Inhalt

LG München I, Endurteil v. 04.04.2025 – 23 O 15360/21
Titel:

Darlegungspflichten des Versicherers bei behauptetem Risikoausschluss

Normenketten:
VVG § 100
ZPO § 286
Leitsätze:
1. Da der Versicherer für die subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Risikoausschlusses darlegungs- und beweispflichtig ist, hat er einen Sachverhalt vorzutragen, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zumindest hindeutet. Der  Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien ist dann, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann. (Rn. 31) (redaktioneller Leitsatz)
2. Die im Haftpflichtprozess festgestellte Pflichtverletzung ist für die Deckungsfrage stets bindend und gilt auch, wenn der Haftpflichtprozess nicht durch ein Urteil, sondern durch einen Vergleich beendet wird. (Rn. 29) (redaktioneller Leitsatz)
Der Versicherer ist für die subjektiven Tatbestandsmerkmale eines Risikoausschlusses darlegungs- und beweispflichtig. Er muss daher einen Sachverhalt vortragen, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zumindest hindeutet. Der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien ist dann, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann, entbehrlich. Außerdem hat das LG München I festgestellt, dass die im Haftpflichtprozess festgestellte Pflichtverletzung für die Deckungsfrage stets bindend ist und auch gilt, wenn der Haftpflichtprozess nicht durch ein Urteil, sondern durch einen Vergleich beendet wird. (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Darlegungspflicht, Versicherer, Risikoausschluss, Pflichtverletzung, Bindungswirkung, Haftpflichtprozess
Fundstellen:
BeckRS 2025, 18093
r+s 2025, 697
LSK 2025, 18093

Tenor

1. Die Klage wird abgewiesen.
2. Die Klägerinnen haben die Kosten des Rechtsstreits wie folgt zu tragen:

Die Klägerin zu 1)

zu 28 %,

die Klägerin zu 2)

zu 29,6 %,

die Klägerin zu 3)

zu 2,5 %,

die Klägerin zu 4)

zu 11,3 %,

die Klägerin zu 5)

zu 11,4 %,

die Klägerin zu 6)

zu 8,3 %,

die Klägerin zu 7)

zu 4,7 %,

die Klägerin zu 8)

zu 1,5 %,

die Klägerin zu 9)

zu 0,5 %,

die Klägerin zu 10)

zu 1,0 %,

die Klägerin zu 11)

zu 1,0 % und

die Klägerin zu 12)

zu 0,2 %.

3. Das Urteil ist gegen Sicherheitsleistung in Höhe von 110 % des jeweils zu vollstreckenden Betrages vorläufig vollstreckbar.
Beschluss
Der Streitwert wird auf 42.673.860,12 EUR festgesetzt.

