Inhalt

VG München, Urteil v. 13.01.2025 – M 26a K 24.4703
Titel:

Anforderung eines Nachweises über vollständigen Schutz gegen Masern, Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses über bestehende medizinische Kontraindikation gegen eine Impfung, Berechtigung der zuständigen Behörde zur Anfertigung einer Kopie

Normenketten:
IfSG § 20 Abs. 9 S. 1 Nr. 2 Alt. 2
IfSG § 20 Abs. 12 S. 1 Nr. 1
IfSG § 20 Abs. 13
DSGVO Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c), Abs. 3 S. 1 Buchst. b)
DSGVO Art. 9 Abs. 2 Buchst. i)
Schlagworte:
Anforderung eines Nachweises über vollständigen Schutz gegen Masern, Vorlage eines ärztlichen Zeugnisses über bestehende medizinische Kontraindikation gegen eine Impfung, Berechtigung der zuständigen Behörde zur Anfertigung einer Kopie
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1893

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Kläger haben die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Kläger dürfen die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.   

Tatbestand

1
Streitgegenständlich ist die gegenüber den Klägern ergangene Anordnung des Beklagten, einen ausreichenden Impfschutz gegen Masern bzw. eine medizinische Kontraindikation gegen eine entsprechende Impfung für ihren am … Januar 2017 geborenen Sohn nachzuweisen.
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Im Rahmen der Schuleingangsuntersuchung stellte das Staatliche Gesundheitsamt R. … fest, dass für den Sohn der Kläger keine Impfungen gegen Masern bzw. kein Nachweis einer medizinischen Kontraindikation gegen eine entsprechende Impfung vorgelegt wurde.
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Mit Schreiben vom … März 2023 teilte das Gesundheitsamt R. … den Klägern als Eltern/Sorgeberechtigte mit, dass am 1. März 2020 das Gesetz für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) in Kraft getreten ist. Das Gesetz verpflichte gemäß § 20 Abs. 8 ff. Infektionsschutzgesetz (IfSG) die Eltern, einen der (im Folgenden näher aufgeführten) Nachweise über einen Masernschutz vorzulegen. Zugleich wurden die Kläger gebeten, der Nachweispflicht gemäß § 20 Abs. 12 IfSG nachzukommen und dem Staatlichen Gesundheitsamt R. … bis zum … März 2023 einen entsprechenden Nachweis vorzulegen.
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Mit E-Mail vom … März 2023 teilte die Klägerin zu 1) dem Staatlichen Gesundheitsamt R. … mit, dass im Zuge der Einschulung der Grundschule B. … am .. März 2023 ein Nachweis gemäß § 20 Abs. 8 ff. IfSG für ihren Sohn vorgelegt worden sei, der von der Schulleitung überprüft worden sei.
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Mit E-Mail vom … März 2023 teilte das Staatliche Gesundheitsamt R. … der Klägerin zu 1) mit, dass die Vorlagepflicht gegenüber dem Gesundheitsamt bestehe und bat nochmals um Übersendung des Nachweises bzw. um persönliche Vorlage während der Öffnungszeiten des Gesundheitsamtes.
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Mit an die Kläger gerichtetem Schreiben vom … Juni 2023, das mit „Anhörung nach Art. 28 BayVwVfG“ überschrieben war, wurde den Klägern Gelegenheit gegeben, sich bis zum … Juni 2023 zur beabsichtigten förmlichen Anforderung des Nachweises nach § 20 Abs. 9 IfSG zu äußern.
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Mit Schreiben vom … Juni 2023 teilten die Kläger mit, dass der geforderte Nachweis bereits persönlich am … März 2023 während der Öffnungszeiten des Gesundheitsamtes vorgelegt worden sei. Hierauf erwiderte das Gesundheitsamt mit Schreiben vom … Juni 2023, dass ein entsprechender Nachweis nicht vorliege und bat erneut um Übersendung.
