Titel:
Erfolglose Klage auf Erteilung eines Vorbescheids für ein dem Außenbereich zuzurechnendes Grundstück – Abgrenzung Innen-/Außenbereich
Normenketten:
VwGO § 113 Abs. 5 S. 1
BauGB § 34 Abs. 1, § 35 Abs. 2, Abs. 3 S. 1 Nr. 1, Nr. 5, Nr. 7
BayBO Art. 59 S. 1 Nr. 1 lit. a, Art. 68 Abs. 1 S. 1, Art. 71 S. 1, S. 4
Leitsätze:
1. Es gilt die Regelvermutung, dass ein Grundstück regelmäßig nur dann dem Innenbereich zuzuordnen ist, wenn es an mindestens drei Seiten von Bebauung umgeben ist. (Rn. 20) (redaktioneller Leitsatz)
2. Einem Flächennutzungsplan kommt keine, die Zulässigkeit von Vorhaben begründende Wirkung zu, wenn das Vorhaben andere öffentliche Belange beeinträchtigt. (Rn. 22) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft iSv § 35 Abs. 3 S. 1 Nr. 5 BauGB kommt bei baulichen Außenbereichsanlagen nur dann nicht in Betracht, wenn sich das betroffene Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die naturgegebene – also insbesondere landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche – Bodennutzung noch für Erholungszwecke eignet oder es seine Schutzwürdigkeit durch bereits erfolgte anderweitige Eingriffe eingebüßt hat. (Rn. 23) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Abgrenzung Innen-/Außenbereich, Vorbescheid, Wohnbebauung, Bebauungszusammenhang, Ende des Bebauungszusammenhangs, Außenbereich, sonstiges Vorhaben, Flächennutzungsplan, natürliche Eigenart der Landschaft, Beeinträchtigung der Eigenart der Landschaft, Splittersiedlung, Bezugsfall, Berufungsfall
Weiterführende Hinweise:
Red. Anm.: zu Ls. 3 s. auch Decker UPR 2015, 207
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18891
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
Tatbestand
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Die Klägerin begehrt die Erteilung eines positiven Vorbescheids zur Errichtung eines Zweifamilienhauses mit Garage auf dem Grundstück FlNr. ..., Gem. … (Vorhabengrundstück).
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Die Klägerin ist Eigentümerin des derzeit unbebauten Vorhabengrundstücks, das im unbeplanten Bereich liegt. Es grenzt westlich an den Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 1 „B. … Süd“ in Form der 3. Änderung vom 25. Oktober 2018 und nordöstlich an den Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 21 „B. … H. …straße“ vom 25. April 2005 an. Östlich und südlich des Vorhabengrundstücks schließen sich unbebaute Flächen an. Im Flächennutzungsplan ist das Vorhabengrundstück als „Allgemeines Wohngebiet“ gem. § 4 BauNVO ausgewiesen.
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Unter dem 12. Dezember 2020, beim Beklagten eingegangen am 17. Dezember 2020, reichte die Klägerin einen Antrag auf Vorbescheid ein. Das Vorhaben ist bezeichnet als „Errichtung eines Zweifamilienhauses mit Garage“. Der Antrag enthält die Frage: „Ist das Bauvorhaben in Größe, Lage und Höhe in der dargestellten Form bauplanungsrechtlich zulässig?“
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Mit Beschluss vom 9. Februar 2021 verweigerte die Beigeladene ihr Einvernehmen.
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Mit Bescheid vom 28. Juli 2021 lehnte der Beklagte den Antrag auf Erteilung eines Vorbescheides ab. Das Vorhaben sei planungsrechtlich unzulässig. Das Vorhabengrundstück befinde sich im Außenbereich und sei nicht privilegiert. Als sonstiges Vorhaben im Sinne des § 35 Abs. 2 BauGB beeinträchtige es öffentliche Belange.
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Mit Schreiben vom ... September 2021 erhob die Klägerin hiergegen Klage. Sie beantragt,
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1. Der Bescheid des Landratsamts R. vom 27. Juli 2021, Az.: VB- …, wird aufgehoben.
