Titel:
Änderung des Streitwerts von Amts wegen nach einer Gegenvorstellung
Normenketten:
GKG § 52 Abs. 1, § 52 Abs. 2, § 63 Abs. 3, § 66 Abs. 3, § 68 Abs. 1
AufenthG § 68
VwGO § 44, § 88
Leitsätze:
1. Der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs kann gem. § 68 Abs. 1 S. 5 GKG iVm § 66 Abs. 3 S. 3 GKG nicht mit der Beschwerde angefochten werden. (Rn. 7) (redaktioneller Leitsatz)
2. Davon unberührt bleibt die dem Gericht von § 63 Abs. 3 S. 1 Nr. 1, S. 2 GKG eingeräumte Möglichkeit, die Streitwertfestsetzung innerhalb von sechs Monaten zu ändern, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt hat. (Rn. 8) (redaktioneller Leitsatz)
3. Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit sieht die Addition der Werte mehrerer Anträge mit selbstständiger Bedeutung nur vor, wenn die Streitgegenstände jeweils einen selbstständigen wirtschaftlichen Wert oder einen selbstständigen materiellen Gehalt haben (VGH München BeckRS 2023, 13702 und BeckRS 2010, 31457). (Rn. 11) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
unstatthafte Streitwertbeschwerde, Änderung des Streitwerts von Amts wegen, selbstständiger wirtschaftlicher Wert, Verpflichtungserklärung, Gegenvorstellung, objektive Klagehäufung
Vorinstanzen:
VGH München, Beschluss vom 19.11.2024 – 10 B 23.483
VG Augsburg, Urteil vom 02.03.2022 – Au 6 K 21.1723
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1849
Tenor
In Abänderung des Beschlusses des Senats vom 19. November 2024 wird der Streitwert für das Berufungsverfahren 10 B 23.483 auf 14.215,36 Euro festgesetzt.
Gründe
1
Durch Bescheid des Landratsamts Donau-Ries vom 3. August 2021 wurde der Kläger aufgrund einer eingegangenen Verpflichtungserklärung gemäß § 68 AufenthG verpflichtet, die vom Landratsamt erbrachten Leistungen für seine Schwester im Zeitraum vom 3. Juni 2020 bis zum 31. Dezember 2020 in Höhe von 9.215,36 Euro zu erstatten (Nr. 1 des Bescheids) und die in Zukunft zu erbringenden Leistungen für seine Schwester ab dem 1. Januar 2021 bis zur Beendigung der Leistungserbringung, längstens jedoch bis zum 6. Juni 2024, zu erstatten (Nr. 2 des Bescheids).
2
Im Berufungsverfahren hat der Senat mit rechtskräftigem Beschluss vom 19. November 2024 (10 B 23.483) unter Abänderung des erstinstanzlichen Urteils den streitgegenständlichen Bescheid aufgehoben und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf 9.215,36 Euro festgesetzt.
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Der Bevollmächtigte des Klägers erhob am 4. Dezember 2024 „Beschwerde“ mit dem Antrag, den Streitwert anderweitig unter Berücksichtigung von Nr. 2 des Bescheids des Landratsamts Donau-Ries vom 3. August 2021 nach Ermessen des Gerichts auf einen höheren Streitwert als 9.215,36 Euro festzusetzen.
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Der festgesetzte Streitwert entspreche (nur) dem in Nr. 1 des Bescheids festgesetzten Erstattungsbetrag, berücksichtige aber nicht die in Nr. 2 des Bescheids festgelegte Verpflichtung, auch in Zukunft zu erbringende Leistungen zu erstatten. Der Beklagte werde aufgefordert, mitzuteilen, in welcher Höhe vom 1 Januar 2021 bis zum 6. Juni 2024 Leistungen erbracht worden seien; dieser Betrag sei dann dem Gesamtstreitwert hinzuzurechnen. Dieser Gesamtstreitwert müsse auch für das erstinstanzliche Verfahren gelten, auch wenn in diesem eine gesonderte Streitwertbeschwerde nicht eingelegt worden sei.
