Inhalt

VG München, Urteil v. 25.06.2025 – M 8 K 24.1555
Titel:

Zwangsgeldandrohung, (Fehlende) Vollstreckbarkeit des Grundverwaltungsaktes, Nutzungsuntersagung, Formelle Illegalität, Ermessen, Offensichtliche Genehmigungsfähigkeit (verneint)

Normenketten:
VwZVG Art. 19 Abs. 1
VwZVG Art. 36
BayBO Art. 76 S. 2
Schlagworte:
Zwangsgeldandrohung, (Fehlende) Vollstreckbarkeit des Grundverwaltungsaktes, Nutzungsuntersagung, Formelle Illegalität, Ermessen, Offensichtliche Genehmigungsfähigkeit (verneint)
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17948

Tenor

I. Ziffer 2. des Bescheids der Beklagten vom 10. August 2023, Az. *********************, wird aufgehoben. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die Kosten des Verfahrens werden gegeneinander aufgehoben.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.

Tatbestand

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Die Klägerin wendet sich mit ihrer Klage gegen eine ihr gegenüber mit Bescheid vom 10. August 2023 ergangene Nutzungsuntersagung und Zwangsgeldandrohung.
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Die Klägerin betreibt auf dem Grundstück FlNr. … Gemarkung …, G. str. 25 („Vorhabengrundstück“) in den Räumen im Erdgeschoss eine Ferienwohnung. Eine Genehmigung zur Nutzung als Ferienwohnung besitzt die Klägerin nicht. Vielmehr ist nach der letzten Baugenehmigung in den Räumlichkeiten im Erdgeschoss eine Büronutzung genehmigt.
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Nachdem die Klägerin bei der Beklagten zunächst einen Bauantrag auf Genehmigung der Nutzungsänderung der Räume von einer Büronutzung hin zu einer Nutzung als Ferienwohnung beantragt hatte, zog sie diesen mit Schreiben vom 17. Februar 2023 wieder zurück. Im Anschluss daran wurde der Klägerin mit Schreiben der Beklagten vom 17. März 2023 mittgeteilt, dass die Beklagte von einer nicht genehmigten Nutzung ausgehe und daher mit einer Nutzungsuntersagung zu rechnen sei. In diesem Schreiben gab die Beklagte der Klägerin die Möglichkeit zu dem Sachverhalt Stellung zu nehmen.
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Nachdem die Klägerin zunächst mit E-Mail vom 5. April 2023 um Verlängerung der Frist zur Stellungnahme bis 20. April 2023 gebeten hatte, die ihr auch gewährt wurde, äußerte sie sich daraufhin mit E-Mail vom 20. April dahingehend, dass sie die Nutzung bis 15. Oktober 2023 einstellen werde. Eine frühere Einstellung sei ihr wirtschaftlich nicht zumutbar, da sie bis dahin noch laufenden Buchungen habe und sich im Fall einer früheren Betriebseinstellung den Gästen gegenüber schadensersatzpflichtig mache.
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Daraufhin erließ die Beklagte am 10. August 2023 folgenden Bescheid:
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„1. Die Nutzung der Räumlichkeiten im EG der G. str. 25 FlurNr. … als Beherbergungsbetrieb ist unverzüglich, spätestens bis 15.10.2023 aufzugeben und in Zukunft zu unterlassen.
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2. Für den Fall der nicht fristgerechten Erfüllung der Verpflichtung unter Ziffer 1 dieser Verfügung wird ein Zwangsgeld in Höhe von 20.000,- EUR angedroht.“
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Dies begründete die Beklagte damit, dass für die Nutzung als Ferienwohnung keine Genehmigung vorliege. Die formelle Illegalität genüge bereits für den Erlass einer Nutzungsuntersagung. Zudem führte sie aus, dass das Vorhaben auch materiell im Widerspruch zu öffentlich-rechtlichen Vorschriften stehe. Die nähere Umgebung des Vorhabengrundstücks nähere sich an ein allgemeines Wohngebiet an. Der Betrieb füge sich dort nicht ein. Insbesondere sei er wegen der 24-stündigen Betriebszeit und der sich daraus ergebenden Lärmproblematik rücksichtslos gegenüber der umliegenden Wohnbebauung.
