Inhalt

VGH München, Beschluss v. 21.07.2025 – 19 ZB 25.892
Titel:

Ausweisung, Falschangaben, Ausweisungsinteresse, Bleibeinteresse, Zielstaatsbezogene Gefahren, Faktische Inländerin

Normenketten:
AufenthG §§ 53 ff.
GG Art. 6
EMRK Art. 8
AsylG § 42 S. 1
Schlagworte:
Ausweisung, Falschangaben, Ausweisungsinteresse, Bleibeinteresse, Zielstaatsbezogene Gefahren, Faktische Inländerin
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 26.03.2025 – AN 5 K 24.1757
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18850

Tenor

I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 10.000,00 € festgesetzt.

Gründe

1
Mit dem Antrag auf Zulassung der Berufung verfolgt die Klägerin ihr in erster Instanz erfolgloses Begehren weiter, den Bescheid der Beklagten vom 19. Juni 2024 aufzuheben sowie die Beklagte zur Erteilung bzw. Verlängerung einer Aufenthaltserlaubnis zu verpflichten. Mit dem streitgegenständlichen Bescheid hat die Beklagte die Klägerin aus der Bundesrepublik Deutschland ausgewiesen (Ziffer 1), ein Einreise- und Aufenthaltsverbot angeordnet und dieses auf fünf Jahre ab der Ausreise bzw. Abschiebung befristet (Ziffer 2), die Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis abgelehnt (Ziffer 3), die Klägerin aufgefordert, das Bundesgebiet bis spätestens 19. Juli 2024 zu verlassen (Ziffer 4) sowie die Abschiebung der Klägerin insbesondere nach Armenien angedroht (Ziffer 5).
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Der Antrag auf Zulassung der Berufung hat keinen Erfolg.
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1. Das der rechtlichen Überprüfung durch den Senat ausschließlich unterliegende Vorbringen in der Begründung des Zulassungsantrags (§ 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO) rechtfertigt keine Zulassung der Berufung. Der geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), dessen Beurteilung sich grundsätzlich nach dem Zeitpunkt der Entscheidung des Verwaltungsgerichtshofs richtet (vgl. z.B. BVerwG, U.v. 15.1.2013 – 1 C 10.12 – juris Rn. 12), sodass eine nachträgliche Änderung der Sach- und Rechtslage bis zum Zeitpunkt der Entscheidung in dem durch die Darlegung des Rechtsmittelführers vorgegebenen Prüfungsrahmen zu berücksichtigen ist (BayVGH, B.v. 20.2.2017 – 10 ZB 15.1804 – juris Rn. 7), liegt nicht vor.
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO bestünden dann, wenn die Klägerin im Zulassungsverfahren einen einzelnen tragenden Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung des Erstgerichts mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt hätte (BVerfG, B.v. 10.9.2009 – 1 BvR 814/09 – juris Rn. 11; B.v. 9.6.2016 – 1 BvR 2453/12 – juris Rn. 16; B.v. 8.5.2019 – 2 BvR 657/19 – juris Rn. 33). Dies ist jedoch nicht der Fall.
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1.1 Mit ihrem Einwand, die Klägerin stelle angesichts ihres Alters von 64 Lebensjahren keine Gefährdung für die öffentliche Sicherheit und Ordnung dar, vielmehr sei die Allgemeinheit durch die Klägerin über einen Zeitraum von 23 Jahren nicht gefährdet worden, verkennt sie, dass die Beklagte und ihr folgend das Verwaltungsgericht die Ausweisung auf generalpräventive Erwägungen gestützt haben. Dies ist nicht zu beanstanden.
