Titel:
Keine Pflichtverletzung der Verwaltung bei objektiv als Ausladung zu verstehender WEG-Versammlungseinladung in Corona-Zeiten
Normenketten:
WEG § 27 Abs. 1
BGB § 276 Abs. 1, § 280 Abs. 1
Leitsätze:
1. Eine Pflichtverletzung nach § 280 Abs. 1 BGB durch einen Verwalter liegt nicht vor, wenn dieser bei der Ermessensentscheidung zur Raumwahl für die WEG-Versammlung während der Covid-19-Pandemie sowohl die zu erwartende Teilnehmerzahl als auch den Wunsch, Eigentümer von der Versammlung fernzuhalten, berücksichtigt hat. Dies gilt selbst dann, wenn die Formulierungen im Einladungsschreiben der Verwaltung objektiv als Ausladung verstanden werden konnten. (Rn. 25 – 29) (redaktioneller Leitsatz)
2. Offengelassen wird, ob die Verwaltung zur Durchsetzung von Regressansprüchen dazu verpflichtet ist, sich "selbst" im Namen der GdWEer den Streit zu verkünden bzw. zumindest die Wohnungseigentümer auf die Haftungsfragen und Probleme hinzuweisen. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Regress gegen Hausverwaltung, Einladungsschreiben, Eigentümerversammlung, Corona-Pandemie, Verschuldensmaßstab, Raumwahl, Ausladung, Streitverkündung
Fundstellen:
ZMR 2025, 738
LSK 2025, 20110
BeckRS 2025, 20110
Tenor
1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrags vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 22.996,83 € festgesetzt.
Tatbestand
1
Gegenstand der Klage sind Schadensersatzforderungen einer Wohnungseigentümergemeinschaft gegen ihre frühere Verwalterin wegen Pflichtverletzungen im Zusammenhang mit der Durchführung einer Eigentümerversammlung.
2
Die Beklagte war vom 01.01.2019 bis Ende 2022 Verwalterin der Klägerin. Im Rahmen ihrer Verwaltertätigkeit hatte die Beklagte mit Schreiben vom 15.07.2020 die 79 Eigentümer der Klägerin für den 30.07.2020 zu einer ordentlichen Eigentümerversammlung in ihre Büroräume eingeladen. Das Einladungsschreiben enthielt die dringende Bitte, im „Hinblick auf die Corona bedingten landesrechtlichen Beschränkungen und das bestehende Infektionsrisiko vom persönlichen Erscheinen Abstand zu nehmen und von der als Anlage beigefügten Vollmacht Gebrauch zu machen“. In den der Einladung beigefügten Hinweisen zur Vertreterversammlung führte die Verwalterin aus, angesichts der aktuellen Lage rund um das Corona-Virus müsse sie davon ausgehen, dass in den nächsten Wochen und Monaten Versammlungen jeglicher Art weiterhin nicht möglich sein würden. In Abstimmung mit dem Verwaltungsbeirat sehe sie die Einberufung einer Vertreterversammlung als einzige zeitnahe und praktikable Möglichkeit zur Fassung der wichtigsten Beschlussanträge an. Die Versammlung werde im Beisein von Mitgliedern des Verwaltungsbeirates stattfinden. Aufgrund der Corona-Pandemie werde gebeten, von einer persönlichen Teilnahme Abstand zu nehmen. Der Einladung beigefügt waren eine Service-Vollmacht und eine weisungsgebundene Vollmacht. Bezüglich der weiteren Einzelheiten der Einladung wird Bezug genommen auf das Schreiben vom 15.07.2020 (Anlage K1).
3
In den Jahren vor Beginn der Pandemie waren Eigentümerversammlungen im Durchschnitt rund 20 Eigentümer erschienen. In der Eigentümerversammlung vom 30.07.2020, die im Büro der Verwalterin stattfand, und auf der von Seiten der Eigentümer nur der Verwaltungsbeirat Sc… anwesend und 395,824/1000stel vertreten waren, wurden mehrere Beschlüsse gefasst, welche Gegenstand einer vor dem Amtsgericht München unter dem Aktenzeichen 1293 C 22370/20 WEG geführten Nichtigkeitsfeststellungsklage waren. In der mündlichen Verhandlung vom 16.09.2021 hatte der Geschäftsführer der Beklagten erklärt, die Passage „angesichts der aktuellen Lage rund um das Coronavirus …“ in der Einladung vom 15.07.2020 sei so gewählt worden, „um den Eigentümern irgendwie zu erklären, dass man sie auf der Eigentümerversammlung eigentlich lieber nicht sehen wolle“. Mit Endurteil des Amtsgerichts München vom 21.10.2021 (Anlage K2) wurden alle in der Versammlung vom 30.07.2020 gefassten Beschlüsse für nichtig erklärt und die Verfahrenskosten der GdWE auferlegt. Das Urteil wurde ohne Einlegung von Rechtsmitteln rechtskräftig.
