Titel:
Festsetzung einer Abwasserabgabe für das Einleiten von Niederschlagswasser
Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 S. 4, Abs. 5 S. 2
AbwAG § 7 Abs. 2
BayAbwAG Art. 6 Abs. 2
Leitsätze:
1. Das Vorliegen eines die Einleitung zulassenden wasserrechtlichen Bescheids ist tatbestandliche Voraussetzung für die Abgabefreiheit der Einleitung von Niederschlagswasser aus der Kanalisation im Mischsystem. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine Abgabefreiheit soll nur gewährt werden, wenn die Einleitung des Niederschlagswassers keine qualitative Gewässerbelastung zur Folge hat. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn die Einleitung die wasserrechtlichen Anforderungen erfüllt, die sich aus dem wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid ergeben. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Aufteilung einer Kanalisation in abgabefreie und abgabepflichtige Teile setzt das Vorliegen selbstständiger Teilbereiche voraus, die mit den notwendigen Mischwasserentlastungsbauwerken ausgestattet sind. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Berufungszulassung (abgelehnt), Abwasserabgabe für die Einleitung von Niederschlagswasser, Abgabefreiheit (verneint), Kanalisation, abgabefreie Teilbereiche, Zulassungsbegründung
Vorinstanz:
VG Augsburg, Urteil vom 16.09.2024 – Au 9 K 23.1917 , Au 9 K 23.2206
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1881
Tenor
I. Der Antrag auf Zulassung der Berufung wird abgelehnt.
II. Die Klägerin trägt die Kosten des Zulassungsverfahrens.
III. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren Az. Au 9 K 23.1917 wird unter Änderung des Beschlusses des Verwaltungsgerichts Augsburg vom 16. September 2024 bis zu der teilweisen Klagerücknahme vom 25. Januar 2021 auf 184.747,88 € und anschließend auf 172.078,22 € festgesetzt. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 248.514,21 € festgesetzt.
Gründe
1
Die Klägerin wendet sich gegen die Festsetzung der Abwasserabgabe für das Einleiten von Niederschlagswasser für die Veranlagungsjahre 2014, 2015 und 2016.
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Die Klägerin betreibt eine kommunale Kläranlage. Das Abwasser wird ihr über eine öffentliche Kanalisation – im Wesentlichen im Mischsystem – aus dem Stadtgebiet sowie den Gemeinden O. … (O.) und S. … (S.) zugeführt. Die Kanalisation gliedert sich in vier Stränge, die vor der Kläranlage zusammengeführt werden. Das in der Kläranlage gereinigte Abwasser wird anschließend in die Paar eingeleitet.
3
Der Klägerin wurde mit Bescheid des Landratsamts Aichach-Friedberg vom 22. August 2013 die Einleitung gesammelter Abwässer zur Beseitigung des Mischwassers aus Entlastungsbauwerken wasserrechtlich erlaubt. Für die Einleitungen aus Entlastungsanlagen der Gemeinden O. und S. (Kanalstrang 1 und 2) sowie aus zwei Entlastungsanlagen der Klägerin (Kanalstrang 3) lagen in den o.g. Veranlagungszeiträumen keine wasserrechtlichen Gestattungen vor.
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Das Landratsamt Aichach-Friedberg setzte die von der Klägerin zu zahlende Abgabe für das Einleiten von verschmutztem Niederschlagswasser mit Bescheid vom 30. November 2020 auf 92.123,46 € (2014) und 92.624,42 € (2015) sowie mit Bescheid vom 4. Dezember 2023 auf 89.081,31 € (2016) fest. Die Berechnung erfolgte anhand der Zahl der an den dem jeweiligen Kanalstrang angeschlossenen Einwohner.
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Die zuletzt nur noch gegen die Abgabe betreffend Kanalstrang 1 und 2 gerichteten Klagen hat das Verwaltungsgericht Augsburg mit Urteil vom 16. September 2024 abgewiesen. Das Einleiten von Niederschlagswasser aus der Kläranlage sei abgabepflichtig, weil wasserrechtliche Erlaubnisse für Einleitungen aus Entlastungbauwerken fehlten. Der Gesetzesbegriff „Kanalisation“ beziehe sich auf das gesamte Abwassersystem; eine Aufteilung in abgabepflichtige und abgabefreie Teile käme allenfalls nach Kanalsträngen in Betracht, wie sie der Festsetzung bereits zugrunde lägen.
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Mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung macht die Klägerin ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des verwaltungsgerichtlichen Urteils geltend. Eine qualitative Gewässerbelastung sei aufgrund der Einbindung der Einleitungen in die wasserrechtlich genehmigte Schmutzfrachtberechnung (Bescheid vom 22.8.2013) ausgeschlossen. Die Kanalisation könne in abgabepflichtige und abgabefreie Teilbereiche aufgeteilt werden; nicht nur „hydraulische Einheiten“ könnten Mischwasserversorgungspfade sein.