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Mit Bescheid vom … März 2024 forderte der Beklagte (Staatliches Gesundheitsamt R. ….) die Kläger auf, dem Landratsamt R. …, Staatliches Gesundheitsamt, einen der näher angeführten Nachweise für ihren am … Januar 2017 geborenen Sohn innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe dieses Bescheides vorzulegen. Nachdem der Beklagte den Bescheid vom … März 2024 mit Nr. 1 des Bescheides vom .. Juli 2024 zurückgenommen hatte, da der Bayerische Verwaltungsgerichtshof mit Beschluss vom 22. Januar 2024 – 20 CS 23.2238 – eine Frist von einem Monat zur Vorlage eines Nachweises als für zu kurz erachtet hatte, wurde das gegen den Bescheid vom … März 2024 eingeleitete Klageverfahren nach übereinstimmenden Erledigungserklärungen eingestellt (M 26a K 24.1914).
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In Nr. 2 des Bescheides vom ... Juli 2024 forderte der Beklagte die Kläger auf, dem Landratsamt R. …, Staatliches Gesundheitsamt, einen der nachfolgend angeführten Nachweise für ihren am … Januar 2017 geborenen Sohn innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe dieses Bescheides vorzulegen:
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- Impfausweis bzw. Impfbescheinigung nach § 22 IfSG (§ 26 Abs. 2 S. 4 SGB V) mit Nachweis von insgesamt zwei Masern-Schutzimpfungen
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- ärztliches Zeugnis über eine (labordiagnostizierte) Immunität gegen Masern
12
- ärztliches Zeugnis darüber, dass das Kind aus medizinischen Gründen nicht oder erst später geimpft werden kann (Kontraindikation mit Angabe der Dauer)
13
- Bestätigung von einer zuvor besuchten, nach § 20 Abs. 8 IfSG betroffenen Einrichtung (z.B. Kindertagesstätte, Schule), dass der Nachweis dort bereits vorgelegt wurde.
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Nach Nr. 3 des Bescheides ergeht dieser kostenfrei.
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Mit Schreiben ihres Bevollmächtigten vom 5. August 2024, bei Gericht eingegangen am gleichen Tag, ließen die Kläger Klage zum Bayerischen Verwaltungsgericht München erheben und beantragen,
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Nr. 2 des Bescheides vom ... Juli 2024 aufzuheben.
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Die Kläger hätten dem Beklagten bereits einen Nachweis der Impfunfähigkeit vorgelegt, so wie es der Wortlaut des § 20 Abs. 9 IfSG regele. Der Umstand, dass sich die Kläger weigerten, diesen Nachweis in Kopie beim Beklagten zu belassen, ändere nichts an der Tatsache, dass der Nachweis tatsächlich vorgelegt worden sei. Die Kläger seien gesetzlich lediglich zur Vorlage verpflichtet. Eine Verpflichtung, dass eine Kopie bei der Behörde belassen werden müsse, oder gar das Original, sei gesetzlich nicht geregelt. Daher könne dies auch nicht als Grund für rechtlich nachteilige Konsequenzen für die Kläger konstruiert werden. Zudem sei bereits fraglich, ob der hier angegriffene Bescheid einen Verwaltungsakt darstelle. Dem Beklagten fehle es außerdem an einer Ermächtigungsgrundlage zum Erlass eines entsprechenden Bescheides. Da die Kläger der Aufforderung zur Nachweisvorlage bereits nachgekommen seien, sei der Beklagte nicht mehr befugt, ohne sachlichen Grund erneut einen inhaltsgleichen Bescheid zu erlassen. Behördliche Maßnahmen, die nicht erforderlich seien, weil ihr Zweck bereits erreicht sei, dürften nicht mehr weiter vorangetrieben werden. Die Ablehnung bzw. Zurückweisung des vorgelegten Nachweises könne nicht dazu führen, dass unter Außerachtlassung des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit eine Verwerfungskompetenz konstruiert werde, die im Gesetz ebenso wenig vorgesehen sei wie die erneute Anforderung eines Nachweises. Explizit geregelt habe der Gesetzgeber lediglich den Fall der Vorlage eines Nachweises, an dessen Echtheit oder inhaltlicher Richtigkeit Zweifel bestehen, indem daran die in § 20 Abs. 12 Sätze 2 bis 4 IfSG im Einzelnen bestimmten