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Die Ausweisung eines wegen eines Verbrechens oder eines Vergehens verurteilten Ausländers muss nicht ausscheiden, weil kein ausreichender Anhaltspunkt dafür vorliegt, dass er sich erneut strafbar machen oder auf andere Weise die Rechtsordnung missachten würde. Sie kann zulässig sein, wenn sie nach der Lebenserfahrung dazu führen kann, dass andere Ausländer zur Vermeidung der ihnen sonst drohenden Ausweisung sich während ihres Aufenthalts im Bundesgebiet ordnungsgemäß verhalten. Vom weiteren Aufenthalt eines Ausländers, der Straftaten begangen hat, kann auch dann eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit und Ordnung im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG ausgehen, wenn von ihm selbst keine (Wiederholungs-)Gefahr mehr ausgeht, im Falle des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf sein Fehlverhalten andere Ausländer aber nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen (BVerwG, U.v. 24.3.2025 – 1 C 15.23 – juris Rn. 14; U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 16).
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Bei allein generalpräventiv begründeten Ausweisungen sind an die Annahme schwerwiegender Gründe der öffentlichen Sicherheit und Ordnung im Hinblick auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit besonders hohe Anforderungen zu stellen, weshalb es in diesen Fällen erforderlich ist, dass die den Ausweisungsanlass bildende Straftat nach den Umständen des Einzelfalles besonders schwer wiegt und deshalb ein dringendes Bedürfnis daran besteht, über die strafrechtliche Sanktion hinaus durch die Ausweisung andere Ausländer von Straftaten ähnlicher Art und Schwere abzuhalten (BVerwG, U.v. 24.3.2025 – 1 C 15.23 – juris Rn. 15). Diese Annahme setzt voraus, dass die konkreten Umstände der begangenen Straftat oder Straftaten, wie sie sich aus dem Strafurteil und dem vorangegangenen Strafverfahren ergeben, ermittelt und individuell gewürdigt werden. Insoweit ist hervorzuheben, dass die Falschangaben der Klägerin und ihres Ehemannes insbesondere bezüglich des Familiennamens und der Staatsangehörigkeit im Asylverfahren zur Feststellung von Abschiebungshindernissen und daran anknüpfend zur Erteilung von Aufenthaltserlaubnissen geführt haben. In der Folgezeit haben die Klägerin und ihr Ehemann ihre falschen Identitäten in sämtlichen weiteren aufenthaltsrechtlichen Verfahren, insbesondere bei der jeweiligen Antragstellung zur Verlängerung von Aufenthaltstiteln, und anderen Verwaltungsverfahren verwendet und damit den begangenen, mit Strafe bedrohten Rechtsverstoß perpetuiert. Sie haben folglich ihren weiteren Aufenthalt auf diese falschen Identitäten gestützt und damit die Rechtsordnung der Bundesrepublik Deutschland schwerwiegend und nachhaltig missachtet. Hinzu kommt, dass die Aufdeckung der wahren Identitäten der Klägerin und ihrer im Bundesgebiet lebenden Angehörigen nicht aus eigener Motivation heraus erfolgt ist, sondern sich als Zufallsfund im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen gegen den Sohn A. ergab. Aus diesen Umständen ergibt sich die besondere Schwere der begangenen Straftaten, von denen eine besondere Gefahr für den Staat oder die Gesellschaft ausgeht. Da die Identität von in das Bundesgebiet eingereisten oder die Einreise begehrenden Ausländern in vielen Fällen mangels verlässlicher Personaldokumente auf eigenen Angaben der Betroffenen beruht, müssen der Staat und die Gesellschaft zur Gewährleistung der öffentlichen Sicherheit bzw. öffentlichen Ordnung und rechtmäßigen Verwaltungshandelns darauf vertrauen können, dass derartige Angaben wahrheitsgemäß erfolgen. Im Falle des Unterbleibens einer ausländerrechtlichen Reaktion auf das Fehlverhalten der Klägerin könnten andere Ausländer nicht wirksam davon abgehalten werden, vergleichbare Delikte zu begehen, weshalb von der Ausweisung der Klägerin eine verhaltenssteuernde Wirkung auf andere Ausländer ausgeht (vgl. dazu BVerwG, U.v. 24.3.2025 – 1 C 15.23 – juris Rn. 15 m.w.N.).