Tatbestand

1
Die Parteien streiten über Ansprüche, die aus einer Berufshaftpflichtversicherung resultieren.
2
Die Beklagte gewährte der Rechtsanwaltskanzlei … (künftig: Versicherungsnehmerin) Versicherungsschutz nach deutschem Recht, für den Fall, dass die Versicherungsnehmerin für einen Vermögensschaden wegen eines Verstoßes verantwortlich gemacht wird, der bei der Ausübung beruflicher Tätigkeit begangen wurde (sogenannte lokale Police). Die Versicherungsscheine und die Allgemeinen Versicherungsbedingungen für die Versicherungsperioden vom 01.05.2005 bis zum 30.04.2008 und vom 01.05.2008 bis zum 30.04.2011 wurden vorgelegt als Anlagen K 1 (Bedingungen: HV 60/02) und K 2 (Bedingungen: HV 60/3). In den Versicherungsbedingungen findet sich unter § 4 Nr. 5 jeweils eine Regelung über den Ausschluss des Versicherungsschutzes bei wissentlichen Pflichtverletzungen.
3
Für Schadensfälle, die nicht unter die lokale Police fallen oder deren Deckungssumme überschreiten, hat die Versicherungsnehmerin ein globales Versicherungsprogramm abgeschlossen, das aus einer Grundpolice und mehreren Exzedentenpolicen besteht (sogenannte globale Police). Versicherer im Rahmen dieser globalen Police sind neben der Beklagten und der …-die Klägerinnen zu 5), 6), 7), 10), 11) und 12) sowie die von den übrigen Klägerinnen vertretenen … auf …. Die vertraglichen Grundlagen zu diesen Versicherungen wurden vorgelegt als Anlagen K 3, K 4 und K 5. Eine Übersicht über die Struktur der globalen Police findet sich in der tabellarischen Aufstellung auf Seite 12 und 13 der Klage.
4
Nach den aufeinander abgestimmten vertraglichen Vereinbarungen geht die lokale Police grundsätzlich der globalen Police vor. Die globalen Versicherer werden allerdings eintrittspflichtig, wenn der lokale Versicherer die Deckung verweigert.
5
In den Geschäftsjahren 2006 bis 2010 beriet die Versicherungsnehmerin die … im Zusammenhang mit sogenannten Cum/Ex-Geschäften. Diese Art von Geschäften haben den Kauf und Verkauf von Aktien börsennotierte Unternehmen um den Dividendenstichtag zum Gegenstand, wobei letztendlich der einzige Zweck dieses Handels darin besteht, dass die nur einmal abgeführte Kapitalertragsteuer (nebst Solidaritätszuschlag) doppelt erstattet wird. Die mehrfache Erstattung der nur einmal abgeführten Steuer ist auch die einzige Möglichkeit, bei diesen Geschäften Gewinn zu generieren, wobei Voraussetzung für die Realisierung dieses Gewinns das kollusive Zusammenwirken scheinbar unabhängig voneinander agierender Marktteilnehmer ist. Der … wurde aufgrund dieser Cum/Ex-Geschäfte in den Jahren 2006 bis 2009 Kapitalertragssteuer und Solidaritätszuschlag in Höhe von 374.105.831,76 EUR angerechnet (vgl Anlage B 162, Seite 36 f.).
6
Einen Hinweis auf das Risiko, dass die mehrfache Erstattung der nur einmal abgeführten Steuer rechtswidrig sein und damit eine Steuerstraftat darstellen kann, enthielten die verschiedenen rechtlichen Stellungnahmen der Versicherungsnehmerin für die … nicht.
7
Die Aufdeckung der Hintergründe der Geschäfte durch die Finanzbehörden führte zu Steuerrückforderungen, welche die Insolvenz der … und ihrer alleinigen Gesellschafterin, der …, zur Folge hatte.
8
Der Insolvenzverwalter der beiden Gesellschaften nahm die Versicherungsnehmerin auf Schadensersatz in Anspruch, da die Berufsträger der Versicherungsnehmerin in ihren zahlreichen Gutachten und Vermerken die unvertretbare Rechtsauffassung vertreten hätten, die Geschäfte der … seien rechtmäßig und führten zu einem Anspruch auf Erstattung der nicht abgeführten Kapitalertragsteuer. Dabei hätten sie gegen ihre Pflichten verstoßen, die zugrunde liegenden Rechtsfragen sorgfältig zu prüfen und die … umfassend über die Rechtslage zu belehren, obwohl sie selbst bereits bei Aufnahme der Beratung konzediert hätten, dass es sich bei der Erstattung von zuvor nicht abgeführter Kapitalertragsteuer um ein dem Gesetz zuwiderlaufendes bzw. systemwidriges Ergebnis handle. Die Berufsträger der Versicherungsnehmerin hätten teilweise gar nicht und im Übrigen nur unzureichend auf die erkennbaren Risiken hingewiesen und nicht dazu beraten, wie sich diese durch die Einholung einer verbindlichen Auskunft des Finanzamtes hätten vermeiden bzw. durch die Offenlegung des vollständig Sachverhalts im Rahmen der Steuererklärungen hätten begrenzen lassen können. Die Klage des Insolvenzverwalters vom 14.11.2018 wurde vorgelegt als Anlage K 6. Das Verfahren endete mit einem Vergleich, in dem sich die Versicherungsnehmerin verpflichtete, zur Abgeltung der durch die fehlerhafte Beratung entstandenen Schäden einen Betrag von 50 Millionen EUR zu zahlen. Der Vergleichsschluss erfolgte mit Zustimmung der Beklagten und der Klägerinnen.
