Inhalt

VG München, Urteil v. 09.07.2025 – M 18 K 20.6653
Titel:

Kostenerstattung (Stattgabe), Örtlich zuständiger Jugendhilfeträger, Begriff „vor Beginn der Leistung“, Ambulantes betreutes Einzelwohnen, Gewöhnlicher Aufenthalt

Normenketten:
SGB X § 104
SGB VIII § 10
SGB VIII § 86a
SGB I § 30 Abs. 1
SGB VIII § 35a
Schlagworte:
Kostenerstattung (Stattgabe), Örtlich zuständiger Jugendhilfeträger, Begriff „vor Beginn der Leistung“, Ambulantes betreutes Einzelwohnen, Gewöhnlicher Aufenthalt
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18888

Tenor

I.Der Beklagte wird verurteilt, dem Kläger die für die Leistungsempfängerin S.G. im Zeitraum vom 26. November 2015 bis 19. März 2016 aufgewendeten Kosten in Höhe von 3.037,15 € nebst Zinsen ab Rechtshängigkeit in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu erstatten.
II.Der Beklagte hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Der Beigeladene trägt seine außergerichtlichen Kosten selbst.
III. *Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags vorläufig vollstreckbar. Der Beklagte darf die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht der Kläger vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.

Tatbestand

1
Der Kläger, ein Sozialhilfeträger, begehrt vom Beklagten, einem Jugendhilfeträger, die Erstattung von Kosten, die er für die Leistungsempfängerin S.G. für den Zeitraum vom 26. November 2015 bis 19. März 2016 aufgewendet hat.
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Die am 20. März 1995 geborene Leistungsempfängerin lebte bis zum 25. August 2015 im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen.
3
Mit Bescheiden vom 29. November 2011, 23. März 2012 und 4. Juni 2012 gewährte der Beigeladene für die „Familie G.“ für den Zeitraum vom 17. November 2011 bis 30. Juni 2012 Hilfe zur Erziehung in Form einer Sozialpädagogischen Familienhilfe.
4
Mit Bescheiden vom 18. Oktober 2013, 6. Februar 2014 und 28. April 2014 gewährte der Beigeladene der Leistungsempfängerin für den Zeitraum vom 7. Oktober 2013 bis 6. Oktober 2014 Hilfe für junge Volljährige in Gestalt von Erziehungsbeistandschaft.
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Vom 25. August 2015 bis zum 19. November 2015 befand sich die Leistungsempfängerin stationär in der C-Fachklinik für Psychosomatik. In einem ärztlichen Bericht dieser Klinik vom 11. November 2015 wurde ausgeführt, dass bei der Leistungsempfängerin eine wesentliche Behinderung gemäß § 53 SGB XII i.V.m. § 2 SGB IX in Gestalt einer seelischen Behinderung drohe. Zudem wurde in einem Sozialbericht dieser Klinik vom 13. November 2015 insbesondere dargestellt, dass sie aktuell ihren Wohnort zu ihrem Partner nach E. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten verlegt habe, da eine Rückkehr in die häusliche Umgebung zu belastend für sie wäre. Zielsetzung sei betreutes Einzelwohnen. Nach dem Klinikaufenthalt ziehe sie zu ihrem Partner.
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Die Leistungsempfängerin meldete sich zum 1. November 2015 in die Wohnung ihres Partners im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten um.
7
Der Sozialleistungserbringer C. zeigte mit Schreiben vom 24. November 2015, das beim Kläger am 26. November 2015 einging, den „Eintritt der Leistungsempfängerin in das intensiv betreute Einzelwohnen“ unter deren Meldeadresse am 24. November 2015 an.
8
Mit Schreiben vom 3. Dezember 2015, das beim Kläger am 7. Dezember 2015 einging, übersandte der Leistungserbringer C. diesem einen Antrag der Leistungsempfängerin auf Gewährung von ambulanter Eingliederungshilfe.
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Der Kläger lehnte mit Bescheid vom 27. Januar 2016 diesen Antrag für den Zeitraum vom 24. bis 25. November 2015 ab. Für den Zeitraum vom 26. November 2015 bis zunächst 30. November 2016 gewährte der Kläger der Leistungsempfängerin die Übernahme der Kosten für das betreute Einzelwohnen an der Meldeadresse der Leistungsempfängerin. Zur Begründung der Teilablehnung führte der Kläger aus, dass der Antrag erst am 26. November 2015 bei ihm eingegangen sei.
10
Mit Schreiben an den Beklagten vom 27. Januar 2016 meldete der Kläger einen Anspruch auf Erstattung seiner Leistungen gemäß § 105 SGB X für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 26. November 2015 bis 19. März 2016 an. Er begründete dies damit, dass der Kläger entsprechend der „Kooperationsvereinbarung“ bis zur Vollendung des 21. Lebensjahres der Leistungsempfängerin als unzuständiger Leistungsträger leiste.