4
Durch das Nichtigkeitsfeststellungsverfahren entstand der Klägerin eine Kostenlast von EUR 22.996,83, welche Gegenstand des vorliegenden Verfahrens ist. Bzgl. der genauen Zusammensetzung der Klageforderung wird Bezug genommen auf die Forderungsaufstellung in der Klage vom 27.10.2023, S. 4, sowie auf die Anlagen K 3 bis K 6.
5
Mit Beschluss vom 22.09.2023 (vgl. Versammlungsprotokoll vom 22.09.2023, Anlage K 9) wurden die Klägervertreter zur außergerichtlichen und gerichtlichen Anspruchsgeltendmachung bevollmächtigt.
6
Mit Schreiben vom 25.09.2023 (Anlage K7) wurde die Beklagte unter Fristsetzung bis 09.10.2023 zur Zahlung von EUR 22.996,83 sowie zur Zahlung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten in Höhe von EUR 1.375,88 aufgefordert. Die Beklagte hat die geltend gemachten außergerichtlichen Rechtsanwaltsgebühren in Höhe von EUR 1.375,88 am 27.09.2023 bezahlt. Mit Email vom 17.10.2023 (Anlage K 8) wurde die Beklagte erneut gemahnt.
7
Die Klägerin ist der Ansicht, die Beklagte habe pflichtwidrig und schuldhaft die Ursache für die Nichtigkeitsfeststellungsklage gesetzt, indem sie „coronabedingt“ eine reine „Stellvertreterversammlung“ abgehalten habe, sodass an der Eigentümerversammlung neben dem Verwalter nur noch der Verwaltungsbeirat teilgenommen habe, obwohl zu diesem Zeitpunkt bereits Versammlungen mit bis zu 100 Teilnehmern zulässig gewesen seien, und die aus 79 Eigentümern bestehende Klägerin „in voller Mannstärke“ an der Versammlung hätte teilnehmen können. Eine weitere Pflichtverletzung der Beklagten liege darin, dass sie durch Bereitstellung deutlich zu unterdimensionierter Räumlichkeiten faktisch die Abhaltung einer ordnungsgemäßen Eigentümerversammlung im Präsenzwege ausgeschlossen habe. Schließlich habe es die Beklagte als seinerzeitige Vertreterin der Klägerin in dem Verfahren 1293 C 23370/20 WEG auch pflichtwidrig unterlassen, sich selbst den Streit zu verkünden, und dadurch (möglicherweise bewusst) eine Rechtskrafterstreckung auf die Beklagte verhindert.
8
Die Klägerin beantragt:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 22.996,83 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.10.2023 zu bezahlen.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin einen Betrag in Höhe von EUR 1.375,88 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 10.10.2023 zu bezahlen.
9
Die Beklagte beantragt:
Die Klage wird abgewiesen.
10
Die Beklagte trägt vor, an der Eigentümerversammlung vom 30.07.2020 hätten die Eigentümer nicht nur durch Erteilung einer Vollmacht an den Verwalter teilnehmen können. Sie seien lediglich gebeten worden, vom persönlichen Erscheinen Abstand zu nehmen, und hätten sehr wohl persönlich teilnehmen können. Die Vertretungsmöglichkeit habe sich i.ü. nicht nur auf den Verwalter beschränkt.
