Inhalt

OLG Nürnberg, Beschluss v. 30.06.2025 – Ws 501/25
Titel:

Pflichtverteidigerbestellung, Revisionsverfahren, Auslagenpauschale, Verfahrensgebühr, Revisionseinlegung, Staatsanwaltschaft, Auftragserteilung, Revisionsbegründung, Bisheriger Wahlverteidiger, Auskunftserteilung, Rechtsmitteleinlegung, Rechtsmittelverfahren, Rechtspfleger, Revisionsinstanz, Beschwerdeführer, Abgeltungsbereich, Gebührenentstehung, Gebührenfreiheit, Beschuldigter, Rechtsanwalt

Normenkette:
RVG VV 4130
Leitsatz:
Die Verfahrensgebühr Nr. 4130 VV RVG entsteht nicht, wenn der bisherige Verteidiger der ersten Instanz lediglich über eine Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft informiert und Fragen dazu beantwortet. Erst mit einem Tätigwerden darüber hinaus, gestützt auf einen entsprechenden Auftrag, kann in diesem Fall die Gebühr Nr. 4130 VV RVG ausgelöst werden. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Pflichtverteidigerwechsel, Verfahrensgebühr, Revisionsverfahren, Tätigkeitsumfang, Gebührenanspruch, Auslagenpauschale, Auftragserteilung
Vorinstanz:
LG Amberg, Beschluss vom 11.04.2025 – 11 KLs 170 Js 13218/22 Sich
Fundstellen:
BeckRS 2025, 20091
FDStrafR 2025, 020091

Tenor

1. Die Beschwerde des Pflichtverteidigers … gegen den Beschluss der 1. Strafkammer des Landgerichts Amberg vom 11.04.2025 wird als unbegründet verworfen.
2. Das Beschwerdeverfahren ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet.

