Titel:
Anforderung an Verwerfung wegen Nichterscheinen
Normenkette:
StPO § 230 Abs. 1, § 329 Abs. 1 S.1, S. 2 Nr. 3, § 344 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Erscheinen des Angeklagten im Sinne des § 329 Absatz 1 Satz 1 StPO meint die körperliche Anwesenheit im Sitzungssaal sowie ein Sicherkennengeben gegenüber dem Gericht. Ein Sitzen im Zuschauerbereich macht den Angeklagten nicht abwesend. (Rn. 7 – 8)
2. Erscheint der Angeklagte zum Termin im Sitzungssaal und gibt sich dem Gericht gegenüber hinreichend als Angeklagter zu erkennen, kann die für die Durchführung der Verhandlung erforderliche Präsenz des Angeklagten im Sitzungssaal festgestellt werden. In diesem Fall liegt kein Ausbleiben des Angeklagten im Sinne von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vor. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte jede Mitwirkung an der Verhandlung verweigert, indem er prozessleitenden Anordnungen, etwa der Anordnung der Einnahme des Platzes auf der Anklagebank, keine Folge leistet. (Rn. 11)
Sinn und Zweck des § 329 StPO ist es, eine Verzögerung oder Vereitelung der Sachentscheidung über eine Berufung durch den Angeklagten zu verhindern. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nichterscheinen, Verwerfung der Berufung, körperliche Anwesenheit im Gerichtssaal, Sicherkennengeben, Abwesenheitsbegriff, Verweigerung der Mitwirkung, querulatorisches Stören, Verhandlungsunfähigkeit
Vorinstanz:
LG Ansbach, Urteil vom 28.01.2025 – 2 NBs 1001 Js 330/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 19170
Tenor
I. Auf die Revision des Angeklagten wird das Urteil des Landgerichts Ansbach vom 28. Januar 2025 mit den zugehörigen Feststellungen aufgehoben.
II. Die Sache wird zu neuer Verhandlung und Entscheidung, auch über die Kosten der Revision, an eine andere Strafkammer des Landgerichts Ansbach zurückverwiesen.
Gründe
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Das Amtsgericht Ansbach hat den Angeklagten am 12. April 2024 wegen mehrerer Fälle der Nachstellung, der Beleidigung und wegen Widerstands gegen Vollstreckungsbeamte zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von einem Jahr und sechs Monaten verurteilt. Gegen die amtsgerichtliche Entscheidung haben der Angeklagte und die Staatsanwaltschaft Berufung eingelegt. Mit Urteil vom 28. Januar 2025 hat das Landgericht Ansbach die Berufung des Angeklagten gemäß § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO verworfen. Zur Begründung hat die Strafkammer ausgeführt, dass sich der Angeklagte in der Hauptverhandlung zwar im Sitzungssaal befunden habe, sich jedoch hartnäckig und konstant geweigert habe, als Angeklagter an der Verhandlung teilzunehmen. Er habe weder auf dem für den Angeklagten vorgesehenen Stuhl Platz genommen noch sich auf mehrmalige Nachfrage (bereit) erklärt, der Verhandlung in der Rolle als Angeklagter beizuwohnen, sondern permanent die Verhandlung durch stereotype Monologe gestört. Rechtlich sei bei einem Angeklagten, der sich in der Berufungshauptverhandlung in querulatorischer Weise störend verhalte, von einem Nichterscheinen auszugehen.
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Hiergegen wendet sich die Revision des Angeklagten. Sie beanstandet die Verwerfung der Berufung und belegt mit Auszügen aus dem Hauptverhandlungsprotokoll, dass der Angeklagte in der Hauptverhandlung zu seiner Bereitschaft, an der Hauptverhandlung teilzunehmen, wechselnde Angaben gemacht, die Hauptverhandlung gestört, die ordnungsgemäße Ladung in Frage gestellt, „wirr“ diverse Vorschriften zitiert habe und im Sitzungssaal herum gelaufen sei. Auch habe er dem Gericht Unterlagen überreicht, die dieses als Anlagen 1 und 2 zu Protokoll genommen habe. Die Strafkammer habe dem Angeklagten laut Niederschrift der Hauptverhandlung („der Angeklagte wurde darauf hingewiesen…“) Hinweise erteilt. Die Revision verweist zudem auf eine nach Aktenlage bekannte psychische Störung des Angeklagten und stellt die Verhandlungsfähigkeit in Frage. Die Generalstaatsanwaltschaft hat die Verwerfung der Revision beantragt.
