Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 28.03.2025 – AN 9 S 24.3109
Titel:

Baugenehmigung, Doppelhaus, Doppelhausrechtsprechung, Doppelhauscharakter, offene Bauweise, Drittschutz

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5
BayBO Art. 6 Abs. 1 S. 4
BauNVO § 22
Schlagworte:
Baugenehmigung, Doppelhaus, Doppelhausrechtsprechung, Doppelhauscharakter, offene Bauweise, Drittschutz
Rechtsmittelinstanz:
VGH München, Beschluss vom 31.07.2025 – 9 CS 25.772
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18871

Tenor

1. Der Antrag wird abgelehnt.
2. Die Antragstellerinnen tragen die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten des Beigeladenen.
3. Der Streitwert wird auf 5.000,00 EUR festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Beteiligten streiten über die Rechtmäßigkeit der Baugenehmigung der Antragsgegnerin vom 28. Oktober 2024 ( …) für die „Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 5 Wohneinheiten und einem Fahrradhaus“ an den Beigeladenen.
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Die Antragstellerinnen sind gemeinschaftliche Eigentümerinnen des Grundstücks FlNr. … der Gemarkung … im Hoheitsgebiet der Antragsgegnerin. Der Beigeladene ist Eigentümer des Nachbargrundstücks FlNr. … der Gemarkung … Die beiden Grundstücke liegen im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. … vom 20. Januar 1968, gem. dessen Ziff. 5 der „weiteren Festsetzungen“ für das Plangebiet die offene Bauweise gilt mit der Abweichung, dass Garagen auf den dafür im Plan festgesetzten Flächen an der Grundstücksgrenze zulässig sind, selbst wenn sie mit dem Hauptgebäude verbunden werden. Für die streitgegenständlichen Grundstücke sieht der Bebauungsplan Baugrenzen vor und enthält Festsetzungen hinsichtlich der Zahl der Vollgeschosse. Derzeit sind die streitgegenständlichen Grundstücke mit an der gemeinsamen Grundstücksgrenze deckungsgleich aneinander gebauten Doppelhaushälften jeweils mit der Geschosszahl E + 1 bebaut.
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Der Beigeladene beantragte erstmals am 23. Januar 2023 unter dem behördlichen Az. … die Genehmigung für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 4 Wohneinheiten (E + 3) anstelle der bestehenden Doppelhaushälfte, welche abgerissen werden soll. Die mit Bescheid vom 11. Mai 2023 erteilte Baugenehmigung mit Befreiung gem. § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Westen durch die Terrasse, wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Westen durch die Balkone und wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Ost durch das Vordach wurde mit Bescheid der Antragsgegnerin vom 7. Mai 2024 aufgehoben, nachdem der unter dem gerichtlichen Az. AN 9 S 23.1256 gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung der Klage erfolgreich war und auch die hiergegen erhobene Beschwerde zum Bayer. Verwaltungsgerichtshof zurückgewiesen worden war.
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Mit Bauantrag vom 24. Juli 2024 beantragte der Beigeladene die Baugenehmigung für die „Errichtung eines Mehrfamilienhauses mit 5 Wohneinheiten und einem Fahrradhaus“ unter Beseitigung der bestehenden Doppelhaushälfte auf dem Grundstück FlNr. … der Gemarkung … Ausweislich der eingereichten digitalen Planunterlagen erfolgt der Anbau an die Doppelhaushälfte auf dem Grundstück der Antragstellerinnen entlang der gemeinsamen Grundstücksgrenze deckungsgleich auf einer Länge von 9,94 m (Eingabeplan Grundriss EG). Die geplante Doppelhaushälfte soll neben dem Erdgeschoss und dem 1. Obergeschoss ein ausgebautes Dachgeschoss erhalten. Die Planung sieht darüber hinaus eine Breite der zukünftigen Doppelhaushälfte von 15,57 m vor. Die Doppelhaushälfte der Antragstellerinnen weist ausweislich der Planunterlagen aus dem Jahr 1971 eine Breite von 11,95 m auf. Die Dachneigung soll 37,3° betragen, die Firsthöhe 10,54 m und die Traufhöhe 6,78 m. Südwestlich (Gartenseite) soll ein Zwerchgiebel errichtet und das streitgegenständliche Gebäude insoweit auf einer Breite von 7,32 m mit einer Tiefe von 3,0 m nach Westen verspringen. Auf den Abstandsflächenplan (Plan Nr. 4) wird Bezug genommen.