9
Mit Schreiben vom 22.11.2019 (Anlage K 9) verweigerte die Beklagte die Deckung unter der lokalen Police, weil eine wissentliche Pflichtverletzung vorliege. Die Vergleichssumme und die Rechtsverteidigungskosten der Versicherungsnehmerin wurden deshalb durch die globalen Versicherer getragen. Die Beklagte soll den Klägerinnen nunmehr hinsichtlich der von ihnen erbrachten Versicherungsleistungen den auf die lokale Police entfallenden Anteil erstatten, wobei die Klägerinnen entsprechend den Versicherungsjahren Schadensfälle gebildet und deren Quote am geltend gemachten Gesamtschaden auf den Vergleichsbetrag umgelegt haben. Unter Berücksichtigung der jeweiligen Deckungssummen und Stufen der Eintrittspflicht haben die Klägerinnen die Beträge ermittelt, welche die Beklagte ihnen ihres Erachtens zu zahlen hat. Die detaillierte Berechnung der Klägerinnen wurde vorgelegt als Anlage K 8.
10
Am 19.11.2021 hat die Versicherungsnehmerin ihre Ansprüche gegen die Beklagte aus der lokalen Police an die Klägerinnen abgetreten (Anlage K 13).
11
Der für die Versicherungsnehmerin als Berater der …tätige Rechtsanwalt … wurde durch Urteil des Landgerichts Frankfurt am Main vom 30.01.2024 wegen Beihilfe zur Steuerhinterziehung in vier Fällen zu einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren und sechs Monaten verurteilt. Eine gekürzte und anonymisierte Fassung des Urteils, in dem der Rechtsanwalt als . bezeichnet wird, wurde vorgelegt als Anlage B 162.
12
Die Parteien streiten im Wesentlichen darüber, ob die Klage der Klägerinnen zu 1), 2), 3), 4), 8) und 9), die als sogenannte Managing Agents für die nicht rechtsfähigen …-auftreten, zulässig ist, und ob der Ausschlussgrund einer wissentlichen Pflichtverletzung vorliegt.
13
Die Klägerinnen sind der Meinung, ihnen stehe ein Ausgleichsanspruch gegen die Beklagte nach englischem Recht zu. Hilfsweise gehen die Klägerinnen aus den von der Versicherungsnehmerin abgetretenen Ansprüchen vor.
14
Die für die … handelnden Klägerinnen halten sich für zur Prozessführung berechtigt aufgrund der Befugnisse und Vollmachten, die sich aus dem Standardvertrag für den Beitritt zu einem Syndikat ergeben (Anlage K 19). Alle Klägerinnen sind der Meinung, es liege keine wissentliche Pflichtverletzung vor. Die Abgabe der Steuererklärungen und die Untersuchung, welche Tatsachen hierbei gegenüber dem Finanzamt offenzulegen seien, habe nicht zum Prüfungsumfang der Gutachten des Rechtsanwalts … . … gehört. Es habe also kein Anlass bestanden, in die Gutachten ein Hinweis aufzunehmen, dass die Geltendmachung einer Steueranrechnung unter Täuschung der Finanzbehörden eine Steuerhinterziehung darstellen könnte. Nach den Feststellungen des Strafgerichts habe es der Rechtsanwalt zwar für möglich gehalten, dass die objektiven Tatbestandsmerkmale der Steuerhinterziehung erfüllt sein würden. Eine sichere Kenntnis habe aber nicht gehabt. Es gebe keinen Beweis dafür, dass der Rechtsanwalt den Risikohinweis bewusst unterlassen habe. Auch spreche das gesamte Nachtatverhalten dafür, dass er sich lange Zeit des Risikos einer Steuerhinterziehung nicht bewusst war bzw. dieses nicht wahrhaben wollte. Insbesondere hätte er kaum zur Einlegung des Einspruchs und Durchführung des Einspruchsverfahrens geraten und damit das Entdeckungsrisiko erhöht, wenn er sich des Vorliegens einer Steuerhinterziehung bewusst gewesen wäre.
15
Die Klägerinnen beantragen:
I.
1.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1 EUR 4.017.305,88 und EUR 20.065,46 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
2.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2 EUR 12.607.332,84 und EUR 62.970,56 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
3.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 3 EUR 1.054.830,92 und EUR 5.268,62 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
4.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 4 EUR 4.805.340,88 und EUR 24.001,51 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
