Titel:
Kein Anspruch aus enteignendem Eingriff oder Aufopferung bei Fund einer Fliegerbombe auf einem Krankenhausgrundstück
Normenketten:
BayLStVG Art. 6, Art. 11 (idF bis zum 24.5.2018)
BayPAG Art. 7, Art. 8, Art. 9, Art. 70, Art. 87 (idF bis zum 24.5.2018)
Art. 14 GG
VVG § 86
BGB § 906 Abs. 2 S. 2
Leitsätze:
1. Zur Frage der Passivlegitimation bei einem Anspruch aus enteignendem Eingriff, wenn eine Große Kreisstadt als untere Sicherheitsbehörde wegen des Fundes einer Weltkriegsbombe auf einem Krankenhausgrundstück mittels einer Allgemeinverfügung eine Evakuierung eines Krankenhauses anordnet und wenn die Entschärfung der Bombe durch einen vom Freistaat Bayern vorgehaltenen Kampfmittelbeseitigungsdienst vorgenommen wird. (Rn. 18 – 20)
2. Der öffentlich-rechtliche Zustandsstörer muss im Hinblick auf seine Verantwortlichkeit seine polizeiliche Inanspruchnahme ohne eine Entschädigung hinnehmen. Ein Zustandsstörer erleidet ungeachtet dessen, ob er sicherheitsrechtlich für die Störungsbeseitigung in Anspruch genommen wurde, kein Sonderopfer, das entschädigungsrechtlich im Rahmen polizeilicher Entschädigungsregeln des Freistaats Bayern oder auf der Grundlage des allgemeinen Aufopferungsrechts ausgeglichen werden müsste. (Rn. 32 – 43)
1. Ein Entschädigungsanspruch auf der Grundlage des bayerischen Polizeirechts besteht nicht, wenn der Adressat einer sicherheitsbehördlichen Maßnahme Inhaber der tatsächlichen Gewalt über die gefahrenträchtige Sache war. (Rn. 25) (redaktioneller Leitsatz)
2. Eine verschuldensunabhängige Haftung eines Grundstückseigentümers oder Grundstücksbesitzers auf der Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 906 Abs. 2 S. 2 BGB scheidet aus, wenn ein von einem Kampfmittel ausgehendes Risiko nicht schon in der Nutzung des Grundstücks angelegt war. (Rn. 28) (redaktioneller Leitsatz)
3. Die Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem eine Weltkriegsfliegerbombe gefunden wird, ist Zustandsstörerin im Sinne des Polizeirechts. (Rn. 33) (redaktioneller Leitsatz)
4. Polizeirechtliche Entschädigungsregelungen zugunsten des Nichtstörers oder unbeteiligte Dritter gehen als spezialgesetzliche Regelungen Ansprüchen aus enteignendem oder aufopferndem Eingriff vor. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
5. Unbeteiligte Dritte, die durch eine rechtmäßige polizeiliche Maßnahme geschädigt sind, können einen Anspruch aus enteignendem Eingriff haben. (Rn. 39) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Betriebsunterbrechungsversicherung, Krankenhaus, Fliegerbombe, Evakuierung, sicherheitsbehördliche Maßnahme, verantwortliche Person, Entschädigung, Zustandsstörer, enteignender Eingriff, Aufopferung, Passivlegitimation, Kampmittelräumdienst, Ordnungsbehörde
Vorinstanz:
LG Amberg, Endurteil vom 27.06.2023 – 13 O 519/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 1813
Tenor
1. Die Berufung der Klägerin gegen das Urteil des Landgerichts Amberg vom 27. Juni 2023, Az. 13 O 519/22, wird zurückgewiesen.
2. Die Klägerin hat die Kosten des Berufungsverfahrens zu tragen.
3. Das Urteil und das in Ziffer 1 genannte Urteil des Landgerichts Amberg sind vorläufig vollstreckbar. Die Klägerin kann die Vollstreckung durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die Beklagte vor der Vollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
4. Der Streitwert für das Berufungsverfahren wird auf 1.000.000,-- € festgesetzt.
Entscheidungsgründe
1
Die Klägerin macht gegenüber der Beklagten aus übergegangenem Recht Ersatzansprüche geltend, die durch die Unterbrechung des Betriebs und der Evakuierung des von ihr betriebenen Krankenhauses eingetreten sein sollen. Erforderlich wurde die Evakuierung wegen des Fundes einer Fliegerbombe auf dem Klinikgelände.
2
Am 22. September 2017 wurde gegen 8:55 Uhr bei Tiefbauarbeiten für den Erweiterungsbau des Klinikums eine britische Fliegerbombe aus dem Zweiten Weltkrieg auf dem Krankenhausgelände aufgefunden. Die Prüfung durch den Sprengmeister ergab die Notwendigkeit der Entschärfung des Kampfmittels. Am 25. September 2017 erließ die Beklagte eine Allgemeinverfügung, wonach in einem Umkreis von etwa 300 Metern um die Fundstelle der Aufenthalt in allen baulichen Anlagen einschließlich Gewerbebetrieben und öffentlichen Infrastruktureinrichtungen ab dem 30. September 2017, 8:00 Uhr, bis zur Aufhebung der Sperrung untersagt wurde. Im Einzelnen wird auf die Allgemeinverfügung der Beklagten Bezug genommen (Anlage K3). Das Krankenhaus wurde in den folgenden Tagen evakuiert. Am Samstag, den 30. September 2017, erfolgte um 12:22 Uhr die Entschärfung der Fliegerbombe. Um 12:45 Uhr hob die Beklagte das Aufenthaltsverbot auf.
3
Die Klägerin hat das Betriebsunterbrechungsrisiko der Trägergesellschaft des Krankenhauses in 9… S. versichert (auf die Anlagen K 1 und K2 wird insoweit ergänzend Bezug genommen).
