Titel:
Erschließungsbeitragsrecht (erfolgreiche Klage), Entstehung der sachlichen Beitragspflichten (verneint), Bauprogramm, Anlagenabgrenzung, bauplanungsrechtliche Beurteilung („Einfirsthof“), Erschlossensein (1,94m breiter Zugang)
Normenketten:
BayKAG Art. 5a
BauGB § 133 Abs. 2
Leitsatz:
Sachliche Beitragspflichten für Erschließungsbeiträge entstehen erst, wenn die Erschließungsanlage vollständig hergestellt, gewidmet und im Eigentum der Gemeinde ist. (Rn. 18-19, 23)
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht (erfolgreiche Klage), Entstehung der sachlichen Beitragspflichten (verneint), Bauprogramm, Anlagenabgrenzung, bauplanungsrechtliche Beurteilung („Einfirsthof“), Erschlossensein (1,94m breiter Zugang)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18898
Tenor
I. Der Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2020 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Rosenheim vom 23. März 2023 werden aufgehoben.
II. Die Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Zuziehung eines Bevollmächtigten im Vorverfahren war notwendig.
III. Die Kostenentscheidung ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger wendet sich gegen die Heranziehung zu einem Erschließungsbeitrag.
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Der Kläger ist Eigentümer des Grundstücks FlNr. 1560 (nachfolgend stets: Gemarkung ….), … Straße 49 im Gebiet der Beklagten.
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Im Jahr 2014 erließ die Beklagte den Bebauungsplan „TH-07 … W. …“. Das Baugebiet wird insbesondere durch die damals neu geplante und errichtete „…straße“ erschlossen. Das Grundstück des Klägers liegt nördlich vom Geltungsbereich des Bebauungsplans und wird von diesem nicht erfasst.
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Die tatsächlichen Straßenbaumaßnahmen wurden in den Jahren 2015/2016 durchgeführt. Die Beklagte geht davon aus, dass die sachlichen Beitragspflichten frühestens im Jahr 2021 entstanden sind, da eine im Jahr 2015 im Gemeinderat beschlossene Widmung der Erschließungsanlage erst im Jahr 2021 verfügt und bekannt gemacht wurde.
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Mit Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2020 wurde für das Grundstück des Klägers für die Herstellung der „…straße“ ein Erschließungsbeitrag in Höhe von 187.258,00 € festgesetzt und der Kläger zur Zahlung aufgefordert. Dem Beitragsbescheid liegt ein Abrechnungsgebiet zu Grunde, das die „…straße“ sowohl in ihrem west-östlichen als auch in ihrem nord-südlichen Verlauf (Letztere mit abzweigenden Stichstraßen) berücksichtigt.
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Mit Widerspruchsbescheid des Landratsamts Rosenheim vom 23. März 2023 wurde der Erschließungsbeitrag in Abänderung des Bescheids der Beklagten vom 28. Dezember 2020 auf 80.332,16 € festgesetzt und der Widerspruch des Klägers im Übrigen zurückgewiesen. Für die Beitragsreduzierung waren zwei Aspekte maßgeblich: Zum einen nahm die Widerspruchsbehörde eine andere Abgrenzung der maßgeblichen Erschließungsanlage vor als die Gemeinde, was zu einem veränderten Verteilungsgebiet führte. Zum anderen betrachtete die Widerspruchsbehörde nicht wie die Beklagte die gesamte Fläche des Buchgrundstücks, sondern nur eine Teilfläche des klägerischen Grundstücks als beitragspflichtig und ging im Übrigen von einer Außenbereichslage des Grundstücks aus. Rechtsbehelfe der Beklagten gegen diesen Bescheid wurden nicht erhoben.
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Am 21. Februar 2022 erhob der Kläger, zunächst als Untätigkeitsklage noch ohne konkrete Antragstellung, Klage zum Verwaltungsgericht München. Am 27. März 2023 bezog der Kläger den Widerspruchsbescheid in das Klageverfahren ein und kündigte einen Anfechtungsantrag hinsichtlich der Bescheide der Beklagten und der Widerspruchsbehörde an. Zur Begründung der Klage wurde im Kern geltend gemacht, das klägerische Grundstück sei insgesamt dem bauplanungsrechtlichen Außenbereich zuzuordnen und deshalb nicht erschließungsbeitragspflichtig. Außerdem enthalte der Bebauungsplan entlang des klägerischen Grundstücks Festsetzungen, welche eine Zufahrtsmöglichkeit und damit die Erschließung des Grundstücks ausschließen würden. Beantragt wurde zuletzt,
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den Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2020 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids des Landratsamts Rosenheim vom 23. März 2023 aufzuheben.