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Die begangenen Straftaten können der Klägerin auch noch entgegengehalten werden. Das Ausweisungsinteresse ist insoweit nicht durch Zeitablauf verbraucht. Hinsichtlich der zeitlichen Begrenzung eines (generalpräventiven) Ausweisungsinteresses, das an strafrechtlich relevantes Handeln anknüpft, für die vorzunehmende gefahrenabwehrrechtliche Beurteilung orientiert sich die Rechtsprechung an den Fristen der §§ 78 ff. StGB zur Strafverfolgungsverjährung (vgl. BVerwG, U.v. 12.7.2018 – 1 C 16.17 – juris Rn. 23). Demnach ist im vorliegenden Fall hinsichtlich der im Höchstmaß mit drei Jahren Freiheitsstrafe bedrohten Straftaten der Klägerin nach § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG die einfache Verjährungsfrist von fünf Jahren gem. § 78 Abs. 3 Nr. 4 StGB, beginnend gem. § 78a StGB mit der Beendigung der letzten Tat (d.h. der letztmaligen Verwendung der falschen Identität bei der Antragstellung auf Verlängerung der Aufenthaltserlaubnis am 24.11.2020), noch nicht abgelaufen, erst recht nicht die absolute Verjährungsfrist gem. § 79 Abs. 3 Nr. 3 StGB sowie die Tilgungsfrist gem. § 46 Abs. 1 Nr. 2 a) BZRG von jeweils zehn Jahren.
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1.2 Soweit die Klägerin einwendet, ihr schwerer Fehler in der Gestalt der erstmaligen Angabe eines falschen Namens – den sie glaubhaft bereue und für den sie auch zu einer Geldstrafe verurteilt worden sei – habe sich über die weiteren Jahre immer weiter verfestigt und wiederholt, die Verurteilung sei zwar nicht als „geringfügig“, jedoch als keinesfalls schwerwiegend anzusehen, zumal ein messbarer Schaden durch ihre verwerfliche Handlungsweise nicht entstanden sei, vermag sie auch damit keine ernstlichen Zweifel an der erstinstanzlichen Entscheidung aufzuwerfen.
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Das Ausweisungsinteresse im Sinne von § 53 Abs. 1 AufenthG wiegt gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG schwer, wenn der Ausländer oder die Ausländerin einen nicht nur vereinzelten oder geringfügigen Verstoß gegen Rechtsvorschriften oder gerichtliche oder behördliche Entscheidungen oder Verfügungen begangen oder außerhalb des Bundesgebiets eine Handlung begangen hat, die im Bundesgebiet als vorsätzliche schwere Straftat anzusehen ist. Mit der Verwirklichung des objektiven Tatbestandes des § 95 Abs. 2 Nr. 2 AufenthG ist das Ausweisungsinteresse gemäß § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG erfüllt (vgl. BayVGH, B.v. 2.5.2022 – 10 CS 21.1706 – juris Rn. 9; Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.4.2025, § 54 Rn. 406). Ein Verschulden ist nicht erforderlich, ebenso wenig bedarf es einer Ahndung des Verstoßes oder gar einer strafrechtlichen Verurteilung (vgl. Fleuß a.a.O. m.V.a. BVerwG, U.v. 5.5.1998 – 1 C 17.97 – juris; U.v. 17.6.1998 – 1 C 27.96 – juris; BayVGH, B.v. 24.6.2019 – 10 ZB 19.990 – juris Rn. 6; OVG MV, B.v. 29.8.2023 – 2 LZ 15/23 – juris Rn. 12; VG Stuttgart, B.v. 17.11.2021 – 4 K 4243/21 – juris Rn. 17). Ein Rechtsverstoß ist immer dann beachtlich im Sinne des § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG und begründet damit ein Ausweisungsinteresse, wenn er vereinzelt, aber nicht geringfügig, oder geringfügig, aber nicht vereinzelt ist. Eine vorsätzlich begangene Straftat ist grundsätzlich kein geringfügiger Verstoß gegen eine Rechtsvorschrift (BayVGH, B.v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211 – Rn. 12, juris mit Verweis auf BVerwG, B.v. 18.11.2004 – 1 C 23.03 – juris Rn. 19 ff.; B.v. 27.4.2020 – 10 C 20.51 – juris Rn. 8; BayVGH, B.v. 14.2.2019 – 10 ZB 18.1967 – juris; B.v. 19.9.2017 – 10 C 17.1434 – juris Rn. 6; B.v. 17.5.2017 – 19 CS 17.37 – juris Rn. 5; ebenso Fleuß in Kluth/Heusch, BeckOK AuslR, Stand 1.4.2025, § 54 Rn. 410). Bei Straftaten, die nur durch einen Ausländer begangen werden können, gilt insoweit nichts Anderes (BayVGH, B.v. 20.10.2022 – 19 ZB 22.1211 – juris Rn. 12; U.v. 6.8.2024 – 19 B 23.924 – juris Rn. 27).