4
Die Klägerin hat in der ersten Instanz insbesondere vorgetragen, ihre Versicherungsnehmerin sei die gemeinnützige Krankenhaus GmbH, … R. (Anlagen K1, K2). Eigentümerin des versicherten Klinikgrundstücks sei die B.B.B.O., Körperschaft des öffentlichen Rechts, 8… M.. Hinsichtlich der Höhe der Klagesumme hat die Klägerin Bezug auf ihren mit der Versicherungsnehmerin abgeschlossenen Teilvergleich „zur Regulierung des Ausfalls- und Evakuierungsschadens für den Zeitraum 22. September 2017 bis einschließlich 15. Oktober 2017“ in Höhe von 1.000.000,- € genommen (vgl. im Einzelnen hierzu die „Entschädigungsvereinbarung“, Anlage K4). Infolge der Regulierung dieses Teilbetrags seien insoweit Ersatzansprüche der Versicherungsnehmerin gegen die Beklagte im Wege der Legalzession auf die Klägerin übergegangen. Insgesamt sei bei der Versicherungsnehmerin wegen der Evakuierungsmaßnahmen ein Betriebsunterbrechungsschaden in Höhe von 1.159.383,84 entstanden (wegen der Einzelheiten wird auf Seiten 2 ff. der Replik vom 23. November 2022 Bezug genommen).
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In rechtlicher Hinsicht hat die Klägerin die Auffassung vertreten, ihr stünde aus übergegangenem Recht ein Anspruch insbesondere aus einem enteignenden Eingriff gegen die Beklagte zu. Bei der Beseitigung alter Kampfmittel handele es sich um eine gesamtgesellschaftliche und die Allgemeinheit treffende Aufgabe. Der bei ihr eingetretene Schaden stelle auch wegen dessen existenzbedrohender Wirkung ein Sonderopfer dar, das ausgeglichen werden müsse. Daher komme es auch nicht darauf an, dass die Fliegerbombe auf dem Betriebsgelände der Versicherungsnehmerin bei deren Bauarbeiten aufgefunden worden sei und dass sie im öffentlich-rechtlichen Sinne Zustandsstörerin sei. Die Beklagte sei auch passivlegitimiert. Abzustellen sei insoweit nicht darauf, dass der Freistaat Bayern „Träger des Kampfmittelbeseitigungsdienstes“ sei; es komme vielmehr darauf an, dass die hier die Unschädlichmachung der Bombe flankierenden Sicherheitsmaßnahmen in den Verantwortungsbereich der Sicherheitsbehörden fielen. Die zuständige Sicherheitsbehörde sei hier die Beklagte, die auch die Allgemeinverfügung erlassen habe.
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Die Beklagte hat demgegenüber die Ansicht vertreten, dass die Beklagte nicht passivlegitimiert sei. Art. 11 LStVG i.V.m. Art. 70 PAG a.F. würde zudem eine Sperrwirkung entfalten. Es fehle auch an den Voraussetzungen des enteignenden Eingriffs. Es liege nicht die erforderliche Unmittelbarkeit zwischen dem Aufenthaltsverbot und dem geltend gemachten Betriebsunterbrechungsschaden vor und die Versicherungsnehmerin der Klägerin habe, auch weil sie Störerin gewesen sei, kein Sonderopfer zu tragen. Der Klägervortrag zur Schadenshöhe sei unsubstantiiert.
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Das Landgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, dass die Beklagte als Kreisstadt nicht passivlegitimiert sei. Vielmehr sei gemäß Art. 6 LStVG der Freistaat Bayern für die Gefahrenabwehr zuständig gewesen. Dieser habe auch die Fach- und Weisungskompetenz über die Durchführung der Kampfmittelbeseitigung vor Ort gehabt. Das seitens der Beklagten durch die Allgemeinverfügung angeordnete Aufenthaltsverbot beruhe auf ihrer Rechtspflicht, den Anweisungen der Mitarbeiter des Kampfmittelräumdienstes Folge zu leisten, und sei lediglich als unselbstständiger Teil der Bombenentschärfung einzustufen.
8
Zur Darstellung des Sachverhalts wird im Übrigen auf die tatsächlichen Feststellungen im Urteil des Landgerichts Amberg vom 27.06.2023 Bezug genommen (§ 540 Abs. 1 ZPO).
9
Die Klägerin hat in der zweiten Instanz beantragt,
Unter Abänderung des am 27.6.2023 verkündeten Urteils des Landgerichts Amberg, Az.13 O 519/22, wird die Beklagte wie folgt verurteilt:
Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 1.000.000,- € zuzüglich Zinsen hieraus in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.
10
Die Beklagte hat in der zweiten Instanz beantragt,
die Berufung kostenpflichtig zurückzuweisen.
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Die Klägerin hat in der zweiten Instanz ihre Argumente vertieft und zur Begründung ihres Anspruchs insbesondere ausgeführt, dass die Versicherungsnehmerin zwar öffentlich-rechtliche Zustandsstörerin, jedoch nicht Adressatin des durch die Beklagte angeordneten Aufenthaltsverbots gewesen sei; sie sei auch nicht zielgerichtet in Anspruch genommen worden. Zudem seien die zivilrechtlichen Wertungen zu berücksichtigen. Hiernach wäre die Versicherungsnehmerin der Klägerin nicht als Zustandsstörerin (im Sinne des § 1004 BGB) einzustufen. Art. 70 PAG a.F. enthalte für den öffentlich-rechtlichen Zustandsstörer kein abschließendes Entschädigungssystem, sondern regele ausdrücklich nur den Entschädigungsanspruch des in Anspruch genommenen Nichtstörers oder des unbeteiligten Dritten. Vielmehr könne der Störer in der vorliegenden und von Besonderheiten geprägten Fallgestaltung auf die allgemeinen Entschädigungsgrundsätze rekurrieren. Ein Rückgriff auf die allgemeinen Aufopferungsgrundsätze müsse in Fällen eines Sonderopfers in Form eines existenzbedrohenden Schadens möglich sein. Dies sei zumindest in den Fällen erforderlich, in denen der öffentlich-rechtliche Zustandsstörer im Zusammenhang mit der Beseitigung von Altlasten aus dem Zweiten Weltkrieg einen erheblichen Schaden erleide.