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Die Beklagte beantragte,
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und machte im Wesentlichen geltend: Im Hinblick auf die Abgrenzung der Erschließungsanlage spreche viel für die Annahme, dass die gesamte „…straße“ im Baugebiet „… W. …“ eine Erschließungsanlage darstelle, das westliche Teilstück der in West-Ost-Richtung verlaufenden Straße also eine unselbständige Stichstraße darstelle. Jedenfalls das Hauptgebäude auf dem Grundstück des Klägers (Einfirsthof) sei dem bauplanungsrechtlichen Innenbereich zuzuordnen, insbesondere müsse der Einfirsthof des Klägers sowohl hinsichtlich seines Wohnteils als auch hinsichtlich seines landwirtschaftlich genutzten Teils als bauliche Einheit angesehen werden, die geeignet sei, einen Bebauungszusammenhang zu begründen oder fortzusetzen. Es spreche aber Einiges dafür, dass der Außenbereich erst an der Westseite der südlich des Hauptgebäudes liegenden Maschinenhalle beginne. Im Bereich des Grundstücks FlNr. 1235/31 sei die Erschließungsanlage planunterschreitend ausgebaut worden.
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Mit Beschluss vom 25. März 2024 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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Am 3. Mai 2024 und am 21. Mai 2025 fanden mündliche Verhandlungen mit den Beteiligten statt, am 26. August 2024 und 7. November 2024 ergingen gerichtliche Hinweis- und Aufklärungsschreiben.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die von der Beklagten und der Widerspruchsbehörde vorgelegten Behördenakten verwiesen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 VwGO).
Entscheidungsgründe
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Die Klage ist zulässig und begründet.
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Der auf Art. 5a KAG i.V.m. der Satzung der Beklagten über die Erhebung von Erschließungsbeiträgen vom 31. Oktober 1991 (EBS) beruhende Bescheid der Beklagten vom 28. Dezember 2020 und der Widerspruchsbescheid des Landratsamts Rosenheim vom 23. März 2023 sind rechtswidrig und verletzen den Kläger in eigenen Rechten (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO).
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Die Klage hat bereits deshalb Erfolg, weil sachliche Beitragspflichten noch nicht entstanden sind (nachfolgend 1.). Auf einige weitere Sach- und Rechtsfragen, die durch den Fall aufgeworfen werden und durch das Gericht behandelt und in den mündlichen Verhandlungen besprochen wurden, kommt es deshalb nicht mehr an. Hierzu werden im Hinblick auf eine ggf. spätere Erschließungsbeitragsabrechnung – nicht entscheidungserheblich – einige Hinweise des Einzelrichters gegeben (nachfolgend 2.).
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1. Die sachlichen Beitragspflichten sind noch nicht entstanden, weil das gemeindliche Bauprogramm für die Erschließungsanlage eine Straßenfläche umfasst, die zwar baulich tatsächlich hergestellt, aber (bislang) nicht gewidmet wurde und die (bislang) nicht im Eigentum der Beklagten steht. Die Argumentation der Beklagten, es liege ein „planunterschreitender Ausbau“ vor, vermag hieran nichts zu ändern.
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a) Die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten als Element von zentraler Bedeutung für die Rechtmäßigkeit der Erhebung von Erschließungsbeiträgen setzt voraus, dass die Erschließungsanlage technisch in vollem Umfang programmgemäß endgültig hergestellt ist (d.h. dem satzungsmäßigen Teileinrichtungs- und Ausbauprogramm sowie dem konkreten gemeindlichen Bauprogramm für die flächenmäßigen Teileinrichtungen entspricht) und der Gemeinde die Grundlagen für die Berechnung des beitragsfähigen Erschließungsaufwands vorliegen („letzte Unternehmerrechnung“). Weiter setzt die Entstehung der Beitragspflichten eine gültige Erschließungsbeitragssatzung, die durch die Widmung begründete Öffentlichkeit der Erschließungsanlage sowie die Rechtmäßigkeit der Herstellung nach Maßgabe des § 125 BauGB voraus (insgesamt hierzu: Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 15 Rn. 4 ff., § 8 Rn. 23; Matloch/Wiens, Das Erschließungsbeitragsrecht in Theorie und Praxis, Stand Februar 2025, Rn. 1100 ff.).