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Gemessen daran ist eine Verurteilung zu 100 Tagessätzen wegen einer vorsätzlichen Tat wie im Falle der Klägerin grundsätzlich nicht geringfügig. Die Rechtsprechung und ihr folgend auch der Senat orientiert sich insoweit an der Bagatellgrenze von 30 Tagessätzen nach Nr. 55.2.2.3.1 AVwV a.F. (vgl. BayVGH, B.v. 21.5.2025 – 19 C 25.151 – juris Rn. 8; B.v. 9.10.2024 – 19 ZB 23.1101 – juris Rn. 13 m.w.N.; SächsOVG B.v. 7.1.2019 – 3 B 177/18 – juris Rn. 8; OVG LSA, B.v. 9.2.2009 – 2 M 276/08 – juris Rn. 23; ebenso Bauer in Bergmann/Dienelt, Ausländerrecht, 15. Aufl. 2025, § 54 Rn. 134 a.E.).
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1.3 Des Weiteren rügt die Klägerin die von dem Verwaltungsgericht vorgenommene Interessenabwägung gem. § 53 Abs. 2 AufenthG als unverhältnismäßig. Sie habe sich nach ihrer Einreise im Jahr 2001 zunächst nicht zurechtgefunden und keinerlei Bezugspersonen gehabt. Sie sei vollkommen auf sich allein gestellt gewesen und habe sich durch die in der Aufnahmeeinrichtung kursierenden Gerüchte und den Druck ihrer Landsleute dazu verleiten lassen, zur Erlangung einer besseren Bleibeperspektive einen falschen Nachnamen und eine falsche Identität anzugeben. Danach habe es für sie keinen Weg zurück mehr gegeben. Dem deutschen Staat sei dadurch jedoch kein finanzieller Schaden entstanden, weil die Klägerin die falsche Identität nicht genutzt habe, um Sozialleistungen zu erlangen. Sie und ihre Familienangehörigen hätten sich damit lediglich in der Bundesrepublik Deutschland eine Existenz aufbauen wollen. Die Vorgänge um ihre falsche Identität belasteten die Klägerin selbst schwer, was das vorgelegte Attest einer nervenärztlichen Gemeinschaftspraxis vom 28. Februar 2025 beweise. Die familiären Bindungen der Klägerin, ihre Unterstützungs- und Betreuungsleistungen für ihre elf Enkelkinder, ihren pflegebedürftigen Ehemann und den psychisch kranken Sohn A. – der an einer paranoid-halluzinatorischen Psychose leide und auch weiterhin auf ärztliche Hilfe angewiesen sein werde –, ihr berufliches Engagement in einer geriatrischen Pflegeeinrichtung seit dem 1. Oktober 2024 und als Haushaltshilfe in einem Privathaushalt seit Oktober 2013 sowie ihr soziales Engagement in der armenischen Gemeinde in N. seien in der Interessenabwägung nicht ausreichend berücksichtigt worden. Die Familie der Klägerin stelle eine Beistandsgemeinschaft dar. Zwei Familienmitglieder, Ehemann und Sohn der Klägerin, seien auf deren Hilfe angewiesen. Diese Lebenshilfe könne aufgrund des jeweiligen Gesundheitszustandes der beiden Familienmitglieder nur in Deutschland erbracht werden.
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Damit kann die Klägerin jedoch nicht durchdringen.
