Titel:
Asylrecht, Herkunftsland Türkei, Kurde, Ablehnung als offensichtlich unbegründet, Nichterscheinen zur mündlichen Verhandlung, Verweis auf BAMF und Eilbeschluss, keine hinreichende Verfolgung dargelegt, Abschiebungsverbot verneint
Normenketten:
GG Art. 16a
AsylG § 3
AsylG § 4
AufenthG § 60
Schlagworte:
Asylrecht, Herkunftsland Türkei, Kurde, Ablehnung als offensichtlich unbegründet, Nichterscheinen zur mündlichen Verhandlung, Verweis auf BAMF und Eilbeschluss, keine hinreichende Verfolgung dargelegt, Abschiebungsverbot verneint
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17911
Tenor
I. Die Klage wird abgewiesen.
II. Der Kläger hat die Kosten des Verfahrens zu tragen.
III. Die Kostenentscheidung ist vorläufig vollstreckbar.
Tatbestand
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Der Kläger ist Staatsangehöriger der Türkei und kurdischer Volkszugehörigkeit. Nach eigenen Angaben reiste er am 23. Oktober 2022 auf dem Landweg in die Bundesrepublik Deutschland ein und stellte am 5. Dezember 2022 Asylantrag.
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In der Anhörung am 8. März 2024 beim Bundesamt für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) gab der Kläger im Wesentlichen an, dass er seit seiner Kindheit Schlimmes habe erleiden müssen. Es sei ihm zu viel geworden und deshalb habe er seine Familie in der Türkei zurücklassen müssen. Beim Erdbeben 1999 hätten nur die Kurden keine Zelte bekommen. Sein Vater sei von zehn Männern geschlagen worden und der Nachbar habe ihn aufgefordert, das Land zu verlassen. Wenn Polizisten den Kläger beleidigt hätten, habe er das geschluckt und sei einfach weitergegangen. Als er 14 Jahre alt gewesen sei, habe er in Istanbul die Schule bemalt. Es seien Polizisten gekommen und hätten ihn fast zu Tode geprügelt. Als Junge sei er in Istanbul unterwegs gewesen und habe versucht, Schreiben zu lernen, indem er etwas von einer Tabelle abgeschrieben habe. Polizisten hätten es gesehen und gemeint, er würde sie anlügen. Sie hätten ihn auch wieder in ein Polizeiauto gesteckt und verprügelt. Als er als Jugendlicher Nüsse gesammelt habe, hätten ihn die Einheimischen als Terrorist beschimpft und der Gendarmerie ausgeliefert. Er habe aufgrund seiner mangelhaften Türkischkenntnisse auch Probleme bei der Arbeitssuche gehabt. Bei einer Rückkehr in die Türkei habe er persönlich keine Angst, da er schon einen Weg zu Arbeit finden würde. Er habe aber Angst um seine Kinder und deren Leben und wolle ihnen eine bessere Zukunft bieten. Die Kinder seien mit deren Mutter in der Türkei.
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Das Bundesamt lehnte mit Bescheid vom 11. November 2024, zugestellt am 22. November 2024, die Anträge auf Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft (Nr. 1), auf Asylanerkennung (Nr. 2) und auf subsidiären Schutz (Nr. 3) als offensichtlich unbegründet ab und stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1 des Aufenthaltsgesetzes (AufenthG) nicht vorliegen (Nr. 4). Es forderte den Kläger auf, die Bundesrepublik Deutschland innerhalb einer Woche nach Bekanntgabe dieser Entscheidung zu verlassen und drohte ihm andernfalls die Abschiebung in die Türkei bzw. in einen anderen Staat an, in den er einreisen darf oder der zu seiner Rückübernahme verpflichtet ist (Nr. 5). Zudem wurde das Einreise- und Aufenthaltsverbot gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG angeordnet und auf 30 Monate ab dem Tag der Abschiebung befristet (Nr. 6).
