Titel:
Gymnasium, Lernzeitverkürzung, subjektiver Anspruch
Normenkette:
GSO § 34a
Schlagworte:
Gymnasium, Lernzeitverkürzung, subjektiver Anspruch
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17926
Tenor
I. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung verpflichtet, dem Antragsteller vorläufig die gemäß § 34a GSO vorgesehenen Förder- und Begleitmodule sowie besondere Ansprechpartner (Mentoren) in den Jahrgangsstufen 9 und 10 zur Verfügung zu stellen.
II. Der Antragsgegner hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 2.500…. festgesetzt.
Gründe
1
Der Antragsteller besucht im Schuljahr 2024/2025 die 9. Jahrgangsstufe des …-Gymnasiums … (im Folgenden: die Schule).
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Die Eltern meldeten den Antragsteller Ende des Schuljahres 2023/2024 für die individuelle Lernzeitverkürzung gemäß § 34a Bayerische Gymnasialschulordnung (GSO) an. Mit E-Mail vom 27. Juni 2024 teilte eine Lehrkraft der Schule den Eltern mit, dass damit alles erledigt sei. Eine Genehmigung sei nicht erforderlich, erst am Ende der 10. Jahrgangsstufe müsse eine Entscheidung über das Überspringen der 11. Jahrgangsstufe gefällt werden. Weitere Informationen und der Terminplan für die Modul-Sitzungen bekämen sie zum Anfang des neuen Schuljahres.
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Zu Beginn des Schuljahres 2024/2025 teilte ein Mitglied der Schulleitung den Eltern des Antragstellers telefonisch mit, dass die Module der Teilnahme an der individuellen Lernzeitverkürzung (im Folgenden: ILV) mangels ausreichender Teilnehmerzahl nicht stattfinden könnten.
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Ein kultusministerielles Schreiben (KMS Nr. V.7 – BS5400.1 – 6b. 23960) vom 21. März 2024 führt zu den „Planungsgrundlagen zu den Unterrichtsübersichten des Schuljahres 2024/2025“ unter 3.8.4. folgendes aus:
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„… Mit dem Schuljahr 2024/2025 wird der bereits in der Vergangenheit angekündigte Schwellenwert für eine Mindestschülerzahl zur Gewährung des Budgetzuschlags für die Individuelle Lernzeitverkürzung (ILV) eingeführt. Dies bedeutet, dass für die Einrichtung von Modulen zur ILV nur bei einer Anmeldung von mindestens 3 Schülerinnen und Schülern ein Budgetzuschlag gewährt werden kann. Die schülerzahlabhängige Anzahl dieser Budgetstunden kann für die Jahrgangsstufe 9 und 10 folgender Tabelle entnommen werden: …“
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Mit Schriftsatz vom 5. Mai 2025, eingegangen bei Gericht am selben Tag, beantragt der Antragsteller, gesetzlich vertreten durch seine Eltern:
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1. Der Antragsgegner wird im Wege der einstweiligen Anordnung nach § 123 Abs. 1 VwGO verpflichtet,
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a) die gemäß § 34a GSO vorgesehenen Förder- und Begleitmodule der Individuellen Lernzeitverkürzung (ILV) für den Antragsteller unverzüglich einzurichten, die Module für die 9. Jahrgangsstufe noch im laufenden Schuljahr 2024/2025 durchzuführen und die Module insgesamt bis zum Ende der 10. Jahrgangsstufe zu gewährleisten;
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b) dem Antragsteller einen Mentor zuzuordnen sowie alle weiteren in § 34a GSO genannten Unterstützungsangebote (insbesondere ein abschließendes Repetitorium und ggf. eine MSA Nachprüfungsvorbereitung) zu gewähren;
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2. Hilfsweise, für den Fall, dass dem Antrag zu 1. nicht stattgegeben wird, wird beantragt, den Antragsgegner zu verpflichten, den Antragsteller in geeigneter anderer Form so zu fördern, dass er die Voraussetzungen des § 34a GSO für das Überspringen der 11. Jahrgangsstufe vollumfänglich erfüllen kann.