11
Sie ist der Ansicht, aufgrund der unterbliebenen Streitverkündung im Verfahren 1293 C 23370/20 WEG sei das Gericht vorliegend an seine Entscheidung vom 21.10.2021 nicht gebunden. Unter Berufung auf die Entscheidung des BGH vom 08.03.2024, Az.: V ZR 80/23, vertritt die Beklagte die Auffassung, eine schuldhafte Pflichtverletzung im Zusammenhang mit der Eigentümerversammlung vom 30.07.2020 liege nicht vor. Nach dieser Entscheidung seien während der Corona-Pandemie in einer Vertreterversammlung gefasste Beschlüsse nicht nichtig. Bei dem Urteil des Amtsgerichts München vom 21.10.2021 handele es sich daher um ein Fehlurteil, für das die Beklagte nicht haftbar gemacht werden könne. Richtigerweise hätte das Amtsgericht die Nichtigkeitsklage abweisen müssen, so dass die Klägerin keine Prozesskosten zu tragen gehabt hätte.
12
Ob der Versammlungsort für die Eigentümerversammlung vom 30.07.2020 geeignet war oder nicht, sei unerheblich. Selbst wenn es sich um einen ungeeigneten Versammlungsort gehandelt haben sollte, hätte dies nicht zur Nichtigkeit der in der Eigentümerversammlung vom 30.07.2020 gefassten Beschlüsse geführt, da ein ungeeigneter Versammlungsort allenfalls die Anfechtbarkeit von Beschlüssen begründe. Im Übrigen sei der ausgewählte Versammlungsort nicht ungeeignet gewesen. Es liege im Ermessen des Verwalters, sich bei der Auswahl des Versammlungsortes an der zu erwartenden Teilnehmerzahl zu orientieren. Dies habe die Beklagte getan. Aufgrund der Corona-Pandemie sei zu erwarten gewesen, dass nicht sonderlich viele Eigentümer persönlich erscheinen würden, sodass die Auswahl des Versammlungsortes ermessensfehlerfrei gewesen sei. Tatsächlich habe der Versammlungsort dann auch ausreichend Platz für die persönlich erschienenen Eigentümer geboten.
13
Eine Streitverkündung gegen sich selbst habe nicht die Beklagte, sondern nach § 9 b Abs. 2 WEG der Vorsitzende des Verwaltungsbeirats der Klägerin oder deren Prozessbevollmächtigter im Verfahren 1293 C 22370/20 WEG veranlassen können bzw. müssen.
14
Auch Kausalität sei nicht gegeben. Da in Bezug auf die in der Eigentümerversammlung vom 30.07.2020 gefassten Beschlüsse die Anfechtungsfrist bereits abgelaufen war und erst am 02.12.2020 bewusst und gewollt Nichtigkeitsklage erhoben worden sei, habe die Klage nur dann Erfolg haben können, wenn auch tatsächlich Nichtigkeitsgründe vorgelegen hätten, was nicht der Fall gewesen sei. Die in der ETV vom 30.07.2020 gefassten Beschlüsse hätten daher nicht für nichtig erklärt werden dürfen. Dass die Beschlüsse mit Urteil vom 21.10.2021 dennoch fälschlicherweise für nichtig erklärt worden seien, habe daher weder auf einem ursächlichen noch mitursächlichen Verhalten der Beklagten beruht, sondern einen gänzlich neuen Kausalverlauf ausgelöst. Die fehlende Ursächlichkeit bzw. Mitursächlichkeit ergäbe sich i.ü. auch daraus, dass der damalige anwaltliche Vertreter der Klägerin mit Schreiben vom 27.10.2021 (Anlage B 2) empfohlen habe, keine Berufung gegen das amtsgerichtliche Urteil einzulegen. Dieses Verhalten, das einen weiteren Kausalverlauf ausgelöst habe, müsse sich die Klägerin zurechnen lassen.
15
Jedenfalls fehle es an einem Verschulden der Beklagten, da zum damaligen Zeitpunkt sowohl von einigen Verwalterverbänden als auch von einigen juristischen Fachleuten die Auffassung vertreten worden sei, Vertreterversammlungen seien möglich und zulässig. Auch der anwaltliche Vertreter der hiesigen Klägerin im Verfahren 1293 C 22370/20 WEG habe die Auffassung vertreten, Vertreterversammlungen seien möglich und zulässig. An diesen Empfehlungen habe sich die Beklagte orientiert.
16
Zur Ergänzung des Tatbestands wird im Übrigen Bezug genommen auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, die Protokolle der öffentlichen Sitzungen vom 18.10.2024 und 20.02.2025 sowie die sonstigen Aktenbestandteile. Beweis wurde nicht erhoben.