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b) Gemessen hieran ist festzustellen, dass das Grundstück FlNr. 1235/31 vom konkreten gemeindlichen Bauprogramm für die Herstellung der Erschließungsanlage umfasst ist.
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Nach den seitens des Gerichts angeforderten und von der Beklagten vorgelegten Beschlüssen (vgl. Protokoll der mündlichen Verhandlung vom 21.5.2025) hat sich der Gemeinderat im Wesentlichen nur einmal mit der Durchführung der Erschließungsmaßnahme befasst (Beschluss vom 24.4.2014, die Bauarbeiten für die Erschließung des Baugebiets „… W. …“ durchzuführen und hierfür ein Vergabeverfahren einzuleiten). Weitere Beschlüsse betreffen Aufstellung und Erlass des zu Grunde liegenden Bebauungsplans und die Widmung der Straße und sind möglicherweise noch im Zuge des Vergabeverfahrens ergangen. Damit ist davon auszugehen, dass das gemeindliche Bauprogramm durch den Bebauungsplan „TH-07 … W. …“ sowie durch die konkrete technische Ausführungsplanung des planenden Ingenieurbüros (vgl. Anlage 29 zum Schriftsatz der Beklagten vom 6.2.2025 bestimmt wird). Denn es ist gerade für die Frage der Entstehung der sachlichen Beitragspflichten erforderlich, dass die Gemeinde durch das nach den kommunalrechtlichen Vorschriften zuständige Gemeindeorgan – bei der Größe der Beklagte zweifelsfrei jedenfalls der Gemeinderat oder einer seiner Ausschüsse, nicht jedoch allein die Verwaltung – ein auf die konkrete Einzelanlage bezogenes Bauprogramm bestimmt. Mit diesem auf die konkrete Anlage bezogenen Bauprogramm bestimmt die Gemeinde die räumliche Ausdehnung und den Umfang der Baumaßnahme, also all das, was im Einzelfall für die Herstellung der Erschließungsanlage erforderlich ist und welche flächenmäßigen Teileinrichtungen in welchem Umfang die gesamte Breite der Straße in Anspruch nehmen sollen (vgl. im Einzelnen: Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 413). Bestimmte Formvorgaben bestehen hierfür nicht, so dass sich das Bauprogramm auch (mittelbar) aus Beschlüssen des Gemeinderats sowie den diesen Beschlüssen zu Grunde liegenden Unterlagen ergeben kann. Wenn ein Bebauungsplan eine hinreichende Aufteilung der Verkehrsflächen (in z.B. Fahrbahn, Gehwege, Randstreifen, etc.) enthält, kann auch bereits der Bebauungsplan als das maßgebliche Bauprogramm anzusehen sein (insgesamt hierzu: Schmitz, a.a.O., § 5 Rn. 20).
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Im maßgeblichen Bebauungsplan ist die Fläche des Grundstücks FlNr. 1235/31 festgesetzt als: „Öffentliche Grün- und Verkehrsflächen, Begleitflächen, Straßenbankett Ausbildung als Rasenfläche; Befestigung der Flächen ausschließlich in offenen, wasserdurchlässigen und begrünenden Belägen … zulässig.“ Ein Teil des Grundstücks ist ferner als „Flächen für öffentliche Stellplätze“ festgesetzt. Die vorgenannte technische Ausführungsplanung setzt diese Planung um, die dann in der Folge auch tatsächlich baulich ausgeführt wurde (vgl. die Herausrechnung der diesbezüglichen Kosten aus dem bislang als beitragsfähig erachteten Erschließungsaufwand gemäß Schriftsatz der Beklagten vom 13.5.2025 sowie Fotoaufnahmen Anlagen 27 und 28 zum Schriftsatz der Beklagten vom 6.2.2025).
