Inhalt

OLG München, Beschluss v. 27.01.2025 – 11 W 1371/ 24 e
Titel:

Prozessbegleitendes Privatgutachten, Vorlage eines Privatgutachtens, Kostenfestsetzungsbeschluß, Erstattungsfähigkeit, Privatgutachterkosten, Privates Sachverständigengutachten, Privatsachverständiger, Sofortige Beschwerde, Erstattungsfähige Kosten, Sachverständigenrechnung, Sachverständigenkosten, Kostenregelung, Außergerichtliche Kosten, Schlußrechnung, Notwendige Kosten, Kosten des Rechtsstreits, Architektenhonorar, Beschwerdewert, Parteivortrag, Zweckentsprechende Rechtsverfolgung

Schlagworte:
Privatgutachten, Erstattungsfähigkeit, Prozessbezogene Kosten, Notwendige Kosten, Kostenfestsetzung, Vergleichsregelung, Sachverständigenkosten
Vorinstanz:
LG München I, Kostenfestsetzungsbeschluss vom 02.07.2024 – 24 O 11880/21
Fundstellen:
JurBüro 2025, 374
BeckRS 2025, 20059

Tenor

I. Auf die sofortige Beschwerde der Beklagten zu 1) wird der Kostenfestsetzungsbeschluss II des Landgerichts München I vom 02.07.2024, Az. 24 O 11880/21, dahingehend abgeändert, dass die von der Klagepartei an den Beklagten zu 1) zu erstattenden Kosten auf 16.828,65 EUR (statt 5.593,95 EUR) nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 247 BGB hieraus seit 08.03.2024 festgesetzt werden.
II. Die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Klägerin.
III. Der Beschwerdewert beträgt 11.234,70 EUR.

Gründe

I.
1
Die Parteien stritten über Architektenhonorar. Die Klägerin machte Forderungen aufgrund einer unter Hinzuziehung des Sachverständigen … erstellten Schlussrechnung vom 11.11.2020 (Anlage K9) geltend.
2
Im Laufe des Verfahrens erholte die ursprüngliche Beklagte, deren Gesamtrechtsnachfolger der Beklagte zu 1) ist, ein Privatgutachten des Sachverständigen … (Gutachten vom 21.06.2022, vorgelegt mit Schriftsatz vom 24.06.2022), nebst 1. Ergänzender Stellungnahme vom 24.06.2022 (vorgelegt mit Schriftsatz vom 24.06.2022) und weiterer Stellungnahme vom 28.11.2022 (vorgelegt mit Schriftsatz vom 01.12.2022).
3
Das Verfahren endete durch Abschluss eines Vergleichs, dessen Zustandekommen durch Beschluss des Landgerichts München I vom 06.03.2024, berichtigt durch Beschluss vom 05.04.2024, festgestellt wurde. Die Kostenregelung des Vergleichs lautete wie folgt:
„Von den Kosten des Rechtsstreits tragen die Klägerin 73%, der Beklagte zu 1 23% und der Beklagten zu 2 4%, mit Ausnahme der Einigungsgebühr. Insoweit werden die Kosten des Vergleichs gegeneinander aufgehoben.“
4
Der Beklagte zu 1) stellte unter dem 08.03.2024 Kostenausgleichungsantrag. Hierbei machte er unter anderem die Kosten der Inanspruchnahme des Sachverständigen … in Höhe von insgesamt 15.390,00 EUR netto geltend, wobei er dessen Rechnungen in Kopie vorlegte; im Einzelnen:

1.“

Rechnung Nr. .../2022 vom 09.07.2022:

9.690,00 EUR netto

2.

Rechnung Nr. .../2022 vom 22.12.2022:

5.700,00 EUR netto

Summe:

