Inhalt

LG Bamberg, Endurteil v. 21.07.2025 – 43 O 24/25
Titel:

Verjährung von Ansprüchen auf Schadensersatz nach dem Dieselskandal

Normenkette:
BGB § 195, § 823, § 826
Leitsatz:
Es genügt für den Beginn der Verjährung gem. § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom "Diesel-" bzw. "Abgasskandal" im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist. (Rn. 30) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Verjährungseinrede, Fahrzeug, Kenntnis, Diesel, Dieselskandal, Presse, Pressemitteilung, Rückrufaktion, Kosten des Rechtsstreits, Minderwert, Klage, Schaden
Fundstelle:
BeckRS 2025, 19255

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Der Kläger hat die Kosten des Rechtsstreits zu tragen.
3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 120% des jeweils zu vollstrecken - den Betrages vorläufig vollstreckbar.
4. Der Streitwert wird auf 12.925,66 € festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten um Ansprüche wegen des Erwerbs eines Pkws.
2
Der Kläger erwarb am 13.02.2017 den streitgegenständlichen Pkw O. Z. T. (gebraucht, Kaufpreis: 17.850, – €, km-Stand bei Erwerb: 17.200 km) (Anlage K 4 = Verbindliche Bestellung).
3
Herstellerin des Pkws ist die Rechtsvorgängerin der Klägerin (A. O. GmbH, ab 11.04.2017 aufgrund formwandelnder Umwandlung die A. O. AG, ab 12.10.2023 die Beklagte; Anlage K 3 = Handelsregisterauszug).
4
Im Fahrzeug ist ein Dieselmotor mit der Baumusterbezeichnung B... opt. LVL mit 1.598 cm Hubraum und einer Nennleistung von 88 kW verbaut, der im NEFZ die Abgaswerte der Abgasnorm Euro 6 (Grenzwert von 80 mg/km NOx) einhält.
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Die Beklagte informierte ab Ende des Jahres 2015 in diversen Pressemitteilungen die Öffentlichkeit darüber, dass sie das Emissionskontrollsystem der ersten Generation von Dieselmotoren mit SCR-Katalysator durch ein Software-Update verbessern wolle und äußerte sich auch im Rahmen der Qualifikation eines „Thermofensters“ als unzulässige Abschalteinrichtung öffentlich (Anlagen B 6, 7 – Pressemitteilungen vom 15.12.2015, 29.03.2016, 25.04.2016, 12.05.2016, 17.05.2016 und 20.05.2016). Das von der Beklagten entwickelte Software-Update stellte sie dem KBA vor, dass dieses mit Bescheid vom 16.02.2018 freigab (Anlage B 8 = Freigabebescheid).
6
In der Folge informierte die Beklagte u.a. auch den Kläger mit Schreiben vom 15.05.2018 (Anlage K 8) darüber, dass sie eine „freiwillige Rückrufaktion“ gestartet werde, mit dem Ziel „die Stickoxidemissionen im realen Fahrbetrieb so weit wie nach neuestem Stand technisch möglich zu verringern“. Der Kläger korrespondierte sodann mit der Beklagten, die ihm mitteilte, dass keine unzulässige Abschalteinrichtung im Fahrzeug verbaut sei. Der Kläger ließ das Software-Update aufspielen, noch bevor das KBA im Oktober 2018 den – bisher nicht bestandskräftigen – Rückruf für alle betroffenen Fahrzeuge anordnete.
7
Die Beklagte hat die Einrede der Verjährung erhoben.
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Der Kläger behauptet, die Einhaltung der Abgaswerte im NEFZ beruhe allein darauf, dass im Fahrzeug mehrere unzulässige Abschalteinrichtungen verbaut seien.