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Die Beklagte hat in der zweiten Instanz insbesondere dargelegt, dass ein Anspruch des öffentlich-rechtlichen Zustandsstörer aus enteignenden Eingriffes von Art. 70 PAG a.F. verdrängt werde. Ungeachtet dessen seien die Anspruchsvoraussetzungen des enteignenden Eingriffs bei der Versicherungsnehmerin nicht erfüllt.
13
Der Senat hat am 22. Oktober 2024 gem. § 522 Abs. 2 ZPO einen Hinweis erteilt (wegen der Einzelheiten wird auf den Hinweis, Bl. 26 ff. der Berufungsakte, Bezug genommen). Aufgrund der Stellungnahme der Klagepartei zu dem Hinweis vom 22. Oktober 2024 hat der Senat mit Verfügung vom 21. November 2024 (Bl. 41 f. der Berufungsakte) einen Termin zur Güteverhandlung und für den Fall des Nichterscheinens einer Partei oder Erfolglosigkeit der Güteverhandlung einen unmittelbar anschließenden Haupttermin bestimmt. Am 22. Januar 2025 hat die mündliche Verhandlung stattgefunden (auf das Terminprotokoll vom 22. Januar 2025 wird insoweit Bezug genommen). Einen Beweis hat der Senat nicht erhoben.
14
Die Berufung ist zulässig. Die Klägerin hat die Berufung form- und fristgerecht eingereicht (§§ 517, 519 ZPO) und die Berufung form- und fristgerecht ordnungsgemäß begründet (§ 520 ZPO).
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Die Berufung ist unbegründet. Zwar ist die Klage zulässig (I.). Sie ist jedoch unbegründet; das Landgericht hat die Klage jedenfalls im Ergebnis zu Recht abgewiesen (II.).
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I. Die Klage ist auch unter dem Gesichtspunkt des Erfordernisses einer hinreichenden Bestimmtheit (§ 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO) zulässig. Der im Rahmen der hier offenen Teilklage nach Auffassung der Klägerin gem. § 86 Abs. 1 Satz 1 VVG auf sie übergegangene Anspruch auf (Aufopferungs-) Entschädigung ist ein einheitlicher Anspruch; die einzelnen auszugleichenden Positionen begründen nur unselbstständige und untereinander austauschbare Berechnungsposten (vgl. Geigel Haftpflichtprozess, Kap. 21 Öffentlichrechtliche Ausgleichsansprüche Rn. 57c, beck-online). In diesem Fall ist eine bestimmte Aufteilung der Klagesumme auf einzelne Positionen nicht erforderlich (vgl. BGH, Urteil vom 17. Juli 2008 – IX ZR 96/06 –, Rn. 9, juris).
17
II. Die Klage ist aber unbegründet. Zwar hat der Senat erhebliche Zweifel an der Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagte hier nicht passivlegitimiert sei (1.). Unabhängig davon steht der Klägerin der geltend gemachte Entschädigungsanspruch aber unter keinem rechtlichen Gesichtspunkt zu (2.).
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1. Zweifelhaft ist unter Berücksichtigung der konkreten Fallgestaltung die Auffassung des Landgerichts, dass die Beklagte nicht passivlegitimiert sei.
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a) Der von der Beklagten insoweit vorgelegte Hinweisbeschluss des OLG München vom 14. Dezember 2017 (Az. 1 U 813/17) betraf eine andere Fallgestaltung. Dort begehrte die Klagepartei Entschädigung lediglich für aus der Beseitigung des Kampfmittels (Sprengung einer Luftmine aus dem Zweiten Weltkrieg, vgl. zum Sachverhalt LG München I, Urteil vom 8. Februar 2017 – 15 O 23907/15 –, juris) entstandene Schäden. Der vorliegende Fall zeichnet sich jedoch dadurch aus, dass die geltend gemachten Schäden nicht unmittelbar aus der Beseitigung eines Kampfmittels, sondern aus der seitens der Beklagten erlassenen Allgemeinverfügung (Betretungsverbot und die dadurch veranlasste Evakuierung) resultierten. Es sprechen rechtliche Gründe dafür, dass wegen dieser Besonderheiten zwischen der in der Allgemeinverfügung enthaltenen und auf Art. 6 LStVG beruhenden Evakuierungsanordnung der Beklagten (und den hierauf beruhenden und von der Klagepartei geltend gemachten Schäden) einerseits und der Kampfmittelbeseitigung (und der Zurverfügungstellung eines vorgehaltenen Kampfmittelbeseitigungsdienstes durch das BayStMI, vgl. hierzu Ziffer 5.1 der Bekanntmachung des BayStMI über die Abwehr von Gefahren durch Kampfmittel vom 15. April 2010) andererseits bei der Klärung der Passivlegitimation hätte differenziert werden müssen. Zwar mag der Freistaat Bayern, soweit die Kampfmittelbeseitigung und die Zurverfügungstellung des Kampfmittelbeseitigungsteams betroffen sind, schon deswegen die gem. Art. 6 LStVG zur Gefahrenabwehr berufene Behörde gewesen sein, weil die Beklagte als örtliche Sicherheitsbehörde hierzu nicht in der Lage gewesen ist. Diese sicherheitsrechtliche Maßnahme und der Umstand, dass der eingeschaltete Kampfmittelräumdienst insoweit als Verwaltungshelfer des Freistaates Bayern tätig gewesen ist, ändern aber nichts daran, dass die Beklagte als örtliche Sicherheitsbehörde im Übrigen die Gefahr abwenden konnte und auch selbst mittels der gegenständlichen Allgemeinverfügung die hierfür erforderlichen Maßnahmen getroffen hat.
