Titel:
Erfolglose Ablehnung eines medizinischen Sachverständigen
Normenkette:
ZPO § 42 Abs. 2, § 359, § 406 Abs. 1
Leitsatz:
Es begründet keine Besorgnis der Befangenheit, wenn ein Sachverständiger in seinem Gutachten auch zu Erkrankungen des Versicherungsnehmers Stellung nimmt, die zwar nicht unmittelbar als Beweisthema aufgeführt worden sind, sich jedoch in einem Schriftsatz des Klägers finden, auf den im Beweisbeschluss „hinsichtlich der zur behaupteten Berufsunfähigkeit führenden Beschwerden und Krankheiten“ ausdrücklich verwiesen worden ist.
Schlagworte:
Gerichtsverfassung und Zivilverfahren, Privatversicherungsrecht vorgehend:
Vorinstanz:
LG Nürnberg-Fürth, Beschluss vom 24.06.2025 – 8 O 534/23
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18491
Tenor
1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten gegen den Beschluss des Landgerichts Nürnberg-Fürth vom 24.06.2025, Az. 8 O 534/23, wird zurückgewiesen.
2. Die Beklagte hat die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu tragen.
Gründe
1
Bei dem Landgericht Nürnberg-Fürth ist seit Januar 2023 ein Rechtsstreit anhängig, der auf Leistungen aus einer selbständigen Berufsunfähigkeitsversicherung gerichtet ist, die der Kläger seit dem Jahre 2006 bei der Beklagten unterhält (Anlage K 1).
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Nachdem am 15.09.2023 und am 15.12.2023 mündlich zur Sache verhandelt und Zeugenbeweis erhoben worden war, hat das Landgericht am 12.01.2024 einen Beweisbeschluss erlassen und die Erstattung eines schriftlichen Gutachtens durch den Sachverständigen Prof. Dr. R. F. angeordnet (Bl. 73 f. d. LG-A.). Beweisthema war laut Ziffer I. des Beschlusses die Behauptung,
der Kläger sei seit Oktober 2021 in seinem bis dahin ausgeübten Beruf als Maler und Lackierer wegen einer Supraspinatussehnenruptur rechts und einer AC-Gelenkarthrose zu mindestens 50% berufsunfähig.
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Unter Ziffer III. 3. des Beweisbeschlusses erging der Hinweis an den Sachverständigen, dass hinsichtlich der zur behaupteten Berufsunfähigkeit führenden Beschwerden und Krankheiten explizit auf den Schriftsatz vom 22.12.2023 und die darin genannten Anlagen (Bl. 67 ff. d. LG-A.) verwiesen werde.
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Am 17.02.2025 erstattete der Sachverständige Prof. Dr. F. ein 175 Seiten umfassendes schriftliches Gutachten (Bl. 145 ff. d. LG-A.). Dieses Gutachten enthält auf Seiten 144/145 unter Ziffer 12.1.2 folgende Antwort des Sachverständigen auf die zuvor genannte Beweisfrage (Unterstreichungen im Original):
„Es trifft zu, dass der Kläger seit Oktober 2021 in seinem bis dahin ausgeübten Beruf als Maler und Lackierer – nicht zuletzt auch wegen weiterer orthopädischer Erkrankungen zu diesem Zeitpunkt – wegen einer Supraspinatussehnenruptur rechts und einer AC-Gelenkarthrose zu mindestens 50% berufsunfähig sei.“
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Das Gutachten wurde unter Fristsetzung bis zum 19.03.2025 an die Parteien zur möglichen Stellungnahme hinausgegeben (Bl. 323 d. LG-A.). Diese Frist wurde sodann auf Antrag der Beklagten mehrmals verlängert, zuletzt bis zum 16.04.2025 (Bl. 332 d. LG-A.).