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Zur Begründung wird unter anderem ausgeführt, zu Beginn der 9. Jahrgangsstufe des Antragstellers habe ein Mitglied der Schulleitung der Mutter des Antragstellers in einem Telefonat mitgeteilt, dass mangels ausreichender Teilnehmerzahl die ILV-Module nicht stattfinden könnten. Es sei jedoch versichert worden, dass dem Antragsteller dadurch keine Nachteile entstünden. Die telefonischen Aussagen seien daher von der Mutter so verstanden worden, dass die Module der Jahrgangsstufe 9 nicht unmittelbar zu Beginn des Schuljahres stattfinden würden. Durch die Versicherung, es gäbe „keine rechtlichen Nachteile“, habe jedoch für die Eltern festgestanden, dass die ILV nicht ersatzlos entfalle. Erst durch Informationen einer anderen Familie, bei der die Tochter ebenfalls die ILV habe besuchen wollen, habe die Mutter des Antragstellers erfahren, dass die ILV in der aktuellen Jahrgangsstufe 9 nicht „im Programm“ sei. Mit Schreiben vom 14. April 2025 sei durch die Eltern des Antragstellers bei der Schulleitung die unverzügliche Einrichtung der ILV-Module beantragt worden. Mit E-Mail vom 28. April 2025 habe der Schulleiter den Eltern mitgeteilt, dass an der Schule weiterhin keine ILV-Kurse angeboten würden. Er habe auf die Möglichkeit des § 34 GSO („Überspringen einer Jahrgangsstufe“) nach nachhaltig guten Leistungen in Jahrgangsstufe 10 hingewiesen. Der Antragsteller habe aber nach dem klaren Wortlaut des § 34a GSO voraussetzungslos und ohne Einschränkung einen Anspruch auf die Einrichtung der ILV. Es sei weder eine Mindestteilnehmerzahl noch ein sonstiger Vorbehalt der Durchführbarkeit vorgesehen. Auch bestehe kein Ermessen. Die Schule sei stets zur Einrichtung der Module verpflichtet, sobald sich auch nur ein einziger geeigneter Schüler hierfür anmelde. Dies belege auch der Wortlaut der Handreichung zur ILV. Sinn und Zweck der Regelung würden dieses Verständnis bestätigen. § 34a GSO wolle ausweislich seiner Gesetzesbegründung gerade begabten und leistungsstarken Schülern ein Instrumentarium an die Hand geben, mit dem sie ihre Schulzeit verkürzen und ihr Potential voll ausschöpfen könnten. Der Gesetzgeber gehe davon aus, dass die Schule die Module bei Bedarf auch für Einzelschüler einzurichten habe, notfalls unter Rückgriff auf kreative Lösungen wie schulübergreifende Kooperationen. Eine Mindestteilnehmerzahl kenne § 34a GSO nicht. Die Norm enthalte auch keine zeitliche Festlegung, dass die Module zwingend zu einem bestimmten Zeitpunkt innerhalb der 9. Jahrgangsstufe durchzuführen seien. Vielmehr gehe der Gesetzgeber, wie die Handreichung des Kultusministeriums zeige, von flexiblen Gestaltungsmöglichkeiten wie Blockseminaren aus. § 34a GSO statuiere eine strikte Rechtspflicht. Der Antragsteller erfülle auch die individuellen Voraussetzungen für § 34a GSO. Je länger sich die Einrichtung der Module verzögere, desto schwerer werde es für den Antragsteller, den versäumten Stoff noch aufzuholen und die 11. Klasse regulär zu überspringen. Das Überspringen der 11. Jahrgangsstufe nach § 34 GSO setze zwingend voraus, dass der Schüler in den Jahrgangsstufen 9 und 10 an den Förder- und Begleitmodulen der ILV teilgenommen habe. Ein Nachholen der versäumten Module in der 10. Klasse sei nicht möglich, da diese aufeinander aufbauten. Für den Antragsteller stehe nicht nur der Verlust der Möglichkeit des Überspringens nach § 34a GSO auf dem Spiel, sondern ein ganzes Schuljahr. Zwar bestehe theoretisch auch die Option eines Überspringens nach § 34 GSO. Dies hänge jedoch von der letztlich ungewissen Entscheidung des Schulleiters ab. Die Chance eines frühzeitigen Abiturs mit der Möglichkeit eines vorgezogenen Studienbeginns wäre vertan. Der Antragsteller werde auch in seiner Studien- und Berufsperspektive beeinträchtigt. Eine Entscheidung in der Hauptsache könnte für den Antragsteller zu einem späteren Zeitpunkt keine Abhilfe mehr schaffen. Die Weigerung der Schule, dem Antragsteller trotz Vorliegens der Voraussetzungen des § 34a