Inhalt

OLG München, Endurteil v. 28.07.2025 – 19 U 2640/24 e
Titel:

Nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch, Enteignungsentschädigung, Mietminderung, Besitzstörung, Sondernutzungsrecht, Mittelbarer Besitzer, Vorläufige Vollstreckbarkeit, Entschädigungsansprüche, Sondereigentum, Freisitz, Gemeinschaftseigentum, Wohnungseigentümergemeinschaft, Grundstücksteilung, Grundstücksteils, Anderes Grundstück, Grundstückseigentümer, Angrenzende Grundstücke, Grundstückszuordnung, Mietausfallschaden, Miteigentumsanteil

Leitsätze:
1. Der verschuldensunabhängige nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB steht auch dem mittelbaren Besitzer des beeinträchtigten Grundstücksteils zu.
2. Auf Grund eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog kann nicht Schadensersatz, sondern lediglich ein nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bestimmender Ausgleich verlangt werden. Gleichwohl kommt die Entschädigungsregelung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs einem vollen Schadensersatz vielfach gleich.
3. Gegenstand des Ausgleichs einer Besitzstörung in Geld ist jedenfalls, was dem Besitzer durch den Eingriff in seine berechtigte Besitzposition entgangen ist, regelmäßig also die Möglichkeit zur Nutzung der Sache. Namentlich sind infolge der Besitzstörung eingetretene Ertragseinbußen auszugleichen. Neben dem Ertragsverlust sind zudem diejenigen Aufwendungen zu ersetzen, die erforderlich sind, um eine ungestörte Fortführung eines mit dem Besitz verbundenen Betriebs zu gewährleisten.
4. Der Senat kann die umstrittene Frage offen lassen, ob der Besitzer aufgrund der Verletzung seines Besitzrechts durch die Beschädigung der Sache wie der Eigentümer aus eigenem Recht den Ersatz der Reparaturkosten, das heißt des Substanzschadens, verlangen kann.
5. Ist mit dem mittelbaren Besitz des beeinträchtigten Grundstücksteils dessen Nutzung als Vermietungsobjekt verbunden, so kann der mittelbare Besitzer jedenfalls auch diejenigen Aufwendungen ersetzt verlangen, die erforderlich sind, um eine ungestörte Fortführung des mit dem mittelbaren Besitz verbundenen Vermietungsbetriebs zu gewährleisten. Gemäß § 535 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB hat der Vermieter – unabhängig von den Eigentumsverhältnissen – die Mietsache während der Mietzeit in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu erhalten. Widrigenfalls hat er eine Mietminderung durch seine Mieter zu gewärtigen. Daher können die Kosten für die vollständige Reparatur des beeinträchtigten, vermieteten Grundstücksteils ersatzfähig sein, auch wenn dies der Höhe nach mit dem Ersatz des Substanzschadens deckungsgleich ist.
Schlagworte:
Besitzstörung, Substanzschaden, Gesamtschuldnerhaftung, Vermietungsausfall, Grenzmauer, Abrissarbeiten
Vorinstanz:
LG München I, Endurteil vom 02.07.2024 – 31 O 16433/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 18169

Tenor

I. Die Berufung des Beklagten zu 2) gegen das Endurteil des Landgerichts München I vom 02.07.2024, Az. 31 O 16433/22, wird zurückgewiesen.
II. Der Beklagte zu 2) hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
III. Dieses Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das in Ziffer I genannte Urteil des Landgerichts München I ist ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar. Dem Beklagten zu 2) wird nachgelassen, die Vollstreckung der Klägerin durch Sicherheitsleistung in Höhe von 115 % des aufgrund dieser Urteile gegen ihn vollstreckbaren Betrages abzuwenden, wenn nicht die Klägerin zuvor Sicherheit in Höhe von 115 % des von ihr jeweils zu vollstreckenden Betrages leistet.
IV. Die Revision gegen dieses Urteil wird nicht zugelassen.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin, Miteigentümerin des Grundstücks L…straße 12/R…straße 2 in M… (Details: s.u.; in Folgenden: streitgegenständliches Grundstück) macht gegen den Beklagten zu 2), Miteigentümer des angrenzenden Grundstücks R…straße 2 a (im Folgenden: Beklagtengrundstück), Ansprüche wegen der Beschädigung eines von ihr an die Eheleute P… und U… K… (im Folgenden: klägerische Mieter) vermieteten, überdachten Freisitzes und einer Grenzmauer durch Baggerarbeiten im Rahmen eines Gebäudeabrisses im Oktober 2019 geltend.
2
Die am Berufungsverfahren nicht mehr beteiligte Beklagte zu 1) ist ein Bauunternehmen.
3
Das streitgegenständliche Grundstück gehört einer Wohnungseigentümergemeinschaft (im Folgenden: GdWE), bestehend aus
• T… S…:
1/3-Miteigentumsanteil am gesamten Grundstück,
Sondereigentum am Teil R…straße 2;
• der Klägerin:
zu 1/2 Miteigentümerin eines 2/3-Miteigentumsanteils am gesamten Grundstück, Sondereigentum am Teil L…straße 12;
• einer Erbengemeinschaft nach dem verstorbenen Ehemann der Klägerin M… H…, bestehend aus
-
der Klägerin (Erbquote von 1/4),
-
ihrer Tochter S… H… (Erbquote von 3/8),
--
ihrer Tochter L… H… (Erbquote von 3/8):
zu 1/2 Miteigentümerin eines 2/3-Miteigentumsanteils am gesamten Grundstück, Sondereigentum am Teil L…straße 12.
