Titel:
Einstellung der Zwangsvollstreckung, Art und Weise der Vollstreckung, Erinnerung, Pfändungsschutz, private Unfallversicherung
Normenketten:
VwZVG Art. 26 Abs. 7
ZPO § 766
ZPO § 732
ZPO § 850b
SGB I § 54
Schlagworte:
Einstellung der Zwangsvollstreckung, Art und Weise der Vollstreckung, Erinnerung, Pfändungsschutz, private Unfallversicherung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 20076
Tenor
I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Der Streitwert wird auf 2.100,00 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich im Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes dagegen, dass die Antragsgegnerin im Wege der Zwangsvollstreckung Zugriff auf eine ihm von der X …, …, ausbezahlte Leistung aus einer privaten Unfallversicherung in Höhe von 4.200,00 € nimmt.
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In Ausstandsverzeichnissen der Antragsgegnerin vom 21.10.2024, vom 11.04.2025 und vom 22.04.2025 sind öffentliche-rechtliche Forderungen von 4.227,50 €, 65,08 € und 30,00 € aufgeführt, die sich überwiegend auf vom Antragsteller bislang nicht beglichene Gewerbesteuern und Säumniszuschläge beziehen.
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Am 22.04.2025 erließ die Antragsgegnerin einen Pfändungs- und Überweisungsbeschluss betreffend das Kontoguthaben des Antragstellers bei der Y …, …, … für öffentliche-rechtliche Forderungen in Höhe von 4.329,48 €.
4
Mit Schreiben vom 06.06.2025 beantragte der Antragsteller bei der Antragsgegnerin die „sofortige Aussetzung der Pfändung“. Zur Begründung trug er im Wesentlichen vor, dass er am 27.05.2025 eine einmalige Invaliditätsleistung aus seiner privaten Unfallversicherung in Höhe von 4.200,00 € erhalten habe, die gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I unpfändbar sei. Die Zahlung sei auf einem Konto ohne Pfändungsschutz eingegangen. Der Antragsteller sei dringend auf die Freigabe des Geldes angewiesen, insbesondere zur Deckung von Miete, Strom, Lebensmitteln und Medikamenten. Eine weitere Verzögerung gefährde seine Existenz. Die Antragsgegnerin lehnte den Antrag mit Schreiben vom 26.06.2025 ab.
5
Mit Schreiben vom 01.07.2025 ließ der Antragsteller bei Gericht vorliegenden Eilantrag stellen.
- 1.
-
Der Antragsgegnerin wird im Wege der einstweiligen Anordnung untersagt, die Pfändung aufrechtzuerhalten bzw. auf den Betrag in Höhe von 4.200 € zuzugreifen.
- 2.
-
Die Antragsgegnerin wird verpflichtet, die gepfändete Invaliditätsleistung freizugeben bzw. die Pfändung auszusetzen, bis in der Hauptsache über die Rechtmäßigkeit entschieden ist.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
Der Antrag wird abgewiesen.
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Gemäß § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I sei nur der Anspruch auf Geldleistungen, die dafür bestimmt seien, den durch einen Körper- und Gesundheitsschaden bedingten Mehraufwand auszugleichen, unpfändbar. Die Gemeinde pfände jedoch nicht diesen konkreten Anspruch gegenüber der Unfallversicherung auf Invaliditätsleistung, sondern verbiete der Bank als Drittschuldner, Geld in Höhe der unbestrittenen und anerkannten Forderung an den Antragsteller auszuzahlen, bis die offene Forderung getilgt sei. Dabei sei unerheblich, woher ein Guthaben auf dem Bankkonto stamme.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die gewechselten Schriftsätze sowie auf den Inhalt des Behörden- und des Gerichtsakts Bezug genommen.
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1. Das vom Antragsteller als Erlass einer einstweiligen Anordnung bezeichnete Begehren ist nach seinem erkennbaren Rechtsschutzziel als ein auf vorläufige Einstellung der Zwangsvollstreckung gerichteter Antrag nach Art. 26 Abs. 7 Satz 1 Halbsatz 1 des Bayerischen Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetzes (VwZVG) i. V. m. § 766 Abs. 1 Satz 2, § 732 Abs. 2 der Zivilprozessordnung (ZPO) anzusehen, über den das Verwaltungsgericht nach Art. 26 Abs. 7 Satz 3 VwZVG zu entscheiden hat. Nach der Systematik des zwangsvollstreckungsrechtlichen Rechtsschutzsystems können mithilfe des § 766 ZPO Einwendungen gegen die Art und Weise der Zwangsvollstreckung geltend gemacht werden. Vorliegend wendet sich der Antragsteller gegen die konkrete Durchführung der Zwangsvollstreckung, da seiner Ansicht nach Geldleistungen gepfändet worden seien, die dem Pfändungsschutz unterlägen.
