Inhalt

VG München, Beschluss v. 08.07.2025 – M 1 SN 25.2826
Titel:

Klage einer Standortgemeinde, Flüchtlingsunterkunft, Asylunterkunft, Abweichung von einer Veränderungssperre, Befristung der Baugenehmigung, Dringlichkeit, Planungshoheit der Gemeinde

Normenkette:
BauGB § 246 Abs. 14
Schlagworte:
Klage einer Standortgemeinde, Flüchtlingsunterkunft, Asylunterkunft, Abweichung von einer Veränderungssperre, Befristung der Baugenehmigung, Dringlichkeit, Planungshoheit der Gemeinde
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17923

Tenor

I. Der Antrag wird abgelehnt.
II. Die Antragstellerin hat die Kosten des Verfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu tragen.
III. Der Streitwert wird auf EUR 7.500 festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin als Standortgemeinde wendet sich im Wege des vorläufigen Rechtsschutzes gegen die vom Antragsgegner erlassene Baugenehmigung für den Neubau einer Containeranlage zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylbegehrenden.
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Unter dem 7. März 2024 beantragte die Beigeladene die Erteilung einer Baugenehmigung für den Bau dreier Containergebäude für 160 Personen auf der FlNr. 2577, Gem. … (Vorhabengrundstück). Auf zwei Stockwerken sollen jeweils 9 Zimmer mit Badezimmer und Küche, sowie ein Aufenthaltsraum und zwei kleinere Zimmer entstehen. In einem weiteren Container sollen sich ein Gemeinschaftsraum/Büro, ein Beratungszimmer, ein Lagerraum und ein Aufenthaltsraum für den Sicherheitsdienst befinden.
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Das Vorhabengrundstück befindet sich im Geltungsbereich des Bebauungsplans Nr. 64 „Gewerbegebiet W. III“ “ in der Fassung der am 11. August 2021 in Kraft getretenen 4. Änderung, der als Art der baulichen Nutzung ein Gewerbegebiet nach § 8 BauNVO festsetzt.
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Am 30. April 2024 beschloss die Antragstellerin die 5. Änderung des Bebauungsplanes Nr. 64 „Gewerbegebiet W. III“ samt Überplanung der FlNr. 2578, Gem. …, wonach die Ausnahmen des § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO sowie die nach § 8 Abs. 2 Nrn. 1, 3 bzw. 4 BauNVO zulässigen Beherbergungsbetriebe, Tankstellen und Anlagen für sportliche Zwecke explizit ausgeschlossen werden sollen, um Flächen für produzierendes Gewerbe zu sichern. Zur Sicherung dieser Planung beschloss die Antragstellerin zudem eine Veränderungssperre für den bisherigen Geltungsbereich des Bebauungsplans und der Erweiterungsfläche auf der FlNr. 2578.
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Der Antragsgegner hatte der Beigeladenen bereits mit Bescheid vom 25. Juni 2024 die begehrte Baugenehmigung erteilt. Diese wurde vom Antragsgegner infolge des gerichtlichen Beschlusses vom 4. Dezember 2024 (M 1 SN 24.6216) mangels Rückbauanordnung mit Bescheid vom 14. Januar 2025 aufgehoben. Die daraufhin am 14. Januar 2025 erteilte Baugenehmigung war auf „10 Jahre ab Nutzungsaufnahme“ befristet. Mit gerichtlichem Beschlusses vom 17. März 2025 (M 1 SN 25.335) wurde die aufschiebende Wirkung der hiergegen erhobenen Klage angeordnet, da die Befristung ab Nutzungsaufnahme zu einer zeitlich nicht konkret absehbaren Einschränkung der gemeindlichen Planungshoheit führe. Der Antragsgegner hob diese Baugenehmigung daraufhin am 24. März 2025 auf. Die Antragstellerin wurde im Vorfeld zur ersten Baugenehmigung angehört und hatte ihr Einvernehmen verweigert.
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Im Genehmigungsverfahren zur streitgegenständlichen Baugenehmigung hörte der Antragsgegner die Antragstellerin mit Schreiben vom 26. März 2025 zur beabsichtigten Abweichung gemäß § 246 Abs. 14 Satz 3 BauGB mit Monatsfrist, später verlängert bis zum 2. Mai 2025, an. Die Antragstellerin lehnte mit Beschluss vom 29. April 2025 das Vorhaben ab und hielt an ihrer bereits zuvor geäußerten Einvernehmensverweigerung fest.
