Titel:
Erschließungsbeitragsrecht, Vorhandene Erschließungsanlage, historische Straße, endgültige Herstellung, Herstellungsmerkmal, Straßenentwässerung
Normenketten:
KAG Art. 5a
KAG Art. 5a Abs. 7 S. 1
Schlagworte:
Erschließungsbeitragsrecht, Vorhandene Erschließungsanlage, historische Straße, endgültige Herstellung, Herstellungsmerkmal, Straßenentwässerung
Vorinstanz:
VG Regensburg, Urteil vom 09.04.2025 – RO 11 K 21.579
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18865
Tenor
I. Der Antrag des Klägers auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Regensburg vom 9. April 2025 – RO 11 K 21.579 – wird abgelehnt.
II. Der Kläger hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 2.770,67 € festgesetzt.
Gründe
1
Der Antrag des Klägers, die Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts zuzulassen, hat keinen Erfolg. Die innerhalb der Darlegungsfrist des § 124 Abs. 4 Satz 4 VwGO geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO, auf deren Prüfung der Senat beschränkt ist, liegen nicht vor (§ 124 Abs. 5 Satz 2 VwGO).
2
1. An der Richtigkeit des angegriffenen Urteils bestehen keine ernstlichen Zweifel im Sinn von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
3
Dieser Zulassungsgrund läge vor, wenn vom Rechtsmittelführer ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des Verwaltungsgerichts mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt würden (vgl. zu diesem Maßstab BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – NJW 2009, 3642 m.w.N.). Die Richtigkeitszweifel müssen sich auf das Ergebnis der Entscheidung beziehen; es muss also mit hinreichender Wahrscheinlichkeit anzunehmen sein, dass die Berufung zu einer Änderung der angefochtenen Entscheidung führen wird (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – NVwZ-RR 2004, 542 f.; BayVGH, B.v. 15.2.2018 – 6 ZB 17.2521 – juris Rn. 4). Das ist nicht der Fall.
4
a) Die Beklagte zog den Kläger mit Bescheid vom 16. März 2021 für die erstmalige endgültige Herstellung der Erschließungsanlage „F. Straße, L. straße (von K. Straße bis Kreisel)“ als Eigentümer des an diese Erschließungsanlage angrenzenden Grundstücks FlNr. ... zu einem Erschließungsbeitrag in Höhe von 2.770,67 € heran. Die abgerechnete Anlage verläuft mit einer Länge von etwa 1035 m durch ehemalige Bahnflächen und umfasst die bereits Anfang der 1950 errichtete L. straße (zwischen K. Straße bis Einmündung der H. straße) und zwei ab 1999 und 2018 errichtete Verlängerungsstrecken. Die gegen den Erschließungsbeitragsbescheid erhobene Klage hat das Verwaltungsgericht mit Urteil vom 9. April 2025 abgewiesen und zur Begründung insbesondere ausgeführt, bei der abgerechneten Anlage handle es sich weder um eine sog. „historische Straße“, die als (am 29.6.1961) vorhandene Erschließungsanlage dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen wäre, noch sei sie nach Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 bereits ohne die nun abgerechneten Maßnahmen erstmalig endgültig hergestellt worden.
5
b) Der Zulassungsantrag hält dem erstinstanzlichen Urteil nichts Stichhaltiges entgegen, das Zweifel an seiner Richtigkeit begründet und weiterer Prüfung in einem Berufungsverfahren bedarf.
6
aa) Der Kläger meint, die Feststellungen des Verwaltungsgerichts zur Frage nach einer historischen Straße seien widersprüchlich. Zudem sei die abgerechnete Erschließungsanlage schon vor dem letzten Ausbau erstmals endgültig hergestellt worden, so dass keine Erschließungsbeiträge mehr hätten verlangt werden dürfen. Diese Einwände können nicht überzeugen und zeigen keinen weiteren Klärungsbedarf auf.
7
Das Verwaltungsgericht ist in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Senats davon ausgegangen, dass eine vorhandene (historische) Straße, die nach Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG (früher § 242 Abs. 1 BauGB) dem Anwendungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts entzogen ist, vorliegt, wenn sie zu irgendeinem Zeitpunkt vor Inkrafttreten des Bundesbaugesetzes am 30. Juni 1961 Erschließungsfunktion besessen hat und für diesen Zweck endgültig hergestellt war (vgl. BayVGH, B.v. 18.8.2022 – 6 ZB 22.264 – juris Rn. 7; B.v. 9.3.2021 – 6 ZB 21.20 – juris Rn. 7; B.v. 18.8.2017 – 6 ZB 17.840 – juris Rn. 13).