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2. Der zulässige Antrag ist unbegründet, da die Art und Weise der Zwangsvollstreckung der Antragsgegnerin bei summarischer Prüfung keinen rechtlichen Bedenken begegnet.
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Im Streit steht zwischen den Parteien, ob die einmalige Geldleistung aus der privaten Unfallversicherung des Antragstellers, die ihm am 27.05.2025 ausbezahlt wurde, dem Pfändungsschutz unterliegt. Zu den mit der Vollstreckungserinnerung nach § 766 ZPO geltend zu machenden Verfahrensvorschriften gehören auch Pfändungsschutzvorschriften (vgl. Saenger in: Zivilprozessordnung, 10. Auflage 2023, § 766 Rn. 12; VG Regensburg, B. v. 25.10.2005 – RN 3 E 05.1402; B. v. 21.11.2005 – RN 3 E 05.1787 zu Pfändungsschutz von Arbeitseinkommen).
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a) Die vom Antragsteller vorgebrachte Norm des § 54 Abs. 3 Nr. 3 Erstes Buch Sozialgesetzbuch (SGB I) ist vorliegend nicht anwendbar. § 54 SGB I bezieht sich nach der Gesetzessystematik auf Sozialleistungen nach § 11 SGB I, worunter insbesondere die Leistungen der gesetzlichen Unfallversicherung (vgl. § 22 SGB I) fallen, nicht jedoch solche eines privatrechtlichen Leistungserbringers. Darüber hinaus betrifft § 54 Abs. 3 Nr. 3 SGB I nach der inneren Systematik des § 54 SGB I nur laufende Geldleistungen; die Pfändung einmaliger Leistungen – eine solche liegt hier nach den Angaben des Antragstellers vor – würde den Voraussetzungen des § 54 Abs. 2 SGB I (vgl. dessen Wortlaut: „einmalige Geldleistungen“) unterliegen (Siefert in: BeckOGK, 01.08.2022, SGB I, § 54 Rn. 38). Im Übrigen stünde dem Pfändungsschutz entgegen, dass nach dem Gesetzeswortlaut nur der Anspruch auf Geldleistungen unpfändbar ist. Wurde die Geldleistung – wie vorliegend – auf das Konto des Vollstreckungsschuldners überwiesen, besteht Pfändungsschutz nur noch über ein Pfändungsschutzkonto. Eine Regelung, wie sie § 55 SGB I in der bis 31.12.2011 gültigen Fassung vorsah (demnach war bei Überweisung der Geldleistung auf das Konto des Berechtigten die Forderung, die durch die Gutschrift einer Geldleistung entsteht, für die Dauer von 14 Tagen seit der Gutschrift der Überweisung unpfändbar), sieht der Gesetzgeber nicht (mehr) vor. Nach den Angaben des Antragstellers hat dieser die Leistung aus der privaten Unfallversicherung nicht auf ein Pfändungsschutzkonto ausbezahlt erhalten, womit die eingegangene Leistung aus der privaten Unfallversicherung nicht dem Pfändungsschutz nach § 54 SGB I unterliegt.
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b) Pfändungsschutz hinsichtlich der dem Antragsteller ausgezahlten Leistung aus der privaten Unfallversicherung wäre zwar grundsätzlich über § 850b Abs. 1 Nr. 1 ZPO denkbar (Kindl/Meller-Hannich, Gesamtes Recht der Zwangsvollstreckung, 4. Auflage 2021, § 850b Rn. 6). Nach ihrem Wortlaut umfasst die Norm jedoch nur „Renten“, also wiederkehrende Leistungen (vgl. BGH, U. v. 25.01.1978 – VIII ZR 137/76). Einmalzahlungen sind hingegen unbeschränkt pfändbar. Der Antragsteller trägt selbst unbestritten vor, dass es sich bei der gewährten Leistung um eine Einmalzahlung handelte.
15
c) Andere Gründe, die einen Pfändungsschutz begründen könnten, wurden vom Antragsteller nicht substantiiert dargelegt.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 53 Abs. 2 Nr. 1 i. V. m. § 52 Abs. 1 des Gerichtskostengesetzes (GKG) i. V. m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2025 (Hälfte des Hauptsachestreitwertes).