20
b) Lässt sich, wie hier, eine materielle Begünstigung eines Hoheitsträgers nicht feststellen, haftet für den hier vor allem von der Klägerin für die Entschädigung herangezogenen Anspruch aus enteignendem Eingriff nicht der Hoheitsträger, der den Eingriff vorgenommen hat, sondern derjenige, dessen Aufgaben wahrgenommen wurden (vgl. Huber/Voßkuhle/Depenheuer/Froese, 8. Aufl. 2024, GG Art. 14 Rn. 503, beck-online). Bei der gegenständlichen Evakuierungsanordnung dürfte es sich um eine Aufgabe der beklagten Gemeinde gehandelt haben, weil diese hiermit eine örtliche Gefahr abwenden wollte (vgl. hierzu auch Ziff. 4.1 der Bekanntmachung des BayStMI über die Abwehr von Gefahren durch Kampfmittel vom 15. April 2010).
21
2. Die Klage ist jedoch wegen ihrer Unschlüssigkeit unbegründet. Nach dem Prozessvortrag der Klägerin stand ihrer Versicherungsnehmerin gegen den Dritten (hier: die Beklagte) im Zeitpunkt der (hier aufgrund der Entschädigungsvereinbarung vom 10. Dezember 2017, vgl. Anlage K 4) vorgenommenen Leistung kein Ersatzanspruch zu (vgl. zu diesem Erfordernis BeckOK VVG/Rust, 24. Ed. 1.8.2024, VVG § 86 Rn. 41, beck-online).
22
Es kommt schon aus diesem Grund hier nicht darauf an, ob der Begründetheit der Klage noch weitere Gründe entgegenstehen. Insbesondere kann es offen bleiben, ob und in welchem Umfang die Klägerin gegenüber ihrer Versicherungsnehmerin (nach dem Tatbestand des angegriffenen Urteils wurde das Betriebsunterbrechungsrisiko der Trägergesellschaft des Krankenhauses in S. versichert) zur Leistung verpflichtet war. Es ist auch nicht entscheidungserheblich, dass der hier klageweise geltend gemachte (und gegebenenfalls mit der Versicherungsleistung kongruente) Ersatzanspruch grundsätzlich unabhängig von einer versicherungsvertraglichen Verpflichtung zur Leistung auf die hier klagende Versicherung übergeht (vgl. BeckOK VVG/Rust, 24. Ed. 1.8.2024, VVG § 86 Rn. 52, beck-online).
23
a) Ein Anspruch gem. Art. 70 Abs. 1 des Bayerischen Polizeiaufgabengesetzes in der Fassung bis zum 24. Mai 2018 (PAG a.F.) i.V.m. Art. 11 des Bayerischen Landesstraf- und Verordnungsgesetzes in der Fassung bis zum 24. Mai 2018 (LStVG a.F.) bestand zugunsten der Versicherungsnehmerin der Klägerin schon deswegen zu keinem Zeitpunkt, weil sich die sicherheitspolizeiliche Maßnahme der Beklagten nicht gegen die Versicherungsnehmerin der Klägerin als „nicht verantwortliche Person“ richtete. Ungeachtet des Umstands, dass die Versicherungsnehmerin der Klägerin wegen der gegenständlichen Allgemeinverfügung faktisch dazu veranlasst war, insbesondere die Evakuierung der im Krankenhaus befindlichen Patienten vorzubereiten und durchzuführen, war sie schon nicht Adressatin der Evakuierungsanordnung. Diese richtete sich vielmehr an alle (natürlichen) Personen, denen der Aufenthalt im Räumbereich untersagt war.
24
b) Es ist auch kein Anspruch gem. Art. 70 Abs. 2 PAG a.F. i.V.m. Art. 11 LStVG a.F. auf die Klägerin übergegangen. Es kann daher dahinstehen, ob die Versicherungsnehmerin der Klägerin in diesem Zusammenhang einen „nicht zumutbaren sonstigen Schaden“ erlitten hat.
25
Aktivlegitimiert ist hiernach nur der Geschädigte, der weder nach Art. 7 PAG als Handlungsstörer oder nach Art. 8 PAG als Zustandsstörer noch nach Art. 10 PAG als Nichtverantwortlicher in Anspruch genommen wurde. Anspruchsberechtigt ist in diesem Fall daher der am Geschehen unbeteiligte Dritte, dessen Schädigung gleichsam als „Kollateralschaden“ einer polizeilichen Maßnahme eintritt (vgl. BeckOK PolR Bayern/Unterreitmeier, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 87 Rn. 52, beck-online). Ein Anspruch gem. Art. 70 Abs. 2 PAG a.F. i.V.m. Art. 11 LStVG a.F. besteht daher dann nicht, wenn der Geschädigte, wie hier, als Inhaber der tatsächlichen Gewalt für den gefahrenträchtigen Zustand der Sache (hier: des Krankenhausgrundstücks) als Zustandsstörer gem. Art. 8 Abs. 1 PAG verantwortlich war. Unerheblich ist es insoweit, dass auch die in M. residierende O. als Körperschaft des Öffentlichen Rechts als Eigentümerin für den Zustand des Grundstücks verantwortlich war (und dass auch gegen diese gem. Art. 8 Abs. 2 PAG sicherheitsrelevante Maßnahmen gerichtet hätten werden können).