4
Die genauen Eigentumsverhältnisse am streitgegenständlichen Freisitz und der Grenzmauer sind zwischen den Parteien umstritten.
5
Ihre beiden Töchter bevollmächtigten die Klägerin, alle Rechte, die sie als Miterbinnen nach dem Tode ihres Vaters M… H… betreffen, vor allem mit eingeschlossen die Immobilie in der L…straße 12, im eigenen Namen, auf eigene Rechnung und mit Leistung an sich, geltend zu machen (s. klägerische Anlagen „Vollmacht 1“ und „Vollmacht 2“).
6
Die eigentliche Beschädigung in Form eines Anprallschadens einer Baumaschine an den Freisitz und die Grenzmauer des streitgegenständlichen Grundstücks – die Details der Beschädigung sind strittig – erfolgte durch das Unternehmen „A…“, das als Subunternehmer der – vom Beklagten und fünf weiteren Auftraggebern beauftragten – Beklagten zu 1) mit dem Abriss eines alten Gebäudes auf dem Grundstück R… straße 2 a beauftragt war. Der Schaden wurde am 25.10.2019 von den klägerischen Mietern entdeckt.
7
Die Klägerin veranlasste am 29.11.2019 Abstützungs- und Absicherungsmaßnahmen zur Verhinderung einer Schadensausweitung.
8
Laut des von der Klägerin erholten Privatgutachtens (Anlage K 17) sei durch die Verschiebung und die Beschädigung des Mauerwerks die Standsicherheit des Freisitzes beeinträchtigt. Die Kosten für die Schadensbeseitigung schätzte der Privatgutachter auf einen Betrag zwischen 15.000 € und 20.000 € zuzüglich Mehrwertsteuer. Der Schaden ist bis heute nicht endgültig behoben.
9
Mittlerweile seht nicht mehr in Streit, dass die klägerischen Mieter die Miete aufgrund der Beschädigung des Freisitzes um monatlich 100 € seit April 2020 gemindert haben. Die Klägerin macht insoweit einen bezifferten Schadenersatzanspruch für die Zeit von April 2020 bis einschließlich Februar 2023 in Höhe von insgesamt 3.400 € geltend.
10
Das Unternehmen „A…“ und die Beklagte zu 1) sollen laut ihren Versicherungen keinen Versicherungsschutz haben. Die Versicherung des Beklagten zu 2) erstattete einen Teil des Schadens: die Kosten der Notmaßnahmen und die Sachverständigengebühren. Die Übernahme der Kosten für den restlichen Schaden – die Reparatur der Mauer und des Freisitzes sowie sonstiger Schäden – lehnte sie ab mit der Begründung, dass den Beklagten kein Verschulden treffe.
11
Wegen des Sachverhalts im Übrigen wird ergänzend auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts (Bl. 135 ff. d. LG-eAkte) Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 S. 1 Nr. 1 ZPO).
12
Das Landgericht wies die Klage gegen die Beklagte zu 1) ab. Es komme hier allenfalls eine deliktische Haftung über § 831 Abs. 1 S. 1 BGB in Betracht, das Unternehmen „A…“ sei aber mangels Weisungsgebundenheit nicht Verrichtungsgehilfin der Beklagten zu 1) gewesen und die Beklagte zu 1) habe sich zudem exkulpieren können, § 831 Abs. 1 S. 2 BGB.
13
Das Landgericht sprach die Klage gegen den Beklagten zu 2) zu und verurteilte ihn zur Zahlung von 3.400 € Mietausfallschaden sowie zur Erstattung von 1.219,04 € vorgerichtlicher Rechtsanwaltskosten, jeweils nebst Zinsen. Außerdem stellte es fest, dass der Beklagte zu 2) sämtliche weiteren Schäden der Klägerin aufgrund der Substanzbeschädigung der Mauer zwischen den Grundstücken R…straße 2 a und L…straße 12 in M… und der Beschädigung des Freisitzes auf dem Grundstück L…straße 12 in M…, welche auf die Beseitigung der Schädigung bzw. auf die Nutzungsbeeinträchtigung zurückzuführen sind, zu ersetzen hat. Zwar scheide auch beim Beklagten zu 2) eine Haftung nach Deliktsrecht aus. Dieser habe ebenso wie die Beklagte zu 1) keine eigene Eigentumsverletzung begangen und eine Haftung nach § 831 Abs. 1 S. 1 BGB scheide mangels konkreten Vortrags zum Weisungsrecht des Beklagten zu 2) gegenüber der Beklagten zu 1) als Verrichtungsgehilfin aus. Der Beklagte zu 2) hafte aber verschuldensunabhängig aus einem Anspruch aus nachbarschaftlichen Sonderverhältnis nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog. Dem stehe nicht entgegen, dass das Eigentum der Klägerin an dem Freisitz und der Grenzmauer des streitgegenständlichen Grundstücks bestritten sei. Der Klägerin stehe jedenfalls ein Sondernutzungsrecht daran zu, weshalb eine Besitzstörung vorliege. Daher seien der Klägerin sowohl die aus der Mietminderung entstandenen als auch die weiteren Schäden aus der Substanzbeschädigung, welche derzeit noch nicht bezifferbar seien, zu ersetzen.
14
Hiergegen richtet sich die mit Schriftsatz vom 31.07.2024 (Bl. 1 f. d. OLG-eAkte) eingelegte und mit Schriftsatz vom 30.09.2024 (Bl. 8 ff. d. OLG-eAkte) begründete Berufung des Beklagten zu 2).