GSO die Teilnahme an den Fördermodulen der ILV zu ermöglichen, verstoße gegen den allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 GG. Während an anderen Gymnasien im Freistaat die ILVModule angeboten würden, werde dies dem Antragsteller willkürlich verwehrt. Die Schule differenziere offenbar sogar innerhalb ihres eigenen Sprengels zwischen Schülern mit ILV-Eignung, je nachdem, ob gerade eine bestimmte Mindestteilnehmerzahl erreicht werde oder nicht. Die Benachteiligung sei verfassungsrechtlich nicht hinnehmbar. Sie resultiere auch in einer besonderen Betroffenheit des Antragstellers in seinem Grundrecht auf Bildung und freie Entfaltung der Persönlichkeit (Art. 2 Abs. 1 GG). Die ILV sei integraler Bestandteil des selbstgewählten Bildungswegs und Schlüssel für die Ausschöpfung des Potentials des Antragstellers. Dem Antragsteller wäre die realistische Möglichkeit, am Ende der 10. Klasse in die Qualifikationsphase der Oberstufe überzugehen, genommen. Die Umsetzung der begehrten Anordnung sei für die Schule ohne weiteres zumutbar. § 34a GSO lasse der Schule bei der konkreten Ausgestaltung der ILV-Module (z.B.: Blockseminare, Online-Angebote oder Kooperation mit anderen Gymnasien) einen weiten Spielraum. Die Schule könne sich nicht auf den fortgeschrittenen Zeitpunkt im Schuljahr berufen. § 34a GSO enthalte keine Festlegung, dass die Module zwingend zu einem bestimmten Zeitpunkt durchzuführen wären. Die Schule habe durch ihre bisherige Untätigkeit trotz verbindlicher Zusage die jetzige Situation verschuldet. In der Gesamtabwägung überwögen somit bei weitem die Interessen des Antragstellers. Der Antragsgegner mache den Förderauftrag des § 34a GSO von einer Mindestteilnehmerzahl abhängig. Diese Verknüpfung von Haushaltsgesichtspunkten mit der individuellen Förderpflicht laufe dem Zweck des § 34a GSO zuwider. Indem fiskalische Erwägungen über den gesetzlichen Anspruch gestellt würden, liege ein klassischer Fall einer sachfremden und damit unzulässigen Erwägung vor. Trotz des mittlerweile erreichten irrtümlich angenommenen Quorums von drei Interessenten in Jahrgangsstufe 9 der Schule lehne die Schulleitung die Einrichtung der Module ab. Es gäbe ein systemisches Beratungs- und Aufklärungsdefizit, da kommuniziert werde, dass neben dem Wegfall der Module keine gravierenden Nachteile entstünden, obwohl tatsächlich die Rechtsfolge die Beseitigung des Elternwillens nach § 34a GSO sei und ein Überspringen mittels ILV unmöglich gemacht werde. Es bestehe nur noch die von der Entscheidung des Schulleiters abhängige Möglichkeit nach § 34 GSO, um ein Schuljahr zu überspringen. Der grundlegende Gesetzesentwurf der Staatsregierung 2017 schreibe ausdrücklich vor, dass jede Schule („an jedem Schulstandort“) die Überholspur eröffnen und die Schüler gezielt ansprechen müsse. Ein Quorum sei nicht erwähnt. Weder § 34a GSO noch die maßgeblichen ministeriellen Verlautbarungen würden eine zahlenmäßige Teilnahmeschwelle nennen. Das vom Antragsgegner konstituierte Quorum entbehre damit jeder Rechtsgrundlage. Das KMS vom 21. März 2024 habe nur haushaltsrechtliche Wirkung. Die Schule habe auch ihre gesetzliche Verpflichtung, geeignete Schüler gezielt anzusprechen und zur Teilnahme zu ermutigen, verletzt. Durch die Verweigerung der ILV werde in das durch Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 GG geschützte Recht auf chancengleichen Zugang zu Bildungsangeboten eingegriffen. Die Möglichkeit, das Abitur in acht statt neun Jahren zu erlangen, beeinflusse die berufliche Planung erheblich und falle daher unter den Schutz des Art. 12 Abs. 1 GG. Die restriktive ILV-Praxis verletze auch die objektiv-rechtliche Dimension des Art. 3 Abs. 1 GG. Danach treffe den Staat eine Schutzpflicht, durch aktives Tätigwerden gleichwertige Bildungschancen für alle Schülerinnen und Schüler sicherzustellen. Lasse er zu, dass die „Überholspur“ in ländlichen Regionen faktisch kaum zugänglich werde, während sie in Städten regelmäßig angeboten werde, werde er diesem Auftrag nicht gerecht.
