Inhalt

VG Würzburg, Urteil v. 10.07.2025 – W 5 K 24.1492
Titel:

Baugenehmigung für eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge, Klage der Gemeinde gegen Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, faktisches Gewerbegebiet, faktisches Industriegebiet, Wahrung gesunder Wohnverhältnisse, Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung

Normenketten:
BayBO Art. 60
BayBO Art. 67
BayBO Art. 68 Abs. 1 S. 1 Halbs. 1
BauGB § 34 Abs. 1 S. 1
BauGB § 34 Abs. 2
BauGB § 36
BauGB § 246 Abs. 10
BauGB § 246 Abs. 13a
Schlagworte:
Baugenehmigung für eine Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge, Klage der Gemeinde gegen Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens, faktisches Gewerbegebiet, faktisches Industriegebiet, Wahrung gesunder Wohnverhältnisse, Einfügen nach dem Maß der baulichen Nutzung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18882

Tenor

I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Verfahrens zu tragen. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Aufwendungen selbst.
III. Das Urteil ist wegen der Kosten vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, wenn nicht der Beklagte vorher in gleicher Höhe Sicherheit leistet.

Tatbestand

1
Die Klägerin wendet sich als Standortgemeinde gegen eine unter Ersetzung ihres Einvernehmens erteilte Baugenehmigung des Landratsamts H. betreffend den Neubau einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge.
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1. Die Beigeladenen sind Pächter des 3.514 m² großen Grundstücks Fl.Nr. …7 der Gemarkung H …, M …  in H … (Baugrundstück), welches sich im Osten der Stadt H … im unbeplanten Innenbereich befindet. Das Baugrundstück liegt innerhalb des mit Verordnung festgesetzten Wasserschutzgebietes zur Sicherung der öffentlichen Wasserversorgung der Stadt H … (Verordnung des Landratsamtes H. über das Wasserschutzgebiet in den Gemarkungen H … und A … (Stadt H …) sowie der Gemarkung Z … (Stadt Z.) für die öffentliche Wasserversorgung der Stadt H … vom …2002, VO-Nr. …) und teilweise innerhalb des amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebiets des Mains.
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Mit Bauantrag aus November 2023, eingegangen beim Landratsamt H am 8. November 2023 und ergänzt mit E-Mail vom 19. März 2024, vom 17. und 22. Juli 2024, beantragten die Beigeladenen eine Baugenehmigung für den „Neubau einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge im W … ‘M …‘ in Modulbauweise“ auf dem Baugrundstück. Die Planung beinhaltete die Errichtung von insgesamt 20 Wohncontainern, wovon 14 Container eingeschossig und die restlichen sechs Container zweigeschossig ausgestaltet sein sollten. Darüber hinaus war die Aufstellung eines Müllhäuschens sowie eines als „Technik/Lager/Büro“-Raum genutzten Containers und die Errichtung von sieben Stellplätzen auf dem Baugrundstück geplant.
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Die Klägerin versagte mit Stellungnahme vom 28. November 2023 das gemeindliche Einvernehmen.
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Der Fachbereich Immissionsschutz des Landratsamts Haßberge erklärte mit fachtechnischer Stellungnahme vom 8. Januar 2024, dass durch die zusätzlichen Immissionsorte auf dem Baugrundstück bzw. die Wohnraumnutzung sowohl die umliegenden gewerblichen Flächen als auch die vorhandenen Wohnnutzungen immissionsschutzrechtlich und -technisch nicht maßgeblich eingeschränkt würden. Von Seiten des Immissionsschutzes gebe es zu dem Bauantrag keine grundsätzlichen Bedenken.
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Mit Schreiben vom 6. Juni 2024 teilte das Landratsamt Haßberge der Klägerin mit, dass das Bauvorhaben nach seiner Rechtsauffassung genehmigungsfähig sei. Es handele sich um ein baurechtlich zulässiges Vorhaben im unbeplanten Innenbereich. Die nähere Umgebung sei im vorliegenden Fall einem faktischen Gewerbegebiet (§ 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO) zuzuordnen. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Gemeinschaftsunterkunft ergebe sich hier aus § 246 Abs. 10 BauGB, sodass die Gebietsverträglichkeit in einem faktischen Gewerbegebiet als gegeben anzusehen sei. Öffentliche Belange bzw. nachbarliche Interessen stünden dem Vorhaben im vorliegenden Fall nicht entgegen. Das Landratsamt Haßberge beabsichtige daher, das gemeindliche Einvernehmen zu ersetzen. Es wurde der Klägerin Gelegenheit gegeben, sich bis zum 5. Juli 2024 zu dieser Maßnahme zu äußern.
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Mit Stellungnahme vom 20. Juni 2024 versagte die Klägerin daraufhin erneut ihr gemeindliches Einvernehmen.
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2. Mit Bescheid vom 2. August 2024 erteilte das Landratsamt H. den Beigeladenen die beantragte Baugenehmigung (Ziff. I) unter Erteilung einer Befreiung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung gemäß § 246 Abs. 10 BauGB (Ziff. IV) sowie unter Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens (Ziff. V).
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt: Rechtsgrundlage der mit diesem Bescheid erteilten Baugenehmigung sei Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO. Das Bauvorhaben füge sich nach der Art – in Verbindung mit der Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB – und dem Maß der baulichen Nutzung, seiner Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werde solle, in die Eigenart der näheren Umgebung ein. Die Erschließung sei gesichert. Das Baugrundstück Fl.Nr. …7, Gemarkung H …, liege nicht im Geltungsbereich eines Bebauungsplanes, sondern befinde sich im unbeplanten Innenbereich nach § 34 BauGB. Nachbarschützende Vorschriften des Bauplanungsrechts würden durch die erteilte Baugenehmigung nicht verletzt. Ein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch liege nicht vor. Aufgrund der gemäß § 246 Abs. 10 BauGB erteilten Befreiung sei die genehmigte Art der baulichen Nutzung als Asylbewerberunterkunft zulässig. Für das Vorhabengrundstück und dessen nähere Umgebung sei hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung von einem faktischen Gewerbegebiet (§ 34 Abs. 2 Halbs. 1 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO) auszugehen. Flüchtlingsunterkünfte würden in der Rechtsprechung regelmäßig als „Anlage für soziale Zwecke“ eingestuft, welche in einem (faktischen) Gewerbegebiet nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO nur ausnahmsweise zulässig seien und regelmäßig aufgrund des wohnähnlichen Charakters an der Gebietsverträglichkeit scheiterten. Nach § 246 Abs. 10 BauGB könnten im Wege einer Befreiung derartige Unterkünfte auch in Gewerbegebieten zulässig sein, wenn sie ausnahmsweise zugelassen werden könnten sowie die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar sei. Die Voraussetzungen des § 246 Abs. 10 BauGB lägen vor. In der Umgebung des Baugrundstückes fänden sich neben einigen Wohnhäusern (Fl.Nrn. …1, …4, …9, …1, …1) mehrere S …- … sowie dazugehörige Lagerhallen bzw. R …- und S … (Fl.Nrn. …4, …1, …5, …5). Nächtliche immissionsrelevante Tätigkeiten seien bei diesen Betrieben nicht vorgesehen. Auch unter Zugrundelegung der Beurteilung des Vorhabens durch den Fachbereich Immissionsschutz könne kein Verstoß gegen den Gebietserhaltungsanspruch bzw. das Rücksichtnahmegebot festgestellt werden. Insbesondere sei nicht zu befürchten, dass sich die Gemeinschaftsunterkunft negativ auf umliegende Betriebe auswirke oder diesen Einschränkungen durch die hier genehmigte wohnähnliche Nutzung drohten. Das faktische Gewerbegebiet werde durch einige vorhandene Wohnnutzungen bereits eingeschränkt. Auch gebe es keinerlei Gründe anzunehmen, dass die Asylbewerber bzw. Flüchtlinge die umliegenden Betriebe stören würden. Auch öffentliche Belange stünden einer Befreiung nicht entgegen. Insbesondere seien gesunde Wohnverhältnisse gewahrt. Für die Unterbringung von Flüchtlingen kämen Gewerbegebiete vor allem dann in Betracht, wenn sie eher durch ruhiges Gewerbe, weniger hingegen durch Produktionsbetriebe, in denen insbesondere auch nachts immissionsrelevante Tätigkeiten stattfänden, geprägt seien. Solche Tätigkeiten fänden indes nicht statt. Daher sei nach pflichtgemäßem Ermessen die Befreiung nach § 246 Abs. 10 BauGB zu erteilen. Da die tatbestandlichen Voraussetzungen der Norm gegeben seien, bestehe lediglich ein Ermessensrest, der hauptsächlich städtebauliche Gründe betreffe. Da die Klägerin, obwohl sie das Einvernehmen nicht erteilt habe, im gesamten Verfahren keine städtebaulichen Gründe dargetan habe und solche nicht ersichtlich seien, habe die Befreiung ausgesprochen können bzw. müssen. Das Baugrundstück der geplanten Flüchtlingsunterkunft liege teilweise im festgesetzten Überschwemmungsgebiet des Mains. Belange des Hochwasserschutzes seien kein relevantes Kriterium bei der Frage, ob sich das Bauvorhaben nach baurechtlichen Gesichtspunkten in die Umgebung einfüge. Lediglich könnten die Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse berührt werden. Die Belange des Hochwasserschutzes seien im gesondert beantragten wasserrechtlichen Verfahren zur Erteilung einer Ausnahmegenehmigung gem. § 78 Abs. 5 WHG geprüft worden. Eine Genehmigung habe aufgrund der hochwasserangepassten Bauweise sowie dem Erlass entsprechender Auflagen hierbei erteilt werden können. Somit erschienen aus bauplanungsrechtlicher Sicht die Belange des Hochwasserschutzes ausreichend gewürdigt.
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3. Die Klägerin ließ durch ihre Bevollmächtigte am 4. September 2024 Klage erheben mit dem Antrag:
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Der Bescheid des Beklagten vom 2. August 2024, Az. …  …  … …, wird aufgehoben.
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Zur Begründung führte die Klägerbevollmächtigte im Wesentlichen aus: Nach Art. 67 BayBO sei die Ersetzung des Einvernehmens nur zulässig, wenn das erforderliche Einvernehmen rechtswidrig versagt werde und ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Genehmigung bestehe. Diese Voraussetzungen lägen hier nicht vor. Soweit der streitgegenständliche Bescheid davon ausgehe, dass die Eigenart der näheren Umgebung einem faktischen Gewerbegebiet entspreche, sei dies erheblich anzuzweifeln. In der unmittelbaren Umgebung des Baugrundstücks fänden sich S … und A …, die typischerweise erheblich belästigend und daher im Gewerbegebiet bauplanungsrechtlich unzulässig seien. Anhaltspunkte dafür, dass vorliegend atypische Betriebsformen vorliegen würden, die eine Einstufung als nicht wesentlich störende Betriebe jenseits der typisierenden Betrachtungsweise rechtfertigen würden, lägen nicht vor. Die formellen Vorgaben des Immissionsschutzrechts könnten insoweit nicht herangezogen werden. Vielmehr habe sich die typisierende Betrachtungsweise daran zu orientieren, ob bestimmte Typen von Betrieben nach allgemeiner Lebenserfahrung erhöhtes Störpotential innehätten. Tatsächlich wiesen die vorhandenen Betriebe typisierend ein ganz beträchtliches Störpotenzial auf, das einer Einstufung als faktisches Gewerbegebiet ebenso wie die Gewährleistung gesunder Wohnverhältnisse ausschließe. Hieran ändere auch die Tatsache nichts, dass in der näheren Umgebung (auch) eine Wohnnutzung stattfinde: Diese beschränke sich nach Kenntnis der Klägerin auf Betriebsleiterwohnen; diese Nutzung sei im (faktischen) Industriegebiet nach § 9 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO zumindest ausnahmsweise zulässig. Im (auch faktischen) Industriegebiet seien Flüchtlingsunterkünfte grundsätzlich gebietsunverträglich. Selbst wenn im konkreten Einzelfall eine Einstufung als faktisches Industriegebiet ausscheiden würde, so wäre dann von einer Gemengelage auszugehen, die Merkmale eines Industrie- und Gewerbegebietes beinhalte und in der eine Flüchtlingsunterkunft als wohnähnliche Nutzung gebietsunverträglich wäre. Aber selbst wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem faktischen Gewerbegebiet entspreche, habe die Befreiung nicht rechtmäßig erteilt werden dürfen. Durch das Vorhaben drohten Einschränkungen und damit Beeinträchtigungen der benachbarten Gewerbe- und Industriebetriebe insbesondere im Hinblick auf den Immissionsschutz, aber auch mit Blick auf Sicherheitsbedenken und die Hochwassergefährdung. Außerdem stehe der Begünstigungsnorm des § 246 Abs. 10 BauGB die Subsidiaritätsklausel des § 246 Abs. 13a BauGB entgegen, die voraussetze, dass dringend benötigte Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden könnten. Mit dieser Anforderung setze sich die Begründung des angegriffenen Bescheides an keiner Stelle auseinander. Dies gelte auch bei Berücksichtigung der nachgereichten Stellungnahme der Regierung von Unterfranken vom 31. Oktober 2024, da aufgrund der Rückläufigkeit der Flüchtlingszahlen bereits ein dringender Bedarf zu hinterfragen sei. Außerdem sei festzustellen, dass die Örtlichkeit für die Unterbringung von Flüchtlingen ungeeignet sei. Das Areal liege abseits des Ortsgebietes mitten im Gewerbegebiet. Eine direkte Anbindung an „bewohnte“ Bereiche mit entsprechenden Versorgungsangeboten (Ärzte, Behörden, Schulen etc.) gebe es nicht.