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aa) Die Versicherungsnehmerin als Rechtsträgerin des Krankenhauses in S. war bezogen auf das gegenständliche Grundstück, von dem die zu beseitigende Gefahr ausging, Inhaberin der tatsächlichen Gewalt, da sie die tatsächliche Sachherrschaft über und die damit verbundene Einwirkungsmöglichkeit auf die gefährliche oder störende Sache (hier das Grundstück und das dort befindliche Kampfmittel) hatte. Sachherrschaft setzt im vorliegenden Zusammenhang voraus, dass die zwischen der (hier: juristischen) Person und Sache bestehende Beziehung eine gewisse Dauer und Festigkeit hat. Der Sachherr muss Zugang zu der Sache haben und auf sie tatsächlich einwirken können (vgl. BeckOK PolR Bayern/Lindner, 24. Ed. 1.3.2024, PAG Art. 8 Rn. 17, beck-online). So liegt der Fall hier.
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bb) Die öffentlich-rechtliche Zustandsstörereigenschaft der Versicherungsnehmerin der Klägerin und damit ihre sicherheitsrechtliche Verantwortlichkeit für die vom Krankenhausgrundstück ausgehende Gefahr wird hier auch nicht durch das Urteil des Bundesgerichtshofs vom 5. Juli 2019 (Az. V ZR 96/18) in Frage gestellt.
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(1) Zwar scheidet hiernach – in einem anderen Zusammenhang – eine verschuldensunabhängige Haftung eines Grundstückseigentümers oder Grundstücksbesitzers auf der Grundlage einer entsprechenden Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB dann aus, wenn das gegenständliche und von dem Kampfmittel ausgehende Risiko nicht schon in der Nutzung des Grundstücks angelegt war. In diesem Fall wäre es nicht sachgerecht, den Eigentümer oder Besitzer eines Grundstücks für ein „gleichermaßen zufällig und schicksalhaft“ eingetretenes Risiko haften zu lassen und ihn letztlich das als Spätfolge des Zweiten Weltkriegs eingetretene gesamtgesellschaftliche Risiko tragen zu lassen (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2019 – V ZR 96/18 –, Rn. 37 f., juris).
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(2) Allerdings ist es im vorliegenden Fall schon fraglich, ob das gegenständliche Risiko nicht bereits, anders als in dem anders gelagerten Fall des Bundesgerichtshofs, in der Nutzung des Grundstücks angelegt war. Der Bundesgerichtshof stellt in der genannten Entscheidung insbesondere darauf ab, dass der dortige Blindgänger nicht auf dem Grundstück explodiert ist, auf dem er beim Abwurf während des Zweiten Weltkriegs niedergegangen ist.
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(3) Von entscheidungserheblicher Bedeutung ist hier, dass auch der Bundesgerichtshof in dem dort zu prüfenden Kontext die Störereigenschaft der dortigen Beklagten (dort als unmittelbarer Handlungsstörer) nicht in Frage gestellt, sondern ausdrücklich angenommen hat (vgl. BGH, Urteil vom 5. Juli 2019 – V ZR 96/18 –, Rn. 24 ff., juris).
31
(4) Zudem unterscheidet sich die vom Bundesgerichtshof zu entscheidende Frage wesentlich und in unterschiedlicher Hinsicht von der vorliegenden Fallgestaltung. Im Ausgangspunkt stellte sich dort die Frage nach einer zivilrechtlichen Haftung des Störers; die umgekehrte Frage eines Anspruchs des Störers war dort nicht Gegenstand rechtlicher Erörterungen. Während der Bundesgerichtshof unter Berücksichtigung wertender Gesichtspunkte die Frage nach einer Haftung eines Störers für relevante Beeinträchtigungen Dritter zu klären hatte, geht es im vorliegenden Fall um hiervon zu unterscheidende Fragen des öffentlichen Sicherheitsrechts und insoweit insbesondere darum, ob die Versicherungsnehmerin als Störerin ihren eigenen und wegen der von ihr zu verantwortenden Gefahr entstandenen Aufwand/Schaden ausgeglichen bekommt. Die Klagepartei kann daher aus dem Umstand, dass der Bundesgerichtshof in dem von ihr herangezogenen Verfahren aus wertenden Gesichtspunkten eine über den Gesetzeswortlaut hinausgehende Haftung des Störers in entsprechender Anwendung von § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB abgelehnt hat, nichts Günstiges für sich herleiten.
32
(5) Zutreffend ist die eigene Bewertung der Klägerin, dass ihre Versicherungsnehmerin als Inhaberin der tatsächlichen Gewalt jedenfalls „Zustandsstörerin nach Art. 8 Abs. 1 PAG, Art. 9 Abs. 2 Satz 1 LStVG“ war (vgl. Seite 7 der Replik vom 23. November 2022). Ein Anspruch der Versicherungsnehmerin der Klägerin als unbeteiligte Dritte kommt daher nicht in Betracht.
