Inhalt

VGH München, Beschluss v. 11.02.2025 – 4 CE 25.165
Titel:

Gerichtskosten bei Obdachlosenunterbringung

Normenketten:
VwGO § 188, § 147 Abs. 1
GKG § 21 Abs. 1 S. 1, § 52 Abs. 2
Leitsätze:
Verfahren über die sicherheitsrechtliche Unterbringung von Obdachlosen sind nicht gemäß § 188 Satz 2 VwGO gerichtskostenfrei. (Rn. 4)
1. In Eilverfahren über die sicherheitsrechtliche Unterbringung von Obdachlosen ist als Streitwert die Hälfte des Auffangstreitwerts des § 52 Abs. 2 GKG festzusetzen. (Rn. 3) (redaktioneller Leitsatz)
2. Ein Anspruch eines Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten besteht nur, wenn und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise beheben kann. Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenunterbringung dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art; die Grenze zumutbarer Einschränkungen liegt (erst) dort, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrt achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird. (Rn. 4) (redaktioneller Leitsatz)
3. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist setzt voraus, dass der Antragsteller sein Gesuch um Prozesskostenhilfe innerhalb der Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 VwGO ordnungsgemäß gestellt hat. (Rn. 6) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
sicherheitsrechtliche Unterbringung von Obdachlosen, Streitwert, Gerichtskostenfreiheit
Vorinstanz:
VG Augsburg, Beschluss vom 20.01.2025 – Au 4 E 25.53
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1875

Tenor

I. Die Beschwerde wird als unzulässig verworfen.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
III. Der Streitwert für das erstinstanzliche Verfahren und für das Beschwerdeverfahren wird auf 2.500 Euro festgesetzt. Gerichtskosten werden auch für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben.
IV. Der Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts wird abgelehnt.