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c) Wegen des vom Bauprogramm umfassten Teils der Erschließungsanlage auf dem Grundstück FlNr. 1235/31 sind jedoch die sachlichen Beitragspflichten noch nicht entstanden. Denn diese Fläche ist, obwohl technisch hergestellter Straßenbestandteil (vgl. Art. 2 BayStrWG), bislang straßenrechtlich nicht gewidmet (vgl. Bekanntmachung der Widmungsverfügung vom 26.7.2021 auf Bl. 016 der vorgelegten Akte der Beklagten) und steht damit der Öffentlichkeit nicht wie erforderlich zur Verfügung (vgl. § 2 Abs. 1 EBS). Ferner hat die Gemeinde – unstreitig, vgl. Schriftsatz der Beklagten vom 17.10.2024 – kein Eigentum oder sonstiges dingliches Recht an dieser Fläche, das im Miteigentum zahlreicher Wohnungs-/Teileigentümer eines benachbarten Grundstücks steht, so dass auch das in § 8 Abs. 4 EBS genannte Merkmal endgültiger Herstellung (noch) nicht erfüllt ist.
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d) Die Argumentation der Beklagten, es liege ein „planunterschreitender Ausbau“ vor, gemeint wohl nach § 125 Abs. 3 Nr. 1 BauGB, vermag hieran nichts zu ändern.
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Nach dieser Norm wird die Rechtmäßigkeit der Herstellung von Erschließungsanlagen durch Abweichungen von den Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht berührt, wenn die Abweichungen mit den Grundzügen der Planung vereinbar sind und die Erschließungsanlagen hinter den Festsetzungen zurückbleiben. Die Rechtmäßigkeit der Herstellung einer Erschließungsanlage i.S.v. § 125 BauGB ist eine, aber wie oben dargelegt, nicht die einzige Voraussetzung für die Entstehung der sachlichen Beitragspflichten. Ist eine Erschließungsanlage – wie hier – wegen Nichterfüllung des gemeindlichen Bauprogramms noch nicht endgültig hergestellt, stellt sich die Frage der Rechtmäßigkeit einer Abweichung von den Festsetzungen des Bebauungsplans – noch – nicht. Vielmehr wäre zunächst, wenn das Bauprogramm nicht mehr erfüllt werden kann oder soll, zu prüfen und ggf. zu veranlassen, ob das Bauprogramm noch geändert werden kann. Das Bauprogramm kann – von dem zuständigen Gemeindeorgan in derselben Form wie bei der Aufstellung – so lange mit Auswirkungen auf das Erschließungsbeitragsrecht geändert werden, bis es vollständig umgesetzt ist (Schmitz, a.a.O., § 5 Rn. 20, § 8 Rn. 25). Erst nach einer entsprechenden Anpassung des Bauprogramms stellt sich dann die Frage der Rechtmäßigkeit der Herstellung i.S.v. § 125 BauGB (vgl. insgesamt hierzu: Schmitz, a.a.O., § 7 Rn. 31, § 15 Rn. 5 f.; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 413 a.E.).
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2. Durch die streitgegenständliche Beitragsabrechnung werden einige weitere, nicht unkomplizierte Sach- und Rechtsfragen aufgeworfen, auf die es wegen der derzeitigen Rechtswidrigkeit des Beitragsbescheids nicht mehr ankommt. Nachdem von der Beklagten aber voraussichtlich die erforderlichen Schritte veranlasst werden können, um die Entstehung der Beitragspflichten herbeizuführen, werden im Hinblick auf eine erneute spätere Beitragsabrechnung – nicht entscheidungserheblich – folgende Hinweise gegeben:
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a) Der Einzelrichter teilt die Auffassung der Widerspruchsbehörde, dass die maßgebliche Erschließungsanlage von der Beklagten unzutreffend abgegrenzt wurde und stimmt der Einschätzung der Widerspruchsbehörde zu.