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Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des internationalen Schutzes und die Anerkennung als Asylberechtigter lägen nicht vor. Aus dem Sachvortrag des Klägers sei keine flüchtlingsrechtlich relevante Verfolgungshandlung mit der erforderlichen flüchtlingsrechtlich relevanten Intensität erkennbar. Die Begegnung mit der Polizei, die ihn damals verprügelt habe, sei bereits während seiner Kindheit gewesen und weitere Probleme mit der Polizei habe er vermieden. Auch in Kumulation der verschiedenen, von ihm vorgetragenen Ereignisse, könne hier in keiner Weise von der flüchtlingsrechtlich notwendigen Intensität ausgegangen werden. Die Zugehörigkeit zur ethnischen Minderheit der Kurden vermöge dem Antrag nicht zum Erfolg zu verhelfen. Nach der Rechtsprechung sei die Volksgruppe der Kurden in der Türkei keiner landesweiten staatlichen Gruppenverfolgung ausgesetzt. Soweit es faktisch zu staatlichen Diskriminierungen komme, erreichten diese regelmäßig nicht den erforderlichen Schweregrad. Die Voraussetzungen für die Zuerkennung des subsidiären Schutzstatus lägen nicht vor. Dem Kläger drohe in seinem Herkunftsland nicht Todesstrafe, Folter oder unmenschliche oder erniedrigende Behandlung oder Bestrafung bzw. eine ernsthafte individuelle Bedrohung des Lebens oder der Unversehrtheit infolge willkürlicher Gewalt im Rahmen eines internationalen oder innerstaatlichen bewaffneten Konflikts. Der Asylantrag werde als offensichtlich unbegründet abgelehnt. Gemäß § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG sei ein unbegründeter Asylantrag als offensichtlich unbegründet abzulehnen, wenn der Ausländer im Asylverfahren nur Umstände vorgebracht habe, die für die Prüfung des Asylantrags nicht von Belang seien. Diese Voraussetzung sei hier in der Gesamtschau erfüllt. Der Kläger habe nach eigenen Angaben bereits seit 2010 geplant, aus der Türkei auszureisen. Eine konkrete, letztendlich fluchtauslösende Verfolgungsgefahr sei nicht vorgetragen worden. Letztlich lägen die Motive für die Ausreise im Dunklen. Es sei angesichts des in wesentlichen Punkten pauschalen und unsubstantiierten Vorbringens des Klägers deutlich erkennbar, dass andere Motive den Hintergrund für das Verlassen seines Heimatlandes gebildet haben müssten. Beim Vorbringen des unverfolgt ausgereist Klägers dränge sich eine Ablehnung des Asylantrags geradezu auf. Abschiebungsverbote lägen nicht vor. Dem Kläger drohe keine durch einen staatlichen oder nichtstaatlichen Akteur verursachte Folter oder relevante unmenschliche oder erniedrigende Behandlung. Die derzeitigen humanitären Bedingungen in der Türkei führten nicht zu der Annahme, dass bei seiner Abschiebung eine Verletzung des Art. 3 Europäische Menschenrechtskonvention (EMRK) vorliege. Der Kläger sei gesund und arbeitsfähig. Er habe Berufserfahrung in verschiedenen Bereichen und sei auch vor seiner Ausreise in der Lage gewesen, den Lebensunterhalt für sich, seine Ehefrau und seine drei Kinder zu sichern. Es bestünden keine Anhaltspunkte dafür, dass er und seine Ehefrau nicht imstande sein würden, sich bei Rückkehr in die Türkei eine existenzsichernde Grundlage zu schaffen. Im Übrigen habe der Kläger selbst angegeben, dass er bei einer Rückkehr wohl wieder eine Arbeit finden würde. Darüber hinaus habe er in der Türkei noch ein familiäres Netzwerk, auf das er zurückgreifen könnte. Nach eigener Aussage kümmere sich bereits jetzt einer seiner Brüder um seine in der Türkei verbliebene Familie. Es sei daher nicht davon auszugehen, dass der Kläger bei einer Rückkehr in eine existenzielle Notlage geraten würde. Vielmehr sei zu erwarten, dass er durch die Annahme von zumindest Gelegenheitsarbeiten und die anfängliche Annahme von Hilfen seiner Familie bei Rückkehr den Lebensunterhalt für sich und seine Familie sichern können werde. Dem Kläger drohe auch keine individuelle Gefahr für Leib oder Leben nach § 60 Abs. 7 AufenthG.
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Hiergegen erhob der Kläger mit Schreiben vom 23. November 2024, beim Bayerischen Verwaltungsgericht München eingegangen am 26. November 2024, Klage, wobei er keinen Antrag stellte.
