Inhalt

OLG München, Endurteil v. 31.07.2025 – 24 U 1899/25 e
Titel:

Klagerücknahme, Gesamtschuldner, Kostenentscheidung, Feststellungsklage, Teilerledigterklärung, Vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten, Klageabweisung, Vor Rechtshängigkeit, Erledigterklärung, Feststellung der Erledigung, Prozeßhandlungen, Kosten des Rechtsstreits, Umdeutung, Billigkeitserwägungen, Isolierte Anfechtung, Schadensersatz und Schmerzensgeld, Rechtsschutzbedürfnis, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Abänderung, Berufungsinstanz

Schlagworte:
Verkehrsunfall, Schadenersatz, Schmerzensgeld, Klagerücknahme, Erledigterklärung, Kostenentscheidung, Berufungsverfahren
Vorinstanz:
LG Augsburg, Urteil vom 30.05.2025 – 125 O 2606/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 19098

Tenor

1. Auf die Berufung der Beklagten wird das Urteil des Landgerichts Augsburg vom 30.05.2025, Az. 125 O 2606/24, abgeändert wie folgt:
a) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 227,06 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.07.2024 zu zahlen.
b) Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 887,03 EUR zu zahlen.
c) Im übrigen wird die Klage – auch hinsichtlich des Feststellungsantrags – abgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten beider Instanzen zu tragen.
3. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar.
4. Die Revision wird nicht zugelassen.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf bis 5.000,00 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Parteien streiten um Schadenersatzansprüche aus einem Verkehrsunfall.
2
Die Klägerin machte erstinstanzlich mit ihrer Klage Schadenersatz- und Schmerzensgeldansprüche in Höhe von insgesamt 8.813,42 € zzgl. Zinsen geltend sowie vorgerichtliche Rechtsanwaltskosten in Höhe von 887,03 €.
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Nachdem die Beklagte zu 1) innerhalb der mit Schreiben vom 13.06.2024 bis zum 11.07.2024 gesetzten Frist zur Regulierung keine Zahlung erbracht hatte, reichte die Klägerin am 17.07.2024 eine Klage ein, die am 27.07.2024 an den Beklagten zu 2) und am 29.07.2024 an die Beklagte zu 1) zugestellt wurde. Bereits am 25.07.2024 ging eine Zahlung der Beklagten in Höhe von 7.879,36 € bei der Klagepartei ein. Der Klägervertreter erklärte die Klage in dieser Höhe in der mündlichen Verhandlung vom 27.03.2025 für erledigt. Die Beklagten widersprachen der Teil-Erledigterklärung und beantragten Klageabweisung, auch hinsichtlich der Feststellungsklage.
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Das Landgericht Augsburg deutete die einseitige Erledigterklärung in eine privilegierte Klagerücknahme nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO um und sprach die restliche Hauptsache in Höhe eines Teilbetrages von 227,06 € sowie die beantragten vorgerichtlichen Rechtsanwaltskosten unter Klageabweisung im übrigen zu. Außerdem verurteilte das Landgericht Augsburg die Klägerin zur Tragung der Kosten des Rechtsstreits zu 9%, die Beklagten als Gesamtschuldner zu 91%.
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Die Beklagten wenden sich mit ihrer Berufung gegen die Umdeutung der Teil-Erledigterklärung in eine (privilegierte) Klagerücknahme und verfolgen ihr Begehren auf Klageabweisung hinsichtlich der Feststellungsklage weiter.
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Die Beklagten beantragen,
1. Das Endurteil des Landgerichts Augsburg, Az. 125 O 2606/24 wird abgeändert.
2. Es wird festgestellt, dass sich der Rechtsstreit im klägerseits behaupteten Umfang von 7.879,36 EUR nicht erledigt hat.
3. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 227,06 nebst Zinsen hieraus in 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 12.07.2024 zu zahlen.
4. Die Beklagten werden als Gesamtschuldner verurteilt, an die Klägerin EUR 887,03 zu zahlen.
5. Im übrigen wird die Klage abgewiesen.
6. Die Kosten des Rechtsstreits trägt die Klägerin.