5.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 5 EUR 4.851.252,00 und EUR 24.230,82 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
6.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 6 EUR 3.515.400,00 und EUR 17.558,57 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
7.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 7 EUR 1.976.838,54 und EUR 9.873,82 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
8.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 8 EUR 656.170,62 und EUR 3.277,41 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
9.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 9 EUR 218.723,54 und EUR 1.092,47 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
10.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 10 EUR 438.032,96 und EUR 2.187,87 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
11.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 11 EUR 438.277,07 und EUR 2.189,09 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
12.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 12 EUR 73.191,11 und EUR 365,57 nebst jeweils Zinsen hieraus zu einem Zinssatz im Ermessen des Gerichts seit dem 3. Dezember 2019 zu zahlen;
II.
Hilfsweise:
1.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 1 EUR 4.017.305,88 und EUR 20.065,46 und EUR 7.873.194,53 und EUR 37.858,12 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
2.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 2 EUR 12.607.332,84 und EUR 62.970,56 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
3.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 3 EUR 1.054.830,92 und EUR 5.268,62 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
4.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 4 EUR 4.805.340,88 und EUR 24.001,51 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
5.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 5 EUR 4.851.252,00 und EUR 24.230,82 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
6.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 6 EUR 3.515.400,00 und EUR 17.558,57 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
7.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 7 EUR 1.976.838,54 und EUR 9.873,82 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
8.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 8 EUR 656.170,62 und EUR 3.277,41 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
9.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 9 EUR 218.723,54 und EUR 1.092,47 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
10.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 10 EUR 438.032,96 und EUR 2.187,87 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
11.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 11 EUR 438.277,07 und EUR 2.189,09 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen;
12.
die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin zu 12 EUR 73.191,11 und EUR 365,57 nebst jeweils Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit dem 23. November 2019 zu zahlen.
16
Die Beklagte beantragt,
die Klage abzuweisen.
17
Die Beklagte ist der Meinung, die Vorlage eines Musters des Vertrages mit den Managing Agents (Anlage K 19) sei für den Nachweis einer gewillkürten Prozessstandschaft nicht ausreichend. Zur Frage des Anspruchsausschlusses vertritt die Beklagte die Auffassung, die rechtliche Beratung durch die Versicherungsnehmerin sei nicht nur objektiv grob fehlerhaft, sondern auch wissentlich falsch gewesen. Rechtsfragen seien falsch beantwortet worden, um das interessengeleitete Ergebnis zu finden, die … sei zur Erstattung der Kapitalertragsteuer berechtigt. Der zugrunde liegende Sachverhalt sei zunächst konstruiert und später nur noch verkürzt dargestellt worden mit dem Ziel, die mit dem Handelsgeschäft bezweckte doppelte Anrechnung der Kapitalertragsteuer für den Leser zu verschleiern. Auf die Bewertung des Vorsatzes durch das Strafgericht komme es nicht an. Bezugspunkt des Vorwurfes der wissentlichen Pflichtverletzung seien die beruflichen Pflichten, nicht die Verwirklichung von Steuerstraftatbeständen.
18
Wegen der Einzelheiten des Sach- und Streitstandes wird auf die Schriftsätze der Parteien und das Protokoll der mündlichen Verhandlung verwiesen.