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Das Rechtsmittel hat mit der zulässig erhobenen Verfahrensrüge Erfolg.
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1. Die Rüge der Verletzung von § 329 Abs. 1 StPO, mit der beanstandet wird, dass das Verwerfungsurteil nicht hätte ergehen dürfen, entspricht den Anforderungen von § 344 Abs. 2 S. 2 StPO. Nach der in der Revisionsbegründung wiedergegebenen Niederschrift der Hauptverhandlung befand sich der Angeklagte im Sitzungssaal und hat sich an der Verhandlung beteiligt, indem er als Angeklagter Unterlagen zum Verfahren eingereicht und mit dem Gericht kommuniziert hat. Der Vortrag der Rechtsbeschwerde wird durch die Urteilsgründe ergänzt, die der Senat im Rahmen der gleichzeitig erhobenen Sachrüge zur Kenntnis nehmen darf. Den Gründen des tatrichterlichen Urteils kann entnommen werden, dass die Berufung verworfen worden ist, nachdem der Angeklagte die Verhandlung gestört und sich geweigert hat, auf dem für ihn vorgesehenen Stuhl Platz zu nehmen. Damit hat die Revision ausreichend geltend gemacht, dass die gesetzliche Voraussetzung für eine Verwerfung der Berufung wegen Nichterscheinens des Angeklagten nicht vorgelegen und das Tatgericht den Rechtsbegriff des Ausbleibens verkannt habe (zur Geltendmachung von Wertungsfehlern in der Revision Quentin in MüKoStPO, 2. Aufl. 2024, § 329 Rn. Rn. 108; Schmitt in Schmitt/Köhler, StPO, 68. Aufl, § 329 Rn. 48 m.w.N.; BGH, Beschluss vom 11. April 1979 – 2 StR 306/78 –, BGHSt 28, 384 ff, juris Rn. 11; Brandenburgisches Oberlandesgericht, Beschluss vom 11. Juli 2019 – (2) 53 Ss 44/19 (22/19) –, juris).
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2. Die Verfahrensrüge ist auch begründet. Die Annahme der Berufungskammer, rechtlich sei bei einem Angeklagten, der sich in der Berufungshauptverhandlung in querulatorischer Weise störend verhalte und seine Mitwirkung verweigere, von einem Nichterscheinen auszugehen, erweist sich als rechtsfehlerhaft, so dass die Verwerfung der Berufung zu Unrecht erfolgt ist.
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a. Nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO ist eine Berufung des Angeklagten ohne Verhandlung zur Sache zu verwerfen, wenn bei Beginn eines Hauptverhandlungstermins weder der Angeklagte noch ein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht erschienen und das Ausbleiben nicht genügend entschuldigt ist. Nach Absatz 1 Satz 2 Nr. 3 der Vorschrift ist ebenso zu verfahren, wenn die Fortführung der Hauptverhandlung in dem Termin dadurch verhindert wird, dass sich der Angeklagte vorsätzlich und schuldhaft in einen seine Verhandlungsfähigkeit ausschließenden Zustand versetzt hat und kein Verteidiger mit nachgewiesener Vertretungsvollmacht anwesend ist. Satz 3 sieht vor, dass über eine Verwerfung wegen Verhandlungsunfähigkeit nach diesem Absatz das Gericht nach Anhörung eines Arztes als Sachverständigen entscheidet. Sinn und Zweck des § 329 StPO ist es, eine Verzögerung oder Vereitelung der Sachentscheidung über eine Berufung durch den Angeklagten zu verhindern (BT Drucks. 18/3562 S. 70; Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 2 m.w.N.). Die Bestimmung enthält eine Ausnahme von dem in § 230 Abs. 1 StPO niedergelegten Verfahrensgrundsatz, dass gegen einen ausgebliebenen Angeklagten nicht verhandelt und entschieden werden darf. Sie ist im Interesse des Angeklagten eng auszulegen und anzuwenden (Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 2 m.w.N.).