Entscheidungsgründe
17
Die Klage ist zulässig, jedoch unbegründet.
18
1. Die Zuständigkeit des Amtsgerichts München als Wohnungseigentumsgericht ergibt sich aus §§ 23 Nr. 2 c) GVG, 43 Abs. 2 Nr. 3 WEG.
19
2. Die Klägerin hat gegen die Beklagte unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt Anspruch auf Ersatz der ihr durch ihr Unterliegen im Verfahren 1293 C 23370/20 WEG entstandenen Rechtsanwalts- und Gerichtskosten, insbesondere nicht gem. §§ 280 Abs. 1, 249 ff BGB i.V.m. § 27 Abs. 1 WEG, da es jedenfalls an einer schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten fehlt.
20
a) Zu den der Beklagten nach § 27 Abs. 1 WEG obliegenden Aufgaben gehörte auch die ordnungsgemäße Einladung zu und Durchführung von Eigentümerversammlungen.
21
(1) Über Ort und Zeit der Versammlung hatte der Verwalter mangels entsprechender Vereinbarungen der Wohnungseigentümer nach pflichtgemäßem Ermessen zu entscheiden. Im Rahmen der ordnungsgemäßen Ermessensausübung hatte der Verwalter zunächst zu berücksichtigen, dass zum Zeitpunkt der Einladung am 15.07.2020 sowie zum Zeitpunkt der Versammlung am 30.07.2020 nach der damals geltenden 6. BaylfSMV in der Fassung vom 14.07.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 403) wie bereits aufgrund der zuvor geltenden 6. BaylfSMV in der Fassung vom 07.07.2020 (BayMBl. 2020 Nr. 387) bei ausgearbeitetem Schutz- und Hygienekonzept in geschlossenen Räumen Versammlungen mit bis zu 100 Teilnehmern zulässig und Gastronomiebetriebe geöffnet waren. Vorliegend bestand daher die im Urteil des BGH vom 08.03.2020, Az. V ZR 80/23, angesprochene unauflösliche Konfliktsituation nicht, vielmehr war am 30.07.2020 für die aus 79 Wohnungseigentümern bestehende GdWE die Durchführung einer den wohnungseigentumsrechtlichen Vorgaben entsprechenden Eigentümerversammlung, bei der das Recht jedes Eigentümers auf persönliche Teilnahme gewährleistet wird, auch infektionsschutzrechtlich zulässig.
22
(2) Die Einberufung und Abhaltung der Eigentümerversammlung vom 30.07.2020 entsprach auch insoweit nicht den Vorgaben des Wohnungseigentumsgesetzes, weil eine Vertreterversammlung wegen des – auch in Zeiten der Corona-Pandemie bestehenden – Rechts jedes Wohnungseigentümers, physisch an der Versammlung teilzunehmen, nur dann zulässig ist, wenn sämtliche Wohnungseigentümer in ein solches Vorgehen eingewilligt und den Verwalter zu der Teilnahme und Stimmabgabe bevollmächtigt haben (vgl. BGH, Urteil vom 08.03.2024, Az. V ZR 80/23 unter Verweis u.a. auf Rüscher in Münchener Handbuch des Wohnungseigentumsrecht, 8. Aufl., § 18 Rn. 217). Auch in Zeiten der Corona-Pandemie besteht grundsätzlich ein Anspruch der Eigentümer auf eine persönliche Teilnahme an Eigentümerversammlungen. Die Eigentümer haben nicht nur das Recht, ihren Willen durch das Abstimmungsverhalten zum Ausdruck zu bringen, sondern auch durch Wortmeldungen auf der Versammlung die Mehrheit in Richtung der von Ihnen gewünschten Willensbildung zu beeinflussen (vgl. Landgericht Frankfurt/Main, Urteil vom 17.12.2020, Aktenzeichen 2-13 S 108/20 m.w.N.). Amtsgericht München, Urteil v. 21.10.2021, Az. 1293 C 23370/20 WEG). Eine diesbezügliche Einwilligung sämtlicher Wohnungseigentümer lag vorliegend unstreitig nicht vor. Eine Pflicht der Wohnungseigentümer, die Verwalterin oder Dritte für die Teilnahme und Stimmabgabe in der Eigentümerversammlung zu bevollmächtigen, bestand auch während der Corona-Pandemie nicht (vgl. BGH a.a.O.). Aufgrund der fehlenden Zustimmung aller Wohnungseigentümer musste daher grundsätzlich allen Wohnungseigentümern die Möglichkeit gegeben werden, in Präsenz an der Eigentümerversammlung teilzunehmen.