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Nach der insoweit maßgeblichen sog. natürlichen Betrachtungsweise (vgl. hierzu: Schmitz, a.a.O., § 6 Rn. 3 ff., 13 ff.; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 7) stellt die „…straße“ in ihrem west-östlichen Verlauf entlang der Südseite des klägerischen Grundstücks eine eigenständige Erschließungsanlage dar, ebenso wie die „…straße“ in ihrem nord-südlichen Verlauf (samt dort unselbständigen Stichstraßen). Nach dem zum Gegenstand der (ersten) mündlichen Verhandlung gemachten Karten- und Fotomaterial (vgl. ergänzend zuletzt auch Anlage 16 zum Beklagtenschriftsatz vom 17.10.2024 sowie Anlage 28 zum Beklagtenschriftsatz vom 6.2.2025) ergeben sich aus Straßenführung, -länge, -breite und -ausstattung für den unbefangenen Beobachter keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass sich die west-östlich verlaufende „…straße“ gleichsam „um die Kurve herum“ in der nörd-südlich verlaufenden „…straße“ fortsetzen könnte (und umgekehrt) und es sich bei der westlichen Hälfte der „…straße“ um eine (unselbständige) Stichstraße und „Anhängsel“ zu einer einheitlichen Erschließungsanlage handeln würde (vgl. zu einem derartigen Fall etwa: VG München, U.v. 9.4.2024 – M 28 K 22.4967 – juris Rn. 22). Dieser westliche Teil ist ca. 55 m lang und damit etwa genauso lang wie die von der Staatsstraße abzweigende Teilstrecke. Bei der Annäherung an die von Süden einmündende Straße von der Staatsstraße kommend ist bei diesen Längenverhältnissen und den konkreten topographischen Verhältnissen das Ende der Erschließungsanlage nicht derart eindeutig auszumachen, dass der ortsunkundige Verkehrsteilnehmer sich gehalten sehen würde, einen weiteren Straßenverlauf (nur) in die nach Süden abzweigende Straße anzunehmen. Die „…straße“ verläuft von Ost nach West nahezu geradlinig und weist im fraglichen Bereich auf der Nordseite eine durchgehende und einheitliche Straßenausstattung (Parkstreifen) auf, die ebenfalls gegen einen Verlauf „um die Kurve herum“ spricht. Der Einzelrichter verkennt nicht, dass die Straßenausstattung auf der südlichen Seite der „…straße“ (gepflasterter Gehweg) zwar ebenfalls einheitlich ausfällt, aber im Bereich der Einmündung einen leichten Versatz aufweist, d.h. die Fahrbahn der „…straße“ ist zu Beginn ihrer westlichen Hälfte etwas schmäler als in der östlichen Hälfte. Dieser Versatz erscheint jedoch angesichts des geradlinigen Straßenverlaufs optisch nicht hinreichend prägnant, um einen Straßenverlauf „um die Kurve herum“ zu begründen. Andere bauliche oder sonstige Merkmale, die den von der Beklagten angenommenen Straßenverlauf wohl ausreichend hätten begründen können, etwa einen den Kurvenverlauf optisch betonenden „Granit-Dreizeiler“ (vgl. hierzu etwa: VG München, U.v. 29.10.2019 – M 28 K 16.4687 – juris Rn. 38) und ggf. eine leichte Verschwenkung der Fahrbahn auch an der Nordseite, wurden nicht ausgeführt.
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Der Einzelrichter verkennt nicht, dass die von der Gemeinde beabsichtigte Anlagenabgrenzung ersichtlich auch von der – grundsätzlich legitimen – Motivation der Beklagten geleitet gewesen sein dürfte, alle Anlieger und Begünstigte der Aufstellung des Bebauungsplans „… W. …“ einheitlich an den Kosten der auch in einem Zug ausgeführten Erschließungsmaßnahmen durch den Neubau der „…straße“ (West-Ost wie auch Nord-Süd) zu beteiligen. Dies wäre in der konkreten örtlichen Situation auch durch eine geringfügig andere Straßenplanung und -ausführung voraussichtlich rechtmäßig möglich gewesen. Ohne entsprechende tatsächliche Gegebenheiten besteht indes keine Möglichkeit, rechtmäßig eine einheitliche Abrechnung der beiden Erschließungsanlagen vorzunehmen. Ob diese - durch entsprechende Umplanung und ergänzende Bauausführung – derzeit noch möglich wäre, vermag der Einzelrichter nicht einzuschätzen, da die Frage, ob und ggf. wann für die nord-südlich verlaufende Erschließungsanlage bereits sachliche Beitragspflichten entstanden sind oder noch nicht (zur diesbezüglichen Einmaligkeit vgl. Schmitz, a.a.O., § 3 Rn. 9; § 15 Rn. 1 ff.; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 1106) im vorliegenden Verfahren nicht zu prüfen war.
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b) Bezüglich der bauplanungsrechtlichen Bewertung des klägerischen Grundstücks (Lage im Innen- oder Außenbereich) teilt der Einzelrichter weder die Auffassung der Beklagten noch die der Widerspruchsbehörde.
