Rüge vom 18.03.2025 geltend gemacht, dass diese wegen ihrer Vorbefassung nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB vom Vergabeverfahren auszuschließen sei.
41
Soweit die Antragstellerin erstmals im Nachprüfungsantrag vom 09.04.2025 vorgebracht hat, dass die Beigeladene Kenntnis von den Preisen des Marktes und auch vom Angebot der Antragstellerin aus dem Vergabeverfahren „F… M.“ gehabt habe und damit über die gerügte Vorbefassung hinaus eine eigenständige, besonders gravierende Form der Wettbewerbsverzerrung vorliege, bestand keine gesonderte Rügeobligenheit gegenüber der Antragsgegnerin.
42
Eine Rügeobliegenheit nach § 160 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GWB besteht nur, wenn ein Antragsteller eine feststellbare und im Streitfall vom öffentlichen Auftraggeber nachzuweisende positive Kenntnis von den einen Vergabeverstoß begründenden tatsächlichen Umständen hat. Zudem müssen das vertretungsberechtigte Organ oder sein Wissens- oder rechtsgeschäftlicher Vertreter aufgrund laienhafter, vernünftiger Bewertung die positive Vorstellung von einem Verstoß gegen Vergabevorschriften gewonnen haben. Bloße Vermutungen oder ein Verdacht lösen hingegen keine Rügeobliegenheit aus. (Ziekow/Völlink/Dicks/Schnabel, GWB § 160 Rn. 40; BayObLG, Beschluss vom 11.12.2024 – Verg 7/24). Im vorliegenden Fall fehlt insoweit schon die erforderliche positive Kenntnis von den einen Vergabeverstoß begründenden tatsächlichen Umständen. Da dies bis heute ungeklärt ist, konnte es der Antragstellerin vor Einreichung des Nachprüfungsverfahrens nicht positiv bekannt sein, ob die aus den Akten des Nachprüfungsverfahrens mit dem Gz.: 3194.Z3-3_01-25-26 belegbare Kenntnis einer Mitarbeiterin der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG von den Angebotsinhalten der Antragstellerin, insbesondere den Formblättern 221 und 223, im Vergabeverfahren „F… M.“ überhaupt an die Beigeladene weitergegeben und bei der Erstellung des Angebots im hiesigen Verfahren verwertet wurde. Genauso wenig konnte die Antragstellerin vor Einreichung des Nachprüfungsverfahrens positiv wissen, ob die belegbare Kenntnis einer Mitarbeiterin der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG von den Angebotsinhalten der Antragstellerin im Vergabeverfahren „F… M.“ bereits zum Zeitpunkt der Angebotsabgabe im hiesigen Verfahren bestand. Die Antragstellerin hätte die diesbezüglichen Rügen daher aufgrund von Vermutungen gegenüber der Antragsgegnerin erheben müssen, wozu sie nicht verpflichtet war.
43
2. Der Nachprüfungsantrag ist auch begründet.
44
Die Antragsgegnerin ist allerdings nicht verpflichtet, die Beigeladene nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB vom Vergabeverfahren auszuschließen oder erneut über den Umfang der nach § 7 VgV zu ergreifenden Ausgleichsmaßnahmen aufgrund der Vorbefassung der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG zu entscheiden. Die Antragsgegnerin ist allerdings verpflichtet zu prüfen, ob die Beigeladene den Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB dadurch erfüllt hat, dass sie sich von der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG vertrauliche Angebotsinhalte der Antragstellerin aus dem Vergabeverfahren „F… M.“ beschafft hat oder dies versucht hat. Weiterhin ist die Antragsgegnerin verpflichtet zu prüfen, ob die Beigeladene gleichbehandlungswidrige Vorteile dadurch erlangt hat, dass Personen, die Kenntnis von vertraulichen Kalkulationsbestandteilen aus dem Angebot der Antragstellerin im Vergabeverfahren „F… M.“ hatten, bei der Angebotserstellung mitgewirkt haben oder ihre Kenntnisse an Personen weitergegeben haben, die an der Angebotserstellung beteiligt waren.