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Mit Bescheid vom 28. Oktober 2024 erteilte die Antragsgegnerin für das beantragte Vorhaben die Baugenehmigung unter Erteilung von Befreiungen gem. § 31 Abs. 2 BauGB von den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. … wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Osten durch das Hauptgebäude, wegen Überschreitung der Baugrenzen nach Westen durch die geplanten Balkone und die geplante Terrasse, wegen der Errichtung von einem Kniestock und wegen Nichteinhaltung der festgesetzten Dachneigung (festgesetzt 30°, geplant 37,3°) und wegen der Errichtung von einem Fahrradhaus. Gleichzeitig wurde eine Abweichung zugelassen gem. Art. 63 Abs. 3 BayBO i.V.m. § 6 der Satzung über die Herstellung und Bereithaltung von Kraftfahrzeugstellplätzen und Fahrradabstellplätzen (Stellplatzsatzung – StS) der Stadt … von § 2 StS wegen der Forderung von 5 Kfz Stellplätzen und 10 Fahrradabstellplätzen und von § 3 Abs. 2 StS wegen der Anrechnung eines um 2.500,00 EUR je Kfz-Stellplatz verminderten Ablösungsbetrags für 3 abgelöste Kfz-Stellplätze. Zudem wurde die Genehmigung zur Beseitigung des Baumbestands bezüglich des im Freiflächengestaltungsplan dargestellten Baumbestandes Birke Nr. 1 mit 125 cm Stammumfang erteilt.
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Ein Abdruck des Baugenehmigungsbescheids wurde den Antragstellerinnen am 9. November 2024 und am 16. November 2024 zugestellt.
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Mit bei Gericht am 6. Dezember 2024 eingegangenem Schriftsatz ließen die Antragstellerinnen unter dem gerichtlichen Az. AN 9 K 24.3110 Klage erheben und zur Begründung im Wesentlichen Folgendes vortragen: Das Vorhaben entspreche schon nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans Nr. …, da für das streitgegenständliche Grundstück ausschließlich eine Bebauung mit E + 1 zulässig sei. Außerdem wahre der Neubau nicht den Doppelhauscharakter i.S.v. § 22 Abs. 2 BauNVO. Das Vorhaben verstoße jedenfalls gegen das Rücksichtnahmegebot i.S.v. § 15 BauNVO und stelle eine unzumutbare Beeinträchtigung für die Antragstellerinnen dar. Dass der Doppelhauscharakter durch das geplante Vorhaben aufgehoben werde, ergebe sich aus der Vielzahl der erforderlichen Befreiungen. Für den Gesamteindruck sei zudem gerade nicht nur eine Seitenansicht entscheidend, zumal vorliegend eine tatsächliche Auseinandersetzung aufgrund der bloßen Umrisse für lediglich 2 Seiten nicht möglich sei. Anderenfalls könnten letztlich ungehindert und grenzenlos Änderungen erfolgen, die von 3 Seiten betrachtet die optische Einheit aufheben und das Bestandsgebäude auf ein bloßes Anhängsel reduzieren würden. Weil aber die optische Einheit auf einer Seite gerade noch gewahrt bleibe, würden diese Aspekte keine Rolle mehr spielen. Aus der Trauf- und Firsthöhe folge gerade nicht die Gleichwertigkeit und Wechselseitigkeit der Gebäude. Diese sei insbesondere auch dadurch nicht gegeben, dass der ohnehin von sämtlichen Gebäuden der nicht nur unmittelbaren Nachbarschaft abweichende und die Baugrenzen überschreitende erhebliche Anbau die gleiche Trauf- und Firsthöhe habe. Zusammen mit seiner Breite für die zusätzlichen Wohneinheiten trete dieser sehr wohl deutlich in Erscheinung. Das geplante Vorhaben sei 3,62 m breiter als die Bestandsgebäude, was bereits für sich allein genommen die Einheitlichkeit aufheben würde.