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Auch nach dem Maß der baulichen Nutzung füge sich das Vorhaben mit Blick auf die Grundfläche nicht in die nähere Umgebung ein. Zwar hielten sich die Module des Vorhabens einzeln betrachtet sicherlich innerhalb des Rahmens, der durch die prägende Umgebung vorgegeben werde. Allerdings vermittle die Unterkunft nach außen den Eindruck eines einheitlichen Vorhabens und Gebäudes, das letztlich nahezu die gesamte Grundstücksfläche von 3.514 m² umfasse. Ein Referenzobjekt mit vergleichbarer Grundfläche finde sich in der gesamten Umgebung nicht. Mit dem geplanten Vorhaben solle eine nach Außen deutlich erkennbare höhere Bebauungsdichte realisiert werden als dies auf den Grundstücken in der näheren Umgebung der Fall sei. Die maßgebliche nähere Umgebung des Bauvorhabens zeichne sich durch eine im Verhältnis zu den jeweiligen Grundstücksflächen für ein Gewerbegebiet eher kleinteilige Bebauung mit großen Freiflächen aus. Es bestünden auch Bedenken, ob sich das Bauvorhaben nach der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung einfüge. Vorliegend könne von einer faktischen vorderen Baugrenze ausgegangen werden. Das Bauvorhaben halte demgegenüber keinen Abstand zur südlichen Grundstücksgrenze ein. Aufgrund der massiven baulichen Verdichtung unter Verlust von Freiflächen könne dem Vorhaben auch eine unerwünschte Vorbildwirkung und die damit verbundene Erzeugung von bodenrechtlichen Spannungen durch die – hierdurch eröffnete – mögliche Nachverdichtung in der maßgeblichen Umgebung nicht abgesprochen werden.
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Außerdem seien keine gesunden Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt. Soweit das Landratsamt seine Prüfung auf Geräuschimmissionen beschränke, erschließe sich dies nicht. In unmittelbarer Nähe zum Vorhabengrundstück befänden sich zahlreiche Betriebe, von denen insbesondere auch Rauch- und Staubimmissionen ausgingen. Zwar sei zutreffend, dass in der näheren Umgebung des Baugrundstücks Wohnnutzung vorhanden sei, dies allerdings ausschließlich im Rahmen eines weniger schutzwürdigen Betriebsleiterwohnens in Zusammenhang mit den vorhandenen gewerblichen bzw. industrielle Nutzungen. Außerdem sei das Baugrundstück umgeben von Schrott- und Recyclingbetrieben, die ein erhebliches Emissionspotenzial hätten und dieses auch nutzten. Nach Kenntnis der Klägerin sei der Betrieb zumindest nicht überall auf die Tagzeit und auch nicht überall auf die Immissionsrichtwerte der TA Lärm beschränkt. Hinzu komme die Geräuschbelastung, die (besonders tagsüber) von verschiedenen umliegenden Betrieben in Summe auf das Baugrundstück einwirke. Es sei auch von einem nicht unerheblichen Gefahrenpotential auszugehen, das in einem Industriegebiet oder auch einem industriell geprägten Gewerbegebiet zwar üblich sei, mit den Sicherheitsanforderungen einer Flüchtlingsunterkunft aber erheblich kollidiere. Das Vorhaben verstoße auch gegen das Gebot der Rücksichtnahme, da durch den Standort im unbeplanten Innenbereich Hochwassergefahren für Grundstücke in der näheren Umgebung verursacht oder in nicht zumutbarer Weise erhöht würden. Insoweit wurde auf den Vortrag im Parallelverfahren Az. W 4 K 24.1490 (Klage gegen die Genehmigung nach § 78 Abs. 5 WHG für die Errichtung baulicher Anlagen) verwiesen. Weiterhin bestehe kein Rechtsanspruch auf eine Erteilung der Genehmigung. Ein Fall der Ermessensreduzierung auf Null komme hier – wie in der Begründung des Bescheides ebenfalls dargelegt werde – nicht in Betracht.
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4. Das Landratsamt H. stellte für den Beklagten den Antrag,
die Klage abzuweisen.
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Zur Begründung wurde auf den angegriffenen Bescheid verwiesen und ergänzend im Wesentlichen vorgebracht: Aufgrund der gesetzlichen Bestimmung des § 34 i.V.m. § 246 Abs. 10 BauGB habe die Baugenehmigung in rechtmäßiger Weise erteilt werden können. Bei dem in Rede stehenden Gebiet handele es sich um ein faktisches Gewerbegebiet, § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO. In der näheren Umgebung seien fast durchgehend gewerbegebietstypische Nutzungen vorhanden (M …- und V …, G … und A …S …, Z …- und B …, P …- und M …, D …, L.-H …, Standort des T … H …, B …). Als Anhaltspunkt für die Einstufung des Grades der Belästigung könne grundsätzlich orientierend auf die Bestimmungen des Immissionsschutzrechts abgestellt werden oder diese jedenfalls als Indiz herangezogen werden. Die immissionsreichsten Anlagen, welche dem förmlichen Verfahren nach § 10 BImSchG unterlägen, seien wegen ihres hohen Störgrades grundsätzlich im Industriegebiet anzusiedeln; die Nutzungen, welche im vereinfachten Verfahren gem. § 19 BImSchG genehmigt werden könnten, gehörten in das Gewerbegebiet. Unter Zugrundelegung des heute geltenden Rechts würde es sich bei den umliegenden Betrieben ausschließlich um Genehmigungen im vereinfachten Verfahren handeln. Dementsprechend sei nach der Faustformel und im Hinblick auf die Rechtstatsache, dass Pkws und andere Kfz gegenwärtig nicht verwertet werden dürften (AltfahrzeugV), auch unter Berücksichtigung der Rechtsprechung zu Autoverwertungsanlagen jedenfalls von atypisch nicht erheblich belästigenden Betrieben auszugehen. Die Anlagen würden vom üblichen Erscheinungsbild durch die konkrete Art des Betriebs und durch objektive Umstände wie Umfang, Arbeitsweise, Ausstattung, Einrichtung, Anlieferungs- und Kundenverkehr deutlich abweichen. Die Betriebe seien nach ihrer tatsächlichen Struktur nicht in der Lage, das typische Störpotenzial einer Autoverwertungsanlage hervorzurufen. Anzumerken sei schließlich, dass der genehmigte Stand stark von den aktuellen Betriebsausführungen in der Hinsicht abweiche, dass die Betriebe bei Weitem nicht mehr in dem Umfang tätig seien, wie ursprünglich genehmigt. Sofern im maßgeblichen Straßengeviert „Wohngebäude“ vorhanden seien, vermöge dies nicht dazu zu führen, dass ein faktisches Mischgebiet oder eine Gemengelage angenommen werden müsse. Diese müssten, sofern es Zweifel an der rechtlichen Einordnung gäbe, als Genehmigungen für Betriebsleiterwohnungen bzw. Personen für Aufsichtspersonen ausgelegt werden. Das Vorhaben füge sich sowohl nach der überbaubaren Grundstücksfläche als auch nach dem Maß der baulichen Nutzung ein. Grundflächenrelevant seien auch im unbeplanten Bereich (vgl. § 19 Abs. 2 BauNVO) alle das Baugrundstück überdeckenden baulichen Anlagen. Daher sei eine Grundfläche in Summe von 1.327,5 m² zugrunde zu legen. Hierbei könne festgestellt werden, dass etwa die Gebäude auf dem Grundstück Fl.Nr. …6 eine Summe von 1.625 m² einnähmen. Auch werde das Maß der baulichen Nutzung nicht unterschritten, da sich im gesamten Geviert deutlich kleinere Gebäude befänden als die einzelnen Module. Außerdem sei kein Verstoß gegen das Einfügensgebot hinsichtlich etwaiger faktischer Baugrenzen gegeben. Eine einheitliche und eindeutig bestimmbare Baugrenze für den vorderen, zur Straße M … zugewandten Grundstücksbereich lasse sich nicht bestimmen. Die Abstände zum Straßengrundstück seien hierbei jeweils unterschiedlich. Selbst die Annahme einer Baugrenze im gegebenen Fall wäre als bloßes Zufallsprodukt ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert zu sehen, sodass den hier gegebenen Abständen der Bestandsgebäude zu der maßgeblichen Straße kein städtebaulicher Wert beizumessen sei.
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Das Erfordernis des Einfügens schließe überdies nicht grundsätzlich aus, dass ein Vorhaben realisiert werde, das in der näheren Umgebung bislang nicht vorhanden sei. Wenn ein Vorhaben hinsichtlich der jeweiligen Einfügenskriterien kein passendes Vorbild finde, sei weiterhin zu überprüfen, ob es sich dennoch einfüge. Konkret verlange die Unterbringung von Menschen eine andere räumliche Aufteilung und einen anderen Zuschnitt als die umliegenden Gewerbegebiete. Daher könne nicht von einer negativen Vorbildwirkung in Bezug auf die umliegenden Grundstücke ausgegangen werden. Auch sei nicht erkennbar, welche bewältigungsbedürftigen Spannungen begründet oder erhöht würden. Eine Verschlechterung, Störung oder Belastung der Umwelt werde durch das genehmigte Vorhaben nicht ausgelöst. Insbesondere führe auch ein näheres Heranrücken von Gebäuden an die Straße „M …“ nicht zu einer städtebaulich unerwünschten Situation im konkreten faktischen Gewerbegebiet.
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Außerdem würden durch die Verwirklichung des angegriffenen Bauvorhabens gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse gewahrt. Das Baugrundstück werde durch gewerbliche Nutzungen von westlicher über nördlicher bis zu östlicher Richtung beeinflusst. Südlich sei keine relevante gewerbliche Nutzung vorhanden. Gleichzeitig werde die vorgenannte gewerbliche Nutzung durch bereits vorhandenen Wohnraum und Büros eingeschränkt. Hinsichtlich der konkreten Auswirkungen der umliegenden Gewerbebetriebe seien nur mögliche Auswirkungen bezüglich des Lärms ersichtlich, wobei keine lärmintensive Nutzung bzw. keine Nachnutzung stattfinde. Die immissionsschutzrechtliche Detailprüfung habe sich daher auf Lärmimmissionen beschränkt, da aufgrund der beantragten und genehmigten sowie derzeit (rechtlich) möglichen Nutzungen keine Rauch- oder Staubimmissionen zu erwarten seien. Hinsichtlich der Lärmimmissionen könne entgegen der Auffassung der Klagebevollmächtigten ausgeführt werden, dass zwischen Betriebs- und Aufsichtsleiterwohnungen und sonstigem Wohnraum nach der TA Lärm hinsichtlich der Schutzwürdigkeit keine Unterscheidung getroffen werde. Überdies hätten zum Zeitpunkt des Erlasses der Baugenehmigung die Voraussetzungen des § 246 Abs. 13a BauGB vorgelegen, wie sich aus der Stellungnahme der Regierung von Unterfranken vom 31. Oktober 2024 sowie der internen Stellungnahme aus dem Geschäftsbereich 2 vom 28. Oktober 2024 ergebe.
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5. Die Beigeladenen stellten keinen Antrag und enthielten sich einer Stellungnahme.
