Titel:
Erfolgloser Eilantrag ukrainischer Staatsangehöriger unter anderem mit dem Ziel der (Neu-)Erteilung eines Aufenthaltsdokuments
Normenkette:
UkraineAufenthFGV § 2 Abs. 1 S. 1
Leitsatz:
Von vorübergehend Schutzberechtigten aus der Ukraine kann grundsätzlich nicht verlangt werden, ein elektronisches Aufenthaltsdokument mit im Einzelfall aktualisierter Gültigkeitsdauer vorzulegen. (Rn. 7 – 8) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
vorübergehend schutzberechtigte Minderjährige aus der Ukraine, Antrag auf Neuausstellung von Aufenthaltsdokumenten nach Verlustanzeige, Verlustfall bei Verweigerung der Herausgabe durch einen Elternteil (verneint), vorübergehend Schutzberechtigte aus der Ukraine, Aufenthaltsdokument, Neuerteilung
Vorinstanz:
VG München, Entscheidung vom 15.05.2025 – M 4 E 25.1567
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18786
Tenor
I. Die Verfahren 10 CE 25.974 und 10 C 25.979 werden zur gemeinsamen Entscheidung verbunden.
II. Die Beschwerden werden zurückgewiesen.
III. Die Antragsteller haben die Kosten der Beschwerdeverfahren zu tragen.
V. Der Streitwert wird für das Verfahren 10 CE 25.974 auf 5.000,- Euro festgesetzt.
Gründe
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Mit ihrer Beschwerde im Verfahren 10 CE 25.974 verfolgen die Antragsteller, minderjährige ukrainische Staatsangehörige, ihren in erster Instanz erfolglosen Antrag gemäß § 123 Abs. 1 VwGO auf Ausstellung eines „neuen Aufenthaltstitels“, eines „Ausweisersatzes“ oder hilfsweise einer „Übergangsbescheinigung“ weiter. Mit der Beschwerde im Verfahren 10 C 25.979 wenden sie sich gegen die Versagung von Prozesskostenhilfe für das erstinstanzliche Eilverfahren.
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1. Die Beschwerdeverfahren werden gemäß § 93 Satz 1 VwGO zu gemeinsamer Entscheidung verbunden.
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2. Die Beschwerde im Verfahren 10 CE 25.974 ist unzulässig, weil sie dem Vertretungserfordernis des § 67 Abs. 4 VwGO nicht genügt. Nach dieser Vorschrift müssen sich die Beteiligten vor dem Verwaltungsgerichtshof, außer im Prozesskostenhilfeverfahren, durch die in § 67 Abs. 2 Satz 1 VwGO bezeichneten Rechtsanwälte oder Hochschullehrer als Prozessbevollmächtigte vertreten lassen. Dies gilt auch bereits für die Einlegung eines Rechtsmittels beim Verwaltungsgericht. Auf das Vertretungserfordernis wurden die Antragsteller in der Rechtsmittelbelehrungdes angegriffenen Beschlusses hingewiesen. Da die Beschwerdefrist nach § 147 Abs. 1 Satz 1 VwGO abgelaufen ist, kann die Einlegung der Beschwerde durch einen Prozessbevollmächtigten auch nicht mehr nachgeholt werden.
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3. Die zulässige Beschwerde gegen die Ablehnung des Prozesskostenhilfeantrags für das Eilverfahren ist unbegründet. Der Antrag gemäß § 123 VwGO hatte keine Aussicht auf Erfolg (§ 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 115 Abs. 1 Satz 1 ZPO).
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a) Das Verwaltungsgericht hat zurecht angenommen, dass die Antragsteller keinen Anordnungsgrund glaubhaft gemacht haben.
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Sie machen geltend, sie besäßen seit Februar 2025 „keine gültigen Identitäts- oder Aufenthaltsdokumente“. Die Antragsteller haben aber bereits nicht anhand konkreter Belege nachvollziehbar dargelegt, inwieweit ihnen konkrete Nachteile daraus erwachsen würden, dass sie zum Nachweis ihres Aufenthaltsrechts gemäß § 24 AufenthG „nur“ eine formlose schriftliche Bescheinigung der Antragsgegnerin und kein eigenständiges Dokument mit elektronischem Speicher- und Verarbeitungsmedium (Karte im eAT-Format) gemäß § 78 AufenthG vorlegen können. Ihr Vater behauptet dies nur in allgemeiner Form (Teilnahme am Schulunterricht; Zugang zur Krankenversicherung und medizinischer Versorgung; Umgang mit Behörden [Jugendamt, Jobcenter etc.]; Bewegungsfreiheit innerhalb Deutschlands und Europas; Vermeidung polizeilicher Kontrollen, Inhaftierung oder Rückführung).
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Im Übrigen entspricht die Handhabung der Antragsgegnerin im vorliegenden Fall der aktuell geltenden Rechtslage. Danach kann von vorübergehend Schutzberechtigten aus der Ukraine, zu denen die Antragsteller offensichtlich gehören, grundsätzlich nicht verlangt werden, ein elektronisches Aufenthaltsdokument mit im Einzelfall aktualisierter Gültigkeitsdauer vorzulegen.