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2. Der Beklagte wird verpflichtet, den mit Antrag der Klägerin vom 17. Dezember 2020 beantragten Vorbescheid zur Errichtung eines Zweifamilienhauses mit Garage auf dem Grundstück FlNr. ..., Gemarkung …, Gemeinde …, zu erteilen.
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Es bestehe eine enge, zusammenhängende Bebauung, zu der auch das Vorhabengrundstück gehöre. Es sei an drei Seiten von Bebauung umgeben: nordwestlich grenze das bebaute Grundstück FlNr. ... an, nördlich FlNr. ... und nordöstlich FlNr. ... Westlich ende der Bebauungszusammenhang mit dem Straßengrundstück FlNr. ..., das die K …straße mit der H …straße verbinde. Die nordwestlich und östlich unmittelbar an das Vorhabengrundstück angrenzenden Grundstücke mit FlNr. ... und ... seien mit der 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 1 „B … Süd“ in den Geltungsbereich des Bebauungsplans einbezogen worden, sodass die Gemeinde selbst den Bebauungszusammenhang hergestellt habe. Das Vorhaben füge sich nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der zu überbauenden Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung ein, wie sich auch aus dem Einfügensnachweis des Architekturbüros L … ergebe. Das Vorhaben wäre auch nach § 35 Abs. 2 BauGB zulässig, da keine öffentlichen Belange entgegenständen. Es liege keine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft und ihres Erholungswertes vor, da aufgrund der umliegenden Bebauung auf Grundlage der beiden Bebauungspläne das Vorhabengrundstück land- und forstwirtschaftlich nicht mehr nutzbar sei und keinen Erholungswert aufweise. Es sei auch keine Entstehung einer Splittersiedlung zu befürchten, da bereits eine Ansammlung von baulichen Anlagen, die dem Aufenthalt von Menschen dienen, vorhanden sei. Die Gemeinde habe durch den Flächennutzungsplan ihr planerisches Ermessen dahingehend ausgeübt, dass in diesem Bereich künftig Wohngebäude stehen sollten.
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Der Beklagte beantragt,
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Unter Bezugnahme auf die Bescheidsbegründung wird ausgeführt, dass sich das Vorhabengrundstück im planungsrechtlichen Außenbereich befinde und die öffentlichen Belange gemäß § 35 Abs. 3 Satz 1 Nrn. 5, 7 BauGB beeinträchtige.
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Die Beigeladene äußerte sich nicht.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte und die Behördenakte Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
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Die zulässige Klage bleibt in der Sache ohne Erfolg. Die Klägerin hat keinen Anspruch auf Erteilung des begehrten Vorbescheids, § 113 Abs. 5 VwGO i.V.m. Art. 71 Satz 1 und 4 BayBO i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BayBO, Art. 59 Satz 1 Nr. 1 Buchst. a BayBO i.V.m. §§ 29 bis 38 BauGB.
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Nach Art. 71 Satz 1 BayBO ist auf Antrag des Bauherrn vor Einreichung des Bauantrags zu einzelnen Fragen des Bauvorhabens ein Vorbescheid zu erteilen. Für die Durchführung des Verfahrens zum Erlass eines Vorbescheids gelten grundsätzlich die gleichen Vorschriften und Grundsätze wie für das Baugenehmigungsverfahren, vgl. Art. 71 Satz 4 BayBO. Dem Bauvorhaben stehen öffentlich-rechtliche Vorschriften entgegen, die im bauaufsichtlichen Genehmigungsverfahren zu prüfen sind (Art. 71 Satz 4 i.V.m. Art. 68 Abs. 1 Satz 1 BayBO). Das Vorhaben der Klägerin ist bauplanungsrechtlich unzulässig, da das Vorhabengrundstück im Außenbereich liegt und dort öffentliche Belange beeinträchtigt.
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Das Vorhabengrundstück liegt weder im Geltungsbereich eines Bebauungsplans noch im unbeplanten Innenbereich nach § 34 Abs. 1 BauGB und damit im Außenbereich.