11
Mit Schreiben vom 7. März 2016 und vom 15. März 2016 teilte der Beklagte dem Kläger mit, dass er nicht der kostenerstattungspflichtige Jugendhilfeträger sei. Der Kläger solle sich für die Kostenerstattung an den Beigeladenen wenden.
12
Daraufhin meldete der Kläger mit Schreiben vom 23. März 2016 auch gegenüber dem Beigeladenen einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X für den streitgegenständlichen Zeitraum an.
13
Der Beigeladene antwortete mit Schreiben vom 28. April 2016, dass nicht er, sondern der Beklagte örtlich zuständig sei.
14
Daraufhin meldete der Kläger mit Schreiben vom 14. November 2016 erneut gegenüber dem Beklagten einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 105 SGB X für den streitgegenständlichen Zeitraum an, welchen der Beklagte mit Schreiben vom 13. Dezember 2016 erneut ablehnte.
15
Der Kläger erhob mit Schreiben vom 14. Dezember 2020, eingegangen bei Gericht am 16. Dezember 2020, Klage zum Verwaltungsgericht München und beantragte,
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den Beklagten zu verpflichten, dem Kläger die für die Leistungsberechtigte S.G. im Zeitraum vom 26. November 2015 bis 19. März 2016 aufgewendeten Leistungen der Eingliederungshilfe für junge Volljährige im ambulant betreuten Einzelwohnen in Höhe von 3.037,15 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz zu erstatten.
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Zur Begründung führte er insbesondere aus, dass er gegen den Beklagten für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Kostenerstattungsanspruch gemäß § 104 SGB X habe. § 10 Abs. 4 Satz 2 SGB VIII sei nicht einschlägig. Denn bei der Leistungsempfängerin drohe – zwischen den Parteien unstreitig – lediglich eine seelische Behinderung, jedoch keine (wesentliche) geistige oder körperliche Behinderung. Streitig sei jedoch, welches Jugendamt örtlich zuständig gewesen wäre. Das betreute Einzelwohnen der Leistungsempfängerin sei eine Wohnform i.S.v. § 86a Abs. 2 SGB VIII, so dass auf den gewöhnlichen Aufenthalt „vor Beginn der Leistung“ abzustellen sei. Die Leistungsempfängerin habe mit dem Einzug in die Wohnung ihres Partners am 19. November 2015 einen gewöhnlichen Aufenthalt in E. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten begründet. Auch sei keine „Einrichtungskette“ gegeben, bei welcher auf den Aufenthalt vor der erstmaligen Aufnahme in eine geschützte Einrichtung oder Wohnform abzustellen sei. Denn zwischen der Entlassung aus der Klinik am 19. November 2015 und der Aufnahme in das betreute Einzelwohnen am 24. November 2015 hätten fünf Tage gelegen, so dass die Kette unterbrochen worden sei. Dabei spiele keine Rolle, ob bereits während des Klinikaufenthalts ein Bedarf an Leistungen des betreuten Einzelwohnens festgestellt worden sei. Denn das betreute Einzelwohnen habe erst mehrere Tage nach dem Auszug aus der Klinik begonnen und die Leistungsempfängerin habe vor der Aufnahme in die Klinik keinerlei Eingliederungshilfeleistungen bekommen. Daher sei der Beklagte der vorrangig zuständige Kostenträger für die streitgegenständlichen Leistungen.
18
Der Kläger fügte eine Kostenaufstellung für den streitgegenständlichen Zeitraum bei.
