Titel:
Aufhebung eines Bebauungsplans wegen Ermittlungs- und Bewertungsfehler - Ausschluss einer gewerblichen Stellplatznutzung bei einer falschen Darstellung im Rahmenplan
Normenkette:
BauGB § 1 Abs. 7, § 2 Abs. 3, § 214 Abs. 1 S. 1 Nr. 1, § 215 Abs. 1
Leitsatz:
Ist eine Darstellung im Entwicklungs- und Rahmenplan zu Parkplatzflächen (vorliegend: im Umfeld eines Flughafens) im Bereich eines zu beschließenden Bebauungsplans unzutreffend und ist diese Darstellung für den Ausschluss der selbstständigen gewerblichen Stellplatznutzung im Planbereich für die bebauungsplanbeschließende Gemeinde maßgeblich, kann nicht ausgeschlossen werden, dass unter Zugrundelegung der tatsächlichen Lage kein Ausschluss dieser Nutzung beschlossen worden wäre (vorliegend im Sinne eines Ermittlungs- und Bewertungsmangels). Dies gilt insbesondere dann, wenn die genehmigte Stellplatzanzahl für den Umfang des Gewerbebetriebs offenbar nicht ausreichte. (Rn. 16) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Ausschluss von gewerblichen Stellplatzanlagen im Gewerbegebiet, Ermittlungsdefizit, Eingerichteter und ausgeübter Gewerbebetrieb, Ermittlungsmangel, Bewertungsmangel, Abwägungsfehler, Bebauungsplan, Parkplatz, Parkplatzsituation, Flughafen, Gewerbebetrieb, Stellplatznutzung, Stellplatzanlage, Gewerbegebiet
Fundstelle:
BeckRS 2025, 186
Tenor
I. Der Bebauungsplan „Gewerbegebiet K.-weg-Süd neu“ der Antragsgegnerin ist unwirksam.
II. Die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Die Antragsgegnerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht der Antragsteller vorher Sicherheit in gleicher Höhe leisten.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird auf 20.000, – Euro festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller wendet sich gegen den Bebauungsplan „K.-weg-Süd neu“ der Antragsgegnerin, der am 13. September 2021 als Satzung beschlossen, am 12. Oktober 2021 bekannt und am 3. September 2024 wegen eines Bekanntmachungsfehlers erneut rückwirkend bekannt gemacht wurde.
2
Das Grundstück des Antragstellers (FlNr. .../1) liegt im Geltungsbereich des Bebauungsplans. Dort wird unter anderem eine gewerbliche Vermietung von Stellplätzen betrieben. Festgesetzt wird ein Gewerbegebiet. Stellplatz- und Garagenanlagen als eigenständige gewerbliche Hauptnutzung im Sinne des § 8 Abs. 2 Nr. 1 BauNVO sind nicht zulässig.
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Der Antragsteller trägt verschiedene Gründe gegen die Rechtswirksamkeit des Bebauungsplanes vor; unter anderem führten die Festsetzungen dazu, dass er mit seinem Gewerbebetrieb betreffend die Stellplatzvermietung unzulässig beschränkt werde.
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den streitgegenständlichen Bebauungsplan für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin verteidigt den Bebauungsplan.
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Das Gericht hat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung im Beschlussverfahren angehört und darauf hingewiesen, dass im Rahmen der Abwägung die Tatsache, dass der Antragsteller auf dem Grundstück gewerbliche Stellplatzvermietung betreibe, möglicherweise nicht ausreichend berücksichtigt wurde. Mit Schriftsatz vom 6. September 2024 hat die Antragsgegnerin den Bebauungsplan weiter verteidigt.
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Im Übrigen wird auf die Gerichts- und Behördenakten Bezug genommen.
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1. Die Entscheidung kann im Beschlussweg ergehen, weil der Senat eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO). Aus dem Zusammenwirken von § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO und Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK ergibt sich nichts Anderes, nachdem sich die Antragsgegnerin als Körperschaft des öffentlichen Rechts nicht auf letztere Vorschrift berufen kann.
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2. Der Antrag ist zulässig. Er wurde gemäß § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO innerhalb eines Jahres nach der Bekanntmachung des Beschlusses des angegriffenen Bebauungsplans beim Verwaltungsgerichtshof gestellt. Der Antragsteller ist auch als Eigentümer eines im Plangebiet gelegenen Grundstücks, das von den bauplanerischen Festsetzungen des angegriffenen Bebauungsplans betroffen ist, antragsbefugt i.S.d. § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO.