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1. Die Bebauungspläne Nr. 1 „B … Süd“ und Nr. 21 „B … H …straße“ treffen keine Festsetzungen für das streitgegenständliche Grundstück. Im Rahmen der 2. Änderung des Bebauungsplans Nr. 1 „B … Süd“ wurde dessen Geltungsbereich auf das westlich an das Vorhabengrundstück angrenzende Grundstück mit der FlNr. ... sowie eine Teilfläche des Straßengrundstücks ... erweitert. Weder das Vorhabengrundstück selbst, noch die südlich und östlich an das Vorhabengrundstück anschließende Teilfläche des Straßengrundstücks ... wurden in die Planung miteinbezogen.
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2. Das Vorhaben liegt auch nicht im unbeplanten Innenbereich. In der Rechtsprechung ist hinreichend geklärt, nach welchen Kriterien die Abgrenzung des Bebauungszusammenhangs im Sinne von § 34 Abs. 1 BauGB zum Außenbereich (§ 35 BauGB) zu erfolgen hat. Danach ist ausschlaggebend für das Bestehen eines Bebauungszusammenhangs, inwieweit die aufeinanderfolgende Bebauung trotz etwa vorhandener Baulücken nach der Verkehrsauffassung den Eindruck der Geschlossenheit und Zusammengehörigkeit vermittelt und die zur Bebauung vorgesehene Fläche (noch) diesem Zusammenhang angehört. Wie eng die Aufeinanderfolge von Baulichkeiten sein muss, um sich als zusammenhängende Bebauung darzustellen, ist nicht nach geografisch-mathematischen Maßstäben, sondern aufgrund einer umfassenden Würdigung der tatsächlichen örtlichen Gegebenheiten einzelfallbezogen zu entscheiden (BVerwG, B.v. 8.10.2015 – 4 B 28.15 – juris Rn. 5, m.w.N.). Der Bebauungszusammenhang endet am Ortsrand regelmäßig am letzten Baukörper (BVerwG, B.v. 12.3.1999 – 4 B 112.98 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 31.3.2020 – 1 ZB 19.1961 – juris Rn. 6). Bei der Abgrenzung des Innenbereichs zum Außenbereich ist den Grundstücksgrenzen ferner keine entscheidende Bedeutung beizumessen (Söfker/Hellriegel in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL November 2024, § 34 RdNr. 25).
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3. Dies zugrunde gelegt ist das zur Bebauung vorgesehene, bisher unbebaute Vorhabengrundstück dem Außenbereich zuzuordnen. Das Grundstück nimmt, insbesondere ausweislich des Lageplans nicht mehr am westlichen bzw. nördlichen vorhandenen Bebauungszusammenhang teil, sondern stellt sich als Bestandteil der es im Osten und Süden umgebenden Grünflächen dar. Der Bebauungszusammenhang endet an den Außenkanten der Wohngebäude auf den FlNrn. ..., ... und ... Das Grundstück ist nicht von einer dreiseitigen Bebauung umgeben. Insoweit gilt die Regelvermutung, dass ein Grundstück regelmäßig nur dann dem Innenbereich zuzuordnen ist, wenn es an mindestens drei Seiten von Bebauung umgeben ist (BayVGH, B.v. 3.2.2014 – 1 ZB 12.468 – juris Rn. 3). Der westliche Teil des Grundstücks weist allenfalls auf zwei Seiten – westlich und nordöstlich – einen räumlichen Bezug zu angrenzender, prägender Wohnbebauung auf. In östlicher und südlicher Richtung grenzen weithin unbebaute, dem Außenbereich zuzuordnende Flächen an. Entgegen des klägerischen Vortrags folgt auch aus einer etwaigen „Ummantelung“ des Vorhabengrundstücks durch die FlNr. ... und das Straßengrundstück FlNr. ... kein Bebauungszusammenhang. Letzteres ist nach den Luftbildaufnahmen und klägerischem Vortrag bislang noch nicht einmal ausgebaut oder anderweitig kenntlich gemacht, sodass schon keine sichtbar trennende Wirkung entstehen kann, die den Eindruck von Geschlossenheit und Zugehörigkeit des Vorhabengrundstücks zum Bebauungszusammenhang vermittelt. Die bloße Flurnummernvergabe oder das Vorhandensein eines Kanaldeckels (und der damit verbundenen Anschlussmöglichkeit an einen Kanal) ändert hieran nichts.