33
Diese Wertung wird auch von der verwaltungsrechtlichen Judikatur getragen. Hiernach ist eine Eigentümerin eines Grundstücks, auf dem eine Weltkriegsbombe gefunden wurde (und das daher geräumt werden musste) „gefahrenabwehrrechtlich als Zustandsstörerin nach § 7 Abs. 2 Nds. SOG (Anm. des Senats: Diese Vorschrift entspricht i.W. Art. 9 LStVG bzw. Art. 8 PAG) für die Beseitigung der von der auf ihrem Grundstück gefundenen Bombe ausgehenden Gefahr verantwortlich“ (vgl. OVG Lüneburg, Urteil vom 28. November 2019 – 11 LC 606/18 –, Rn. 42, juris). Das Bundesverwaltungsgericht hat in der hierauf bezogenen Zurückweisung der gegen die Nichtzulassung der Revision gerichteten Beschwerde ausgeführt, dass die Reichweite der Zustandsverantwortlichkeit eines Grundstückseigentümers für von dem Grundstück ausgehende Störungen oder Gefahren für die öffentliche Sicherheit und Ordnung geklärt sei. Für die Zustandsverantwortlichkeit kommt es hiernach allein auf seine rechtliche oder – wie im vorliegenden Fall – tatsächliche Sachherrschaft über das Grundstück und die sich daraus ergebende Pflicht an, für die Störungsfreiheit zu sorgen. Das Eigentum an einer Sache kann mit Risiken behaftet sein, die sich aus der Sachqualität oder Sachherrschaft als solcher ergeben. Verwirklicht sich ein derartiges Risiko und greift deswegen die polizeiliche Zustandshaftung ein, so kann darin grundsätzlich eine Verletzung der Eigentumsgewährleistung nicht liegen. Weder die Eigentumsgarantie des Art. 14 Abs. 1 Satz 1 GG noch der mit Verfassungsrang ausgestattete Verhältnismäßigkeitsgrundsatz stehen einer Inanspruchnahme des Grundeigentümers entgegen, auch wenn sich seine Sachherrschaft nicht auf eingebrachte Sachen bezieht, von denen die Gefahr ausgeht. Unerheblich ist daher ebenfalls, ob der polizei- und ordnungsrechtswidrige Zustand des Grundstücks durch Dritte oder durch höhere Gewalt herbeigeführt worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Juli 2020 – 6 B 9/20 –, Rn. 9, juris).
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(6) Zusammengefasst bedeutet das hier, dass Art. 9 Abs. 2 LStVG keine Begrenzungen der Zustandsstörerhaftung – weder in zeitlicher noch in inhaltlicher Hinsicht – beinhaltet. Selbst in Fällen, in denen die Gefahrenbeseitigung oder Störungsunterbindung mit erheblichem, finanziellen Aufwand verbunden ist, entfällt die Zustandsverantwortlichkeit und damit die potenzielle Möglichkeit der Inanspruchnahme des Zustandsstörers nicht. Selbst wenn also die Sache durch einen Dritten, eine Naturkatastrophe oder sonst unglückliche oder außergewöhnliche Umstände in den gefährlichen Zustand versetzt worden oder geraten ist, bleiben der Inhaber der tatsächlichen Gewalt sowie der Eigentümer Zustandsstörer (vgl. BeckOK PolR Bayern/Lindner, 24. Ed. 1.3.2024, LStVG Art. 9 Rn. 36, beck-online). Aus diesen Gründen verfängt hier wie auch im Zusammenhang mit einem Anspruch aus einem enteignenden Eingriff (vgl. hierzu die folgenden Ausführungen unter C.II.2.c.) auch die Argumentation der Klägerin nicht, die eine andere Beurteilung aus dem Umstand herleiten will, dass bei ihr infolge der Allgemeinverfügung und der hiermit veranlassten Evakuierung ein außergewöhnlich hoher Schaden eingetreten sei.
35
c) Der Versicherungsnehmerin der Klägerin stand mit Blick auf die Rechtmäßigkeit der seitens der Beklagten angeordneten Maßnahme auch kein Anspruch aus einem enteignenden Eingriff zu.
36
aa) Der enteignende Eingriff stellt einen zwangsweisen staatlichen Zugriff auf das Eigentum dar, der den Betroffenen im Vergleich zu anderen entgegen dem verfassungsrechtlichen Gleichheitssatz ungleich behandelt bzw. trifft und ihn zu einem besonderen, den Übrigen nicht zugemuteten Opfer für die Allgemeinheit zwingt. Da das Sonderopfer nicht – wie beim enteignungsgleichen Eingriff – mit der Rechtswidrigkeit der hoheitlichen Maßnahme begründet werden kann, muss geprüft werden, ob die Einwirkungen auf die Rechtsposition des Betroffenen die Sozialbindungsschwelle überschreiten, also im Verhältnis zu anderen ebenfalls betroffenen Personen eine besondere „Schwere“ aufweisen oder im Verhältnis zu anderen nicht betroffenen Personen einen Gleichheitsverstoß bewirken (vgl. BeckOGK/Thomas, 1.7.2024, BGB § 839 Rn. 1287, beck-online).
37
bb) Der Anspruch aus enteignendem Eingriff wird jedoch, so auch im vorliegenden Fall, durch spezialgesetzliche Ausgleichsregelungen verdrängt (vgl. NK-VwGO/Helge Sodan, 5. Aufl. 2018, VwGO § 40 Rn. 585, beck-online); dies gilt jedenfalls, soweit diese – wie hier – für Störer eine abschließende Regelung beinhalten. Aus dem Regelungskonzept der spezialgesetzlichen Entschädigungsansprüche ergibt sich, dass für die zu beseitigende Gefahr verantwortliche Personen (hier: die Versicherungsnehmerin als Zustandsstörerin) keinen Ersatz für Schäden verlangen können, die bei ihnen eingetreten sind und die aus sicherheitsrechtlichen Maßnahmen resultieren.
38
(1) Spezialgesetzliche Entschädigungsregelungen enthält insbesondere auch das Polizei- und Ordnungsrecht, soweit es um Ansprüche des Nichtstörers oder des unbeteiligten Dritten geht. (vgl. MüKoBGB/Papier/Shirvani, 9. Aufl. 2024, BGB § 839 Rn. 93, beck-online). Art. 87 PAG (bzw. Art. 70 PAG a.F.) gilt sowohl für rechtmäßige als auch für rechtswidrige Maßnahmen. Im Verhältnis zu einem Anspruch aus enteignendem, enteignungsgleichem oder aufopferungsgleichem Eingriff oder aus Aufopferung (§§ 74, 75 EinlPrALR), ist der polizeiliche Entschädigungsanspruch lex specialis (vgl. BHKM BayÖffR, 3. Teil. Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht Rn. 450, beck-online).