15
Die Berufungsangriffe des Beklagten sind im Wesentlichen die folgenden:
16
Ein Anspruch auf Ersatz von Substanzschäden stehe alleine dem Eigentümer des beschädigten Freisitzes und der Grenzmauer zu, nicht aber lediglich einer Sondernutzungsberechtigten – was die Klägerin laut Ersturteil aber lediglich sei. Bei dem Freisitz handele es sich zudem um einen Schwarzbau ohne Bestandsschutz, für dessen Beschädigung die Klägerin – selbst ihr Eigentum unterstellt – keinen Ersatz verlangen könne. Dass die Klägerin aufgrund ihrer Besitzstörung Ersatzansprüche hinsichtlich der daraus folgenden Schäden, beispielsweise aufgrund einer Mietminderung, zustehen könnten, sei richtig. Dass die Klägerin aber überhaupt Sondernutzungsberechtigte von Freisitz und Grenzmauer des streitgegenständlichen Grundstücks sei, habe das Landgericht nicht mittels Beweisaufnahme geklärt. Der Schaden sei außerdem nicht von der Beklagten zu 1) als Vertragspartnerin des Beklagten zu 2), sondern vom Unternehmen „A…“ verursacht worden, welches in keinem Vertragsverhältnis zum Beklagten zu 2) gestanden habe. Die Beeinträchtigung des klägerischen Grundstücks sei daher nicht „wenigstens mittelbar“ auf den Willen des Beklagten zu 2) zurückzuführen, was die Rechtsprechung für den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch aber verlange.
17
Der Beklagte zu 2) beantragt, das Urteil des Landgerichts abzuändern und
die Klage auch gegen ihn abzuweisen.
18
Die Klägerin beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
19
Wegen der Einzelheiten des Parteivortrags wird auf die Berufungsbegründung vom 30.09.2024 (Bl. 8 ff. d. OLG-eAkte), die Berufungserwiderung vom 18.11.2024 (Bl. 28 ff. d. OLG-eAkte) sowie die weiteren Schriftsätze der Parteien nebst Anlagen verwiesen.
20
Der Senat hat Beweis erhoben durch uneidliche Vernehmung des Zeugen T… S…. Wegen des Ergebnisses der Beweisaufnahme sowie des weiteren Inhalts und Verlaufs der mündlichen Verhandlung vor dem Senat am 23.06.2025 wird auf das Sitzungsprotokoll (Bl. 54 ff. d. OLG-eAkte) Bezug genommen.
II.
21
Das verfahrensrechtlich bedenkenfreie und somit zulässige Rechtsmittel des Beklagten zu 2) hat in der Sache keinen Erfolg.
22
Die angefochtene Entscheidung des Landgerichts ist richtig. Dessen Urteil beruht nicht auf einer Rechtsverletzung (§ 513 Abs. 1, § 546 ZPO). Vielmehr rechtfertigen die Tatsachen, die der Senat im Rahmen des durch § 529 ZPO festgelegten Prüfungsumfangs der Beurteilung des Streitstoffes zugrunde zu legen hat, nahezu keine andere Entscheidung. Die Ausführungen des Beklagten zu 2) in der Berufungsinstanz vermögen dem Rechtsmittel nicht zum Erfolg zu verhelfen, da sie das Ersturteil, auf das Bezug genommen wird, nicht erschüttern.
23
Anzumerken bleibt nur Folgendes:
24
1. Die Klägerin hat aufgrund der Beschädigung des Freisitzes und der Grenzmauer des streitgegenständlichen Grundstücks gegen den Beklagten zu 2) dem Grunde nach einen nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch aus § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog.
25
a) Der verschuldensunabhängige nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist ein bürgerlich-rechtlicher Aufopferungsanspruch, der höchstrichterlich entwickelt wurde; er wird den Wertungen des § 904 S. 2 BGB und vor allem des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB entnommen (eingehend hierzu Rachlitz/Ringshandl, JuS 2011, 970).
26
Ein solcher Anspruch ist gegeben, wenn von einem Grundstück im Rahmen privatwirtschaftlicher Benutzung rechtswidrige Einwirkungen auf ein anderes Grundstück ausgehen, die der Eigentümer oder Besitzer des betroffenen Grundstücks nicht dulden muss, aus besonderen Gründen jedoch nicht gemäß § 1004 Abs. 1, § 862 Abs. 1 BGB unterbinden kann, sofern er hierdurch Nachteile erleidet, die das zumutbare Maß einer entschädigungslos hinzunehmenden Beeinträchtigung übersteigen (BGH, Urteil v. 01.02.2008, Az. V ZR 47/07, Rz. 7; Urteil v. 30.05.2003, Az. V ZR 37/02, juris Rz. 9: Urteil v. 15.06.1967, Az. III ZR 23/65, juris Rz. 10; Urteil v. 28.02.1955, Az. III ZR 136/54, juris Rz. 8; s. bereits RG, Urteil v. 11.05.1904, Az. V 415/03 [RGZ 58, 130, 133 f.]).
27
Dessen Voraussetzungen liegen hier vor.
28
b) Dem Anspruch steht nicht entgegen, dass der Klägerin gegen das Unternehmen „A…“ Schadenersatzansprüche aus unerlaubter Handlung zustehen (vgl. BGH, Urteil v. 09.02.2018, Az. V ZR 311/16, Rz. 14).