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Unter dem 7. Mai 2025 erteilte der Antragsgegner die streitgegenständliche Baugenehmigung unter Abweichung von den Vorschriften des Baugesetzbuches und den aufgrund des Baugesetzes erlassenen Vorschriften (Tenorbuchstabe C), befristet ab Erteilung der Baugenehmigung für 10 Jahre (Tenorbuchstabe B). Das Vorhaben ist nach Ablauf der Befristung innerhalb von 2 Monaten zurückzubauen und die vorgenommene Bodenversiegelung ist zu beseitigen (Tenorbuchstabe E, Nr. 3).
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In den Gründen ist ausgeführt, dass eine Ausnahme von der Veränderungssperre nicht zugelassen werden könne, da sie nicht mit der Planungskonzeption vereinbar wäre. Dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten könnten im Landkreis nicht bereitgestellt werden. In Bayern habe der Gesetzgeber von einem verbindlichen Gemeindeschlüssel abgesehen und entsprechende Verteilungsquoten nach § 3 Asyldurchführungsverordnung (DVAsyl) nur landkreisbezogen festgelegt. Daher könne sich das Landratsamt als Aufgabenträger hinsichtlich der Frage, in welchen Standortgemeinden Asylbewerberunterkünfte errichtet oder genutzt werden sollen, genauso von anderen eigenen Zweckmäßigkeitsüberlegungen leiten lassen. Die vorhandenen und geplanten Unterbringungsmöglichkeiten im Landkreis hielten mit dem tatsächlichen und prognostizierten Zustrom nicht Schritt. Ein Engpass zeichne sich ab, Unterbringungsmöglichkeiten würden dringend benötigt. Die Standortentscheidung begründe sich im Wesentlichen mit der objektiven Geeignetheit des Grundstückes und dem Fehlen weiterer Immobilienangebote im Landkreis.
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Die Zugangszahlen nach Bayern hätten 2024 zwar unter dem Niveau des Vorjahres gelegen. Gleichzeitig seien in Bayern ca. 18.000 mehr Kriegsflüchtlinge aus der Ukraine registriert als noch vor einem Jahr. Die Unterbringungsmöglichkeiten für Asylbewerber in Bayern seien aktuell mit rund 94% stark ausgelastet, eine nachhaltige Entspannung der Situation sei nicht absehbar. Der Landkreis erfülle schon seit längerem seine Quote nach der DVAsyl nicht und bilde mit einer Erfüllungsquote von 75,48% (Stand 28.4.202[5]) das Schlusslicht im Regierungsbezirk, sodass die Regierung dem Landkreis derzeit alle zwei Wochen ca. 50 Flüchtlinge zuweise. Aufgrund der schwierigen Lage am Immobilienmarkt und der hohen Zugangszahlen sei der Landkreis bereits seit März 2022 faktisch dazu gezwungen, mehrere landkreiseigene Schulturnhallen für die Erstaufnahme zu nutzen. Im Gebiet der Antragstellerin seien aktuell 130 Flüchtlinge, ausschließlich Ukrainer, untergebracht. Auch ohne verbindlichen Gemeindeschlüssel könne berücksichtigt werden, dass die Antragstellerin damit eine sog. Untererfüllerin sei. Bei einer Erfüllungsquote des Landkreises von 100% müsste die Antragstellerin rechnerisch noch 137 Personen aufnehmen (Stand 28.4.2025). Da es trotz aller Anstrengungen an geeigneten Unterkünften fehle, müsse das Vorhaben, das Platz für 160 Flüchtlinge biete, genutzt werden. Die Befristung auf 10 Jahre sei auch unter Berücksichtigung der kommunalen Planungshoheit verhältnismäßig. Der Grundstückseigentümer sei zu einem Pachtvertrag nur bereit gewesen, wenn dieser auf entsprechend lange Zeit abgeschlossen würde. Nach Ablauf der Frist müsse das Vorhaben zurückgebaut werden und genieße keinen Bestandsschutz mehr. Die Unterkunft stehe gewerblichen Vorhaben im Plangebiet auch nicht entgegen, da Anlagen für soziale Zwecke nach § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO grundsätzlich zulässig seien und einem gewerblichen Vorhaben gerade nicht entgegenstünden. Vor dem Hintergrund der angespannten Situation sei nicht damit zu rechnen, dass es zeitnah zu einer deutlichen Abnahme der Flüchtlingszahlen komme, weshalb eine gleichmäßige Verteilung der Flüchtlinge über den ganzen Landkreis angestrebt werden solle. Das öffentliche Interesse an staatlicher Aufgabenerfüllung zur Unterbringung von Flüchtlingen und Asylsuchenden überwiege die Belange der gemeindlichen Planungshoheit. Zudem hätte das Vorhaben nach den Vorgaben des bisherigen Bebauungsplans nach § 246 Abs. 11 BauGB nicht nur zugelassen werden können, sondern sogar zugelassen werden sollen. Eine Abweichung von den Baugrenzen sei unter Berücksichtigung aller abzuwägender Belange und unter Würdigung der nachbarlichen Interessen mit den öffentlichen Belangen vereinbar, denn nur so könnten die Container unter der bestmöglichen Ausnutzung des Grundstücks errichtet werden.