Rechtsfolgen geknüpft werden würden. Diese Rechtsfolgen seien abschließend und seien vom Beklagten nicht ergriffen worden. Solange von diesem die Impffähigkeit des Kindes der Kläger nicht positiv festgestellt worden sei und entsprechende Kontraindikationen abgeklärt und ausgeschlossen seien, gelte dieses als impfunfähig. Der Beklagte verkenne auch, dass die Entscheidung der Eltern, ihre Kinder impfen zu lassen, weiterhin freiwillig sei. Auch fehle es an einer entsprechenden Einwilligung des zu impfenden Kindes. Die Impfung schütze indes nicht vor einer Infektion und Erkrankung. Hinzu komme, dass Masern in Deutschland als eliminiert gelten würden; das konkrete Nutzen-Risiko-Verhältnis sei daher als negativ zu bewerten und eine Impfung nicht mehr verhältnismäßig.
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Der Beklagte beantragt,
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die Klage abzuweisen.
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Es handle sich bei der förmlichen Anforderung um einen Verwaltungsakt. Die Aufforderung zur Vorlage eines entsprechenden Nachweises stelle eine Regelung dar. Sofern als Nachweis ein ärztliches Attest eingereicht werde, werde dieses entsprechend von einem Amtsarzt bzw. einer Amtsärztin sowohl formal als auch auf Plausibilität hin überprüft. Um die erforderliche Sorgfalt bei der Beurteilung gewährleisten zu können, könne dies in der Regel nicht spontan während des regulären Dienstbetriebs erfolgen. Hierzu sei es notwendig, eine Kopie oder Abschrift anzufertigen, die an den zuständigen Arzt bzw. die zuständige Ärztin weitergeleitet werde, um diese Prüfung mit dem erforderlichen zeitlichen Aufwand vornehmen zu können. Da das ärztliche Attest aufgrund der Verweigerung der Kläger bezüglich der Anfertigung einer Kopie nicht überprüft habe werden können, könne insofern keine Aussage getroffen werden, ob dieses anerkannt worden wäre. Es sei medizinisch und wissenschaftlich unbestritten, dass Impfungen gegen Masern vor einer hochansteckenden Viruserkrankung, die mit zum Teil schweren Komplikationen einhergehen kann, schütze. Die Wirksamkeit der zweifachen Impfung gegen Masern liege in Deutschland bei 98% bis 99%.
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Ein Antrag auf Aussetzung des Verfahrens bis zu einer Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts in der Sache 1 BvR 2700/00 wurde mit Beschluss vom 2. Januar 2025 abgelehnt.
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Am 13. Januar 2025 wurde die Verwaltungsstreitsache mündlich verhandelt.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die Gerichtsakte und die vorgelegte Verwaltungsakte Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist unbegründet und war daher abzuweisen.
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1. Die fristgerecht erhobene Anfechtungsklage ist zulässig, insbesondere statthaft nach § 42 Abs. 1 Altern. 1 Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO), da es sich bei der Anordnung in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheides vom .. Juli 2024 – jedenfalls seit der Neufassung des § 20 Abs. 12 Satz 7 IfSG vom 16. September 2022, gültig ab dem 17. September 2022 (BGBl. I S. 1454), – um einen Verwaltungsakt handelt, der durch Verwaltungsvollstreckungsrecht durchgesetzt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris, Rn. 9 mit Verweis auf Gerhardt, 6. Aufl. 2022, IfSG § 20 Rn. 124; a.A. BeckOK InfSchR/Aligbe, 22. Ed. 01.10.2024, IfSG § 20 Rn. 259c). Hierfür spricht, dass der Gesetzgeber mit der Gesetzesänderung vom 16. September 2022 ausweislich der Gesetzesbegründung erreichen wollte, dass künftig auch die Nachweisanforderung des Gesundheitsamtes sofort vollziehbar sein soll (BT-Drs. 20/3328, S. 14). Eine solche Regel zur sofortigen Vollziehbarkeit einer Anordnung bzw. zur aufschiebenden Wirkung von Rechtsbehelfen gegen die Anordnung macht aber nur dann Sinn, wenn es sich bei der Nachweisanforderung um einen Verwaltungsakt handelt.