29
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist zwar subsidiär; das schließt eine Anwendung grundsätzlich aus, soweit eine andere in sich geschlossene Regelung besteht (BGH, Urteil v. 19.09.2008, Az. V ZR 28/08, Rz. 23; Urteil v. 17.09.2004, Az. V ZR 230/03, juris Rz. 5; Urteil v. 30.05.2003, Az. V ZR 37/02, juris Rz. 10; Urteil v. 22.07.1999, Az. III ZR 198/98, juris Rz. 21).
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So verhält es sich hier jedoch nicht. Das Bestehen einer Gesetzeslücke kann nicht damit verneint werden, dass ein anderer Haftungstatbestand eingreift (BGH, Urteil v. 15.07.2011, Az. V ZR 277/10, Rz. 22; Urteil v. 08.10.2004, Az. V ZR 84/04, juris Rz. 14; Urteil v. 30.05.2003, Az. V ZR 37/02, juris Rz. 12).
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Das gilt umso mehr, als hier der Haftungstatbestand die Haftung einer dritten Person betrifft (vgl. BGH, Urteil v. 09.02.2018, Az. V ZR 311/16, Rz. 14).
32
c) Nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB in direkter Anwendung kommt ein Ausgleichsanspruch nur bei einer wesentlichen Einwirkung in Betracht. Dies zeigt der Standort des Anspruchs in Abs. 2, während Abs. 1 unwesentliche Einwirkungen betrifft und keine Ausgleichsregelung enthält. Diese Wertung ist auf den nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB dahingehend zu übertragen, dass die Beeinträchtigung das Maß des Zumutbaren überschreiten muss.
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Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch ist nicht, wie § 906 Abs. 2 S. 2 BGB selbst, auf feinstoffliche Einwirkungen beschränkt, er erfasst vielmehr auch Grobimmissionen (BGH, Urteil v. 17.09.2004, Az. V ZR 230/03, juris Rz. 10; Urteil v. 12.12.2003, Az. V ZR 180/03, juris Rz. 5), wie sie hier in Folge eines Anprallschadens einer Baumaschine an den Freisitz und die Grenzmauer des streitgegenständlichen Grundstücks vorlagen.
34
Derartige Grobimmissionen sind rechtswidrig; ihre Zuführung braucht der Grundstückseigentümer nicht zu dulden (vgl. BGH, Urteil v. 20.04.1990, Az. V ZR 282/88, juris Rz. 11).
35
Rechtlich bedenkenfrei hat das Landgericht eine wesentliche Beeinträchtigung der Nutzung des Freisitzes aufgrund dessen auf dem Anprallschaden beruhenden Einsturzgefahr bejaht.
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d) Voraussetzung für eine Haftung nach § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog ist weiterhin, dass das beeinträchtigende Verhalten dem Bereich der konkreten Nutzung des Grundstücks zuzuordnen ist und einen sachlichen Bezug zu diesem aufweist (BGH, Urteil v. 18.09.2009, Az. V ZR 75/08, Rz. 20).
37
Zwischen der Einwirkung auf das streitgegenständliche Grundstück und dem Beklagtengrundstück, von dem diese herrührt, besteht ein derartiger spezifischer Zusammenhang, da die Beschädigung von Grenzmauer und Freisitz des streitgegenständlichen Grundstücks die Folge von Gebäudeabrissarbeiten auf dem Beklagtengrundstück waren.
38
e) Die Klägerin ist – entgegen der Ansicht des Beklagten zu 2) – aktivlegitimiert.
39
Anspruchsinhaber eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs kann der Eigentümer des beeinträchtigten Grundstücks sein, aber auch der bloße Besitzer (BGH, Urteil v. 30.05.2003, Az. V ZR 37/02, juris Rz. 7; Urteil v. 10.11.1977, Az. III ZR 157/75, juris Rz. 21; Urteil v. 15.04.1959, Az. V ZR 3/58, juris Rz. 38).
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Denn der Ausgleichsanspruch dient als Kompensation für den Ausschluss primärer Abwehransprüche (BGH, Urteil v. 07.04.2000, Az. V ZR 39/99, juris Rz. 20; Urteil v. 20.04.1990, Az. V ZR 282/88, juris Rz. 19; Urteil v. 23.04.1993, Az. V ZR 250/92, juris Rz. 7), die auch dem Besitzer zustehen (§ 862 Abs. 1 BGB), und ihm einen, den Rechten des Eigentümers aus § 1004 BGB ähnlichen, Schutz gegen Störungen bieten (BGH, Urteil v. 30.05.2003, Az. V ZR 37/02, juris Rz. 7; Urteil v. 23.02.2001, Az. V ZR 389/99, juris Rz. 13).
41
aa) Die Klägerin hat zwar nicht zur Überzeugung des Senats nachweisen können, dass sie und ihre – sie insoweit zur Wahrnehmung ihrer Interessen bevollmächtigenden Töchter – Eigentümerinnen der beschädigten Grenzmauer und des Freisitzes des streitgegenständlichen Grundstücks sind.
42
aaa) Nach dem Parteivortrag ist davon auszugehen, dass die Grenzmauer zum Beklagtengrundstück Gemeinschaftseigentum der GdWE ist.
43
Damit stünde ein auf Eigentumsverletzung daran gestützter, nachbarrechtlicher Ausgleichsanspruch nach § 9 a Abs. 1 S. 1 WEG der GdWE als vollrechtsfähigem Verband (vgl. OLG München, Beschluss v. 09.03.2023, Az. 34 Wx 20/23 e, juris Rz. 40; Beschluss v. 05.08.2022, Az. 34 Wx 301/22, juris Rz. 15) zu und nicht der Klägerin.