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Das Verwaltungsgericht hat im Rahmen seiner Interessenabwägung zunächst das von der Klägerin verwirklichte Ausweisungsinteresse zutreffend als schwerwiegend eingestuft. Diese Gewichtung entspricht der vom Gesetzgeber mit dem vertypten Ausweisungsinteresse gem. § 54 Abs. 2 Nr. 10 AufenthG vorgegebenen Wertung. Die hiergegen vorgebrachten Argumente führen nicht zu einer im Einzelfall abweichenden Bewertung. Die Klägerin musste jedenfalls aufgrund der ihr mehrfach erteilten Hinweise auf die Strafbarkeit sowie das Bestehen eines Ausweisungsinteresses davon ausgehen, dass ihre bewussten Falschangaben im Fall der Aufdeckung aufenthaltsrechtliche Konsequenzen haben würden. Es ist zwar nachvollziehbar, dass der Klägerin eine tätige Reue durch eigeninitiativ erfolgende Offenlegung ihrer wahren Identität mit fortschreitendem Zeitablauf und der dadurch eingetretenen faktischen Aufenthaltsverfestigung zunehmend schwerer fallen musste. Dennoch musste sie sich darüber im Klaren sein, dass ihr Aufenthaltsstatus sowie derjenige ihrer Familienmitglieder auf der fortgesetzten Verwendung falscher Identitäten und Staatsangehörigkeit beruhte und dass eine Aufdeckung dieses Sachverhaltes die Entziehung des aufenthaltsrechtlichen Status zur Folge haben würde bzw. könnte. Somit ist die Klägerin mit ihren Falschangaben ein von ihr kalkulierbares und kalkuliertes Risiko eingegangen, das sich nunmehr verwirklicht hat. Diese Umstände gebieten keine Abweichung von der gesetzgeberischen Wertung des Ausweisungsinteresses als schwerwiegend.
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Davon ausgehend hat das Verwaltungsgericht auch die Bleibeinteressen der Klägerin zutreffend gewichtet. Zu Recht weist das Verwaltungsgericht darauf hin, dass die Klägerin weder ein vertyptes besonders schwerwiegendes Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 AufenthG noch ein schwerwiegendes Bleibeinteresse im Sinne von § 55 Abs. 2 AufenthG in Anspruch nehmen kann. Derartiges wird von der Klägerin auch nicht behauptet. Den geltend gemachten familiären Belangen sowie dem sozialen Engagement der Klägerin kommt kein Gewicht zu, das einem vertypten Bleibeinteresse gem. § 55 Abs. 1 oder 2 AufenthG gleichrangig wäre. Beziehungen zwischen erwachsenen Familienmitgliedern genießen nur dann den Schutz des Familienlebens gem. Art. 6 GG bzw. Art. 8 EMRK, wenn zusätzliche Abhängigkeitsmerkmale vorliegen, die über die normale emotionale Bindung hinausgehen (vgl. zu Art. 8 EMRK: EGMR, U.v. 9.10.2003 – Slivenko/Lettland, Nr. 48321/99 – EuGRZ 2006, 560; zu Art. 6 GG: BVerwG, U.v. 29.7.1993 – 1 C 25.93 – juris Rn. 49). Derartiges hat die Klägerin nicht dargelegt und ergibt sich auch nicht aus den vorgelegten ärztlichen Attesten hinsichtlich des Gesundheitszustandes ihres Ehemannes bzw. ihres Sohnes. Wie das Verwaltungsgericht zutreffend ausführt, folgt daraus nicht, dass der Sohn A. – der nach dem klägerischen Vortrag unter der Betreuung durch eine dritte Person steht und eine eigene Familie mit einem 17-jährigen Sohn hat – auf von der Klägerin tatsächlich erbrachte Betreuungsleistungen in einem Maße angewiesen wäre, welches eine über die normale emotionale Bindung zwischen Eltern und volljährigen Kindern hinausgehende persönliche Abhängigkeit begründete. Derartiges geht auch nicht aus dem Entlassungsbericht des Bezirksklinikums vom 14. Mai 2025 (Anlage A1 zur Beschwerdebegründung) hervor. Der Ehemann der Klägerin ist seinerseits ausreisepflichtig (vgl. den Beschluss vom heutigen Tag im Verfahren 19 ZB 25.896), weshalb die eheliche Lebensgemeinschaft und Unterstützung durch die Klägerin im Herkunftsland fortgesetzt werden kann (vgl. BayVGH, B.v. 25.7.2023 – 19 ZB 23.875 – juris Rn. 15). Im Übrigen hat das Bundesamt in Bezug auf den Ehemann der Klägerin kein zielstaatsbezogenes (durch fehlende Behandlungsmöglichkeiten bzw. Zugänglichkeit der erforderlichen Behandlung im Zielstaat bedingtes) Abschiebungsverbot gem. § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 AufenthG festgestellt. An diese Entscheidung sind die Beklagte sowie die Verwaltungsgerichte gem. § 42 Satz 1 AsylG gebunden. Des Weiteren ist nicht ersichtlich, dass sonstige, von der Klägerin lediglich behauptete gesamtgesellschaftliche Folgen einer Aufenthaltsbeendigung das Gewicht des vorliegenden schwerwiegenden Ausweisungsinteresses erreichen oder gar übersteigen würden.