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Der Antragsgegner beantragt sinngemäß,
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den Antrag abzulehnen.
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Zur Begründung wird unter anderem ausgeführt, weder für den Haupt-, noch für den Hilfsantrag sei ein Anordnungsanspruch glaubhaft gemacht. Der Antragsteller stütze sein Begehren auf den Wortlaut des § 34a Satz 2 GSO. An einem staatlichen Gymnasium stehe das Angebot der ILV unter dem ungeschriebenen Vorbehalt ausreichender Lehrpersonalressourcen. Die zusätzlichen Förder- und Begleitmodule und die individuelle Begleitung der an der ILV teilnehmenden Schülerin bzw. des hieran teilnehmenden Schülers durch eine Lehrkraft als Mentorin bzw. Mentor seien Leistungen, die das betreffende staatliche Gymnasium aus dem ihm zentral zugewiesenen Personalbudget erbringen müsse. Stehe einer Schule hierfür kein ausreichendes Lehrerwochenstundenbudget zur Verfügung, könne sie die ILV für interessierte Schülerinnen und Schüler in den beiden betroffenen Jahrgangsstufen 9 und 10 nicht oder allenfalls auf Kosten des Pflicht- bzw. Wahlpflichtangebots in anderen Jahrgangsstufen anbieten. Für das laufende Schuljahr 2024/2025 sei mit Schreiben des Staatsministeriums vom 21. März 2024 zur Unterrichtsplanung erstmals ein Schwellenwert von mindestens drei teilnehmenden Schülerinnen und Schülern für den notwendigen Budgetzuschlag eingeführt worden. Die Einführung eines Schwellenwerts für den Budgetzuschlag zum Schuljahr 2024/2025 sei ein Novum gewesen, das der Personalbewirtschaftung unter restriktiven Rahmenbedingungen auch an staatlichen Gymnasien in Bayern Rechnung getragen habe. Ob und wann der Vorbehalt einer Mindestschülerzahl für ein ILV-Angebot an einem staatlichen Gymnasium wieder zurückgenommen werden könne, hänge von der Stellenplanung, vorhandenem Lehrpersonal und zum heutigen Zeitpunkt nicht vorhersehbaren schulaufsichtlich-bildungspolitischen Entscheidungen ab. Das Erfordernis einer Mindestteilnehmerzahl an Schülern für die über zwei Schuljahre anzubietenden Module und eine Mentorin bzw. einen Mentor pro Schülerin bzw. Schüler sei eine schulorganisatorische Maßnahme. Im Bereich der Schulorganisation würden die Grundrechte der Schüler und Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG) durch die staatliche Schulaufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG) begrenzt. Zum staatlichen Gestaltungsbereich im Rahmen der Schulaufsicht gehörten nicht nur die organisatorische Gliederung des Schulwesens, sondern auch die inhaltlichen Festlegungen der Ausbildungsrichtungen und Unterrichtsziele und – wie hier – die Einrichtung von Zusatzangeboten, die einer Schülerin bzw. einem Schüler durch zusätzlichen Fachunterricht und eine individuelle Betreuung und Beratung eine besondere Form Überspringens einer Jahrgangsstufe ermöglichten. Die Komplexität der hier mittelbar angegriffenen schulorganisatorischen Maßnahme, eine Mindestteilnehmerzahl für die Einrichtung und Durchführung der ILV zu bestimmten Schuljahren zu verlangen, beruhe nicht auf pädagogischen und organisatorischen Erwägungen im Einzelfall, sondern auf landesweit anzuwendenden und zu beachtenden Überlegungen mit beträchtlichen personalwirtschaftlichen und finanziellen