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Der Beklagte beantragt, die Beschwerde zurückzuweisen. Der Entscheidung über Nr. 2 des Bescheids komme bei objektiver Beurteilung keine eigenständige wirtschaftliche Bedeutung für den Kläger zu. Künftig festzusetzende Erstattungsansprüche sollten nicht direkt geltend gemacht, sondern weiter auf Rechtmäßigkeit überprüft werden, bevor sie in einem weiteren anfechtbaren Bescheid geltend gemacht werden sollten. In der Sache gebe Nr. 2 ohne eigenen Regelungscharakter lediglich die gesetzliche Verpflichtung aus § 68 AufenthG i.V.m. mit der abgegebenen Verpflichtungserklärung wieder. Diese Verpflichtung sei vom Gericht jedoch bereits im Rahmen der Klage gegen Nr. 1 zu prüfen gewesen.
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Wegen der Einzelheiten wird auf den Inhalt der Akten verwiesen.
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1. Eine Streitwertbeschwerde gegen den Beschluss des Senats vom 19. November 2024 wäre unzulässig, weil der Streitwertbeschluss des Verwaltungsgerichtshofs gemäß § 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG nicht mit der Beschwerde angefochten werden kann (siehe z.B. nur Laube in Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, Stand 1.10.2024, GKG § 68 Rn. 41).
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2. Davon unberührt bleibt die dem Gericht von § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1, Satz 2 GKG eingeräumte Möglichkeit, die Streitwertfestsetzung innerhalb von sechs Monaten zu ändern, nachdem die Entscheidung in der Hauptsache Rechtskraft erlangt hat. Die Beschwerde war daher gemäß § 88 VwGO als Anregung an den Senat auszulegen, seine mit einem Rechtsmittel nicht angreifbare Entscheidung zu überprüfen und zu ändern (Gegenvorstellung, vgl. BVerwG, B.v. 20.11.2007 – 7 B 63.07 – juris Rn. 1; BayVGH, B.v. 13.6.2016 – 4 C 16.1081 – juris Rn. 3 f.; BayVGH, B.v. 13.8.2015 – 15 C 15.1674 – juris Rn. 4 m. w. N.).
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Über die Abänderung der Streitwertfestsetzung entscheidet der Spruchkörper, der den Streitwert festgesetzt hat (Laube in Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, Stand 1.10.2024, GKG § 68 Rn. 197).
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3. Der Senat macht aufgrund der Gegenvorstellung von seiner Befugnis Gebrauch, die Streitwertfestsetzung gemäß § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 GKG von Amts wegen abzuändern und den Streitwert für das Berufungsverfahren auf nunmehr 14.215,36 Euro festzusetzen.
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In Verfahren vor den Gerichten der Verwaltungsgerichtsbarkeit ist der Streitwert, soweit nichts anderes bestimmt ist, nach der sich aus dem Antrag des Klägers für ihn ergebenden Bedeutung der Sache nach Ermessen zu bestimmen (§ 52 Abs. 1 GKG). Betrifft der Antrag des Klägers eine bezifferte Geldleistung oder einen hierauf gerichteten Verwaltungsakt, ist gemäß § 52 Abs. 3 GKG deren Höhe maßgebend. In demselben Verfahren werden die Werte mehrerer Streitgegenstände zusammengerechnet, soweit nichts anderes bestimmt ist (§ 39 Abs. 1 GKG). Es bedarf dann nach § 39 Abs. 1 GKG der Prüfung, inwieweit die in einer Klage zusammen verfolgten Begehren (§ 44 VwGO) eine selbständige Bedeutung haben. Eine Wertaddition unterbleibt, soweit Anträge wirtschaftlich identisch sind, d.h. auf dasselbe wirtschaftliche Interesse des Klägers gerichtet sind und daneben keine selbständige Beschwer begründen (vgl. BayVGH, B.v. 28.1.2025 – 10 C 23.858; BGH, B.v. 3.5.2022 – II ZR 41.21 – juris Rn. 2; NdsOVG, B.v. 12.8.2009 – 5 OA 298/08 – NVwZ-RR 2010, 40 = juris Rn. 3). Unter Orientierung an dieser Rechtsprechung sieht Nr. 1.1.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit die Addition der Werte mehrerer Anträge mit selbstständiger Bedeutung nur vor, wenn die Streitgegenstände jeweils einen selbstständigen wirtschaftlichen Wert oder einen selbstständigen materiellen Gehalt haben (BayVGH, B.v. 9.5.2023 – 8 C 23.761 – juris Rn. 9; BayVGH, B.v. 17.6.2010 – 11 C 10.1352 – juris Rn. 11 ff.). Gleiches gilt, wenn eine objektive Klagehäufung zwar nicht durch mehrere Klageanträge vorliegt, aber der Klageantrag mehrere selbstständige Gegenstände betrifft, die selbstständigen wirtschaftlichen Wert oder selbstständigen materiellen Gehalt haben und lediglich in einem Bescheid zusammengefasst sind.