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Gemäß § 2 Abs. 1 Satz 1 der Ukraine-Aufenthaltserlaubnis-Fortgeltungsverordnung (UkraineAufenthFGV) vom 28. November 2023 (BGBl. Nr. 334) in der Fassung der Änderungsverordnung vom 22. November 2024 (BGBl. Nr. 363) gelten Aufenthaltserlaubnisse ukrainischer Staatsangehöriger gemäß § 24 Abs. 1 AufenthG, die am 1. Februar 2025 gültig waren, einschließlich ihrer Auflagen und Nebenbestimmungen bis zum 4. März 2026 ohne Verlängerung im Einzelfall fort. Zweck dieser allgemeinen Verlängerung des Gültigkeitszeitraums dieser Aufenthaltstitel ist es, Ausländerbehörden und Titelinhabern den Aufwand durch Verlängerungsanträge im Einzelfall zu ersparen (vgl. BR-Drs. 537/23 S. 1). Gemäß dem Willen des Verordnungsgebers bedarf es folglich nach Ablauf des ursprünglichen Geltungszeitraums der Aufenthaltserlaubnis grundsätzlich keiner Verlängerung des scheinbar abgelaufenen Aufenthaltsdokuments. Eine Neuausstellung eines eigentlich kraft der Verordnung verlängerten Aufenthaltsdokuments soll gemäß den Hinweisen des Bundesministeriums des Innern und für Heimat vom 30. Mai 2024 zur Umsetzung der Durchführungsbeschlüsse (EU) 2022/382 und 2023/2409 (dort S. 15) nur in begründeten Einzelfällen erfolgen; der betreffende Ausländer müsste glaubhaft machen, dass er aus individuellen Gründe ein berechtigtes Interesse an der Neuausstellung eines solchen Ausweisdokuments hat. Andernfalls würde ein Sachbescheidungsinteresse und im Falle einer gerichtlichen Geltendmachung eines Anspruchs auf Neuausstellung ein Rechtsschutzbedürfnis fehlen (vgl. OVG NW, B.v. 11.7.2024 – 18 B 1063/23 – juris Rn. 18).
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b) Zudem ist nach derzeitigem Sach- und Streitstand kein Anordnungsanspruch gegeben. Nicht entscheidungserheblich ist insoweit, unter welchen Voraussetzungen im Einzelnen ein Ausländer im Falle des Verlustes eines Aufenthaltsdokuments ein Anspruch auf erneute Ausstellung zustehen kann (vgl. Maor in Kluth/Heusch, BeckOK Ausländerrecht, Stand: 1.4. 2025, § 4 Rn. 1). Es kann schon nicht davon ausgegangen werden, dass vorliegend Ausweispapiere der Antragsteller verloren gegangen sind. Der Vater der Antragsteller trägt vor, deren Mutter halte entsprechende Dokumente zurück; diese sind demnach noch vorhanden und liegen lediglich dem Vater derzeit nicht vor. Inwiefern dieser von der Mutter unter Umständen eine Herausgabe verlangen könnte oder ob diese einen berechtigten Grund hat, die Dokumente zurückzuhalten (vgl. hierzu BGH, B.v. 27.3.2019 – XII ZB 345/18 – juris), ist nicht entscheidungserheblich.
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Gleichermaßen ergibt sich aus dem Vortrag der Antragsteller nicht, dass ihre bisherigen ukrainischen Ausweisdokumente im Sinne des § 56 Abs. 1 Nr. 2 AufenthV abhandengekommen wären und sie deshalb verpflichtet sein könnten, einen neuen Pass oder Passersatz zu beantragen; die Dokumente befinden sich nach Angaben ihres Vaters derzeit im Besitz ihrer Mutter. Im Übrigen würde die Ausstellung von Reiseausweisen für Ausländer durch die Antragsgegnerin gemäß § 5 Abs. 1 AufenthV voraussetzen, dass die Antragsteller nachweislich keinen Pass oder Passersatz besitzen und ihn nicht auf zumutbare Weise erlangen können (vgl. für vorübergehend Schutzberechtigte aus der Ukraine Hinweise des BMI vom 30.5.2024 zur Umsetzung der Durchführungsbeschlüsse [EU] 2022/382 und 2023/2409, S. 16 f.); die Antragsteller haben bereits nicht substantiiert geltend gemacht und es ist auch sonst nicht ersichtlich, dass diese Voraussetzungen vorliegen würden.
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4. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO.
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Die Streitwertfestsetzung für das Beschwerdeverfahren 10 CE 25.974 beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 und Abs. 2, § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG. Im Verfahren 10 C 25.979 bedarf es keiner Streitwertfestsetzung, weil nach Nr. 5502 des Kostenverzeichnisses (Anlage 1 zu § 3 Abs. 2 GKG) eine Festgebühr anfällt.
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Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 152 Abs. 1 VwGO).