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b. Um an Stelle des Angeklagten im Verfahren Erklärungen abzugeben oder entgegenzunehmen, bedarf es einer ausdrücklichen Erklärung des Angeklagten, dass der Verteidiger befugt sein soll, über die Verteidigerrechte hinaus rechtswirksam Verfahrensbefugnisse für ihn wahrzunehmen. Demgemäß bestimmt § 329 Abs. 1 S. 1 StPO das Erfordernis des Nachweises einer besonderen Vertretungsvollmacht, soll ein Verteidiger den Angeklagten in der Berufungshauptverhandlung vertreten. Die Pflichtverteidigerbestellung als solche genügt nicht (zum Ganzen Senat, Beschluss vom 9. Dezember 2024 – 203 StRR 591/24-, juris Rn. 16 m.w.N.).
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c. Erscheinen des Angeklagten im Sinne des § 329 Absatz 1 Satz 1 StPO meint nach der Vorstellung des Gesetzgebers die körperliche Anwesenheit im Sitzungssaal sowie ein Sicherkennengeben gegenüber dem Gericht (BT Drucks. 18/3562 S. 69 zur Neufassung von § 329 StPO). In erst- und zweitinstanzlicher Hauptverhandlung ist von einem einheitlichen Abwesenheitsbegriff auszugehen (ausführlich Arnoldi in MüKoStPO, 2. Aufl. 2024, § 230 Rn. 5). Der Senat schließt sich dieser Auffassung zum Erscheinen in der Hauptverhandlung im Einklang mit der Literatur an (vgl. Eschelbach in BeckOK StPO, 55. Ed. 1.4.2025, § 329 Rn. 14; Paul in KK-StPO, 9. Aufl., § 329 Rn. 4; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 21, 24; Brunner in KMR, 110. EL, § 329 Rn. 19; Gmel/Peterson in KK-StPO, 9. Aufl. 2023, § 230 Rn. 3 zu § 230 StPO; Arnoldi a.a.O. § 230 Rn. 10 m.w.N. zu § 230).
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d. Darauf, ob der Angeklagte sich zur Person oder zur Sache äußert, kommt es demnach nicht an (Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 14; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24). Der Angeklagte muss nicht aktiv an der Verhandlung mitwirken und kann zu einer aktiven Teilnahme nicht gezwungen werden (Arnoldi a.a.O. § 230 Rn. 11; zur Mitwirkungsfreiheit Rogall in SK-StPO, 6. Aufl., vor §§ 133 ff. Rn. 73). Auch ein Sitzen im Zuschauerbereich macht den Angeklagten nicht abwesend (BGH, Beschluss vom 16. Februar 2021 – 4 StR 517/20 –, juris zu einer dem Angeklagten vom Vorsitzenden zugewiesenen Sitzposition im Zuhörerraum).
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e. Nur wenn der Angeklagte unerkannt im Sitzungssaal erschienen ist und sich dem Gericht gegenüber nicht als Angeklagter zu erkennen gegeben hat, ist dies als Nichterscheinen zu werten (vgl. OLG Karlsruhe, Beschluss vom 27. April 2022 – 1 Rv 34 Ss 173/22 –, juris; Arnoldi a.a.O. § 230 Rn. 10; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24 m.w.N.; Gössel in Löwe-Rosenberg, StPO, 26. Aufl. 2012, § 329 Rn. 7; Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 14 und 17; Becker in Löwe-Rosenberg, StPO, 27. Auflage, § 230 StPO Rn. 7; Deiters in SK-StPO, 6. Aufl., § 230 Rn. 14).
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f. Erscheint der Angeklagte zum Termin im Sitzungssaal und gibt sich dem Gericht gegenüber hinreichend als Angeklagter zu erkennen, kann die für die Durchführung der Verhandlung erforderliche Präsenz des Angeklagten im Sitzungssaal festgestellt werden. In diesem Fall liegt kein Ausbleiben des Angeklagten im Sinne von § 329 Abs. 1 Satz 1 StPO vor. Dies gilt auch dann, wenn der Angeklagte jede Mitwirkung an der Verhandlung verweigert, indem er prozessleitenden Anordnungen, etwa der Anordnung der Einnahme des Platzes auf der Anklagebank, keine Folge leistet (Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24; Paul a.a.O. § 329 Rn. 4; Frisch in SK-StPO, 6. Aufl., § 329 Rn. 8). Dem obstruktiven Verhalten des Angeklagten ist in diesem Fall nicht durch eine Verwerfung der Berufung, sondern durch geeignete Maßnahmen nach § 177 GVG zu begegnen (vgl. Frisch a.a.O. § 329 Rn. 8; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24). § 329 Abs. 2 S. 2 StPO stellt dementsprechend klar, dass ein Verwerfungsurteil nicht ergehen darf, wenn der Angeklagte wegen ordnungswidrigen Benehmens aus dem Sitzungssaal entfernt worden ist (Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 15b; vgl. auch BayObLG, Beschluss vom 9. August 2021 – 202 ObOWi 860/21 –, juris zur Verwerfung des Einspruchs nach § 74 Abs. 2 OWiG). Die Abwesenheitsverhandlung nach § 231b StPO geht § 329 Abs. 1 StPO vor (Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 15b).