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Mit einem am 04.04.2025 beim Landgericht eingegangenen Schriftsatz hat die Beklagte den Sachverständigen Prof. Dr. F. wegen Besorgnis der Befangenheit abgelehnt (Bl. 335 ff. d. LG-A.). Zur Begründung wird im Wesentlichen geltend gemacht, dass das Gutachten vom 17.02.2025 weit über die Beweisfrage hinausgehe, da sich der Sachverständige dort nicht nur mit einer etwaigen Berufsunfähigkeit aufgrund einer Erkrankung des rechten Schultergelenks, sondern auch mit einer etwaigen Berufsunfähigkeit aufgrund einer Erkrankung des linken Schultergelenks, der Wirbelsäule und beider Kniegelenke beschäftigt habe.
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Der Kläger hat sich mit Schriftsatz vom 10.04.2025 zum Ablehnungsgesuch geäußert (Bl. 340 ff. d. LG-A.); der Sachverständige Prof. Dr. F. hat unter dem 22.05.2025 Stellung genommen (Bl. 344 ff. d. LG-A.). Hierzu wiederum konnten sich die Parteien äußern.
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Mit Beschluss vom 24.06.2025 hat die zuständige Einzelrichterin des Landgerichts den Ablehnungsantrag der Beklagten als unbegründet zurückgewiesen (Bl. 354 ff. d. LG-A.).
9
Dieser Beschluss wurde den Prozessbevollmächtigten der Beklagten am 26.06.2025 zugestellt. Die hiergegen gerichtete sofortige Beschwerde ging am 07.07.2025 beim Landgericht ein (Bl. 361 ff. d. LG-A.).
10
Das Landgericht hat der sofortigen Beschwerde mit Beschluss vom 22.07.2025 nicht abgeholfen und die Sache dem Oberlandesgericht Nürnberg zur Entscheidung vorgelegt (Bl. 369 f. d. LG-A.).
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1. Die sofortige Beschwerde der Beklagten ist statthaft gemäß §§ 406 Abs. 5, 567 Abs. 1 Nr. 1 ZPO. Sie wurde darüber hinaus form- und fristgerecht eingelegt (§ 569 Abs. 1 und 2 ZPO). Über das Rechtsmittel entscheidet der Senat durch eines seiner Mitglieder als Einzelrichter (§ 568 Satz 1 ZPO).
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2. In der Sache hat die sofortige Beschwerde keinen Erfolg. Das Landgericht hat das gegen den Sachverständigen Prof. Dr. F. gerichtete Ablehnungsgesuch zu Recht für unbegründet erklärt. Ein Ablehnungsgrund gemäß §§ 406 Abs. 1 Satz 1, 42 Abs. 2 ZPO liegt nicht vor. Der Inhalt des Gutachtens vom 17.02.2025 ist aus Sicht einer vernünftigen Partei für sich allein nicht geeignet, Misstrauen gegen die Unparteilichkeit des Sachverständigen zu rechtfertigen. Zur Begründung kann zunächst auf die überzeugende Würdigung der Vorinstanz im angefochtenen Beschluss Bezug genommen werden, der sich der erkennende Senat uneingeschränkt anschließt.
13
Ergänzend ist im Hinblick auf das Beschwerdevorbringen noch auszuführen:
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Ob objektive Gründe vorliegen, die an der Unvoreingenommenheit eines Sachverständigen zweifeln lassen, entzieht sich einer schematischen Betrachtungsweise und kann nur aufgrund der Umstände des jeweiligen Einzelfalls entschieden werden (vgl. BGH, Beschluss vom 06.06.2019 – III ZB 98/18, NJW 2020, 691 Rn. 21; Jäckel, Das Beweisrecht der ZPO, 3. Aufl., Rn. 576). Die gebotene Gesamtbetrachtung der maßgeblichen Umstände führt im Streitfall dazu, dass kein Ablehnungsgrund vorliegt.
