Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.02.2025 – 2 N 22.984
Titel:

Mangelnde Antragsbefugnis für Normenkontrolle gegen Einbeziehungssatzung

Normenketten:
EMRK Art. 6 Abs. 1 S. 1
GG Art. 14 Abs. 1 S. 1, Art. 14 Abs. 1 S. 2
RDGEG § 3, § 5
Leitsätze:
1. Steht dem nicht im Plangebiet liegenden Nachbarn Rechtsschutz durch eine Nachbarklage offen, ist die Annahme einer unmittelbaren Beeinträchtigung iSd Art. 6 Abs. 1 S. 1 EMRK durch eine Einbeziehungssatzung ausgeschlossen. (Rn. 9) (redaktioneller Leitsatz)
2. Macht ein Antragsteller eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend, so muss er einen eigenen Belang als verletzt benennen, der in der Abwägung zu beachten war. Nicht jeder private Belang ist in der Abwägung zu berücksichtigen, sondern nur solche, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben. Nicht abwägungsbeachtlich sind insbesondere geringwertige Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren. (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Sicherung der Erschließung ist ein ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienendes Genehmigungserfordernis. (Rn. 12) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Normenkontrolle, Einbeziehungssatzung, Antragsbefugnis, mündliche Verhandlung, Nachbar, Abwägungsgebot, Sicherung der Erschließung
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1869

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Der Antragsteller trägt die Kosten des Verfahrens.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar. Der Antragsteller kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung oder Hinterlegung in Höhe des zu vollstreckenden Betrags abwenden, sofern nicht die Antragsgegnerin vorher Sicherheit in gleicher Höhe leistet.
IV. Die Revision wird nicht zugelassen.
V. Der Streitwert wird auf 15.000, – Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Der Antragsteller wendet sich gegen die Innenbereichssatzung als Ergänzungssatzung (im folgenden Einbeziehungssatzung) für den Ortsbereich Lahm/Pülsdorf der Antragsgegnerin vom 21. Mai 2021.
2
Der Antragsteller liegt mit seinem Grundstück FlNr. 778 südwestlich des Geltungsbereichs der Einbeziehungssatzung, mit der die FlNrn. 777 und 739 in den im Zusammenhang bebauten Ortsteil einbezogen werden. Das Grundstück des Antragstellers ist mit einem Wohnhaus bebaut. Die straßenmäßige Erschließung erfolgt über eine schmale asphaltierte Orts straße, die in West-Ostrichtung an der nördlichen Grundstücksgrenze des Antragstellers entlang verläuft und kurz nach der nordöstlichen Grundstücksgrenze des Antragstellers in einen Fuß- bzw. Feldweg übergeht. Teil der Orts straße ist eine Brücke, deren Tonnage auf 5 t beschränkt ist.
3
Im Satzungsverfahren trug der Antragsteller vor, die (straßenmäßige) Erschließung der Grundstücke mit den FlNrn. 777 und 739 sei nicht gesichert. Die Zufahrt müsse über die fragliche Orts straße erfolgen, die nicht geeignet sei, zusätzlichen Verkehr und insbesondere Baustellenverkehr aufzunehmen, da sie im Bereich der FlNrn. 777 und 739 in einen Feld- bzw. Fußweg übergehe und die Tonnage auf 5 t beschränkt sei.
4
Der Antragsteller trägt im Gerichtsverfahren vor, er sei antragsbefugt, da eine Verletzung des Abwägungsgebots aus § 1 Abs. 7 BauGB in Rede stehe. Zudem habe er im Rahmen der Auslegung und Beteiligung die entsprechenden Einwände geltend gemacht.
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Er beantragt,
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die streitgegenständliche Einbeziehungssatzung für unwirksam zu erklären.
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Die Antragsgegnerin verteidigt die Einbeziehungssatzung.
8
Das Gericht hat die Beteiligten zur beabsichtigten Entscheidung im Beschlussverfahren angehört.
II.