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3. Der Antrag ist auch begründet. Der streitgegenständliche Bebauungsplan leidet an einem nach § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 215 Abs. 1 Satz 1 BauGB beachtlichen Ermittlungs- und Bewertungsdefizit im Sinne von § 2 Abs. 3 BauGB und genügt damit auch nicht den an eine ordnungsgemäße Abwägung im Sinne des § 1 Abs. 7 BauGB zu stellenden Anforderungen.
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Nach § 1 Abs. 7 BauGB sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne die öffentlichen und privaten Belange gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen. Die Belange, die für die Abwägung von Bedeutung sind (Abwägungsmaterial), sind bei der Aufstellung der Bauleitpläne nach § 2 Abs. 3 BauGB zu ermitteln und zu bewerten. Zu ermitteln und zu bewerten sowie gegeneinander und untereinander gerecht abzuwägen sind alle Belange, die in der konkreten Planungssituation nach Lage der Dinge in die Abwägungsentscheidung eingestellt werden müssen (vgl. BVerwG, U.v. 20.6.2023 – 4 CN 11.21 – juris Rn. 12).
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Zu den nach § 1 Abs. 7 BauGB bei der Abwägung zu berücksichtigenden und damit auch gemäß § 2 Abs. 3 BauGB zu ermittelnden privaten Belangen zählt auch der eingerichtete und ausgeübte Gewerbebetrieb. Zu den privaten Belangen, die im Rahmen der Abwägung zu berücksichtigen sind, gehören unter dem Aspekt der in § 1 Abs. 6 Nr. 8 BauGB genannten Belange der Wirtschaft nicht nur das Interesse eines Unternehmens an der weiteren Ausnutzung des vorhandenen Betriebsbestands mit seinen Anlagen, sondern auch das Bedürfnis nach einer künftigen Betriebsausweitung. Dazu zählt allerdings (nur) „die im Rahmen einer normalen Betriebsentwicklung liegende und oft zur Erhaltung der Konkurrenzfähigkeit notwendige Erweiterung der Kapazitäten, die Modernisierung der Anlagen usw.“ (vgl. BVerwG, U.v. 16.4.1971 – IV C 66.67 – VerwRspr 1972, 207; B.v. 8.9.1988 – 4 NB 15.88 – juris Rn. 10). Damit ist noch nicht gesagt, dass der Plangeber einem solchen Erweiterungsinteresse zwingend Rechnung tragen muss. Er kann auch einen vorhandenen Gewerbebetrieb auf seinen Bestand beschränken und versuchen, eine zukünftige Entwicklung des Gebietes bzw. Standortes in eine andere Richtung zu lenken, die ihm aus planerischen Gesichtspunkten vorzugswürdig erscheint. Hierfür ist jedoch eine Abwägungsentscheidung unter Einstellung aller relevanten und zutreffend ermittelten Gesichtspunkte notwendig. Hierzu zählt selbstverständlich auch die Ermittlung der gegenwärtigen Art und des gegenwärtigen Umfangs des Gewerbebetriebs, weil nur dann die Auswirkungen der Planung auf die zukünftige Entwicklung des Gewerbebetriebs ausreichend beurteilt werden können.
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Im Schriftsatz vom 6. September 2024 trägt die Antragsgegnerin selbst vor, sie habe den Ausschluss von Stellplatz- und Garagenanlagen als selbstständige Hauptnutzung entsprechend dem von ihr am 30. Juli 2018 beschlossenen Entwicklungs- und Rahmenplan zum Parkplatzflächenbedarf im Umfeld des A. Airport vorgenommen, der grundsätzlich einen geeigneten Leitfaden für die weitere gemeindliche Bauleitplanung betreffend die Steuerung von solchen Parkplatzflächen darstellt (vgl. BayVGH, U.v. 1.3.2021 – 2 N 19.1128 – juris). Der jetzt überplante Bereich sei im Entwicklungs- und Rahmenplan nicht als Bestands- oder Entwicklungsfläche für eigenständige Garagen- oder Stellplatzanlagen ausgewiesen (S. 5 des Schriftsatzes vom 6. September 2024). Damit gibt die Antragsgegnerin zu erkennen, dass sie im Bauleitplanverfahren davon ausgegangen ist, der auf dem Grundstück des Antragstellers befindliche Gewerbebetrieb beinhalte nicht die (baurechtlich zulässige) gewerbliche Vermietung von Stellplätzen.