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2.1 Die Antragsgegnerin ist nicht verpflichtet, die Beigeladene nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB vom Vergabeverfahren auszuschließen.
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Nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB können öffentliche Auftraggeber unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn eine Wettbewerbsverzerrung daraus resultiert, dass das Unternehmen bereits in die Vorbereitung des Vergabeverfahrens einbezogen war, und diese Wettbewerbsverzerrung nicht durch andere, weniger einschneidende Maßnahmen beseitigt werden kann.
47
Der Ausschlussgrund scheitert allerdings nicht schon daran, dass die Beigeladene nicht an der Vorbereitung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens mitgewirkt hat. Die Möglichkeit der Wettbewerbsverzerrung kann nämlich auch bei solchen Unternehmen bestehen, die mit dem Projektanten personell, gesellschaftsrechtlich oder auch nur geschäftlich verbunden sind (Ziekow/Völlink/Völlink VgV § 7 Rn. 4 m.w.N.). Die Beigeladene hat dieselben Geschäftsführer wie die Komplementär-GmbH der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG und ist daher mit dieser gesellschaftsrechtlich und personell eng verbunden.
48
Die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG war unstreitig an der Vorbereitung des streitgegenständlichen Vergabeverfahrens beteiligt. Ihre Vorbefassung umfasst die Befahrung des Bauvorhabens, die Schadenskartierung und die Begutachtung der oberen Geschosse in den Jahren 2016/2017, den Auftrag „Beratung Natursteinsanierung und -restaurierung“ zur Unterstützung der beauftragten Planer für die Erstellung eines „Bauteilkatalogs“ und die Überlassung des nicht am freien Markt erhältlichen sog. „P…’schen Natur…-Standard-Leistungsverzeichnis“ an die ARGE j…b. In diesem Zusammenhang hat die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG den konkreten Leistungstext den Architekten zur Verfügung gestellt, die maßgebliche Mengenermittlung im Wege der Schadenskartierung durchgeführt, den entsprechenden Bauteilkatalog erstellt, die notwendigen Prinzipskizzen erstellt und den Architekten zur Überführung in CAD überlassen und das Konzept für die Bohrungen und Ausklinkungen am P…turm erstellt.
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Wie sich bereits aus dem klaren Wortlaut des § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB ergibt, ist der Ausschluss eines vorbefassten Bieters immer nur letztes Mittel und kommt nur dann in Betracht, wenn die Chancengleichheit aller Bieter nicht auch auf andere Weise sichergestellt werden kann (Friton, in: BeckOK VergabeR, § 124 GWB Rn. 59; Hausmann/von Hoff, in: Röwekamp/Kus/Portz/Prieß, GWB, § 124 GWB Rn. 65). Dies entspricht auch der Rechtsprechung des EuGH, wonach ein Bieter, der selbst im Vorfeld der Ausschreibung für den öffentlichen Auftraggeber tätig war, nicht automatisch vom Vergabeverfahren ausgeschlossen werden darf (EuGH, Urteile vom 03.03.2005 – C-21/03 und C-34/03 – Fabricom). Der öffentliche Auftraggeber hat grundsätzlich vorrangig zum Ausgleich angemessene Maßnahmen zu ergreifen; nur dann, wenn keine andere Möglichkeit besteht, die Gleichbehandlung aller Bieter sicherzustellen, kann der vorbefasste Bieter ausgeschlossen werden.