19
Mit Schriftsatz vom 16. März 2021 beantragte der Beklagte,
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die Klage abzuweisen,
21
und begründete seinen Antrag im Wesentlichen damit, dass zwar auch aus seiner Sicht ein Eingliederungshilfebedarf der Leistungsempfängerin aufgrund der drohenden seelischen Behinderung bestehe. Auch hinsichtlich des Hilfebedarfs, der Hilfeart und der Hilfeform bestehe Einverständnis. Im Gegensatz zum Kläger gehe der Beklagte jedoch davon aus, dass er nicht vorrangiger Leistungsträger sei, weil er nicht örtlich zuständig sei. Der Begriff „vor der Leistung“ sei unpräzise. Es handele sich um einen Zeitraum, für die Anknüpfung der örtlichen Zuständigkeit sei jedoch ein konkreter Zeitpunkt erforderlich. In dem Zeitpunkt, in dem über die Hilfe entschieden werden solle, müsse feststehen, welches Jugendamt hierfür zuständig sei. Daher müsse es auf den Zeitpunkt ankommen, in dem im Vorfeld der Leistungsgewährung die örtliche Zuständigkeit geprüft werden müsse. Dies sei dann der Fall, wenn Anlass zu einer solchen Prüfung bestehe. Dies sei vorliegend zu dem Zeitpunkt der Fall gewesen, in dem der Hilfebedarf festgestellt worden sei, nämlich angesichts der Ausführungen in den Berichten der C.-Klinik vom 11. November 2015 und 13. November 2015 spätestens während des Aufenthalts der Leistungsempfängerin in dieser Klinik. Würde der zuständigkeitsrelevante Zeitpunkt „vor Beginn der Leistung“ mit dem „Beginn der Leistung“, nämlich dem Zeitpunkt, ab dem die konkrete Hilfeleistung tatsächlich gegenüber dem Hilfeempfänger erbracht wird, gleichgesetzt, könnte ein Leistungsträger mit einer verzögerten Bearbeitung des Falls die örtliche Zuständigkeit manipulieren. Da sich die Leistungsempfängerin zu diesem Zeitpunkt in einer Einrichtung oder sonstigen Wohnform i.S.v. § 86a Abs. 2 SGB VIII aufgehalten habe, richte sich die örtliche Zuständigkeit nach deren gewöhnlichen Aufenthalt vor Aufnahme in die Einrichtung. Bis zur Aufnahme in die C.- Klinik am 25. August 2015 habe diese ihren gewöhnlichen Aufenthalt in H. im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen gehabt.
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Mit Beschluss vom 12. Oktober 2021 wurde der Landkreis M. zum Verfahren beigeladen.
23
Mit Schreiben vom 25. November 2021 schloss sich der Beigeladene der Rechtsauffassung des Klägers an. Die örtliche Zuständigkeit des Beklagten sei im streitgegenständlichen Zeitraum gegeben gewesen. Maßgeblich sei der gewöhnliche Aufenthalt der Leistungsempfängerin „vor Beginn der Leistung“. Diese habe zwischen der Entlassung aus der Klinik und der Aufnahme in das betreute Einzelwohnen und damit „vor Beginn der Leistung“ im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten ihren gewöhnlichen Aufenthalt begründet. Zwischen der Erziehungsbeistandschaft, die ihr vom Beigeladenen bis 6. Oktober 2014 gewährt worden sei und der streitgegenständlichen Eingliederungshilfe würden mehrere Monate liegen. Zudem sei kein Zusammenhang zwischen den Maßnahmen erkennbar.
24
Der Kläger teilte mit Schreiben vom 8. Januar 2025, das er mit Schreiben vom 15. Januar 2025 konkretisierte, der Beklagte mit Schreiben vom 13. Januar 2025 sowie der Beigeladene mit Schreiben vom 7. Januar 2025 mit, dass Einverständnis mit einer Entscheidung ohne mündliche Verhandlung bestehe.
25
Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakte sowie die vom Kläger, vom Beklagten sowie vom Beigeladenen vorgelegten Behördenakten verwiesen.

Entscheidungsgründe

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Das Gericht konnte im schriftlichen Verfahren entscheiden, da die Beteiligten auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet haben (§ 101 Abs. 2 VwGO).
27
Die zulässige Leistungsklage ist begründet. Der Kläger hat gegen den Beklagten einen Anspruch auf Erstattung der von ihm im streitgegenständlichen Zeitraum vom 26. November 2015 bis 19. März 2016 aufgewendeten Kosten für das betreute Einzelwohnen der Leistungsempfängerin in Höhe von 3.037,15 €.
28
Maßgeblicher Zeitpunkt für die Beurteilung der Sach- und Rechtslage ist der Zeitpunkt der anspruchsbegründenden Ereignisse oder Umstände (vgl. VGH BW, U.v. 23.2.2024 – 12 S 775/22 – juris Rn. 32). Hinsichtlich des materiellen Rechts ist daher maßgeblich auf die Rechtslage für den Zeitraum vom 26. November 2015 bis 19. März 2016 abzustellen (vgl. BVerwG, U.v. 19.10.2011 – 5 C 6/11 – juris Rn. 6). Die in dem vorliegenden Verfahren maßgeblichen Normen haben zwar zum Teil Abwandlungen erhalten, inhaltlich jedoch – soweit vorliegend relevant – keine entscheidungserhebliche Änderung erfahren. Das Gericht verzichtet daher aus Gründen der besseren Lesbarkeit und Nachvollziehbarkeit bei den nachfolgenden Bezugnahmen auf gesetzliche Regelungen auf den Zusatz der jeweils geltenden Fassung.
29
Der Kläger hat für den streitgegenständlichen Zeitraum einen Anspruch auf Kostenerstattung gegen den Beklagten gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X.