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Die Antragstellerin hat am 8. Mai 2025 Klage (M 1 K 25.2825) gegen die Baugenehmigung erhoben und zugleich im Eilverfahren beantragt,
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die aufschiebende Wirkung der Klage zum Verwaltungsgericht München gegen den Baugenehmigungsbescheid des Landratsamts … vom 7. März 2025, Az.: … / …, wird angeordnet.
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Es werde in Abrede gestellt, dass die Unterkunft für 10 Jahre dringend benötigt werde. Die Zahl der Erstanträge sei von 329.120 im Jahr 2023 auf 229.751 im Jahr 2024 und im ersten Quartal des Jahres 2025 nochmal weiter gesunken. Zudem sei die Zahl der freiwilligen Ausreisen in Bayern um 26% und die der Abschiebungen um 27% gestiegen. Auch die Nettozuwanderung aus der Ukraine läge im März 2025 nur noch bei bundesweit 3.000. Aufgrund der restriktiven Asylpolitik der neuen Bundesregierung sei prognostisch davon auszugehen, dass sich diese Trends halten bzw. weiter verstärken würden. Die Baugenehmigung sei zudem unter Überdehnung des Anwendungsbereichs von § 246 Abs. 14 BauGB ergangen. Im Hinblick auf den mit einer Anwendung von § 246 Abs. 14 BauGB verbundenen Eingriff in die kommunale Planungshoheit sei diese Regelung gegenüber § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB subsidiär. Das Landratsamt hätte unter Anwendung des § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB eine auf drei Jahre befristete Ausnahme von der Veränderungssperre erteilen können, sodass es eines Rückgriffs auf § 246 Abs. 14 BauGB nicht bedurft hätte. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 24.6.2024 – 9 CS 24.458) habe entschieden, dass bei solchen temporären Bauvorhaben nicht davon auszugehen sei, dass ein Widerspruch zur beabsichtigten Planung vorliege. Es sei auch nicht ersichtlich, weshalb eine Befristung auf drei Jahre nicht ausgereicht hätte, um den derzeitigen Unterbringungsbedarf – auch vor dem Hintergrund der sinkenden Ankunftszahlen und im Hinblick auf die (welt-)politischen Ereignisse – zu decken. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof (BayVGH, B.v. 1.10.2024 – 1 CS 24.1449) habe darauf hingewiesen, dass im Hinblick auf eine auf § 246 Abs. 14 BauGB gestützte und auf 12 Jahre befristete Baugenehmigung, mit der eine Ausnahme von einer Veränderungssperre erteilt wurde, erhebliche rechtliche Bedenken bestünden. Ungeachtet dessen hätte das Landratsamt aber unter Angemessenheitsgesichtspunkten mit Blick auf die deutlich geringere Eingriffsintensität eine Befristung auf allenfalls drei Jahre vornehmen müssen, denn die Eingriffsintensität wachse mit steigender Befristungsdauer. Dies ergebe sich auch aus der Wertung des § 246 Abs. 12 und 13 Satz 1 Nr. 1 BauGB. Die Antragstellerin sei zudem durchaus bereit, den Antragsgegner bei der Verteilung von Unterzubringenden auf mehrere kleinere Standorte zu unterstützen. Eine Genehmigung für einen Standort dieser Größenordnung hätte es demnach nicht bedurft. Es werde zudem bezweifelt, dass der Antragsgegner überhaupt eine Ermessensentscheidung getroffen habe. Denn der Bauherrin sei mit Mail vom 14. April 2025 noch während der laufenden Anhörungsfrist schon mitgeteilt worden, dass die Baugenehmigung nach Ablauf der Frist neu erteilt werde. Damit liege eine unzulässige Vorwegbindung vor, die letztlich einem Ermessensausfall gleichkomme.
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Der Antragsgegner hat beantragt,
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den Antrag abzuweisen.