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6. Am 27. Mai 2025 nahm das Gericht die örtlichen und baulichen Verhältnisse im Bereich des Baugrundstücks in Augenschein. Auf das zugehörige Protokoll und die angefertigten Lichtbildaufnahmen wird verwiesen.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstands wird auf die einschlägigen Gerichts- und Behördenvorgänge sowie auf das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 10. Juli 2024 Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die Klage ist zulässig, aber nicht begründet.
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Der streitgegenständliche Bescheid vom 2. August 2024, mit dem sowohl die Baugenehmigung für den Neubau einer Gemeinschaftsunterkunft für Flüchtlinge (Ziff. I) unter Erteilung einer Befreiung hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung (Ziff. IV) erteilt, als auch das gemeindliche Einvernehmen ersetzt wurde (Ziff. V), ist rechtmäßig. Die Klägerin wird hierdurch nicht in ihrer durch Art. 28 Abs. 2 GG und Art. 11 Abs. 2 BV geschützten und einfachgesetzlich durch § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB gewährleisteten kommunalen Planungshoheit verletzt (vgl. § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die verfahrensrechtlichen Vorgaben des Art. 67 Abs. 3 Satz 1 und Abs. 4 BayBO wurden gewahrt. In materiell-rechtlicher Hinsicht hält die angefochtene Baugenehmigung die im einschlägigen Baugenehmigungsverfahren nach Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 BayBO i.V.m. Art. 60 Satz 1, Art. 2 Abs. 4 Nr. 11 BayBO (in der zum Zeitpunkt der Erteilung der Baugenehmigung geltenden Fassung, gültig von vom 1.9.2018 bis 31.12.2024) zu prüfenden bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften – auf deren Verletzung sich die Klägerin allein berufen kann – in vollem Umfang ein.
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1. Die formellen Voraussetzungen für die Ersetzung des Einvernehmens der Klägerin hat das Landratsamt Haßberge eingehalten.
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Die Klägerin wurde mit Schreiben des Landratsamts Haßberge vom 6. Juni 2024 zur geplanten Ersetzung des Einvernehmens angehört und es wurde ihr Gelegenheit gegeben, sich hierzu zu äußern. Die Klägerin hat daraufhin in der Sitzung des Bau- und Umweltausschusses am 18. Juni 2024 erneut ihr gemeindliches Einvernehmen versagt. Damit hat eine Anhörung der Klägerin entsprechend Art. 67 Abs. 4 Satz 1 und 2 BayBO stattgefunden und ihr ist Gelegenheit gegeben worden, binnen angemessener Frist erneut über das gemeindliche Einvernehmen zu entscheiden.
26
Eine Begründung gemäß Art. 67 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 BayBO zur Ersetzung des Einvernehmens erfolgte ebenfalls im streitgegenständlichen Bescheid. Das Landratsamt hat insoweit in der Begründung ausgeführt, dass die Klägerin ihr Einvernehmen rechtswidrig versagt habe und der Beigeladenen ein Rechtsanspruch auf Erteilung der Baugenehmigung zustehe, da das Bauvorhaben den zu prüfenden öffentlich-rechtlichen Vorschriften nicht entgegenstehe. Die gegebene Begründung entspricht den formell-rechtlichen Anforderungen des Art. 67 Abs. 3 Satz 1 Hs. 2 BayBO i.V.m. Art. 39 BayVwVfG, da sie die wesentlichen tatsächlichen und rechtlichen Gründe enthält, die die Behörde zu ihrer Entscheidung bewogen haben. Im Übrigen spricht einiges dafür, dass in Fällen, in denen es sich – wie vorliegend – um eine gebundene Entscheidung der Genehmigungsbehörde handelt (s. hierzu nachstehende Ausführungen) eine etwa fehlende oder fehlerhafte Begründung unbeachtlich wäre (vgl. dazu Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Stand 157. EL Jan. 2025, Art. 67 Rn. 126).
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2. Die Ersetzung des Einvernehmens ist auch in materiell-rechtlicher Hinsicht nicht zu beanstanden, da das Bauvorhaben der Beigeladenen im hier vorliegenden unbeplanten Innenbereich bauplanungsrechtlich zulässig ist (§ 34 Abs. 1 und 2 BauGB).
28
Über die Zulässigkeit von Bauvorhaben nach den §§ 31, 33 bis 35 BauGB wird im bauaufsichtlichen Verfahren von der Baugenehmigungsbehörde im Einvernehmen mit der Gemeinde entschieden (§ 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Das Erfordernis des gemeindlichen Einvernehmens dient dabei der Sicherung der in Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG und in Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV verankerten gemeindlichen Planungshoheit. Das gemeindliche Einvernehmen ist ein als Mitentscheidungsrecht ausgestattetes Sicherungsinstrument des Baugesetzbuchs, mit dem die Gemeinde als sachnahe und fachkundige Behörde und als Trägerin der Planungshoheit in Genehmigungsverfahren mitentscheidend an der Beurteilung der bauplanungsrechtlichen Zulässigkeit des Vorhabens beteiligt wird (BVerwG, U.v. 14.4.2000 – 4 C 5/99 – juris). Entspricht ein zulässiges Vorhaben nicht den planerischen Vorstellungen der Gemeinde, kann diese den Maßstab für die Zulässigkeitsprüfung durch Aufstellung oder Änderung eines Bebauungsplans ändern und planungssichernde Maßnahmen ergreifen. Ein fehlendes Einvernehmen darf die Baugenehmigungsbehörde nach § 36 Abs. 2 Satz 3 BauGB i.V.m. Art. 67 Abs. 1 Satz 1 BayBO nur ersetzen, wenn es zu Unrecht verweigert worden ist, weil das Vorhaben nach den §§ 31 und 33 bis 35 BauGB zulässig ist. Der materielle Prüfungsrahmen ist entsprechend auf das Bauplanungsrecht reduziert, unterliegt jedoch mit Blick auf die aus der Selbstverwaltungsgarantie (Art. 28 Abs. 2 Satz 1 GG, Art. 11 Abs. 2 Satz 2 BV) abzuleitenden gemeindlichen Planungshoheit – anders als bei privaten Dritten – keiner weiteren Einschränkung (OVG des Saarlandes, B.v. 2.8.2018 – 2 B 170/18 – juris Rn. 17).
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Da die Gemeinde ihr Einvernehmen nur aus den in § 36 Abs. 2 Satz 1 BauGB genannten Gründen versagen darf, sind die Voraussetzungen der §§ 31, 33 bis 35 BauGB auf das Rechtsmittel der Gemeinde hin in vollem Umfang nachzuprüfen (BVerwG, U.v. 1.7.2010 – 4 C 4.08 – BVerwGE 137, 247 Rn. 32). Für diese Prüfung ist maßgeblich auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses des mit der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens verbundenen Bescheids abzustellen (BVerwG, U.v. 1.7.2010 – 4 C 4.08 – BVerwGE 137, 247 Rn. 17, 24; U.v. 9.8.2016 – 4 C 5.15 – NVwZ-RR 2017, 717 Rn. 12; Jeromin in Kröninger/Aschke/Jeromin, BauGB, 5. Aufl. 2024, § 36 Rn. 17; Rieger in Schrödter, Baugesetzbuch, 9. Aufl. 2019, § 36 Rn. 40). Erweist sich danach die Ersetzung als rechtswidrig, hat die Anfechtungsklage der Gemeinde Erfolg. Ob der Bauherr im Zeitpunkt der letzten mündlichen Verhandlung einen Anspruch auf die Baugenehmigung hat, ist dagegen irrelevant. Denn der Gesetzgeber hat in dem Konflikt zwischen Planungshoheit und Baufreiheit eine eindeutige Regelung getroffen, der zufolge gegen den Willen der Gemeinde in den Fällen des § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB bis zu einer gerichtlichen Klärung der Genehmigungsfähigkeit eines Vorhabens auf die Verpflichtungsklage des Bauherrn hin keine Baugenehmigung erteilt werden darf (BVerwG, U.v. 26.3.2015 – 4 C 1.14 – juris Rn. 17 m.w.N.). Der Bundesgesetzgeber wollte mit der Einvernehmensregelung erreichen, dass die Gemeinde sich mit ihren Vorstellungen auch gegenüber einem etwaigen Rechtsanspruch des Bauherrn durchsetzt (BVerwG, B.v. 5.3.1999 – 4 B 62.98 – juris Rn. 13).
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Vorliegend hält die angefochtene Baugenehmigung, die zugleich als Ersatzvornahme i.S.v. Art. 113 GO bezüglich der Ersetzung des gemeindlichen Einvernehmens gilt (Art. 67 Abs. 3 Satz 1 BayBO), (schon zum maßgeblichen Zeitpunkt der Bescheidserteilung) die bauplanungsrechtlichen Zulässigkeitsvorschriften in vollem Umfang ein.
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Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des Vorhabens ist nach § 34 BauGB zu beurteilen, da für das Baugrundstück (und die Umgebungsbebauung) kein Bebauungsplan existiert und es auch nicht dem Außenbereich i.S.v. § 35 BauGB zuzuweisen ist.
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Nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB muss sich das Vorhaben nach Art und Maß der baulichen Nutzung, der Bauweise und der Grundstücksfläche, die überbaut werden soll, in die Eigenart der näheren Umgebung einfügen. Nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehört die Beachtung des nachbarschützenden Gebots der Rücksichtnahme zum Bestandteil des Einfügens i.S.v. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Wenn die Eigenart der näheren Umgebung einem der Baugebiete, die in der Baunutzungsverordnung bezeichnet sind, entspricht, beurteilt sich nach § 34 Abs. 2 BauGB die Zulässigkeit des Vorhabens nach seiner Art allein danach, ob es nach der Baunutzungsverordnung in dem Baugebiet allgemein zulässig wäre. § 34 Abs. 2 BauGB kommt über die Gleichsetzung faktischer Baugebiete mit den festgesetzten Baugebieten nachbarschützende Wirkung zu (BVerwG, U.v. 16.9.1993 – 4 C 28/91 – BVerwGE 94, 151; Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, Stand 157. EL Jan. 2025, Art. 66 Rn. 346 und 395; Söfker/Hellriegel in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL Nov. 2024, § 34 Rn. 50a). Nach diesen Kriterien ist das Bauvorhaben der Beigeladenen bauplanungsrechtlich zulässig i.S.v. § 34 BauGB. Dies ergibt sich aus folgenden Erwägungen:
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2.1. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit des streitgegenständlichen Vorhabens richtet sich nach seiner Art nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO. Denn das streitgegenständliche Bauvorhaben liegt innerhalb eines faktischen Gewerbegebiets. Aufgrund des durchgeführten Augenscheintermins wie auch anhand der in den Behörden- bzw. Gerichtsakten vorhandenen Lagepläne, Luftbilder und Lichtbilder ist die Kammer zu der Überzeugung gelangt, dass es sich bei dem Bauquartier, in dem das streitgegenständliche Bauvorhaben durchgeführt werden soll, um ein Gewerbegebiet im Sinne von § 8 BauNVO handelt.
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2.1.1. Maßgeblicher Beurteilungsrahmen für das Vorhaben ist die nähere Umgebung. Berücksichtigt werden muss hier die Umgebung einmal insoweit, als sich die Ausführung des Vorhabens auf sie auswirken kann, und zum anderen insoweit, als die Umgebung ihrerseits den bodenrechtlichen Charakter des Baugrundstücks prägt oder doch beeinflusst. Welcher Bereich als „nähere Umgebung“ anzusehen ist, hängt davon ab, inwieweit sich einerseits das geplante Vorhaben auf die benachbarte Bebauung und andererseits sich diese Bebauung auf das Baugrundstück prägend auswirken kann (vgl. BayVGH, U.v. 18.7.2013 – 14 B 11.1238 – juris Rn. 19 m.w.N.). Wie weit diese wechselseitige Prägung reicht, ist eine Frage des Einzelfalls. Die Grenzen der näheren Umgebung lassen sich nicht schematisch festlegen, sondern sind nach der städtebaulichen Situation zu bestimmen, in die das für die Bebauung vorgesehene Grundstück eingebettet ist.