44
Außenwände und -mauern sind grundsätzlich wegen § 5 Abs. 2 WEG Gemeinschaftseigentum und nicht sondereigentumsfähig (BGH, Urteil v. 07.02.2014, Az. V ZR 25/13, Rz. 7; Urteil v. 30.05.2008, Az. V ZR 184/07, Rz. 7; BayObLG, Beschluss v. 17.10.2001, Az. 2Z BR 147/01, juris Rz. 9; OLG München, Urteil v. 09.05.2017, Az. 28 U 2050/16 Bau, juris Rz. 251; AG Köln, Urteil v. 18.07.2022, Az. 215 C 60/21, juris Rz. 34; Armbrüster in: Bärmann, WEG, 15. Aufl., § 5 Rz. 35, Rz. 55A – Stichwort „Außenwände“, § 7 Rz. 90).
45
Dass hier ausnahmsweise etwas anderes gelten sollte, hat die Klägerin nicht dargetan.
46
Gemäß § 9 a Abs. 2 WEG übt die GdWE die sich aus dem gemeinschaftlichen Eigentum ergebenden Rechte aus.
47
bbb) Dass die Klägerin und ihre Töchter Sondereigentum am Freisitz haben und nicht etwa das weitere WEG-Mitglied T… S… oder dieser nicht ebenfalls im Gemeinschaftseigentum der GdWE steht, konnte die Klageseite nicht zur Überzeugung des Senats nachweisen.
48
a) Die vorgelegte Bescheinigung der L… M… (Anlage KB 1) ist insoweit bereits deswegen nichtssagend, weil sie auf einen „Aufteilungsplan“ verweist, der dieser nicht beigefügt ist.
49
β) Die folgende Planzeichnung (Anlage KB 2) hat keinen hinreichenden Aussagewert. Zwar ist sie beschriftet mit „Bauplan Zeichnung, Originalvorlage aus dem Grundbuchamt, vom Bauamt“. Dies ist aber ersichtlich kein behördlicher Vermerk, sondern dürfte von der Klägerin hinzugefügt sein.
50
Zudem ist die Fläche des Freisitzes nicht gesondert eingezeichnet.
51
γ) Die vorgelegte „Erläuternde Skizze“ (Anlage KB 3) enthält zwar eine farbliche Markierung des Bereichs des Freisitzes, dürfte allerdings von der Klägerin selbst angefertigt sein, weshalb ihr ebenfalls kein substantieller Nachweiswert zukommt.
52
δ) Der Grundbuchauszug des Amtsgerichts München vom 11.02.2025 (Anlage KB 7) verweist für das Sondereigentum und die Sondernutzungsregelung auf den „Aufteilungsplan“ und die „Eintragungsbewilligung vom 24. Mai 1971“.
53
Trotz Hinweises des Senats wurden diese aber nicht vorgelegt.
54
ε) Der Verweis der Klägerin auf die Urteile des LG München I v. 31.12.2002, Az. 29 O 11757/02, und des OLG München v. 28.05.2004, 25 U 2095/03 (Anlagen KB 4, KB 5) ist unbehelflich.
55
Diese ergingen in einem von der Klägerin und ihrem verstorbenem Ehemann M… H… teilweise gewonnenen Rechtsstreit gegen K… und A… S…, die Eltern des weiteren WEG-Mitglieds T… S…, unter anderem über die Herausgabe des Freisitzes.
56
Inhaltlich tragend insoweit war, dass den Eheleuten H… ein Sondernutzungsrecht am Freisitz zusteht. Diese Entscheidungen sagen aber nichts zu den Eigentumsverhältnissen am Freisitz aus; zudem wirken sie nur inter partes und nicht gegenüber dem Beklagten des hiesigen Verfahrens.
57
ζ) Obwohl der Senat darauf hinwies, legte die Klägerin weder die von ihr schriftsätzlich erwähnte notarielle Vereinbarung über die Aufteilung des streitgegenständlichen Grundstücks vor noch den notariellen Kaufvertrag zwischen den Eheleuten H… und den Eheleuten S… bezüglich des streitgegenständlichen Grundstücks samt Lageplan mit farblichen Markierungen, aus denen sich ergeben soll, wer Allein- bzw. Sondereigentümer der Grundstücksteile sei.
58
bb) Die Klägerin ist aber nachweislich Besitzerin des Freisitzes und der Grenzmauer in diesem Bereich und daher taugliche Anspruchsberechtigte eines nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs.
59
Dass die Klägerin diesbezüglich Besitzerin und durch den verfahrensgegenständlichen Vorfall in ihrem Besitz gestört ist, stellte der Beklagte zu 2) in der Berufungsbegründung nun selbst außer Streit.
60
Zudem bestätigte das als Zeuge vernommene weitere WEG-Mitglied T… S…, den Freisitz, um den es hier gehe, habe immer die Familie H… besessen. Von seiner Seite aus habe er gar keinen Zugang zum Freisitz. Die, die in dem Haus der Miteigentümer gewohnt hätten, hätten diesen benutzt, also zunächst die Familie H…, dann die Mieter.
61
Folglich hat die Klägerin an dem vermieteten Freisitz und der Grenzmauer – jedenfalls aufgrund des nachgewiesenen Einvernehmens mit dem weiteren WEG-Mitglied T… S… auch berechtigten – mittelbaren Besitz i.S.v. § 868 BGB.