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1. Der Senat kann nach Ausübung pflichtgemäßen Ermessens ohne mündliche Verhandlung durch Beschluss entscheiden (§ 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO; vgl. BVerwG, B.v. 30.11.2017 – 6 BN 2.17 – NVwZ 2018, 340). Insbesondere liegt hier kein Verstoß gegen § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO in Verbindung mit Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK vor, der innerstaatlich im Rang eines Bundesgesetzes gilt. Nach § 47 Abs. 5 Satz 1 VwGO entscheidet der Verwaltungsgerichtshof durch Urteil oder, wenn er eine mündliche Verhandlung nicht für erforderlich hält, durch Beschluss. Darüber, ob eine mündliche Verhandlung entbehrlich ist, entscheidet der Verwaltungsgerichtshof nach richterlichem Ermessen (vgl. BVerwG, B.v. 20.12.1988 – 7 NB 3.88 – BVerwGE 81.139). Dieses Verfahrensermessen wird jedoch durch Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eingeschränkt. Danach hat jedermann einen Anspruch darauf, „dass seine Sache in billiger Weise öffentlich und innerhalb einer angemessenen Frist gehört wird, und zwar von einem unabhängigen und unparteiischen Gericht, das über zivilrechtliche Ansprüche und Verpflichtungen zu entscheiden hat“. Unstreitig erstreckt sich dies nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. U.v. 16.12.1999 – 4 CN 9.98 – BVerwGE 110, 203) grundsätzlich auch auf die Entscheidung über die Gültigkeit einer bauleitplanerischen Satzung nach § 47 Abs. 5 VwGO, da das Recht am Grundeigentum zu den „zivilrechtlichen“ Ansprüchen im Sinn von Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK zählt. Eine solche Satzung stellt eine Bestimmung von Inhalt und Schranken des Eigentums im Sinn von Art. 14 Abs. 1 Satz 2 GG dar, die nur hingenommen werden muss, wenn sie auf einer rechtmäßigen Norm beruht. Aufgrund dieser eigentumsgestaltenden Wirkung der Satzung kann sich dieser in vergleichbarer Weise unmittelbar auf das Grundeigentum auswirken. Dies gilt jedenfalls dann, wenn sich ein im Plangebiet befindlicher Eigentümer gegen eine sein Grundstück betreffende Festsetzung wehren möchte (vgl. BVerwG, U.v. 16.12.1999 – 4 CN 9.98 – BVerwGE 110, 203). Ob allerdings eine Betroffenheit eines Grundeigentümers außerhalb des Plangebiets im verwaltungsgerichtlichen Normenkontrollverfahren gemäß Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK eine mündliche Verhandlung erfordert, lässt sich nicht in jedem Fall annehmen. Maßgeblich ist, ob die angegriffene planerische Festsetzung auf sein Grundeigentum unmittelbar einwirkt und welche konkreten Beeinträchtigungen beispielsweise erst in einem nachfolgenden Baugenehmigungsverfahren zu beurteilen sind (vgl. BVerwG, B.v. 30.7.2001 – 4 BN 41.01 – NVwZ 2002, 87). Im hier zu entscheidenden Fall steht dem nicht im Plangebiet liegenden Nachbarn der Rechtsschutz durch eine Nachbarklage offen, so dass bereits von daher die Annahme einer unmittelbaren Beeinträchtigung im Sinn des Art. 6 Abs. 1 Satz 1 EMRK durch die Einbeziehungssatzung ausgeschlossen ist. Darüber hinaus liegt eine Ausnahmesituation, in der von der Durchführung einer mündlichen Verhandlung abgesehen werden kann, auch deshalb vor, weil der Fall offensichtlich und einfach gelagert ist (vgl. EuGH, U.v. 26.7.2017 – C-348/16 – NVwZ 2017, 1449 Rn. 47). Im Übrigen hat sich der Antragsteller mit einer Entscheidung im schriftlichen Verfahren einverstanden erklärt.
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2. Der Antrag ist bereits unzulässig. Dem Antragsteller fehlt die erforderliche Antragsbefugnis. Nach § 47 Abs. 2 VwGO kann einen Antrag auf Normenkontrolle jede natürliche oder juristische Person stellen, die geltend macht, durch die angegriffene Rechtsvorschrift oder deren Anwendung in ihren Rechten verletzt zu sein. Dabei können an die Geltendmachung einer Rechtsverletzung nach § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO keine höheren Anforderungen gestellt werden, als sie auch für die Klagebefugnis nach § 42 Abs. 2 VwGO gelten. Danach genügt ein Antragsteller seiner Darlegungspflicht, wenn er hinreichend substantiiert Tatsachen vorträgt, die es zumindest als möglich erscheinen lassen, dass er durch Festsetzungen der baurechtlichen Satzung in einem Recht verletzt wird. Diese Rechtsverletzung darf nicht offensichtlich und eindeutig nach jeder Betrachtungsweise unmöglich sein (vgl. BVerwG, U. v. 10.3.1998 – 4 CN 6.97 – NVwZ 1998, 732). Die bloße verbale Behauptung einer Rechtsverletzung kann allerdings dann nicht zur Geltendmachung einer Rechtsverletzung im Sinne von § 47 Abs. 2 Satz 1 VwGO genügen, wenn diese Behauptung nur vorgeschoben erscheint, das tatsächliche Vorliegen einer Rechtsverletzung aber offensichtlich ausscheidet. Andererseits reicht es aus, dass der Antragsteller Tatsachen vorträgt, die eine fehlerhafte Behandlung seiner Belange in der Abwägung als möglich erscheinen lassen.