Auswirkungen auf den Staatshaushalt. Die Schulverwaltung verfüge in einer solchen Situation über einen Entscheidungsfreiraum, der auch dann bestehe, wenn die einschlägige schulrechtliche Norm diesen Vorbehalt nicht wörtlich formuliere. Der subjektive Anspruch des einzelnen Schülers darauf, dass ein personalintensives pädagogisches Zusatzangebot jenseits der Stundentafel der von ihm besuchten Ausbildungsrichtung an seiner Schule eingerichtet werde, könne daher rechtsfehlerfrei und ohne dass diese Voraussetzung im Wortlaut des § 34a GSO genannt würde, an eine Mindestteilnehmerzahl geknüpft werden. Das Grundrecht auf Bildung (Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 7 Abs. 1 GG) des Antragstellers werde durch das Nichtangebot von ILV nicht verletzt. Das Recht auf schulische Bildung, das außerhalb von Privatschulen nur durch die Inanspruchnahme von Bildungsleistungen des Staates verwirklicht werden könne, gebe den einzelnen Schülerinnen und Schülern keinen originären Leistungsanspruch auf eine bestimmte Gestaltung staatlicher Schulen. Aus diesem Recht könnten keine individuellen Ansprüche auf die wunschgemäße Gestaltung von Schule abgeleitet werden; dies wäre angesichts der Vielfalt der Bildungsvorstellungen der einzelnen Schülerinnen und Schüler auch schlicht nicht umzusetzen. Der Staat könne sich darüber hinaus auch hinsichtlich des Rechts auf schulische Bildung auf einen Vorbehalt des Möglichen berufen. In seiner teilhaberechtlichen Ausprägung verlange das Recht auf Bildung, dass die Zugangsvoraussetzungen zu einem bestimmten Bildungsangebot nicht willkürlich oder diskriminierend ausgestaltet oder angewendet werden. Für eine willkürliche oder gegenüber dem Antragsteller willkürlich diskriminierende Ausgestaltung der Teilnahmemöglichkeit an ILV-Modulen und -Beratungen durch eine ihm zugewiesene Mentorin oder einem ihm zugewiesenen Mentor fehlten jegliche Anhaltspunkte. An der Schule habe es zu Schuljahresbeginn 2024/2025 nur – in Person des Antragstellers – einen Interessenten für die ILV gegeben. Die Schule habe auch in der Kooperation mit einem anderen Gymnasium im laufenden Schuljahr keine ILV anbieten können, weil auch zusammen mit den Interessenten dort keine Gruppe von drei Schülerinnen bzw. Schülern ergeben hätte.
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Wegen der weiteren Einzelheiten zum Sach- und Streitstand wird auf die Gerichtsakte in diesem Verfahren sowie die vorgelegte Behördenakte Bezug genommen.
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Der zulässige Antrag nach § 123 Abs. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung (VwGO) hat in der Sache Erfolg.
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Nach § 123 Abs. 1 Satz 2 VwGO ist eine einstweilige Anordnung zur Regelung eines vorläufigen Zustandes in Bezug auf ein streitiges Rechtsverhältnis zulässig, wenn dies zur Abwendung wesentlicher Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus anderen Gründen nötig erscheint. Eine einstweilige Anordnung ergeht, wenn das Vorliegen eines Anordnungsanspruchs, d.h. des in der Hauptsache verfolgten materiellen Anspruchs, sowie eines Anordnungsgrundes, d.h. der Dringlichkeit der einstweiligen Anordnung, glaubhaft (§ 123 Abs. 3 VwGO i. V. m. § 920 Abs. 2 ZPO) gemacht wurde.