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Der Zulassungsantrag hat keinen Erfolg.
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1. Der von der Klägerin allein geltend gemachte Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des angefochtenen Urteils ist nicht hinreichend dargelegt und liegt nicht vor (vgl. § 124 Abs. 2 Nr. 1, § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO).
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Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit eines Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegen vor, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt wird (vgl. BVerfG, B.v. 18.3.2022 – 2 BvR 1232/20 – NVwZ 2022, 789 = juris Rn. 23 m.w.N.) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerfG, B.v. 7.10.2020 – 2 BvR 2426/17 – NVwZ 2021, 325 = juris Rn. 34; BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – DVBl 2004, 838 = juris Rn. 9). Der Antragsteller muss substanziiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigen, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung unrichtig ist (vgl. BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – NVwZ 2011, 546 = juris Rn. 19; Kuhlmann/Wysk in Wysk, VwGO, 4. Aufl. 2025, § 124 Rn. 15). Dazu bedarf es einer substanziellen Auseinandersetzung mit der angegriffenen Entscheidung; eine bloße Wiederholung des erstinstanzlichen Vorbringens genügt nicht (vgl. BayVGH, B.v. 2.8.2023 – 24 ZB 23.1119 – juris Rn. 21; OVG NW, B.v. 16.1.2025 – 5 A 906/24 – juris Rn. 7 f.; VGH BW, B.v. 13.1.2025 – 11 S 1037/23 – juris Rn. 5).
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Diesen Anforderungen wird die Zulassungsbegründung nicht gerecht, soweit sie die Rechtsauffassung der Klägerin lediglich wiederholt. Soweit sie sich mit der Begründung des angegriffenen Ersturteils auseinandersetzt, zeigt sie keine ernstlichen Zweifel an dessen Richtigkeit nach den oben dargestellten Maßstäben auf.
11
a) In Bezug auf das gesamte öffentliche Kanalnetz, mit dem das Abwasser der Kläranlage zugeführt wird, liegen die Anforderungen einer Abgabefreiheit der Einleitung von Niederschlagswasser aus der Kanalisation im Mischsystem nach Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayAbwAG unstreitig nicht vor. In den streitbefangenen Veranlagungszeiträumen fehlten wasserrechtliche Bescheide, die Einleitungen der Gemeinden O. und S. zulassen (Kanalstrang 1 und 2). Zudem waren die Einleitungen aus den Regenüberlaufbecken (RÜB) Unter- und Ober. … (Kanalstrang 3, vgl. VG-Akten Az. Au 9 K 20.2798 103 f. und Az. Au 9 K 23.2206 S. 21), deren Abgabepflicht die Klägerin akzeptiert hat (vgl. Klagerücknahme vom 25.1.2021), wasserrechtlich nicht gestattet. Das Vorliegen eines die Einleitung zulassenden wasserrechtlichen Bescheids ist aber tatbestandliche Voraussetzung für die Abgabefreiheit (vgl. BayVGH, B.v. 4.1.2016 – 8 CS 15.2387 – juris Rn. 8; B.v. 13.5.2013 – 8 ZB 11.2773 – juris Rn. 11; Zöllner in Sieder/Zeitler, BayWG, Stand Januar 2023, Art. 6 BayAbwAG Rn. 12).
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Ob eine qualitative Gewässerbelastung auch ohne Zulassungsbescheid ausgeschlossen ist, weil alle Einleitungen in die wasserrechtlich gestattete Schmutzfrachtberechnung eingebunden sind, ist rechtlich ohne Bedeutung. Art. 6 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 BayAbwAG stellt nach seinem Wortlaut („die Einleitung zulassenden Bescheide“) allein auf den wasserrechtlichen Bescheid ab. Die Gesetzesmaterialien stützen diese Wortlautinterpretation (vgl. LT-Drs. 11/7944 S. 6: „soll befreit werden, wer diese Anforderung oder eine etwaige strengere Anforderung nach dem wasserrechtlichen Bescheid erfüllt“). Das formale Abstellen auf die „Bescheidlage“ dient der besseren Handhabbarkeit; die Regelung ist bewusst unabhängig von einer realen Gewässerbelastung konzipiert (vgl. BayVGH, B.v. 13.5.2013 – 8 ZB 11.2773 – juris Rn. 14 f.; OVG RhPf, U.v. 19.5.2005 – 12 A 12121/04 – juris Rn. 27 zu § 6 Abs. 2 Satz 1 LAbwAG RhPf; vgl. auch BVerwG, U.v. 23.8.1996 – 8 C 10.95 – BVerwGE 102,1 = juris Rn. 12).