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Gegen diesen Bescheid ließ die Klägerin durch ihren Bevollmächtigten Klage erheben und beantragt,
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Der Bescheid (Verfügung) der Beklagten vom 10.08.2023, Az. … wird aufgehoben.
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Die Nutzung als Ferienwohnung sei zwar formell baurechtswidrig, materiell jedoch offensichtlich genehmigungsfähig. Es handle sich um eine Ferienwohnung im Sinne von § 13a BauNVO. Die nähere Umgebung der G. st. 25 sei als Mischgebiet im Sinne von § 6 BauNVO zu bewerten. In einem Mischgebiet sei eine Nutzung als Ferienwohnung gemäß § 13a BauNVO i.V.m. § 6 Abs. 2 Nr. 4 BauNVO allgemein zulässig. Zudem leide die Nutzungsuntersagung an einem Ermessensfehler. Die Beklagte habe die Nutzungsuntersagung nämlich nicht nur mit der formellen Illegalität und der fehlenden Offensichtlichkeit begründet, sondern auch eine (fehlerhafte) materielle Prüfung der Genehmigungsfähigkeit angestellt. Die Beklagte dürfe sich auch nicht auf eine Offensichtlichkeitsprüfung beschränken. In der Zwischenzeit sei ein neuer Bauantrag gestellt worden sei. Der Bauantrag sei entscheidungsreif und die Beklagte habe genügend Zeit gehabt diesen zutreffend zu bescheiden.
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Die Beklagte beantragt
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Klageabweisung.
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Die Nutzung als Ferienwohnung sei formell baurechtswidrig, eine Genehmigung liege nicht vor. Die Nutzungsuntersagung leide auch nicht an Ermessensfehlern. Es sei im Rahmen einer Nutzungsuntersagung grundsätzlich nicht notwendig die materielle Genehmigungsfähigkeit zu überprüfen. Vielmehr genüge es, wenn eine Offensichtlichkeitsprüfung stattfinde. Vorliegend sei das Vorhaben nicht offensichtlich genehmigungsfähig. An der Genehmigungsfähigkeit fehle es schon dann, wenn erst noch durch eine Ortsbegehung der Gebietscharakter ermittelt werden müsse. Außerdem sei der von der Klägerin eingereichte Bauantrag am 22. April 2022 bereits abgelehnt worden. Auch die Zwangsgeldandrohung sei rechtmäßig. Das Zwangsgeld stelle das mildeste Mittel dar, sei verhältnismäßig und halte sich der Höhe nach in dem vorgegebenen Rahmen. Auch sei eine ausreichende Frist gesetzt worden.
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Mit Beschluss vom 3. Juni 2025 wurde der Rechtsstreit zur Entscheidung auf den Einzelrichter übertragen.
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In der mündlichen Verhandlung am 23. Juni 2025 stellte der Bevollmächtigte der Klägerin folgenden unbedingten Beweisantrag:
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Es wird beantragt, gerichtlicher Augenschein zum Beweis der Tatsache, dass es sich bei der näheren Umgebung der G. str. 25 um ein Mischgebiet im Sinne der Baunutzungsverordnung handelt.
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Nachdem der Beklagten die Gelegenheit zur Stellungnahme gewährt worden war, lehnte das Gericht den Beweisantrag ab und begründete dies mit der fehlenden Entscheidungserheblichkeit der unter Beweis gestellten Tatsache. Für die Entscheidung genüge es bereits, wenn die ausgeübte Nutzung nicht offensichtlich genehmigungsfähig sei.
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Zu den Einzelheiten der mündlichen Verhandlung wird auf das Protokoll hierzu Bezug genommen. Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts und dem übrigen Vortrag der Beteiligten wird auf die Gerichtsakte und auf die vorgelegten Behördenakten Bezug genommen.