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Zur Begründung wurde im Wesentlichen ausgeführt, dass in seinem Fall eine individuelle Bedrohung bestehe, die spezifisch auf seine religiöse Zugehörigkeit zurückzuführen sei. Eine Rückkehr sei daher unzumutbar. Zudem sei eine Ausreise aus gesundheitlichen Gründen nicht zumutbar. Er leide unter schweren psychischen Belastungen, die durch die Erlebnisse in seinem Herkunftsland sowie durch die Fluchtsituation verursacht worden seien. Diese Belastungen äußerten sich in Form von Depressionen, Angststörungen sowie posttraumatische Belastungsstörung und machten eine Rückkehr derzeit unmöglich. Durch eine Abschiebung würde sich sein Gesundheitszustand erheblich verschlechtern. Eine angemessene psychotherapeutische oder psychiatrische Behandlung sei in seinem Herkunftsland nicht oder nur unzureichend gewährleistet. Die Nichtberücksichtigung des Gesundheitszustands durch das Bundesamt stelle einen Verfahrensfehler dar. Es sei wieder ein unabhängiges medizinisches Gutachten eingeholt noch seine besondere Schutzbedürftigkeit ausreichend gewürdigt worden. Während der Anhörung sei er aufgrund seiner psychischen Belastung nicht in der Lage gewesen, seine Situation vollständig und konsistent darzustellen. Es wäre die Aufgabe des Bundesamts gewesen, dies angemessen zu berücksichtigen, z.B. durch die Einholung eines medizinischen Gutachtens oder die Terminierung eines weiteren Anhörungstermins. Diese Versäumnisse stellten eine Verletzung seines Anspruchs auf ein faires Verfahren dar.
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Die Beklagte beantragte,
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Zur Begründung bezog sie sich auf die angefochtene Entscheidung.
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Ein gleichzeitig mit der Klage eingegangener Antrag auf einstweiligen Rechtsschutz wurde mit Gerichtsbeschluss vom 9. Dezember 2024 abgelehnt (M 15 S 24.33784).
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Hinsichtlich der weiteren Einzelheiten wird auf die Gerichtsakten im vorliegenden Verfahren und im Verfahren M 15 S 24.33784 sowie auf die vorgelegte Behördenakte und das Protokoll der mündlichen Verhandlung am 3. Juli 2025 Bezug genommen (§ 117 Abs. 3 Satz 2 Verwaltungsgerichtsordnung – VwGO).
Entscheidungsgründe
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Über den Rechtsstreit konnte aufgrund der mündlichen Verhandlung am 3. Juli 2024 trotz Ausbleibens sowohl der Kläger- als auch der Beklagtenseite entschieden werden. Denn in der frist- und formgerechten Ladung zur mündlichen Verhandlung wurde darauf hingewiesen, dass auch im Fall des Nichterscheinens der Beteiligten verhandelt und entschieden werden kann (§ 102 Abs. 2 VwGO).
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Da der Kläger keinen konkreten Antrag gestellt hat, ist seine Klage – zu seinen Gunsten – dahingehend auszulegen, dass er sich gegen den kompletten Bescheid vom 11. November 2024 wendet.
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Die Klage ist zulässig, aber unbegründet, da der angegriffene Bescheid rechtmäßig ist und den Kläger nicht in seinen Rechten verletzt (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Dieser hat zum maßgeblichen Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 1 Asylgesetz – AsylG) offensichtlich keinen Anspruch auf die Anerkennung als Asylberechtigter, die Zuerkennung der Flüchtlingseigenschaft oder des subsidiären Schutzes sowie auf die Feststellung eines Abschiebungsverbots (§ 113 Abs. 5 VwGO). Dies gilt auch unter Berücksichtigung seines Auslandsaufenthalts und der Asylantragstellung im Bundesgebiet (vgl. u.a. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl, Länderinformation der Staatendokumentation Türkei, Version 7 Stand 29.6.2023, S. 249; VG Berlin, U.v. 30.11.2021 – 37 K 16/18 A – juris Rn. 52; VG Gelsenkirchen, U.v. 13.7.2021 – 14a K 4331/19.A – juris; VG Karlsruhe, U.v. 9.7.2021 – A 10 K 1357/20 – juris; VG Stuttgart, U.v. 8.4.2021 – A 18 K 4802/18 – juris jeweils m.w.N.). Die vom Bundesamt nach Maßgabe des § 34 AsylG i.V.m. § 59 AufenthG erlassene Ausreiseaufforderung und Abschiebungsandrohung sowie die Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots gemäß § 11 Abs. 1 AufenthG sind ebenfalls rechtmäßig.