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Zu Recht ist zwischen den Parteien unstreitig, dass der Kläger vorliegend als nachrangig Verpflichteter geleistet hat und ein Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X gegenüber dem gemäß § 10 Abs. 4 Satz 1 SGB VIII vorrangig zuständigen Träger der Jugendhilfe besteht.
31
Hingegen kann der Kläger seinen Anspruch nicht – wie zunächst erfolgt – auf § 105 SGB X stützen, da er nicht als unzuständiger Leistungsträger handelte, sondern lediglich als nachrangig Verpflichteter. Zudem steht dem Kläger ein Anspruch gegen den Beklagten nicht auf Grund der Kooperationsvereinbarung im Rahmen der Eingliederungshilfe zwischen dem Kläger als überörtlichem Sozialhilfeträger und den Landkreisen und kreisfreien Städten in Oberbayern als örtliche Jugendhilfeträger vom 30. Juni 2010, die am 1. August 2010 in Kraft trat, zu. Wie das Gericht bereits mehrfach entschieden hat, ist diese Vereinbarung unwirksam, da die gesetzlichen Zuständigkeitsregelungen nicht durch solche Vereinbarung abbedungen werden können (vgl. zuletzt: VG München, U.v. 20.3.2024 – M 18 K 19.931 – juris Rn. 72).
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Der Anspruch des Klägers richtet sich gegen den Beklagten, da dieser für die Hilfegewährung im streitgegenständlichen Zeitraum gemäß § 86a Abs. 1 SGB VIII örtlich zuständig war.
33
Gemäß § 86a Abs. 1 SGB VIII ist für Leistungen an junge Volljährige der örtliche Träger zuständig, in dessen Bereich der junge Volljährige vor Beginn der Leistung seinen gewöhnlichen Aufenthalt hat.
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1. Diese Zuständigkeitsregelung wird vorliegend nicht durch die vorrangige Regelung § 86a Abs. 4 Satz 3 SGB VIII verdrängt. Der Beigeladene hatte für die Leistungsempfängerin Hilfe für junge Volljährige in Gestalt einer Erziehungsbeistandschaft gemäß § 41 SGB VIII i.V.m. § 30 SGB VIII bis 6. Oktober 2014 gewährt. Diese endete somit deutlich länger als drei Monate vor dem Beginn der streitgegenständlichen Hilfe für junge Volljährige ab November 2015.
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2. Zudem ist – entgegen der Ansicht des Beklagten – auch nicht gemäß § 86a Abs. 2 SGB VIII auf den gewöhnlichen Aufenthalt der Leistungsempfängerin vor ihrem Klinikaufenthalt in der C.-Klinik abzustellen, der im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen lag.
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Gemäß § 86a Abs. 2 SGB VIII ist für den Beginn der Leistung auf den Zeitpunkt vor der Aufnahme in die erste Einrichtung abzustellen, wenn sich der junge Volljährige in verschiedenen Einrichtungen aufgehalten hat und die Einrichtungsaufenthalte in einer ununterbrochenen Einrichtungskette nahtlos aneinander anschließen (vgl. BVerwG, U.v. 28.4.2016 – 5 C 13/15 – juris Rn. 16 f.; Lange in: Schlegel/Voelzke, juris-PK SGB VIII, 3. Auflage 2022, Stand: 5.4.2024, § 86a SGB VIII, Rn. 16 f. und Rn. 19; Eschelbach in: Münder/Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar SGB VIII, § 86a SGB VIII, 9. Auflage 2022, Rn. 2).
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Die Leistungsempfängerin befand sich zwar vom 25. August 2015 bis zum 19. November 2015 in einer Einrichtung i.S.v. § 86a Abs. 2 SGB VIII. Denn bei der C.-Klinik handelt es sich um eine „spezialisierte Fachklinik für Psychosomatik“ und die Leistungsempfängerin hielt sich dort im Rahmen eines „stationären psychiatrischen/psychotherapeutischen/psychosomatischen Klinikaufenthalts“ auf. Allerdings folgte hierauf nicht unmittelbar ein Aufenthalt in einer weiteren Einrichtung oder sonstigen Wohnform i.S.v. § 86a Abs. 2 SGB VIII, so dass – wie der Kläger zu Recht annimmt – keine durchgehende Einrichtungskette i.S.v. § 86a Abs. 2 SGB VIII vorlag. Denn bei dem streitgegenständlichen – ausschließlich ambulant erbrachten – betreuten Einzelwohnen der Leistungsempfängerin, das am 24. November 2015 begann, handelt es sich nicht um eine Wohnform i.S.v. § 86a Abs. 2 SGB VIII (vgl. Ernst-Wilhelm Luthe in: Hauck/Noftz SGB XII, 4. Ergänzungslieferung 2025, § 13 SGB XII Rn. 70). Mit dem Verlassen der Klinik am 19. November 2015 endete damit die Bestimmung der örtlichen Zuständigkeit nach § 86a Abs. 2 SGB VIII (BeckOGK/Richter, 1.2.2025, SGB VIII, § 86a Rn. 8, beck-online).