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Die Antragsgegnerin hat im streitgegenständlichen Verfahren die Vorbefassungssituation der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG im Grundsatz – wenn auch zunächst nicht in vollem Umfang – erkannt und als Kompensation den Bietern die Erkenntnisse aus der vorausgegangenen Bestandserfassung auf 248 Seiten zur Verfügung gestellt. Diese Unterlagen umfassen Übersichtsfotos aller zu bearbeitenden Bereiche, Bauforschungsberichte, Bestandspläne, umfangreiche Bauteilkataloge zu den einzelnen Bauteilen mit einer allgemeinen Beschreibung, einen Vermerk aller Schäden und den daraus folgenden Sanierungsmaßnahmen ergänzt durch beschreibende Bilder aller Details, historische Planunterlagen, historische Bilder und Skizzen. Weiterhin wurden Unterlagen zu allen abgeschlossenen Untersuchungen, wie den Fassaden-Befahrungen im Jahr 2023 mit Kartierung aller Schäden und Befunde, der Befahrung im Jahr 2021 mit Kartierung aller Schäden und Befunde, der Befahrung im Jahr 2016 und der Befahrung des Glocken- und des Balustradengeschosses im Jahr 2015 mit Kartierung aller Schäden und Befunde den Bietern überlassen. Die Kartierung enthält Bilder aus dem Bestand mit Vermerk aller Untersuchungsergebnisse sowie Detail- und Planunterlagen zu allen Positionen. Außerdem hat die Antragsgegnerin die Mindestangebotsfrist auf 37 Kalendertage, also um eine ganze weitere Woche verlängert.
51
Vor dem Hintergrund dieser Maßnahmen besteht im vorliegenden Fall keine Ermessensreduzierung auf Null für die Antragsgegnerin, bei der die Vergabekammer diese verpflichten könnte, die Beigeladene nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB vom Vergabeverfahren auszuschließen. Es ist vielmehr davon auszugehen, dass die Vorteile der Beigeladenen durch die Vorbefassung der mit ihr verbundenen P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG durch die überlassenen Unterlagen im Wesentlichen ausgeglichen werden konnten.
52
Der Antragstellerin war jedenfalls das „Natur…-Standard-Leistungsverzeichnis“, das das P… Planungsbüro so oder in ähnlicher Form offenbar seit Jahren verwendet, geläufig. Gleiches gilt für die Inlay-Technik als Spezialtechnik, die inzwischen – aufgrund des Wirkens von Herrn Prof. Dr. P… – sogar zum Berufsbild der Ausbildung von Steinmetzen und Bildhauern zählt und im Standardwerk S…-P…, Leitfaden Steinkonservierung, 2020, 5. Aufl., behandelt wird. Jedenfalls konnte die Antragstellerin auf dieser Basis wettbewerbsfähige Angebote kalkulieren. Dies zeigt sich daran, dass sie im streitgegenständlichen Vergabeverfahre mit knappen Preisunterschied zweitplatziert hinter der Beigeladenen liegt und im Vergabeverfahren „F… M.“, das die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG als planendes Büro betreut, sogar das günstigste Angebot abgegeben hat.
53
Aus diesem Grund ist die Entscheidung der Antragsgegnerin, dass die Vorteile der Beigeladenen durch die Vorbefassung der mit ihr verbundenen P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG durch ihre Maßnahmen ausgeglichen werden konnten und daher die Beigeladene nicht nach § 124 Abs. 1 Nr. 6 GWB ausgeschlossen werden durfte, von ihrem Ermessensspielraum gedeckt und im Ergebnis nicht zu beanstanden.
54
2.2 Die Antragsgegnerin war auch nicht dazu zu verpflichten, erneut über den Umfang der nach § 7 VgV zu ergreifenden Ausgleichsmaßnahmen aufgrund der Vorbefassung der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG zu entscheiden.
55
Es liegt im pflichtgemäßen Ermessen des öffentlichen Auftraggebers, welche Maßnahmen er zur Herstellung eines fairen Wettbewerbs ergreift und unter Berücksichtigung der konkreten Umstände des Einzelfalls zu bewerten, ob bei einer Beteiligung des Projektanten der Grundsatz des fairen Wettbewerbs gewahrt wird (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.05.2024 – Verg 33/23; OLG München, Beschluss vom 19.12.2013 – Verg 12/13). Diese Ermessensentscheidung ist von den Nachprüfungsinstanzen lediglich darauf zu überprüfen, ob der Auftraggeber entweder ein vorgeschriebenes Verfahren nicht einhält, er von einem unzutreffenden oder unvollständigen Sachverhalt ausgeht, wenn sachwidrige Erwägungen für die Entscheidung verantwortlich waren oder wenn bei der Entscheidung ein Beurteilungsmaßstab nicht zutreffend angewandt wurde.