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1. Die Anerkennung als Asylberechtigter scheidet bereits deswegen aus, weil der Kläger auf dem Landweg und damit aus einem sicheren Drittstaat in das Gebiet der Bundesrepublik Deutschland eingereist ist (Art. 16a Abs. 2 Satz 1 GG i.V.m. § 26a Abs. 1 Satz 1, Abs. 2 AsylG).
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2. Im Übrigen nimmt das Gericht vollumfänglich auf den Beschluss vom 9. Dezember 2024 im Verfahren M 15 S 24.33784 und die Ausführungen im streitgegenständlichen Bescheid Bezug (§ 77 Abs. 3 AsylG), zumal der Kläger zur mündlichen Verhandlung nicht erschienen ist. Ergänzend wird auf Folgendes hingewiesen:
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2.1 Die Zugehörigkeit zur Volksgruppe der Kurden begründet nach ständiger, auch obergerichtlicher, Rechtsprechung keine landesweite (Gruppen-)Verfolgungsgefahr im Sinne von § 3 AsylG (vgl. z.B. VGH BW, U.v. 17.11.2022 – A 13 S 3741/20 – juris Rn. 49; OVG Berlin-Bbg, U.v. 7.10.2022 – OVG 2 B 16.19 – juris Rn. 31; OVG Saarl, B.v. 9.3.2022 – 2 A 50/22 – juris Rn. 10; B.v. 19.3.2021 – 2 A 76/21 – juris Rn. 9; SächsOVG, B.v. 7.1.2021 – 3 A 927/20.A – juris Rn. 12; BayVGH, B.v. 10.2.2020 – 24 ZB 20.30271 – juris Rn. 6, jew. m.w.N.; VG München, U.v. 11.12.2024 – M 25 K 24.31148 UA Rn. 18; VG Köln, B.v. 9.1.2024 – 22 L 2642/23.A – juris Rn. 10 f; VG Aachen, U.v. 8.9.2023 – 8 K 2588/21.A – juris Rn. 67 f.; jew. m.w.N.). Der Kläger hat zwar geschildert, dass er als Jugendlicher von Polizisten verprügelt worden sei. Dies war jedoch für die Ausreise im Jahr 2022, als der Kläger bereits ca. 41 Jahre alt war, offensichtlich nicht kausal.
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2.2 Nach seinen Angaben (Bl. 32 der Behördenakte – BA) ist der Kläger islamischen Glaubens, sodass eine Verfolgungsgefahr in der Türkei absolut fernliegend und die klägerische Berufung auf „religiöse Zugehörigkeit“ nicht nachvollziehbar ist.
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Wie im Beschluss vom 9. Dezember ausgeführt, drängt sich in der Gesamtschau eine Ablehnung der Anträge des Klägers im Sinne einer Offensichtlichkeitsentscheidung nach § 30 Abs. 1 Nr. 1 AsylG geradezu auf.
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2.3 Der Kläger hat auch weiterhin seine gesundheitlichen Probleme nicht, wie das Gesetz es verlangt, durch aktuelle (und qualifizierte) Atteste glaubhaft gemacht. Zudem ist die medizinische Versorgung in der Türkei grundsätzlich gewährleistet (Bericht des Auswärtigen Amts über die asyl- und abschiebungsrelevante Lage in der Republik Türkei vom 20.5.2024 – Lagebericht –, S. 21). Nach alledem kann nicht angenommen werden, dass ihm alsbald nach seiner Rückkehr eine lebensbedrohliche oder schwerwiegende Erkrankung und damit eine erhebliche konkrete Gefahr für Leib oder Leben im Sinne eines Abschiebungshindernisses gemäß § 60 Abs. 7 Satz 1 AufenthG droht.
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Die Klage war daher mit der Kostenfolge aus § 154 Abs. 1 VwGO abzuweisen. Gerichtskosten werden nicht erhoben (§ 83b AsylG).
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Die Entscheidung über die vorläufige Vollstreckbarkeit folgt aus § 167 Abs. 2 VwGO i.V.m. §§ 708 ff. ZPO.