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Eindeutig erscheint dem Einzelrichter insoweit (lediglich), dass eine Abgrenzung des Grundstücks nach topographischen Merkmalen im Bereich der Alten Rohrdorfer Ache ebenso ausscheidet wie die von der Widerspruchsbehörde vorgenommene Abgrenzung nach Bodenrichtwerten. Sodann kann festgehalten werden, dass wohl durchaus mit vertretbaren Argumenten angenommen werden könnte, dass unter Annahme einer gleichsam „solitären“ Wirkung des Einfirsthofs auf dem Grundstück des Klägers dieses insgesamt dem Außenbereich zuzurechnen sein könnte und der Bebauungszusammenhang westlich der … Straße an der Nordseite des Gebäudes auf FlNr. 1235/29 beginnen/enden würde. Denn mit Ausnahme des Hauptgebäudes auf dem klägerischen Grundstück besteht in diesem Bereich – unstreitig – keine Bebauung, die eine ausreichend prägende Wirkung hätte, als dass sie einen Bebauungszusammenhang eigenständig begründen bzw. den südlich davon bestehenden Bebauungszusammenhang dorthin fortsetzen könnte.
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Nach dem zum Gegenstand der (ersten) mündlichen Verhandlung gemachten Lichtbild- und Kartenmaterial sprechen aber aus Sicht des Einzelrichters die besseren Argumente dafür, das Gebäude auf dem Grundstück FlNr. 1235/29 und das Hauptgebäude auf dem klägerischen Grundstück als aufeinanderfolgend und zusammenhängend i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB anzusehen. Maßgeblich hierfür erscheint vor allem, dass sich die beiden straßenbegleitend errichteten Gebäude auf Grund ihrer vergleichbaren sowie durchaus dominanten und in der Regel gemeinsam wahrnehmbaren Kubatur am Ortsein- bzw. -ausgang gerade im Kontrast zum nicht bzw. gering bebauten Umfeld als optische Einheit darstellen und damit den erforderlichen Eindruck der Geschlossenheit hinreichend vermitteln. Weder der relativ schmalen „…straße“ noch dem Abstand von lediglich ca. 45 m zwischen den Baukörpern kann insoweit eine diesen Zusammenhang auflösende Wirkung beigemessen werden.
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Noch nichts wird damit aber ausgesagt über die Frage, wie weit sich der straßenbegleitend an der Ostseite des klägerischen Grundstücks bestehende Bebauungszusammenhang nach Westen hin erstreckt. Trotz der von der Beklagten hieran geäußerten Zweifel hält der Einzelrichter an seiner Einschätzung fest, dass lediglich der Wohnteil des Hauptgebäudes auf dem klägerischen Grundstück dem Innenbereich zuzurechnen ist, der westlich anschließende, landwirtschaftlich genutzte Betriebsteil des Hauptgebäudes indes keinen Bebauungszusammenhang zu begründen vermag (vgl. zur Lage und Abgrenzung der danach ca. 730 qm großen Innenbereichsfläche im Einzelnen das gerichtl. Hinweisschreiben vom 26.8.2024 und die Vergleichsberechnung gemäß Anlage 29 zum Schriftsatz der Beklagten vom 13.5.2025).
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Unter den Begriff der Bebauung, die einen im Zusammenhang bebauten Ortsteil bilden und damit – was hier erforderlich wäre – auch einen Bebauungszusammenhang am Ortsrand fortsetzen kann, fallen grundsätzlich nur Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen. Baulichkeiten, die nur vorübergehend genutzt zu werden pflegen oder in einem weiteren Sinn „Nebenanlagen“ zu z.B. einer landwirtschaftlichen Hauptnutzung sind, sind in aller Regel keine Bauten, die für sich genommen ein für die Siedlungsstruktur prägendes Element darstellen. Mit den Begriffen der „Bauwerke, die dem ständigen Aufenthalt von Menschen dienen“, und der „Hauptanlagen“ hat das Bundesverwaltungsgericht stets lediglich Hilfskriterien für die maßstabsbildende Kraft von Bauwerken formuliert. Letztmaßgeblich bleibt, ob die Bebauung geeignet ist, dem Gebiet im Sinne einer nach der Siedlungsstruktur angemessenen Fortentwicklung ein bestimmtes städtebauliches Gepräge zu verleihen (BVerwG, B.v. 5.4.2017 – 4 B 46.16 – juris m.w.N.). Maßgeblich sind dabei stets die konkreten örtlichen Verhältnisse und deren Würdigung; die Annahme eines Bebauungszusammenhangs im Einzelfall ist stets das Ergebnis einer Bewertung des konkreten Sachverhalts (BayVGH, B.v. 6.2.2023 – 15 ZB 22.2506 – juris Rn. 8 m.w.N.).
