Titel:
Kostenentscheidung zu Lasten der Kläger bei übereinstimmend erklärter Hauptsacheerledigung bzgl. Befristung der Wirkung der Abschiebung
Normenketten:
VwGO § 92 Abs. 3 S. 1, § 152 Abs. 1, § 154, § 161 Abs. 2
AufenthG § 11 Abs. 4
GG Art. 6 Abs. 2 S. 1
Leitsätze:
1. Der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit befreit nach Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache das Gericht von dem Gebot, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden, denn die zu treffende Kostenentscheidung ist nicht dazu bestimmt, trotz eingetretene Erledigung Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung durchzuentscheiden. (Rn. 2) (redaktioneller Leitsatz)
2. Das regelmäßig zusammen mit der Abschiebungsandrohung unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung erlassene asylverfahrensrechtliche Einreise- und Aufenthaltsverbot dient der Sicherstellung der Ausreisepflicht infolge des Nichtbestehens eines Schutzanspruchs und verfolgt damit eine andere Zweckrichtung als ein an eine Ausweisung anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Erledigung der Hauptsache, Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots, Verkürzung der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots, Schutzwürdige Belange (verneint), Zweckfortfall (verneint), Berufungsverfahren, Asylverfahren, Georgien, Abschiebungsandrohung, Aufenthaltsverbot, Einreiseverbot, übereinstimmende Erledigungserklärung, Kosten des Rechtsstreits, Kostenentscheidung, billiges Ermessen, Prozesswirtschaftlichkeit, visafreier Aufenthalt
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 26.02.2024 – W 7 K 23.866
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18836
Tenor
I. Das Verfahren wird eingestellt. Das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 26. Februar 2024, Az. W 7 K 23.866, ist wirkungslos.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Verfahrens in beiden Rechtszügen.
III. Der Streitwert für das Berufungszulassungsverfahren wird auf 5.000,00 € festgesetzt.
Gründe
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1. Da die Beteiligten den Rechtsstreit in der Hauptsache übereinstimmend für erledigt erklärt haben, war das Verfahren in entsprechender Anwendung des § 92 Abs. 3 Satz 1 VwGO einzustellen und das Urteil des Verwaltungsgerichts für wirkungslos zu erklären (§ 173 VwGO, § 269 Abs. 3 Satz 1 ZPO).
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2. Über die Kosten des Verfahrens ist gemäß § 161 Abs. 2 VwGO nach billigem Ermessen unter Berücksichtigung des bisherigen Sach- und Streitstands zu entscheiden. In der Regel entspricht es billigem Ermessen, gemäß dem Grundsatz des § 154 Abs. 1 VwGO dem Beteiligten die Verfahrenskosten aufzuerlegen, der ohne die Erledigung in dem Rechtsstreit voraussichtlich unterlegen wäre. Der in § 161 Abs. 2 VwGO zum Ausdruck kommende Grundsatz der Prozesswirtschaftlichkeit befreit jedoch nach Erledigung des Verfahrens in der Hauptsache das Gericht von dem Gebot, anhand eingehender Erwägungen abschließend über den Streitstoff zu entscheiden (vgl. BVerwG, B.v. 24.6.2008 – 3 C 5.07 – juris Rn. 2; BayVGH, B.v. 24.6.2016 – 20 B 16.1178 – juris Rn. 2). Denn die zu treffende Kostenentscheidung gemäß § 161 Abs. 2 VwGO ist nicht dazu bestimmt, trotz eingetretener Erledigung Fragen von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung „durchzuentscheiden“ (vgl. BVerwG, B.v. 16.10.2012 – 2 B 7.12 – juris Rn. 5). Bisheriger Sach- und Streitstand meint den Sachverhalt und die Rechtslage, die im Zeitpunkt des erledigenden Ereignisses – hier des Ablaufs der Frist des Einreise- und Aufenthaltsverbots – bestanden.