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Vorliegend werde der Eindruck fehlender Einheitlichkeit noch dadurch verstärkt, dass First- und Traufhöhe identisch seien (die Abweichung also nur an einer Seite die Symmetrie optisch deutlicher störe) und die Fensteranordnung aufgrund der zusätzlichen Wohneinheiten, der Kniestockabweichung und der abweichenden Dachneigung deutlich unterschiedlich sei. Das geplante Vorhaben sei insgesamt derart überdimensioniert, dass das Bestandsgebäude der Antragstellerinnen lediglich ein bloßes Anhängsel darstellen würde und die Einheitlichkeit und der Doppelhauscharakter aufgehoben würden. Der durch den Zwerchgiebel erheblich reduzierte Lichteinfall bei den Antragstellerinnen sei sehr wohl zu berücksichtigen.
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Die Antragstellerinnen beantragen im vorliegenden Verfahren des einstweiligen Rechtsschutzes:
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Die aufschiebende Wirkung der Klage gegen die Baugenehmigung des Bescheids vom 28. Oktober 2024 wird gem. § 80 Abs. 5 VwGO angeordnet.
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Die Antragsgegnerin beantragt,
den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung führt sie aus, dass das geplante Gebäude des Beigeladenen direkt an das Gebäude der Antragstellerinnen angebaut werde. Die Ansichten Nord, Süd, West und Ost sowie der Schnitt sähen eine Traufhöhe des Vorhabens von 6,78 m und eine Firsthöhe von 10,4 m vor. Damit entspreche das streitgegenständliche Vorhaben in seiner Trauf- und Firsthöhe dem Gebäude der Antragstellerinnen. Die Gebäude seien zudem mit einer Tiefe von 9,94 m an der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinandergebaut. Straßenseitig stimme die Gebäudeflucht mit dem Anwesen der Antragstellerinnen überein. Südlich werde ein Zwerchgiebel errichtet, der auf einer Breite von 7,32 m das streitgegenständliche Gebäude mit einer Tiefe von 3,0 m nach Westen verspringe. Die Abstandsflächen würden eingehalten. Eine Verletzung nachbarlicher Rechte durch die Erteilung von Befreiungen für die Überschreitung der östlichen und westlichen Baugrenzen durch das Hauptgebäude bzw. durch die Balkone und die Terrasse sei nicht ersichtlich. Entgegen der Ansicht der Antragstellerinnen liege zudem ein Doppelhaus vor. Denn beide Gebäudehälften wiesen straßenseitig eine einheitliche Außenwand auf, das Beigeladenengebäude greife First- und Traufhöhe des Antragstellerinnengebäudes auf. Auch die Dachform des bestehenden Gebäudes werde aufgegriffen. Dass das Beigeladenengebäude mit 15,57 m breiter sei als das Gebäude der Antragstellerinnen mit 11,95 m, vermöge allein die durch die restlichen Kriterien begründete Gleichwertigkeit und Wechselseitigkeit nicht aufzuheben. Gerade aufgrund der stark in Erscheinung tretenden First- und Traufhöhengleichheit erschienen die beiden Hälften als ein Gebäude. Der Eindruck, dass es sich nur um ein Gebäude handele, bleibe auch trotz des Zwerchgiebels erhalten. Hier sei insbesondere zu berücksichtigen, dass dieser einen Abstand zur Grenze einhalte und straßenseitig nicht in Erscheinung trete. Auch hinsichtlich seiner Baumasse trete der Zwerchgiebel im Verhältnis zur Kubatur des restlichen Gebäudes nicht in Erscheinung.