8
Mit Blick auf die die älteste Teilstrecke der L. straße (K. Straße bis H. straße) hat das Verwaltungsgericht festgestellt, dass diese nicht vor dem 30. Juni 1961 als Erschließungsanlage erstmals endgültig hergestellt gewesen sein kann, weil die Beklagte mangels rechtlicher Einwirkungsmöglichkeit ihren Ausbauwillen nicht zum Tragen bringen konnte. Auch unter Geltung des alten Rechts habe man von einer Erschließungsanlage nur dann sprechen können, wenn eine Gemeinde wenigstens teilweise Straßenbaulastträgerin gewesen sei. Privatstraßen, die im Eigentum eines Dritten gestanden haben und auch von diesen unterhalten worden sind, könnten im Regelfall keine vorhandenen Erschließungsanlagen sein. Die Beklagte habe ihren Ausbauwillen frühestens mit der Eintragungsverfügung vom 13. Oktober 1964, mit der sie Trägerin der Straßenbaulast geworden sei, zum Tragen bringen können. Sie habe die Straße erst in den 1980er Jahren von der Bundesrepublik Deutschland erworben. Im Lageplan aus dem Jahr 1952 sei die L. straße mit 12,50 m Breite eingetragen, wovon 8,50 m auf die Fahrbahn und zwei Mal 2 m auf Gehwege entfallen sollten. Selbst wenn man – was die Beklagte verneine – ihr schon zum damaligen Zeitpunkt einen Planungswillen unterstellen wolle, hätte die damalige L. straße den in diesem Plan dargestellten Ausbauzustand nie erreicht, so dass sie auch unter diesem Aspekt nicht als vor 1961 endgültig hergestellt angesehen werden könne.
9
Diese Ausführungen sind entgegen der Ansicht des Klägers nicht widersprüchlich, sondern schließen auch nach Auffassung des Senats eine Bewertung der früheren L. straße als historische Straße zwingend aus. Als vorhandene Erschließungsanlage im Sinn von Art. 5a Abs. 7 Satz 1 KAG kommt nur eine Straße in Betracht, die vor dem Stichtag (30.6.1961) die Merkmale einer öffentlichen Einrichtung der Gemeinde im Sinn von Art. 9 Abs. 1 Satz 1 des damals geltenden Gemeindeabgabengesetzes (GAG) erfüllt hat. Das setzte zunächst voraus, dass der Gemeinde insgesamt oder, wie es etwa bei Ortsdurchfahrten qualifizierter Straßen sein kann, wenigstens teilweise die Straßenbaulast oblag; denn die Gemeinde muss die Möglichkeit gehabt haben, ihren Ausbauwillen durchzusetzen. Weiter war erforderlich, dass die Straße öffentlich, d.h. von der Gemeinde dem allgemeinen Gebrauch gewidmet worden war. Das konnte bis zum Inkrafttreten des Bayerischen Straßen- und Wegegesetzes vom 11. Juli 1958 auch ohne ausdrücklichen, förmlichen Widmungsakt stillschweigend durch Betätigung des Unterhalts erfolgen (Schmitz, Erschließungsbeiträge, 2018, § 1 Rn. 39 m.w.N.). Da die Beklagte nach den insoweit nicht bestrittenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts für die vormalige Privatstraße aber erst im Jahr 1964 Trägerin der Straßenbaulast geworden ist, scheidet die Einstufung als (am 30.6.1061) vorhandene Erschließungsanlage von vornherein aus. Die weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Erwerb der Straße in den 1980er Jahren und zum Lageplan aus dem Jahr 1952 ändern hieran nichts und sind auch nicht widersprüchlich. Selbst wenn der Lageplan aus dem Jahr 1952 aussagen sollte, dass die Straße „natürlich(!)“, wie der Kläger ausführt, von einem entsprechenden Planungswillen der Kommune getragen sei, wäre die damalige L. straße gleichwohl keine vorhandene Erschließungsanlage.
10
bb) Ebenfalls keine Richtigkeitszweifel ergeben sich aus dem Einwand des Klägers, die abgerechnete Erschließungsanlage sei schon vor den letzten Straßenbaumaßnahmen erstmals endgültig hergestellt gewesen und unterfalle deshalb nicht mehr dem Erschließungsbeitragsrecht.