Gründe

I.
1
Die Staatsanwaltschaft Amberg führte ein Ermittlungsverfahren gegen die am 16.03.2024 einstweilig nach § 126a StPO untergebrachte …. Mit Beschluss des Amtsgerichts Amberg vom 18.03.2024 wurde Rechtsanwalt … zum Pflichtverteidiger der Beschuldigten bestellt. Mit Antragsschrift vom 28.03.2024 beantragte die Staatsanwaltschaft die Eröffnung des Sicherungsverfahrens gegen die Beschuldigte beim Landgericht Amberg. Mit Schreiben vom 12.08.2024 zeigte sich Rechtsanwalt … als Wahlverteidiger an. Mit Urteil des Landgerichts vom 10.09.2024 wurde der Antrag der Staatsanwaltschaft auf Anordnung der Unterbringung der Beschuldigten in einem psychiatrischen Krankenhaus abgelehnt.
2
Dagegen legte die Staatsanwaltschaft am 11.09.2024 Revision ein. Eine Antragstellung bzw. Revisionsbegründung war damit nicht verbunden.
3
Der Pflichtverteidiger vereinbarte mit der Beschuldigten am 16.09.2024 einen Besprechungstermin und erkundigte sich vorab beim Landgericht, ob die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt habe, was ihm bestätigt wurde. In dem Gespräch teilte er der Beschuldigten diesen Umstand mit. Die Beschuldigte fragte nach dem weiteren Gang des Verfahrens und nach den Erfolgsaussichten, was ihr der Pflichtverteidiger erläuterte.
4
Mit Schreiben ihres Wahlverteidigers vom 23.09.2024 teilte die Beschuldigte mit, dass sie „für die Revision“ einen Wechsel der Pflichtverteidigung nach § 143a Abs. 3 StPO vom bisherigen Pflichtverteidiger zum Wahlverteidiger wolle. Einen solchen, gleichlautenden Antrag stellte die Beschuldigte erneut mit Schreiben vom 30.09.2024. Mit Beschluss vom 21.10.2024 hob das Landgericht die Pflichtverteidigerbestellung von Rechtsanwalt … für die Revisionsinstanz auf und bestellte Rechtsanwalt … als Pflichtverteidiger der Beschuldigten.
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Das schriftliche Urteil samt Mitteilung des Rechtsmittels wurde dem bisherigen Pflichtverteidiger am 29.10.2024 und dem neuen Pflichtverteidiger am 28.10.2024 zugestellt.
6
Mit am 06.11.2024 bei Gericht eingegangenen Schreiben vom 05.11.2024 nahm die Staatsanwaltschaft die Revision zurück, so dass das Urteil am 06.11.2024 rechtskräftig wurde. Mit Beschluss vom 06.11.2024 erlegte das Landgericht der Staatskasse die Kosten der von der Staatsanwaltschaft eingelegten und wieder zurückgenommenen Revision, einschließlich der insoweit der Beschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen auf.
7
Der Beschwerdeführer beantragte anschließend unter anderem die Festsetzung einer Gebühr nach Nr. 4130 VV RVG i.H.v. 541,00 € netto samt Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG i.H.v. 20,00 € netto, insgesamt samt Umsatzsteuer 667,59 €. Nach einem Hinweis der zuständigen Rechtspflegerin, dass diese Kosten nicht erstattet werden könnten, nachdem die Staatsanwaltschaft ihre Revision vor Begründung des Rechtsmittels zurückgenommen habe, teilte er mit, dass diese Gebühr bereits mit dem Gespräch und der Beratung am 16.09.2024 angefallen sei. Jedes Tätigwerden des Verteidigers nach der Rechtsmitteleinlegung sei von der Verfahrensgebühr für das Rechtsmittelverfahren umfasst. Er sei standesrechtlich verpflichtet gewesen, seiner Mandantin Auskünfte über den weiteren Gang des Verfahrens usw. bei einer Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft zu erteilen. Deshalb sei diese Tätigkeit auch notwendig gewesen und ihm zu vergüten.
8
Im Festsetzungsbeschluss vom 19.12.2024 setzte das Landgericht Amberg die vom Verteidiger für das Revisionsverfahren geltend gemachten Kosten von insgesamt 667,59 € nicht an. Gegen den Beschluss legte der Verteidiger am 07.01.2025 Erinnerung ein, die er mit Schreiben vom 02.02.2025 begründete. Darin wiederholte er das bislang Vorgetragene, wobei er insbesondere darlegte, dass sich eine Erforderlichkeitsüberprüfung in Bezug auf Gebühren verbiete. Die Rechtspflegerin half der Erinnerung mit Beschluss vom 11.02.2025 nicht ab.
9
Die 1. Strafkammer des Landgerichts Amberg – in der Besetzung mit einem Berufsrichter – verwarf mit Beschluss vom 11.04.2025 die Erinnerung gegen den Beschluss des Landgerichts Amberg vom 19.12.2024 als unbegründet.
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Zur Begründung der Ablehnung der Festsetzung wurde ausgeführt, dass keine die Gebühr nach Nr. 4130 VV RVG und damit auch keine die damit im Zusammenhang stehende Auslagenpauschale nach Nr. 7002 VV RVG auslösende Tätigkeit des Verteidigers festzustellen sei. Zum maßgeblichen Zeitpunkt der Auskunftserteilung/Beratung hätte noch keine Begründung des Rechtsmittels der Staatsanwaltschaft vorgelegen, weshalb eine solche nicht notwendig gewesen sei. Erst mit einer solchen könne eine sinnvolle Beratung der Mandantin erfolgen. Vor der Zustellung der Revisionsbegründung könne sich eine Beschuldigte nur über potentielle und hypothetische Revisionsangriffe beraten und theoretisch eine bestimmte Verteidigungstrategie entwerfen. Dies gehöre jedoch noch zum vorangegangenen erstinstanzlichen Verfahren und werde von der dortigen Verfahrensgebühr noch erfasst.
11
Laut einem Vermerk vom 02.05.2025 verfügte der Vorsitzende an diesem Tag die Zustellung des Beschlusses an den Verteidiger.
12
Mit am selben Tag bei Gericht eingegangenen Schreiben vom 13.05.2025 legte der Verteidiger Beschwerde ein. Darin wiederholte er seine Rechtsansicht.
13
Das Landgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 21.05.2025 nicht ab.
14
Die Generalstaatsanwaltschaft Nürnberg beantragte, die Beschwerde als unbegründet kostenfällig zu verwerfen.