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Bei Berücksichtigung dieser Vorgaben wird der rahmenbildende Einzugsbereich der näheren Umgebung vorliegend im Norden durch die A … S …, im Süden durch die Straße M …, im Osten durch die Straße G … und im Wesen durch die Straße A. H … begrenzt. Innerhalb dieses Straßengevierts ist das geplante Vorhaben in prägender Weise wahrnehmbar. Diese durch die Kammer getroffene Abgrenzung entspricht auch der von den Beteiligten vorgenommenen Bewertung. Darüber hinaus handelt es sich bei dem bezeichneten Bauquartier um einen Bereich, in dem die baulichen Gegebenheiten eine eigene Charakteristik aufweisen, die sich von den Eigenheiten der außerhalb des Quartiers gelegenen Bebauung unterscheidet. Während der Bereich innerhalb des Bauquartiers ausschließlich durch gewerbliche Betriebe geprägt ist, befindet sich nördlich der A … S … der G …, östlich der Straße G … ein R …- und F …, südlich der Straße M … ein K … sowie eine …R … und westlich der Straße a H … das Bebauungsplangebiet, in dem die Firma K … B … produziert. Unter Berücksichtigung der andersartigen Nutzungsstruktur scheidet eine Ausdehnung der näheren Umgebung aus. Damit stellt sich die Bebauung innerhalb des vorbeschriebenen Bauquartiers als die hier maßgebliche Umgebungsbebauung dar.
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2.1.2. Innerhalb der so begrenzten näheren Umgebung des Bauvorhabens finden sich ausschließlich gewerbliche Betriebe sowie dazugehörige Betriebsleiterwohnungen, sodass die Kammer in Übereinstimmung mit der Beklagtenseite von einem faktischen Gewerbegebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO ausgeht. Zu dieser Auffassung ist die Kammer aufgrund der zu den Akten genommenen Lagepläne, Lichtbilder und Luftbilder und des durchgeführten Augenscheintermins sowie der Weitergabe dieser Erkenntnisse auch mittels der anlässlich dieses Termins gefertigten Lichtbilder an die ehrenamtlichen Richter gelangt. Eine Einordnung als faktisches Industriegebiet gemäß § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 9 BauNVO – wie dies von der Klägerseite geltend gemacht wird – scheidet nach Auffassung des erkennenden Gerichts aus.
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Da sich in dem maßgeblichen Gebiet ausschließlich gewerbliche Nutzungen befinden, ist für die Beurteilung der Gebietseinstufung im Wesentlichen darauf abzustellen, ob es sich bei den dort ansässigen Gewerbebetrieben um solche handelt, die typischerweise in Gewerbe- oder Industriegebieten in Erscheinung treten. Gemäß § 8 Abs. 1 BauNVO dienen Gewerbegebiete vorwiegend der Unterbringung von nicht erheblich belästigenden Gewerbebetrieben, während dem Industriegebiet gemäß § 9 Abs. 1 BauNVO nach seinem Hauptzweck die Unterbringung erheblich störender Gewerbebetriebe, die in anderen Baugebieten unzulässig sind, vorbehalten ist (vgl. BVerwG, U.v. 18.11.2010 – 4 C 10.09 – juris Rn. 20). Industrie- und Gewerbegebiete unterscheiden sich dementsprechend darin, dass die Erheblichkeit der Nachteile und Belästigungen der Maßstab dafür ist, ob der Gewerbebetrieb noch im Gewerbegebiet oder nur im Industriegebiet zulässig ist (BVerwG, U.v. 25.11.1983 – 4 C 21.83 – juris Rn. 12); insoweit kennt das Gewerbegebiet eine „Obergrenze“ für Immissionen (vgl. Pützenbacher in Bönker/Bischopink, BauNVO, 3. Aufl. 2025, § 9 Rn. 15). Industrie- und Gewerbegebiete haben andererseits gemeinsam, dass in ihnen Gewerbebetriebe aller Art allgemein zulässig sind; auszugehen ist insoweit vom gleichen Begriff (vgl. Söfker/Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL Nov. 2024, § 9 BauNVO Rn. 19). Faktisch ist das Industriegebiet dem produzierenden und verarbeitenden Gewerbe vorbehalten, das Dienstleistungsgewerbe spielt hier nur eine untergeordnete Rolle (Pützenbacher in Bönker/Bischopink, BauNVO, 3. Aufl. 2025, § 9 Rn. 19).
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Ob ein Vorhaben oberhalb der Schwelle des in den Gewerbegebieten an Störungen Zulässigen liegt, ist grundsätzlich nach der typisierenden Betrachtungsweise zu bestimmen. Dabei kommt es darauf an, ob von der beabsichtigten Nutzung unter Berücksichtigung der typischen Art und Weise des Betriebs der Anlage in der Regel Nachteile und Belästigungen ausgehen können, die so erheblich sind, dass die Nutzung in ein Industriegebiet verwiesen werden muss. Entscheidend ist die Frage, ob ein Betrieb dieser Branche erfahrungsgemäß geeignet ist, mehr als erhebliche Belästigungen hervorzurufen. Hierbei kommt es grundsätzlich auf den Regelbetrieb und nicht auf den „Störfall“ (z.B. einen Brand oder eine Explosion) an (BVerwG, U.v. 25.11.1983 – 4 C 21/83 – NJW 1984, 1574 [1575]; VGH Mannheim, U.v. 22.2.2022 – 6 S 1251/20 – BeckRS 2022, 6159 Rn. 44; Schmidt-Bleker, BeckOK BauNVO, 41. Ed. Stand: 15.4.2025, Rn. 30 ff.; Pützenbacher in Bönker/Bischopink, BauNVO, 3. Aufl. 2025, § 8 Rn. 63).
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Außerdem können die Vorschriften des immissionsschutzrechtlichen Verfahrensrechts (unter Berücksichtigung von § 15 Abs. 3 BauNVO) als Anhaltspunkt zu einer Konkretisierung des Begriffs „nicht erheblich belästigender Gewerbebetrieb“ im Sinne des § 8 Abs. 1 BauNVO herangezogen werden. Es ist insoweit darauf abzustellen, ob das Vorhaben einer Genehmigung nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz (BImSchG) unterliegt; dabei wird unterschieden, ob das förmliche (§ 10 BImSchG) oder das vereinfachte (§ 19 BImSchG) Verfahren anzuwenden ist. Im ersten Fall wird vermutet, dass das Vorhaben im Gewerbegebiet unzulässig ist und im Zweiten, dass es eines Industriegebiets nicht bedarf. Eine zwingende Anknüpfung an das Verfahrensrecht des BImSchG wird dem Einzelfall jedoch nicht stets gerecht und wäre nicht mit § 15 Abs. 3 BauNVO vereinbar (Stock in König/Roeser/Stock, BauNVO, 5. Aufl. 2022, § 8 Rn. 21; Pützenbacher in Bönker/Bischopink, BauNVO, 3. Aufl. 2025, § 8 Rn. 65). Herkömmlich unterscheiden sich die Industriegebiete von den Gewerbegebieten auch im Erscheinungsbild. Die Industriegebiete sind von industriellen Anlagen, v.a. von Großanlagen geprägt, während zu den Gewerbegebieten im Bereich des produzierenden Gewerbes v.a. das Handwerk mit seinen üblicherweise kleineren Strukturen gehört (VG München, U.v. 18.11.2020 – M 9 K 19.6444 – BeckRS 2020, 42806 Rn. 19).
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Dies zugrunde gelegt entspricht die hier maßgebliche Umgebungsbebauung einem faktischen Gewerbegebiet. Nach Durchführung des gerichtlichen Augenscheins und unter Berücksichtigung des Vorbringens der Beteiligten erfolgt die Prägung der hier maßgeblichen Umgebungsbebauung vorwiegend durch Gewerbebetriebe, die nach dem Dafürhalten der Kammer als „nicht erheblich belästigende“ Gewerbebetriebe im Sinne des § 8 Abs. 1 BauNVO zu qualifizieren sind. Das vorliegende Gebiet ist durchgehend von gewerblichen Nutzungen geprägt. Zu finden sind dort insbesondere ein T … (Fl.Nrn. …5, …1), B … (Fl.Nrn. …5, …7), der Standort des T … H … (Fl.Nr …2), L … und – … (Fl.Nrn. …0, …6, …1, …9, …1) sowie A … (Fl.Nrn. …1, …4, …6, …1). Überdies sind auf den Betriebsgrundstücken oder aber in deren unmittelbarer Nähe stets Betriebsleiterwohnungen vorhanden (Fl.Nrn. …0 …1, …6, …1, …1, …1, …9, …4, …1). Ausgehend hiervon kann festgestellt werden, dass sich die B … als Handwerksbetriebe, das T … sowie die Lagerhäuser und -plätze (§ 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO) und der Standort des T … H … (§ 8 Abs. 2 Nr. 2 BauNVO) als im Gewerbegebiet allgemein zulässige Nutzungen darstellen, die auch im Hinblick auf ihr Störpotenzial nicht über die Schwelle der erheblichen Belästigung hinausgehen. Gleiches gilt – nach näherer Betrachtung – auch für die in dem maßgeblichen Gebiet befindlichen A … auf den Fl.Nrn. …1, …4, …6, …1.
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Zwar ist grundsätzlich davon auszugehen, dass sich der A … dienende Betriebe aufgrund ihres hohen Störpotenzials als erheblich belästigende und damit als industriegebietstypische Anlagen darstellen, die in der Regel im Gewerbegebiet gebietsunverträglich sind. Jedoch können solche Anlagen auch im Gewerbegebiet zulässig sein, wenn es sich bei dem Betrieb um eine in atypischer Weise betriebene und daher nicht erheblich belästigende A … handelt. Die o.g. typisierende Betrachtung muss daher stets eine eingeschränkte sein, d.h. offen sein für Sonderfälle, wenn es sich im konkreten Fall um einen atypischen Betrieb handelt, der bei funktionsgerechter Nutzung nach seiner besonderen Art und Betriebsweise dauerhaft und zuverlässig keine erheblichen Belästigungen befürchten lässt. Dafür müsste die Anlage vom üblichen Erscheinungsbild durch die konkrete Art des Betriebs und durch objektive Umstände wie Umfang, Arbeitsweise, Ausstattung, Einrichtung, Anlieferungs- und Kundenverkehr und dergleichen abweichen. Ob eine dem Anlagentyp zuzuordnende Anlage – auch unter Berücksichtigung der konkreten Eigenart und Zweckbestimmung des Gewerbegebiets – zugelassen werden kann, ist auf Grund einer Einzelfallprüfung zu entscheiden (vgl. BVerwG, U.v. 29.9. 1992 – 7 C 7/92 – NVwZ 1993, 987; VGH Mannheim, U.v. 20.6.2002 – 3 S 1915/01 – NVwZ-RR 2003, 191; Söfker/Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL Nov. 2024, § 8 BauNVO Rn. 26).
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Im Rahmen der hier vorzunehmenden Einzelfallprüfung zeigt sich, dass die Autoverwertungsanlagen im betroffenen Gebiet unter Berücksichtigung der konkreten Betriebsabläufe und der Eigenart und Zweckbestimmung des Gebiets als atypisch und damit als im Gewerbegebiet zulässig einzuordnen sind. Vorliegend ergibt sich sowohl aus den gewonnenen Erkenntnissen des Augenscheintermins als auch unter Zugrundelegung der Genehmigungslage hinsichtlich der betroffenen Betriebe, dass es sich insgesamt um Anlagen von geringerem Umfang handelt, welche im konkreten Fall keine erheblichen Belästigungen befürchten lassen. Im Hinblick auf den Betriebsumfang ist insoweit zunächst der Durchsatz der jeweiligen Anlage heranzuziehen. Unter isolierter Zugrundelegung der Genehmigungslage reicht der Umfang im Rahmen der heranzuziehenden Betriebe von einer jährlichen Ausschlachtung von jeweils ca. 40-50 der nicht wiederherstellbaren Fahrzeuge auf Fl.Nrn. …1 und …6 (vgl. Erläuterungsbericht Juni 1984, B. ; Erläuterungsbericht Januar 1984, B.), über den Ankauf und die Verwertung von ca. 100 LKW pro Jahr auf Fl.Nr. …4 (vgl. Betriebsbeschreibung vom 14.1.2000, B.) bis zu einer jährlichen Menge zum Ausschlachten von 30-40 Kraftfahrzeugen auf Fl.Nr. …1, wobei ca. 100 gebrauchte LKW hergerichtet und wiederverkauft werden (vgl. Erläuterungsbericht vom 20.6.1983, B.). So lässt sich bereits hieraus ersehen, dass eine die Genehmigungspflicht nach – heute geltendem – BImSchG auslösende Mindestdurchsatzkapazität von fünf (oder mehr) Altfahrzeugen pro Woche (Ziff. 8.9.2 des Anhangs 1 zur 4. BImschV) für keinen der Betriebe erreicht wird. Außerdem ist der Betrieb stets auf die Tagzeit (werktags 8-17 Uhr, samstags 8-12 Uhr) begrenzt. Für das Vorliegen eines atypischen Betriebs spricht daneben die reduzierte technische Ausstattung der Betriebe. So verwendet keine der Anlagen für ihren Betrieb eine Schrottpresse oder eine ähnlich große und lärmintensive Einrichtung. Vielmehr beschränkt sich die betriebliche Ausstattung vereinzelt auf die Verwendung von Stapler oder Bagger (vgl. immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 16.11.2000; B.).