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Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
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Sie ist der Ansicht, die Rechtsausführungen des erstinstanzlichen Urteils seien zutreffend. Die Teilerledigterklärung sei in eine Klagerücknahme nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO umzudeuten gewesen, oder andernfalls in einen Antrag auf Feststellung der teilweisen Erledigung vor Zustellung der Klage.
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Die Klägerin hat ferner mit Schriftsatz vom 08.07.2025 erklärt, die Klage qualifiziert zurückzunehmen und beantragt, den Beklagten die Kosten als Gesamtschuldner aufzuerlegen. Die Beklagten haben mit Schriftsatz vom 09.07.2025 die Zustimmung zur Klagerücknahme verweigert.
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Mit Zustimmung beider Parteien wurde mit Beschluss vom 10.07.2025 Entscheidung im schriftlichen Verfahren angeordnet und der Verkündungstermin auf den 31.07.2025 bestimmt.
II.
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Die Berufung ist zulässig und begründet.
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1. Die Berufung ist zulässig, insbesondere ist die gem. § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO erforderliche Mindestbeschwer erreicht. Maßgeblich ist der Zeitpunkt der Berufungseinlegung (Zöller, ZPO, 35. Aufl., § 511 Rn. 14), so dass es hinsichtlich der Beschwer auf die Frage der Wirksamkeit der erklärten Teilklagerücknahme nicht ankommt.
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Die Beklagten wenden sich mit ihrer Berufung dagegen, dass die Feststellungsklage (Klage in Höhe von 7.879,36 € erledigt) nicht abgewiesen wurde. Die Beschwer bestimmt sich insoweit nach dem Interesse des Klägers an der Abänderung der angefochtenen Entscheidung. Dieses besteht im Interesse der Beklagten, nicht mit den in der Vorinstanz angefallenen Kosten des Rechtsstreits belastet zu werden (vgl. BGH, Beschluss vom 13.07.1988 – VIIII ZR 289/87 Rn. 3 f.; BGH, 18.06.2015 – V ZR 224/14 Rn. 3; BGH, Urteil vom 10.11.2017 – V ZR 217/16, Rn. 7 ff.; BGH, 08.02.2022 Rn. 9 ff.), entspricht also (wegen der Regelung des § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO) allen in der Vorinstanz bis zur Erledigterklärung angefallenen Kosten. Das Kosteninteresse der Beklagten und damit die Beschwer übersteigt somit den in § 511 Abs. 2 Nr. 1 ZPO bezeichneten Wert. Auch wenn es den Beklagten mit ihrem Rechtsmittel im Ergebnis um die Abänderung der ihnen nachteiligen Kostenentscheidung ankommt, steht dies der Zulässigkeit der Klage nicht entgegen. Denn die Möglichkeit einer isolierten Anfechtung der Kostenentscheidung gem. § 99 Abs. 2 ZPO besteht in einem Fall wie dem vorliegenden gerade nicht. Die Beklagten haben somit auch ein Rechtsschutzbedürfnis für ihre Berufung (vgl. BGH, IV ZR 26/70 Rn. 10 f.)
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2. Die Berufung der Beklagten ist begründet.
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a) Die (Teil-)Erledigterklärung ist – bei Widerspruch des Gegners – auszulegen als Antrag auf Feststellung, dass sich die ursprünglich zulässige und begründete Klage nach Rechtshängigkeit erledigt hat. Eine Auslegung als Klagerücknahme (die einer Umdeutung vorgehen würde) kommt demgegenüber nicht in Betracht. Zwar schadet eine Falschbezeichnung nicht, wenn der anderslautende wahre Wille ermittelbar ist. Andererseits kann aber für die Auslegung einer Prozesshandlung nicht darauf abgestellt werden, welche prozessuale Vorgehensweise im konkreten Fall Aussicht auf Erfolg haben kann (Nissen/Elzer, MDR 2024, 1277, 1279). Vorliegend gibt es keinerlei Anhaltspunkt dafür, dass die Klägerin ursprünglich eigentlich die Klage zurücknehmen wollte und dies nur unzureichend zum Ausdruck gebracht hat. Vielmehr wollte sie das tatsächlich Erklärte, weil sie nicht wusste, dass die Zustellung der Klage erst nach Zahlungseingang erfolgt war. Sie wollte also nichts anderes erklären, als sie tatsächlich erklärt hat, sondern irrte lediglich hinsichtlich ihrer Entscheidungsgrundlage bzw. hat die Möglichkeit, dass die Zahlung bereits vor Klagezustellung erfolgt sein könnte, ersichtlich nicht in Betracht gezogen. Angesichts dessen kommt entgegen der Ansicht des Klägervertreters auch eine Auslegung in eine Klage auf Feststellung, dass sich die Klage vor Rechtshängigkeit erledigt habe, nicht in Betracht.