Entscheidungsgründe

I.
19
Die zulässige Klage ist unbegründet.
20
1. Die Klage ist zulässig.
21
a) Das Landgericht München I ist gemäß §§ 23 Nr. 1, 71 Abs. 1 GVG sachlich und gemäß §§ 12, 17 Abs. 1 ZPO international und örtlich zuständig.
22
b) Die Klägerinnen zu 1), 2), 3), 4), 8) und 9) sind aufgrund einer gewillkürten Prozessstandschaft befugt, die Ansprüche der Lloyd's auf London Syndikate, für die sie handeln, gerichtlich geltend zu machen.
23
Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass die jeweiligen Mitglieder der Syndikate anlässlich ihres Beitritts einen Vertrag unterzeichnen müssen, der dem von den Klägerinnen als Anlage K 19 vorgelegten Muster entspricht. Insbesondere aus der Regelung unter Nr. 5 q) ergibt sich, dass der bevollmächtigte Managing Agent berechtigt sein soll, gerichtliche Verfahren einzuleiten.
24
Die gewillkürte Prozessstandschaft ist auch zulässig. Die hier als Klägerinnen auftretenden Managing Agents haben aufgrund der von ihnen gegenüber den Syndikatsmitgliedern übernommenen Verpflichtungen (Anlage K 19 unter Nr. 4) und ihres Anspruches auf Vergütung (Anlage K 19 unter Nr. 6) ein schutzwürdiges Interesse an der Prozessführung im eigenen Namen. Durch die Prozessstandschaft wird die Beklagte auch nicht unangemessen benachteiligt. So sind Kostenerstattungsansprüche der Beklagten durch die von den Klägerinnen geleistete Sicherheit (vgl. Bl. 53 bis 57 d. A.) nicht gefährdet, wobei auch eine solche Gefährdung der Zulässigkeit der Prozessstandschaft nicht zwingend entgegenstehen würde (vgl. Althammer in: Zöller, Zivilprozessordnung, 35. Auflage 2024, Vorbemerkungen zu §§ 50 – 58 Rn. 40).
25
2. Die Klage ist unbegründet. Der Versicherungsschutz ist ausgeschlossen, da der Schaden durch eine wissentliche Pflichtverletzung im Sinne des § 4 Nr. 5 der HV 60/02 (Anlage K 1) und der HV 60/03 (Anlage K 2) verursacht wurde.
26
a. Es kann offenbleiben, ob den Klägerinnen der von ihnen konstruierte Ausgleichsanspruch nach englischem Recht zusteht oder sie nur den von der Versicherungsnehmerin abgetretenen Anspruch geltend machen können. Nach der zutreffenden Auffassung der Klägerinnen würde auch ein etwaiger Ausgleichsanspruch davon abhängen, dass die Beklagte nach den Bedingungen der lokalen Police eintrittspflichtig ist. Der genannte Ausschlusstatbestand macht daher die Klage sowohl hinsichtlich der Haupt-, als auch der Hilfsanträge unbegründet.
27
b. Der beratende Rechtsanwalt der Versicherungsnehmerin, … hat hier zumindest die Pflicht verletzt, auf das Risiko hinzuweisen, dass die mehrfache Erstattung der nur einmal abgeführten Kapitalertragsteuer rechtswidrig sein und damit eine Steuerstraftat darstellen kann.
28
(1) Die Kammer teilt nicht die Sichtweise der Klägerinnen, diese Pflicht habe gar nicht bestanden, weil die Abgabe der Steuererklärung sowie die Untersuchung, welche Tatsachen hierbei gegenüber dem Finanzamt offenzulegen seien, nicht zum Prüfungsumfang der Gutachten gehört habe. Abgesehen davon, dass diese Sichtweise sich den Vorhalt gefallen lassen muss, worin denn dann überhaupt eine haftungsbegründende Pflichtverletzung bestehen soll, drehte sich die gesamte Rechtsberatung über mehrere Jahre zentral um die steuerrechtliche Bewertung der Geschäfte. Vor diesem Hintergrund wäre es eine künstliche Aufspaltung eines einheitlichen Lebenssachverhalts, die Pflicht zur Erteilung eines entsprechenden Risikohinweises deshalb zu verneinen, weil der beratende Rechtsanwalt nicht mit der Fertigung der Steuererklärung selbst oder der Beratung hierzu beauftragt war.
