Inhalt

LG München I, Beschluss v. 24.03.2025 – 14 T 3341/25
Titel:

Antrag auf Vollstreckungsschutz, Räumungsfristgewährung, Gehörsrüge, Zwangsversteigerungsverfahren, Zuschlagsbeschluß, Beschwerdeentscheidung, Räumungsschuldner, Ersatzwohnraum, Anhörungsrüge, Sofortige Zwangsvollstreckung, Schuldner, Sittenwidrigkeit, Sofortige Beschwerde, Beschwerdegericht, Beendetes Mietverhältnis, Räumungsverpflichtung, Gleichheitsgebot, Anspruch auf rechtliches Gehör, Drohende Obdachlosigkeit, Kostenentscheidung

Schlagwort:
Räumungsvollstreckung
Vorinstanz:
AG München, Beschluss vom 19.03.2025 – 1531 M 39424/25
Fundstellen:
ZMR 2025, 749
BeckRS 2025, 20112
LSK 2025, 20112

Tenor

Die Anhörungsrüge der Schuldner gegen die Beschwerdeentscheidung vom 20.03.2025 – 14 T 3341/25, wird kostenfällig zurückgewiesen.

Gründe

I.
1
Die Schuldnerseite wendet sich mit ihrer Gehörsrüge vom 24.03.2025 gegen die Beschwerdeentscheidung vom 20.03.2025, mit welcher die sofortige Beschwerde der Schuldner gegen den Beschluss des Amtsgerichts München vom 19.03.2025, Az. 1531 M 39424/25, zurückgewiesen worden ist.
2
Mit ihrer sofortigen Beschwerde vom 20.03.2025 haben sich die Schuldner gegen den Beschluss des Amtsgerichts München – Vollstreckungsgericht vom 19.03.2025, mit welchem der Antrag der Schuldner vom 18.03.2025, gerichtet auf die Gewährung von Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO betreffend die durch den Gerichtsvollzieher für den 21.03.2025 angekündigte Räumung in vollem Umfang zurückgewiesen worden ist, gewendet.
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Der Gläubiger betreibt die Zwangsvollstreckung aus einem Zuschlagsbeschluss des Amtsgerichts München betreffend das streitgegenständliche Einfamilienhaus.
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Die Schuldnerseite behauptet, ihr drohe die Obdachlosigkeit. Es müsse daher Vollstreckungsschutz gewährt werden. Zudem verstoße eine sofortige Zwangsvollstreckung aus einem Zuschlagsbeschluss ohne angemessene Räumungsfrist ausnahmslos gegen das in Art. 3 Abs. 1 GG verbürgte Gleichheitsgebot und sei daher (per se) sittenwidrig. Die Vollstreckung verletzte die Schuldner in ihrem Grundrecht aus Art. 3 Abs. 1 GG, weil ihnen eine Räumungsfrist, die jeder Räumungsschuldner zur Beschaffung von Ersatzwohnraum benötige, von Amts wegen nicht habe gewährt werden können. Dies folge aus § 721 Abs. 1 ZPO, wonach nur bei Räumungsurteilen über Wohnraum dem Schuldner von Amts wegen eine den Umständen nach angemessene Räumungsfrist zuzubilligen sei. Bei den in Zwangsversteigerungsverfahren vom Rechtspfleger geschaffenen Räumungstiteln sei nur Vollstreckungsschutz gem. § 765a ZPO möglich. Darin liege eine Schlechterstellung von Räumungsschuldnern nach Zwangsversteigerungsverfahren im Verhältnis zu anderen Räumungsschuldnern, die sachlich nicht gerechtfertigt sei und deshalb den Gleichheitsgrundsatz verletzt.
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Die Zwangsvollstreckung findet seit 21.03.2025 statt.
II.
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Die zulässige Anhörungsrüge erweist sich als unbegründet.
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1. Die Gehörsrüge ist zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt.
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2. In der Sache hat die Gehörsrüge jedoch keinen Erfolg.
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Eine entscheidungserhebliche Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör im Sinne von Art. 103 Abs. 1 GG, § 321a Abs. 1 Nr. 2 ZPO liegt nicht vor. Die Erwägungen der Gehörsrüge lassen keinen Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG erkennen. Der Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs bedeutet nicht, dass das Gericht sich der Rechtsauffassung einer Partei anzuschließen habe. Vielmehr verpflichtet Art. 103 Abs. 1 GG das Gericht nach st. Rspr. des BVerfG nur dazu, das Vorbringen einer Partei zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Die Gerichte brauchen dabei nicht jedes Vorbringen der Beteiligten in den Gründen der Entscheidung ausdrücklich zu bescheiden (BVerfG NJW 1997, 2310 [2312]).