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Nimmt die begehrte einstweilige Anordnung die Entscheidung in der Hauptsache sachlich und zeitlich vorweg, ist dem Antrag nur dann stattzugeben, wenn dies zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes geboten ist und ein hoher Grad an Wahrscheinlichkeit dafür spricht, dass der mit der Hauptsache verfolgte Anspruch begründet ist (BVerwG, U.v.18.4.2013 – 10 C 9/12 – juris Rn. 22).
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Der Antragsteller hat die Dringlichkeit der begehrten Regelung (Anordnungsgrund) glaubhaft gemacht. Dabei kann dahinstehen, wie die gesetzlichen Vertreter des Antragstellers zu Schuljahresbeginn 2024/2025 die Absage hinsichtlich der Einrichtung der ILV-Modulen verstanden haben und ob bereits eine frühere Antragstellung im Eilverfahren geboten gewesen wäre, auch wenn sich den Akten keine schriftliche Ablehnung der Einrichtung der Lernzeitverkürzung gegenüber dem Antragsteller entnehmen lässt. Die Dringlichkeit der Regelung ergibt sich bereits daraus, dass sich die Module der ILV über die Jahrgangsstufen 9 und 10 erstrecken und der Antragsteller sich im Schuljahr 2024/2025 in der 9. Jahrgangsstufe befindet. Eine zeitnahe Regelung ist demnach nicht nur für das laufende, sondern auch für das folgende Schuljahr erforderlich. Selbst bis zum Beginn des neuen Schuljahres 2025/2026 ist jedoch nicht mit einer Hauptsacheentscheidung im Klagewege zu rechnen.
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Auch wurde ein Anordnungsanspruch nach den obigen Maßgaben glaubhaft gemacht. Der für eine Vorwegnahme der Hauptsache erforderliche hohe Grad an Wahrscheinlichkeit für den Erfolg im Hauptsacheverfahren liegt hier vor.
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1. Der Antragsteller kann den Anspruch auf die Teilnahme an den Förder- und Begleitmodulen sowie des besonderen Ansprechpartners (Mentors) zur Verkürzung der Lernzeit auf § 34a der Schulordnung für die Gymnasien in Bayern (Gymnasialschulordnung – GSO) vom 23. Januar 2007 (GVBl. S. 68) in der Fassung der Verordnung vom 4. Juli 2024 (GVBl. S.281) stützen. Die sogenannte individuelle Lernzeitverkürzung (ILV) ist in § 34a GSO folgendermaßen normiert:
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§ 34a Lernzeitverkürzung
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Schülerinnen und Schüler werden in der Jahrgangsstufe 8 hinsichtlich einer Verkürzung ihrer Lernzeit, durch Auslassen der Jahrgangsstufe 11, durch die Schule beraten. 2Schülerinnen und Schülern, die auf Grund dieser Beratung und bei entsprechender Leistungsbereitschaft ihre Lernzeit verkürzen wollen, stellt die Schule in den Jahrgangsstufen 9 und 10 hierfür strukturierte Förder- und Begleitmodule sowie besondere Ansprechpartner (Mentoren) zur Verfügung. 3Den Schülerinnen und Schülern, die die Teilnahme an den Förder- und Begleitmodulen in den Jahrgangsstufen 9 und 10 bescheinigt bekommen haben, wird nach erfolgreichem Besuch der Jahrgangsstufe 10 und nach eingehender Beratung der Erziehungsberechtigten zu Beginn des folgenden Schuljahres das Vorrücken auf Probe in die Jahrgangsstufe 12 gestattet. 4Grundlage der Beratung ist eine Empfehlung der Klassenkonferenz, ob die Schülerinnen und Schüler nach ihrer Reife und Leistungsfähigkeit den Anforderungen gewachsen sind. 5§ 34 Satz 4 gilt entsprechend.