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Der Antragsgegner hat sich in der Sache nicht weiter geäußert.
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Die Beigeladene hat beantragt,
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den Antrag abzulehnen.
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Die Unterkunft werde dringend benötigt. Zwar sei auch in anderen Gemeinden beabsichtigt, Flüchtlingsunterkünfte zu errichten. Diese würden aber für die benötigten Plätze nicht ausreichen und die zeitliche Umsetzung sei teilweise nicht vorhersehbar. Die Unterbringung in Schulturnhallen sei als provisorische, zweckentfremdete Notunterkunft bei den vorhandenen Unterbringungskapazitäten nicht maßgeblich und deren Existenz indiziere vielmehr die Annahme, dass Unterbringungsmöglichkeiten dringend benötigt werden. Zwischenzeitlich sinkende Flüchtlingszahlen seien irrelevant. Es sei nicht nur auf die aktuellen Unterbringungsmöglichkeiten abzustellen, da auch die Errichtung mobiler Asylbewerberunterkünfte einen zeitlichen Vorlauf habe. Daher sei eine Prognose anzustellen, um eine menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen auch in Zukunft sicherzustellen. Auch müsse die Unterbringung für einen längeren Zeitraum sichergestellt werden, da der allgemeine Wohnungsmarkt gerade für diesen Personenkreis kaum aufnahmefähig sei. Es seien keine geeigneten Alternativstandorte ersichtlich. Die Antragstellerin habe lediglich angekündigt, bei der Standortsuche tätig zu werden, konkrete geeignete Alternativstandorte seien jedoch nicht vorgeschlagen worden. Das Landratsamt hätte auch nicht vorrangig auf § 14 Abs. 2 BauGB zurückgreifen müssen. Nach dem Wortlaut sei § 246 Abs. 14 BauGB lediglich gegenüber den Absätzen 8 bis 13 subsidiär. Die Genehmigung hätte zudem auch nicht auf nur 3 Jahre befristet werden müssen. Während der Gesetzgeber in den Absätzen 12 und 13 des § 246 BauGB eine maximale Befristungsdauer von 3 Jahren festgelegt habe, sei in Absatz 14 gerade auf eine Befristung verzichtet worden. Es liege daher im Ermessen der zuständigen Behörde, über die Dauer einer Befristung zu entscheiden. Die Ermessenserwägungen im streitgegenständlichen Bescheid seien schlüssig, ein Ermessenfehler nicht ersichtlich. Die Verwirklichung gewerblicher Vorhaben im übrigen Plangebiet werde durch die Unterkunft nicht behindert, da Anlagen für soziale Zwecke im Gewerbegebiet zulässig seien und der Verwirklichung eines gewerblichen Vorhabens gerade nicht entgegenstünden. Ein dringendes Bedürfnis, Anlagen für soziale Zwecke auch für die Übergangszeit auszuschließen, sei weder vorgetragen noch ersichtlich. Ein Ermessensausfall ergebe sich nicht aus der Mitteilung während der laufenden Anhörungsfrist, dass die Baugenehmigung nach Fristablauf neu erteilt werde. Das Ermessen habe bereits im Vorfeld ausgeübt werden können. Zudem handle es sich um die dritte inhaltsgleiche Baugenehmigung. Das Ermessen sei daher auch im Rahmen des Genehmigungsverfahrens bereits umfassend ausgeübt.
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Im Nachgang zum gerichtlichen Verfahren M 1 SN 24.6261 wurde die Klage M 1 K 24.4132, im Nachgang zu M 1 SN 25.335 die Klage M 1 K 25.334 jeweils für erledigt erklärt.
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten des Sach- und Streitstandes in diesem Verfahren wird Bezug genommen auf die beigezogene Behördenakte sowie die Gerichtsakten des Eil- und des Hauptsacheverfahrens (M 1 K 25.2825) sowie die Akten in den Eil- und Hauptsacheverfahren M 1 K 24.4132, M 1 SN 24.6216, M 1 K 25.244 und M 1 SN 25.335.
II.
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Der zulässige, insbesondere – im Hinblick auf die gemäß § 212a Abs. 1 BauGB entfallene aufschiebende Wirkung der in der Hauptsache erhobenen Anfechtungsklage – statthafte Antrag hat in der Sache keinen Erfolg. Das Vollzugsinteresse des Antragsgegners überwiegt das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin, weil sich die angefochtene Baugenehmigung nach summarischer Prüfung als rechtmäßig darstellt und die Antragstellerin nicht in ihren Rechten verletzt, § 113 Abs. 1 VwGO.