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Auch unter Berücksichtigung der Ausführungen in der Gehörsrüge vom 24.03.2025 wäre vorliegend keine andere Beschwerdeentscheidung zu treffen gewesen.
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Hierzu im Einzelnen:
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a) Soweit die Gehörsrüge meint, dass mit den „allgemeinen Ausführungen zu § 765a ZPO [der] entscheidungserhebliche[…] Vortrag, dass eine sofortige Zwangsvollstreckung aus einem Zuschlagsbeschluss ohne angemessene Räumungsfrist ausnahmslos gegen das in Art. 3 GG verbürgte Gleichheitsgebot verstößt und daher (per se) sittenwidrig ist“, hat das Beschwerdegericht diese Argumentation mitnichten übergangen.
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Es ist vielmehr in der angefochtenen Entscheidung ausgeführt worden, dass und warum sich das Beschwerdegericht dieser Auffassung nicht anschließt.
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Denn diese Rechtsansicht verkennt grundlegend den Ausnahmecharakter des Vollstreckungsschutzes nach § 765a ZPO und die damit verbundene relativ hohe Hürde für die Gewährung von Vollstreckungsschutz. Zudem vermengt sie in dogmatisch nicht haltbarer Weise die Frage der Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 ZPO mit derjenigen der Bejahung von Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO. Der Verweis auf das „Willkürverbot/Gleichheitsgebot des Art. 3 GG“ ist schon von daher unbehelflich. Soweit die Gehörsrüge offenbar meint, dass Vollstreckungsschutz nach § 765a ZPO bei der Vollstreckung aus einem Zuschlagsbeschluss schon dann zu gewähren sei, wenn einem beklagten Mieter in einem Räumungsrechtsstreit eine Räumungsfrist nach § 721 Abs. 1 ZPO gewährt worden wäre, kann dem also schon im Ausgangspunkt nicht gefolgt werden.
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Erneut betont das Beschwerdegericht, dass in diesem Zusammenhang insbesondere der Verweis auf den Beschluss des LG Kiel v. 11.02.1992 – 1 T 137/91 ins Leere geht. Der dort vertretenen Auffassung wird weder grundsätzlich beigetreten, noch würde deren Anwendung auf den vorliegenden Fall zu einer anderen Entscheidung führen. Denn es würde eine unvertretbare Aufweichung der Voraussetzungen eines erfolgreichen Rechtsbehelfs nach § 765a ZPO bedeuten, wenn diese – nachgerade automatisch – bereits dann zu bejahen wären, wenn einem Mieter nach beendetem Mietverhältnis in einem Räumungsurteil eine Räumungsfrist nach § 721 ZPO zu gewähren wäre. Der Verweis auf Art. 3 Abs. 1 GG ist dabei bereits insofern nicht überzeugend, als § 765a ZPO und § 721 ZPO jeweils auf unterschiedlichen Gesetzeszwecken beruhen und auch unterschiedliche Voraussetzungen postulieren. Gleiches gilt für die zitierten Entscheidungen des LG Aschaffenburg (Beschluss vom 17.12.2001 – Az.: 5 T 174/2001) und des LG Augsburg (Beschluss vom 03.03.2010 – 4 T 4849/09). Es braucht daher nicht weiter darauf eingegangen zu werden, dass im Verfahren vor dem LG Augsburg maßgeblich auch gesundheitliche Beeinträchtigungen der Schuldnerseite thematisiert waren. Dies ist hier jedoch nicht im Ansatz der Fall.
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Die Entscheidungen des LG Aschaffenburg sowie des LG Kiel werden auch in der Literatur zu Recht abgelehnt, vgl. insoweit nur Lützenkirchen/​Dickersbach in: Lützenkirchen, Mietrecht, 3. Aufl. 2021, Anhang zu § 546: Räumungszwangsvollstreckung Rn. 154:
„Teilweise wird unter Verweis auf den Gleichbehandlungsgrundsatz die entsprechende Anwendung des § 721 Abs. 1 ZPO auf die aus einem Zuschlagsbeschluss nach § 93 ZVG resultierende Räumungsverpflichtung vertreten[…]. Dies ist abzulehnen[…]. Anders als bei einem gerichtlichen Räumungsprozess steht bei einer Zwangsversteigerung von vornherein fest, dass der Schuldner sein Eigentum und damit sein Besitzrecht verlieren wird. Aufgrund der Dauer eines Versteigerungsverfahrens hatte er hinreichend Zeit für die Suche nach Ersatzwohnraum. Daher ist er nicht gleichermaßen schutzwürdig, wie der von einem für ihn positiven Ausgang des Räumungsprozesses ausgehende Mieter. Mangels vergleichbarer Sachverhalte scheidet eine Analogie aus.“