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Überdies bestehen seitens des Gerichts ernsthafte Zweifel daran, ob die betroffenen Genehmigungen überhaupt noch in diesem Umfang ausgenutzt werden. So ergibt sich für den Betrieb auf Fl.Nr. …1 aus einer aktuellen Betriebsbeschreibung vom … … 2024 (B.), dass jährlich lediglich 24 gebrauchte Nutzfahrzeuge zum Weiterverkauf angekauft, fünf davon zerlegt und die zum Weiterverkauf geeigneten Ersatzteile in der Lagerhalle gelagert werden. Der Eindruck, dass der tatsächlich vorhandene Betrieb – teilweise weit – hinter der erteilten Genehmigung zurückbleibt, bestätigte sich für die Kammer im Rahmen des durchgeführten Augenscheintermins, bei welchem von keinem der zu betrachtenden Betriebe entsprechende Betriebs- oder Störgeräusche vernommen werden konnten. Auch wenn es sich dabei lediglich um eine Momentaufnahme handelte, spricht angesichts des konkreten Zeitpunkts (werktags zwischen 10:00 und 11:15 Uhr) viel dafür, dass die maßgeblichen Anlagen gerade keinen durchgängigen Betrieb (mehr) führen und eine Verwertung mithin nur noch vereinzelt vorkommt. Die Betriebe kommen – auch mit Blick auf die Größe und den Zuschnitt der Grundstücke im maßgeblichen Gebiet – damit nicht annähernd an den Umfang heran, den eine typische, nur im Industriegebiet zulässige Autoverwertungsanlage umfasst (vgl. etwa VGH Mannheim, U.v. 20.6.2002 – 3 S 1915/01 – NVwZ-RR 2003, 191: 2.000 Fahrzeuge pro Jahr), und liegen im Hinblick auf die Durchsatzkapazität unter dem Schwellenwert von fünf Fahrzeugen pro Woche (vgl. Ziff. 8.9.2 des Anhangs 1 zur 4. BImschV).
44
Mit Blick auf den Umfang des Betriebs auf Fl.Nr. …1 hatte auch die Regierung von Unterfranken in ihrer Stellungnahme vom 21. September 1983 ausgeführt, dass die Anlage mit einer Durchsatzleistung von nur 30-40 Fahrzeugen im Jahr nicht einmal ansatzweise an die im Hinblick auf einen geordneten Betrieb eines Autowrackplatzes erstrebenswerte jährliche Mindestdurchsatzkapazität von ca. 2.000 Autowracks und Platzgröße von 4.000 m² herankommt, und vor dem Hintergrund eine Versagung des Autowrackplatzes auszusprechen ist (vgl. S. 5 der Stellungnahme der Regierung von Unterfranken vom 21.9.1983, B … Ausweislich der vorstehenden Ausführungen lässt sich dies auch auf die weiteren im Gebiet befindlichen Betriebe übertragen, da diese „Mindestanforderungen“ mit Blick auf die Grundstücksgröße sowie den konkreten jährlichen Umfang nicht annähernd vorliegen, was dafürspricht, dass es sich gerade nicht um typische A … handelt.
45
Letztlich wird diese Einschätzung auch durch die immissionsschutzrechtliche Einstufung der maßgeblichen Betriebe bekräftigt. Wie die Beklagtenseite insoweit zu Recht vorgebracht hat, wäre unter Zugrundelegung der aktuellen Rechtslage für sämtliche maßgebliche Betriebe das vereinfachte immissionsschutzrechtliche Genehmigungsverfahren gem. § 19 BImSchG einschlägig. Eine Genehmigungsbedürftigkeit könnte sich vorliegend lediglich aus § 4 Abs. 1 Satz 3 BImSchG i.V.m. den Ziffern 8.9.2 (Anlagen zur Behandlung von Altfahrzeugen, sonstigen Nutzfahrzeugen, Bussen oder Sonderfahrzeugen (einschließlich der Trockenlegung) mit einer Durchsatzkapazität je Woche von 5 oder mehr Altfahrzeugen, sonstigen Nutzfahrzeugen, Bussen oder Sonderfahrzeugen), 8.12.2 (Anlagen zur zeitweiligen Lagerung von Abfällen bei nicht gefährlichen Abfällen mit einer Gesamtlagerkapazität von 100 Tonnen oder mehr) sowie 8.12.3.2 (Anlagen zur zeitweiligen Lagerung von Abfällen bei einer Gesamtfläche von 1.000 bis weniger als 15.000 Quadratmetern oder einer Gesamtlagerkapazität von 100 bis weniger als 1.500 Tonnen) der Anlage 1 zur 4. BImSchV ergeben, wonach – soweit die maßgeblichen Schwellenwerte überhaupt überschritten werden – stets das vereinfachte Genehmigungsverfahren durchzuführen wäre. Für sich genommen kann dies zwar unter Berücksichtigung von § 15 Abs. 3 BauNVO lediglich als Indiz zugunsten eines „nicht erheblich belästigenden Gewerbebetriebs“ herangezogen werden. In Zusammenschau mit den vorstehenden Ausführungen ist nach Auffassung der Kammer jedoch bei den maßgeblichen Betrieben von „nicht erheblich belästigenden“ Gewerbebetrieben im Sinne von § 8 Abs. 1 BauNVO auszugehen, die damit im Gewerbegebiet zulässig sind.
46
Infolgedessen stellt sich das maßgebliche Gebiet mit Blick auf die darin befindlichen Nutzungen als faktisches Gewerbegebiet im Sinne von § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 BauNVO dar.
47
2.1.3. Die streitgegenständliche Asylbewerberunterkunft ist in einem faktischen Gewerbegebiet weder allgemein (§ 8 Abs. 2 BauNVO) noch ausnahmsweise (§ 8 Abs. 3 BauNVO i.V.m. § 31 Abs. 1 BauGB) zulässig. Zwar werden Unterkünfte für Flüchtlinge und Asylbegehrende als Anlagen für soziale Zwecke angesehen (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373 – juris Rn. 3; OVG Münster, B.v. 23.2.2015 – 7 B 1343/14 – juris Rn. 9 ff.), die in einem Gewerbegebiet gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden können. Allerdings wird anzunehmen sein, dass die geplante Unterkunft schon deswegen nicht als Ausnahme zugelassen werden kann, weil sie sich in einem Gewerbegebiet in dem vorgesehenen Umfang wegen ihres wohnähnlichen Charakters als an sich gebietsunverträglich erweisen würde (vgl. nur BayVGH, U.v. 6.2.2015 – 15 B 14.1832 – juris).
48
Indessen hat der Gesetzgeber für diese Konstellation unter anderem mit der Vorschrift des § 246 Abs. 10 BauGB im Interesse einer raschen Zurverfügungstellung von Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftseinrichtungen und sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge und Asylbewerber eine (mittlerweile) bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027 begrenzte Befreiungsmöglichkeit (vgl. § 31 Abs. 2 BauGB) geschaffen und damit entsprechende Unterkünfte temporär für grundsätzlich gebietsverträglich erklärt (vgl. Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 246 Rn. 22). Anders als § 31 Abs. 2 BauGB setzt eine Befreiung nach dem Sonderrecht des § 246 Abs. 10 BauGB nicht voraus, dass die Grundzüge der Planung nicht berührt werden; vielmehr kann die Zulassung einer Flüchtlingsunterkunft auch dann mit den öffentlichen Belangen vereinbar sein, wenn damit dem Charakter des Gewerbegebiets nicht entsprochen wird (vgl. Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 246 Rn. 24, 36).
49
Hiernach kann für Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünfte oder sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende von den Festsetzungen des Bebauungsplans befreit werden, wenn an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können oder allgemein zulässig sind und die Abweichung auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit öffentlichen Belangen vereinbar ist. Diese spezielle Befreiungsvorschrift, die ergänzend neben die allgemeine Vorschrift des § 31 Abs. 2 BauGB tritt, ist auf Festsetzungen von Gewerbegebieten als Baugebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung anzuwenden und bezieht sich auf alle Fassungen der Baunutzungsverordnung seit dem ersten Erlass vom 26.06.1962 (BGBl I. S. 429). Der Sonderbefreiungstatbestand gilt jedoch nicht nur für festgesetzte (§ 8 BauNVO), sondern auch – wie hier – für faktische Gewerbegebiete (§ 8 BauNVO i.V.m. § 34 Abs. 2 BauGB). Die Voraussetzung, dass an dem Standort Anlagen für soziale Zwecke als Ausnahme zugelassen werden können, zielt darauf ab, dass die Gemeinde mit einem Bebauungsplan nicht von Möglichkeiten zur Feinsteuerung Gebrauch gemacht haben darf und also die nach der Anordnung des § 8 BauNVO ausnahmsweise zulässigen Anlagen für soziale Zwecke nicht durch den Bebauungsplan von der (ausnahmsweisen) Zulässigkeit ausgeschlossen hat.
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Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 246 Abs. 10 BauGB liegen vor. Im Einzelnen:
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(1) Das zugrundeliegende Gebiet stellt sich nach den vorstehenden Ausführungen als faktisches Gewerbegebiet dar und ist daher grundsätzlich für Anlagen für soziale Zwecke offen, da diese nach § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO ausnahmsweise zugelassen werden können, ein Ausschluss durch Bebauungsplan ist hier gerade nicht erfolgt.
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(2) Die Abweichung ist auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar.
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Die Beschränkung der Befreiungsmöglichkeit, dass die Abweichung auch unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den in Betracht kommenden bodenrechtlichen öffentlichen Interessen vereinbar sein muss, ist eine tatbestandliche Voraussetzung des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB (vgl. BVerwG, B.v. 6.3.1996 – 4 B 184.95 – juris Rn. 6, 7; BVerwG, U.v. 9.6.1978 – 4 C 54.75 – juris Rn. 31, jeweils zu § 31 Abs. 2 BauGB). Insoweit ist die Einzelfallentscheidung auf Zulassungsebene daraufhin zu überprüfen, ob die öffentlichen Belange unter Einbeziehung nachbarlicher Interessen gewahrt sind (vgl. BT-Drs. 18/2752 S. 12). Grundsätzlich ist bei der Befreiung maßgeblich, ob durch das Bauvorhaben städtebauliche Spannungen hervorgerufen werden, die vorhandene bauliche Situation verschlechtert wird, das Bauvorhaben mithin „Unruhe stiftet“ (vgl. Scheidler, NVwZ 2015, 1406 [1407]). Zu den nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB in erster Linie zu berücksichtigenden öffentlichen Belangen gehören die in § 1 Abs. 6 BauGB genannten öffentlichen Belange der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse und die Sicherheit der Wohn- und Arbeitsbevölkerung (Nr. 1), der Wirtschaft (Nr. 8 Buchst. a), insbesondere im Hinblick auf die auch objektiv-rechtlich zu berücksichtigenden betrieblichen Belange der im Gewerbegebiet ansässigen Gewerbebetriebe an der Erhaltung des betrieblichen Bestands und nach Betriebsausweitung einschließlich der Vermeidung von Nutzungskonflikten, sowie die Belange der Flüchtlinge oder Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung (Nr. 13; vgl. zum Ganzen: Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL Nov. 2024, § 246 Rn. 69; VGH Mannheim, B.v. 17.5.2017 – 5 S 1505/15 – BauR 2017, 1499 Rn. 31; Decker in Jäde/Dirnberger, BauGB/BauNVO, 10. Aufl. 2022, § 246 BauGB Rn. 43 f.).
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(a) Das Vorhaben ist mit dem öffentlichen Belang der allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse bzw. Unterbringungsverhältnisse in Bezug auf den hier in erster Linie relevanten Schutz vor Lärmbeeinträchtigungen vereinbar (§ 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB).