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I.1. Das Gericht hat im Rahmen der nach § 80a Abs. 3 Satz 2 i.V.m. § 80 Abs. 5 Satz 1 Alt. 1 VwGO vorzunehmenden eigenen Ermessensentscheidung abzuwägen, ob die Interessen, die für einen sofortigen Vollzug des angefochtenen Verwaltungsakts sprechen, oder diejenigen, die für die Wiederherstellung der aufschiebenden Wirkung streiten, höher zu bewerten sind. Im Rahmen dieser Interessenabwägung sind auch die Erfolgsaussichten des Rechtsbehelfs in der Hauptsache zu berücksichtigen. Diese sind ein wesentliches, aber nicht das alleinige Indiz für und gegen den gestellten Antrag. Wird der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf bei der im einstweiligen Rechtsschutzverfahren nur möglichen summarischen Prüfung voraussichtlich erfolgreich sein (weil er zulässig und begründet ist), so wird regelmäßig nur die Wiederherstellung bzw. Anordnung der aufschiebenden Wirkung in Betracht kommen. Wird dagegen der in der Hauptsache erhobene Rechtsbehelf voraussichtlich keinen Erfolg haben (weil er unzulässig oder unbegründet ist), so ist dies ein starkes Indiz für die Ablehnung des Eilantrags. Sind schließlich die Erfolgsaussichten offen, findet eine allgemeine, von den Erfolgsaussichten unabhängige Abwägung der für und gegen den Sofortvollzug sprechenden Interessen statt (vgl. BayVGH, B.v. 18.9.2017 – 15 CS 17.1675 – juris Rn. 11; B.v. 7.11.2022 – 15 CS 22.1998 – juris Rn. 25; BVerwG, B.v. 11.11.2020, 7 VR 5.20 – juris Rn. 8).
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Aufgrund der subjektiven Ausrichtung des verwaltungsgerichtlichen Rechtsschutzes hat eine gegen die einem Dritten erteilte Baugenehmigung gerichtete Klage nicht schon dann Erfolg, wenn die Baugenehmigung objektiv rechtswidrig ist, weil sie gegen öffentlich-rechtliche Vorschriften verstößt, die im einschlägigen Genehmigungsverfahren zu prüfen waren. Vielmehr ist erforderlich, dass die Baugenehmigung den Dritten in Rechten verletzt, die gerade auch seinen Schutz bezwecken, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO. Vorliegend wendet sich die Antragstellerin als Standortgemeinde gegen die streitgegenständliche Baugenehmigung und kann sich in diesem Rahmen auf ihre Planungshoheit (Art. 28 Abs. 2 GG, Art. 11 Abs. 1 BV) berufen.
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Maßgeblich für die Beurteilung, ob die Erteilung der Baugenehmigung unter Abweichung von der Veränderungssperre gemäß § 246 Abs. 14 BauGB im Hinblick auf öffentliche Rechte der Antragstellerin als Standortgemeinde zu Recht erfolgt ist, ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Bescheiderlasses. Bei der Klage einer Gemeinde gegen eine Genehmigung, die unter Ersetzung des erforderlichen Einvernehmens erteilt wurde, ist nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts auf die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt des Erlasses dieses Bescheids abzustellen; nach diesem Zeitpunkt eintretende Änderungen müssen unberücksichtigt bleiben (BVerwG, U.v. 9.8.2016 – 4 C 5.15 – juris Rn. 14 zu § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB; BayVGH, B.v. 4.10.2024 – 9 CS 24.545 – juris Rn. 19 zu § 36 Abs. 1 Satz 1 BauGB). Diese zu § 36 Abs. 2 und § 14 Abs. 2 Satz 2 BauGB ergangene Rechtsprechung kann auch auf Fälle übertragen werden, in denen die Anhörung der Gemeinde nach § 246 Abs. 14 Satz 3 BauGB an die Stelle des gemeindlichen Einvernehmens tritt, weil auch diese Regelung dem Schutz der gemeindlichen Planungshoheit dient (VG München, B.v. 3.3.2025 – 11 SN 24.7851 – juris Rn. 41).
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Nach diesem Maßstab wird die Klage in der Hauptsache voraussichtlich keinen Erfolg haben. Nach summarischer Prüfung ist kein Verstoß gegen das Selbstverwaltungsrecht der Antragstellerin feststellbar.