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Das Vorhaben muss sich deshalb an § 35 BauGB messen lassen, wobei § 35 Abs. 2 und 3 BauGB maßgeblich sind, weil das Vorhaben weder nach § 35 Abs. 1 BauGB privilegiert noch nach § 35 Abs. 4 BauGB teilprivilegiert ist. Es ist planungsrechtlich unzulässig, weil es verschiedene öffentliche Belange beeinträchtigt.
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a. Zwar stellt das Vorhaben keinen Widerspruch zu den Darstellungen des Flächennutzungsplans dar, der öffentliche Belang nach § 35 Abs. 3 Nr. 1 BauGB ist somit nicht beeinträchtigt. Dem Flächennutzungsplan kommt indes keine, die Zulässigkeit von Vorhaben begründende Wirkung zu, wenn das Vorhaben andere öffentliche Belange beeinträchtigt (BVerwG, U.v. 10.5.1968 – 4 C 18.66 – Ls. 2, Rn. 22).
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b. Die Verwirklichung des Vorhabens würde die natürliche Eigenart der Landschaft und ihren Erholungswert beeinträchtigen, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 5 BauGB. Der Belang des Schutzes der natürlichen Eigenart der Landschaft verfolgt nach gefestigter Rechtsprechung den Zweck, den Außenbereich mit seiner naturgegebenen Bodennutzung für die Allgemeinheit zu erhalten. Die Landschaft soll in ihrer natürlichen Funktion und Eigenart bewahrt bleiben. Eine Beeinträchtigung der natürlichen Eigenart der Landschaft kommt bei baulichen Außenbereichsanlagen nur dann nicht in Betracht, wenn sich das betroffene Baugrundstück wegen seiner natürlichen Beschaffenheit weder für die naturgegebene – also insbesondere landwirtschaftliche oder forstwirtschaftliche – Bodennutzung noch für Erholungszwecke eignet oder es seine Schutzwürdigkeit durch bereits erfolgte anderweitige Eingriffe eingebüßt hat (BayVGH, B.v. 14.5.2020 – 15 ZB 19.1452 – juris Rn. 14 m.w.N.). Solche Umstände liegen allein aufgrund der umliegenden Bebauung entgegen des klägerischen Vortrags nicht vor. Der Belang wird schon dann beeinträchtigt, wenn durch das Vorhaben – wie hier – die Fläche der naturgegebenen Bodennutzung durch den Außenbereich wesensfremde Bebauung entzogen wird.
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c. Die Anschlussbebauung vom Ortsrand in den Außenbereich hinaus lässt überdies die Gefahr der Entstehung, Verfestigung oder Erweiterung einer Splittersiedlung, § 35 Abs. 3 Satz 1 Nr. 7 BauGB befürchten (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 31.3.2020 – 1 ZB 19.1961 – juris Rn. 8 f.). Eine Bebauung auf dem Vorhabengrundstück hätte Vorbildwirkung für weitere Bauwünsche auf den angrenzenden Grundstücken im Süden und Osten. Hierbei genügt es, dass die Gründe, die weiteren Vorhaben entgegengehalten werden könnten, an Überzeugungskraft einbüßen würden, wenn das beantragte Vorhaben nicht aufgrund der Ausweitung der Bebauung in den Außenbereich hinein versagt würde, mit der Genehmigung also ein sog. Berufungsfall geschaffen würde (BayVGH, a.a.O, Rn. 9 m.w.N.).
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Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt, da sie keinen Sachantrag gestellt und sich dadurch auch keinem Kostenrisiko ausgesetzt hat, § 154 Abs. 3, § 162 Abs. 3 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.