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3. Daher richtet sich die örtliche Zuständigkeit vorliegend gemäß § 86a Abs. 1 SGB VIII nach dem gewöhnlichen Aufenthalt der Leistungsempfängerin vor Beginn der Leistung.
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Nach Ansicht des Gerichts liegt der Zeitpunkt „vor Beginn der Leistung“ vorliegend unmittelbar vor dem Start des betreuten Einzelwohnens am 24. November 2025, als die Leistungsempfängerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt bereits im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten begründet hatte.
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3.1. Soweit der Beklagte die Rechtsansicht vertritt, dass als Zeitpunkt „vor Beginn der Leistung“ stattdessen ein vorgelagerter Zeitpunkt während des Aufenthalts der Leistungsempfängerin in der C.-Klinik und somit in einer Einrichtung i.S.v. § 86a Abs. 2 SGB VIII anzusehen sei, so dass für die örtliche Zuständigkeit ihr gewöhnlicher Aufenthalt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen vor diesem Klinikaufenthalt maßgeblich sei, überzeugt dies nicht.
41
a) Diese Rechtsauffassung findet keine Stütze in der höchstrichterlichen Rechtsprechung.
42
Das Bundesverwaltungsgericht hat sich mit dem Begriff „Beginn der Leistung“ näher befasst. Dieses führte hierzu in seinem Urteil vom 19. Oktober 2011 (5 C 25/10 – juris Rn. 17 ff.) insbesondere aus, dass „Beginn der Leistung“ i.S.v. § 86 SGB VIII das Einsetzen der Hilfegewährung und damit grundsätzlich der Zeitpunkt sei, ab dem die konkrete Hilfeleistung tatsächlich gegenüber dem Hilfeempfänger erbracht wird. Das Bundesverwaltungsgericht schloss sich damit ausdrücklich nicht der Rechtsansicht der Vorinstanz an, die sich dafür ausgesprochen hatte, den Begriff des „Beginns der Leistung“ auf das Vorfeld der tatsächlichen Leistungsgewährung auszudehnen und auf den Zeitpunkt abzustellen, zu dem ein Antrag auf Jugendhilfeleistungen gestellt bzw. die örtliche Zuständigkeit vom Leistungsträger erstmals geprüft wird. Denn mit der Beantragung einer Leistung beginne diese – insbesondere aus der Sicht des (potenziellen) Leistungsempfängers – aus Sicht des Bundesverwaltungsgerichts noch nicht. Vielmehr werde damit regelmäßig nur die Prüfung durch das Jugendamt in Gang oder fortgesetzt, ob eine solche und – wenn ja – welche konkrete Leistung der Jugendhilfe zu gewähren ist. Gleiches gelte, wenn ein Jugendhilfeträger davon Kenntnis erlangt, dass ein jugendhilferechtlicher Bedarf besteht und infolgedessen seine Zuständigkeit und Leistungsverpflichtung prüft. Auch in diesem Fall sei die Leistungsgewährung (oder -versagung) erst das Ergebnis der Prüfung durch das Jugendamt. Entgegen der Auffassung der Vorinstanz könne deshalb der Beginn der Leistung nicht mit dem Beginn des Verwaltungsverfahrens (im Sinne von § 18 SGB X) oder mit dem Zeitpunkt gleichgesetzt werden, zu dem eine Prüfung der örtlichen Zuständigkeit erstmals stattzufinden hat. Dem Argument für diese (und jede andere) „Vorverlagerung“ – das hinsichtlich des Begriffs „vor Beginn der Leistung“ vorliegend auch der Beklagte anführte –, dass ansonsten eine verzögerte Behandlung des Falles durch das Jugendamt dazu führen könne, dass sich der zuständigkeitsbestimmende Zeitpunkt (etwa bei einem bevorstehenden Umzug der maßgeblichen Personen) verschieben lasse, ist das Bundesverwaltungsgericht ausdrücklich nicht gefolgt. Es führte vielmehr aus, die Möglichkeit des Missbrauchs im Einzelfall könne es jedenfalls nicht rechtfertigen, dem Begriff des Leistungsbeginns generell einen mit seinem Wortlaut nicht zu vereinbarenden Sinn zuzuschreiben. Ob für den Fall, dass eine objektive Verzögerung der Leistungsbewilligung bzw. eine im Anschluss an eine Bewilligung verzögerte tatsächliche Gewährung durch den Jugendhilfeträger feststellbar ist und dies zu einer anderen Zuständigkeit bzw. Kostenträgerschaft führen würde, von dem grundsätzlich maßgeblichen Zeitpunkt der tatsächlichen Leistungsgewährung eine Ausnahme zu machen sei, bedürfe keiner Klärung. Denn in dem vom Bundesverwaltungsgericht entschiedenen Fall liege ein Fall einer (die Zuständigkeit beeinflussenden) Verzögerung nicht vor.