9
Konkret vermute er, dass in der Motorsteuerung des Fahrzeugs zwei Betriebsmodi für die Abgasrückführung (AGR) hinterlegt gewesen seien. Im sauberen Modus arbeite die AGR uneingeschränkt und im Schmutzmodus sei die AGR deutlich reduziert. Die Einstellungen dieser Modi seien so gewählt, dass der saubere Modus im Leerlauf des Fahrzeugs aktiviert werden und nur so lange beibehalten wird, wie sich das Fahrzeug innerhalb der Bedingungen des Prüfzyklus NEFZ befinde. Sobald die in der Motorsteuerung zur Erkennung des Prüfzyklus hinterlegten Bedingungen verlassen würden, schalte die Motorsteuerung in den Schmutzmodus und kehre erst wieder in den sauberen Modus zurück, wenn das Fahrzeug im Leerlauf betrieben werde. Die Erkennung der Prüfstandsbedingungen erfolge über die für die unterschiedlichen Gänge definierten Kombination aus Motordrehzahl und der Menge des eingespritzten Diesels. Folge dieser Betriebsmodi sei, dass das Fahrzeug außerhalb des Prüfstands nahezu ausschließlich im Schmutzmodus fahre und im realen Fahrverkehr die Grenzwerte für den Ausstoß von Stickstoffoxiden deutlich überschreite (Anlage K 7 = Messung Deutsche Umwelthilfe).
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Zudem werde die AGR-Rate auch außerhalb des für den NEFZ vorgegebenen Temperaturbereichs von 20 – 30°C jeweils mit einem Puffer von 4°C nach oben und unten zurückgenommen.
11
Der Kläger meint, ihm sei durch die Handlung der Beklagten ein Schaden insoweit entstanden, als er einen für ihn ungewollten Vertrag geschlossen habe.
12
Der Kläger behauptet weiter, die Geschäftsführung der Beklagten – jedenfalls aber ein Mitarbeiter der Führungsebene – habe Kenntnis von den Manipulationen gehabt, habe Entwicklung und Einbau jedenfalls gebilligt.
13
Die Beklagte habe insoweit auch mit Unrechtsbewusstsein gehandelt, weil die Maßnahmen darauf abzielen, allein auf dem Prüfstand die gesetzlichen Grenzwerte einzuhalten und die Maßnahmen bei Beantragung der Typengenehmigung auch nicht offengelegt worden seien. Eine Ausnahme nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) Nr. 715/2007 liege nicht vor, das diesbezügliche Normverständnis der Beklagten sei fernliegend.
14
Der Kläger meint, das Verhalten der Beklagten sei als sittenwidrig zu charakterisieren, weil es allein aus Gründen der Gewinnmaximierung erfolgt sei, zulasten der Gesundheit der Allgemeinheit, der Umwelt und der finanziellen Interessen der Käufer – hier speziell des Klägers.
15
Der Schaden sei auf Grundlage einer Gesamtlaufleistung von 300.000 km bei einer aktuellen km-Laufsleistung von 95.217 km (bei Klageerhebung) zu berechnen.
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Hilfsweise sei jedenfalls der Differenzschaden in Höhe von 15% des Kaufpreises zu ersetzen, der durch die Aufspielung des Software-Updates, den Restwert und die Nutzungsentschädigung nicht kompensiert werde.
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Der Differenzschaden sei auch nicht wegen einer Verhaltensänderung der Beklagten ausgeschlossen
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Der Kläger habe erst im Jahre 2022 durch seinen Prozessbevollmächtigen Kenntnis von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs erlangt, so dass die Ansprüche bei Klageerhebung im Jahre 2025 noch nicht verjährt gewesen seien.
19
Der Kläger beantragt,
1.
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 12.925,66 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit Zug-um-Zug gegen Übergabe und Übereignung des Fahrzeugs O. Z. T. mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W0... zu zahlen.
2.
festzustellen, dass die Beklagte sich mit der Rücknahme des Fahrzeugs O. Z. T. mit der Fahrzeug-Identifizierungsnummer W0... in Annahmeverzug befindet.
hilfsweise zu den Anträgen zu 1. und 2., für den Fall, dass das Gericht eine Haftung der Beklagten aus § 826 BGB nicht begründet sieht,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger einen in das Ermessen des Gerichts gestellten Schadensersatz, aber mindestens 2.677,50 € nebst Zinsen in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
20
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
21
Die Beklagte bestreitet das Vorhandensein einer Prüfstands- oder Prüfzykluserkennung. Das Emissionskontrollsystem halte die Grenze unter den gesetzlich vorgegebenen NEFZ-Bedingungen und auch im Realbetrieb ein. Allerdings arbeite das Emissionskontrollsystem parameterabhängig, so dass u.a. Drehzahl, Geschwindigkeit, Umgebungsluftdruck und Umgebungstemperatur Einfluss auf die AGR-Rate haben. Dies sei aber notwendig, um den Motor vor Versottung und Verrußung zu schützen und einen sicheren Fahrbetrieb zu gewährleisten.
22
Zudem meint die Beklagte, die gesetzlichen Regelungen seien so zu verstehen, dass „normale Betriebsbedingungen“ grundsätzlich jene im Typ-1 Test des NEFZ seien und dass der Motorschutz zur Rechtfertigung einer Abschalteinrichtung auch die aufgrund von Versottung und Verkokung resultierenden Risiken für den Motor und seine Bauteile umfasse. Dies sei – jedenfalls im Zeitpunkt des Inverkehrbringens des Fahrzeugs – auch Auffassung des KBA gewesen.
23
Die Beklagte meint ihr Verhalten sei bereits nicht schuldhaft, weil sie schon im Erwerbszeitpunkt durch die diversen Pressemitteilungen alles unternommen habe, um Nachteile vom Kläger bzw. etwaigen Käufern abzuwenden. Durch ihre Verhaltensänderung sei auch nicht von einer Erwerbskausalität auszugehen.
24
Schließlich bestehe auch kein Differenzschaden, weil der allenfalls in Höhe von 5% anzusetzende Minderwert durch Aufspielung des Software-Updates, die Nutzungsentschädigung und den Restwert kompensiert werde.
25
Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachvortrags der Parteien wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen, das Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 14.07.2025 und den sonstigen Akteninhalt Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

26
Die zulässige Klage hat in der Sache keinen Erfolg.
A.
27
Es kann offen bleiben, ob dem Kläger dem Grunde und der Höhe nach Ansprüche aus §§ 826, 31 BGB oder nach § 823 Abs. 2 BGB i.V.m. §§ 6 Abs. 1, 27 Abs. 1 EG-FGV zustünden, da sämtliche Ansprüche jedenfalls verjährt sind, die Beklagte im Verfahren die Einrede der Verjährung erhoben hat und sie deshalb berechtigt ist, die Leistung zu verweigern (§ 214 BGB).
28
Die vom Kläger geltend gemachten deliktischen Ansprüche verjähren in der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren, § 195 BGB. Diese Frist beginnt gemäß § 199 Abs. 1 BGB, soweit nicht ein anderer Verjährungsbeginn bestimmt ist (was vorliegend nicht der Fall ist), mit dem Schluss des Jahres, in dem der Anspruch entstanden ist und der Gläubiger von den den Anspruch begründenden Umständen und der Person des Schuldners Kenntnis erlangt oder ohne grobe Fahrlässigkeit erlangen müsste. Vorliegend begann die Verjährung mit Ablauf des Jahres 2018 zu laufen.
29
Etwaige Schadensersatzansprüche des Klägers wären mit Abschluss des Kaufvertrages im Jahre 2018 entstanden (BGH, Urteil vom 21.02.2022 – VIa ZR 8/21 –, BGHZ 233, 16-47, juris Rn. 35 m.w.N.).
30
Wie der Bundesgerichtshof bereits wiederholt entschieden hat, genügt es in Fällen der vorliegenden Art für den Beginn der Verjährung gemäß § 199 Abs. 1 BGB, dass der geschädigte Fahrzeugkäufer Kenntnis vom „Diesel-“ bzw. „Abgasskandal“ im Allgemeinen, von der konkreten Betroffenheit seines Fahrzeugs und von der Relevanz dieser Betroffenheit für seine Kaufentscheidung hat, wobei letztere Kenntnis nicht gesondert festgestellt werden muss, sondern naturgemäß beim Geschädigten vorhanden ist (BGH, Urteil vom 10.02.2022, Az.: VII ZR 365/21, Tz. 17 – zit. nach juris). Selbst wenn keine positive Kenntnis vorliegen sollte, wäre im Streitfall jedenfalls grob fahrlässige Unkenntnis anzunehmen.