56
Vorliegend hat die Antragsgegnerin die Entscheidung über die Festlegung der Ausgleichsmaßnahmen nicht auf einer vollständigen Tatsachengrundlage getroffen. Bei der Entscheidung war ihr nicht bekannt, dass die mit der Erstellung des Leistungsverzeichnisses im streitgegenständlichen Nachprüfungsverfahren beauftragte ARGE j…b das nicht am freien Markt erhältliche sog. „P…’schen Natur…-Standard-Leistungsverzeichnis“ von der mit der Beigeladenen verbundenen P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG erhalten und eingearbeitet hat. Weiterhin konnte der Antragsgegnerin der Sachverhalt beim Vergabeverfahren „F… M.“ zum Zeitpunkt der Entscheidung über die Festlegung der Ausgleichsmaßnahmen nicht bekannt sein. Aus diesem Grund hat die Antragsgegnerin an sich die Entscheidung über die Festlegung der Ausgleichsmaßnahmen auf einem unzureichend ermittelten Sachverhalt getroffen.
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Dennoch ist es im vorliegenden Fall nicht geboten, die Antragsgegnerin dazu zu verpflichten, erneut über den Umfang der nach § 7 VgV zu ergreifenden Ausgleichsmaßnahmen aufgrund der Vorbefassung der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG zu entscheiden. Die festgelegten Ausgleichsmaßnahmen der Überlassung der vollständigen Dokumentation der Voruntersuchungen und Vorplanungen sowie die Verlängerung der Angebotsfrist erscheinen im vorliegenden Fall als die einzigen geeigneten Maßnahmen zur Herstellung eines fairen Wettbewerbs. Das Ergreifen dieser Maßnahmen durch die Antragsgegnerin erscheint auch unter Berücksichtigung der Aspekte, die die Antragsgegnerin zum Zeitpunkt ihrer Entscheidung nicht kannte, als vertretbare und zielführende Maßnahme, um bei einer Beteiligung der Beigeladenen am Verfahren den Grundsatz des fairen Wettbewerbs zu wahren. Auch die Antragstellerin hat in der mündlichen Verhandlung keine zusätzlichen Ausgleichmaßnahmen benennen können, die es ihr ermöglicht hätten, ihr Angebot besser und wirtschaftlicher zu kalkulieren. Die Antragstellerin hätte aber darlegen müssen, über welche Informationen nur die Beigeladene durch die Vorbefassung der mit ihr verbundenen P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG verfügte und inwieweit diese wettbewerbsrelevant sind (OLG Düsseldorf, Beschluss vom 11.12.2024 – Verg 24/24). Nichtpreisliche Zuschlagskriterien, die die Beigeladene begünstigen könnten, wie im Fall von OLG Düsseldorf, Beschluss vom 13.05.2024 – Verg 33/23, gibt es im vorliegenden Fall nicht. Aus diesem Grund wäre es reine Förmelei, die Antragsgegnerin zu verpflichten, erneut über den Umfang der nach § 7 VgV zu ergreifenden Ausgleichsmaßnahmen aufgrund der Vorbefassung der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG zu entscheiden, da sie dieselben Maßnahmen erneut ermessenfehlerfrei festsetzen könnte.
58
2.3 Die Antragsgegnerin ist allerdings vor einer Zuschlagsentscheidung verpflichtet zu prüfen, ob die Beigeladene den Ausschlussgrund des § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB dadurch erfüllt hat, dass sie sich von der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG vertrauliche Angebotsinhalte der Antragstellerin aus dem Vergabeverfahren „F… M.“ beschafft hat oder dies versucht hat.