Entscheidungsgründe

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Die zulässige Klage ist nur im tenorierten Umfang begründet. Ziffer 2. des Bescheids vom 10. August 2023 ist rechtswidrig und verletzt die Klägerin in ihren Rechten. Im Übrigen ist der Bescheid rechtmäßig und verletzt die Klägerin nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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1. Die in Ziffer 2. des Bescheids vom 10. August 2023 enthaltene Zwangsgeldandrohung ist rechtswidrig, da die Nutzungsuntersagung (also der zu vollstreckende Grundverwaltungsakt) weder bei Erlass der Zwangsgeldandrohung, noch zu irgendeinem Zeitpunkt danach vollstreckbar gemäß Art. 19 Abs. 1 VwZVG war.
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1.1 Gemäß Art. 36 Abs. 1 Satz 1 VwZVG sind Zwangsmittel vor ihrer Anwendung schriftlich anzudrohen. Dabei setzt die Androhung von Zwangsmitteln unter anderem voraus, dass der zu vollstreckende Grundverwaltungsakt nach Art. 19 Abs. 1 VwZVG wirksam und vollstreckbar ist. Bei der Androhung von Zwangsgeldern – wie im vorliegenden Fall – ist dabei anerkannt, dass die Vollstreckbarkeit des Grundverwaltungsakts bei Beginn und während des Laufs der Erfüllungsfrist, oder wenn es eine solche nicht gibt, bereits bei Erlass der Zwangsgeldandrohung vorliegen muss (vgl. BayVGH, B.v. 11.7.2001 – 1 ZB 01.1255 – juris Rn. 14 f; Wernsmann in: Wernsmann, Bayerisches Verwaltungszustellungs- und Vollstreckungsgesetz: VwZVG, 1. Auflage 2020, Art. 36 Rn. 12). Gemäß Art. 19 Abs. 1 VwZVG ist ein Verwaltungsakt vollstreckbar, wenn er nicht mehr mit einem förmlichen Rechtsbehelf angefochten werden kann (§ 74 VwGO), wenn der förmliche Rechtsbehelf keine aufschiebende Wirkung hat (§ 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO) oder wenn die sofortige Vollziehung (§ 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO) angeordnet ist.
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1.2 Die unter Ziffer 1 angeordnete Nutzungsuntersagung (Grundverwaltungsakt) war seit ihrem Erlass zu keinem Zeitpunkt vollstreckbar gemäß Art. 19 VwZVG. Sie ist nicht bestandskräftig geworden, da die Klägerin innerhalb der Klagefrist von § 74 VwGO gegen diesen vorgegangen ist und ihre Klage aufschiebende Wirkung gemäß § 80 Abs. 1 Satz 1 VwGO hat. Es ist kein Fall nach § 80 Abs. 2 Satz 1 VwGO einschlägig, insbesondere ist weder durch Bundes- noch durch Landesgesetz angeordnet, dass eine Klage gegen eine Nutzungsuntersagung keine aufschiebende Wirkung entfaltet. Auch wurde von der Beklagten nicht gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 VwGO die sofortige Vollziehbarkeit der Nutzungsuntersagung angeordnet.
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2. Ziffer 1. des Bescheids vom 10. August 2023 ist hingegen nicht zu beanstanden. Die darin angeordnete Nutzungsuntersagung begegnet weder hinsichtlich ihrer formellen (2.1), noch hinsichtlich ihrer materiellen Rechtmäßigkeit (2.2) rechtlichen Bedenken.
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2.1 Die Nutzugsuntersagung ist formell rechtmäßig. Insbesondere wurde die Klägerin mit Schreiben vom 17. März 2023 zum Erlass einer Nutzungsuntersagung angehört (Art. 28 BayVwVfG).
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2.2 Die Nutzungsuntersagung ist auch materiell rechtmäßig, da die streitgegenständliche Nutzung nicht genehmigt (2.2.1) und auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig (2.2.2) ist.
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Gemäß Art. 76 Satz 2 BayBO kann die Bauaufsichtsbehörde die Nutzung einer Anlage untersagen, wenn sie öffentlich-rechtlichen Vorschriften widerspricht. Die Nutzungsuntersagung ist damit tatbestandlich bereits dann möglich, wenn die Nutzung formell illegal ist, also ohne die erforderliche Baugenehmigung ausgeübt wird (BayVGH, B.v. 14.8.2006 – 2 ZB 06.1681 –, juris Rn. 2; U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – juris Rn. 30; B.v. 4.1.2023 – 1 CS 22.1971 – juris Rn. 9). Da die Nutzungsuntersagung in erster Linie die Funktion hat, den Bauherrn auf das Genehmigungsverfahren zu verweisen, muss grundsätzlich nicht geprüft werden, ob das Vorhaben auch gegen materielles Recht verstößt (BayVGH, B.v. 23.5.2014 – 9 CS 14.451 – juris Rn. 12; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16. 