15
Der Beschwerdeführer hatte Gelegenheit zur Stellungnahme und mit Schreiben vom 20.06.2025 darauf erwidert.
16
Im Übrigen wird auf den Inhalt der erwähnten Entscheidungen und Schreiben verwiesen.
II.
17
Die nach §§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 3 S. 1 RVG statthafte, fristgerecht eingelegte (§ 33 Abs. 3 S. 3 RVG) und im Übrigen zulässige Beschwerde bleibt in der Sache ohne Erfolg. Das Landgericht Amberg hat im Ergebnis zu Recht abgelehnt, die für die Revisionsinstanz beantragten Kosten festzusetzen, insbesondere hat der Beschwerdeführer keinen Anspruch auf die beantragte Gebühr Nr. 4130 VV RVG. Es liegt keine diese Verfahrensgebühr auslösende Tätigkeit des Verteidigers vor, weshalb auch die damit in Zusammenhang stehende Auslagenpauschale nicht festgesetzt werden kann.
18
1. Der Senat entscheidet über die Beschwerde durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter, da auch die angefochtene Entscheidung von einem Einzelrichter erlassen wurde (§§ 56 Abs. 2, 33 Abs. 8 S. 1 RVG).
19
2. Die Gebühr VV 4130 RVG entsteht, wenn der Rechtsanwalt erstmals nach Auftragserteilung für die Mandantin im Revisionsverfahren tätig wird (Gerold/Schmidt, RVG-Kommentar, 26. Aufl. 2023, RVG VV 4130 Rn. 4-10, beckonline, m.a.N.). War der Rechtsanwalt bereits in der ersten Instanz Verteidiger gehört die Einlegung der Revision nach § 19 Abs. 1 S. 2 Nr. 10 RVG noch zum gerichtlichen Verfahren der ersten Instanz (Gerold/Schmidt, ebenda). Jede danach für die Mandantin erbrachte Tätigkeit führt aber, wenn der Rechtsanwalt den Auftrag zur Verteidigung im Revisionsverfahren erhalten hat, zur Verfahrensgebühr VV 4130 RVG. Wenn von einem anderen Verfahrensbeteiligten Revision eingelegt worden ist, beginnt für den Verteidiger das Revisionsverfahren mit der Erteilung des Auftrags, die Mandantin im Revisionsverfahren zu vertreten (Gerold/Schmidt, ebenda, m.w.N.).
20
3. Vorliegend fehlt es an einem solchen Auftrag der Mandantin, sie im Revisionsverfahren zu verteidigen. Im vorliegenden Fall hat nur die Staatsanwaltschaft Revision ohne einen Antrag zu stellen und ohne Begründung eingelegt und vor einer Begründung wieder zurückgenommen. Aus dem vom Beschwerdeführer Vorgetragenen ergibt sich eine solche Auftragserteilung nicht.
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aa) Aus dem vom Beschwerdeführer Vorgetragenen ergibt sich keine ausdrückliche Auftragserteilung.
22
bb) Das Gespräch am 16.09.2024 war bereits vor Kenntniserlangung von der Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft und vor Ablauf der auch für die Mandantin noch möglichen Revisionseinlegung, die Frist lief am 17.09.2024 ab, ausgemacht gewesen. Es sollte offensichtlich zunächst der Auskunft über den weiteren, möglichen Verfahrensablauf dienen. Da die Beschuldigte im weiteren Verlauf keine Revision einlegte, ist daraus auch keine konkludente Auftragserteilung zu entnehmen.
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cc) Nach dem Vortrag des Verteidigers hat er sich jedoch im Vorfeld des Gesprächs nach einer Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft erkundigt und dies der Mandantin am 16.09.2024 mitgeteilt und deren weitere Fragen dazu beantwortet. Auch daraus ist jedoch angesichts des weiteren Verhaltens der Beteiligten keine konkludente Auftragserteilung zur Verteidigung im Revisionsverfahren zu entnehmen. Die Beschuldigte hat vielmehr am 23.09.2024 über ihren Wahlverteidiger, der ebenfalls in erster Instanz Verteidiger war, und mit Schreiben vom 30.09.2024 selbst den Antrag gestellt, den Beschwerdeführer als Pflichtverteidiger zu entbinden und ihr den bisherigen Wahlverteidiger als Pflichtverteidiger für das Revisionsverfahren nach § 143a Abs. 3 StPO zu bestellen, dem das Gericht mit Beschluss vom 21.10.2024 auch nachgekommen ist. Damit hat sie aber gerade deutlich gemacht, dass sie, nachdem sie am 16.09.2024 davon Kenntnis erlangt hatte, dass die Staatsanwaltschaft Revision eingelegt hat, im Revisionsverfahren nicht von dem Beschwerdeführer verteidigt werden möchte.
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dd) Dabei ist insbesondere auch zu sehen, dass selbst wenn sich die Beschuldigte in diesem Gespräch zu einer Revisionseinlegung entschlossen hätte, sogar die Einlegung des Rechtsmittels vorliegend noch zum Abgeltungsbereich der Verfahrensgebühr Nr. 4112 VV RVG für den ersten Rechtszug vor der Strafkammer gehört hätte. Die Gebühr Nr. 4130 VV RVG entsteht erst zu dem Zeitpunkt, zu welchem der Verteidiger Tätigkeiten entfaltet, die über die Einlegung der Revision und die diesbezügliche Beratung hinausgehen (Toussaint, Kostenrecht, 54. Auflage 2024, RVG VV 4130 Rn. 5-16 mit Verweis auf RVG VV 4124 Rn. 5-23, beckonline, m.w.N.). Gleiches muss gelten, wenn der bisherige Verteidiger der ersten Instanz lediglich über die Revisionseinlegung durch die Staatsanwaltschaft informiert und Fragen dazu beantwortet. Erst mit einem Tätigwerden darüber hinaus, gestützt auf einen entsprechenden Auftrag, kann in diesem Fall die Gebühr Nr. 4130 VV RVG ausgelöst werden.
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4. Aus dem oben Ausgeführten ergibt sich, dass die Festsetzung der Auslagenpauschale Nr. 7002 VV RVG für die Revisionsinstanz zu Recht versagt wurde, da Auslagen zur sachgemäßen Durchführung der Angelegenheit nicht erforderlich waren (vgl. § 46 Abs. 1 RVG).
26
5. Das Verfahren über die Beschwerde ist gebührenfrei. Kosten werden nicht erstattet (§ 56 Abs. 2 RVG).