43
Angesichts dessen ist vorliegend als „Beginn der Leistung“ der Zeitpunkt des Starts des betreuten Einzelwohnens der Leistungsempfängerin in der Wohnung ihres damaligen Lebensgefährten am 24. November 2015 anzusehen. Auch für eine bewusste Verzögerung ist im vorliegenden Fall nichts ersichtlich, so dass – wie in der o.g. Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts – nicht entscheidungserheblich ist, ob in diesem Fall ein anderer Zeitpunkt maßgeblich sein könnte.
44
Das Bundesverwaltungsgericht nimmt auch gerade keine Differenzierung zwischen dem Terminus „Beginn der Leistung“ und „vor Beginn der Leistung“ vor (vgl. dazu z.B. Richter in: BeckOnline Grosskommentar, Stand 1.2.2025, § 86 SGB VIII, Rn. 21; Eschelbach in: Münder/ Meysen/Trenczek, Frankfurter Kommentar, SGB VIII, 9. Auflage 2022, § 86 SGB VIII, Rn. 13). Daher ist davon auszugehen, dass auch für den Begriff „vor Beginn der Leistung“ maßgeblich ist, an welchem Ort sich der jeweilige Leistungsempfänger unmittelbar vor „Beginn der Leistung“ aufhielt (zu diesem Unmittelbarkeitserfordernis: siehe z.B. Kunkel/Kepert/Pattar, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 8. Auflage 2022, § 86a SGB VIII, Rn. 1).
45
b) Selbst wenn man, wie teilweise in der Literatur (vgl. z.B.: Wiesner/Wapler, SGB VIII, Kinder- und Jugendhilfe, 6. Auflage 2022, § 86 SGB VIII, Rn. 18) vertreten wird, zwar nicht für den Begriff „Beginn der Leistung“, aber zumindest für den Begriff „vor Beginn der Leistung“ davon ausgehen würde, dass der Zeitpunkt maßgeblich ist, zu dem der Leistungsempfänger einen Antrag stellt oder zu dem das Jugendamt in einer Weise Kenntnis vom Hilfebedarf erlangt, die es veranlassen musste, den Sachverhalt zu ermitteln, würde dies vorliegend aus Sicht des Gerichts zu keiner abweichenden Einschätzung führen.
46
Es ist bereits unklar, welchen konkreten Zeitpunkt der Beklagte vorliegend in Anlehnung an diese Literaturmeinung für maßgeblich hält.
47
Der Beklagte führte hierzu in der Klageerwiderung vom 16. März 2021 aus, dass es auf den Zeitpunkt ankommen müsse, in dem im Vorfeld der Leistungsgewährung die örtliche Zuständigkeit geprüft werden müsse. Dies sei dann der Fall, wenn Anlass zu einer solchen Prüfung bestehe. Dies sei vorliegend zu dem Zeitpunkt der Fall gewesen, in dem der Hilfebedarf festgestellt worden sei, nämlich angesichts der Ausführungen in den Berichten der C.-Klinik vom 11. November 2015 und 13. November 2015 spätestens während des Aufenthalts der Leistungsempfängerin in dieser Klinik.
48
Aus diesen Ausführungen ergibt sich nicht hinreichend nachvollziehbar, ob der Beklagte meint, dass allein schon die Feststellung des Hilfebedarfs durch die C.-Klinik maßgeblich für den Zeitpunkt „vor Beginn der Leistung“ sein soll oder ob er stattdessen im Sinne der obigen Literaturmeinung darauf abstellen will, dass ein Leistungsträger bereits während des Klinikaufenthalts in einer Weise Kenntnis vom Hilfebedarf erlangt haben könnte, die ihn zu diesem Zeitpunkt zur Prüfung der örtlichen Zuständigkeit hätte veranlassen müssen.
49
Letztlich könnte keines dieser beiden Argumente vorliegend dazu führen, dass als Zeitpunkt „vor Beginn der Leistung“ bereits ein Zeitpunkt während des Aufenthalts der Antragstellerin der C.-Klinik anzusehen wäre.
50
Denn eine Kenntnis bei den Leistungsträgern über den Hilfebedarf der Leistungsempfängerin erfolgte erst am 26. November 2015, als die Anzeige des Leistungserbringers über den Beginn der Hilfe am 24. November 2015 gegenüber dem Kläger erfolgte. Dementsprechend wurde die Hilfe auch unter Bezugnahme auf § 18 SGB XII erst ab diesem Datum gewährt. In den, dem Gericht vorliegenden, Behördenakten finden sich auch keinerlei Hinweise dafür, dass (irgend-)ein Leistungsträger (vgl. Kenntniszurechnung nach § 18 SGB XII) vor diesem Zeitpunkt tatsächlich Kenntnis von dem Hilfebedarf hatte.