11
Das Verwaltungsgericht hat eine frühere endgültige Herstellung – unter anderem – mit der Begründung verneint, dass bislang die Teileinrichtung Straßenentwässerung nicht auf der gesamten Länge den Herstellungsmerkmalen in der jeweiligen Erschließungsbeitragssatzung (EBS) der Beklagten entsprochen habe (§ 12 Abs. 1 EBS 1961, § 13 Abs. 1 Buchst. d) Alt. 2 EBS 1997, § 9 Abs. 1 Nr. 2 Alt. 1 EBS 2021).
12
Für den klägerischen Vorwurf, das Verwaltungsgericht habe insoweit eine „reine Spekulation“ vorgenommen, ist nichts ersichtlich. Vielmehr hat es in Übereinstimmung mit der ständigen Rechtsprechung des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs (zuletzt BayVGH, B.v. 12.2.2025 – 6 ZB 24.2025 – juris Rn. 15) zugrunde gelegt, dass eine Straßenentwässerung in Gestalt einer von der Teileinrichtung „Fahrbahn“ gesonderten technischen Einrichtung zur gezielten Lenkung und Ableitung des Straßenoberflächenwassers grundsätzlich durchgehend auf der gesamten Länge der Erschließungsanlage vorhanden sein muss. Dieses Erfordernis hat es verneint und sich dabei insbesondere auf die von den Beteiligten vorgelegten Lichtbilder gestützt. Es hat nachvollziehbar und seine Schlussfolgerung tragend festgestellt, dass insbesondere auf der Südseite der Straße Randsteine und Rinnen zur gezielten Ableitung des Straßenoberflächenwassers fehlten. Dem hält der Kläger mit dem Hinweis auf die von der Beklagten vorgelegte Tabelle von 1985 („Sinkkasten an städtischen Kanal anschließen“) nichts Stichhaltiges entgegen. Selbst wenn dieser Kanal vorhanden gewesen sollte, kann daraus nicht geschlossen werden, die Straße habe bereits damals auf ganzer Länge über eine funktionsfähige Straßenentwässerung verfügt.
13
Soweit der Kläger in diesem Zusammenhang bemängelt, das Verwaltungsgericht habe von ihm angebotene Beweise nicht erhoben, macht er im Ergebnis eine Verletzung der gerichtlichen Amtsermittlungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) geltend, beruft sich also auf einen Verfahrensmangel im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 5 VwGO. Dass das Verwaltungsgericht der ihm nach § 86 Abs. 1 VwGO obliegenden Aufklärungspflicht nicht ausreichend nachgekommen ist, ist aber nicht vorgetragen oder ersichtlich. Das Verwaltungsgericht hat sich bei seinen Feststellungen auf die von den Beteiligten vorgelegten Unterlagen, insbesondere Lichtbilder, gestützt. Eine weitere Beweiserhebung musste sich dem Verwaltungsgericht nicht aufdrängen. Es hätte vielmehr dem anwaltlich vertretenen Kläger oblegen, durch die Stellung eines förmlichen Beweisantrags auf eine aus seiner Sicht noch notwendige Aufklärung des Sachverhalts hinzuwirken (BayVGH, B.v. 15.2.2016 – 14 ZB 14.1016 – juris Rn. 28) oder im Berufungszulassungsverfahren substantiiert darzulegen, warum sich dem Verwaltungsgericht aus seiner für den Umfang der verfahrensrechtlichen Sachaufklärung maßgeblichen materiell-rechtlichen Sicht die Notwendigkeit einer weiteren Sachaufklärung in der aufgezeigten Richtung hätte aufdrängen müssen (vgl. BVerwG, U.v. 22.10.2015 – 7 C 15.13 – juris Rn. 35; B.v. 28.7.2014 – 1 B 6.14 – juris Rn. 3; B.v. 5.3.2010 – 5 B 7.10 – juris Rn. 9). Daran fehlt es.
14
2. Die Rechtssache weist keine besonderen tatsächlichen oder rechtlichen Schwierigkeiten auf, die eine Zulassung der Berufung rechtfertigen (§ 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO). Die entscheidungserheblichen Fragen lassen sich aus den oben genannten Gründen ohne weiteres in dem vom Verwaltungsgericht entschiedenen Sinn beantworten, ohne dass es weiterer Klärung in einem Berufungsverfahren bedarf.
15
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47, § 52 Abs. 3 GKG.
16
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit ihm wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).