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Diesen zutreffenden Standpunkt vertritt u.a. auch Zöller/Stöber, § 721 ZPO Rn. 3.
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Lediglich ergänzend wird ausgeführt, dass im vorliegenden Fall die Gewährung einer Räumungsfrist nach § 721 ZPO – auf die es ohnehin nicht ankommt – auch nicht zwingend geboten gewesen wäre, zumal eine Räumungsfrist nicht schon dann automatisch zu gewähren wäre, wenn Ersatzwohnraum noch nicht zur Verfügung steht. Vielmehr würde es auch im Rahmen von § 721 Abs. 1 ZPO einer einzelfallbezogenen Abwägung des Erlangungsinteresses der Vermieterseite und des Bestandsinteresses der Mieterseite bedürfen. Im vorliegenden Fall beschränkt sich der vage Vortrag der Schuldnerseite auf die Behauptung, dass Ersatzwohnraum nicht zur Verfügung stehe. Dieser Aspekt allein hätte jedoch noch nicht – zumal nicht zwingend oder gleichsam automatisch – zu einer Räumungsfristgewährung führen müssen. So ist auf Grundlage des pauschalen Vorbringens nicht einmal ersichtlich, ob sämtliche Schuldner bis zuletzt im streitgegenständlichen Anwesen ihren Wohnsitz und Lebensmittelpunkt hatten, oder ob dies nicht mehr der Fall war. Auf das Rubrum wird insoweit – gerade mit Blick auf den Schuldner zu 1) – Bezug genommen.
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Auch unter Bezugnahme auf das laufende Insolvenzverfahren gegen den Schuldner zu 1) und den insoweit gegen ihn vorliegenden Haftbefehl ist höchst zweifelhaft, ob der Schuldner zu 1) bis zuletzt im streitgegenständlichen Anwesen gewohnt hat. Vielmehr ist bereits fraglich, ob der Schuldner zu 1) überhaupt im Inland aufhältig ist.
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b) Soweit die Gehörsrüge erneut eine drohende Obdachlosigkeit thematisiert, wird auf die Ausführungen in der angegriffenen Beschwerdeentscheidung Bezug genommen. Falls der Schuldnerseite keine Ersatzunterkunft zur Verfügung stehen sollte, steht den Schuldnern eine diesbezügliche Unterstützung der zuständigen Behörde zu, durch die der behaupteten Gefahr einer Obdachlosigkeit begegnet werden würde.
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c) Ergänzend wird klargestellt, dass die gerügte Beschwerdeentscheidung der Schuldnerseite mitnichten „vorwirft“, noch keine Bemühungen bei der Suche nach Ersatzwohnraum an den Tag gelegt zu haben. Wie bereits aufgezeigt, greift allerdings das bloße Abstellen der Gehörsrüge auf den Zeitraum zwischen dem Zuschlagsbeschluss und dessen Rechtskraft sowie der Zwangsräumung zu kurz, zumal der Schuldnerseite bereits zuvor bekannt war, dass eine Zwangsversteigerung drohe/stattfinden werde. Ob seit dem entsprechenden Bekanntwerden des Termins Bemühungen bei der Ersatzwohnraumsuche an den Tag gelegt worden sind, zeigt indes weder die Beschwerde noch die Gehörsrüge auf.
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Die weiteren Anwürfe unter Ziffer 5 der Gehörsrüge werden zur Kenntnis genommen.
23
d) Das Urteil der Kammer vom 08.11.2023 – 14 S 3525/23 ist diesseits bekannt. Der Verweis auf diese mietrechtliche Berufungsentscheidung ist jedoch unbehelflich, zumal sich diese u.a. mit einer Räumungsfristgewährung nach § 721 Abs. 1 ZPO auseinandersetzt und keinen Rechtsbehelf nach § 765a ZPO zum Gegenstand hat. Im Übrigen ist der Entscheidung auch nicht zu entnehmen, dass – selbst unter Berücksichtigung einer angespannten Situation am Immobilienmarkt der Landeshauptstadt München und ihrer Umgebung – eine Räumungsfrist stets zwingend, mithin losgelöst vom jeweiligen Einzelfall, zu gewähren wäre.
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Nach alledem ist der vorliegenden Gehörsrüge kein Erfolg beschieden.
III.
25
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO.