Titel:
Beschleunigtes Verfahren, Fehlender Eröffnungsbeschluss, Verfahrenshindernis, Außerhalb der Hauptverhandlung, Strafrichter, Verfahrensfehler, Verfahrensrüge, Nichteinhaltung der Frist, Stillschweigende Ablehnung, Rechtsfolgenausspruch, Beweiskraft des Protokolls, Kostenentscheidung, Wiedererteilung der Fahrerlaubnis, Staatsanwaltschaft, Verteidiger-Schriftsätze, Berufungshauptverhandlung, Fahren ohne Fahrerlaubnis, Ablehnungsbeschluß, Beschränkte Berufung, Ablehnung des Antrags
Normenketten:
StPO §§ 418, 419
StPO § 274
Leitsätze:
1. Aus dem Umstand, dass das Amtsgericht die Hauptverhandlung nicht innerhalb der Frist des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO durchgeführt hat, kann der Angeklagte keine stillschweigende Ablehnung des beschleunigten Verfahrens herleiten. Alleine in der Terminierung eines Verfahrens auf einen späteren als den nach § 418 Abs. 1 S. 2 StPO vorgesehenen Zeitpunkt kann keine Ablehnung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gesehen werden.
2. Hat das Amtsgericht keinen Eröffnungsbeschluss erlassen, ist eine Formulierung im Protokoll der Hauptverhandlung, der Strafrichter habe festgestellt, dass die Anklage durch Eröffnungsbeschluss unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Verfahren vor dem Amtsgericht – Strafrichter – eröffnet worden sei, nicht geeignet, eine Überleitung ins Regelverfahren nach § 419 Abs. 2 und 3 StPO zu tragen.
3. In der Revision kann die Nichteinhaltung der Frist des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO nur nach Maßgabe von § 337 Abs. 1 und 2 StPO als Verfahrensfehler gerügt werden; die Überschreitung der in § 418 Abs. 1 S. 2 StPO bezeichneten Frist führt nicht zu einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis.
Schlagworte:
Beschleunigtes Verfahren, Eröffnungsbeschluss, Verfahrenshindernis, Hauptverhandlung, Berufung, Revision, Protokollbeweiskraft
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Urteil vom 17.10.2024 – 4 NBs 708 Js 102917/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 19172
Tenor
I. Die Revision der Angeklagten gegen das Urteil des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 17. Oktober 2024 wird als unbegründet verworfen.
II. Die Angeklagte hat die Kosten des Rechtsmittels zu tragen.
Gründe
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Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth hat beim Strafrichter des Amtsgerichts Nürnberg am 27. März 2024 unter Einreichung einer Antragsschrift vom 19. März 2024 einen Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens gestellt. Mit Verfügung vom 29. April 2024 hat das Amtsgericht den Termin zur Durchführung der Hauptverhandlung auf den 18. Juni 2024 bestimmt und am 18. Juni 2024 die Angeklagte wegen vorsätzlichen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu einer Freiheitstrafe von 4 Monaten verurteilt. Die dagegen gerichtete, in der Berufungshauptverhandlung auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Angeklagten und die von vorneherein auf den Rechtsfolgenausspruch beschränkte Berufung der Staatsanwaltschaft hat das Landgericht Nürnberg-Fürth mit Urteil vom 17. Oktober 2024 als unbegründet verworfen mit der Maßgabe der Anordnung einer isolierten Sperrfrist für die Wiedererteilung der Fahrerlaubnis von einem Jahr. Mit ihrer Revision macht die Angeklagte gegen das dem Verteidiger am 26. November 2024 zugestellte Urteil mit Verteidigerschriftsätzen vom 18. Dezember 2024 und vom 27. Dezember 2024 materielle Rügen und am 18. Februar 2025 unter Berufung auf die Niederschrift der erstinstanzlichen Hauptverhandlung vom 18. Juni 2024 das Verfahrenshindernis eines fehlenden Eröffnungsbeschlusses geltend. Die Generalstaatsanwaltschaft München hat am 4. Februar 2025 beantragt, die Revision als unbegründet zu verwerfen.
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Der Ansicht der Revision, es bestehe das von Amts wegen zu beachtende Verfahrenshindernis des fehlenden Eröffnungsbeschlusses, weil der Strafrichter das Verfahren nach dem Eingang der Antragsschrift in das Normalverfahren habe überleiten wollen, ist nicht zu folgen.
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1. Erachtet das Gericht bei Eingang des Antrags die Sache zur Verhandlung im beschleunigten Verfahren als nicht geeignet, hat es nach § 419 Abs. 2 StPO eine Entscheidung im beschleunigten Verfahren mit Beschluss abzulehnen. Dass das Amtsgericht einen förmlichen Ablehnungsbeschluss nach § 419 Abs. 2 StPO erlassen hätte, behauptet auch die Revision nicht.
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2. Aus dem Umstand, dass das Amtsgericht den Termin nicht innerhalb der Frist des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO durchgeführt hat, kann die Angeklagte keine stillschweigende Ablehnung des beschleunigten Verfahrens herleiten. Denn alleine in der Terminierung eines Verfahrens auf einen späteren als den nach § 418 Abs. 1 S. 2 StPO vorgesehenen Zeitpunkt kann keine Ablehnung des Antrags der Staatsanwaltschaft auf Entscheidung im beschleunigten Verfahren gesehen werden (OLG Karlsruhe, Beschluss vom 25. März 1999 – 3 Ss 244/98 –, juris; Graf in KK-StPO, 9. Aufl., § 419 Rn. 11). Andernfalls würde die zwingende Vorschrift des § 419 Abs. 2 und Abs. 3 1. HS StPO umgangen. Bei der zeitlichen Vorgabe des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO handelt es vielmehr um eine Sollvorschrift, deren Nichtbeachtung durch den Tatrichter die Annahme einer konkludenten Ablehnung des beschleunigten Verfahrens nicht trägt (zur Vertretbarkeit von geringfügigen Überschreitungen der Frist vgl. Putzke/Scheinfeld in MüKoStPO, 2. Aufl. 2024, StPO § 418 Rn. 9; Weiler in Dölling/Duttge/Rössner, Gesamtes Strafrecht, 5. Aufl., § 418 StPO Rn. 2).
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3. Die von der Revision behauptete konkludente Ablehnung des Antrags lässt sich auch nicht auf die Niederschrift der Hauptverhandlung vom 18. Juni 2024 stützen. Die Formulierung im Protokoll, der Strafrichter habe festgestellt, dass die Anklage der Angeklagten am 4. April 2024 zugestellt, durch Eröffnungsbeschluss vom 29. April 2024 unverändert zur Hauptverhandlung zugelassen und das Verfahren vor dem Amtsgericht – Strafrichter – eröffnet worden sei, ist nicht geeignet, eine Überleitung ins Regelverfahren nach § 419 Abs. 2 und 3 StPO zu tragen. Entgegen der niedergeschriebenen Feststellung des Strafrichters hat das Amtsgericht – was der Senat von Amts wegen feststellt – weder am 29. April 2024 noch in der Folgezeit einen Eröffnungsbeschluss erlassen. Es hat auf den Antrag auf Durchführung des beschleunigten Verfahrens hin am 29. April 2024 lediglich eine Terminsbestimmung getroffen. Die protokollierte Feststellung des Strafrichters zu einem angeblich am 29. April 2024 erlassenen Eröffnungsbeschluss kann einen am 29. April 2024 nach Aktenlage nicht ergangenen Eröffnungsbeschluss nicht generieren oder ersetzen. Dass der Strafrichter in der Hauptverhandlung einen Eröffnungsbeschluss gefasst hätte, lässt sich der Protokollierung nicht entnehmen. Die positive Beweiskraft des Protokolls nach § 274 StPO könnte sich nur auf die Beobachtung der für die Hauptverhandlung vorgeschriebenen Förmlichkeiten erstrecken (vgl. Stuckenberg in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 274 StPO Rn. 22), nicht jedoch auf den Erlass und den Inhalt eines außerhalb der Hauptverhandlung gefassten Eröffnungsbeschlusses. Wie es zu der Protokollierung der Feststellung gekommen ist und ob die Niederschrift mit Blick auf die Vermengung der Rechtsbegriffe der Antragsschrift und der Anklage einen die Beweiskraft ausschließenden inneren Widerspruch aufweist, spielt somit keine Rolle.
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4. Welche Folgen die Nichtbeachtung der Sollvorschrift des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO nach der Durchführung des Berufungsverfahrens hat, ist in der Literatur und der Rechtsprechung noch nicht abschließend geklärt (vgl. etwa BayObLG, Urteil vom 23. April 2002 – 4St RR 45/2002 –, juris Rn. 4 ff.; Putzke/Scheinfeld a.a.O. § 419 Rn. 23; Temming in BeckOK StPO, 54. Ed. 1.1.2025, StPO § 418 Rn. 5 m.w.N.; Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 67. Aufl. § 419 Rn. 13). Die Frage bedarf hier jedoch keiner endgültigen Entscheidung. Denn in der Revision kann die Nichteinhaltung der Frist des § 418 Abs. 1 S. 2 StPO nach der überwiegenden Meinung, der sich der Senat anschließt, nur nach Maßgabe von § 337 Abs. 1 und 2 StPO als Verfahrensfehler gerügt werden; die Überschreitung der in § 418 Abs. 1 S. 2 StPO bezeichneten Frist führt nicht zu einem von Amts wegen zu beachtenden Verfahrenshindernis (so auch BayObLG, Urteil vom 23. April 2002 – 4St RR 45/2002 –, juris Rn. 6 m.w.N.; OLG Stuttgart, Beschluss vom 10. Juli 2002 – 4 Ss 172/2002 –, juris; im Erg. auch OLG Düsseldorf, Beschluss vom 3. Dezember 2002 – 2a Ss 299/02 – 93/02 II –, juris; Hanseatisches Oberlandesgericht Hamburg, Beschluss vom 23. Februar 2000 – IIb – 12/98 – 2 Ss 161/98 –, juris Rn. 13; Meyer-Goßner/Schmitt a.a.O. § 419 Rn. 13; Graf a.a.O. § 419 Rn. 18a; Putzke/Scheinfeld a.a.O. § 418 Rn. 31; Temming a.a.O. § 418 Rn. 1.1; a.A. Gaede in: Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 418 StPO Rn. 18 und § 417 Rn. 45).
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5. Eine den Anforderungen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO genügende Verfahrensrüge hat die Angeklagte innerhalb der Frist des § 345 Abs. 1 S. 1 StPO nicht erhoben.
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Die Überprüfung des Urteils auf die Sachrüge hin hat keinen die Angeklagte belastenden Rechtsfehler ergeben (§ 349 Abs. 2 StPO). Insoweit verweist der Senat auf die Ausführungen der Generalstaatsanwaltschaft in ihrer Stellungnahme vom 4. Februar 2025.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 473 Abs. 1 Satz 1 StPO.