31
Dass der Kläger bereits im Jahre 2017 – bei Erwerb des Fahrzeugs – allgemeine Kenntnis vom sog. „Diesel-“ bzw. „Abgasskandal“ hatte, kann unterstellt werden. Dies ergibt sich schon aus dem medialen Echo des Diesel-Skandals ab Herbst 2015, das nach der allgemeinen Lebenserfahrung dem Kläger nicht entgangen sein kann (vgl. dazu: OLG Nürnberg, Beschluss vom 11.04.2024, Az.: 17 U 2234/23, Tz. 38 – zit. nach juris). Der Kläger hat diese Kenntnis auch nicht explizit in Abrede gestellt.
32
Der Kläger wusste zudem auch von der Betroffenheit des eigenen Fahrzeugs, in jedem Fall aber hätte er hiervon ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis erlangen müssen. Zu Recht weist die Beklagte insofern auf die in den Anlagen B 6 und B 7 vorgelegten Pressemitteilungen der Beklagten hin, aus denen sich ergibt, dass sich die Beklagte bereits im Jahr 2016 Spekulationen um die Verwendung illegaler Abschalteinrichtungen ausgesetzt sah. Besonders deutlich geht das aus der Pressemitteilung vom 20.05.2016 hervor, in der sich die Beklagte ausführlich mit den erhobenen Vorwürfen einer „irreführenden Berichterstattung“ und den belastenden Verdachtsmomenten auseinandersetzt. In Kombination mit dem persönlichen Schreiben an den Kläger vom 15.05.2018, in dem die Beklagte eine „freiwillige Rückrufaktion“ zur Verringerung der Stickoxidemissionen im realen Fahrbetrieb und zur Verbesserung der Wirksamkeit des Abgasnachbehandlungssystems ankündigte, musste sich dem Kläger regelrecht aufdrängen, dass ihr Fahrzeug möglicherweise von den gegen die Beklagte gerichteten Vorwürfen betroffen ist (BGH, Urteil vom 21.02.2022 – VIa ZR 8/21 –, BGHZ 233, 16-47, juris Rn. 41 m.w.N.). Der Kläger wäre daraufhin zu weiteren Ermittlungen gehalten gewesen, die etwa mittels einer einfachen Internetrecherche möglich gewesen wären. Die von ihm geführte (nicht vorgelegte) Korrespondenz mit der Beklagten selbst erwies sich indes als offenbar wenig sinnhaft und geradezu blauäugig, da vom Abgasskandal betroffene Hersteller bekanntermaßen kaum bereit sind – schon gar nicht ohne, dass ein entsprechender Bescheid des KBA hierzu vorliegt – ein Fehlverhalten einzuräumen. Soweit der Kläger danach die Sache als erledigt betrachtete, ist dies in grobem Maße sorglos. Es wäre zu erwarten gewesen, dass er die Entwicklung jedenfalls seinen eigenen Pkw betreffend weiterverfolgt, so dass spätestens mit der Pressemitteilung des Kraftfahrtbundesamts vom 19.10.2018 dem Kläger unterstellt werden kann, dass er ohne grobe Fahrlässigkeit Kenntnis von der Betroffenheit seines Fahrzeugs gehabt hätte (so ausdrücklich LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 3. April 2025 – 15 S 2677/24 –, juris; OLG Frankfurt, Urteil vom 14. Januar 2025 – 14 U 295/22 –, juris).
33
Mit Ablauf des 31.12.2021 waren die Ansprüche des Klägers daher verjährt. Verjährungshemmende Maßnahmen sind nicht ersichtlich und hat der Kläger auch nicht vorgetragen. Die am 07.01.2025 eingereichte Klage konnte die Verjährung nicht mehr hemmen.
B.
34
Die Kostenentscheidung beruht auf § 91 Abs. 1 ZPO.
C.
35
Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit richtet sich nach § 709 S. 1, 2 ZPO.
D.
36
Die Höhe des Streitwertes ergibt sich aus der Höhe der Klageforderung. Der Hilfsantrag erhöht den Streitwert wegen wirtschaftlicher Identität nicht.