300 – juris Rn. 21; U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – juris Rn. 30). Dieser Grundsatz ist jedoch insoweit einzuschränken, als dass es regelmäßig unverhältnismäßig ist, eine offensichtlich genehmigungsfähige Nutzung zu untersagen (BayVGH, U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – juris Rn. 45; B.v. 29.5.2015 – 9 ZB 14.2580 – juris Rn. 10; B.v. 23.5.2014 – 9 CS 14.451 – juris Rn. 12; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16. 300 – juris Rn. 21; OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.5.2020 – OVG 2 S 17/20 – juris Rn. 5). Eine offensichtlich materiell rechtmäßige Nutzung zu untersagen, ohne den Bauherrn vorher vergeblich nach Art. 76 Satz 3 BayBO aufgefordert zu haben einen Bauantrag zu stellen, wäre unverhältnismäßig (BayVGH, B.v. 23.5.2014 – 9 CS 14.451 – juris Rn. 12; B.v. 19.5.2016 – 15 CS 16. 300 – juris Rn. 21).
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2.2.1 Die Nutzung der streitgegenständlichen Räumlichkeiten als Ferienwohnung zur Fremdenbeherbergung ist bereits formell baurechtswidrig, weil die Klägerin hierfür nicht die nach Art. 55 BayBO erforderliche Baugenehmigung besitzt. Nach Art. 55 BayBO sind die Errichtung, Änderung und Nutzungsänderung baulicher Anlagen genehmigungspflichtig. Eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung liegt vor, wenn durch die Verwirklichung eines Vorhabens die einer jeden Art von Nutzung eigene „Variationsbreite“ verlassen wird – nur dann handelt es sich um eine Nutzungsänderung im baurechtlichen Sinn – und wenn für die geänderte Nutzung andere bauordnungs- oder bauplanungsrechtliche Anforderungen in Betracht kommen als für die bisherige Nutzung (BayVGH, U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – juris Rn. 31; B.v. 4.11.2002 – 15 CS 02.2193 – juris Rn. 16). Ausgangspunkt ist dabei nicht die früher ausgeübte Nutzung, sondern die bauaufsichtlich genehmigte Nutzung (BayVGH, B.v. 4.11.2002 – 15 CS 02.2193 – juris Rn. 16 m.V.a. BVerwG, U.v. 3.2.1984 – 4 C 25/82 – BVerwGE 68, 360-369). Die Änderung der Nutzung von einer als Büro genehmigten Räumlichkeit hin zu einer Ferienwohnung zur Fremdenbeherbergung stellt eine genehmigungspflichtige Nutzungsänderung in diesem Sinne dar. Eine Nutzung als Ferienwohnung ist ersichtlich nicht von der Variationsbreite der bisher genehmigten Büronutzung erfasst.
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2.2.2 Die Nutzung ist auch nicht offensichtlich genehmigungsfähig. Eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit könnte nur angenommen werden, wenn ohne eine ins Einzelne gehende Prüfung beurteilt werden kann, ob die geänderte Nutzung zulässig ist (BayVGH, B.v. 4.1.2023 – 1 CS 22.1971 – juris Rn. 9; U.v. 19.5.2011 – 2 B 11.353 – juris Rn. 45; B.v. 25.11.2022 – 1 CS 22.2013 – juris Rn. 11; OVG Berlin-Bbg, B.v. 15.5.2020 – OVG 2 S 17/20 – juris Rn. 5). Die baurechtliche Prüfung in einem Genehmigungsverfahren ist grundsätzlich nicht vorwegzunehmen (BayVGH, B.v. 4.1.2023 – 1 CS 22.1971 – juris Rn. 9).
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Insoweit ist anerkannt, dass eine offensichtliche Genehmigungsfähigkeit schon dann ausscheidet, wenn es erst noch einer Beweisaufnahme durch das Gericht bedürfte (BayVGH, B.v. 12.12.2011 – 2 ZB 11.873 – juris Rn. 4; OVG SH, U.v. 2.10.1996 – 1 L 356/95 – juris Rn. 25; VG München, B.v. 24.9.2012 – M 8 S 12.3890 – juris Rn. 39; Decker in: Busse/Kraus, Bayerische Bauordnung, 157. EL Januar 2025, Art. 76 Rn. 303).
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So verhält es sich aber im vorliegenden Fall. Die bauplanungsrechtliche Zulässigkeit der Nutzungsänderung kann hinsichtlich der Art der baulichen Nutzung derzeit noch nicht beurteilt werden. Diesbezüglich ist eine Beurteilung erst dann möglich, wenn feststeht, wie der Gebietscharakter der näheren Umgebung der G.str. 25 zu qualifizieren ist. Um die Gebietsart der näheren Umgebung bestimmen zu können bedürfte es jedoch erst der Durchführung eines gerichtlichen Augenscheins. Von einer offensichtlichen Genehmigungsfähigkeit kann mithin keine Rede sein.
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3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit beruht auf § 167 VwGO i.V.m. § 708 ff. ZPO.