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2. Nach § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB kann, soweit auch bei Anwendung der von § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht oder nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können, bei Aufnahmeeinrichtungen, Gemeinschaftsunterkünften oder sonstigen Unterkünften für Flüchtlinge oder Asylbegehrende bis zum Ablauf des 31. Dezember 2027 von den Vorschriften dieses Gesetzbuchs oder den aufgrund dieses Gesetzbuchs erlassenen Vorschriften in erforderlichem Umfang abgewichen werden.
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3. Die in § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB vorgesehene, sehr weitgehende Abweichungsbefugnis muss in zweierlei Hinsicht erforderlich sein: zunächst wird vorausgesetzt, dass auch bei Anwendung der in § 246 Abs. 8 bis 13 BauGB vorgesehenen Instrumentarien dringend benötigte Unterkunftsmöglichkeiten im Gebiet der Gemeinde, in der sie entstehen sollen, nicht rechtzeitig bereitgestellt werden können. Ist dies zu bejahen, kann inhaltlich jedoch nicht unbegrenzt, sondern nur im erforderlichen Umfang abgewichen werden. Zur Prüfung der Erforderlichkeit sind – vergleichbar zu § 37 BauGB – die widerstreitenden öffentlichen Belange, auch unter Würdigung nachbarlicher Interessen, für jeden Einzelfall zu gewichten, schließlich sind auch die jeweils konkreten Anforderungen an gesunde Wohn- und Arbeitsverhältnisse zu beachten (s. zum Ganzen: Blechschmidt in Ernst/Zinkahn/Bielenberg/Kratzberger, BauGB, 157. EL November 2024, § 246 Rn. 97 ff. wie auch die Gesetzesbegründung in BT-Drs. 18/6185, dort S. 55). Dabei können insbesondere die konkrete Lage und Größe des Vorhabens, das Bestehen von Alternativstandorten sowie die Befristung der Baugenehmigung bzw. die Nutzungsdauer berücksichtigt werden (Battis/Mitschang/Reidt, NVwZ 2015, 1633).
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3.1. Das Vorhaben konnte nicht über eine Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB genehmigt werden.
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Vorliegend widerspricht das Vorhaben als Anlage für soziale Zwecke gemäß § 8 Abs. 3 Nr. 2 BauNVO (vgl. BayVGH, B.v. 5.3.2015 – 1 ZB 14.2373 – juris Rn. 3 m.w.N.) der beabsichtigten Planung der Antragstellerin. Dies konnte nicht durch Zulassung einer Ausnahme von der Veränderungssperre nach § 14 Abs. 2 Satz 1 BauGB überwunden werden. Der Bayerische Verwaltungsgerichtshof hat zwar entschieden (BayVGH, B.v. 24.6.2024 – 9 CS 24.458 – juris Rn. 13 ff.), dass für lediglich befristete Baugenehmigungen ohne über die Frist hinausgehenden Bestandsschutz der Grundsatz, dass einer beabsichtigten Planung entgegenstehende Vorhaben nicht im Wege einer Ausnahme von der Veränderungssperre zulassungsfähig sein können, unter Berücksichtigung der Vorschrift des § 246 Abs. 12 BauGB differenziert zu sehen seien. Es sei vielmehr darauf abzustellen, ob ein solches Vorhaben die beabsichtigte Planung und deren Verwirklichung wesentlich erschwert. In dem im o.g. Beschluss zu entscheidenden Fall, der eine auf drei Jahre befristete Baugenehmigung für die Errichtung von Wohncontainern zum Gegenstand hat, hat der Bayerische Verwaltungsgerichtshof angenommen, dass dies nicht der Fall sei und hierbei wesentlich auf die gesetzgeberische Wertung des § 246 Abs. 12 BauGB abgestellt. Gleichzeitig hat er nicht ausgeschlossen, dass auch eine befristete Baugenehmigung die Planung vereiteln oder wesentlich erschweren könnte (BayVGH, a.a.O., Rn. 14). Vorliegend ist genau hiervon auszugehen. Zwar muss die Antragstellerin insoweit in ihrer Planung keine Rücksicht auf das Vorhaben nehmen, als dass dieses nach Ablauf der Frist rückgebaut werden muss und danach keinen Bestandsschutz genießt. Allerdings ist das Vorhaben hier auf 10 Jahre ab Bescheidserlass befristet – mithin wird der Beigeladenen eine Rechtsposition eingeräumt, die zeitlich deutlich über die Regeldauer einer Veränderungssperre (§ 17 Abs. 1 BauGB) hinausgeht. Es ist davon auszugehen, dass die Umsetzung der von der Antragstellerin beabsichtigten Planung hierdurch wesentlich erschwert wird, sodass der Weg über § 14 Abs. 2 BauGB nicht gangbar erscheint.