55
Die Unterbringung von Asylbegehrenden in Gemeinschaftsunterkünften erfolgt in der Regel bis zum bestandskräftigen negativen Abschluss des Asylverfahrens (vgl. § 53 AsylG, Art. 4 AufnG). Dies kann je nach Sachlage auch einen längeren Zeitraum umfassen als die Unterbringung in einer Aufnahmeeinrichtung, die nach § 47 Abs. 1 Satz 1 AsylG längstens sechs Monate dauern soll (Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK AusländerR, 44. Ed. 1.4.2025, § 53 Rn. 10). Der Gesetzgeber geht deshalb von „wohnähnlichen Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünften“ aus (vgl. BT-Drs. 18/2752 S. 12; ebs. BR-Drs. 419/14 S. 6 „wohnähnliche Nutzung“). Gleichwohl ist die Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft kein Wohnen im Sinn der Baunutzungsverordnung, soweit sich diese am Maßstab der angemessenen Befriedigung allgemeiner Wohnbedürfnisse orientieren. Der Begriff des Wohnens ist durch eine auf Dauer angelegte Häuslichkeit, Eigengestaltung der Haushaltsführung und des häuslichen Wirkungskreises sowie Freiwilligkeit des Aufenthalts gekennzeichnet (vgl. BVerwG, B.v. 18.10.2017 – 4 CN 6.17 – juris Rn 14 m.w.N.). Daran fehlt es im Fall der den Asylbewerber verpflichtenden Unterbringung in einer Gemeinschaftsunterkunft (§ 53 AsylG), die weder eine eigengestaltete Haushaltsführung noch die Eigengestaltung des häuslichen Wirkungskreises gewährleistet und zudem auch nicht für die ständige Bewohnung, sondern nur für die Dauer des Asylverfahrens gedacht ist.
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In Gemeinschaftsunterkünften ist aber der Mindeststandard einer menschenwürdigen Unterbringung ohne gesundheitliche Beeinträchtigungen zu gewährleisten (vgl. Heusch in Kluth/Heusch, BeckOK AusländerR, 44. Ed. 1.4.2025, § 53 AsylG Rn. 12; Bergmann/Keller in Bergmann/Dienelt, AusländerR, 15. Aufl. 2025, § 53 AsylG Rn. 10). Deshalb muss sichergestellt sein, dass die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft keinen gesundheitsgefährdenden Immissionen ausgesetzt werden (vgl. VGH Mannheim, B.v. 15.7.2017 – 5 S 1505.15 – juris Rn. 31 m.w.N.). Ein über die Wahrung „gesunder Wohnverhältnisse“ im Sinn der Vermeidung gesundheitsgefährdender Immissionen hinausgehendes Schutzgebot folgt aus § 1 Abs. 6 Nr. 1 BauGB für Flüchtlingsunterkünfte, insbesondere solchen in Gewerbe- oder Industriegebieten, die ihrer Zweckbestimmung nach der Unterbringung von belästigenden (§ 8 Abs. 1 BauNVO) bzw. erheblich belästigenden (§ 9 Abs. 1 BauNVO) Gewerbebetrieben dienen, aber nicht. In der höchstrichterlichen Rechtsprechung ist dahingehend geklärt, dass Außen-Immissionswerte oberhalb von 70 dB(A) tagsüber und 60 dB(A) nachts potenziell gesundheitsgefährdend sind (vgl. nur BVerwG, U.v. 29.6.2017 – 3 A 1.16 – ZUR 2018, 107 (112); BayVGH, U.v. 4.8.2017 – 9 N 15.378 – BeckRS 2017, 136724 Rn. 91 m.w.N.).
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Nach Auffassung der Kammer sind im vorliegenden Fall keinerlei Anhaltspunkte dafür gegeben, dass die Schwelle der gesundheitsgefährdenden Immissionen im zugrundeliegenden Gebiet überschritten wird. Dies gilt zum einen vor dem Hintergrund, dass es sich bei den in der näheren Umgebung befindlichen Betrieben – wie bereits unter 2.1.3. erläutert – gerade nicht um produzierendes, dauerhaft lärmintensives Gewerbe handelt. Vielmehr sind sämtliche geräuschintensiveren Nutzungen auf den Fl.Nrn. …1, …4, …6 und …1 auf die Tagzeit begrenzt, sodass jedenfalls zur Nachtzeit nicht mit störenden Lärmimmissionen zu rechnen ist. Zum anderen sind selbst die umfangreicheren Genehmigungen mit Immissionsrichtwerten versehen, die sich teilweise auf 60 dB(A) tagsüber (vgl. immissionsschutzrechtliche Genehmigung vom 16.11.2000, B 13), höchstens aber auf 70 dB(A) tagsüber (vgl. Plangenehmigung vom 8.1.1986, B.; Plangenehmigung vom 9.12.1985, B.; Plangenehmigung vom 28.3.1985, B.) belaufen und damit innerhalb des o.g. Rahmens liegen. Überdies hat die erkennende Kammer- insbesondere nach Durchführung des gerichtlichen Augenscheins – Zweifel daran, dass die festgesetzten Richtwerte im Hinblick auf den angesetzten Betriebsumfang auch nur ansatzweise erreicht werden, nachdem sich die Situation vor Ort so darstellte, dass nahezu keine Betriebsgeräusche aus der näheren Umgebung wahrgenommen werden konnten. Gleiches galt im Hinblick auf etwaigen Verkehrslärm.
58
Schließlich spricht auch die Tatsache, dass in der näheren Umgebung – und auch direkt in östlicher und westlicher Richtung angrenzend an das Baugrundstück – zahlreiche Betriebsleiterwohnungen vorhanden sind, dafür, dass in dem maßgeblichen Gebiet gesunde Wohnverhältnisse gewahrt werden. Insoweit ist zu beachten, dass auch die ausnahmsweise im Gewerbegebiet zulässigen Betriebsleiterwohnungen (§ 8 Abs. 3 Nr. 1 BauNVO) eine verminderte Schutzwürdigkeit genießen und sich deren Bewohner – genauso wie die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft – grundsätzlich mit der Immissionsbelastung abfinden müssen, die generell im Gewerbegebiet zulässig ist. Jedoch sind auch dahingehend die allgemeinen Anforderungen an gesunde Wohnverhältnisse für die Bewohner stets zu gewährleisten, sodass sich die Schutzwürdigkeit der Betriebsleiterwohnungen mit der der Flüchtlingsunterkunft vergleichen lässt (vgl. BayVGH, U.v. 14.2.2018 – 9 BV 16.1694 – juris Rn. 28, 58). Damit kann nach Auffassung der Kammer auch in Bezug auf das Bauvorhaben von gesunden Wohnverhältnissen ausgegangen werden.
59
Weiterhin greifen die von Klägerseite geltend gemachten Sicherheitsbedenken in Bezug auf die Bewohner der Unterkunft nicht durch. Von einer über die allgemeinen verkehrlichen Risiken – insbesondere des Fußgängerverkehrs – hinausgehenden Gefahr für die Bewohner der Gemeinschaftsunterkunft ist nicht auszugehen. Die verkehrlichen Verhältnisse am Standort der Gemeinschaftsunterkunft stellen sich übersichtlich dar. An der Erschließungsstraße Moosanger findet insbesondere kein Durchgangsverkehr statt; vielmehr ist die Straße allein durch den Fahrverkehr der ansässigen Gewerbebetriebe geprägt und hält sich unter Zugrundelegung der im Augenscheintermin gewonnenen Erkenntnissen im üblichen Rahmen. Ein erhöhtes Verkehrsvorkommen mit erheblichem Gefährdungspotenzial für die Bewohner der Unterkunft ist nicht zu ersehen. Im Übrigen ist auf der gegenüberliegenden Straßenseite ein ausreichend breiter Gehweg vorhanden, der die Straße entlangführt. Auch mit Blick auf die umliegenden Betriebsgrundstücke kann schon vor dem Hintergrund, dass diese in der Regel eingezäunt sind, kein außerordentliches Gefahrenpotenzial für die Bewohner der Unterkunft erkannt werden.
60
(b) Außerdem ist die nach § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB erteilte Befreiung unter Berücksichtigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen der Wirtschaft vereinbar, insbesondere im Hinblick auf die auch objektiv-rechtlich zu berücksichtigenden betrieblichen Belange der im Gewerbegebiet ansässigen Gewerbebetriebe an der Erhaltung des betrieblichen Bestands und nach Betriebsausweitung einschließlich der Vermeidung von Nutzungskonflikten (§ 1 Abs. 6 Nr. 8 Buchst. a BauGB).
61
Vorliegend ist nicht davon auszugehen, dass die Belange der benachbarten Gewerbebetriebe – unter dem Gesichtspunkt einer heranrückenden Wohnbebauung – in unzulässiger Weise durch das Bauvorhaben eingeschränkt werden. Wie der fachtechnischen Stellungnahme des Landratsamts Haßberge vom 8. Januar 2024 entnommen werden kann, haben die ansässigen Gewerbebetriebe bereits auf die bestehende Wohnnutzung im Rahmen der umliegenden Betriebsleiterwohnungen Rücksicht zu nehmen. Eine Rücksichtslosigkeit aufgrund einer heranrückenden Wohnbebauung zu Lasten eines bestehenden lärmemittierenden Betriebs ist jedoch grundsätzlich ausgeschlossen, wenn das neue störempfindliche Vorhaben in der Nachbarschaft eines „störenden Betriebs“ für diesen keine weiteren Einschränkungen zur Folge haben wird, weil er schon auf eine vorhandene, in derselben Weise störempfindliche Bebauung Rücksicht nehmen muss (vgl. BVerwG, B.v. 3.12.2009 – 4 C 5.09 – juris Rn. 14; BayVGH, B.v. 24.4.2014 – 15 ZB 13.1167 – juris Rn. 13 m.w.N.; B.v. 6.11.2015 – 9 ZB 15.944 – juris Rn. 9; B.v. 5.4.2016 – 15 ZB 14.2792 – juris Rn. 4). So liegt der Fall hier, da die umliegenden Betriebe auch ohne das streitgegenständliche Bauvorhaben bereits eine Einschränkung durch die bestehende Wohnbebauung erfahren haben. Insoweit besteht für die Bewohner der Flüchtlingsunterkunft und der Betriebsleiterwohnungen eine vergleichbare Schutzwürdigkeit, so dass das streitgegenständliche Vorhaben keine weitergehenden Einschränkungen für die umliegenden Betriebe zur Folge haben wird.
62
(c) Die Abweichung ist auch mit dem öffentlichen Belang von Flüchtlingen oder Asylbegehrenden und ihrer Unterbringung vereinbar (§ 1 Abs. 6 Nr. 13 BauGB).
63
Jeder Wohncontainer der Gemeinschaftsunterkunft verfügt ausweislich der mit Genehmigungsvermerk versehenen Bauvorlagen neben zwei Schlafräumen über eine Wohnküche und ein Bad, so dass die an eine Flüchtlingsunterkunft zu stellenden Mindestanforderungen gewährleistet sind. Wie die Klägerseite zu Recht vorbringt, ist angesichts des Standorts der Unterkunft in einem Gewerbegebiet die wünschenswerte Teilhabe der Bewohner am öffentlichen Leben zwar eingeschränkt. Angesichts des Mangels an ausreichenden Unterbringungsmöglichkeiten gerade in Ballungsräumen mit einem angespannten Wohnungsmarkt und der Notwendigkeit, Anlagen zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbewerbern zeitnah zu ermöglichen (vgl. BR-Drs. 419/14 S. 1), hat der Gesetzgeber die Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden in dezentralen Lagen aber in Kauf genommen. So sind nach Maßgabe des zeitlich begrenzten Sonderrechts Flüchtlingsunterkünfte nicht nur in Gewerbe-, Industrie- und Sondergebieten zulassungsfähig, sondern auch in Außenbereichslagen, die in keinem unmittelbaren räumlichen Zusammenhang mit bebauten Flächen innerhalb eines Siedlungsbereichs stehen (§ 246 Abs. 10 Satz 1, Abs. 12 Satz 1 Nr. 2, Abs. 13 BauGB). Dies zugrunde gelegt wahrt die Abweichung trotz der nicht in ein Wohnumfeld integrierten Lage der Unterkunft eine den Mindestanforderungen genügende menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden (BayVGH, U.v. 14.2.2018 – 9 BV 16.1694 – BeckRS 2018, 2372 Rn. 66).
64
(d) Infolgedessen ist nach Auffassung der erkennenden Kammer davon auszugehen, dass die Abweichung unter Würdigung nachbarlicher Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar ist.