59
Nach § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB können öffentliche Auftraggeber können unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit ein Unternehmen zu jedem Zeitpunkt des Vergabeverfahrens von der Teilnahme an einem Vergabeverfahren ausschließen, wenn das Unternehmen versucht hat, vertrauliche Informationen zu erhalten, durch die es unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte. Der Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB erfasst insbesondere den Versuch, vertrauliche Informationen aus den Angeboten anderer Bieter zu erhalten, die dem Unternehmen Vorteile verschaffen können. Was in einem Vergabeverfahren der Vertraulichkeit unterliegt und somit Gegenstand einer unzulässigen Vorteilsverschaffung iSv § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB sein kann, ist in § 5 VgV näher definiert. Darunter fallen letztlich alle Inhalte aus Angeboten oder Teilnahmeanträgen anderer Unternehmen sowie die gesamte Kommunikation während des Vergabeverfahrens mit anderen Unternehmen. Als Tatbestandsvoraussetzung zu prüfen ist immer auch, ob durch die vertraulichen Informationen ein Vorteil erlangt werden konnte bzw. hätte erlangt werden können. (Ziekow/Völlink/Stolz, GWB § 124 Rn. 50f.).
60
Ob der Tatbestand der Vorschrift erfüllt ist, steht derzeit mangels ausreichend aufgeklärtem Sachverhalt nicht fest. Nach den der Vergabekammer vorliegenden Informationen aus den beigezogenen Akten des Nachprüfungsverfahrens Gz. 3194.Z3-3_01-25-26 und den Einlassungen der Beigeladenen ist aber zumindest ein Szenario möglich, bei dem der Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB erfüllt sein könnte.
61
Auf die entsprechenden Fragen der Antragsgegnerin im Schreiben vom 22.04.2025 antwortete die Beigeladene mit Schreiben vom 02.05.2025, dass Herrn Dr. P… als Geschäftsführer beider Unternehmen die Submissionsergebnisse und auch die EFB-Blätter 221 und 222 im Vergabeverfahren „F… M.“ bekannt waren, nicht aber die Urkalkulation der Antragstellerin. Aus den Fragen, die die Mitarbeiterin Frau R… der Antragstellerin im Zuge der Preisprüfung im Vergabeverfahren „F… M.“ gestellt hat, ergibt sich nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern aber zwingend, dass zumindest diese Mitarbeiterin auch die Aufgliederung der Einheitspreise der Antragstellerin im Formblatt 223 des Vergabehandbuchs Bayern gekannt haben muss. Dies entspricht in etwa auch der Kenntnis der Urkalkulation, die gegenüber der Aufgliederung der Einheitspreise nach Auskunft der Antragstellerin kaum zusätzliche Informationen enthält. Auch wenn die Mitarbeiterin der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG im Vergabeverfahren „F… M.“ die entsprechenden Aufklärungsfragen erst ab dem 18.03.2025 und damit nach Ablauf der Angebotsfrist im streitgegenständlichen Vergabeverfahren gestellt hat, ist nicht ausgeschlossen, dass sie bereits vor dem 12.03.2025 Kenntnis von der Aufgliederung der Einheitspreise der Antragstellerin im Formblatt 223 hatte, welches die Antragstellerin bereits mit ihrem Angebot zum Schlusstermin am 05.03.2025 eingereicht hatte.
62
Es ist derzeit nicht geklärt, ob die Beigeladene die Kenntnisse der Mitarbeiterin der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG in irgendeiner Form bei der Abfassung des Angebots im streitgegenständlichen Vergabeverfahren genutzt hat und wer im Unternehmen der Beigeladenen vor dem Schlusstermin zur Angebotsabgabe im streitgegenständlichen Verfahren Einblick in die Kalkulation der Antragstellerin im Vergabeverfahren „F… M.“ hatte. Organisatorische Maßnahmen bei der Beigeladenen und der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG, die dies verhindern würden, gibt es laut der Stellungnahme der Beigeladenen vom 02.05.2025 jedenfalls nicht. Die Beigeladene hält diese nicht für erforderlich, da sie sich grundsätzlich nicht auf Aufträge bewerbe, zu denen die Ausschreibungsunterlagen von der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG erstellt worden sind. Zudem würde die Kenntnis der EFB-Blätter aus einem Vorprojekt keinen wettbewerbsrelevanten Vorteil bei der Kalkulation eines zeitlich späteren Projektes mit anderen Planungsanforderungen bringen.