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Nach diesen Grundsätzen ist die Antragsbefugnis zu verneinen. Eine mögliche Rechtsverletzung des Antragstellers ergibt sich nicht aus Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG (vgl. BVerwG, B.v. 7.7.1997 – 4 BN 11.97 – DÖV 1998, 76). Sein Grundstück liegt nicht im Geltungsbereich der angegriffenen Einbeziehungssatzung. Inhalt und Schranken des Eigentums des Antragstellers werden deshalb durch den Plan nicht geregelt, insbesondere wird sein Grundstück nicht zur Erschließung der hinzukommenden Grundstücke in Anspruch genommen. Die Antragsbefugnis folgt aber auch nicht aus einer möglichen Verletzung des in § 1 Abs. 7 BauGB enthaltenen – drittschützenden – Abwägungsgebots (vgl. hierzu BVerwG, U.v. 24.9.1998 – 4 C 2.98 – ZfBR 1999, 39). Macht der Antragsteller – wie hier – eine Verletzung des Abwägungsgebots geltend, so muss er einen eigenen Belang als verletzt benennen, der in der Abwägung zu beachten war. Nicht jeder private Belang ist in der Abwägung zu berücksichtigen, sondern nur solche, die in der konkreten Planungssituation einen städtebaulich relevanten Bezug haben. Nicht abwägungsbeachtlich sind also insbesondere geringwertige Interessen sowie solche, auf deren Fortbestand kein schutzwürdiges Vertrauen besteht, oder solche, die für die Gemeinde bei der Entscheidung über den Plan nicht erkennbar waren.
12
Der Antragsteller beruft sich auf eine nicht ausreichende straßenmäßige Erschließung der neu hinzukommenden Grundstücke. Die Sicherung der Erschließung ist ein ausschließlich dem öffentlichen Interesse dienendes Genehmigungserfordernis (vgl. HK-VerwR/Christoph Sennekamp, VwGO, 5. Aufl. 2021, § 42 Rn. 100). Es ist im Einbeziehungssatzungsverfahren auch nicht absehbar, dass der Nachweis einer ausreichenden wegemäßigen Erschließung im späteren Baugenehmigungsverfahren nicht erbracht werden kann. Zwar kann bzw. muss die Gemeinde im Satzungsverfahren Belange eines mittelbar Planbetroffenen unterhalb der Schwelle des Drittschutzes einbeziehen und abwägen, wenn sich dies im Einzelfall aufdrängt oder überhaupt erkennbar ist. So liegt der Fall hier jedoch offensichtlich nicht. Die fragliche Orts straße ist derzeit geeignet, den für die straßenmäßige Anbindung notwendigen Verkehr zum Grundstück des Antragstellers aufzunehmen. Soweit er mit Schriftsatz vom 3. Februar 2025 behauptet, es bestehe noch eine anderweitige straßenmäßige Erschließung für sein Grundstück, kann dies nicht nachvollzogen werden, da er selbst vorträgt, dabei handele es sich um ein Wiesengrundstück. Es ist nichts dafür ersichtlich und auch nichts dafür vorgetragen, dass die Orts straße für den Fall eines entsprechenden Ausbaus im weiteren Straßenverlauf hin zu den Grundstücken FlNrn. 777 und 739 nicht in der Lage sein sollte, den neu hinzukommenden Verkehr für die geringfügig hinzutretende neue Wohnbebauung zu bewältigen. Etwaige auch nur ansatzweise das vernachlässigbare Maß überschreitende verkehrliche Immissionsbelastungen werden vom Antragsteller nicht vorgetragen und sind auch sonst nicht ersichtlich. Soweit der Antragsteller vage befürchtet, während der Bauphase könnte es zu Beschädigungen der fraglichen Orts straße aufgrund einer möglichen Überschreitung der Tonnagebeschränkung kommen, kann dem ohne weiteres durch entsprechende Auflagen im Baugenehmigungsverfahren begegnet werden. Anlass, sich hiermit bereits im Satzungsverfahren zu beschäftigen, bestand damit nicht, auch wenn die Antragsgegnerin dies möglicherweise überobligatorisch getan hat.
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Soweit der Antragsteller mit Schriftsatz vom 3. Februar 2025 noch vorgetragen hat, er bestreite eine ordnungsgemäße Öffentlichkeitsbeteiligung, kommt es hierauf nicht an, nachdem es bereits an der Zulässigkeit seines Antrags fehlt.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO.
15
4. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 173 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.
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5. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 52 Abs. 1 und 8 GKG.
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6. Gründe für die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 VwGO liegen nicht vor.