62
Ob sie und/oder ihre Töchter darüber hinaus daran ein Sondernutzungsrecht i.e.S. gemäß § 5 Abs. 4 S. 2 WEG (zu diesem – nicht legal definierten – Begriff s. z.B. BGH, Beschluss v. 24.11.1978, Az. V ZB 11/77, juris Rz. 9 ff.; OLG Saarbrücken, Beschluss v. 10.05.2010, Az. 5 W 94/10, juris Rz. 33; Meier in: beck-online.GROSSKOMMENTAR, Stand: 01.03.2025, § 5 WEG Rz. 159 f.) haben, ist – entgegen der Auffassung des Beklagten – in diesem Zusammenhang folglich ohne Belang, selbst wenn ein Sondernutzungsrecht dem Berechtigten Rechte verleihen kann, die weiterreichen als diejenigen, die einem Besitzer üblicherweise zustehen (BGH, Beschluss v. 26.11.2020, Az. V ZB 151/19, Rz. 15).
63
f) Der Beklagte zu 2) ist anspruchsverpflichtet, da er als Störer i.S.d. § 1004 Abs. 1 BGB zu qualifizieren ist (vgl. BGH, Urteil v. 09.02.2018, Az. V ZR 311/16, Rz. 6; Urteil v. 01.02.2008, Az. V ZR 47/07, Rz. 8; Urteil v. 27.01.2006, Az. V ZR 26/05, Rz. 4).
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aa) Die Störereigenschaft folgt nicht allein aus dem Eigentum oder Besitz an dem Grundstück, von dem die Einwirkung ausgeht. Erforderlich ist vielmehr, dass die Beeinträchtigung des Nachbargrundstücks wenigstens mittelbar auf den Willen des Eigentümers oder Besitzers zurückgeht. Ob dies der Fall ist, kann nicht begrifflich, sondern nur in wertender Betrachtung von Fall zu Fall festgestellt werden. Entscheidend ist, ob es jeweils Sachgründe gibt, dem Grundstückseigentümer oder -besitzer die Verantwortung für ein Geschehen aufzuerlegen. Dies ist dann zu bejahen, wenn sich aus der Art der Nutzung des Grundstücks, von dem die Einwirkung ausgeht, eine Sicherungspflicht, also eine Pflicht zur Verhinderung möglicher Beeinträchtigungen, ergibt (zum Ganzen BGH, Urteil v. 09.02.2018, Az. V ZR 311/16, Rz. 7; Urteil v. 01.04.2011, Az. V ZR 193/10, Rz. 12; Urteil v. 14.11.2003, Az. V ZR 102/03, juris Rz. 24).
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bb) Dies ist hier entgegen Beklagtenauffassung evident gegeben.
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Maßgeblich ist insoweit, dass der Beklagte zu 2) mit der Beauftragung von Abrissarbeiten eine Gefahrenquelle für Nachbargrundstücke schuf und damit der bei der Auftragsausführung verursachte Schaden am streitgegenständlichen Grundstück auf Umständen beruht, die seinem Einflussbereich zuzurechnen sind.
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Dass der Schaden nicht von der vom Beklagten zu 2) beauftragten Beklagten zu 1), sondern von dem von dieser unterbeauftragten Unternehmen „A…“ verursacht wurde, beseitigt diesen Zusammenhang nicht. Insbesondere lag hier kein völlig unvorhersehbarer „Exzess“ des Unternehmens „A…“ vor, der zur Folge haben könnte, dass das Geschehen als nicht mehr adäquat auf dem Willen des Beklagten zu 2) zurückzuführen zu betrachten wäre.
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2. Die Klägerin kann somit vom Beklagten zu 2) Ausgleich für sämtliche Schäden verlangen, welche ihr aufgrund der Beschädigung des Freisitzes und der Grenzmauer kausal entstanden sind.
69
a) aa) Auf Grund eines Entschädigungsanspruchs gemäß § 906 Abs. 2 S. 2 BGB analog kann nicht Schadensersatz, sondern lediglich ein nach den Grundsätzen der Enteignungsentschädigung zu bestimmender Ausgleich verlangt werden (BGH, Urteil v. 01.02.2008, Az. V ZR 47/07, Rz. 9 ff.; Urteil v. 02.03.1984, Az. V ZR 54/83, juris Rz. 20), wonach nur der unzumutbare Teil der Beeinträchtigung auszugleichen ist (BGH, Beschluss v. 22.10.2015, Az. V ZR 146/14, Rz. 10; Urteil v. 25.10.2013, Az. V ZR 230/12, Rz. 24).
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Wann diese Grenze überschritten wird, bestimmt sich nach dem Empfinden eines verständigen durchschnittlichen Benutzers des Grundstücks in seiner konkreten Beschaffenheit, Ausgestaltung und Zweckbestimmung (BGH, Urteil v. 19.09.2008, Az. V ZR 28/08, Rz. 33).
71
Zwar muss der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch nicht zum vollen Ersatz des Schadens führen (so aber unzutreffend formuliert in OLG Düsseldorf, Urteil v. 17.02.2010, Az. I-19 U 13/09, juris Rz. 30), sondern hat (nur) eine angemessene Entschädigung in Geld nach den Grundsätzen über die Enteignungsentschädigung zur Folge (BGH, Urteil v. 11.06.1999, Az. V ZR 377/98, juris Rz. 11).
72
Gleichwohl kommt die Entschädigungsregelung des nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruchs einem vollen Schadensersatz vielfach gleich (BGH, Urteil v. 22.07.1999, Az. III ZR 198/98, juris Rz. 21). Insbesondere, falls die Einwirkung in einer Substanzschädigung besteht, kann der Entschädigungsanspruch durchaus auf vollen Schadensersatz gehen (BGH, Urteil v. 11.06.1999, Az. V ZR 377/98, juris Rz. 11; Urteil v. 04.07.1997, Az. V ZR 48/96, juris Rz. 10).
