Inhalt

VGH München, Beschluss v. 04.02.2025 – 5 CE 24.2012
Titel:

Unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung:bei Entscheidung über Eilantrag und Prozesskostenhilfe innerhalb eines Beschlusses

Normenketten:
VwGO § 58 Abs. 2, § 67 Abs. 4 S. 1, 147 Abs. 1
ZPO § 121 Abs. 5, § 906 Abs. 2
Leitsatz:
Eine Rechtsmittelbelehrung, wonach der Vertretungszwang ohne Differenzierung für Rechtsmittel gilt, ist geeignet, beim Antragsteller einen Irrtum über die Voraussetzungen eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde hervorzurufen, da nach § 67 Abs. 4 S. 1 VwGO in Prozesskostenhilfesachen kein Vertretungszwang gilt. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Unrichtige Rechtsbehelfsbelehrung:bei Entscheidung über Eilantrag und Prozesskostenhilfe innerhalb eines Beschlusses, Pfändung eines Pfändungsschutzkontos, Prozesskostenhilfe, Pfändungs- und Überweisungsbeschluss, Vollstreckungsmaßnahme, Kontopfändung, Rechtsbehelfsbelehrung, Vertretungszwang, Pfändungsschutzkonto
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 18.11.2024 – Au 4 E 24.2387
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1878