29
Die Verletzung einer entsprechenden Pflicht ergibt sich außerdem auch aus der Bindungswirkung des Haftpflichtprozesses. Der Insolvenzverwalter der … und ihrer Gesellschafterin stützte seinen Anspruch in dem Haftpflichtprozess gegen die Versicherungsnehmerin auch auf den Vorwurf, die Berufsträger der Versicherungsnehmerin hätten teilweise gar nicht und im Übrigen nur unzureichend auf die erkennbaren Risiken hingewiesen (vergleiche Anlage K 6, Seite 11). Die im Haftpflichtprozess festgestellte Pflichtverletzung ist für die Deckungsfrage stets bindend (Prölss/Martin/Lücke VVG § 100 Rn. 62). Dabei gilt die Bindungswirkung auch, wenn der Haftpflichtprozess nicht durch ein Urteil, sondern durch einen Vergleich beendet wird, da sich die Bindung nicht aus der Rechtskraft einer Verurteilung herleitet, sondern aus dem materiellen Leistungsversprechen des Versicherers einerseits und andererseits aus der Obliegenheit des Versicherungsnehmers, den Prozess nach den Weisungen des Versicherers zu führen (vgl. OLG Düsseldorf, Urteil vom 30.01.2001 – 4 U 138/00). Die zuletzt genannte Obliegenheit ergibt sich hier aus § 5 Abs. 3 HV 60/02 und § 5 Abs. 2 HV 60/03.
30
(2) Diese Pflicht wurde auch wissentlich verletzt.
31
(a) Wissentlich handelt derjenige Versicherungsnehmer, der die verletzten Pflichten positiv kennt. Bedingter Vorsatz, bei dem er die in Rede stehende Verpflichtung nur für möglich hält, reicht dafür ebenso wenig aus wie eine fahrlässige Unkenntnis. Es muss vielmehr feststehen, dass der Versicherte die Pflichten zutreffend gesehen hat (BGH, Urteil vom 28. September 2005 – IV ZR 255/04 Rn 26 – juris). Dabei ist der Versicherer, hier also die Beklagte, für die subjektiven Tatbestandsmerkmale des Risikoausschlusses darlegungs- und beweispflichtig (BGH, Urteil vom 17. Dezember 2014 – IV ZR 90/13 Rn. 16 – juris). Aus der grundsätzlichen Darlegungs- und Beweislast des Versicherers folgt, dass dieser zunächst einen Sachverhalt vorzutragen hat, der auf eine Wissentlichkeit der Pflichtverletzung des Versicherungsnehmers zumindest hindeutet. Dabei wird der Vortrag weiterer zusätzlicher Indizien dann entbehrlich sein, wenn es sich um die Verletzung elementarer beruflicher Pflichten handelt, deren Kenntnis nach der Lebenserfahrung bei jedem Berufsangehörigen vorausgesetzt werden kann (BGH a.a.O. Rn. 20 – juris).
32
(b) Hier stellt der unstreitig unterlassene Risikohinweis die Verletzung einer elementaren beruflicher Pflicht dar.
33
Maßgeblich hierfür ist, dass Gegenstand der Beratung nicht ein Marktgeschehen war, bei dem es zufällig zu einer Steuererstattung kam, die zu einem Steuerausfall führte. Vielmehr war das Handeln aller Beteiligter zielgerichtet darauf angelegt, durch ein kollusives Zusammenwirken einen Gewinn zu generieren, der sich nur aus der mehrfachen Erstattung der nur einmal abgeführten Kapitalertragsteuer ergab.
34