73
bb) Gegenstand des Ausgleichs einer Besitzstörung in Geld ist der Vermögenswert, der auf dem Recht beruht, den Besitz innezuhaben; d.h., es sind die vermögenswerte Nachteile auszugleichen, die ihre Ursache in der Besitzstörung haben (BGH, Urteil v. 23.02.2001, Az. V ZR 389/99, juris Rz. 18).
74
Es ist bisher höchstrichterlich nicht entschieden und in der Literatur umstritten, ob der Besitzer aufgrund der Verletzung seines Besitzrechts durch die Beschädigung der Sache wie der Eigentümer aus eigenem Recht den Ersatz der Reparaturkosten, das heißt des Substanzschadens, verlangen kann (ausführlich zum Meinungsstand BGH, Urteil v. 29.01.2019, Az. VI ZR 481/17, Rz. 16 ff.; offen gelassen noch in BGH, Urteil v. 24.05.2022, Az. VI ZR 1215/20, Rz. 10).
75
Ausgleichsfähig ist jedenfalls, was dem Besitzer durch den Eingriff in seine berechtigte Besitzposition entgangen ist, regelmäßig also die Möglichkeit zur Nutzung der Sache (BGH, Urteil v. 04.11.1997, Az. VI ZR 348/96, juris Rz. 26). Namentlich sind infolge der Besitzstörung eingetretene Ertragseinbußen insoweit auszugleichen (BGH, Urteil v. 23.02.2001, Az. V ZR 389/99, juris Rz. 21). Neben dem Ertragsverlust sind zudem diejenigen Aufwendungen zu ersetzen, die erforderlich sind, um eine ungestörte Fortführung eines mit dem Besitz verbundenen Betriebs zu gewährleisten (BGH, Urteil v. 23.02.2001, Az. V ZR 389/99, juris Rz. 22).
76
Der nachbarrechtliche Ausgleichsanspruch des Besitzers unterliegt nicht der einjährigen Ausschlussfrist des § 864 BGB (BGH, Urteil v. 23.02.2001, Az. V ZR 389/99, juris Rz. 17).
77
b) Damit sind – was selbst der Beklagte zu 2) im Kern nicht in Abrede stellt – die Vermögenseinbußen auszugleichen, welche der Klägerin aufgrund der berechtigten Mietzinsminderung durch ihre Mieter entsteht. Durch die Beschädigung des Freisitzes kann sie diesen nicht mehr uneingeschränkt als Vermietungsobjekt nutzen und den vollen Ertrag daraus ziehen.
78
Laut Klägerin haben ihre Mieter wegen der mangelnden Nutzbarkeit des Freisitzes seit April 2020 die Miete um monatlich 100 € gemindert, § 536 Abs. 1 S. 1 Alt. 2, S. 2 BGB. Dass diese Mietminderung dem Grund nach – bspw. aufgrund von § 536 Abs. 1 S. 3 BGB – oder der Höhe nach nicht angemessen sei, wird vom Beklagten zu 2) nicht eingewandt. Damit hat die Klägerin insoweit Ertragseinbußen.
79
Für den Zeitraum bis einschließlich Februar 2023 hat die Klägerin hierfür eine bezifferte Summe von 4.300 € geltend gemacht und das Landgericht ihr zugesprochen. Im Übrigen ist der Ausgleich dieser Ertragseinbußen vom Feststellungsausspruch des landgerichtlichen Urteils erfasst. Dies ist rechtsfehlerfrei. Befindet sich ein anspruchsbegründender Sachverhalt im Zeitpunkt der Klageerhebung noch in der Entwicklung, so steht der Umstand, dass im Zeitpunkt der Klageerhebung eine teilweise Bezifferung möglich wäre, der Bejahung des Feststellungsinteresses jedenfalls dann nicht entgegen, wenn der Anspruch seiner Natur nach sinnvollerweise erst nach Abschluss seiner Entwicklung beziffert werden kann (BGH, Urteil v. 21.09.1987, Az. II ZR 20/87, juris Rz. 10; Urteil v. 30.03.1983, Az. VIII ZR 3/82, juris Rz. 27). Dies kann hier erst nach vollständiger Wiederherstellung des Freisitzes erfolgen, da erst dann das Recht der klägerischen Mieter auf Mietminderung wieder entfällt.
80
c) Die Klägerin kann vom Beklagten zu 2) aber zudem die Kosten für die Wiederinstandsetzung des Freisitzes und der zugehörigen Grenzmauer, mithin deren fachgerechte Reparatur, verlangen.
81
aa) Dabei kann es der Senat mit dem BGH (s.o.) offen lassen, ob Besitzer generell wie Eigentümer aus eigenem Recht den Ersatz des Substanzschadens verlangen können.
82
bb) Die Besonderheit des vorliegenden Falles ist, dass die Klägerin durch die Beschädigung von Freisitz und Mauer in ihrem mittelbaren Besitz als Vermieterin beeinträchtigt ist.
83
Mit dem mittelbaren Besitz untrennbar verbunden ist deren Nutzung als Vermietungsobjekte, stellt doch der Mietvertrag zwischen der Klägerin und ihren Mietern das für § 868 BGB erforderliche Besitzkonstitut dar. Gemäß § 535 Abs. 1 S. 2 Alt. 2 BGB hat der Vermieter – unabhängig von den Eigentumsverhältnissen – die Mietsache während der Mietzeit in einem zum vertragsgemäßen Gebrauch geeigneten Zustand zu erhalten. Widrigenfalls hat er – wie hier erfolgt – eine Mietminderung durch seine Mieter zu gewärtigen.