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Mit dieser Vorschrift wird durch Rechtsverordnung ein Anspruch der Schülerinnen und Schüler – bei entsprechender Leistungsbereitschaft – gegenüber der Schule auf die Bereitstellung von strukturierten Förder- und Begleitmodulen sowie besonderen Ansprechpartnern (Mentoren) normiert. Aus den Akten ergibt sich, dass die Schule bei dem Antragsteller davon ausgeht, dass er die Voraussetzung der entsprechenden Leistungsbereitschaft besitzt. Aus dem klaren Wortlaut der Vorschrift kann geschlossen werden, dass den Schülerinnen und Schülern mit entsprechender Leistungsbereitschaft ein unbedingter Anspruch zusteht, dass die Schule die Module der ILV zur Verfügung stellt. Die Vorschrift des § 34a GSO ist weder als Ermessensvorschrift gestaltet, noch lässt sich erkennen, dass der Anspruch nur bei vorhandenen finanziellen und Lehrpersonalressourcen eingerichtet werden soll. Bei der Gymnasialschulordnung handelt es sich um eine Rechtsverordnung, die auch hinsichtlich ihrer Regelungen verbindlichen Charakter hat und nicht nur verwaltungsinterne Wirkung entfaltet. Dem Landesgesetzgeber steht zwar ein breiter Spielraum bei der Organisation des Schulsystems zur Verfügung, den er durch entsprechende Gesetzesregelungen ausfüllen kann (vgl. Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 907). Allerdings hat der Gesetzgeber in Bayern mit den gesetzlichen Regelungen des Art. 9 BayEUG und § 34a GSO seinen breiten Spielraum dahingehend ausgeübt, dass neben dem G-9-Gymnasium die Überholspur, das leichtere Überspringen der 11. Jahrgangsstufe, eingerichtet wird. Mit der Regelung des § 34a GSO wurde für leistungsbereite und begabte Schülerinnen und Schüler ein pädagogisch und inhaltlich schlüssiger individueller Weg zum Abitur nach acht Schuljahren geschaffen (Sandra Schmedemann, Kurzkommentar zur Schulordnung, 4. Aufl. 2024, § 34a GSO, S. 207). Mit der Ausübung seines Spielraumes hat der Gesetzgeber verbindliche Regelungen geschaffen, die durch § 34a GSO zu einem subjektiven Recht des einzelnen Schülers führen. Für den Anspruch des Antragstellers auf die Förder- und Begleitmodule der ILV ist es demnach nicht notwendig, dass sich der Antragsteller oder seine Eltern auf das allgemeine Recht auf schulische Bildung und Erziehung (Art. 2 Abs. 1 GG) oder das Elternrecht (Art. 6 Abs. 2) berufen, das gegebenenfalls durch das staatliche Schulaufsichtsrecht (At. 7 Abs. 1 GG) eingeschränkt werden kann. Der vorliegende streitgegenständliche Sachverhalt ist damit nicht vergleichbar mit der Konstellation, dass Schüler und Eltern keinen Anspruch auf ein bestimmtes Unterrichtspensum oder bestimmte Fördermaßnahmen haben (vgl. Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 830 ff).
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2. Bei der Zurverfügungstellung der Lernzeitverkürzung handelt es sich auch nicht um eine sogenannte „schulorganisatorische Maßnahme“. Im Bereich der Schulorganisation werden die Grundrechte der Schüler (Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 101 und 128 Abs. 1 BV) und Eltern (Art. 6 Abs. 2 GG, Art. 126 Abs. 1 BV) durch die staatliche Schulaufsicht (Art. 7 Abs. 1 GG, Art. 130 BV) begrenzt (BVerfG, U.v. 6.12.1972 – 1 BvR 230/70 u. 95/71 – NJW 1973, 133 (134), BeckOnline; OVG Hamburg, B.v. 30.11.2017 – 1 Bs 253/17 – NVwZ-RR 2018, 344, BeckOnline). Der Gesetzgeber kann sich im Hinblick auf den organisatorischen Ablauf des Schulbetriebs in der Regel auf eine Generalklausel zur Leitung, Verwaltung und Beaufsichtigung des gesamten Schulwesens beschränken (z.B: Grundlage und Bestimmung der Ferientermine, Entscheidung über die Verteilung des Unterrichts auf 5 oder 6 Tage, Sonderklassen für ausländische Schüler) (vgl. Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 966). Im Interesse der erforderlichen Flexibilität und der allgemeinen Koordinierungsbedürftigkeit des Schulwesens müssen die Schüler und ihre Eltern darüber hinaus organisatorische Detailregelungen wie die Aufstellung des Stundenplanes oder die Verteilung der Schüler auf einzelne Parallelklassen eines Jahrgangs, hinnehmen (Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 967). Mangels Außenwirkung stellt eine diesbezügliche schulorganisatorische Maßnahme keinen Verwaltungsakt dar (BayVGH, B.v. 16.12.2021 – 7 CE 21.2926 – juris Rn. 7).