39
(2) Lediglich soweit, anders als hier, unbeteiligte Dritte von einer rechtmäßigen Maßnahme einer Behörde betroffen waren, kommt ein Anspruch aus einem enteignenden Eingriff in Betracht (vgl. MüKoBGB/Papier/Shirvani, 9. Aufl. 2024, BGB § 839 Rn. 93, beck-online). Nur in dem Fall, in dem Entschädigungsansprüche für unbeteiligt Betroffene im jeweiligen Polizei- und Sicherheitsrecht nicht geregelt sind (so z.B. in § 80 Nds Polizei- und OrdnungsbehördenG a.F.), hat der Bundesgerichtshof angenommen, dass die landesrechtlichen Entschädigungsansprüche wegen rechtmäßiger polizeilicher Maßnahmen keine abschließende Regelung enthalten. Der Bundesgerichtshof stellt hierbei insbesondere darauf ab, dass der unbeteiligte Dritte (Nichtstörer) durch die Maßnahme ein (im entschiedenen Fall nicht unzumutbares) Sonderopfer erleidet (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2011 – III ZR 174/10 –, Rn. 13 ff., juris).
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Auch die von der Klagepartei (auf Seite 2 des Schriftsatzes vom 20. November 2024) im vorliegenden Zusammenhang (erneut) in der zweiten Instanz angesprochene Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs (Urteil vom 26. Juli 2018, III ZR 391/17, sowie Beschluss vom 14. Dezember 2017, III ZR 48/17) ermöglicht bezogen auf die vorliegende Fallgestaltung keine Beanspruchung der Beklagten auf der Grundlage eines enteignenden Eingriffs. Im Urteil vom 26. Juli 2018, das die Erstattung von passagierbezogenen Zahlungen betraf, die die Klagepartei für die Beförderung von Bundespolizeibeamten als Flugsicherheitsbegleiter an Dritte entrichten musste, erwog der Bundesgerichtshof zwar den allgemeinen Gedanken der Aufopferungsentschädigung. Unabhängig davon, dass der von der Klagepartei zitierte Fall ein anderes Regelungskonzept betraf, stellte der Bundesgerichtshof auf einen Aufopferungsanspruch aber nur ab, wenn eine Person – anders als im vorliegenden Fall – gezielt einer polizeilichen Maßnahme unterworfen wird, die weder das Vorliegen einer konkreten Gefahr noch eine polizeirechtliche Verantwortlichkeit als Störer voraussetzt (vgl. BGH, Urteil vom 26. Juli 2018 – III ZR 391/17 –, Rn. 14, juris). Auch der Beschluss des Bundesgerichtshofs vom 14. Dezember 2017 betraf einen Fall, in dem der erst eine knappe Stunde vor dem Abflug und eine halbe Stunde vor dem Boarding bei der Sicherheitskontrolle eintreffende (und Entschädigung wegen eines dann verpassten Flugs beanspruchende) Passagier kein Störer war (vgl. BGH, Beschluss vom 14. Dezember 2017 – III ZR 48/17 –, Rn. 9, juris).
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(3) Die im Polizei- und Sicherheitsrecht geregelten Entschädigungsansprüche beruhen – wie der Anspruch aus einem enteignenden Eingriff – auf dem Aufopferungsgedanken (vgl. Lisken/ Denninger PolR-HdB, E. Das Handeln von Polizei- und Ordnungsbehörden zur Gefahrenabwehr (Graulich) Rn. 208, beck-online). Art. 70 PAG a.F. beinhaltet auch einen Entschädigungsanspruch für unbeteiligte Dritte und stellte daher eine abschließende Regelung hinsichtlich der Entschädigung von rechtmäßigen Maßnahmen Betroffener dar. Dies gilt jedenfalls, soweit hiernach für Störer ein Entschädigungsanspruch ausgeschlossen ist.
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(4) Art. 9 Abs. 2 LStVG sowie Art. 8 Abs. 1 PAG ermöglichen sicherheitsrechtliche und polizeiliche Maßnahmen gegen den Störer; zugleich sehen die Entschädigungsregeln für eine entsprechende Inanspruchnahme eines Störers keinen Entschädigungsganspruch vor. Dies liegt daran, dass Störer für die zu beseitigende Gefahr verantwortlich sind und dass von ihnen daher kostenpflichtig die Beseitigung der Gefahr verlangt werden kann. Ein Störer erleidet ungeachtet dessen, ob er sicherheitsrechtlich für die Störungsbeseitigung in Anspruch genommen wurde, kein Sonderopfer, das entschädigungsrechtlich (im Rahmen polizeilicher Entschädigungsregeln oder auf der Grundlage des allgemeinen Aufopferungsrechts) ausgeglichen werden müsste (vgl. BeckOK PolR BW/Reinhardt, 32. Ed. 15.3.2024, BWPolG § 9, beck-online, wonach [nur] dem Nichtstörer durch die Inanspruchnahme ein Sonderopfer für die Allgemeinheit abverlangt wird; vgl. hierzu auch Hartmann/Mann/Mehde, Landesrecht Niedersachsen, § 4 Polizei- und Ordnungsrecht Rn. 127, beck-online, sowie Geigel Haftpflichtprozess, Kap. 21 Öffentlichrechtliche Ausgleichsansprüche Rn. 84, beck-online). Es liegt, anders als bei der Inanspruchnahme eines Nichtstörers oder bei der Betroffenheit eines Unbeteiligten, kein gleichheitswidriges und damit unter Umständen entschädigungspflichtiges behördliches Verhalten vor. Der Störer ist verantwortlich für die zu beseitigende Gefahr. Er muss daher im Hinblick auf seine Verantwortlichkeit seine polizeiliche Inanspruchnahme ohne eine Entschädigung hinnehmen (vgl. BGH, Urteil vom 3. März 2011 – III ZR 174/10 –, Rn. 8, juris; vgl. hierzu auch – unter dem Gesichtspunkt eines „Sphärengedankens“ – BGH, Urteil vom 14. März 2013 – III ZR 253/12 –, juris, Rn. 11). Es gilt der Grundsatz, dass der polizeirechtlich Verantwortliche (Störer) keinen Ausgleichsanspruch hat, wenn er durch rechtmäßige Inanspruchnahme einen Schaden erleidet (vgl. Lisken/Denninger PolR-HdB, E. Das Handeln von Polizei- und Ordnungsbehörden zur Gefahrenabwehr (Graulich) Rn. 208, beck-online). Dass die gegenständliche Maßnahme nicht an die Versicherungsnehmerin adressiert war, ändert an dieser Wertung nichts. Sie blieb Störerin, die verantwortlich für den Zustand des Grundstücks war und die unmittelbar hätte in Anspruch genommen werden können. Auch die insoweit abschließende Regelung des Art. 70 PAG a.F. verdeutlicht, dass es für den Ausschluss einer Entschädigung des Störers nicht darauf ankommt, ob dieser in Anspruch genommen wurde. Es wird insoweit lediglich darauf abgestellt, ob er nach den Art. 7 oder Art. 8 PAG „verantwortlich ist“ für die abzuwehrende Gefahr.