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Nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern kann aber der Tatbestand des § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB erfüllt sein, falls die Beigeladene die Kenntnisse der Mitarbeiterin der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG in irgendeiner Form bei der Abfassung des Angebots im streitgegenständlichen Vergabeverfahren genutzt hat. Auch wenn die Namen der Bieter und die Endbeträge der Angebote nach § 14EU Abs. 6 VOB/A bekanntgegeben werden, handelt es sich bei den Angaben zur Kalkulation in den Formblättern 221 bis 223 des Vergabehandbuchs Bayern zweifelsfrei um vertrauliche Angebotsinhalte i.S.d. § 5 Abs. 1 Satz 2 VgV. Diese Angebotsinhalte sind nach § 5 Abs. 2 Satz 2 VgV auch nach Abschluss des Vergabeverfahrens vertraulich zu behandeln, woraus sich zwanglos schließen lässt, dass sie nicht an Beteiligte anderer Vergabeverfahren herausgegeben werden dürfen.
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Entgegen der Auffassung der Antragsgegnerin und der Beigeladenen wären diese Informationen zur Kalkulation in den Formblättern 221 bis 223 des Vergabehandbuchs Bayern auch geeignet, der Beigeladenen unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren zu verschaffen. Der Schutz der Vertraulichkeit in § 5 VgV wurde deshalb geschaffen, weil die Gesetz- und Richtliniengeber (vgl. Art. 21 Abs. 1 RL 2014/24/EU) davon ausgegangen sind, dass Detailkenntnisse der Kalkulation von Konkurrenzunternehmen aus anderen Vergabeverfahren grundsätzlich dazu führen können, Unternehmen unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren zu verschaffen. Würde man – wie die Antragsgegnerin und die Beigeladene – wettbewerbsrelevante Vorteile bei der Kalkulation eines zeitlich späteren Projektes durch unzulässige Kenntnisse vertraulicher Angebotsinhalte eines früheren Projekts verneinen, wäre der gesetzliche Schutz der Vertraulichkeit in § 5 VgV überflüssig.
65
Angesichts der zahlreichen Übereinstimmungen in den Leistungsverzeichnissen, die trotz der erheblichen Unterschiede der Maßnahmen „F… M.“ und „P…turm A…“ bestehen, ist es im Übrigen nicht nachvollziehbar, dass die Einblicke in die Angebotskalkulation der Antragstellerin im Verfahren „F… M.“, die die Beigeladene über die P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG möglicherweise erhalten hat, nicht zu einem unzulässigen Vorteil beim Vergabeverfahren geführt haben könnten. Der Gesetzeswortlaut des § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB stellt mit der Formulierung „unzulässige Vorteile beim Vergabeverfahren erlangen könnte“ im Übrigen ausdrücklich auch nur auf die Möglichkeit unzulässiger Vorteile ab. Diese müssen sich nicht nachweislich konkret bei der Angebotsabgabe ausgewirkt haben.
66
Da somit eine Erfüllung des Tatbestands des § 124 Abs. 1 Nr. 9b GWB möglich ist, falls die Beigeladene die Kenntnisse der Mitarbeiterin der P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG in irgendeiner Form bei der Abfassung des Angebots im streitgegenständlichen Vergabeverfahren genutzt hat, hat die Antragsgegnerin den entsprechenden Sachverhalt aufzuklären. Sie wird insbesondere aufzuklären haben, ob die Beigeladene bei der Erstellung des Angebots im streitgegenständlichen Vergabeverfahren Kenntnisse aus der Aufgliederung der Einheitspreise der Antragstellerin im Verfahren „F… M.“ verwendet hat. Hierzu ist jedenfalls erforderlich, dass die Antragsgegnerin feststellt, welche Personen zu welchem Zeitpunkt Kenntnisse der Inhalte der Formblätter 221 bis 223 aus dem Angebot der Antragstellerin hatten.