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Billigem Ermessen entspricht es hier, der Klägerin die Kosten des Rechtsstreits in beiden Rechtszügen aufzuerlegen, weil sie mit ihrer Klage auf Verpflichtung des Beklagten zur Aufhebung, hilfsweise zur Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots im bestandskräftigen Bescheid des Bundesamtes für Migration und Flüchtlinge (im Folgenden: Bundesamt) vom 25. August 2016 voraussichtlich unterlegen wäre. Denn der Klägerin standen entsprechende Ansprüche nicht zu, weshalb die Berufung des Beklagten nach Zulassung gem. § 124a Abs. 5 Satz 2 i.V.m. § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zur Änderung des erstinstanzlichen Urteils und Klageabweisung hätte führen müssen. Dies ergibt sich aus Folgendem:
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2.1 Schutzwürdige Belange der Klägerin erforderten keine Aufhebung oder Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gem. § 11 Abs. 4 Satz 1 Alt. 1 AufenthG. Die minderjährige Klägerin befindet sich in der Obhut ihrer sorgeberechtigten Eltern im Herkunftsland. Die Wahrnehmung des Sorge- und Umgangsrechtes der Eltern hat gem. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG Vorrang gegenüber den persönlichen Bindungen der Klägerin an ihren im Bundesgebiet lebenden, erwachsenen Bruder bzw. an andere Personen im Bundesgebiet. Auch der Umstand, dass die Klägerin in Deutschland bis zur Abschiebung erfolgreich die Realschule besucht hat, nunmehr aber Schwierigkeiten bei der schulischen Eingliederung im Herkunftsland in sprachlicher und schrifttechnischer Hinsicht vorträgt, erfordert nicht die Aufhebung oder Verkürzung des Einreise- und Aufenthaltsverbots zur Wahrung ihrer schutzwürdigen Belange. Das Recht der Klägerin auf Bildung (Art. 28 UN-Kinderrechtskonvention) gewährleistet keinen Anspruch darauf, in einem Staat ihrer Wahl – dessen Staatsangehörigkeit sie nicht besitzt und in dem sie über kein Aufenthaltsrecht verfügt – beschult zu werden.
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2.2 Des Weiteren fehlt es auch an der tatbestandlichen Voraussetzung, dass der gesetzliche Zweck das Einreise- und Aufenthaltsverbot nicht mehr erfordert. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts ist insoweit nicht auf die ausweisungsbezogenen Belange der Spezial- bzw. Generalprävention abzustellen. Daher kommt es nicht auf die von dem Verwaltungsgericht bejahte Frage an, ob infolge des fortgeschrittenen Alters der Klägerin eine Entkoppelung vom aufenthaltsrechtlichen Schicksal der Eltern eingetreten ist, aufgrund derer der Klägerin die – zeitlich nach dem Erlass des Einreise- und Aufenthaltsverbotes aufgedeckte – Identitätstäuschung der Eltern im Asylverfahren nicht zugerechnet werden könnte. Das streitgegenständliche Einreise- und Aufenthaltsverbot wurde gem. § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 2 AufenthG im Ablehnungsbescheid des Bundesamtes bezüglich der Asyl- bzw. Schutzbegehren der Klägerin und ihrer Familienangehörigen zusammen mit der Abschiebungsandrohung unter der aufschiebenden Bedingung der Abschiebung erlassen. Es diente folglich der Sicherstellung der Ausreisepflicht (auch) der Klägerin infolge des Nichtbestehens eines Schutzanspruchs und verfolgte damit eine andere Zweckrichtung als ein an eine Ausweisung und die damit verbundenen spezial- und ggf. generalpräventiven Zwecke anknüpfendes Einreise- und Aufenthaltsverbot gem. § 11 Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 Satz 1 AufenthG (vgl. Hailbronner/Lehner in Hailbronner, Ausländerrecht, Stand Oktober 2024, § 11 AufenthG Rn. 174; die vom Verwaltungsgericht herangezogene Rechtsprechung bezieht sich auf ein Einreise- und Aufenthaltsverbot in Verbindung mit einer Ausweisung: Nds.OVG, U.v. 18.2.2021 – 13 LB 269/19 – Rn. 41 ff.). Das mit der Abschiebung durchzusetzende öffentliche Interesse ist auf die Fernhaltung des Ausländers vom Bundesgebiet gerichtet, weil er Anlass für Vollstreckungsmaßnahmen gegeben hat und die Besorgnis besteht, dass dies bei einem künftigen Aufenthalt im Bundesgebiet erneut der Fall sein könnte. Hieran hat sich die Entscheidung über die Dauer des Einreise- und Aufenthaltsverbots zu orientieren (vgl. Hailbronner/Lehner a.a.O., m.w.N.). Da die Klägerin und ihre Eltern nicht innerhalb der ihnen gesetzten Ausreisefrist freiwillig ausgereist sind, konkretisierte sich dieser Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots, das mit der Abschiebung seine Wirkungen entfaltete. Die Fristsetzung von 30 Monaten und damit der Hälfte des Höchstmaßes nach § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG entspricht der im Regelfall erfolgenden Befristung durch das Bundesamt bei Asylablehnungen und somit dem Grundsatz der Gleichbehandlung (vgl. BayVGH, B.v. 28.11.2016 – 11 ZB 16.30463 – juris Rn. 4; Maor in Kluth/Heusch, Ausländerrecht, Stand 1.4.2025, § 11 AufenthG Rn. 28). Sie ist daher durch den o.g. Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots getragen und nicht zu beanstanden.