51
Auch die Argumentation des Beklagten dahingehend, dass aufgrund näher dargestellter Ausführungen zum zukünftigen Hilfebedarf der Leistungsempfängerin im ärztlichen Bericht der C.-Klinik vom 11. November 2015 sowie im Sozialbericht der C.-Klinik vom 13. November 2015 davon auszugehen sei, dass deswegen spätestens während des Klinikaufenthalts der Leistungsempfängerin der Hilfebedarf festgestellt worden sei, kann zu keiner „Vorverlagerung“ des Zeitpunkts „vor Beginn der Leistung“ führen. Denn hierbei handelt es sich lediglich um Einschätzungen der Klinik. Zwar scheint dies bereits zu einer Kontaktaufnahme und offenbar auch Beauftragung des Leistungserbringers C. geführt zu haben, da anders die Anzeige des Leistungserbringers C. über den bereits erfolgten Hilfestart am 24. November 2015 nicht zu erklären ist. Allerdings ist dies offensichtlich ohne Einschaltung der zuständigen Leistungsträger erfolgt. Dass eine Feststellung des Hilfebedarfs durch einen Dritten ohne Beteiligung der Leistungsträger zu der vom Beklagten vertretenen Vorverlagerung des maßgeblichen Zeitpunkts „vor der Leistung“ führen kann, überzeugt nicht und wird auch in der oben dargestellten Literaturmeinung nicht vertreten.
52
3.2. Zu dem somit für die örtliche Zuständigkeit maßgeblichen Zeitpunkt unmittelbar vor dem Start des betreuten Einzelwohnens am 24. November 2015 hatte die Leistungsempfängerin ihren gewöhnlichen Aufenthalt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten.
53
Denn die Leistungsempfängerin hat spätestens mit ihrem Einzug am 19. November 2015 in die Wohnung ihres damaligen Lebensgefährten ihren gewöhnlichen Aufenthalt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten begründet.
54
Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (z.B. BVerwG, U.v. 2.4.2009 – 5 C 2/08 – juris Rn. 22, m.w.N.) ist für den gewöhnlichen Aufenthalt im SGB VIII grundsätzlich die Legaldefinition des § 30 Abs. 3 Satz 2 SGB I maßgeblich. Danach hat eine Person ihren gewöhnlichen Aufenthalt an dem Ort, an dem sie sich unter Umständen aufhält, die erkennen lassen, dass sie an diesem Ort oder in diesem Gebiet nicht nur vorübergehend verweilt. Insoweit kommt es darauf an, dass sich die Person an einem Ort oder in einem bestimmten Gebiet bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhält und dort den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hat. Kennzeichnend hierfür ist eine gewisse Verfestigung der Lebensverhältnisse an einem bestimmten Ort, die im Einzelfall unter Berücksichtigung der tatsächlichen Verhältnisse im Wege einer in die Zukunft gerichteten Prognose zu bestimmen ist (vgl. BVerwG, U.v. 30.9.2009 – 5 C 18/08 – juris Rn. 20, m.w.N.; BVerwG, U.v. 2.4.2009 – 5 C 2/08 – juris Rn. 24).
55
Vorliegend ergibt sich angesichts der aus den Akten erkennbaren Umstände hinreichend deutlich, dass die Leistungsempfängerin bei einer in die Zukunft gerichteten Prognose bereits vor dem 24. November 2015 nicht nur vorübergehend im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten verweilte, sondern sich dort bereits bis auf Weiteres im Sinne eines zukunftsoffenen Verbleibs aufhielt und dort den Mittelpunkt ihrer Lebensbeziehungen hatte.
56
Laut Auskunft der Meldebehörden meldete die Leistungsempfängerin bereits zum 1. November 2015 – und somit mehrere Wochen vor ihrer Entlassung aus der C.-Klinik – ihren Hauptwohnsitz von der Wohnung ihrer Mutter im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen in die Wohnung ihres damaligen Lebensgefährten im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten um. Dort hatte sie dann bis zum 1. August 2016 ihre einwohnermelderechtliche Hauptwohnung. Zudem bewilligte das Jobcenter, das im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten liegt, der Leistungsempfängerin mit Bescheid vom 17. November 2015 Leistungen zur Sicherung des Lebensunterhalts für den Zeitraum ab 1. November 2015. Die Leistungsempfängerin hielt sich laut ihrer Auskunft gegenüber dem Beklagten vom 19. Februar 2016 seit dem 19. November 2015, also dem Tag ihrer Entlassung aus der C.-Klinik, auch tatsächlich in der o.g. Wohnung ihres damaligen Lebensgefährten auf. Schließlich wurde im Sozialbericht der C.-Klinik vom 13. November 2015 insbesondere ausgeführt, dass die Leistungsempfängerin aktuell ihren Wohnort zu ihrem Partner nach E. verlegt habe, da eine Rückkehr in die häusliche Umgebung zu belastend für sie wäre. Zielsetzung bei ihr sei betreutes Einzelwohnen.