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g. Nach diesen Vorgaben durfte die Strafkammer die Berufung des Angeklagten hier nicht nach § 329 Abs. 1 S. 1 StPO verwerfen. Denn der Angeklagte ist zum Termin im Sitzungssaal erschienen und hat sich als Angeklagter zu erkennen gegeben. Nach der Niederschrift der Hauptverhandlung (zur Beweiskraft vgl. § 274 StPO) hat das Gericht den Beschwerdeführer in der Sitzung als Angeklagten behandelt, ihm als Angeklagten Hinweise erteilt und von ihm Unterlagen als Anlagen zu Protokoll genommen. Das Stören der Verhandlung und die Verweigerung der Mitwirkung stehen dem Ausbleiben nach den oben dargelegten Grundsätzen nicht gleich. Der Verweis des Landgerichts auf eine Mitwirkungspflicht des Angeklagten trägt die Verwerfung nicht. Vielmehr ist anerkannt, dass auch ein Angeklagter, der erscheint, die Verhandlung aber mit der Behauptung, verhandlungsunfähig zu sein, ablehnt, nicht als ausgeblieben im Sinne von § 329 Abs. 1 StPO behandelt werden darf (Gössel a.a.O. § 329 Rn. 6; Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 14 und 15; Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 18; Paul a.a.O. § 329 Rn. 4; Frisch a.a.O. § 329 Rn. 9; Quentin a.a.O. § 329 Rn. 24; Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 14). Das Gericht kann in diesem Fall die Verhandlungsfähigkeit feststellen lassen und den Angeklagten wie einen Angeklagten behandeln, der von seinem Schweigerecht Gebrauch macht (Gössel a.a.O. § 329 Rn. 6). Nach dem Erscheinen hätte sich die Strafkammer daher zunächst über die Verhandlungsfähigkeit vergewissern müssen (Arnoldi a.a.O. § 230 Rn. 11).
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Das landgerichtliche Urteil ist mit den zugehörigen Feststellungen aufzuheben und die Sache zu neuer Verhandlung und Entscheidung an eine andere Kammer des Landgerichts zurückzuverweisen (§§ 353, 354 Abs. 2 StPO). Die Entscheidung ergeht nach § 349 Abs. 4 StPO.
3. Für die neue Hauptverhandlung weist der Senat auf folgendes hin:
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Der neue Tatrichter wird mit Blick auf die Verhaltensauffälligkeiten des Angeklagten zu prüfen haben, ob in der Berufungshauptverhandlung Anhaltspunkte für eine Verhandlungsunfähigkeit bestehen.