23
(3) Vor diesem Hintergrund waren die Hinweise in der Einladung, angesichts der aktuellen Lage rund um das Corona-Virus sei davon auszugehen, dass in den nächsten Wochen und Monaten Versammlungen jeglicher Art weiterhin nicht möglich sein würden, die Einberufung einer Vertreterversammlung werde daher als einzige zeitnahe und praktikable Möglichkeit zur Fassung der wichtigsten Beschlussanträge angesehen, objektiv falsch.
24
(4) Andererseits war es – insbesondere in den Zeiten der Corona-Pandemie – ein durchaus sachgerechtes Ermessenskriterium, sich bei der Auswahl des Versammlungsortes an der zu erwartenden Teilnehmerzahl zu orientieren und dabei Vertretungsmöglichkeiten aktiv zu bewerben (vgl. LG Frankfurt a. M., Urt. v. 17.12.2020 – 2-13 S 108/20, ZWE 2021, 134 Rn. 9, beck-online, m.w.N.). Angesichts der Tatsache, dass bereits in den Jahren vor Beginn der Pandemie zu den Eigentümerversammlungen im Durchschnitt lediglich rund 20 Eigentümer erschienen sind, durfte die Beklagte bei der von ihr zu stellenden Prognose durchaus davon ausgehen, dass allein schon aufgrund der Corona-Pandemie noch weniger Eigentümer persönlich zu der Versammlung erscheinen würden als in den Jahren zuvor, sodass es nicht als ermessensfehlerhaft anzusehen ist, trotz infektionsrechtlicher Zulässigkeit als Versammlungsort nicht wie in den Vorjahren eine Gaststätte zu wählen, in der sämtliche 79 Wohnungseigentümer Platz gefunden hätten.
25
(5) Die Haftung des Verwalters setzt ein Verschulden voraus, das gemäß § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB zu seinen Lasten widerleglich vermutet wird. Der Verwalter hat hierbei gemäß § 276 Abs. 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn nicht ausnahmsweise gesetzlich ein strengerer oder milderer Maßstab bestimmt ist. Das WEG enthält keinen allgemeinen gesetzlichen Sorgfaltsmaßstab für die Haftung des Verwalters. Verschuldensmaßstab ist daher die Sorgfalt, die ein durchschnittlicher, ordentlicher und gewissenhafter Verwalter bei der zu erfüllenden Aufgabe aufgewandt hätte. Ein gewerblich tätiger Verwalter schuldet eine Leistung, die den kaufmännischen, rechtlich-organisatorischen und technischen Aufgabenbereich der Verwaltung umfassend abdeckt. Er muss hierfür seine Kenntnisse im Wege der Fortbildung ständig aktualisieren. Ist der Verwalter Kaufmann, hat er für die Sorgfalt eines ordentlichen Kaufmanns einzustehen (§ 347 HGB). Soweit der Verwalter über besondere Sachkunde verfügt, hat er sich auch daran messen zu lassen (vgl. Müller/Fichtner Wohnungseigentum/Fichtner, 7. Aufl. 2022, § 11 Rn. 251-253, beck-online).
26
Da jedoch die Einschätzungen des Verwalters bei der Erfüllung seiner Aufgaben wie bereits ausgeführt in den Grenzen seiner jeweils einschlägigen Organzuständigkeit einem gewissen Beurteilungsspielraum, vergleichbar dem Ermessen der Wohungseigentümer bei der Beschlussfassung, unterliegen, sind die Grenzen des Beurteilungsspielraums erst überschritten, wenn eine Entscheidung des Verwalters offensichtlich unvertretbar und nicht nachvollziehbar ist (vgl. Müller/Fichtner Wohnungseigentum/Fichtner, 7. Aufl. 2022, § 18 Rn. 58, beck-online).