Dabei war der wirtschaftliche und tatsächliche Hintergrund der Geschäfte dem beratenden Rechtsanwalt von Anfang an bekannt. In der Zusammenfassung des ersten Gesprächs zwischen Mitarbeitern der … und dem Rechtsanwalt … vor dem ersten Gutachtensauftrag wird ausgeführt (Klageerwiderung Rn. 153, Bl. 130 f. d.A.) :
„(…) Im Ergebnis wirkt sich das Geschäft dahingehend aus, dass die … einen Anspruch auf Erstattung von Kapitalertragsteuer hätte, die in Wirklichkeit niemals einbehalten und an die deutschen Finanzbehörden abgeführt wurde .“
35
Alle Beteiligten wussten also von Anfang an um die Zielrichtung des Geschäfts. Konsequenterweise hat auch das Landgericht Frankfurt am Main der strafrechtlichen Verurteilung vom 30.01.2024 die Feststellung zugrunde gelegt, dem beratenden Rechtsanwalt sei die Geschäftsstrategie und insbesondere der Umstand bekannt gewesen, dass Handelsgeschäfte durchgeführt werden sollten, die vorher abgesprochen waren (vgl. Anlage B 162, Seite 67 ff., 99 ff., 118 f. und 130).
36
In der Gesprächszusammenfassung heißt es unmittelbar im Anschluss an die zitierte Stelle:
„ … stimmte zu, dass die Struktur intuitiv ein ungutes Gefühl hervorrufe, als ob auf betrügerische Weise Steuern zurückfordern würde. In Wirklichkeit sei dies nicht der Fall. Der Anspruch der … auf Erstattung der Kapitalertragsteuer sei nach deutschem Steuerrecht vorgesehen. (…)“
37
Naturgemäß ist die Erstattung einer Steuer, die gar nicht abgeführt wurde, im deutschen Steuerrecht weder grundsätzlich, noch in diesem besonderen Fall vorgesehen. Dementsprechend haben auch weder der beratende Rechtsanwalt … noch die Klägerinnen ein entsprechendes Beispiel hierfür benennen können.
38
Vor diesem Hintergrund stellt der fehlende Hinweis, dass die Finanzbehörden bei Kenntnis des wahren Sachverhalts die Steuererstattung als rechtswidrig und Steuerstraftat bewerten könnten, die Verletzung einer elementaren Berufspflicht dar.
39
Die Verletzung einer solchen elementaren Berufspflicht indiziert die Wissentlichkeit der Begehung. Die von den Klägerinnen vorgebrachten Gesichtspunkte rechtfertigen keine andere Bewertung.
40
Verfehlt ist jedenfalls die Erwägung, dass die Schaffung eines neuen gesetzlichen Einkunftstatbestandes mit Wirkung zum 01.01.2007 (vgl. hierzu Anlage B 162, Seite 16 ff), welcher den nicht unbemerkt gebliebenen Steuerausfällen entgegenwirken sollte, gerade die Zulässigkeit des bisherigen Handelns zeige. Dabei wird nämlich völlig ausgeblendet, dass die Neuregelung auf der Annahme beruhte, bei der Erstattung nicht eingenommener Kapitalertragsteuer handle es sich um einen zufälligen Effekt eines regulären Marktgeschehens, während tatsächlich ein Handeln aufgrund eines gemeinsamen Tatplanes vorlag. Konsequenterweise wurde sowohl im Jahr 2007, als auch in den Folgezeiträumen die Tätigkeit nur geringfügig angepasst, um nach den jeweiligen Gegebenheiten weiterhin unberechtigt Kapitalertragsteuer erstattet zu bekommen.
41
Auch dem von den Klägerinnen geltend gemachten Nachtatverhalten des Rechtsanwalts kommt keine relevante Bedeutung zu. Die Klägerinnen argumentieren im Wesentlichen damit, dass der Rechtsanwalt im Jahr 2011 kaum zum Einspruch gegen Abänderungsbescheide geraten hätte, in denen die Anrechnung der Steuer nachträglich teilweise versagt worden sei, obwohl dadurch das Entdeckungsrisiko hinsichtlich der nicht geänderten Anrechnung erhöht wurde.