67
In diesem Zusammenhang hat die Antragsgegnerin vor dem Hintergrund der aktuellen Rechtsprechung des EuGH (vgl. EuGH, Urteil vom 13.06.2025 – Rs. C-415/23) weiter zu prüfen, ob der Gleichbehandlungsgrundsatz noch gewahrt ist, wenn Personen, die Kenntnis von vertraulichen Kalkulationsbestandteilen aus dem Angebot der Antragstellerin im Vergabeverfahren „F… M.“ gehabt haben können, bei der Angebotserstellung mitgewirkt haben oder ihre Kenntnisse an Personen weitergegeben haben, die an der Angebotserstellung beteiligt waren.
68
Der EuGH hat wiederholt entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber in jedem Abschnitt des Verfahrens für die Einhaltung des Grundsatzes der Gleichbehandlung sorgen muss (siehe z.B. auch EuGH, Urteil vom 15.09.2022 – Rs. C-416/21 in einem Fall von wechselseitiger Kenntnis des Angebotsinhalts verbundener Unternehmen). Dies bedeutet, dass er prüfen muss, ob Interessenkonflikte bestehen, und dass er geeignete Maßnahmen zu ergreifen hat, um Interessenkonflikte zu verhindern, aufzudecken und zu beheben. Im Urteil vom 15.09.2022 – Rs. C-416/21 hat der EuGH entschieden, dass der öffentliche Auftraggeber alle relevanten Umstände prüfen muss, die zur Einreichung dieses Angebots geführt haben, wenn nicht ausgeschlossen werden kann, dass die durch die Einstellung eines ehemaligen leitenden Mitarbeiters eines Mitbewerbers gewonnenen Informationen dem Bieter, der die Einstellung vorgenommen hat, einen ungerechtfertigten Vorteil verschafft haben.
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Dieser Rechtsgedanke ist nach Auffassung der Vergabekammer Südbayern auch auf die vorliegende Fallkonstellation anzuwenden. Vorliegend kann – wegen des nicht ausreichend geklärten Sachverhalts – nicht ausgeschlossen werden, dass die Beigeladene dadurch einen ungerechtfertigten Vorteil erlangt haben könnte, dass sie über die mit ihr verbundene P… Planungsbüro und … GmbH & Co. KG Kenntnis von vertraulichen Angebotsbestandteilen der Antragstellerin im Vergabeverfahren „F… M.“ erhalten hat, insbesondere einen unzulässigen Einblick in deren Kalkulation über die Formblätter 221 bis 223 des Vergabehandbuchs Bayern.
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Die Kosten des Verfahrens vor der Vergabekammer hat gemäß § 182 Abs. 3 S. 1 GWB derjenige zu tragen, der im Verfahren vor der Vergabekammer unterlegen ist. Dies sind überwiegend die Antragsgegnerin und Beigeladene, weil die Antragsgegnerin zu einer weiteren Prüfung der Ausschlussgründe hinsichtlich der Beigeladenen verpflichtet wurde. Die Antragstellerin wiederum ist teilweise unterlegen, weil sie ihr Rechtsschutzziel des Ausschlusses der Beigeladenen, der ihrem Angebot wahrscheinlich den Weg zum Zuschlag geöffnet hätte, nicht erreicht hat.
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Die Gebührenfestsetzung beruht auf § 182 Abs. 2 GWB. Diese Vorschrift bestimmt einen Gebührenrahmen zwischen 2.500 Euro und 50.000 Euro, der aus Gründen der Billigkeit auf ein Zehntel der Gebühr ermäßigt und, wenn der Aufwand oder die wirtschaftliche Bedeutung außergewöhnlich hoch sind, bis zu einem Betrag vom 100.000 Euro erhöht werden kann.
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Die Höhe der Gebühr richtet sich nach dem personellen und sachlichen Aufwand der Vergabekammer unter Berücksichtigung der wirtschaftlichen Bedeutung des Gegenstands des Nachprüfungsverfahrens. Eine Reduzierung Gründen der Billigkeit war vorliegend nicht veranlasst.