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Gemessen hieran kann als maßstabsbildende Hauptanlage nur der Wohnteil des Hauptgebäudes auf dem klägerischen Grundstück angesehen werden. Zwar mag es, etwa innerhalb von baulich historisch „gewachsenen“ örtlichen Strukturen, durchaus Fälle geben, in denen ein aus Wohn- und Betriebsteil bestehender Einfirsthof zur Entwicklung eines Bebauungszusammenhangs beiträgt. Vorliegend ist dies aber aus Sicht des Einzelrichters nicht der Fall. Denn der Einfirsthof des Klägers stellt gerade kein solitäres Gebäude (mehr) dar, vielmehr sind zusätzlich zum nach Süden ragenden Bauteil mit Quergiebel nördlich wie westlich des Betriebsteils weitere Nebengebäude an den Einfirsthof angebaut. Nördlich und südlich dieses Gebäudekomplexes schließen sich weitere, über die Westseite des Einfirsthofs hinaus in den Außenbereich hineinreichende freistehende Nebengebäude an, all dies umgeben von einem landwirtschaftlich und nördlich auch gewerblich genutzten Betriebsgelände. Würde man die Grenze zum bauplanungsrechtlichen Außenbereich nicht an der Westseite des Wohnteils festmachen, erschiene bei dieser indifferenten und regellosen Entwicklung der Gebäude und Anlagen „in den Außenbereich hinein“ eine rechtssichere und widerspruchsfreie Abgrenzung ausgeschlossen; die Ausführungen der Beklagten im Schriftsatz vom 13. Mai 2025, die in den Anlagen 30 – 32 selbst allein drei unterschiedliche Möglichkeiten der Abgrenzung zwischen Innen- und Außenbereich westlich des Wohnteils aufzeigen, belegen dies.
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Auch die von der Bevollmächtigten der Beklagten zuletzt zitierte Entscheidung (BayVGH, U.v. 2.11.2022 – 1 N 18.500 – juris Rn. 23 f.) vermag hieran nichts zu ändern. Zwar spricht der Senat in diesem Fall davon, dass der an einen Wohnteil angebaute Stallteil eines Gebäudes unselbständiger Teil eines insgesamt als bauliche Einheit in Erscheinung tretenden Gebäudes sei, das für die Beurteilung der in diesem Fall streitigen Flächen prägende Wirkung habe. Entscheidungserheblich wirkt sich diese Auffassung indes sodann nicht aus, weil die in diesem Fall zu beurteilende Fläche selbst bei prägender Wirkung des Stallteils keine „Baulücke“, sondern Teil einer eine „Baulücke“ überschreitenden, nicht abgegrenzten Außenbereichsfläche sei. Vor allem aber nimmt das Gericht Bezug auf eine Entscheidung des BVerwG (U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15), die zum „sich Einfügen“ nach dem Maß der baulichen Nutzung erging. In einer Anmerkung zu dieser Entscheidung (Külpmann, juris-PR-BVerwG 10/2017 Anm. 4) wird zutreffend dargestellt, dass diese Frage von der Frage, welche Bebauung einen Bebauungszusammenhang begründen oder fortsetzen kann, zu unterscheiden ist und es insoweit bei den oben genannten Grundsätzen zu bleiben habe.
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c) Ausgehend von der vorgenannten (oben 2. b) bauplanungsrechtlichen Bewertung durch den Einzelrichter erscheint es nicht zweifelsfrei, ob das Grundstück des Klägers überhaupt durch die Erschließungsanlage „…straße“ erschlossen ist.
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Rechnet man mit dem Einzelrichter lediglich den Wohnteil des Gebäudes des Klägers dem bauplanungsrechtlichen Innenbereich zu, bestimmen sich die Anforderungen an das „Erschlossensein“ korrespondierend allein hinsichtlich einer Wohnnutzung. Demnach muss von der Erschließungsanlage „…straße“ aus nicht auf das Grundstück des Klägers heraufgefahren werden können, sondern es genügt, wenn über die maßgebliche Erschließungsanlage – nicht notwendig „zentimetergenau – bis zur Höhe des jeweiligen Anliegergrundstücks an das Grundstück herangefahren werden kann und das Grundstück von der Erschließungsanlage aus betreten werden kann (vgl. selbst für eine Mischgebietsnutzung in diesem Sinne etwa: BayVGH, U.v. 6.6.2019 – 6 B 19.246 – juris Rn. 19; B.v. 20.10.2022 – 6 CS 22.1804 – juris Rn. 26 jeweils m.w.N.).