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1.4 Ausgehend von der beanstandungsfrei vorgenommenen Gewichtung der Ausweisungs- und Bleibeinteressen hat das Verwaltungsgericht zu Recht den Ausweisungsinteressen den Vorrang gegeben. Dieses Abwägungsergebnis ist auch nicht mit Blick auf Art. 2 Abs. 1 Satz 1 bzw. Art. 6 GG oder Art. 8 EMRK unverhältnismäßig.
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Die Klägerin hält die Ausweisung für unverhältnismäßig, weil ihr im Zuge ihres langen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland eine beispielhafte soziale und wirtschaftliche Integration gelungen sei. Es dürfe ihr auch nicht zum Vorwurf gemacht werden, durchgehend Sozialleistungen bezogen zu haben, weil sie dadurch nicht zu einem „Menschen zweiter Klasse“ würde. Die Klägerin habe sich stets mit „niederen Arbeiten“ wie Putzen, Pflegen und Helfen beschäftigt und sei sich für keine Arbeit zu schade.
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Diesen Einwänden vermag der Senat jedoch nicht zu folgen. Die Aufenthaltsbeendigung stellt keinen unverhältnismäßigen Eingriff in das durch Art. 8 EMRK geschützte Recht auf Achtung des Privatlebens dar, weil es sich bei der Klägerin um einen „faktischen Inländer“ handelte. Die Eigenschaft eines sogenannten „faktischen Inländers“ (BVerwG, U.v. 16.11.2023 – 1 C 32.22 – juris Rn. 16) kommt solchen Personen zu, die tiefgreifend in die Lebensverhältnisse des Aufenthaltsstaats integriert sind („Verwurzelung“) und gleichzeitig den Lebensverhältnissen des Herkunftsstaats entfremdet sind („Entwurzelung“), die daher faktisch zum Inländer geworden sind und die nur noch das rechtliche Band der Staatsangehörigkeit mit dem Herkunftsstaat verbindet. Beide Elemente müssen kumulativ vorliegen. Für den Grad der Verwurzelung eines Ausländers sind insbesondere die Dauer seines Aufenthalts im Bundesgebiet, sein rechtlicher Aufenthaltsstatus, das Ausmaß der gesellschaftlichen, wirtschaftlichen und sozialen Integration und die Rechtstreue seines Verhaltens in der Vergangenheit von Relevanz (vgl. zum Ganzen: BayVGH, B.v. 5.3.2025 – 19 ZB 23.1081 – juris Rn. 35; Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Stand 1.4.2025, § 53 AufenthG Rn. 87, 90; BVerfG, B.v. 18.4.2024 – 2 BvR 29/24 – juris Rn. 21).