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Der Beigeladene beantragt,
den Antrag gem. § 80 Abs. 5 VwGO abzulehnen.
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Zur Begründung lässt er vortragen, dass das geplante Vorhaben nunmehr an das auf dem nachbarlichen Grundstück befindliche Bestandsgebäude angepasst worden sei. Ein Versatz in der Höhe sowie ein Versatz in der Tiefe seien nicht vorhanden. Bei der Bewertung der wechselseitigen Verträglichkeit komme es maßgeblich darauf an, wie die beiden Häuser aneinandergebaut seien. Die beiden Häuser müssten in wechselseitig vertretbarer und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden. Das bedeute, dass die Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze im Wesentlichen übereinstimmen und zu einem wesentlichen Teil zusammengebaut werden müssten. An der Grundstücksgrenze würden vorliegend die beiden Häuser deckungsgleich aneinandergebaut werden. Vor diesem Hintergrund komme es im Übrigen nur sehr untergeordnet darauf an, wie sich der Baukörper jenseits der gemeinsamen Grundstücksgrenze verhalte. Die Doppelhausrechtsprechung stelle darauf ab, wie die Vorhaben „aneinandergebaut“ seien. Maßgeblich sei daher, wie sich die wechselseitige Verträglichkeit an der Grundstücksgrenze auswirke. Die übrigen Abstandsflächen müssten und würden eingehalten werden. Im vorliegenden Fall werde jedoch auch die Kubatur im Wesentlichen vergleichbar sein. Durch die etwas größere Breite des Hauptbaukörpers sowie die Errichtung eines Giebels im rückwärtigen Grundstücksbereich werde die wechselseitige Verträglichkeit der beiden Gebäude nicht aufgehoben. Im Übrigen gingen die Ausführungen der Antragstellerinnen fehl, da sie sich nicht auf nachbarschützende Vorschriften stützen könnten. Die erteilten Befreiungen beträfen einerseits Baugrenzen nach Osten und Westen, von denen die Antragstellerinnen (im Norden) nicht betroffen seien. Auch die Befreiung von der festgesetzten Dachneigung und in der Errichtung eines Kniestocks beträfen örtliche Bauvorschriften, die ebenfalls nicht nachbarschützend seien.
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Wegen der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten auch in den beigezogenen Verfahren AN 9 S 23.1256 und AN 9 K 23.1257 Bezug genommen.
II.
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Der zulässige Antrag mit dem Ziel der Anordnung der aufschiebenden Wirkung der in dem Hauptsacheverfahren AN 9 K 25.3110 erhobenen Anfechtungsklage gegen die dem Beigeladenen mit Bescheid vom 28. Oktober 2024 erteilte Baugenehmigung hat in der Sache keinen Erfolg.
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1. Der Antrag ist zulässig.
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Er ist insbesondere statthaft nach § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO. Denn der Anfechtungsklage in der Hauptsache gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 28. Oktober 2024 kommt entgegen dem allgemeinen Grundsatz des § 80 Abs. 1 VwGO gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 212a BauGB keine aufschiebende Wirkung zu.
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2. Hingegen ist der Antrag in der Sache unbegründet.
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Nach § 80 Abs. 5 Satz 1 VwGO hat das erkennende Gericht eine eigenständige und originäre Interessenabwägung zwischen dem – in § 212a BauGB zum Ausdruck gelangten – Vollzugsinteresse des Beigeladenen und dem Aussetzungsinteresse der Antragstellerinnen zu treffen. Bei dieser gerichtlichen Ermessensentscheidung kommt vor allem den – nach dem Wesen des Eilverfahrens nur summarisch zu prüfenden – Erfolgsaussichten des in der Hauptsache eingelegten Rechtsbehelfs eine maßgebliche Bedeutung zu (vgl. BVerwG, B.v. 6.7.1994 – 1 VR 10.93 – juris Rn. 4). Dabei können allerdings – eben wegen des summarischen Charakters des Eilverfahrens und seiner nur begrenzten Erkenntnismöglichkeiten – weder schwierige Rechtsfragen vertieft oder abschließend geklärt noch komplizierte Tatsachenfeststellungen getroffen werden; solches muss dem Verfahren der Hauptsache überlassen bleiben (OVG NRW, B.v. 26.1.1999 – 3 B 2861/97 – juris Rn. 4). Wird bei einer derartigen summarischen Prüfung der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich erfolgreich sein, so wird dem Antrag regelmäßig zu entsprechen sein. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben, so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Antrags.