65
(3) Weiterhin hat die Kammer auch keine durchgreifenden Bedenken, dass die Voraussetzungen der Subsidiaritätsklausel des § 246 Abs. 13a BauGB bei Bescheidserlass vorlagen und damit von der Befreiungsmöglichkeit gemäß § 246 Abs. 10 BauGB Gebrauch gemacht werden konnte. Die Vorschrift bestimmt, dass nur dann von den Absätzen 8 bis 13 Gebrauch gemacht werden darf, soweit dringend benötigte Unterkünfte im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können.
66
Absatz 13a trägt dem Umstand Rechnung, dass die erheblichen Eingriffe in die Planungshoheit der Gemeinden und die Eigentumsrechte von Grundstücksnachbarn durch die ursprünglichen beiden BauGB-Flüchtlingsunterbringungsgesetze seinerzeit allein veranlasst waren durch die massiv angestiegenen Flüchtlingszahlen und dem daraus resultierenden und anders nicht zu deckendem akuten Bedarf an zusätzlichen Unterkünften. An die Erforderlichkeitsprüfung in diesem Sinne sind vor dem Hintergrund der Dringlichkeit der Unterbringung keine übersteigerten Anforderungen zu stellen (vgl. Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL Nov. 2024, § 246 Rn. 52m ff., 98; Scheidler, ZfBR 2016, 756 [757] zu Abs. 14).
67
Die Ausführungen des Landratsamts Haßberge unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Regierung von Unterfranken vom 31. Oktober 2024 haben die Dringlichkeit der Unterbringungsnotwendigkeit ausführlich, nachvollziehbar und plausibel begründet. Aus der Stellungnahme geht hervor, dass der Landkreis Haßberge die Quote nach DVAsyl mit Stand 29.7.2024 zu 94,61% erfüllt. Um die Quote zu 100% zu erfüllen, müsse der Landkreis noch 115 Personen aufnehmen. Die Regierungen und Kreisverwaltungsbehörden seien in mehreren Schreiben und allen Dienstbesprechungen von zuständigen Bayerischen Staatsministerium des Innern, für Sport und Integration aufgefordert worden, weitere Unterkünfte zu schaffen, um die ankommenden Personen unterzubringen. Um die ANKER-Einrichtungen dauerhaft aufnahmefähig zu halten, seien Abverlegungen in die sog. Anschlussunterbringung in ausreichendem Umfang erforderlich. Auch in den Monaten Januar bis August dieses Jahres blieben die Asylzugänge unverändert deutlich über dem langjährigen Schnitt, weshalb sich die Lage in der ANKER-Einrichtung jederzeit zuspitzen könne. Um darauf vorbereitet zu sein, müssten weiterhin neue Unterbringungsplätze geschaffen werden, denn die vorhandenen Unterkunftsplätze in der Anschlussunterbringung seien zu über 90% ausgelastet und damit voll belegt. Für die Errichtung weiterer benötigter Gemeinschaftsunterkünfte sei die Regierung von Unterfranken auf Angebote des Immobilienmarktes angewiesen. Das angebotene Gewerbegrundstück in Haßfurt sei das einzige Mietangebot gewesen, das aus dem Landkreis Haßberge vorgelegen habe. Mangels andere Alternativen habe der Freistaat Bayern dieses Angebot angenommen.
68
Das Gericht hat keinen Zweifel daran, dass die vom Landratsamt unter Bezugnahme auf die Stellungnahme der Regierung von Unterfranken geschilderte Situation zutreffend ist. Aus den – auch von Klägerseite nicht substantiell in Zweifel gestellten – Angaben wird ersichtlich, dass über einen längeren Zeitraum hinweg und auch zum maßgeblichen Zeitpunkt des Bescheiderlasses von einem dringenden Bedarf an der Neuschaffung von Unterkunftsmöglichkeiten auszugehen ist. Selbst der von der Genehmigung erfasste Umfang – bei Zugrundelegung der vollständigen Belegungskapazität – reicht noch nicht aus, um den von der Regierung von Unterfranken aufgezeigten Bedarf an Unterkunftsplätzen im Landkreis Haßberge zu decken. Der Landkreis muss nicht nur seiner laufenden Aufnahme- und Unterbringungsverpflichtung nachkommen, sondern auch den inzwischen infolge der Quotenuntererfüllung aufgelaufenen „Negativsaldo“ ausgleichen. Ebenso ist aufgezeigt worden, dass der Regierung von Unterfranken bei Bescheiderlass keine Standortalternativen zur Verfügung standen, um für eine ausreichende Bedarfsdeckung zu sorgen. Es ist nicht zu ersehen, dass anderweitige geeignete Grundstücke und Gebäude für die Unterbringung in ausreichendem Umfang zur Verfügung gestanden hätten. Vielmehr dürfte es sich nach den Darlegungen der Regierung von Unterfranken um die alleinige Option gehandelt haben, auf dem sofort verfügbaren Vorhabengrundstück im Gemeindegebiet der Klägerin Unterkunftskapazitäten zu schaffen. In Anbetracht dessen kann nicht davon ausgegangen werden, dass eine (geplante) Unterbringungskapazität existiert, die insgesamt mit dem tatsächlichen oder prognostizierten Zustrom von Flüchtlingen und Asylbegehrenden Schritt halten kann.
69
(4) Auch auf Rechtsfolgenseite ergeben sich nach Auffassung der Kammer keine durchgreifenden Bedenken. Die Entscheidung über die Befreiung ist ermessensgerecht.
70
Das Ermessen der Baugenehmigungsbehörde aus § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB ist hinsichtlich der Erteilung der Befreiung zu Gunsten der Beigeladenen auf Null reduziert (vgl. VGH Mannheim, B.v. 17.5.2017 – 5 S 1505/15 – juris Rn. 40; BayVGH, U.v. 14.2.2018 – 9 BV 16.1694 – juris Rn. 68; auch Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, 15. Aufl. 2022, § 246 Rn. 27 m.w.N.). Bereits regelmäßig und allgemein verbleibt für die Ausübung des Befreiungsermessens wenig Spielraum, wenn die engen Voraussetzungen für die Erteilung einer Befreiung nach § 31 Abs. 2 BauGB erfüllt sind. Dies gilt auch für das der Baugenehmigungsbehörde in § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB eröffnete Ermessen, auch wenn der Tatbestand mit dem Verzicht auf die Prüfung der Berührung der Planungsgrundzüge hier nicht genauso eng wie in § 31 Abs. 2 BauGB gefasst ist. Denn die zeitlich befristete Ermächtigungsgrundlage des § 246 Abs. 10 Satz 1 BauGB zielt gerade auf die weitgehende Erteilung von Befreiungen. Da unter Zugrundelegung der vorstehenden Ausführungen nicht ersichtlich ist, dass nachbarliche Interessen konkret beeinträchtigt sein könnten, städtebauliche Belange – etwa Planungsabsichten der Gemeinde – nicht berührt sind und also damit einerseits relevante öffentliche Belange oder nachbarliche Interessen in keiner Weise negativ betroffen sind, andererseits ein hohes öffentliches Interesse an der Schaffung zusätzlicher Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbegehrende besteht, ist von einer Ermessensreduzierung auf Null auszugehen (vgl. VGH Mannheim, B.v. 11.3.2015 – 8 S 492/15 – juris Rn. 20).
71
2.1.4. Im Ergebnis erweist sich die erteilte Befreiung als rechtmäßig und damit auch das streitgegenständliche Bauvorhaben als der Art der baulichen Nutzung nach zulässig.
72
2.2. Überdies fügt sich das streitgegenständliche Bauvorhaben auch nach dem Maß der baulichen Nutzung in die Eigenart der näheren Umgebung ein, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB. Im Einzelnen:
73
Für das Einfügen in die Eigenart der näheren Umgebung nach dem Maß der baulichen Nutzung sind die vorhandenen Gebäude in der näheren Umgebung zueinander in Beziehung zu setzen. Gebäude prägen ihre Umgebung nicht durch einzelne Maßbestimmungsfaktoren i.S.d. § 16 Abs. 2 BauNVO, sondern erzielen ihre optische maßstabsbildende Wirkung durch ihr gesamtes Erscheinungsbild. Maßgeblich ist insofern für das Einfügen primär die äußere Kubatur des Vorhabens, gemessen an der von außen erkennbaren Gebäudegeometrie, die durch die Gebäudehöhe (First und Traufe) bestimmt wird; hierbei ist kumulierend auf die absolute Größe der Gebäude nach Grundfläche, Geschosszahl und Höhe abzustellen (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 20; Jeromin in Kröninger/Jaschke/Jeromin, BauGB, 5. Aufl. 2024, § 34 Rn. 28; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL Nov. 2024, § 34 BauGB Rn. 40). Da das Erfordernis des Einfügens nicht zur Uniformität zwingt, ist es nicht notwendig, dass ein streitiges Vorhaben den aus der Umgebung abzuleitenden Rahmen exakt einhält. Es können sich deshalb auch solche Vorhaben hinsichtlich in Rede stehender Beurteilungsmaßstäbe einfügen, die über den vorhandenen Rahmen unwesentlich hinausgehen. Erst bei einer wesentlichen Überschreitung des Rahmens schließt sich die Frage an, ob sich ein Vorhaben dennoch einfügt, weil es nicht geeignet ist, bodenrechtlich beachtliche Spannungen zu begründen oder vorhandene Spannungen zu erhöhen (BVerwG, U.v. 8.12.2016 – 4 C 7/15 – juris Rn. 20 f.). Dabei ist die von außen wahrnehmbare Erscheinung des Gebäudes im Verhältnis zur Umgebungsbebauung nicht auf den Blick von der Erschließungsstraße aus zu reduzieren (OVG Lüneburg, B.v. 12.2.2019 – 1 ME 151.18 – BeckRS 2019, 3087 Rn. 10; Söfker in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL Nov. 2024, § 34 BauGB Rn. 40). Hierbei ist auf die Maße abzustellen, die einerseits bei dem hinzutretenden Bauvorhaben und andererseits bei der maßgeblichen Umgebungsbebauung nach außen wahrnehmbar in Erscheinung treten. Dabei kommt es vornehmlich auf die in § 16 Abs. 2 BauNVO genannten absoluten Größenmaße des Baukörpers an; dazu zählen die Länge und Breite der Grundfläche, die Geschosszahl und die Höhe der Gebäude.
74
Unter Heranziehung der zu den Akten genommenen Lagepläne, Lichtbilder und Luftbilder und des durchgeführten Augenscheintermins sowie der Weitergabe dieser Erkenntnisse auch mittels der anlässlich dieses Termins gefertigten Lichtbilder an die ehrenamtlichen Richter fügt sich das geplante Vorhaben hinsichtlich der flächenmäßigen Ausdehnung, der Höhe und auch der Geschosszahl in die nähere Umgebung ein. Soweit die Klägerseite vorbringt, das Vorhaben überschreite hinsichtlich seiner Grundfläche den vorhandenen Rahmen der Umgebungsbebauung, vermag dies der Klage nicht zum Erfolg zu verhelfen. Die Bebauung in dem maßgeblichen Straßengeviert ist insbesondere von großvolumigen Gebäuden der gewerblichen Betriebe (insb. Lagerhallen), aber auch kleinteiligen gewerblichen Gebäuden geprägt. Außerdem finden sich von der Grundfläche her kleinere ein- oder zweigeschossige Häuser. Die geplante Ausführung des Bauvorhabens liegt damit nach Auffassung der Kammer im Rahmen der vorhandenen Prägung der Umgebungsbebauung. Hinsichtlich der flächenmäßigen Ausdehnung wird der vorhandene Rahmen der Umgebungsbebauung mit einer Grundfläche von 1.327,50 m² nicht überschritten. Entgegen des klägerischen Vorbringens errechnet sich die Grundfläche nach dem Anteil des Baugrundstücks, der von baulichen Anlagen überdeckt ist (vgl. § 19 Abs. 2 BauNVO), sodass weder jedes einzelne Modul mit einer Fläche von 108,5 m², noch die gesamte Fläche des Baugrundstücks (3.514,5 m²) als Referenz heranzuziehen ist. Als geeignetes Vergleichsobjekt kann insoweit auf Fl.Nr. 3400/16 mit einer Grundfläche von 1.625 m² (B19) verwiesen werden. Dass das Bauvorhaben hinsichtlich seiner Höheneinstellung oder seiner Geschosszahl den vorgegebenen Rahmen der Umgebungsbebauung überschreitet, ist weder vorgebracht worden noch sonst für die Kammer ersichtlich.