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3.2. Die streitgegenständliche Unterkunftsmöglichkeit wird dringend benötigt i.S.v. § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB.
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Vor dem Hintergrund der Dringlichkeit der Unterbringung sind keine übersteigerten Anforderungen an die Erforderlichkeitsprüfung zu stellen – eine sich aus der örtlichen Situation ergebende Plausibilität der Erforderlichkeit ist zur Vermeidung eines ausufernden Gebrauchs der Ausnahmevorschrift ausreichend, im Hinblick auf die gemeindliche Planungshoheit aber auch erforderlich (VG Würzburg, B.v. 12.06.2024 – W 5 S 24.502 – juris Rn. 49). Dabei kommt der Bedarfsdeckung ein höheres Gewicht zu als einer erschöpfenden Subsidiaritätsprüfung, die den durch die angestrebte Bedarfsdeckung gezogenen Zeithorizont und die Möglichkeiten der Verwaltung zu ihrer Durchführung zu berücksichtigen hat (VG Würzburg, a.a.O.; OVG Hamburg, B.v. 9.5.2016 – 2 Bs 38/16 – juris Rn. 7).
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Dabei ist zu beachten, dass der bayerische Verordnungsgeber der DVAsyl auf die Festlegung fester Gemeindequoten verzichtet und die Verteilungsquoten nach § 3 DVAsyl nur landkreisbezogen festgelegt hat. Vielmehr entscheiden die Kreisverwaltungsbehörden, abhängig von den Gegebenheiten vor Ort, bei der Wahrnehmung der ihnen obliegenden gesetzlichen Aufgabe der Flüchtlingsunterbringung eigenverantwortlich über die Verteilung und Unterbringung innerhalb ihres Gebiets. Hieran gemessen bestehen aus Sicht der Kammer keine Zweifel daran, dass die streitgegenständliche Unterkunft dringend benötigt wird. Auf die entsprechenden Ausführungen des Landratsamts im angegriffenen Bescheid (dort S. 3) wird Bezug genommen. Insbesondere ist von Bedeutung, dass danach der Landkreis regierungsbezirksweit eine Erfüllungsquote von lediglich 75,48% (Stand 28.4.2025) vorweisen kann, dies unter Heranziehung mehrerer landkreiseigener Schulturnhallen. Mit ihrem Verweis auf aktuelle Entwicklungen hinsichtlich der Zuzugszahlen vermag die Antragstellerin nicht durchzudringen. Denn sie lässt hierbei außer Acht, dass die staatliche Unterbringungsverpflichtung für Flüchtlinge und Asylberechtigte nicht nur den Personenkreis der Asyl-Erstantragsteller umfasst. Vielmehr kann beispielsweise auch nach Durchführung eines Asylverfahrens eine Unterbringungsverantwortung fortwirken bzw. zur Vermeidung von Obdachlosigkeit erforderlich sein (s. zum Ganzen die Darstellung in Jäde/ Dirnberger, BauGB, 10. Auflage 2022, § 246 Rn. 21). Entsprechend gilt § 246 Abs. 14 Satz 1 BauGB ausweislich seines Wortlauts nicht nur für Aufnahmeeinrichtungen und Gemeinschaftsunterkünfte, sondern auch für sonstige Unterkünfte für Flüchtlinge oder Asylbegehrende. Zudem ist neben den neuen Aufnahme- und Unterbringungsverpflichtungen weiterhin der Ausgleich des infolge der landkreisbezogenen Quotenuntererfüllung aufgelaufenen „Negativsaldos“ zu berücksichtigen (vgl. auch VG Würzburg, B.v. 12.06.2024 – W 5 S 24.502 – juris Rn. 51). Allein aus einer – möglicherweise – reduzierten Zahl von Erstanträgen kann daher nicht geschlossen werden, dass der Bedarf nicht mehr dringend sei.
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Darüber hinaus hat das Landratsamt im angegriffenen Bescheid darauf hingewiesen, dass die Antragstellerin derzeit – ausgehend von einer anteiligen Verteilung von Geflüchteten auf die Städte und Gemeinden im Landkreis – Untererfüllerin ist und im Rahmen der Standortentscheidung zudem auf die objektive Geeignetheit des Grundstücks abgestellt. Zwar hat die Antragstellerin Hilfe bei der Vermittlung von anderweitigen Grundstücken angeboten, konkrete Alternativen wurden jedoch nicht aufgezeigt.