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2. Die zulässige Anfechtungsklage ist jedoch unbegründet, da der Bescheid vom … Juli 2024, soweit er streitgegenständlich ist, rechtmäßig ist und die Kläger nicht in ihren Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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2.1. Rechtsgrundlage für die Anforderung, einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen, ist § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG. Danach haben Personen, die in Gemeinschaftseinrichtungen nach § 33 Nr. 1 bis 3 IfSG betreut werden, dem Gesundheitsamt, in dessen Bezirk sich die jeweilige Einrichtung befindet, auf Anforderung einen Nachweis nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG vorzulegen (§ 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 IfSG). Soweit – wie hier – die verpflichtete Person minderjährig ist, hat derjenige für die Einhaltung der diese Person nach den Absätzen 9 bis 12 treffenden Verpflichtungen zu sorgen, dem die Sorge für diese Person zusteht (§ 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG). Dabei hat der Gesetzgeber mit § 20 Abs. 13 Satz 1 IfSG nicht nur eine Vertretung des Kindes durch den Personensorgeberechtigten, sondern eine Übertragung der Verpflichtung auf den Sorgeberechtigten statuiert (BayVGH, B.v. 6.10.2021 – 25 CE 21.2383 – juris Rn. 8).
28
Das Gericht hat keine Zweifel an der Verfassungsmäßigkeit der vorstehenden Regelungen.
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Das Bundesverfassungsgericht hat im Hinblick auf Kindergartenkinder bereits mit Beschluss vom 21. Juli 2022 – 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20, 1 BvR 471/20, 1 BvR 472/20 – entschieden, dass die angegriffenen und auch im vorliegenden Verfahren einschlägigen Vorschriften des § 20 Abs. 8 Satz 1 bis 3 i.V.m. Abs. 9 Satz 1 und 6 und Abs. 12 Satz 1 und 3 sowie i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG in der Fassung des Gesetzes für den Schutz vor Masern und zur Stärkung der Impfprävention (Masernschutzgesetz) vom 10. Februar 2020 (BGBl. I S. 148) zwar sowohl das die Gesundheitssorge für ihre Kinder umfassende Grundrecht der beschwerdeführenden Eltern aus Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz (GG) als auch und vor allem das durch Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG gewährleistete Grundrecht der beschwerdeführenden Kinder auf körperliche Unversehrtheit berühren, sowohl die Eingriffe in das Elternrecht als auch die in die körperliche Unversehrtheit jedoch verfassungsrechtlich gerechtfertigt und die beschwerdeführenden Kinder nicht in ihrem Anspruch auf Gleichbehandlung (Art. 3 Abs. 1 GG) verletzt sind. Auf die umfangreichen Ausführungen dieses Beschlusses wird insoweit verwiesen.