27
Insoweit soll nach herrschender Meinung bereits eine Pflichtverletzung nur dann vorliegen, wenn die Entscheidung offensichtlich unvertretbar und/oder nicht nachvollziehbar ist (vgl. BGH NJW-RR 2020, 393 Rn. 14), während nach anderer Ansicht (vgl. z.B. Hügel/Elzer, 4. Aufl. 2025, WEG § 26 Rn. 384, beck-online) bei fehlerhafter Ermessensentscheidung zwar eine Pflichtverletzung anzunehmen ist, als Verschuldensmaßstab aber in Anlehnung an § 43 Abs. 1 GmbHG, § 93 Abs. 1 Satz 1 AktG die Sorgfalt zugrundezulegen ist, die ein durchschnittlicher, ordentlicher und gewissenhafter Verwalter bei der zu erfüllenden Aufgabe aufgewandt hätte (vgl. OLG Oldenburg ZMR 2008, 238; OLG München ZWE 2007, 100 (102); OLG Düsseldorf ZMR 1997, 491; LG Berlin II ZWE 2019, 135 Rn. 35; LG München I ZWE 2014, 185; Furmans NZM 2004, 201 (202)).
28
So kann es beispielsweise einem Verwalter, der seine Bewertung, die rechtlichen Voraussetzungen der Zustimmung gemäß § 12 WEG seien nicht erfüllt, mit Sorgfalt gebildet hat, nicht angelastet werden, wenn er sich gleichwohl irrt und aus diesem Grund die Zustimmung verweigert (vgl. Müller/Fichtner Wohnungseigentum/Fichtner, a.a.O.).
29
Ebenso wenig kann vorliegend der Beklagten angelastet werden, dass sie sich bei der Raumwahl 2020 nicht ausschließlich von der zu erwartenden Teilnehmerzahl hat leiten lassen, sondern auch von dem Wunsch, die Eigentümer von der Versammlung fernzuhalten, und hierbei nicht in den Blick genommen hat, dass die von ihr gewählten Formulierungen im Einladungsschreiben aus der Sicht eines objektiven Empfängers als Ausladung verstanden werden konnten. Dies gilt insbesondere vor dem Hintergrund, dass gerichtsbekannt zum damaligen Zeitpunkt von diversen Verwalterverbänden und Juristen, so auch vom damaligen anwaltlichen Vertreter der Klägerin, die Rechtauffassung vertreten und in der Fachliteratur publiziert wurde, Vertreter- und „Ein-Mann-Versammlungen“ seien zulässig.
30
(6) Ob die Beklagte als Verwalterin der Klägerin dazu verpflichtet war, sich „selbst“ im Namen der GdWEer den Streit zu verkünden bzw. zumindest die Wohnungseigentümer auf die Haftungsfragen und Probleme hinzuweisen (vgl. hierzu Bärmann/Dötsch, 15. Aufl. 2023, WEG § 18 Rn. 216, beck-online, m.w.N.), kann vorliegend dahingestellt bleiben, da eine diesbezügliche Pflichtverletzung jedenfalls nicht kausal geworden ist für den hier geltend gemachten Schaden, da das Unterliegen der Klägerin im Verfahren 1293 C 20370/20 WEG und damit die dortige Kostenlast nicht kausal auf der unterbliebenen Streitverkündung beruht. Ob der Klägerin infolge der unterbliebenen Streitverkündung ein Schaden entsteht, kann erst beurteilt werden, wenn das vorliegende Regressverfahren rechtskräftig abgeschlossen ist. Selbst wenn das Urteil rechtskräftig werden sollte, ist i.ü. eine Unterlassung, zum Beispiel eine mangelnde Information oder eine nicht erteilte Warnung, nur dann für einen Erfolg kausal, wenn pflichtgemäßes Handeln den Schaden mit Sicherheit verhindert hätte. Die bloße Möglichkeit oder eine gewisse Wahrscheinlichkeit hierfür genügt nicht (vgl. Hügel/Elzer, 4. Aufl. 2025, WEG § 26 Rn. 388, beck-online, m.w.N.). Insoweit ist jedoch weder dargetan noch ersichtlich, dass eine Streitverkündung der vorliegenden Klage mit Sicherheit zum Erfolg verholfen hätte.
31
3. Mangels Hauptanspruchs besteht auch kein Anspruch auf Zinsen und Erstattung außergerichtlicher Rechtsanwaltskosten.
32
Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 ZPO, die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit aus § 709 Satz 2 ZPO, die Streitwertfestsetzung aus §§ 3 ZPO, 48 GKG.