Titel:
Zeitnahe Kontrolle der Eingangsbestätigung erforderlich
Normenkette:
VwGO § 60 Abs. 1, Abs. 2, § 124a Abs. 4 S. 4
Leitsätze:
1. Die Kontrolle der Eingangsbestätigung muss zeitnah erfolgen und darf sich nicht auf den Ausschluss technischer Fehlermeldungen beschränken, sondern erstreckt sich auch auf den Versand der richtigen Datei an den richtigen Empfänger. Dies gilt insbesondere dann, wenn eine Frist nahezu voll ausgeschöpft worden ist. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten darf die Verantwortung für die Übermittlung an den richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf (dafür) unzuständige Gerichte verlagert werden. Eine Klägerin kann nicht erwarten, dass ein Gericht binnen eines Arbeitstages die Angelegenheit prüft und den Schriftsatz noch am selben Tag an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterleitet. (Rn. 17 und 19) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Zulassungsbegründungsfrist, Übermittlung einer an den Verwaltungsgerichtshof adressierten Zulassungsbegründung per beA am Vorabend des Fristablaufs an ein Verwaltungsgericht, das nicht Vorinstanz war, Verschulden des Prozessbevollmächtigten, Kausalität, rechtzeitige Weiterleitung, ordnungsgemäßer Geschäftsgang bei elektronischem Rechtsverkehr, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, Eingangsbestätigung, Kontrolle, Weiterleitung, Verschulden, Übermittlung, fristgebundener Schriftsatz, Arbeitstag
Vorinstanz:
VG Ansbach, Urteil vom 16.02.2024 – AN 9 K 23.1991
Fundstellen:
BayVBl 2025, 319
BeckRS 2025, 1884
Tenor
I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Februar 2024 – AN 9 K 23.1991 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 8.427,00 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin beantragt die Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach vom 16. Februar 2024.
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Dieses Urteil wurde dem Bevollmächtigten der Klägerin laut dessen Empfangsbekenntnisses am 8. März 2024 zugestellt. Mit Schriftsatz vom 21. März 2023 ließ die Klägerin Antrag auf Zulassung der Berufung gegen dieses Urteil beim Verwaltungsgericht Ansbach stellen.
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Der an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof München adressierte Zulassungsbegründungsschriftsatz des Klägerbevollmächtigten vom 7. Mai 2024, auf dem das Aktenzeichen der Vorinstanz gebracht war, wurde von diesem versehentlich per beA an das Verwaltungsgericht München übermittelt, wo er ausweislich des Prüfvermerks am 7. Mai 2024 um 23:59 Uhr eingegangen ist. Der Schriftsatz wurde vom Verwaltungsgericht München nicht an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet. Sein Verbleib ist ungeklärt.
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Mit Schreiben vom 1. Oktober 2024 wies der Senat die Beteiligten darauf hin, dass bisher keine Zulassungsbegründung beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof eingegangen war.
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Mit Schriftsatz vom 12. Oktober 2024 beantragte der Prozessbevollmächtigte der Klägerin Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gegen die Versäumung der Begründungsfrist und übermittelte den Begründungsschriftsatz vom 7. Mai 2024. Bei nochmaliger Überprüfung habe sich herausgestellt, dass Unterfertigter die beA-Nachricht nicht an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof in München, sondern an das Bayerische Verwaltungsgericht in München gesendet habe. Das sei dem Unterfertigten trotz damaliger Prüfung der Eingangsbestätigung bis zum Hinweis des Gerichts wegen der Namensähnlichkeit und der Schriftzugähnlichkeit nicht aufgefallen. Es sei jedoch unklar, warum das Verwaltungsgericht München die Nachricht bis dato nicht an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof gesandt habe. Im üblichen elektronischen Rechtsverkehr wäre hier zeitnah werktäglich auf die Weiterleitung an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof und den fristwahrenden Eingang bei Gericht zu hoffen gewesen. Jedenfalls wäre eine Übermittlung per se zu erwarten gewesen. Diese Mitursächlichkeit sei bei der Entscheidung über den Antrag auf Wiedereinsetzung zu berücksichtigen.