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Aus dem Umstand, dass Beschwerdeführer der oben zitierten Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (B.v. 21.07.2022 – 1 BvR 470/20 – juris) ausschließlich Eltern von Kindern in Kindertageseinrichtungen im Vorschulalter bzw. Kinder in Kindertageseinrichtungen im Vorschulalter selbst gewesen sind, ergibt sich nichts Anderes. Zutreffend ist, dass der Nachweispflicht bei schulpflichtigen Kindern nicht wie bei Kindern in Kindertageseinrichtungen dadurch begegnet werden kann, dass die Kinder die Gemeinschaftseinrichtung nicht besuchen. Dennoch ergibt sich daraus nicht, dass die Nachweispflicht verfassungswidrig ist. Nach dem Gesetzentwurf zielen die gegenständlichen Vorschriften des Masernschutzgesetzes darauf ab, durch die Schutzimpfungen eine Infektion mit hochansteckenden Masern sowie die mit schweren Komplikationen bis hin zu Todesfällen verlaufenden Masernerkrankungen zu verhindern (vgl. BT-Drs 19/13452, S. 16); der Gesetzgeber verfolgt daher durch die hier in Rede stehenden Regelungen einen verfassungsrechtlich legitimen Zweck. Das Gericht erachtet die verfahrensgegenständlichen Regelungen zur Erreichung dieses Zweckes auch in Bezug auf Schulkinder für verhältnismäßig (BayVGH, U.v. 05.12.2024 – 20 BV 24.1343 – juris Rn. 19 ff., VG Bayreuth, U.v. 01.07.2024 – B 7 K 23.793 – juris Rn. 23-39, Bayerisches Oberstes Landesgericht, B.v. 28.03.2024 – 201 ObOWi 141/24 – juris Rn. 8-22 im Rahmen eines Bußgeldverfahrens gegenüber Eltern schulpflichtiger Kinder). Allerdings ist im Rahmen der – vorliegend nicht streitgegenständlichen – Verwaltungsvollstreckung der gesetzgeberischen Konzeption der Nachweispflicht unter besonderer Berücksichtigung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes Rechnung zu tragen (umfangreich hierzu BayVGH, U.v. 05.12.2024 – 20 BV 24.1343 – juris Rn. 33 ff.).
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2.2. Der Bescheid ist formell rechtmäßig, insbesondere ist die erforderliche Anhörung nach Art. 28 Abs. 1 Bayerisches Verwaltungsverfahrensgesetz (BayVwVfG) erfolgt.
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2.3. Der Bescheid erweist sich auch als materiell rechtmäßig, da die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG vorliegen und Ermessensfehler nicht ersichtlich sind.
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Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslagen ist dabei der Zeitpunkt des Erlasses des streitgegenständlichen Bescheides (BayVGH, B.v. 7.7.2021 – 25 CS 21.1651 – juris Rn. 11).
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2.3.1. Der Sohn der Kläger besuchte im maßgeblichen Zeitpunkt die Grundschule B. … und wurde daher in einer Gemeinschaftseinrichtung nach § 33 Nr. 3 IfSG (Schulen und sonstige Ausbildungseinrichtungen) im Bezirk des Beklagten betreut.
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2.3.2. Einen Nachweis im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG haben die Kläger nicht vorgelegt.
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Der Vorlageverpflichtung sind die Klägers insbesondere nicht durch das bloße Vorzeigen eines Nachweises ausreichend nachgekommen, ohne dem Beklagten eine Kopie und damit die ausreichende Möglichkeit zur Überprüfung eben dieses Nachweises zu überlassen.
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Zwar spricht der Wortlaut der Vorschrift lediglich von „Vorlage“, worunter das bloße Vorzeigen eines Nachweises verstanden werden könnte.
