Titel:
Gerichtsstandsbestimmung im Arzthaftungsrecht
Normenketten:
EGZPO § 9
ZPO § 36 Abs. 2
Leitsätze:
In den zivilprozessualen Regelungen des Gerichtsstands kommt ein ausgewogenes und differenziertes Konzept zum Ausdruck, in dem die gegenläufigen Interessen der Parteien zum Ausgleich gebracht werden. (Rn. 15)
Gibt es für Antragsgegner, denen jeweils ein Behandlungsfehler vorgeworfen wird, keinen gemeinsamen Gerichtsstand muss das zuständige Gericht nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit (Sachdienlichkeit) und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Prozesswirtschaftlichkeit bestimmt werden. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Gerichtsstandsbestimmung, Behandlungsfehler
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18928
Tenor
Als (örtlich) zuständiges Gericht wird das Landgericht Ravensburg bestimmt.
Gründe
1
Die Antragstellerin beabsichtigt, gegen die Antragsgegner zu 1) bis 3) Klage zu erheben wegen einer aus ihrer Sicht fehlerhaften medizinischen Behandlung. Mit Schriftsatz vom 25. Juni 2025 an das Oberlandesgericht Nürnberg hat sie beantragt, das für den künftigen Rechtsstreit örtlich zuständige Gericht zu bestimmen.
2
Die Antragsgegnerin zu 1) ist die Rechtsträgerin des Klinikums …, in dem sich die Antragstellerin am 9. August 2022 einer Hüftgelenksoperation unterzogen hat. Sie wirft dem dort vormals beschäftigten Antragsgegner zu 2) vor, die Implantation der Hüfttotalendoprothese nicht lege artis durchgeführt zu haben. Zudem sei ihre Entlassung in die Rehabilitationseinrichtung der Antragsgegnerin zu 3) am 17. August 2022 verfrüht mit Vollbelastung erfolgt. Der Antragsgegnerin zu 3) als Trägerin der … Klinik macht sie zum Vorwurf, ungeeignete Rehamaßnahmen durchgeführt bzw. angeordnet zu haben, wodurch auf die operierte Hüfte eine zu hohe Belastung ausgeübt worden sei. Außerdem sei versäumt worden, die Ursache der Schmerzen und Beschwerden zu erforschen. Letztlich sei es zu einer frühzeitigen Lockerung gekommen, weshalb der Antragsgegner zu 2) am 22. September 2022 eine Revisionsoperation vorgenommen habe. Im weiteren Verlauf sei eine Nervläsion mit Hüftbeugeparese diagnostiziert worden. Außerdem habe sich eine Beinverkürzung gezeigt.
3
Die Antragsgegnerin zu 1) ist im Bezirk des Landgerichts Ravensburg ansässig. Dort befindet sich auch die Klinik, in der die Antragstellerin behandelt worden ist. Im Bezirk des Landgerichts Ravensburg ist auch der Antragsgegner zu 2) wohnhaft. Die Antragsgegnerin zu 3) ist im Bezirk des Landgerichts Regensburg ansässig, wo sich auch die von ihr betriebene Rehabilitationseinrichtung befindet.
4
Die Antragsgegner zu 1) und 2) haben angeregt, das Landgericht Ravensburg als zuständiges Gericht zu bestimmen. Die Antragstellerin, die selbst im Bezirk des Landgerichts Regensburg wohnhaft ist, hat um die Bestimmung dieses Gerichts gebeten und zur Begründung auf ihre körperlichen Einschränkungen verwiesen. Die Antragsgegnerin zu 3) hat sich nicht geäußert.
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Das Oberlandesgericht Nürnberg hat die Sache zuständigkeitshalber an das Bayerische Oberste Landesgericht abgegeben.
6
Auf den zulässigen Antrag bestimmt der Senat das Landgericht Ravensburg als das für den Rechtsstreit örtlich zuständige Gericht.
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1. Das Bayerische Oberste Landesgericht ist für die Entscheidung über den Antrag auf Gerichtsstandsbestimmung zuständig (§ 36 Abs. 2 ZPO i. V. m. § 9 EGZPO), weil die Antragsgegner ihren jeweiligen allgemeinen Gerichtsstand (§§ 12, 13, 17 ZPO) in verschiedenen Oberlandesgerichtsbezirken (Stuttgart und Nürnberg) haben, sodass das für sie gemeinschaftliche im Rechtszug zunächst höhere Gericht der Bundesgerichtshof ist. An dessen Stelle entscheidet das Bayerische Oberste Landesgericht, weil ein bayerisches Gericht bei noch nicht anhängigem Rechtsstreit zuerst um die Bestimmung angegangen worden ist (vgl. BGH, Beschluss vom 21. August 2008, X ARZ 105/08, NJW 2008, 3789 Rn. 10).
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2. Die Voraussetzungen für eine Zuständigkeitsbestimmung gemäß § 36 Abs. 1 Nr. 3 ZPO liegen vor.
9
a) Die Antragsgegner sind nach dem im Bestimmungsverfahren maßgeblichen Vortrag der Antragstellerin hinsichtlich der geltend gemachten Ansprüche Streitgenossen im Sinne des § 60 ZPO.