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In Anwendung dieser Maßstäbe war der vorliegende Antrag abzulehnen. Denn die in der Hauptsache erhobene Anfechtungsklage gegen den Baugenehmigungsbescheid vom 28. Oktober 2024 wird bei summarischer Prüfung aller Voraussicht nach erfolglos sein. Dabei kann nach Auffassung der Kammer – zumindest im Rahmen der im Eilverfahren allein möglichen, aber auch gebotenen summarischen Prüfung – dahinstehen, ob der Bebauungsplan eine wirksame Festsetzung über die Zahl der zulässigen Vollgeschosse von E+3 aufweist oder ob sich die Bebaubarkeit zumindest insofern etwa nach § 34 BauGB richtet. Denn dabei handelt es sich nicht um eine drittschützende Festsetzung, sodass die hierauf gestützte Klage insoweit keinen Erfolg haben kann. Aber auch ein Verstoß gegen das – drittschützende – Abstandsflächenrecht gemäß Art. 6 BayBO ist mit der nunmehr streitgegenständlichen Planung nach summarischer Prüfung durch die Kammer nicht mehr zu befürchten, weshalb der vorliegende Eilantrag abzulehnen ist.
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Der Beigeladene hat nach Auffassung der Kammer einen Anspruch auf Erteilung der Baugenehmigung für das zur Entscheidung stehende Bauvorhaben. Denn es wahrt insbesondere den Charakter des Doppelhauses, welches daher gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO ohne Einhaltung der seitlichen Abstandsflächen entlang des Gebäudes der Antragstellerinnen errichtet werden darf. Gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO ist eine Abstandsfläche nicht erforderlich vor Außenwänden, die an Grundstücksgrenzen errichtet werden, wenn nach planungsrechtlichen Vorschriften an die Grenze gebaut werden muss oder gebaut werden darf. Diese Regelung räumt dem Städtebaurecht den Vorrang ein, soweit es die Errichtung von Gebäuden ohne Grenzabstand regelt. Die Anwendbarkeit des Art. 6 Abs. 1 Satz 4 BayBO resultiert vorliegend aus der im Bebauungsplan Nr. 4019 festgesetzten offenen Bauweise, „wonach gemäß § 22 Abs. 2 Satz 1 BauNVO (1962) Gebäude als Einzelhäuser, Doppelhäuser oder Hausgruppen mit einer Länge von höchstens 50 m zulässig sind. Ein Doppelhaus in diesem Sinne ist der Sache nach eine Modifikation der offenen Bauweise (Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Krautzberger, Baugesetzbuch, Stand: August 2023, § 22 BauNVO Rn. 26; Ziegler in Kohlhammer, Baugesetzbuch, Stand Oktober 2018, § 22 Rn. 5). Es handelt sich um zwei an einer seitlichen Nachbargrenze zu einer baulichen Einheit aneinandergebauten, im Übrigen jedoch freistehenden Gebäude. Die Errichtung eines solchen Doppelhauses ist dabei nur möglich, wenn sich die betroffenen Grundstückseigentümer über eine solche Bebauung einigen, andernfalls sind die Bauräume nur unter Einhaltung eines seitlichen Grenzabstandes ausnutzbar“ (BayVGH, B.v. 2.2.2024 – 9 CS 23.1963 (AN 9 S 23.1256) unter Hinweis auf BVerwG, U. v. 24.2.2000 – 4 12.98 – juris Rn. 21; B.v. 1.2.2016 – 4 BN 26/15 – juris Rn. 3 m.w.N).