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b) Die Wertung des Verwaltungsgerichts, es sei rechtlich nicht von Bedeutung, wie viele Betreiber (z.B. mehrere Gemeinden) an einer Kanalisation beteiligt sind (vgl. UA Rn. 37), greift der Zulassungsantrag nicht an. Dies trifft auch zu. Art. 6 Abs. 2 BayAbwAG regelt die Abgabefreiheit des Einleitens von Niederschlagswasser aus einer „Kanalisation“, also aus einem eine Gesamteinrichtung bildenden Kanalsystem, dem Kanalnetz (vgl. Köhler/Meyer AbwAG, 2. Aufl. 2006, § 7 Rn. 12 und 43; Kotulla, AbwAG, 1. Aufl. 2005, § 7 Rn. 5). Die Voraussetzungen für die Abgabefreiheit müssen dabei grundsätzlich für die Gesamteinrichtung vorliegen (vgl. BayVGH, B.v. 13.5.2013 – 8 ZB 11.2773 – juris Rn. 10; Zöllner in Sieder/Zeitler, BayWG, Art. 6 BayAbwAG Rn. 2, jeweils zu Art. 6 Abs. 1 BayAbwAG; vgl. auch OVG RhPf, U.v. 19.5.2005 – 12 A 12121/04 – juris Rn. 26 f. zu § 6 Abs. 2 Satz 1 LAbwAG RhPf).
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Rechtlich unerheblich ist auch, ob der abgabeverpflichtete Einleiter die Nichterfüllung der Voraussetzungen des Art. 6 Abs. 2 BayAbwAG zu vertreten hat. Dies ergibt sich nicht nur aus dem Wortlaut des Gesetzes, der keine solche Einschränkung vorsieht, sondern auch aus dem Gesetzeszweck. Eine Abgabefreiheit soll nur gewährt werden, wenn die Einleitung des Niederschlagswassers keine qualitative Gewässerbelastung zur Folge hat. Davon kann nur ausgegangen werden, wenn die Einleitung die wasserrechtlichen Anforderungen erfüllt, die sich aus dem wasserrechtlichen Erlaubnisbescheid ergeben (vgl. BayVGH, B.v. 13.5.2013 – 8 ZB 11.2773 – juris Rn. 14 f). Der Umstand, dass die Einleitungen der an die Kläranlage der Klägerin angeschlossenen Kommunen O. und S. in die abgabenrechtliche Betrachtung einbezogen wurden, ist rechtlich nicht zu beanstanden (vgl. Köhler/Meyer, AbwAG, § 9 Rn. 12; kritisch Grell, KommP BY 2023, 333/335); etwaige Regressansprüche bleiben unberührt.
15
c) Eine Teilbarkeit des streitbefangenen Kanalnetzes (vgl. Systemplan, VG-Akte Az. Au 9 K 20.2798 S. 105) innerhalb der Kanalstränge bzw. „hydraulischen Einheiten“ (vgl. Nr. 2.2.1 der Verwaltungsvorschrift zum Abwasserabgabengesetz und zum Bayerischen Gesetz zur Ausführung des Abwasserabgabengesetzes – VwVBayAbwAG vom 17.9.2003, AllMBl. S. 529) zeigt der Zulassungsantrag nicht schlüssig auf.
16
Die Aufteilung einer Kanalisation in abgabefreie und abgabepflichtige Teile setzt das Vorliegen selbstständiger Teilbereiche voraus, die mit den notwendigen Mischwasserentlastungsbauwerken ausgestattet sind (vgl. BayVGH, B.v. 11.10.2017 – 8 ZB 16.1050 – juris Rn. 12; Zöllner in Sieder/Zeitler, BayWG, Art. 6 BayAbwAG Rn. 14). Der von der Klägerin angeführte Abschnitt H. …, Ober- und Unter. … stellt keinen eigenständigen Entsorgungspfad dar, sondern ist unselbständiger Teil des Kanalstrangs 1. Das Mischwasser aus allen Teilentwässerungsgebieten dieser „hydraulischen Einheit“ passiert weiter unten – vor der Kläranlage – zwei gemeinsame Regenüberlaufbecken (Stauraumkanäle [SKU] A. … und O. ….), bevor alle Kanalstränge in einem gemeinsamen Kanal zur Kläranlage vereint werden.
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2. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 3, Abs. 1 Satz 1, § 52 Abs. 3 Satz 1 GKG. Maßgeblich ist – vorbehaltlich einer nur teilweisen Anfechtung – die festgesetzte Abgabe in voller Höhe und nicht nur die nach Abzug von Vorausleistungen in Rechnung gestellte Schlusszahlung. Die erstinstanzliche Streitwertfestsetzung im Verfahren Az. Au 9 K 23.1917 ist entsprechend abzuändern (§ 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG).
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Mit der Ablehnung des Zulassungsantrags wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).