15.390,00 EUR netto

5
Zur Begründung trug er vor, das Gutachten zur Rechnung vom 09.07.2022 sei mit Schriftsatz vom 24.06.2022 inhaltlich dargelegt worden. Es verhalte sich zu der Bewertung des von der Klägerin behaupteten Leistungsstandes der erbrachten Leistungen bis zur Kündigung und den anderen Fragestellungen hin bis zur Frage des nicht ersparten Aufwands. Eine Ergänzung habe der Sachverständige unter dem 24.06.2022 vorgelegt. Die weitere Stellungnahme vom 28.11.2022 verhalte sich zu der von der Klägerin vorgelegten Stellungnahme des Sachverständigen … vom 14.11.2022. Alle gutachterlichen Stellungnahmen des Sachverständigen … seien daher verfahrensbezogen und auch entsprechend beauftragt. Es bestehe Erstattungsfähigkeit wegen des Bedingungszusammenhangs mit der Anspruchsverteidigung. Der Stundenaufwand sei aus den Rechnungen nachvollziehbar, der Stundensatz von 190,00 EUR sei aufgrund der Materie angemessen.
6
Die Klagepartei machte die Kosten für den von ihr herangezogenen Privatgutachter … im Rahmen des Kostenausgleichs ebenfalls geltend.
7
Mit Kostenfestsetzungsbeschluss II vom 02.07.2024 setzte das Landgericht die von der Klagepartei an den Beklagten zu 1) zu erstattenden Kosten auf 5.593,95 EUR nebst Zinsen fest. Neben – nicht beschwerdegegenständlichen – Absetzungen bei den Rechtsanwaltskosten wurden auch die vom Beklagten zu 1) geltend gemachten Privatgutachterkosten nicht berücksichtigt. Zur Begründung wurde ausgeführt, Kosten eines prozessbegleitenden Privatgutachtens seien grundsätzlich nicht erstattungsfähig, weil es Sache des Gerichts sei, Beweiserhebungen durch Einholung von Sachverständigengutachten durchzuführen. Ein Privatgutachten wäre dann erstattungsfähig, wenn es darum ginge, das gerichtliche Sachverständigengutachten zu überprüfen, zu widerlegen oder zu erschüttern. Hier seien die Gutachten bereits vor Erlass des Beweisbeschlusses am 09.12.2022 und vor Erstellung eines Gutachtens eines gerichtlichen Sachverständigen in Auftrag gegeben worden.
8
Die vom Beklagten zu 1) an die Klagepartei zu erstattenden Kosten wurden gesondert durch Kostenfestsetzungsbeschluss I vom 02.07.2024 festgesetzt. Auch die von der Klagepartei geltend gemachten Privatgutachterkosten wurden nicht berücksichtigt. Ein Rechtsmittel gegen diesen Kostenfestsetzungsbeschluss wurde nicht eingelegt.
9
Mit Schriftsatz vom 02.08.2024, beim Landgericht per beA eingegangen am selben Tag, legte der Beklagte zu 1) gegen den Kostenfestsetzungsbeschluss II vom 02.07.2024, welcher seinen Prozessbevollmächtigten am 23.07.2024 zugestellt wurde, sofortige Beschwerde ein, mit der er sich gegen die Absetzung der Sachverständigenkosten wandte. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs stelle die Vorlage eines Privatgutachtens qualifizierten Parteivortrag dar. Es müsse nicht die Ersetzung der gerichtlichen Beweisaufnahme verfolgt werden, um die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachterkosten zu begründen; denn der jeweilige Parteivortrag entscheide über eine weitere Beweiserhebung durch das Gericht. Maßstab für die Erstattungsfähigkeit von Privatgutachterkosten sei allein, dass eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei für erforderlich halten dürfe, einen Privatsachverständigen zur streitigen Auseinandersetzung hinzuzuziehen. Dies sei hier der Fall gewesen, zumal das Verfahren für den Beklagten zu 1) existenzbedrohend gewesen sei.
10