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Nach einer Leitentscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (BVerwG, U. v. 24. 2. 2000 – 4 C 12/98 – juris Leitsätze 1 bis 3) ist ein „Doppelhaus i.S. des § 22 Abs. 2 BauNVO eine bauliche Anlage, die dadurch entsteht, dass zwei Gebäude auf benachbarten Grundstücken durch Aneinanderbauen an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu einer Einheit zusammengefügt werden“. Weiter heißt es dort: „Das Erfordernis der baulichen Einheit ist nur erfüllt, wenn die beiden Gebäude in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut werden. (…) Kein Doppelhaus entsteht, wenn ein Gebäude gegen das andere so stark versetzt wird, dass es den Rahmen einer wechselseitigen Grenzbebauung überschreitet, den Eindruck eines einseitigen Grenzanbaus vermittelt und dadurch einen neuen Bodennutzungskonflikt auslöst.“
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Zwar bleibt der Charakter eines Doppelhauses grundsätzlich auch gewahrt, wenn die das Doppelhaus bildenden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zueinander versetzt oder gestaffelt aneinandergebaut werden. Kein Doppelhaus ist dagegen mehr anzunehmen, wenn die Gebäude sich zwar an der gemeinsamen Grundstücksgrenze noch berühren, aber als zwei selbstständige Baukörper erscheinen. Denn diese wären dann nicht in wechselseitig verträglicher und abgestimmter Weise aneinandergebaut. Das Erfordernis einer baulichen Einheit enthält demnach nicht nur quantitative, sondern auch qualitative Elemente (siehe hierzu BVerwG, aaO – juris Rn. 18 ff.).
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Als quantitative Kriterien sind die Geschossigkeit, die Gebäudehöhe, das oberirdische BruttoRaumvolumen sowie die Bebauungstiefe zu berücksichtigen, in qualitativer Hinsicht unter anderem auch die Dachgestaltung und die sonstige Kubatur des Gebäudes (BayVGH, B.v. 18.4.2023 – 2 CS 22.2126 – juris Rn. 4). Dabei ist insbesondere die wechselseitig verträgliche Gestaltung des Gebäudes maßgeblich, so dass es auf die umgebende Bebauung insoweit nicht ankommt (BayVGH, aaO).
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Ein Doppelhaus bedingt in Gebieten der offenen Bauweise den wechselseitigen Verzicht auf seitliche Grenzabstände an der gemeinsamen Grenze (vgl. BVerwG, U.v. 5.12.2013 – 4 C 5/12 – juris Rn. 22). Dieser Verzicht bindet die Grundstücksnachbarn planungsrechtlich in ein System des gegenseitigen Interessensausgleichs ein. Es entsteht eine enge Wechselbeziehung, die jeden Grundstücksnachbarn zugleich begünstigt und belastet und die Ausdruck einer planungsrechtlichen Konzeption ist, die ein nachbarliches Austauschverhältnis begründet, das nicht einseitig aufgehoben oder aus dem Gleichgewicht gebracht werden darf (siehe BVerwG, U.v. 24.2.2000 – 4 C 12/98 – juris Rn. 21).
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Gemessen an diesen Voraussetzungen handelt es sich bei dem streitgegenständlichen Baukörper – im Gegensatz zu der vorausgehenden, im Verfahren AN 9 S 23.1256 streitgegenständlichen Planung – nunmehr um ein Doppelhaus. So wird das geplante Gebäude des Beigeladenen mit einer Tiefe von 9,94 m direkt an das Gebäude der Antragstellerinnen angebaut, ohne dass an der gemeinsamen Grundstücksgrenze ein Versatz der beiden Gebäude entsteht. Die Ansichten Nord, Süd, West und Ost sowie der Schnitt sehen eine Traufhöhe des Vorhabens von 6,78 m und eine Firsthöhe von 10,4 m vor. Damit entspricht das streitgegenständliche Vorhaben in seiner Trauf- und Firsthöhe dem Gebäude der Antragstellerinnen. Straßenseitig stimmt die Gebäudeflucht mit dem Anwesen der Antragstellerinnen überein. Dass das Vorhaben – anders als das Gebäude der Antragstellerinnen – einen Kniestock vorsieht, ist dem Doppelhauscharakter hingegen nicht abträglich, weil der Kniestock keinen Versatz des Gebäudes in der Höhe hervorruft.