84
Daher sind der Klägerin auch diejenigen Aufwendungen zu ersetzen, die erforderlich sind, um eine ungestörte Fortführung des mit dem mittelbaren Besitz an Freisitz und Mauer verbundenen Vermietungsbetriebs zu gewährleisten – in diesem Fall die Kosten für deren vollständige Reparatur. Da dies der Höhe nach mit dem Ersatz des Substanzschadens deckungsgleich ist, ist gegen die Tenorierung des landgerichtlichen Urteils nichts zu erinnern, wonach der Beklagte zu 2) „die Schäden der Klägerin aufgrund der Substanzbeschädigung“ zu ersetzen hat.
85
cc) Dem steht nicht das Vorbringen des Beklagten zu 2) entgegen, bei dem Freisitz handele es sich um eine Schwarzbau ohne Bestandsschutz, für dessen Beschädigung die Klägerin keinen Ausgleich verlangen könne.
86
Zum einen ist dieses Vorbringen völlig pauschal und wird durch nichts untermauert. Es handelt sich ganz ersichtlich um die unbesehene Übernahme dieses Arguments aus der Klageerwiderung des Beklagten zu 1) vom 16.02.2023 (dort S. 2 = Bl. 35 d. LG-eAkte), wo diese Behauptung erstmals – ebenso substanzlos „aufs Geratewohl“ – gemacht wird. Es ist bereits unklar, wann der Freisitz vom Vater der Klägerin errichtet wurde und welche baurechtlichen Vorgaben daher damals galten.
87
Zum anderen erscheint es mit Blick auf die vorgelegten Pläne und Lichtbilder – auch wenn konkrete Daten hierzu dem Parteivortrag nicht zu entnehmen sind – nicht fernliegend, dass der Freisitz selbst nach aktueller Rechtslage als Terrassenüberdachung mit einer Fläche bis zu 30 m² als genehmigungsfreies Vorhaben nach Art. 57 Abs. 1 Nr. 1 g) BayBO – und damit formell baurechtmäßig – sowie als ebenerdige Terrasse i.S.v. Art. 6 Abs. 1 S. 3 Nr. 4 BayBO vom nachbarschützenden bauordnungsrechtlichen Abstandsflächenrecht enthoben – und damit jedenfalls auch insoweit materiell baurechtmäßig – einzustufen ist. Gegenteiliges hat der Beklagte zu 2) jedenfalls nicht in inhaltlich gehaltvoller Weise dargelegt.
88
3. Die Klägerin kann den Beklagten zu 2) auf vollen Ausgleich ihrer Vermögenseinbußen in Anspruch nehmen.
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Der Beklagte zu 2) und das Unternehmen „A…“ haften aufgrund von § 840 BGB als Gesamtschuldner nach §§ 421 ff. BGB.
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Dafür ist es unerheblich, dass das Unternehmen „A…“ nach § 823 Abs. 1 BGB und der Beklagte zu 2) nur verschuldensunabhängig analog § 906 Abs. 2 S. 2 BGB ausgleichspflichtig sind. Maßgebend ist, ob beide nebeneinander für die streitgegenständlichen Schäden verantwortlich waren. Dabei spielt es keine Rolle, ob allein das Unternehmen „A…“ der Vorwurf einer unerlaubten Handlung trifft (vgl. BGH, Urteil v. 26.11.1982, Az. V ZR 314/81, juris Rz. 29 ff.; OLG Köln, Urteil v. 06.12.2017, Az. I-16 U 6/17, juris Rz. 37).
91
4. Der vom Beklagten zu 2) vorgebrachte Einwand, die Rechtsauffassung des Senats führe dazu, dass er sich gegebenenfalls den Forderungen mehrerer Anspruchsteller ausgesetzt sehe, vermag nicht durchzugreifen.
92
Selbst wenn die GdWE als mutmaßliche Eigentümerin der Grenzmauer und der – im hiesigen Verfahren nicht feststellbare – Eigentümer des Freisitzes ihrerseits ebenfalls einen – auf ihr jeweiliges Eigentum gestützten – nachbarrechtlichen Ausgleichsanspruch haben dürften, sind diese und die Klägerin aufgrund des Vorliegens der Voraussetzungen von § 428 BGB als Gesamtgläubiger einzustufen, weswegen der Beklagte zu 2) die Leistung nur einmal zu bewirken verpflichtet ist.
III.
93
Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1 ZPO, diejenige über die vorläufige Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10 S. 1, 2, § 711 S. 1, 2 i.V.m. § 709 S. 2 ZPO.
IV.
94
Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 1 ZPO). Auch erfordern weder die Fortbildung des Rechts noch die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung die Zulassung der Revision (§ 543 Abs. 2 S. 1 Nr. 2 ZPO).
95
Es handelt sich hier um eine Einzelfallentscheidung (vgl. BGH, Beschluss v. 14.08.2013, Az. XII ZB 443/12, Rz. 6), über welche hinaus die Interessen der Allgemeinheit nicht nachhaltig berührt werden, weswegen eine höchstrichterliche Leitentscheidung notwendig wäre (s. dazu BGH, Beschluss v. 25.05.2003, Az. VI ZB 55/02, juris Rz. 8; Beschluss v. 29.05.2002, Az. V ZB 11/02, juris Rz. 10).