42
Maßgeblich ist nach der Überzeugung der Kammer aber vielmehr, dass der beratende Rechtsanwalt in den von ihm gefertigten Gutachten während der laufenden Beratung entgegen besseren Wissens den Sachverhalt verfälscht und verkürzt dargestellt hat, indem insbesondere die Tatsache einer Absprache zwischen den Beteiligten entweder in Abrede gestellt oder verschwiegen wurde. Demgegenüber lässt sich das Nachtatverhalten zwanglos damit erklären, dass der Rechtsanwalt eine Entdeckung für ausgeschlossen hielt. Dafür spricht beispielhaft eine E-Mail-Nachricht des … vom 02.02.2007, in der er erklärt, er sehe die Chancen bei unter 50 %, dass der … die Anrechnung der Kapitalertragssteuer gewährt werde, wenn ein Betriebsprüfer den § 36 EStG, der unter anderem die Anrechnung der durch Steuerabzug erhobenen Steuer regelt, wortlautgetreu anwende. Sodann folgt wörtlich: „Bei Börsengeschäften wird ein BP natürlich nie rauskriegen, dass keine KEST einbehalten wurde.“ (Anlage K 15; vgl. auch Anlage B 162, Seite 24). Hierdurch wird mehr als deutlich, dass der Rechtsanwalt keine Entdeckung befürchtete. Zwar fügt er dann noch an, dies könne kein Argument sein. Diese Ergänzung spielt aber für seine dokumentierte Einschätzung des Entdeckungsrisikos keine Rolle.
43
(c) Die wissentliche Pflichtverletzung hat den Schaden auch verursacht. Es liegt auf der Hand, dass sich die Verantwortlichen der … bei einem Hinweis auf mögliche strafrechtliche Konsequenzen anders verhalten hätten. Schon aus der Zusammenfassung der ersten Besprechung ergibt sich, dass diese vor den ersten Cum/Ex-Geschäften skeptisch waren und diese intuitiv richtig als Steuerhinterziehung einordneten. Diese Bedenken wurden erst durch den Rechtsanwalt … . … zerstreut. Die Beklagte hat auch unwidersprochen darauf hingewiesen, dass die Verantwortlichen der … nach den internen Vorgaben nicht befugt gewesen wären, die Geschäfte zu tätigen, wenn die Versicherungsnehmerin auf das Risiko einer Steuerstraftat hingewiesen hätte.
44
(d) Es kann offenbleiben, ob neben der wissentlichen Pflichtverletzung weitere, nicht wissentliche Pflichtverletzungen begangen wurden, die möglicherweise auch zur Schadensentstehung beigetragen haben. Der Deckungsausschluss für eine Schadensverursachung durch wissentliche Pflichtverletzung greift auch in diesem Fall (BGH, Beschluss vom 27.05.2015 – IV ZR 322/14).
II.
45
Die Kostenentscheidung folgt aus §§ 91 Abs. 1, 100 Abs. 2 ZPO. Da die von den Klägerinnen geltend gemachten Forderungen erheblich voneinander abweichen, hat die Kammer ihr Ermessen dahingehend ausgeübt, von einer Kostenerstattung nach Kopfteilen abzusehen und stattdessen eine quotale Kostenerstattung anzuordnen, bei der die einzelnen Klageanträge jeweils ins Verhältnis zur Summe dieser Anträge gesetzt werden. Maßgeblich waren hierbei die Hilfsanträge, weil diese, hinsichtlich der Klägerin zu 1), über die Hauptanträge hinausgehen.
III.
46
Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 709 S. 1 und 2 ZPO.
IV.
47
Die Streitwertfestsetzung beruht auf §§ 48 Abs. 1 S. 1, 43 Abs. 1, 45 Abs. 1 S. 2 und 3 GKG, § 3 ZPO. Maßgeblich sind die Hilfsanträge, da diese über die Hauptanträge hinausgehen.