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Die Beklagte und der Vertreter des öffentlichen Interesses treten dem Zulassungsantrag und der Wiedereinsetzung gegen die Versäumung der Begründungsfrist entgegen.
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1. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung bleibt ohne Erfolg; er ist bereits unzulässig, weil er nicht fristgerecht begründet wurde.
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a) Nach § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO sind innerhalb von zwei Monaten nach Zustellung des vollständigen Urteils die Gründe darzulegen, aus denen die Berufung zuzulassen ist. Das mit ordnungsgemäßer Rechtsbehelfsbelehrungversehene Urteil des Verwaltungsgerichts Ansbach wurde an den Bevollmächtigten der Klägerin laut dessen Empfangsbekenntnisses am 8. März 2024 zugestellt. Die Frist von zwei Monaten zur Begründung des Antrags auf Zulassung der Berufung endete daher nach § 57 Abs. 2 VwGO i.V.m. § 222 Abs. 1 ZPO und §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 Alt. 1 BGB mit Ablauf des Dienstags, den 8. Mai 2024 um 24:00 Uhr. Die Begründung ist, soweit sie nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist, bei dem Oberverwaltungsgericht einzureichen (§ 124 a Abs. 4 Satz 5 VwGO). Die Einreichung der Antragsbegründung beim Verwaltungsgericht wahrt die Frist nicht. Die mit dem Wiedereinsetzungsschriftsatz vom 12. Oktober 2024 vorgelegte Zulassungsbegründung ging außerhalb der Begründungsfrist ein.
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b) Eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand kommt nicht in Betracht, weil die Klägerin die Frist des § 124a Abs. 4 Satz 4 VwGO nicht unverschuldet versäumt hat. Die Fristversäumung beruht auch auf diesem Verschulden.
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Gemäß § 60 Abs. 1 VwGO ist auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten. Nach § 60 Abs. 2 Sätze 1 und 2 VwGO ist der Wiedereinsetzungsantrag binnen eines Monats nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; die Tatsachen zur Begründung des Antrags sind bei der Antragstellung oder im Verfahren über den Antrag glaubhaft zu machen. Ein Verschulden des Bevollmächtigten muss sich die Klägerin wie eigenes Verschulden nach § 173 Satz 1 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO zurechnen lassen (vgl. BayVGH, B.v. 7.9.2022 – 10 ZB 22.831 – juris Rn. 7).
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aa) In der obergerichtlichen Rechtsprechung ist geklärt, dass die anwaltlichen Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs über das beA denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen und dies eine Überprüfung der ordnungsgemäßen Übermittlung beinhaltet (vgl. BVerwG, B.v. 25.9.2023 – 1 C 10.23 – juris Rn. 13; BGH, B.v. 11.5.2021 – VIII ZB 9/20 – NJW 2021, 2201 – juris Rn. 21; BayVGH, B.v. 22.8.2024 – 22 ZB 23.1411 – juris Rn. 10; B.v. 31.3.2022 – 11 ZB 22.39 – juris Rn. 4 m.w.N). Die Kontrolle der Eingangsbestätigung darf sich nicht auf den Ausschluss technischer Fehlermeldungen beschränken, sondern erstreckt sich auch auf den Versand der richtigen Datei an den richtigen Empfänger (vgl. BayVGH, B.v. 31.3.2022 – 11 ZB 22.39 – juris Rn. 4 m.w.N.; SächsOLG, B.v. 1.6.2020 – 4 U 351/21 – NJW 2021, 2665 – juris Rn. 6 ff.; BGH, B.v. 17.3.2020 – VI ZB 99/19 – NJW 2020, 1809 – juris Rn. 16). Insbesondere dann, wenn wie vorliegend eine Frist nahezu voll ausgeschöpft worden ist, hat die Überprüfung der Eingangsbestätigung zeitnah zu erfolgen, damit sie nicht ihren Zweck verfehlt. Das hat der Klägerbevollmächtigte schuldhaft versäumt.