Tenor

Der Beschluss des Bayerischen Verwaltungsgerichts Augsburg vom 18. November 2024 wird in Ziffer III aufgehoben. Dem Antragsteller wird für das Verfahren erster Instanz und die beabsichtigte Beschwerde gegen die Ablehnung seines Eilantrags Prozesskostenhilfe bewilligt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller begehrt die Bewilligung von Prozesskostenhilfe für Rechtsbehelfe wegen Vollstreckungsmaßnahmen der Antragsgegnerin.
2
Zur Vollstreckung offener Geldforderungen erließ die Antragsgegnerin zwei Pfändungs- und Überweisungsbeschlüsse, mit denen sie die Kontopfändung des Antragstellers bei der Sparkasse B. (PfÜB.v. 19.7.2023) und der Sparkasse A. (PfÜB.v. 21.5.2024) sowie die Einziehung der gepfändeten Forderungen angeordnet hat.
3
Mit Beschluss vom 18. November 2024 lehnte das Verwaltungsgericht Augsburg den Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und den Antrag des Antragstellers auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung seines Rechtsbehelfs in der Hauptsache gegen die Pfändungs- und Überweisungsverfügung vom 21. Mai 2024 ab. Die allgemeinen und besonderen Vollstreckungsvoraussetzungen lägen vor. Der Rechtmäßigkeit des Pfändungs- und Überweisungsbeschlusses stünden auch keine Pfändungsschutzvorschriften entgegen. Soweit der Antragsteller zuletzt die weitere Pfändung von Guthaben auf dem Sparkassenkonto B. moniere, sei darauf hinzuweisen, dass dieses Konto nicht Gegenstand der streitgegenständlichen Pfändungs- und Überweisungsverfügung sei. Die Pfändung auf dem Konto der Sparkasse A. sei ruhend gestellt. Es sei daher auch nicht zu besorgen, dass etwaige, dem Pfändungsschutz unterliegenden Zahlungen durch simple Kontopfändung umgangen werde.
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Mit Schriftsatz vom 27. November 2024 erhob der Antragsteller per E-Mail „Beschwerde gegen den Bescheid vom 20.11.2024“. Auf Bitte des Gerichts, die betroffenen Konten genau zu bezeichnen, gab er mit handschriftlich unterzeichnetem Schreiben vom 9. Dezember 2024 an, es handle sich primär um ein Konto bei der Sparkasse B., das er seit Jahren als Pfändungsschutzkonto führe. Auf dieses Konto würden nur seine Altersrente, eine Berufsunfähigkeitsrente wegen eines Arbeitsunfalls und Leistungen nach dem SGB (Grundsicherung im Alter) eingehen.
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Wegen weiterer Einzelheiten wird auf die Gerichts- und Behördenakten verwiesen.
II.
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Der Rechtsbehelf des Antragstellers, den der Senat entsprechend dem Rechtsschutzziel sowohl als Beschwerde gegen die Ablehnung seines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe als auch als Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für die beabsichtigte Beschwerde gegen die Ablehnung seines Eilantrags auslegt (§ 88 VwGO), hat Erfolg.
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1. Gegenstand des Eilantrags ist – anders als das Verwaltungsgericht annimmt – nicht der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 21. Mai 2024 (Sparkasse A.), sondern der Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 19. Juli 2023 (Sparkasse B.) und seine Durchführung. Bereits seinem am 30. September 2024 bei der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts gestellten Antrag hatte der Antragsteller einen Kontoauszug der Sparkasse B. beigefügt. In seinem Schriftsatz vom 9. Dezember 2024 hat der Antragsteller bekräftigt, sein Rechtschutzbegehren beziehe sich „primär“ auf das bei der Sparkasse B. bestehende Konto, da nur dieses als Pfändungsschutzkonto geführt werde und Zahlungseingänge aufweise.
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2. Beschwerde und Antrag sind zulässig. Die zunächst entgegen § 81 Abs. 1 Satz 1 VwGO nur per E-Mail und daher formunwirksam erhobene Beschwerde wurde durch das handschriftlich unterzeichnete Schreiben vom 9. Dezember 2024 bestätigt. Die Frist des § 147 Abs. 1 VwGO hat gem. § 58 Abs. 1 VwGO weder hinsichtlich der Entscheidung über den Prozesskostenhilfeantrag noch hinsichtlich der Ablehnung des Eilantrags zu laufen begonnen, da die dem Beschluss beigefügte Rechtsbehelfsbelehrung unrichtig war. Entgegen dem Wortlaut der dem Beschluss vom 18. November 2024 beigegebenen Rechtsmittelbelehrung, wonach der Vertretungszwang ohne Differenzierung für Rechtsmittel gegen diesen Beschluss gilt, gilt gem. § 67 Abs. 4 Satz 1 VwGO in Prozesskostenhilfesachen kein Vertretungszwang. Zwar gehören Ausführungen zum Vertretungszwang nicht zu den Pflichtinhalten einer Rechtsmittelbelehrung. Derartige ergänzende Hinweise sind aber dann unrichtig, wenn sie objektiv geeignet sind, bei dem Adressaten einen Irrtum über die formellen und materiellen Voraussetzungen des in Betracht kommenden Rechtsbehelfs hervorzurufen (stRspr, vgl. BVerwG, U.v. 13.12.1978 – 6 C 77.78 – NJW 1979, 1670). Dies ist hier hinsichtlich der formellen Voraussetzung der Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe ohne weiteres der Fall. Mittelbar ist die Rechtsmittelbelehrung aber auch geeignet, beim Antragsteller einen Irrtum über die Voraussetzungen eines Antrags auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde hervorzurufen. Denn die Rechtsmittelbelehrung im Beschluss vom 18. November 2024 ist geeignet, beim Adressaten die irrtümliche Anschauung hervorzurufen, dass eine Beschwerdeeinlegung nur unter Einhaltung des Vertretungszwangs zulässig ist, es ihm aber endgültig verwehrt ist, den Vertretungszwang einzuhalten, weil die Ablehnung der Prozesskostenhilfe rechtskräftig ist und ihm selbst die Mittel hierfür fehlen. Dies hat zur Folge, dass die Rechtsbehelfsbelehrung auch hinsichtlich der Ablehnung des Eilantrags als unrichtig im Sinn des § 58 Abs. 2 VwGO einzustufen ist. Die Jahresfrist des § 58 Abs. 2 VwGO ist eingehalten.
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3. Der Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe für eine beabsichtigte Beschwerde gegen die Ablehnung des Eilantrags ist begründet, da die beabsichtigte Rechtsverfolgung hinreichende Aussicht auf Erfolg bietet (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO, § 114 Abs. 1 Satz 1 ZPO). Dafür genügt eine gewisse, nicht notwendig überwiegende Wahrscheinlichkeit des Erfolges, wobei im Hinblick auf die Rechtsschutzgleichheit von Bemittelten und Unbemittelten keine überspannten Anforderungen gestellt werden dürfen (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16. Aufl. 2022, § 166 Rn. 26). Dies ist hier schon deshalb der Fall, weil das Verwaltungsgericht seine Prüfung fälschlich auf den Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 21. Mai 2024 und nicht auf den die Sparkasse B betreffenden Pfändungs- und Überweisungsbeschluss vom 19. Juli 2023 bezogen hat. Zudem hat das Verwaltungsgericht nicht auf die speziellen Pfändungsschutzvorschriften der §§ 899 ff. ZPO – insbesondere § 906 Abs. 2 ZPO – abgestellt, die bei der Pfändung eines Pfändungsschutzkontos zur Anwendung kommen. Aus demselben Grund hat auch die Beschwerde gegen die Ablehnung der Bewilligung von Prozesskostenhilfe Erfolg.
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4. Die subjektiven Voraussetzungen für die Bewilligung von Prozesskostenhilfe sind ausweislich der dem Verwaltungsgericht vorgelegten Erklärung über die persönlichen und wirtschaftlichen Verhältnisse des Antragstellers erfüllt.
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5. Sobald der Antragsteller dem Gericht den Rechtsanwalt seiner Wahl benannt hat, wird dieser Beschluss durch die – momentan noch ausstehende – Beiordnung des Anwalts ergänzt. Nur im Falle, dass der Antragsteller keinen zur Vertretung bereiten Anwalt findet, ordnet ihm das Gericht auf seinen Antrag einen Rechtsanwalt bei (§ 121 Abs. 5 ZPO)
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6. Eine Kostenentscheidung und eine Streitwertfestsetzung sind entbehrlich. Kosten werden nach § 166 VwGO i.V.m. § 127 Abs. 4 ZPO nicht erstattet.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).