73
Die Antragsgegnerinist als Gemeinde von der Zahlung der Gebühr nach § 182 Abs. 1 S. 2 GWB i. V. m. § 8 Abs. 1 Nr. 3 VwKostG (Bund) vom 23. Juni 1970 (BGBl. I S. 821) in der am 14. August 2013 geltenden Fassung befreit. Da die Antragsgegnerin und die Beigeladene die Kosten des Verfahrens anteilig als Gesamtschuldner nach § 182 Abs. 3 Satz 2 GWB zu tragen haben, reduziert sich auf Grund der Gebührenbefreiung der Antragsgegnerin der Kostenanteil der Beigeladenen im Außenverhältnis auf die Hälfte.
74
Von der Antragstellerinwurde bei Einleitung des Verfahrens ein Kostenvorschuss in Höhe von 2.500 Euro erhoben. Dieser Kostenvorschuss wird nach Bestandskraftverrechnet.
75
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Antragstellerin und der Antragsgegnerin beruht auf § 182 Abs. 4 S. 1 GWB.
76
Auch wenn die Beigeladene keine Anträge gestellt hat, muss die Vergabekammer von Amts wegen über die Aufwendungen der Beigeladenen entscheiden.
77
Die Entscheidung über die Tragung der zur zweckentsprechenden Rechtsverteidigung notwendigen Aufwendungen der Beigeladenen beruht auf § 182 Abs. 4 S. 3, S. 2 GWB. Danach sind Aufwendungen der Beigeladenen nur erstattungsfähig, wenn die Vergabekammer sie als billig erachtet. Dabei setzt die Erstattungsfähigkeit jedenfalls voraus, dass die Beigeladene sich mit demselben Rechtsschutzziel wie der obsiegende Verfahrensbeteiligte aktiv am Nachprüfungsverfahren beteiligt hat (OLG Brandenburg, Beschluss vom 09.02.2010, Az.: Verg W 10/09). Vor diesem Hintergrund hat die bisherige Rechtsprechung der Vergabesenate die Beigeladene kostenrechtlich nur dann wie eine Antragstellerinoder Wählen Sie ein Element aus. behandelt, wenn sie die durch die Beiladung begründete Stellung im Verfahren auch nutzt, indem sie sich an dem Verfahren beteiligt (BGH, Beschluss vom 26.09.2006, Az.: X ZB 14/06). Dafür muss eine den Beitritt eines Streithelfers vergleichbare Unterstützungshandlung erkennbar sein, an Hand derer festzustellen ist, welches (Rechtsschutz-)Ziel eine Beigeladene in der Sache verfolgt (OLG Celle, Beschluss vom 27.08.2008, Az.: 13 Verg 2/08).
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Die Beigeladenehat sich durch schriftsätzlichen und mündlichen Vortrag aktiv am Verfahren beteiligt. Hierdurch hat sie das gegenständliche Verfahren wesentlich gefördert und ein Kostenrisiko auf sich genommen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 23.06.2014, VII-Verg 12/03).
79
Die Zuziehung eines anwaltlichen Vertreters wird für alle Beteiligte als notwendig i. S. v. § 182 Abs. 4 S. 4 GWB i. V. m. Art. 80 Abs. 2 S. 3, Abs. 3 S. 2 BayVwVfG angesehen. Die anwaltliche Vertretung war erforderlich, da das Vergabeverfahren komplexe und teilweise ungeklärte Fragen im Zusammenhang mit der Vorbefassung verbundener Unternehmen und der Behandlung von ungerechtfertigten Kenntnissen aus anderen Vergabeverfahren aufgeworfen hat. Dies gilt nicht nur für die Antragstellerin und die Beigeladene, die als mittelständische Bieterunternehmen ohnehin nicht verpflichtet sind, vergaberechtliche Kenntnisse bei ihren Mitarbeitern vorzuhalten, sondern auch für die Antragsgegnerin, die als Kommune zwar für die Einhaltung des Vergaberecht verantwortlich ist und auch entsprechend geschulte Mitarbeiter vorzuhalten hat. Die Rechtsfragen im vorliegenden Verfahren sind aber so ungewöhnlich und komplex, dass auch für eine große Kommune wie die Antragsgegnerin, mit einer mit Juristen besetzten Vergabestelle, die Notwendigkeit anwaltlicher Vertretung bejaht werden kann (vgl. BayObLG, Beschluss vom 26.05.2023 – Verg 17/22).