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Gemessen daran ist davon auszugehen, dass der in Nr. 2 des streitgegenständlichen Bescheids festgelegten Verpflichtung, künftige weitere an die Schwester des Klägers zu erbringende Leistungen zu erstatten, gegenüber der in Nr. 1 des Bescheids enthaltenen Verpflichtung zur Erstattung bereits erbrachter Leistungen in Höhe von 9.215,36 Euro ein selbstständiger wirtschaftlicher Wert und ein selbstständiger materieller Gehalt zukommt. Denn im Falle einer rechtskräftigen Klageabweisung wäre dadurch der Kläger bestandskräftig dem Grunde nach zur Erstattung der an seine Schwester künftig noch zu erbringenden Leistungen verpflichtet gewesen. Lediglich die genaue Höhe der Forderung wäre noch einem weiteren Bescheid bzw. in weiteren Bescheiden festzulegen gewesen. Durch die ausdrückliche Formulierung im Bescheidstenor kann auch nicht davon angenommen werden, es handle sich um einen bloßen Hinweis (ohne Regelungswirkung) auf die Rechtsauffassung der Behörde.
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Da der Sach- und Streitstand für die Bestimmung des hinsichtlich der Nr. 2 des Bescheids anzusetzenden Streitwerts keine genügenden Anhaltspunkte bietet, nimmt der Senat insoweit gemäß § 52 Abs. 2 GKG einen Streitwert von 5.000,- Euro an. Hinsichtlich etwaiger an die Schwester des Klägers erbrachter Leistungen, für die der Kläger zur Erstattung hätte herangezogen werden können, hat der Beklagte keine Angaben gemacht. Weiter wäre bei einer Geltendmachung von Erstattungsbeträgen durch Leistungsbescheid auch zu prüfen gewesen, ob aus Verhältnismäßigkeitserwägungen der Verpflichtete zur vollen Erstattung herangezogen werden kann (vgl. BayVGH, U.v. 24.1.2023 – 10 B 21.715 – juris Rn. 42 ff.).
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Somit ergibt sich ein Gesamtstreitwert für das Berufungsverfahren von 14.215,36 Euro.
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4. Der erstinstanzliche Streitwertbeschluss vom 2. März 2022 (Au 6 K 21.1723), mit dem das Verwaltungsgericht den Streitwert (ebenfalls) auf 9.215,36 Euro festgesetzt hat, ist dagegen nicht zu ändern.
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Nach § 63 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 GKG kann die Festsetzung des (erstinstanzlichen) Streitwerts von dem Rechtsmittelgericht von Amts wegen geändert werden, wenn das Verfahren wegen der Hauptsache oder wegen der Entscheidung über den Streitwert, den Kostenansatz oder die Kostenfestsetzung in der Rechtsmittelinstanz schwebt. Im vorliegenden Fall „schwebt“ kein Verfahren mehr in der Rechtsmittelinstanz. Das Hauptsacheverfahren ist rechtskräftig abgeschlossen. Bei der vorliegenden formlosen Gegenvorstellung handelt es sich nicht um ein Rechtsmittel, sie richtet sich vielmehr gegen die Entscheidung des erkennenden Gerichts. Der Senat ist daher zur Abänderung der erstinstanzlichen Streitwertfestsetzung nicht mehr befugt (vgl. Jäckel in Dörndorfer/Wendtland/Gerlach/Diehn, BeckOK Kostenrecht, Stand 1.10.2024, GKG § 63 Rn. 27; Dörndorfer in Binz/Dörndorfer/Zimmermann, GKG, FamGKG, JVEG, 5. Auflage 2021, GKG § 63 Rn. 10).
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5. Eine Kostenentscheidung ist nicht veranlasst. Die Änderung des Streitwerts von Amts wegen ist kostenfrei.
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Dieser Beschluss ist unanfechtbar (§ 68 Abs. 1 Satz 5 i.V.m. § 66 Abs. 3 Satz 3 GKG, § 152 Abs. 1 VwGO).