Gründe

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1. Die Beschwerde des Antragstellers gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts vom 20. Januar 2025 ist als unzulässig zu verwerfen. Der Antragsteller hat seine Beschwerde mit einem am 23. Januar 2025 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schriftsatz persönlich eingelegt und damit den in Verfahren beim Verwaltungsgerichtshof gemäß § 67 Abs. 4 VwGO geltenden Vertretungszwang, auf den er bereits in der dem Beschluss beigefügten Rechtsmittelbelehrunghingewiesen worden ist, nicht beachtet. Der Mangel der Vertretung kann auch nicht mehr behoben werden, da die Zwei-Wochen-Frist des § 147 Abs. 1 VwGO für die Einlegung der Beschwerde ausgehend von der Zustellung des Beschlusses an den Antragsteller am 22. Januar 2025 mittlerweile abgelaufen ist (dazu, dass die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist im Zusammenhang mit dem Antrag des Antragstellers auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe nicht besteht, s. unten).
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2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
3
3. Die Festsetzung des Streitwerts für das erstinstanzliche Verfahren und für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 63 Abs. 2 Satz 1, Abs. 3 Satz 1 Nr. 2, § 47 Abs. 1, § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. der Empfehlung Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit 2013. Der Senat setzt in ständiger Rechtsprechung in Eilverfahren über die sicherheitsrechtliche Unterbringung von Obdachlosen als Streitwert die Hälfte des Auffangstreitwerts des § 52 Abs. 2 GKG fest (vgl. BayVGH, B.v. 27.10.2017 – 4 CE 17.1663 – juris, Tenor und Rn. 13 [insoweit in BayVBl 2018, 559 nicht abgedruckt]). Ein solches Eilverfahren hat der Antragsteller auch im vorliegenden Fall angestrengt. In seinem am 18. November 2024 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Schreiben verlangt der Antragsteller unter Verweis auf die Unzumutbarkeit seiner derzeitigen Unterbringung, ihm eine „adäquate Wohnung“ zur Verfügung zu stellen. Dementsprechend hat das Verwaltungsgericht das Begehren des Antragstellers dahin ausgelegt, dass er die Zuweisung einer (Sozial-)Wohnung beantragt. Auch in der am 23. Januar 2025 beim Verwaltungsgerichtshof eingegangenen Beschwerdeschrift beanstandet der Kläger seine derzeitige Unterkunft als nicht menschenwürdig.
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4. Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist das vorliegende Verfahren nicht gerichtskostenfrei. Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellen Verfahren über die sicherheitsrechtliche Unterbringung von Obdachlosen keine Angelegenheit der Fürsorge i.S. des § 188 Satz 1 VwGO dar mit der Folge der Gerichtskostenfreiheit gemäß § 188 Satz 2 VwGO. Zwar erfasst der Begriff der Fürsorge i.S. des § 188 Satz 1 VwGO in der seit dem 1. Januar 2005 geltenden Fassung (vgl. Art. 2 und Art. 4 Abs. 1 des Siebenten Gesetzes zur Änderung des Sozialgerichtsgesetzes vom 9.12.20004 [BGBl. I, S. 3302]) alle in die Zuständigkeit der Verwaltungsgerichtsbarkeit fallenden Sachgebiete, die Fürsorgemaßnahmen im weiteren Sinne zum Gegenstand haben und die nicht schon unter eines der ausdrücklich aufgezählten Sachgebiete fallen; zu diesen Sachgebieten gehören insbesondere diejenigen, in denen Leistungen mit primär fürsorgerischer Zwecksetzung vorgesehen sind (BVerwG, B.v. 20.4.2011 – 6 C 10.10 – NVwZ-RR 2011, 622 = juris Rn. 3). Die sicherheitsrechtliche Unterbringung von Unterbringung von Obdachlosen ist aber kein solches Sachgebiet. Ein Anspruch eines Obdachlosen auf sicherheitsrechtliches Einschreiten besteht (nur), wenn und solange er die Gefahr nicht selbst aus eigenen Kräften oder mit Hilfe der Sozialleistungsträger in zumutbarer Weise beheben kann (BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 4 m.w.N.). Die von der Sicherheitsbehörde zu leistende Obdachlosenunterbringung dient nicht der „wohnungsmäßigen Versorgung“, sondern der Verschaffung einer vorübergehenden Unterkunft einfacher Art; die Grenze zumutbarer Einschränkungen liegt (erst) dort, wo die Anforderungen an eine menschenwürdige, das Grundrecht auf körperliche Unversehrt achtende Unterbringung nicht mehr eingehalten wird (BayVGH, B.v. 3.8.2012 – 4 CE 12.1509 – juris Rn. 5 m.w.N.). Ausgehend von dieser rechtlichen Einordnung der sicherheitsrechtlichen Unterbringung von Obdachlosen handelt es sich bei ihr nicht um eine Angelegenheit der Fürsorge, sondern – wie schon das Attribut „sicherheitsrechtlich“ nahelegt – um eine sicherheitsrechtliche Maßnahme (vgl. auch VGH BW, B.v. 21.6.2012 – 1 S 866/12 – juris Rn. 2 f.). Soweit dies der 12. Senat des Verwaltungsgerichtshofs in einem obiter dictum anders gesehen hat (vgl. BayVGH, B.v. 14.3.2022 – 12 C 22.170 – juris Rn. 9), folgt der Senat dem nicht. Der vom Verwaltungsgericht im Zusammenhang mit seiner Annahme der Gerichtskostenfreiheit nach § 188 Satz 2 VwGO zitierte Beschluss ebenfalls des 12. Senats des Verwaltungsgerichtshofs (BayVGH, B.v. 19.8.2013 – 12 C 13.1519 – juris) betrifft Streitigkeiten über die Registrierung für den Bezug öffentlich geförderten Wohnraums in Gebieten mit überdurchschnittlichem Wohnungsbedarf; um eine solche Streitigkeit handelt es sich bei der vorliegenden nicht.
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5. Im Hinblick darauf, dass der Antragsteller möglicherweise aufgrund der Annahme des Verwaltungsgerichts, sein Verfahren und damit auch das Beschwerdeverfahren sei gerichtskostenfrei, zur Erhebung der Beschwerde veranlasst worden ist, ordnet der Senat in (entsprechender) Anwendung des § 21 Abs. 1 Satz 1 GKG an, dass Gerichtskosten für das Beschwerdeverfahren nicht erhoben werden. Von einer möglicherweise zulässigen Änderung des entsprechenden Ausspruchs des Verwaltungsgerichts für das erstinstanzliche Verfahren sieht er ab.
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6. Der beim Verwaltungsgerichtshof am 3. Februar 2025 eingegangene Antrag auf Bewilligung von Prozesskostenhilfe und Beiordnung eines Rechtsanwalts hat ebenfalls keinen Erfolg. Eine Wiedereinsetzung in die versäumte Beschwerdefrist würde voraussetzen, dass der Antragsteller sein Gesuch um Prozesskostenhilfe innerhalb der Beschwerdefrist des § 147 Abs. 1 VwGO (s. oben) ordnungsgemäß gestellt hätte (vgl. NdsOVG, B.v. 1.8.2024 – 7 LA 32/24 – juris Rn. 3). Dies hat der Antragsteller nicht getan. Er hat es unterlassen, seinem Antrag die nach § 166 Abs. 1 Satz 1 VwGO i.V.m. § 117 Abs. 2 Satz 1 ZPO erforderliche Erklärung über die wirtschaftlichen und persönlichen Verhältnisse und die entsprechenden Belege beizufügen. Die von ihm in dem Schriftsatz erteilte Vollmacht zur Einholung eines Grundsicherungsbescheids durch den Senat ersetzt nicht die Vorlage der Erklärung auf dem dafür vorgesehenen Formular und der erforderlichen Belege.
7
Der Beschluss ist unanfechtbar.