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Zwar hängt die Qualifizierung zweier Gebäude als Doppelhaus nicht allein davon ab, in welchem Umfang die beiden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze aneinandergebaut sind. Vielmehr kann „das Vorliegen eines Doppelhauses mit Blick auf die bauplanungsrechtlichen Ziele der Steuerung der Bebauungsdichte sowie der Gestaltung des Orts- und Stadtbildes geprüft und ein Mindestmaß an Übereinstimmung verlangt werden (BVerwGE 148, 290 = NVwZ 2014, 370 Rn. 16). Es geht um eine spezifische Gestaltung des Orts- und Straßenbildes (BVerwGE 110, 355 [361] = NVwZ 2000, 1055 = NJW 2000, 3658 Ls.), die darin liegt, dass das Doppelhaus den Gesamteindruck einer offenen, aufgelockerten Bebauung nicht stört, eben weil es als ein Gebäude erscheint. Es kommt also für die Frage, ob grenzständige Gebäude ein Doppelhaus bilden, auf die wechselseitige Verträglichkeit dieser Gebäude an“ (BVerwG, B.v. 19.3.2015 – 4 C 12/14, NVwZ 2015, 1769, beck-online).
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Entgegen der klägerischen Auffassung führt ausgehend davon das geplante, von der Straße abgewandte Zwerchhaus nicht zu einer Aufhebung des Doppelhauscharakters. Zwar wäre die ausschließliche Betrachtung der Ausmaße der beiden Gebäude an der gemeinsamen Grundstücksgrenze zu kurz gegriffen. Allerdings ist vorliegend zu berücksichtigen, dass das gesetzliche Leitbild des Doppelhauses ausgehend vom Ziel der offenen Bauweise ein Haus ist, welches nach beiden Seiten mit Grenzabstand errichtet wird und so einen Vorgarten mit einem Hausgarten verbindet (BVerwG, aaO m.H. auf Boeddinghaus in Boeddinghaus/Grigoleit, BauNVO, 6. Aufl. 2014, § 22 BauNVO Rn. 17). Dies ist vorliegend trotz des Zwerchhauses eindeutig der Fall, auch wenn das Vorhaben näher an seine seitliche Grundstücksgrenze heranrückt als das Gebäude der Antragstellerin auf der anderen Seite. Allerdings ist der Grenzverlauf an der seitlichen Grundstücksgrenze des streitgegenständlichen Anwesens atypisch und verläuft entsprechend der Straßenführung nicht symmetrisch zur seitlichen Grundstücksgrenze der Antragstellerinnen. Das Zwerchhaus ist zudem von der Straße aus nicht zu sehen und bereits von daher in geringerem Maße geeignet, das bauplanerische Ziel einer gelockerten Bauweise zu verfehlen. Das Zwerchhaus selbst hält zudem die Abstandsflächen zum Grundstück der Antragstellerinnen ein und greift damit in abstandsflächenrechtlicher Hinsicht nicht in das gegenseitige Austauschverhältnis der Nachbarn an der gemeinsamen Grundstücksgrenze ein.
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Dass das Vorhaben etwa 3,5 Meter breiter ist als das Gebäude der Antragstellerinnen, hebt den Doppelhauscharakter nach Auffassung der Kammer ebenfalls nicht auf. Denn es bewegt sich damit noch in dem vorgegebenen städtebaulichen Rahmen.
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Nach alledem hat der gestellte Antrag auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung keinen Erfolg und ist daher abzulehnen. Die Kostenentscheidung beruht auf §§ 154 Abs. 1, Abs. 3, 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus §§ 53 Abs. 2 Nr. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziff. 9.7.1 und 1.5 des Streitwertkataloges für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.