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a. Verhandlungsfähigkeit im strafprozessualen Sinne bedeutet nach allgemeiner Auffassung in Rechtsprechung und Schrifttum, dass der Angeklagte in der Lage sein muss, seine Interessen in und außerhalb der Verhandlung vernünftig wahrzunehmen, die Verteidigung in verständiger und verständlicher Weise zu führen sowie Prozesserklärungen abzugeben und entgegenzunehmen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 24. Februar 1995 – 2 BvR 345/95 –, juris Rn. 29 m.w.N.; BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 46/18 –, juris Rn. 9). Die Anforderungen an die Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten sind je nach Verfahrensart und Verfahrenslage unterschiedlich. Neben der Schwierigkeit des Verhandlungsgegenstands und dem jeweiligen Verfahrensstand kommt es darauf an, wie und in welchem Ausmaß der Angeklagte darin beeinträchtigt ist, die ihm in der konkreten Verfahrenssituation zu gewährenden Mitwirkungsmöglichkeiten wahrzunehmen (Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 15; Schneider in KK-StPO a.a.O. § 205 Rn. 9). Bei Angeklagten, deren geistige, psychische oder körperliche Fähigkeit zur Wahrnehmung der Verteidigungsrechte eingeschränkt ist, liegt Verhandlungsunfähigkeit nicht vor, wenn die Auswirkungen dieser Einschränkungen auf die tatsächliche Wahrnehmung der Verfahrensrechte durch Hilfen für den Angeklagten hinreichend ausgeglichen werden können. Die Grenze zur Verhandlungsunfähigkeit ist erst dann überschritten, wenn dem Angeklagten auch bei Inanspruchnahme solcher verfahrensrechtlicher Hilfen eine selbstverantwortliche Entscheidung über grundlegende Fragen seiner Verteidigung und eine sachgerechte Wahrnehmung der von ihm persönlich auszuübenden Verfahrensrechte nicht mehr möglich ist (BGH, Urteil vom 4. Juli 2018 – 5 StR 46/18 –, juris Rn. 9). Ist der Angeklagte nur bedingt verhandlungsfähig, muss das Gericht, wenn es die Hauptverhandlung durchführen will, diese so gestalten, dass der Angeklagte ihr folgen kann (Becker a.a.O. § 230 StPO Rn. 7).
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b. Erscheint der Angeklagte zur Berufungshauptverhandlung in einem Zustand der Verhandlungsunfähigkeit und ist dieser Zustand nicht vom Angeklagten verschuldet, kann nicht nach § 329 Abs. 1 StPO verfahren werden (Gössel a.a.O. § 329 Rn. 7; Paul a.a.O. § 329 Rn. 4). Nur die vorsätzliche und schuldhafte Herbeiführung einer Verhandlungsunfähigkeit kann die Folge des § 329 Abs. 1 StPO nach sich ziehen, weil nur der Fall des Erscheinens des Angeklagten in einem von ihm selbst verschuldeten Zustand der Verhandlungsunfähigkeit, besonders nach Alkohol-, Drogen- oder Medikamentenkonsum, der physischen Abwesenheit zu Beginn der Hauptverhandlung gleichzustellen ist (BGH, Beschluss vom 6. Oktober 1970 – 5 StR 199/70 –, BGHSt 23, 331-336, juris; KG Berlin, Beschluss vom 12. September 2000 – (4) 1 Ss 107/00 (138/00), juris; BT Drucks. 18/3562 S. 69; Gössel a.a.O. § 329 Rn. 7; Paul a.a.O. § 329 Rn. 4; Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 18; Frisch a.a.O. § 329 Rn. 9, 46e und 46f; Brunner a.a.O. § 329 Rn. 19; Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 15; a.A. Deiters a.a.O. § 230 Rn. 15 ff.; zur eigenverantwortlichen Herbeiführung eines psychopathologischen Zustandes BGH, Beschluss vom 22. Mai 1991 – 2 StR 453/90 –, juris und BayObLG, Beschluss vom 24. Februar 1999 – 5St RR 237/98 –, juris Rn. 11).
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c. Voraussetzung der Verwerfung der Berufung wegen verschuldeter Verhandlungsunfähigkeit ist zwingend nach § 329 Absatz 1 Satz 3 StPO, dass das Berufungsgericht einen Arzt als Sachverständigen angehört hat (BT Drucks. 18/3562 S. 69; Schmitt a.a.O. § 329 Rn. 18; Frisch a.a.O. § 329 Rn. 9 und 46h; Brunner a.a.O. § 329 Rn. 19; Paul a.a.O. § 329 Rn. 4; Eschelbach a.a.O. § 329 Rn. 15).
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d. Das Verschulden muss vom Tatrichter im Urteil zweifelsfrei festgestellt werden. Bei insoweit verbleibenden Zweifeln hat der Berufungsrichter von einer sofortigen Verwerfung der Berufung abzusehen (KG Berlin, Beschluss vom 12. September 2000 – (4) 1 Ss 107/00 (138/00) –, juris Rn. 4).
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e. Hat das Tatgericht Zweifel an der Verhandlungsfähigkeit des Angeklagten, darf es nicht weiterverhandeln (vgl. BGH, Beschluss vom 6. Dezember 2023 – 5 StR 453/23 –, juris Rn. 7; BGH, Beschluss vom 17. Juli 1984 – 5 StR 449/84 –, juris; Gmel/Peterson a.a.O. § 230 Rn. 3).