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Zweck der Vorlagepflicht ist es jedoch, dem Gesundheitsamt eine Kontrolle der Einhaltung der sich aus § 20 Abs. 8 bis 11 IfSG ergebenden Pflichten zu ermöglichen und es in die Lage zu versetzen, über das Ergreifen von Maßnahmen gem. § 20 Abs. 12 S. 2 und S. 3 IfSG entscheiden zu können (Gerhardt, 6. Aufl. 2022, IfSG § 20 Rn. 112, beck-online). Unter Umständen kann eine Entscheidung, ob das ärztliche Attest als Nachweis im Sinne des § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG anerkannt werden kann, im Zeitpunkt der Vorlage nicht abschließend getroffen werden. Um seiner gesetzlich vorgegebenen (Prüf-)Aufgabe ausreichend nachgehen und somit Sinn und Zweck der Vorlageverpflichtung erfüllen zu können, ist die erkennende Kammer daher der Ansicht, dass eine Vorlage eines entsprechenden Nachweises auch die (kurzfristige) Aushändigung des Originals und ggf. auch die Anfertigung einer Kopie beinhaltet. Die rechtlichen Grundlagen dafür finden sich in § 20 Abs. 12 IfSG in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 UAbs. 1 Buchst. c in Verbindung mit Abs. 3 Satz 1 Buchst. b, Art. 9 Abs. 2 Buchst. i Datenschutzgrundverordnung (DSGVO).
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Durch die Weigerung der Kläger, den vorgelegten Nachweis dem Beklagten in Kopie zu überlassen, um dessen inhaltliche Prüfung vornehmen zu können, haben sie ihre Vorlageverpflichtung nicht erfüllt.
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Die Kläger haben den Nachweis eines Schutzes gegen Masern auch nicht durch Vorlage anderer in § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG genannter Dokumente erbracht. Da somit die Tatbestandsvoraussetzungen nach § 20 Abs. 12 Satz 1 Nr. 1 i.V.m. Abs. 13 Satz 1 IfSG erfüllt sind, konnte sich die Anordnung des Beklagten in Nr. 2 des Bescheides vom 1. Juli 2024 auf diese Rechtsgrundlagen stützen.
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Soweit die Kläger Zweifel an der Sicherheit und Wirksamkeit der zugelassenen Impfstoffe vorbringen, wenden sie sich der Sache nach nicht gegen den streitgegenständlichen Bescheid des Beklagten, sondern gegen die Eignung und damit Verfassungsmäßigkeit des § 20 Abs. 8 ff. IfSG, die das Bundesverfassungsgericht in der Entscheidung vom 21. Juli 2022 (a.a.O.) aber nicht durchgreifend in Frage gestellt hat. Vielmehr hat das Bundesverfassungsgericht darauf abgestellt, dass es der Verfassungsmäßigkeit von § 20 IfSG grundsätzlich nicht entgegensteht, wenn zur Erlangung des Masernimpfschutzes ausschließlich Kombinationsimpfstoffe zur Verfügung stehen. Zweifel an der Eignung der zugelassenen Impfstoffe zum Schutz vulnerabler Personen vor einer Masernerkrankung und damit gegebenenfalls einhergehenden schweren Krankheitsverläufen erkennt das Bundesverfassungsgericht ausdrücklich nicht (vgl. BVerfG, B.v. 21.7.2022 – 1 BvR 469/20 u.a. – juris Rn. 114 f.).
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2.3.3. Es liegt auch kein Ermessensfehler des Beklagten vor.