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In der Rechtsmittelbelehrung der angegriffenen Entscheidung des Verwaltungsgerichts wurde zutreffend (der Regelung des § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO entsprechend) darauf hingewiesen, dass die Begründung des Zulassungsantrags beim Bayerischen Verwaltungsgerichtshof einzureichen ist, soweit sie – wie hier – nicht bereits mit dem Antrag vorgelegt worden ist. Entgegen dieser Belehrung wurde der vom Klägerbevollmächtigten unterzeichnete Zulassungsbegründungsschriftsatz vom 7. Mai 2024 per beA beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingereicht. Ein Büroversehen macht der Klägerbevollmächtigte nicht geltend. Diese Prüfung kann ohnehin nicht dem Büropersonal überlassen werden, so dass auch ein „Büroversehen“ als potentielle Ursache der Fehladressierung den Klägerbevollmächtigten nicht entlasten könnte (vgl. BayVGH, B.v. 28.5.2013 – 10 ZB 13.559 – juris Rn. 7).
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bb) Die Fehlübermittlung der Zulassungsbegründungsschrift an das Verwaltungsgericht München war für die Fristversäumung auch ursächlich.
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Zwar ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ein Gericht, bei dem das Verfahren anhängig gewesen ist, verpflichtet, fristgebundene Schriftsätze für ein Rechtsmittelverfahren, die bei ihm eingereicht werden, an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterzuleiten. Ist ein solcher Schriftsatz so zeitig eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden kann, ist der Partei Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren, wenn der Schriftsatz nicht rechtzeitig an das Rechtsmittelgericht gelangt (vgl. BVerfG, B.v. 20.6.1995 – 1 BvR 166/93 – juris). Das gilt auch für den Fall, dass der Schriftsatz von dem Gericht, bei dem der Schriftsatz eingereicht wurde, nicht weiterleitet wird und der Schriftsatz erst später nach einem entsprechenden Hinweis innerhalb der Monatsfrist des § 60 Abs. 2 Sätze 1 bis 3 VwGO an das Rechtsmittelgericht übermittelt wird. Diese Monatsfrist ist eingehalten.
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Der Zulassungsbegründungsschriftsatz ist hier jedoch vom Prozessbevollmächtigten der Klägerin nicht so zeitig eingereicht worden, dass die fristgerechte Weiterleitung an das Rechtsmittelgericht im ordentlichen Geschäftsgang ohne weiteres erwartet werden konnte. Das gilt auch im elektronischen Rechtsverkehr.
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Das Verschulden des Prozessbevollmächtigten der Klägerin ist daher hier nicht mangels Kausalität unbeachtlich, weil das Verwaltungsgericht den Schriftsatz nicht am selben Tag, an dem der Eingang festgestellt werden konnte, also zum Arbeitsbeginn am 8. Mai 2024, dem letzten Tag der Frist, an den Verwaltungsgerichtshof weitergeleitet hat. Denn auch unter Berücksichtigung des Anspruchs auf ein faires Verfahren (Art. 2 Abs. 1 GG i.V.m. dem Rechtsstaatsprinzip) und der darauf beruhenden Fürsorgepflicht des Gerichts für die Prozessparteien muss der Partei und ihrem Prozessbevollmächtigten die Verantwortung für die Übermittlung an den richtigen Adressaten fristgebundener Verfahrenserklärungen nicht allgemein abgenommen und auf (dafür) unzuständige Gerichte verlagert werden. Dieser Fürsorgepflicht des erstinstanzlichen Gerichts für die Prozessparteien entspricht es, einen fehlerhaft adressierten Schriftsatz im Rahmen des üblichen Geschäftsgangs an das zuständige Gericht (hier den Verwaltungsgerichtshof) weiterzuleiten (vgl. BVerfG, B.v. 17.1.2006 – 1 BvR 2558/05 – NJW 2006, 1579 Rn. 8; BVerwG, B.v. 15.7.2003 – 4 B 83.02 – NVwZ-RR 2003, 901; BayVGH, B.v. 1.7.2013 – 5 ZB 13.1106 – juris Rn. 7; NdsOVG, B.v. 8.1.2014 – 11 LA 229/13 – juris Rn. 5).