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Allerdings verhindert das im Privateigentum stehende, nicht gewidmete Grundstück FlNr. 1235/31 (vgl. oben 1.) auf fast der ganzen Südseite des Innenbereichsteils des klägerischen Grundstücks, dass von der maßgeblichen Erschließungsanlage aus, in der gehalten werden könnte, das Grundstück in rechtlicher Hinsicht auch (fußläufig) betreten werden darf. Hierfür steht dem Kläger an der abgeschrägten Süd-Ost-Ecke seines Grundstücks gleichsam „über Eck“ mit der … Straße lediglich eine Breite zur Verfügung, die die Beklagte mit 1,94 m angegeben hat (vgl. Anlage 14 zum Beklagtenschriftsatz vom 17.10.2024). Die westlich von FlNr. 1235/31 theoretisch gegebene Heranfahrens- und Betretensmöglichkeit (Gebäude, Mauern, etc. auf dem Anliegergrundstück selbst sind insoweit unbeachtlich, vgl. Schmitz, a.a.O., § 13 Rn. 61) genügt hierfür nicht, da die Erschließungsanlage in diesem Bereich auf ihrer Nordseite keine Erschließungsfunktion mehr aufweist und zusätzlich für einen Zugang zum Innenbereichsteil des Grundstücks nennenswerte, beitragsrechtlich nicht relevante Flächen im grundsätzlich von Nutzung freizuhaltenden Außenbereich passiert werden müssten, was in der konkreten örtlichen Situation das „Erschlossensein“ hindert (anders in einem Fall punktförmigen Anliegens am Außenbereichsteil eines Grundstücks: VG München, U.v. 19.4.2023 – M 28 K 21.1502 – juris Rn. 26).
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Der Einzelrichter neigt der Auffassung zu, dass die beschriebene abgeschrägte Süd-Ost-Ecke des Grundstücks nach der sog. „natürlichen Betrachtungsweise“ dem Einmündungstrichter der „…straße“ zuzurechnen ist und die von der Beklagten ermittelte Breite von 1,94 m damit vollständig der abzurechnenden Erschließungsanlage als Zugangsmöglichkeit zuzurechnen und nicht etwa zu teilen ist.
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Gemessen am diesbezüglichen Meinungsspektrum in Rechtsprechung und Literatur (vgl. im Einzelnen jeweils mit Nachweisen aus der Rechtsprechung: Schmitz, a.a.O., § 13 Rn. 60: „dürfte […] eine Breite von mindestens 1 bis 1,25 m erforderlich sein“; Matloch/Wiens, a.a.O., Rn. 831 m.w.N.: „üblich sind allgemein 3 m […], Breite von 2 m ist nicht ausreichend […, einzelne] Oberverwaltungsgerichte lassen eine Breite von 1,25 m ausreichen“; Hesse/Drescher, Erschließungsbeitrag, Stand September 2024, § 131 Rn. 8f: „…dürfte auch das Anliegen auf einer geringeren Breite als 2,75 m für eine Bebaubarkeit ausreichen und damit ein Erschlossensein bejaht werden können“) neigt der Einzelrichter ferner der Auffassung zu, dass in der konkreten örtlichen Situation eine Breite von 1,94 m das Erschlossensein des Innenbereichsteils des klägerischen Grundstücks noch hinreichend gewährleisten könnte. Jedoch handelt es sich insoweit rechtlich definitiv um einen Grenzfall, so dass sich bei unterstellt künftiger gerichtlicher Überprüfung durch andere zur Entscheidung berufene Personen mit guten Argumenten auch ein anderes Ergebnis ergeben könnte.
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Der Klage war deshalb mit der Kostenfolge des § 154 Abs. 1 VwGO stattzugeben.
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Der Ausspruch über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 709 ZPO.
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Die Berufung war nicht zuzulassen, weil die Voraussetzungen des § 124 Abs. 2 Nrn. 3 oder 4 VwGO nicht vorliegen (§ 124 a Abs. 1 Satz 1 VwGO).