75
Soweit die Klägerseite überdies eine Überschreitung des Verhältnisses der Gebäudefläche zur umliegenden Freifläche auf dem Baugrundstück geltend macht, kann sie damit ebenfalls nicht durchdringen. Zwar ist der Klägerseite insoweit Recht zu geben, als in dem maßgeblichen Gebiet auch größere Grundstücke vorhanden sind, die zum Teil umfangreiche unbebaute Flächen aufweisen. Die Besonderheit des zugrundeliegenden Gebietes liegt jedoch gerade darin, dass diese unbebauten Flächen auf den betrieblichen Grundstücken stets als Lagerfläche für Container, LKW, PKW, Anhänger, Gerüstbau- und Maurermaterialien genutzt werden. Die maßgeblichen Flächen zeichnen sich insoweit gerade nicht als „Freiflächen“ in diesem Sinn aus, sondern vielmehr als Nutzfläche und bauliche Anlagen im Sinne des Art. 2 Abs. 1 Satz 3 Nr. 2 BayBO. Eine Überschreitung hinsichtlich des Maßes der baulichen Nutzung ist damit nicht zu erkennen.
76
2.3. Das streitgegenständliche Bauvorhaben fügt sich auch nach der Bauweise und der überbaubaren Grundstücksfläche in die Eigenart der näheren Umgebung ein, § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB.
77
Für das Zulässigkeitsmerkmal „überbaubare Grundstücksfläche“ kann auf die in § 23 BauNVO bezeichneten Begriffsbestimmungen von Baulinie, Baugrenze und Bebauungstiefe zurückgegriffen werden, sofern die Eigenart der näheren Umgebung faktisch hiervon geprägt wird (vgl. hierzu BayVGH, B.v. 12.1.2012 – 15 ZB 10.445 – juris und B.v. 28.1.2002 – 20 ZB 01.3161 – juris; Söfker/Hellriegel in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL Nov. 2024, § 34 BauGB Rn. 47). Die darauf zu beziehende Eigenart der näheren Umgebung i.S.d. § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB geht aus von den in der näheren Umgebung tatsächlich vorhandenen Baulinien, Baugrenzen und Bebauungstiefen (Söfker/Hellriegel in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, BauGB, 157. EL Nov. 2024, § 34 BauGB Rn. 47). So darf nach § 23 Abs. 3 BauNVO eine (faktische) Baugrenze durch bauliche Anlagen nicht überschritten werden.
78
Eine faktische Baugrenze, die dazu führt, dass der jenseits dieser Grenze liegende Bereich von Bebauung freizuhalten ist, muss sich deutlich aus der Umgebungsbebauung ablesen lassen. Die Feststellung einer solchen Grenze verlangt hinreichende Anhaltspunkte für eine städtebaulich verfestigte Situation. Die vorhandene Bebauung bzw. eine hieraus folgende Baugrenze darf kein bloßes „Zufallsprodukt“ ohne eigenen städtebaulichen Aussagewert sein (BayVGH, B.v. 3.3.2016 – 15 ZB 14.1542 – juris Rn. 12 m.w.N.). Es muss – ggf. unter Ausblendung von funktionell und räumlich-gegenständlich untergeordneten Nebenanlagen – aus der Lage der vorhandenen Umgebungsbebauung eine Regel ableitbar (d.h. erkennbar und formulierbar) sein, wie aus der Flucht der Fassaden eine gemeinsame Baugrenze gebildet wird (vgl. BayVGH, B.v. 26.10.2021 – 15 B 19.2130 – juris Rn. 54; B.v. 9.9.2013 – 2 ZB 12.1544 – juris Rn. 8)
79
Soweit die Klägerseite vorbringt, dass die Gebäude auf den in östlicher und westlicher Richtung an das Baugrundstück anschließenden Grundstücken stets einen Abstand von mindestens 3 m zur Erschließungsstraße M … einhielten, kann die erkennende Kammer eine faktische Baugrenze nicht ersehen. Eine nach den vorstehenden Ausführungen erforderliche, einheitliche städtebauliche Struktur, die die Annahme einer faktischen vorderen Baugrenze rechtfertigen könnte, ist aus der näheren Umgebung nicht ablesbar. Insoweit ist zu erkennen, dass die betroffenen Grundstücke (Fl.Nrn. …4, …1, …4, …9) bzw. die darauf befindlichen Gebäude nicht auf einer Linie, sondern vielmehr mit unterschiedlichen Abständen zur Straße errichtet worden sind. Zwar bringt die Klägerseite zu Recht vor, dass die Gebäude bei einer Baugrenze diese lediglich nicht überschreiten dürfen (§ 23 Abs. 3 Satz 1 BauNVO) und nicht – wie bei einer Baulinie – auf dieser gebaut werden müssen (§ 23 Abs. 2 Satz 1 BauNVO). Dennoch muss für sich eine klare Einheitlichkeit der faktischen Baugrenze erkennbar sein. Dies vermag die Kammer nicht im Geringsten zu erkennen. Der Bereich ist indes nicht geeignet, eine eigenständige städtebauliche Struktur vorzugeben, die aufgrund ihres städtebaulichen Aussagewerts die mit der Annahme einer faktischen Baugrenze verbundene Beschränkung rechtfertigen könnte.
80
2.4. Schließlich wird auch das in § 34 Abs. 2 BauGB i.V.m. § 15 Abs. 1 Satz 2 BauNVO verankerte nachbarschützende Gebot der Rücksichtnahme durch die streitgegenständliche Baugenehmigung nicht verletzt.
81
Das Gebot der Rücksichtnahme (grundlegend BVerwG, U.v. 25.2.1977 – IV C 22/75 – BVerwGE 52, 122) soll einen angemessenen Interessenausgleich gewährleisten. Die an das Gebot der Rücksichtnahme zu stellenden Anforderungen hängen im Wesentlichen von den konkreten Umständen des Einzelfalls ab. Die vorzunehmende Interessenabwägung hat sich daran zu orientieren, was dem Rücksichtnahmebegünstigten und dem Rücksichtnahmeverpflichteten jeweils nach Lage der Dinge zuzumuten ist. Dies beurteilt sich nach der jeweiligen Situation der benachbarten Grundstücke. Je empfindlicher und schutzwürdiger die Stellung des Rücksichtnahmeberechtigten ist, desto mehr kann er an Rücksichtnahme verlangen. Je verständlicher und unabweisbarer die Interessen des Bauherrn sind, die er mit dem Vorhaben verfolgt, desto weniger muss er Rücksicht nehmen (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78 – juris). Das Gebot der Rücksichtnahme ist demnach nur dann verletzt, wenn die dem Nachbarn aus der Verwirklichung des geplanten Vorhabens resultierenden Nachteile das Maß dessen übersteigen, was ihm billigerweise noch zumutbar ist (vgl. Mitschang/Reidt in Battis/Krautzberger/Löhr, BauGB, 15. Aufl. 2022, § 35 Rn. 78). In der Rechtsprechung ist zudem anerkannt, dass eine Verletzung des Rücksichtnahmegebots auch dann in Betracht kommt, wenn durch die Verwirklichung des genehmigten Vorhabens ein in der unmittelbaren Nachbarschaft z.B. befindliches Wohngebäude „eingemauert“ oder „erdrückt“ wird (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 13.3.1981 – 4 C 1/78; B.v. 20.9.1984 – 4 B 181/84; U.v. 23.5.1986 – 4 C 34/85 – alle juris). Ob dies der Fall ist, hängt ganz wesentlich von der konkreten Situation im Einzelfall ab.
82
Soweit sich die Klägerseite insoweit auf durch den Standort des Bauvorhabens verursachte Hochwassergefahren für die Grundstücke in der näheren Umgebung beruft, geht dieses Vorbringen im Rahmen des vorliegenden Baugenehmigungsverfahrens ins Leere. Vorliegend sind das Baugenehmigungsverfahren und das wasserrechtliche Genehmigungsverfahren mangels angeordneter Konzentrationswirkung zu trennen. Da das Baugrundstück teilweise innerhalb des amtlich festgesetzten Überschwemmungsgebiets des Mains liegt, war für das Bauvorhaben neben der Baugenehmigung auch eine wasserrechtliche Genehmigung nach § 78 Abs. 5 WHG einzuholen, welche mit gesondertem Bescheid vom 24. Juli 2024 erteilt worden ist. Dementsprechend ist davon auszugehen, dass sich die Vorschriften zum wasserrechtlichen Genehmigungsverfahren u.a. aufgrund der Neufassung des § 78 WHG als spezieller darstellen. Die Anwendung des Rücksichtnahmegebots findet ihre Grenze jedenfalls dort, wo der Gesetzgeber – wie in § 78 WHG – eine spezielle Inhalts- und Schrankenbestimmung des Bodeneigentums getroffen hat und wo ein besonderes Verfahren existiert, in welchem die fraglichen Belange zu prüfen sind. Die Vorschrift des § 78 Abs. 5 Satz 1 WHG hat das Ziel, jede Verschlechterung der Hochwassersituation zu vermeiden, womit ein deutlich strengerer Maßstab gegeben ist als durch das Kriterium der Unzumutbarkeit im Sinne des baurechtlichen Rücksichtnahmegebots. Vor diesem Hintergrund ist es nicht mehr ersichtlich, warum bei der Lage eines Bauvorhabens in einem festgesetzten Überschwemmungsgebiet trotz eines speziellen, jedenfalls nunmehr auch Nachbarschutz vermittelnden wasserrechtlichen Genehmigungsverfahrens (vgl. § 78 Abs. 5 Satz 2 WHG) noch Raum bleiben sollte, für die Beurteilung derselben Gefahrenlagen nach dem baurechtlichen Rücksichtnahmegebot (vgl. BayVGH, B.v. 17.7.2020 – 9 CS 20.1250 – juris Rn. 20; B.v. 6.2.2019 – 15 CS 18.2459 – juris Rn. 37; VG München, B.v. 15.1.2019 – M 9 SN 18.4926 – BeckRS 2019, 191 Rn. 29; U.v. 3.7.2019 – M 9 K 18.3944 – BeckRS 2019, 14412 Rn. 30).
83
Vielmehr geht die erkennende Kammer unter Berücksichtigung der vorstehenden Ausführungen davon aus, dass aufgrund der Spezialität der Regelungen aus § 78 Abs. 5 WHG und eines hieraus folgenden Vorrangs des wasserrechtlichen Genehmigungsverfahrens die Zumutbarkeit von hochwasserbezogenen Auswirkungen eines Bauvorhabens auf ein Nachbargrundstück im Baugenehmigungsverfahren nicht mehr als Bestandteil des (nachbarschützenden) bauplanungsrechtlichen Rücksichtnahmegebots zu prüfen sind (vgl. auch Rossi in Sieder/Zeitler/Dahme/Knopp, WHG, 59. EL Aug. 2024 § 78 Rn. 76; Schmitt in BeckOK UmweltR, 74. Ed. 1.4.2025, § 78 Rn. 100). Auch sonst spricht hier nichts für eine Verletzung des nachbarlichen Rücksichtnahmegebots.
84
3. Die Klägerin hat ihr Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 BauGB damit zu Unrecht verweigert.
85
Das Landratsamt Haßberge hat das rechtswidrig verweigerte Einvernehmen zu Recht ersetzt, weil den Beigeladenen ein Anspruch auf Erteilung der beantragten Baugenehmigung zusteht (Art. 68 Abs. 1 Satz 1 Hs. 1 BayBO). Ein Ermessen der Behörde bestand, da es sich um das gemeindliche Einvernehmen nach § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB handelt, nach dem Wortlaut des Art. 67 Abs. 1 Satz 1 Hs. 2 BayBO („ist“) nicht (vgl. dazu Dirnberger in Busse/Kraus, BayBO, 157. EL Jan. 2025, Art. 67 Rn. 100; Greim-Diroll in BeckOK BayBO, 33. Ed. 1.5.2025, Art. 67 Rn. 7).
86
4. Nach alldem war die Klage mit der sich aus § 154 Abs. 1 VwGO ergebenden Kostenfolge abzuweisen.
87
Da die Beigeladenen keinen Antrag gestellt und sich somit nicht am Kostenrisiko beteiligt haben, tragen sie ihre außergerichtlichen Kosten selbst (§ 162 Abs. 3 VwGO).
88
Der Ausspruch über die sofortige Vollstreckbarkeit der Kostenentscheidung beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 Nr. 11, § 711 ZPO.