Die Klägerin führte aus, die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 1) sei zurückzuweisen, da eine Erstattungsfähigkeit prozessualer Privatgutachterkosten nicht bejaht werden könne. Der Beklagte zu 1) sei keineswegs nur mit Hilfe seines Privatgutachters zu seiner Rechtsverteidigung in der Lage gewesen, da es sich bei ihm um eine „fachkundige Partei“ handle und die Beurteilung von Honorarabrechnungen wie der streitgegenständlichen zu seinem Alltagsgeschäft gehöre. Eine Substantiierung des Vortrags sei auf Beklagtenseite vorliegend nicht in gleicher Weise erforderlich gewesen wie bei der darlegungs- und beweisbelasteten Klägerin. Eine Erstattungsfähigkeit seiner Privatgutachterkosten sei dem Beklagten zu 1) auch nicht aus Gründen der Waffengleichheit zuzugestehen, da auch die Klägerin ihre Privatgutachterkosten selbst getragen habe. Der Umstand, dass der Inhalt eines Privatgutachtens als sogenannter qualifizierter Parteivortrag zu behandeln sei, gebe nichts her für die Frage, ob die Kosten als notwendige Kosten im Sinne des § 91 ZPO erstattungsfähig seien. Für die vergleichsweise Einigung der Parteien hätten die jeweiligen Privatgutachten letztlich keinerlei Bedeutung gehabt; der Vergleich sei ausschließlich aus prozessökonomischen Gründen zustande gekommen. Das Verfahren sei durch die Gutachten des Privatsachverständigen … weder gefördert noch verbilligt worden. Diese hätten auch nicht dem Zweck gedient, Bedenken gegen ein gerichtliches Gutachten vorzubringen, und seien auch nicht beweismäßig verwertet worden. Die Beteiligten hätten bei Abfassung der Kostenregelung des Vergleichs explizit die Kosten der jeweiligen Privatgutachten nicht mit aufgenommen.
11
Das Landgericht half der sofortigen Beschwerde durch Beschluss vom 21.08.2024 nicht ab und legte die Akten dem Oberlandesgericht München zur Entscheidung vor.
12
Mit Schriftsätzen vom 08.10.2024 und 02.01.2025 ergänzte und vertiefte der Beklagte zu 1) seinen Sach- und Rechtsvortrag. Die Klägerin nahm mit Schriftsatz vom 11.10.2024 nochmals Stellung.
II.
13
Die sofortige Beschwerde des Beklagten zu 1) ist zulässig (§§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO) und hat auch in der Sache Erfolg. Die für den Privatsachverständigen … aufgewandten Kosten sind erstattungsfähig. Der angefochtene Kostenfestsetzungsbeschluss war daher wie tenoriert abzuändern.
14
1. § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO bestimmt, dass die unterliegende Partei die Kosten des Rechtsstreits zu tragen hat, insbesondere die dem Gegner erwachsenen Kosten erstatten muss, soweit sie zur zweckentsprechenden Rechtsverfolgung oder Rechtsverteidigung notwendig waren.
15
Zu prüfen ist insoweit zum einen die unmittelbare Prozessbezogenheit der Kosten. Allgemeine Unkosten oder prozessfremde Kosten sind nicht erstattungsfähig (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 – VI ZB 7/05 –, juris Rn. 6).
16
Zum anderen muss es sich um notwendige Kosten handeln. Nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes sind nach § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO erstattungsfähige notwendige Kosten solche, die für Maßnahmen anfallen, die eine verständige und wirtschaftlich vernünftig denkende Partei als sachdienlich ansehen darf; für die Beurteilung der Notwendigkeit ist auf den Zeitpunkt der Veranlassung der die Kosten auslösenden Maßnahme abzustellen (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – VII ZB 18/14 –, juris Rn. 12; BGH, Beschluss vom 7. Februar 2013 – VII ZB 60/11 –, juris Rn. 24; BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011 – VI ZB 17/11 –, juris Rn. 12). Dabei darf die Partei ihr berechtigtes Interesse verfolgen und die zur vollen Wahrnehmung ihrer Belange erforderlichen Schritte tun (BGH, Beschluss vom 10. Juli 2012 – VI ZB 7/12 –, juris Rn. 9).
17
2. Obwohl Privatsachverständigenkosten nach einhelliger Meinung nur ausnahmsweise erstattungsfähige Kosten des Rechtsstreits sind (BGH, Beschluss vom 23. Mai 2006 – VI ZB 7/05 –, juris Rn. 5; BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – VII ZB 18/14 –, juris Rn. 12), sind die vom Beklagten zu 1) geltend gemachten Kosten der Gutachten des Privatgutachters … vorliegend nach den oben dargestellten Grundsätzen in vollem Umfang erstattungsfähig.
18
a) Die erst nach Klageerhebung eingeholten Gutachten des Privatsachverständigen … waren unmittelbar prozessbezogen, da sie sich auf im Rechtsstreit relevante Fragestellungen, insbesondere die Schlussrechnung vom 11.11.2020 (Anlage K9) sowie die von der Klägerin vorgelegte Stellungnahme des Sachverständigen … vom 14.11.2022, bezogen und sich mit diesen auseinandersetzten.