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Der Zweck des streitgegenständlichen Einreise- und Aufenthaltsverbots ist nicht gem. § 11 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 AufenthG vor Fristablauf entfallen. Die Aufhebung des Einreise- und Aufenthaltsverbots oder eine Verkürzung der Frist kann nach § 11 Abs. 4 Satz 1 Alt. 2 AufenthG angezeigt sein, wenn Umstände eintreten, die das Gewicht des öffentlichen Interesses, den Ausländer aus dem Bundesgebiet fernzuhalten oder ihm die Erteilung eines Aufenthaltstitels im Bundesgebiet vorzuenthalten, verringern (vgl. BT-Drs. 18/4097, S. 36). Derartige Umstände lagen aber im Falle der Klägerin bis zum Fristablauf nicht vor. Vielmehr bestanden, worauf der Beklagte in der Begründung des Zulassungsantrags zutreffend hingewiesen hat, konkrete Anhaltspunkte dafür, dass die Klägerin nach wie vor eine Wiedereinreise mit dem Zweck eines Daueraufenthaltes insbesondere zum Schulbesuch in Deutschland beabsichtigte. Da jedoch ein Anspruch der Klägerin auf Erteilung eines Aufenthaltstitels zu diesem oder einem anderen Zweck bis zum erledigenden Ereignis nicht ersichtlich war – wovon das Verwaltungsgericht auch nicht ausgegangen ist – und deshalb eine Visumerteilung nicht in Betracht kam, bestand Anlass, sie durch das Einreise- und Aufenthaltsverbot von einer illegalen Wiedereinreise abzuhalten. Dies gilt umso mehr mit Blick auf das Recht der Klägerin als georgische Staatsangehörige auf visafreie Einreise für Kurzaufenthalte von nicht mehr als 90 Tagen gem. Art. 4 VO (EU) Nr. 2018/1806 i.V.m. Anhang II. Insofern setzt zwar ein Zweckfortfall im Sinne des § 11 Abs. 4 Satz 1 AufenthG – wie das Verwaltungsgericht zutreffend hervorhebt – nicht voraus, dass die tatbestandlichen Voraussetzungen eines Rechtsanspruchs auf einen Aufenthaltstitel vorliegen. Da die Klägerin aber erkennbar einen langfristigen Aufenthalt anstrebte, der nicht durch einen Aufenthaltszweck der Abschnitte 3 bis 7 des Aufenthaltsgesetzes gedeckt gewesen wäre und für den auch keine atypische Titelerteilung nach § 7 Abs. 3 AufenthG in Frage gekommen wäre, aktualisierte sich gerade der Zweck des Einreise- und Aufenthaltsverbots, sie von einer erneuten (illegalen) Einreise in das Bundesgebiet abzuhalten. Es blieb der Klägerin unbenommen, für kurzfristige Aufenthalte – etwa um ihren Bruder oder andere Personen im Bundesgebiet zu besuchen – eine Betretenserlaubnis nach § 11 Abs. 8 AufenthG zu beantragen.
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3. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. § 52 Abs. 2 GKG.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).