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(5) Zusammengefasst gilt daher Folgendes: Mit polizeilichen Maßnahmen sind typischerweise Eingriffe in Rechtsgüter des Bürgers (oder hier eines Unternehmens) verbunden. Solche Eingriffe können zwar zu materiellen und immateriellen Schäden führen. Vom Bundesgerichtshof wird aber angenommen, dass rechtmäßige Maßnahmen vom Störer entschädigungslos hinzunehmen sind. Schließlich hat dieser die Gefahr verursacht (oder sie wird ihm zugerechnet) und damit die schädigende Polizeimaßnahme veranlasst. Die Störereigenschaft ist vom Verschulden unabhängig und sie kann (wie beim Zustandsstörer) alleine durch Eigentum oder Besitz an einer betroffenen Sache vermittelt sein. Es geht um eine gerechte Risiko- und Lastenverteilung. Die von der Allgemeinheit erbrachten Steuergelder sollen nicht herangezogen werden, solange jemand haften kann, der wie ein Störer „näher“ an der Gefahr „dran ist“ (vgl. BHKM BayÖffR, 3. Teil. Bayerisches Polizei- und Sicherheitsrecht Rn. 448, beck-online). Dies gilt – wie ausgeführt – unabhängig davon, ob die Gefahrbeseitigung durch den Zustandsstörer mit einem erheblichen finanziellen Aufwand verbunden ist (vgl. BeckOK PolR Bayern/Lindner, 24. Ed. 1.3.2024, LStVG Art. 9 Rn. 36, beck-online). Da der Versicherungsnehmerin der Klägerin aus den genannten Gründen kein Entschädigungsanspruch aus einem enteignendem Eingriff zusteht, ist die Klage unbegründet.
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I. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 97 ZPO. Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 708 Nr. 10, §§ 709, 711 ZPO.
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II. Der vorliegende Fall bietet keinen Anlass zu einer Revisionszulassung gem. § 543 Abs. 2 ZPO. Die Rechtssache hat schon deswegen keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 543 Abs. 2 Nr. 1 ZPO, weil die hier aufgeworfenen und den enteignenden Eingriff betreffenden Rechtsfragen bereits höchstgerichtlich geklärt sind. Der Bundesgerichtshof hat den auch hier entscheidenden Rechtssatz aufgestellt, dass der für die zu beseitigende Gefahr verantwortliche Störer im Hinblick auf seine Verantwortlichkeit seine polizeiliche Inanspruchnahme ohne eine Entschädigung hinnehmen muss. In der verwaltungsgerichtlichen Judikatur ist zudem geklärt, dass die tatsächliche Sachherrschaft über ein mit einem aus dem Weltkrieg herrührenden Kampfmittel kontaminierten Grundstück die Zustandsstörereigenschaft begründet und eine sicherheitsrechtliche Inanspruchnahme erlaubt. Die im Einzelnen erläuterte Auffassung des Senats wird zudem von der wissenschaftlichen (Kommentar-) Literatur getragen. Eine grundsätzliche Bedeutung ergibt sich auch nicht aus dem Umstand, dass der Bundesgerichtshof in einem anderen Zusammenhang auf ein als Spätfolge des Zweiten Weltkriegs eingetretenes gesamtgesellschaftliches Risiko hinweist. Die eine entsprechende Anwendung des § 906 Abs. 2 Satz 2 BGB betreffenden Erwägungen des Bundesgerichtshofs lassen sich nicht auf die vorliegende und – wie ausgeführt – höchstrichterlich geklärte Fallgestaltung übertragen. Aus den vorgenannten Gründen fehlt es für die rechtliche Beurteilung eines typischen oder jedenfalls verallgemeinerungsfähigen Lebenssachverhalts auch nicht an einer richtungsweisenden Orientierungshilfe (vgl. hierzu BGH, Beschluss vom 9. Juni 2020 – VIII ZR 315/19 –, Rn. 30, juris), weswegen auch unter dem Gesichtspunkt der Fortbildung des Rechts eine Revisionszulassung ausscheidet (vgl. BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, 55. Ed. 1.12.2024, ZPO § 543 Rn. 23, beck-online). Der Senat stellt, wie es sich aus den Gründen dieses Urteils im Einzelnen ergibt, auch keinen abstrakten Rechtssatz auf, der von einem abstrakten Rechtssatz des Bundesgerichtshofs oder eines anderen Oberlandesgerichts abweicht. Eine Revisionszulassung wegen einer etwaigen Divergenz war daher ebenfalls nicht veranlasst (vgl. hierzu BeckOK ZPO/Kessal-Wulf, 55. Ed. 1.12.2024, ZPO § 543 Rn. 26, beck-online).