10
Die Antragstellerin führt ihren Schaden an Körper und Gesundheit, für den sie von den Antragsgegnern als Gesamtschuldnern Ersatz fordert, auf Behandlungsfehler zurück, welche den Antragsgegnern unterlaufen bzw. ihnen zuzurechnen seien. Obwohl die Antragsgegner die Behandlung nicht im Zusammenwirken durchgeführt, sondern nacheinander übernommen haben, sind sie nach diesem Vorbringen – wenn auch auf unterschiedlicher Rechtsgrundlage und wegen individueller Einzelbeiträge – für denselben Schaden verantwortlich, den die Antragstellerin insgesamt nur einmal ersetzt verlangen kann. Darin besteht ein hinreichender innerer und sachlicher Zusammenhang, der die gegen die Antragsgegner erhobenen Ansprüche auf Ersatz des einheitlichen Schadens als gleichartig erscheinen lässt (vgl. BayObLG, Beschluss vom 19. August 2022, 102 AR 77/22, MDR 2022, 1284 Rn. 11 [juris Rn. 12] m. w. N.).
11
b) Für den beabsichtigten Rechtsstreit gibt es keinen gemeinsamen Gerichtsstand.
12
Sowohl die allgemeinen Gerichtsstände der Antragsgegner als auch die in Betracht kommenden besonderen Gerichtsstände des Erfüllungsorts nach § 29 Abs. 1 ZPO und des Delikts nach § 32 ZPO liegen in unterschiedlichen Landgerichtsbezirken.
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3. Der Senat bestimmt das Landgericht Ravensburg als das für den Rechtsstreit (örtlich) zuständige Gericht.
14
Die Auswahl erfolgt nach Gesichtspunkten der Zweckmäßigkeit (Sachdienlichkeit) und unter Berücksichtigung des Grundsatzes der Prozesswirtschaftlichkeit, wobei das bestimmende Gericht ein Auswahlermessen hat (vgl. BVerfG, Beschluss vom 12. November 2008, 1 BvR 2788/08, NJW 2009, 907 [juris Rn. 12] m. w. N.; BayObLG, Beschluss vom 3. August 2023, 102 AR 132/23 e, juris Rn. 23; Beschluss vom 12. September 2022, 101 AR 105/22, juris Rn. 39; Schultzky in Zöller, ZPO, 35. Aufl. 2024, § 36 Rn. 29 m. w. N).
15
Dabei ist zu berücksichtigen, dass in den Gerichtsstandsregelungen der Zivilprozessordnung (unter anderem) ein grundlegendes prozessuales Gerechtigkeitsprinzip zum Ausdruck kommt. Gemäß § 12 ZPO knüpft die Zuständigkeit grundsätzlich an den allgemeinen Gerichtsstand der beklagten Partei gemäß §§ 12, 13, 17 ZPO an. Sinn und Zweck dieser Regelungen ist, dem Beklagten die Prozessführung zu erleichtern und ihn davor zu schützen, den Prozess, der ihm ohne oder gegen seinen Willen aufgezwungen wird, an einem auswärtigen Gericht führen zu müssen. Die Regelungen gelten generell und ohne Rücksicht darauf, ob im Einzelfall die gesetzgeberischen Erwägungen zutreffen, die für den Erlass dieser Vorschriften bestimmend waren (BGH, Beschluss vom 27. Oktober 1983, I ARZ 334/83, BGHZ 88, 331 [juris Rn. 13]). Mit Rücksicht auf das Rechtsschutzverlangen der klagenden Partei regelt die Zivilprozessordnung daneben besondere Gerichtsstände als Ausnahmen von dem Grundsatz, dass die Klage am Gerichtsstand des Beklagten zu erheben ist (vgl. auch BGH, Urt. v. 2. Juli 1991, XI ZR 106/90, BGHZ 115, 90 [juris Rn. 11]). Zwischen mehreren Gerichtsständen kann die klagende Partei wählen, § 35 ZPO. In dem Zusammenspiel der Regelungen kommt ein ausgewogenes und differenziertes Konzept zum Ausdruck, das die gegenläufigen Interessen der Parteien berücksichtigt (vgl. Roth in Stein, ZPO, 24. Aufl. 2024, vor § 12 Rn. 3, § 12 Rn. 2; Schultzky in Zöller, ZPO, § 12 Rn. 2; auch BGH, Beschluss vom 16. April 1986, IVb ARZ 4/86, NJW 1986, 3209 [juris Rn. 11]; BayObLG, Beschluss vom 20. Februar 2025, 101 AR 156/24 e, NJW-RR 2025, 444 Rn. 21 m. w. N.).
16
Ausgehend von diesen Grundsätzen wählt der Senat das Landgericht Ravensburg, an dem zwei von drei Antragsgegnern, darunter eine natürliche Person, ihren allgemeinen Gerichtsstand haben. Das Interesse der Antragstellerin an einem Gerichtsstand, der ihr die Prozessführung erleichtern würde, tritt nach den dargelegten Grundsätzen hinter dem Interesse der Antragsgegner, den Prozess nicht an einem auswärtigen Gericht führen zu müssen, zurück. Im Bezirk des ausgewählten Gerichts dürfte zudem der Schwerpunkt des erhobenen Vorwurfs liegen. Anhaltspunkte dafür, dass der Antragsgegnerin zu 3) ein Prozess am ausgewählten Gerichtsstand nicht zuzumuten sei, sind nicht vorgetragen worden und auch nicht ersichtlich.