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Diese schulorganisatorischen Maßnahmen zeichnen sich dadurch aus, dass der Entscheidung ein schulorganisatorischer Gestaltungsbereich immanent ist. Die Schulverwaltung kann beispielsweise aus einem gesetzlich normierten Katalog auswählen, welche Sprachenfolge sie in welcher Schule anbieten möchte. Dieser Gestaltungsspielraum fehlt bei der hier streitgegenständlichen Lernzeitverkürzung. Der Verordnungsgeber stellt mit § 34a GSO den Schülerinnen und Schülern einen gerichtlich überprüfbaren Anspruch auf die Einrichtung der sogenannten „Überholspur“, ohne Auswahlmöglichkeit seitens der Schule, zur Verfügung. § 34a GSO steht selbständig neben § 34 GSO. § 34 GSO erlaubt das Überspringen einer Jahrgangsstufe, wenn zu erwarten ist, dass der Schüler nach seiner Reife und Leistungsfähigkeit den Anforderungen gewachsen ist und die Schulleitung auf Grund einer Empfehlung der Klassenkonferenz diese Entscheidung trifft. § 34a GSO ist hierzu ein alternativer, speziell für das Überspringen der 11. Jahrgangsstufe konzipierter gesetzlicher Weg. Der Gesetzgeber hat sich dazu entschieden, eine Regelung hinsichtlich der ILV in die GSO aufzunehmen. Durch diese Aufnahme wird auch deutlich gemacht, dass es sich eben nicht um eine organisatorische Detailregelung handelt, die im Interesse der erforderlichen Flexibilisierung und der allgemeinen Koordinierungsbedürfnisse des Schulwesens hinzunehmen sind (vgl. Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 967)
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3. Der Anspruch des Antragstellers gemäß § 34a GSO kann auch nicht durch das kultusministerielle Schreiben vom 21. März 2024 (KMS Nr. V.7 – BS5400.1 – 6b 23960) eingeschränkt werden. Mit diesem Schreiben wurde erstmals für das Schuljahr 2024/2025 ein Schwellenwert für eine Mindestschülerzahl zur Gewährung des Budgetzuschlags für die ILV eingeführt. Es wird demnach erst bei einer Anmeldung von mindestens 3 Schülerinnen und Schülern ein Budgetzuschlag gewährt. Bei diesem Schreiben handelt es sich um ein Schreiben des Bayerischen Staatsministerium für Unterricht und Kultus, das als interne Verwaltungsvorschrift, die von den Schulaufsichtsbehörden zur Konkretisierung, Interpretation oder Ergänzung der gesetzlichen und untergesetzlichen Regelungen des Schulverhältnisses erlassen wird, einzuordnen ist. Die Regelungen in diesem Schreiben beruhen letzten Endes auf den Aufsichtsbefugnissen der Schulaufsichtsbehörden, da die Erlasse im Grunde nichts anderes als „präventive Aufsichtsmaßnahmen“ darstellen (vgl. insgesamt Rux, Schulrecht, 6. Aufl. 2018, Rn. 1037). Eine solche Regelung kann, was bereits aus der Normenhierarchie folgt, als reine interne Verwaltungsvorschrift nicht dazu führen, dass ein sich aus einer Verordnung, § 34a GSO, ergebender Anspruch eingeschränkt wird. Eine Modifizierung des § 34a GSO müsste mit einer Änderung der Gymnasialschulordnung erfolgen.
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Vor diesem Hintergrund ist vorliegend die für den Erlass einer einstweiligen Anordnung erforderliche Wahrscheinlichkeit gegeben, da die Schule nur eine für den Antragsteller positive Entscheidung wird treffen können.
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Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 1 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 53 Abs. 2 Nr. 1, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr. 1.5 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (Fassung 21.2.2025).