19
b) Ferner war die Einholung der Privatgutachten auch im obigen Sinne notwendig gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 ZPO.
20
Die Einholung eines Privatgutachtens während des Rechtsstreits ist in der Regel dann notwendig und sachdienlich, wenn der Partei die nötige Sachkunde fehlt, um ihren Anspruch schlüssig zu begründen, sich gegen die geltend gemachten Ansprüche sachgerecht zu verteidigen oder zu einem ihr ungünstigen, vom Gericht selbst eingeholten Sachverständigengutachten gezielt Stellung nehmen zu können (Senatsbeschluss, NJW-RR 2013, 1106, 1107; BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011, Az. VI ZB 17/11, juris Rn 13; BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – VII ZB 18/14 –, juris Rn. 13).
21
Hier lag zwar zum Zeitpunkt der Einholung der Privatgutachten noch kein gerichtliches Sachverständigengutachten vor. Obwohl die Klägerin selbst grundsätzlich fachkundig ist, war jedoch bereits die mit der Klage geltend gemachte Schlussrechnung unter Hinzuziehung eines Privatsachverständigen erstellt worden, bei welchem es sich um einen öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Honorare für Leistungen der Architekten und Ingenieure handelt, worauf die Klägerin auch schon in der Klageschrift hinwies. Auf die von der Beklagtenseite mit Schreiben des Beklagtenvertreters vom 05.01.2021 (Anlage K10) vorgerichtlich geltend gemachten Einwendungen wurde noch vor Klageerhebung eine umfangreiche gutachterliche Stellungnahme des klägerischen Privatsachverständigen eingeholt, welche ebenfalls mit der Klageschrift vorgelegt wurde. Wenngleich auch die Beklagtenseite grundsätzlich fachkundig ist, durfte sie bei dieser Sachlage die Beauftragung eines privaten Sachverständigen ex ante als notwendig und sachdienlich ansehen, um sich gegen die geltend gemachten Ansprüche sachgerecht verteidigen und qualifiziert erwidern zu können.
22
Die Erstattungsfähigkeit der Privatgutachterkosten hängt auch nicht davon ab, dass die Tätigkeit des Privatgutachters den Verlauf des Rechtsstreits zugunsten der Partei beeinflusst hat (vgl. BGH, Beschluss vom 20. Dezember 2011, Az. VI ZB 17/11, juris Rn 14). Entscheidend ist allein, ob die Partei im Zeitpunkt der Einholung des Privatsachverständigengutachtens die Aufwendung dieser Kosten als sachdienlich ansehen konnte (BGH, Beschluss vom 1. Februar 2017 – VII ZB 18/14 –, juris Rn. 17), was hier, wie dargelegt, der Fall war.
23
c) Die geltend gemachten Privatsachverständigenkosten sind schließlich auch der Höhe nach nicht zu beanstanden.
24
Für die Abrechnung des Privatsachverständigen gelten nicht die Regelungen des JVEG; Maßstab ist deshalb allein, ob zum Zeitpunkt der Beauftragung aus Sicht der Partei, die für das Gutachten anfallenden Kosten als angemessen angesehen werden konnten (vgl. BGH, Beschluss vom 07. Februar 2013 – VII ZB 60/11 –, juris Rn. 30; Zöller/Herget, ZPO, 35. Auflage, zu § 91 Rn. 13_73 Stichwort „Privatgutachten“ a.E.). Dies ist hier der Fall.
25
Anhaltspunkte dafür, dass die Sachverständigenrechnungen unverhältnismäßig hoch wären, ergeben sich nicht, zumal auch die Klagesumme erheblich war. Konkrete Einwendungen gegen einzelne Rechnungspositionen wurden nicht erhoben und sind auch sonst nicht ersichtlich.
26
3. Da es sich bei den Kosten des Privatgutachters … mithin um notwendige Kosten des Rechtsstreits handelt, sind sie von der Regelung des Vergleichs zu den Kosten des Rechtsstreits umfasst. Einer gesonderten Regelung bedurfte es nicht.
27
4. Bei Anwendung der in der Kostenregelung des Vergleichs vereinbarten Quote ergibt sich ein zusätzlicher Erstattungsbetrag von 73 % x 15.390,00 EUR = 11.234,70 EUR, so dass die Kostenfestsetzung wie tenoriert abzuändern war.
III.
28
Die Entscheidung über die außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO. Gerichtskosten sind nicht angefallen, da die Beschwerde in vollem Umfang Erfolg hatte (vgl. Nr. 1812 KV GKG).