15
Die bloße Überschreitung des Gutachtensauftrags durch den Sachverständigen begründet regelmäßig noch nicht die Besorgnis der Befangenheit, solange sie nicht als Ausdruck einer unsachlichen Grundhaltung bzw. einer „Belastungstendenz“ zu Ungunsten einer Partei gedeutet werden kann (vgl. BGH, Beschluss vom 11.04.2013 – VII ZB 32/12, NJW-RR 2013, 851 Rn. 11 ff.; OLG Dresden, BeckRS 2020, 14083 Rn. 8; Jäckel, a.a.O.). Nicht ausreichend ist jedenfalls, dass der Sachverständige lediglich irrtümlich das Beweisthema unzutreffend erfasst (vgl. OLG Celle, Beschluss vom 07.08.2023 – 14 W 24/23, juris Rn. 11 m.w.N.).
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Im vorliegenden Fall hat der Sachverständige Prof. Dr. F. auch nicht eigenmächtig die durch den Beweisbeschluss gezogenen Grenzen überschritten. Zwar hat der Beweisbeschluss des Landgerichts vom 12.01.2024 vordergründig die gemäß § 359 Nr. 1 ZPO zu bezeichnenden Tatsachen auf eine beim Kläger – behauptetermaßen – vorliegende Supraspinatussehnenruptur rechts und eine AC-Gelenk-Arthrose verengt. In diesem Beweisbeschluss ist der Sachverständige jedoch außerdem gemäß § 404a Abs. 1 und 3 ZPO „hinsichtlich er zur behaupteten Berufsunfähigkeit führenden Beschwerden und Krankheiten“ des Klägers ausdrücklich auf dessen Schriftsatz vom 22.12.2023 (Bl. 67 ff. d. LG-A.) und die darin genannten Anlagen verwiesen worden. Damit wurde das Beweisthema ersichtlich konkretisiert (vgl. dazu auch BeckOK-ZPO/Bach, § 359 Rn. 4 [Stand: 01.07.2025]), zumindest durfte der Beweisbeschluss seitens des Sachverständigen in einer solchen Weise interpretiert werden.
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Im Schriftsatz vom 22.12.2023 hatte der Kläger u.a. auch eine Bizepssehnendegeneration, ein LWS-Syndrom mit degenerativen Veränderungen sowie erhebliche Knieschmerzen bzw. eine Kniescheibenarthrose behauptet und auf Anlagen K 13, K 16 und K 18 verwiesen. Dies alles geschah – für eine objektiv vernünftige Partei erkennbar – unter der den Schriftsatz einleitenden Prämisse einer beim Kläger seit Oktober 2021 bestehenden Berufsunfähigkeit.
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Es ist daher nicht zu beanstanden, dass der Sachverständige die Beweisfrage unter Berücksichtigung „weiterer orthopädischer Erkrankungen“, die beim Kläger im Oktober 2021 bestanden haben, beantwortet hat. Auch sonst durfte die Beklagte nicht den Eindruck gewinnen, dass der Sachverständige das Anliegen des Klägers unterstützt und ihm bislang noch nicht vorgebrachte Argumente gleichsam an die Hand gibt. Insbesondere hat der Sachverständige keine Bewertung des Unternehmens der Beklagten oder ihres Regulierungsverhaltens vorgenommen. Schließlich hat er sich auch nicht angemaßt, anstelle des Gerichts über die Berechtigung der Klageforderung zu entscheiden.
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3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO. Eine Festsetzung des Streitwertes ist nicht veranlasst, weil für die Gerichtskosten eine wertunabhängige Festgebühr erhoben wird (Nr. 1812 KV GKG). Für die anwaltliche Tätigkeit im Beschwerdeverfahren ist der volle Wert der Hauptsache maßgebend (vgl. Senatsbeschluss vom 12.10.2021 – 8 W 3701/21, BeckRS 2021, 30222 Rn. 22; OLG Frankfurt, OLGR 2009, 574, 575).
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4. Gründe für eine Zulassung der Rechtsbeschwerde liegen nicht vor (§ 574 Abs. 2 und 3 ZPO).