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Gemessen daran handelt es sich bei der Klägerin nicht um eine sog. faktische Inländerin, deren Aufenthaltsbeendigung Art. 8 Abs. 1 EMRK entgegenstünde. Es fehlt schon an der erforderlichen Verwurzelung der Klägerin im Bundesgebiet. Zwar kann sie auf eine lange Aufenthaltsdauer zurückblicken, hat hier mit ihrem Ehemann und der Mehrzahl ihrer erwachsenen Kinder ihre familiären Bezugspersonen und hat sich nach eigenen Angaben auch gesellschaftlich integriert. Gegen eine Verwurzelung spricht jedoch gravierend der Umstand, dass die lange Aufenthaltsdauer und davon abhängig die familiäre und gesellschaftliche Integration der Klägerin auf einem durch rechtswidriges Handeln erlangten Aufenthaltsstatus beruhten. Es fehlt damit auch an einem rechtstreuen Verhalten der Klägerin in der Vergangenheit. Diese Umstände sprechen deutlich gegen eine Integration in die Rechtsordnung und in die auf den Prinzipien des freiheitlichen und demokratischen Rechtsstaates beruhende Gesellschaftsordnung. Auf die Frage, inwieweit einem Sozialleistungsbezug der Klägerin mit Blick auf die erforderliche Verwurzelung vorliegend eine Bedeutung zukommt, muss folglich nicht eingegangen werden. Des Weiteren kann offenbleiben, inwieweit die Klägerin in ihrem Heimatstaat entwurzelt ist.
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1.5 Des Weiteren rügt die Klägerin, das Verwaltungsgericht habe in seiner Interessenabwägung nicht erörtert, dass sie in ihrem Herkunftsort bzw. in dessen Umgebung keinerlei Verwandtschaft oder soziale Kontakte mehr habe, die es ihr ermöglichen würden, den Rest ihres Lebens in Würde zu verbringen. Sie wäre dort folglich völlig auf sich allein gestellt und dem körperlichen und psychischen Verfall anheimgegeben.
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Die Klägerin spricht damit zielstaatsbezogene Aspekte an, die – soweit sie den Grad einer Gefahr im Sinne des § 60 Abs. 5 oder 7 AufenthG erreichen sollten – Gegenstand der Prüfung von Abschiebungsverboten im Bescheid des Bundesamtes vom 16. April 2024 waren. An die dort erfolgte negative Feststellung zum zielstaatsbezogenen Abschiebungsschutz sind die Beklagte und die Verwaltungsgerichte gem. § 42 Satz 1 AsylG gebunden. Soweit die Klägerin mit ihrem diesbezüglichen Vortrag lediglich zielstaatsbezogenen Nachteile unterhalb der Schwelle eines zielstaatsbezogenen Abschiebungshindernisses geltend machen will, kann dem ebenfalls nicht gefolgt werden. Die im Jahr 1961 in ihrem Herkunftsland geborene Klägerin hat dort bis zu ihrer Ausreise im Jahr 2001 etwa 40 Jahre verbracht und ist daher mit der dortigen Sprache, Kultur und den gesellschaftlichen Verhältnissen vertraut. Angesichts dessen kann davon ausgegangen werden, dass es ihr möglich sein wird, sich in ihrem Herkunftsland auch ohne familiäre Unterstützung eine neue Existenz aufzubauen.
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1.6 Als präventive ordnungsrechtliche Maßnahme bezweckt die Ausweisung keine unzulässige Doppelbestrafung eines Ausländers, sondern dient u.a. der Abwehr und Vorbeugung von Gefährdungen und Störungen der öffentlichen Sicherheit und Ordnung (Fleuß in BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.4.2025, § 53 AufenthG Rn. 1 m.w.N.). Die Klägerin kann daher nicht damit gehört werden, dass die Ausweisung als „eine Art von Doppelbestrafung“ unverhältnismäßig sei bzw. die Menschenwürde verletze.
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1.7 Hinsichtlich der zutreffenden Ausführungen des Verwaltungsgerichts zum Einreise- und Aufenthaltsverbot, zur Ablehnung der Erteilung bzw. Verlängerung eines Aufenthaltstitels sowie zu der Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung trägt die Klägerin keine eigenständigen Zulassungsgründe vor.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO.
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3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 3, Abs. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Ziffern 8.1.2 und 8.2.1 des Streitwertkatalogs 2025.
26
Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).