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b) Entgegen der Ansicht des Landgerichts kommt auch eine Umdeutung gem. § 140 BGB analog in eine Klagerücknahme nach § 269 Abs. 3 S. 3 ZPO nicht in Betracht. Die Umdeutung setzt stets eine unwirksame Parteihandlung voraus (BGH, 13.12.2006 – XII ZB 71/04). Dies ist vorliegend aber nicht der Fall. Die einseitige Erledigterklärung im Sinne eines Antrags auf Feststellung der Erledigung einer ursprünglich zulässigen und begründeten Klage war unzweifelhaft wirksam. Mit ihr konnte lediglich das erstrebte Ziel (Befreiung von der Kostenlast) nicht erreicht werden, weil die Klage insoweit bereits vor Rechtshängigkeit unbegründet geworden war. Zwar trifft es zu, dass eine Erwirkungshandlung (also eine Prozesshandlung, die keine unmittelbar prozessgestaltende Wirkung hat) anders als eine Bewirkungshandlung (wie die Klagerücknahme), die unmittelbar rechtsgestaltende Wirkung hat, grundsätzlich widerruflich ist. Allerdings ist eine Klagerücknahme, sobald (erstmals) mündlich verhandelt wurde, auch nach Einlegung eines Rechtsmittels nur noch mit Zustimmung der Beklagten möglich (BGH, Beschluss vom 20.08.1998 – I ZB 38/98 Rn. 6). Dies ist Ausdruck des Rechtsgedankens, dass die Beklagte ab diesem Zeitpunkt einen Anspruch auf eine Entscheidung in der Sache hat. Somit war in der Berufungsinstanz eine Klagerücknahme ohne Zustimmung der Beklagten nicht mehr möglich. Die danach erforderliche Zustimmung haben die Beklagten nicht erteilt.
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Damit ist die erklärte Klagerücknahme wirkungslos und es verbleibt es bei der Feststellungsklage. Diese ist zulässig, war aber von Anfang an unbegründet, weil das erledigende Ereignis (Zahlung) bereits vor Rechtshängigkeit eingetreten ist. Die ZPO geht von einem rein formalen Erfolgsprinzip aus. Für Billigkeitserwägungen oder die Frage, wer den Prozess schuldhaft heraufbeschworen hat, ist kein Raum.
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Die Klage war daher insoweit abzuweisen.
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3. Die Kostenentscheidung beruht hinsichtlich der Berufungsinstanz auf § 91 ZPO, hinsichtlich der ersten Instanz auf § 92 Abs. 2 Nr. 1 ZPO analog. Da die Teilerledigterklärung erst in der mündlichen Verhandlung erfolgte, also zu einem Zeitpunkt als sämtliche Gebühren bereits angefallen waren, auch die Terminsgebühr nach 3104 VV (siehe Teil 3 Vorbemerkung (3)), war die durch die einseitige Teilerledigterklärung eingetretene Streitwertermäßigung bei Bestimmung des Maßes des Obsiegens und Unterliegens im Rahmen der Kostenentscheidung nicht zu berücksichtigen. Somit ist die Beklagtenseite nur mit 227,06 € in der Hauptsache unterlegen, also im Verhältnis zum Gesamtstreitwert von 8.813,42 € geringfügig und hierdurch wurden auch keine höheren Kosten verursacht. § 92 Abs. 1 Nr. 2 ZPO gilt nicht nur im Falle einer geringfügigen Klageabweisung, sondern entsprechend auch für den vorliegenden Fall einer geringfügigen Verurteilung (Thomas/Putzo, 46. Aufl. 2025, § 92 Rn. 8).
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Die Entscheidung hinsichtlich des Streitwerts beruht auf §§ 47, 48 GKG.
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Die Voraussetzungen für eine Zulassung der Revision gem. § 543 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor. Es ist bereits höchstrichterlich geklärt, dass eine Umdeutung nur im Falle einer unwirksamen Prozesshandlung in Betracht kommt. gez.