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2.3.3.1. Die rechtlichen Befugnisse des Gesundheitsamtes sind in § 20 Abs. 12 IfSG statuiert und räumen dem Beklagten zwar ein entsprechendes Entschließungs- und Auswahlermessen ein (im Ergebnis ebenso: VG Ansbach, B.v. 5.11.2021 – AN 18 S 21.1891 – Beckonline Rn. 43ff.; B.v. 28.5.2021 – AN 18 S 21.932 – Beckonline Rn. 23; VG Bayreuth, U.v. 1.7.2024 – B 7 K 23.793 – juris Rn. 58; VG München; B.v. 11.4.2024 – M 26a S 23.4202 – juris Rn. 56; VG Köln, B.v. 14.2.2024 – 7 L 1981/23 – juris Rn. 71; VG Minden, B.v. 6.11.2023 – 7 L 882/23 – juris Rn. 66; Kießling/Gebhard, IfSG, 3. Aufl. 2022, § 20 Rn. 61; Gerhardt, IfSG, 6. Aufl. 2022, § 20 Rn. 119). Auch wenn sich dem streitgegenständlichen Bescheid nicht entnehmen lässt, dass der Beklagte insoweit ein Ermessen ausgeübt hat, führt dies jedoch vorliegend nicht zu einem Ermessensfehler im Sinne eines Ermessensausfalls. Denn vor dem Hintergrund der mit § 20 Abs. 8 ff. IfSG verfolgten Zwecke des öffentlichen Gesundheitsschutzes, des Schutzes von Leben und körperlicher Unversehrtheit, zu dem der Staat auch kraft seiner grundrechtlichen Schutzpflicht aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 Grundgesetz auch angehalten ist (BVerfG, B. v. 11.05.2020 – 1 BvR 469/20, 1 BvR 470/20 – juris), und des Schutzes vulnerabler Personengruppe vor einer Masernerkrankung handelt es sich bei § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG nach Ansicht des erkennenden Gerichts um ein sog. intendiertes Ermessen. Liegen demnach die tatbestandlichen Voraussetzungen für eine Anordnung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG vor, ist in der Regel nur die Entscheidung für die Aufforderung des Pflichtigen zur Vorlage eines Nachweises nach § 20 Abs. 9 Satz 1 IfSG ermessensfehlerfrei und muss dann auch nicht näher begründet werden, weshalb von der Anordnungsbefugnis Gebrauch gemacht wird (vgl. BayVGH, B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16.300 – juris Rn. 37 m.w.N.). Eine Darlegung der Ermessenserwägungen bedarf es daher nur bei Vorliegen außergewöhnlicher Umstände, die ein Absehen von einer Aufforderung nach § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG rechtfertigen könnten. Solche außergewöhnlichen Umstände wurden vorliegend jedoch nicht substantiiert geltend gemacht und sind für das Gericht auch nicht ersichtlich.
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2.3.3.2. Der Beklagte war an der Anordnung auch nicht etwa deswegen gehindert, weil die Anordnungsbefugnis bereits durch zuvor ergangene Anordnungen „verbraucht“ wäre bzw. sich eine erneute Anordnung angesichts einer bereits vorhandenen vollstreckbaren Anordnung als von vornherein zwecklos darstellen würde. Die vorangegangenen Schreiben vom … März 2023 sowie vom .. Juni 2023 sind nach Auffassung des Gerichts nicht als Verwaltungsakt im Sinne des Art. 35 BayVwVfG zu qualifizieren. Somit handelt es sich bei dem hier streitgegenständlichen Bescheid nach Rücknahme des Bescheids vom … März 2024 nicht um die zweite, sondern um die einzige förmliche Verpflichtungen zur Vorlage eines Nachweises. Soweit der Bevollmächtigte der Kläger auf die Entscheidung des VG Düsseldorf (B.v. 7.2.2024 – 29 L 3343/223 – juris Rn. 47 ff.) Bezug nimmt, um eine Beschränkung der Eingriffsbefugnis herzuleiten, ist zu sehen, dass die Entscheidung einen Einzelfall betrifft, der nicht ohne weiteres auf den vorliegenden Fall übertragbar ist, da im dortigen Verfahren – anders als hier – tatsächlich mehrere behördliche Anordnungen erlassen wurden, obschon – anders als hier – zwischenzeitlich ein zumindest den Mindestanforderungen entsprechendes Attest zum Nachweis einer Kontraindikation vorgelegt worden war.