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Angesichts dessen ist davon auszugehen, dass die Leistungsempfängerin spätestens durch den Umzug am 19. November 2015 bewusst ihren bisherigen gewöhnlichen Aufenthalt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beigeladenen aufgeben wollte und eine bewusste Entscheidung für einen „Neustart“ an einem neuen Ort traf, um künftig nicht mehr den Belastungen ihres bisherigen häuslichen Umfelds ausgesetzt zu sein.
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Da die Leistungsempfängerin damit unmittelbar „vor Beginn der Leistung“ am 24. November 2015 ihren gewöhnlichen Aufenthalt im örtlichen Zuständigkeitsbereich des Beklagten begründet hatte, war somit für den streitgegenständlichen Zeitraum der Beklagte und nicht der Beigeladene der örtlich zuständige Jugendhilfeträger.
59
Daher steht dem Kläger der geltend gemachte Erstattungsanspruch gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X für den streitgegenständlichen Zeitraum vom 26. November 2015 bis 19. März 2016 gegen den Beklagten zu.
60
Der Anspruch gemäß § 104 Abs. 1 Satz 1 SGB X ist auch nicht gemäß § 111 SGB X ausgeschlossen, da er vom Kläger gegenüber dem Beklagten rechtzeitig geltend gemacht wurde.
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Leistung i.S.v. § 111 Satz 1 SGB X ist vorliegend das betreute Einzelwohnen der Leistungsempfängerin im Zeitraum bis zum 31. Juli 2016 (siehe Abmeldeanzeige des Leistungserbringers C. vom 19. August 2016). Somit begann die Jahresfrist gemäß § 111 SGB X am 1. August 2016 und endete am 31. Juli 2017. Gegenüber dem Beklagten machte der Kläger den Kostenerstattungsanspruch erstmalig mit Schreiben vom 27. Januar 2016 geltend, also vor Ablauf der Frist des § 111 SGB X, die zu diesem Zeitpunkt noch nicht einmal begonnen hatte. Insoweit ist auch unerheblich, dass der Kläger in seinen Schreiben zur Anmeldung des Kostenerstattungsanspruchs vom 27. Januar 2016 und 14. November 2016 seinen Anspruch noch auf die Rechtsgrundlage des § 105 SGB X gestützt hat (s.o.). Denn die falsche Bezeichnung der Rechtsgrundlage ist in Bezug auf die Frist des § 111 SGB X vorliegend unschädlich, da an das Geltendmachen keine überzogenen formalen Anforderungen zu stellen sind. Den o.g. Schreiben lassen sich hinreichend konkret der Rechtssicherungswille und das Erstattungsbegehren sowie die wesentlichen Umstände des Erstattungsanspruchs entnehmen (vgl. hierzu: OVG M-V, U.v. 28.8.2018 – 1 L 133/14 – juris Rn. 43; BayLSG, U.v. 16.11.2017 – L 8 SO 284/16 – juris Rn. 31).
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Mangels Erhebung der Einrede der Verjährung durch den Beklagten kann dahinstehen, ob der Anspruch hinsichtlich eines Teils des streitgegenständlichen Zeitraums gemäß § 113 SGB X verjährt gewesen sein könnte, da diese nicht von Amts wegen zu berücksichtigen wäre (vgl. BayVGH, B.v. 30.7.2019 – 12 BV 16.2545 – juris Rn. 52).
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Der Umfang des Kostenerstattungsanspruchs beläuft sich nach der vorgelegten Kostenaufstellung auf 3.037,15 €. Anhaltspunkte für einen Fehler in dieser Berechnung liegen nicht vor und hat der Beklagte auch nicht geltend gemacht.
64
Der Kläger hat weiter ein Anspruch auf Prozesszinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz aus 3.037,15 € ab Rechtshängigkeit. Dies ergibt sich in entsprechender Anwendung von §§ 291 Satz 1 und Satz 2, 288 Abs. 1 Satz 2 BGB (vgl. BVerwG, U.v. 22.2.2001 – 5 C 34/00 – juris Rn. 10).
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Der Klage war somit stattzugeben.
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Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit des Urteils und die Abwendungsbefugnis haben ihre Rechtsgrundlage in § 167 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. VwGO.