17
Eine vordringliche Behandlung, etwa eine unmittelbare Weiterleitung des Schriftsatzes per EGVP an das Rechtsmittelgericht ist nicht geboten, zumal diese bei fristgebundenen Schriftsätzen eine vorherige Fristprüfung bzw. das Wissen um den unmittelbar bevorstehenden Fristablauf voraussetzen würde (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 6 ZB 24.179 – juris Rn. 6).
18
Die vorgenannten Grundsätze sind hier schon deshalb nicht uneingeschränkt anzuwenden, da das Verwaltungsgericht München nicht das Ausgangsgericht war, sondern das Verwaltungsgericht Ansbach, und das Verwaltungsgericht München daher mit der Angelegenheit bisher gar nicht befasst war. Allerdings dürfte ein Gericht auch in einem solchen Fall gehalten sein, entweder den Schriftsatz nach Prüfung an den Adressaten weiterzuleiten oder die entsprechende Prozesspartei über die Fehlübermittlung zu informieren.
19
Jedenfalls konnte die Klägerin nicht erwarten, dass ein Gericht, das nicht Vorinstanz war und damit mit der Verwaltungsstreitsache bisher nicht befasst war, binnen eines Arbeitstages die Angelegenheit prüft und den Schriftsatz noch am selben Tag an das zuständige Rechtsmittelgericht weiterleitet. Ein am Abend des Vortags des Fristablaufs bei einem unzuständigen Gericht eingereichter Schriftsatz ist nicht „so zeitig“ eingereicht, dass seine Übermittlung an das zuständige Gericht binnen eines Arbeitstages erwartet werden kann.
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Dabei ist zu berücksichtigen, dass nicht bereits die Mitarbeiter der Poststelle des Verwaltungsgerichts München erkennen konnten oder mussten, dass der an den Verwaltungsgerichtshof adressierte Schriftsatz eine Verfahrenshandlung enthielt, für deren fristwahrende Entgegennahme nach den einschlägigen prozessrechtlichen Bestimmungen nur der Verwaltungsgerichtshof zuständig war (vgl. BayVGH, B.v. 20.2.2024 – 6 ZB 24.179 – juris 6 f.). Die bloße Adressierung an den Verwaltungsgerichtshof nötigt nicht zur unmittelbaren Weiterleitung durch die Poststelle des Verwaltungsgerichts. Vielmehr ist in solchen Fällen durch entscheidungsbefugte Personen zu prüfen, ob etwa eine Falschadressierung oder auch eine falsche Angabe des Aktenzeichens der ersten Instanz vorliegt.
21
Angesichts der Vielzahl der bei einem großen Gericht wie dem Verwaltungsgericht München täglich eingehenden Schreiben und Schriftsätze auch auf elektronischem Weg kann nicht erwartet werden, dass ein Schriftsatz, der sich nicht auf ein Verfahren beim Verwaltungsgericht München bezieht, innerhalb eines Arbeitstages durch entscheidungsbefugte Personen bewertet, zugeordnet und im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs an das zuständige Gericht weitergeleitet wird (vgl. auch BGH, B.v. 30.11.2022 – IV ZB 17/22 – juris Rn. 16).
22
Es kann daher ebenfalls offenbleiben, ob der Zulassungsbegründungsschriftsatz vom 7. Mai 2024 überhaupt formwirksam per EGVP vom Verwaltungsgericht München an den Bayerischen Verwaltungsgerichtshof hätte übermittelt werden können, insbesondere, ob er mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen gewesen war (§ 55a Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 VwGO) und nicht lediglich auf einem sicheren Übermittlungsweg an das Verwaltungsgericht München übermittelt wurde.
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG und entspricht der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung, gegen die keine Einwendungen erhoben wurden.
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3. Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO). Mit dieser Entscheidung wird das angefochtene Urteil rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).