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2.3.3.3. Eine Einschränkung des Ermessens folgt im vorliegenden Fall auch nicht etwa aus den weiteren in § 20 Abs. 12 IfSG genannten Befugnissen der Anordnungsbehörde, etwa bei Zweifeln an der Echtheit oder inhaltlichen Richtigkeit des vorgelegten Nachweises eine ärztliche Untersuchung anzuordnen, Auskünfte oder weitere Unterlagen einzufordern bzw. bei nicht rechtzeitiger Vorlage des Nachweises zu einer Beratung zu laden. Dies setzt voraus, dass überhaupt ein Nachweis vorgelegt wird, der den formalen Mindestanforderungen entspricht. Nur dann ist die Behörde in der Lage, diesen Nachweis auf seine Plausibilität hin zu überprüfen und hieran anknüpfend gegebenenfalls Anordnungen gemäß § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG zu treffen. Liegt hingegen – wie vorliegend (siehe unter 2.3.2.) – noch kein formal ordnungsgemäßer Nachweis vor, so hat die Behörde nach der Systematik des § 20 Abs. 12 IfSG zunächst gemäß § 20 Abs. 12 Satz 1 IfSG die Vorlage eines die Mindestanforderungen erfüllenden Nachweises zu verlangen (VG Schwerin, B.v. 22.2.2024 – 3 B 2192/23 SN – juris Rn. 37). Vor diesem Hintergrund erscheint es wenig überzeugend, dass die Behörde statt der Vorlage eines – den Mindestanforderungen genügenden – Nachweises auch eine Maßnahme nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG anordnen können soll (so aber offenbar VG Düsseldorf, B.v. 15.11.2023 – 29 L 2480/23 – juris Rn. 36 ff.). Jedenfalls muss es der Behörde nach Sinn und Zweck der Norm möglich sein, sich zunächst durch Anordnung der Vorlage eines formal korrekten Nachweises Kenntnis über die geltend gemachten medizinischen Kontraindikationen zu verschaffen, um auf dieser Grundlage eine sachgerechte Entscheidung über die Anordnung weitergehender Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG zu treffen. Ein solches Verständnis der Regelung ist auch unter Verhältnismäßigkeitsgesichtspunkten vorzugswürdig. Denn die Maßnahmen nach § 20 Abs. 12 Satz 2 IfSG – insbesondere in Gestalt der Anordnung der ärztlichen Untersuchung – dürften regelmäßig einen schwerwiegenderen Eingriff darstellen als die bloße Anordnung der Vorlage eines den Mindestanforderungen entsprechenden Nachweises (vgl. VG Bayreuth, U.v. 1.7.2024 – B 7 K 23.793 – juris, Rn. 55).
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2.3.3.4. Die Nachweisaufforderung erscheint auch weiterhin erforderlich, da die behördlichen Maßnahmen grundsätzlich geeignet sind, die Nachweispflichtigen zum Überdenken ihrer Einstellung anzuhalten. Unter diesem Gesichtspunkt erscheint es auch nicht überflüssig, wenn der Beklagte entsprechende Anordnungen erlässt, obwohl das mittelbar betroffene Kind eine Impfung ablehnt. Da eine entsprechende Nachweisaufforderung durchaus geeignet erscheint, die sorgeberechtigten Pflichtigen anzuhalten, ihre Einstellung zu überdenken, ist auch davon auszugehen, dass in Folge ein Einwirken der Sorgeberechtigten auf ihren zum maßgeblichen Zeitpunkt des Erlasses des Bescheides siebenjährigen Sohn aufgrund des Alters und des damit einhergehenden Entwicklungsstandes durchaus möglich erscheint. Dass die Kläger hier Versuche unternommen hätten, entsprechend erzieherisch auf ihren Sohn einzuwirken und somit ihren elterlichen Pflichten nachzukommen, ist nicht ersichtlich und macht die geforderte Handlung daher auch nicht unmöglich. Zudem kann auf die Ängste des Kindes durch eine am Kindeswohl orientierte Aufklärung des Kindes selbst reagiert werden.
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2.3.4. Auch gegen die Frist zur Vorlage eines Nachweises innerhalb von zwei Monaten nach Bekanntgabe des Bescheides bestehen keine rechtlichen Bedenken (vgl. BayVGH, B.v. 22.01.2024 – 20 CS 23.2238 – juris Rn. 13).
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3. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 und § 159 VwGO.
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4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 Nr. 11, 711 der Zivilprozessordnung (ZPO).