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3.3. Auch im Übrigen erweist sich die Abweichung unter Berücksichtigung und Gewichtung der widerstreitenden (bodenrechtlichen) öffentlichen Belange, auch unter Würdigung der gemeindlichen Interessen, als erforderlich und verhältnismäßig.
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Die Abweichungsentscheidung mit Befristung der Baugenehmigung auf einen Zeitraum von 10 Jahren stellt sich im Hinblick auf die Planungshoheit der Gemeinde nicht als unverhältnismäßig dar. Wenngleich § 246 Abs. 14 BauGB – im Gegensatz zu den Absätzen 12 und 13 – zumindest seinem Wortlaut nach gerade keine Befristung vorsieht, ist die streitgegenständliche Baugenehmigung zeitlich befristet und führt daher nicht zu einer dauerhaften Einschränkung. Interessierte Gewerbetreibende können ungeachtet des Vorhabens entsprechend der gemeindlichen Planung im überplanten Bereich ansiedeln.
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4. Die Ermessensausübung ist, soweit sie im Hinblick auf § 114 Satz 1 VwGO einer gerichtlichen Überprüfung zugänglich ist, nicht zu beanstanden.
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Die diesbezüglichen Ausführungen in den Gründen des Bescheids lassen nicht erkennen, dass die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder vom Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht worden ist. Insbesondere stellt die E-Mail des Landratsamts an die Beigeladene, wonach die Baugenehmigung erteilt werde, sobald die Anhörungsfrist der Antragstellerin abgelaufen sei, keine bindende Zusicherung im Sinne des Art. 38 BayVwVfG, mithin einen Ermessensausfall dar. Hierfür fehlt es bereits an der in Art. 38 Abs. 1 Satz 1 BayVwVfG vorgeschriebenen Schriftform. Zwar kann gem. Art. 3a Abs. 1 S. 1 BayVwVfG die angeordnete Schriftform durch eine elektronische Form ersetzt werden. Aus Art. 3a Abs. 2 S. 2 BayVwVfG ergibt sich jedoch, dass eine einfache E-Mail ohne qualifizierte elektronische Signatur die Schriftform nicht ersetzen kann (Stelkens in Stelkens/Bonk/Sachs, VwVfG, 10. Auflage 2023, § 38 Rn. 60). Aus dem Gesamtzusammenhang stellt sich die Aussage des Landratsamts vielmehr als eine unverbindliche Mitteilung des Sachstandes zum gegebenen Zeitpunkt dar. Unabhängig davon, dass die Rechtsansicht der Antragstellerin aufgrund des vorangegangenen Genehmigungsprozesses hinlänglich bekannt war, wäre es dem Antragsgegner jederzeit möglich gewesen, sich – insbesondere bei entsprechender Stellungnahme der Antragstellerin – gegen den Erlass der Baugenehmigung zu entscheiden.
II.
38
Da aufgrund der fehlenden Erfolgsaussichten in der Hauptsache das öffentliche Vollzugsinteresse überwiegt, war der Eilantrag abzulehnen. Die Antragstellerin trägt als unterliegende Partei die Kosten des Verfahrens, § 154 Abs. 1 VwGO. Es entsprach der Billigkeit, ihr auch die Kosten der Beigeladenen aufzuerlegen, weil sich diese ihrerseits mit Antragstellung einem Kostenrisiko ausgesetzt hat, vgl. §§ 162 Abs. 3, 154 Abs. 3 VwGO.
III.
39
Die Festsetzung des Streitwerts folgt §§ 40, 53 Abs. 2, 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nrn. 1.5, 9.10 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit in der bei Stellung des gerichtlichen Eilantrags maßgeblichen Fassung von 2013 (und nicht in der kurz vor der gerichtlichen Entscheidung bekanntgemachten neuen Fassung des Streitwertkatalogs 2025; ebenso BayVGH, B.v. 15.1.2014 – 4 C 14.580 – juris Rn. 1; U.v. 12.11.2014 – 4 BV 13.1239 – juris Rn. 41; OVG Lüneburg, B.v. 15.7.2014 – 7 OA 17/14 – juris Rn. 4; Sächs. VGH, B.v. 19.3.2014 – 5 E 15/12 – juris Rn. 3; HessVGH, B.v. 30.11.2015 – 8 A 889/13 – juris Rn. 68; a.A. OVG Hamburg, B.v. 24.3.2015 – 1 SO 117/14 – juris).