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Auf dem Flurstück .../1 wurden im Jahr 2010 dem Antragsteller 20 Stellplätze zur Vermietung genehmigt (Bescheid des Landratsamtes U. vom 18.10.2010). Auf dem unmittelbar südlich angrenzenden Flurstück ..., das außerhalb des Geltungsbereichs des Bebauungsplans liegt, wurden dem Antragsteller im Jahr 2011 150 Stellplätze zur Vermietung genehmigt (Bescheid des Landratsamtes U. vom 30.11.2011). Nach einer teilweisen Umnutzung auf dem Flurstück .../1 stehen auf diesem Grundstück noch 18 Stellplätze zur gewerblichen Vermietung zur Verfügung (Bescheid des Landratsamtes U. vom 17.09.2019). Im Zuge des Verfahrens betreffend den Erlass des letztgenannten Bescheides wurde ausweislich der Bescheidsgründe bei mehreren Ortseinsichten festgestellt, dass auf beiden Grundstücken jeweils deutlich mehr Fahrzeuge abgestellt waren, als genehmigte Stellplätze vorhanden waren.
16
Die Antragsgegnerin ist bei Erlass des streitgegenständlichen Bebauungsplans somit zu Unrecht davon ausgegangen, dass der auf dem Grundstück des Antragstellers vorhandene Gewerbebetrieb nicht die gewerbliche Vermietung von Stellplätzen beinhalte. Eine korrekte Ermittlung hätte ergeben, dass der Entwicklungs- und Rahmenplan zu Parkplatzflächen im Umfeld des A. Airports vom 30. Juli 2018 den Bestand im fraglichen Bereich falsch darstellt. Nachdem die dortige Darstellung für den Ausschluss der selbstständigen gewerblichen Stellplatznutzung im Planbereich für die Antragsgegnerin maßgeblich war, kann nicht ausgeschlossen werden, dass unter Zugrundelegung der tatsächlichen Lage kein Ausschluss dieser Nutzung beschlossen worden wäre, zumal die genehmigte Stellplatzanzahl für den Umfang des Gewerbebetriebs offenbar nicht ausreichte.
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Der Ermittlungs- und Bewertungsmangel sowie der damit verbundene Fehler im Abwägungsvorgang ist auch im Sinne des § 214 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB beachtlich. Er ist offensichtlich, da er sich unmittelbar aus den Bebauungsplanakten ergibt. Zudem ist er auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen, weil nach den Umständen des vorliegenden Falles die konkrete Möglichkeit besteht, dass die Planung ohne den Mangel im Abwägungsvorgang anders ausgefallen wäre. Es ist nicht ersichtlich, dass die Antragsgegnerin den Bebauungsplan bei einer hinreichenden Ermittlung und Bewertung der Belange des Antragstellers in jedem Fall mit demselben Inhalt beschlossen hätte.
18
Der Mangel ist auch nicht im Nachhinein gemäß § 215 Abs. 1 BauGB unbeachtlich geworden, da er vom Antragsteller rechtzeitig gerügt wurde.
19
Er führt zur Gesamtunwirksamkeit des Bebauungsplans. Die Ungültigkeit eines Teils eines Bebauungsplans führt nur dann nicht zur Gesamtunwirksamkeit, wenn die Restbestimmung auch ohne den unwirksamen Teil sinnvoll bleibt und nach dem mutmaßlichen Willen des Normgebers mit Sicherheit anzunehmen ist, dass sie auch ohne diesen erlassen worden wäre (vgl. BVerwG, U.v. 26.3.2009 – 4 C 21.07 – juris Rn. 30). Aus den Bebauungsplanakten ist mit hinreichender Deutlichkeit zu entnehmen, dass es ein zentrales Anliegen der Antragsgegnerin war, die gewerbliche Vermietung von Stellplätzen im Umfeld des Flughafens zu steuern. Vor dem Hintergrund, dass der streitgegenständliche Bebauungsplan nur drei Grundstücke umfasst, kann nicht mit Sicherheit angenommen werden, dass die Antragsgegnerin ihn auch ohne Ausschluss der selbstständigen gewerblichen Stellplatznutzung erlassen hätte.
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4. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
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5. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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6. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
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7. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.
24
8. Nach § 47 Abs. 5 Satz 2 HS 2 VwGO ist die Nr. I. der Entscheidungsformel allgemein verbindlich und muss von der Antragsgegnerin in derselben Weise veröffentlicht werden wie die angefochtene Satzung (§ 10 Abs. 3 BauGB).