Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.01.2025 – 3 ZB 23.1118
Titel:

Keine beamtenrechtliche Unfallfürsorge auf privaten Flächen

Normenketten:
VwGO § 124 Abs. 2
BayBeamtVG Art. 46 Abs. 2 S. 1 Nr. 1
Leitsatz:
Unfälle auf Flächen, über deren Nutzung ein Dritter allein entscheiden kann und auf denen kein allgemeiner Verkehr stattfindet, unterliegen selbst dann nicht der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge, wenn sie sich auf dem Weg zwischen Dienststelle und Wohnung des Beamten ereignen (ebenso BVerwG BeckRS 2020, 9032). Eine kurze Unterbrechung des Heimwegs beeinträchtigt nur dann den Dienstunfallschutz nicht, solange bei dieser Unterbrechung der öffentliche Verkehrsraum nicht verlassen wird. (Rn. 5) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Wegeunfall, Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums zu einem eigenwirtschaftlichen Zweck, keine Unfallfürsorge auf privaten Flächen, Dienstunfallschutz, allgemeiner Verkehr
Vorinstanz:
VG Würzburg, Urteil vom 09.05.2023 – W 1 K 22.1754
Fundstelle:
BeckRS 2025, 177

Tenor

I. Der Antrag der Klägerin auf Zulassung der Berufung gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts Würzburg vom 9. Mai 2023 – W 1 K 22.1754 – wird abgelehnt.
II. Die Klägerin hat die Kosten des Zulassungsverfahrens zu tragen.
III. Der Streitwert für das Zulassungsverfahren wird auf 5.000,00 Euro festgesetzt.

Gründe

1
1. Der zulässige Antrag auf Zulassung der Berufung ist unbegründet. Die innerhalb der Rechtsmittelbegründungsfrist geltend gemachten Zulassungsgründe nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO sind nicht den Anforderungen des § 124a Abs. 4 Satz 4, Abs. 5 Satz 2 VwGO entsprechend dargelegt bzw. liegen nicht vor.
2
1.1 Das Zulassungsvorbringen legt keine ernstlichen Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angegriffenen Urteils im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO dar.
3
Solche Zweifel sind gegeben, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine einzelne erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten infrage gestellt wird (BVerfG, B.v. 21.12.2009 – 1 BvR 812/09 – juris Rn. 16; B.v. 3.3.2004 – 1 BvR 461/03 – juris Rn. 19 m.w.N.) und die Zweifel an der Richtigkeit einzelner Begründungselemente auf das Ergebnis durchschlagen (vgl. BVerwG, B.v. 10.3.2004 – 7 AV 4.03 – juris Rn. 9). Schlüssige Gegenargumente in diesem Sinne liegen vor, wenn der Rechtsmittelführer substantiiert rechtliche oder tatsächliche Umstände aufzeigt, aus denen sich die gesicherte Möglichkeit ergibt, dass die erstinstanzliche Entscheidung im Ergebnis unrichtig ist (BVerfG, B.v. 20.12.2010 – 1 BvR 2011/10 – juris Rn. 19).
4
Die von der Klägerin vorgetragene Kritik an der Urteilsbegründung zeigt nicht auf, dass das Urteil im Ergebnis unrichtig ist.
5
Soweit die Klägerin an ihrer bereits im Widerspruchsverfahren vertretenen Auffassung festhält, dass ihr die Abholung des Torschlüssels auf dem neben ihrer Familienwohnung gelegenen Nachbargrundstück „im Vorbeigehen“ und „ganz nebenher“ möglich gewesen sei, kann sie damit die tragende Erwägung des Verwaltungsgerichts nicht infrage stellen, dass beim Zurücklegen des Weges zwischen Dienststelle und Familienwohnung (Art. 46 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 BayBeamtVG) der wesentliche Zusammenhang mit dem Dienst jedenfalls dann gelöst wird, wenn der Beamte den allgemeinen öffentlichen Verkehrsraum verlässt und sich auf ein privates Grundstück begibt (UA S. 10). Diese Erwägung entspricht der höchstrichterlichen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, dass Unfälle auf Flächen, über deren Nutzung ein Dritter allein entscheiden kann und auf denen kein allgemeiner Verkehr stattfindet, selbst dann nicht der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge unterliegen, wenn sie sich auf dem Weg zwischen Dienststelle und Wohnung des Beamten ereignen (BVerwG, B.v. 22.4.2020 – 2 B 52.19 – juris Rn. 8 und 12; U.v. 26.11.2013 – 2 C 9.12 – juris Rn. 10). Das Verwaltungsgericht hat diesbezüglich festgestellt, „dass die Klägerin von ihrem unmittelbaren Nachhauseweg abgewichen ist und einen – wenn auch kurzen – Umweg eingelegt hat, indem sie den öffentlichen Straßenraum verlassen und das Grundstück ihres Nachbarn einige Meter weit betreten hat, wo sich sodann ihrem eigenen Vortrag nach das schadensstiftende Ereignis in Form des Sturzes ereignet hat“ (UA S. 12 f.). Dass eine kurze Unterbrechung des Heimwegs den Dienstunfallschutz nicht beeinträchtigt – worauf die Klägerin abstellt –, kommt nur in Betracht, solange bei dieser Unterbrechung der öffentliche Verkehrsraum nicht verlassen wird. Dem kann die Klägerin nicht entgegensetzen, dass der Dienstunfallschutz bei einer kurzen Unterbrechung wiederaufleben kann, sobald der Beamte zur Fortsetzung des Heimwegs in den öffentlichen Verkehrsraum zurückkehrt. Die von ihr zitierte Rechtsprechung bestätigt die Begrenzung des Dienstunfallschutzes auf den allgemeinen öffentlichen Verkehrsraum und den Ausschluss des Dienstunfallschutzes für den Aufenthalt auf Flächen außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums (vgl. BVerwG, U.v. 22.11.1971 – 6 C 34.68 – juris Rn. 15; U.v. 4.6.1970 – 2 C 39.68 – juris Rn. 34). Das die Klägerin schädigende Ereignis trat auf einem Privatgrundstück ein, das außerhalb des öffentlichen Verkehrsraums liegt, mithin in einem Bereich, für den – unabhängig von der Dauer der Unterbrechung – kein Dienstunfallschutz bestand. Dabei ist es unerheblich, ob sich das Grundstück im Eigentum der Klägerin befindet.
6
Da bereits durch das Verlassen des öffentlichen Verkehrsraums aus einem eigenwirtschaftlichen Zweck die Voraussetzungen für die mit der Klage begehrte Anerkennung des Sturzes auf dem Nachbargrundstück als Dienstunfall nicht vorliegen, kann die Klägerin mit ihrem weiteren Vortrag keine Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des angegriffenen Urteils begründen.
7
Dieser Vortrag richtet sich zunächst gegen die Erwägung des Verwaltungsgerichts, die Unterbrechung des Heimwegs nicht als eine kurze Unterbrechung zu werten, die den Dienstunfallschutz (im allgemeinen öffentlichen Verkehrsraum) unberührt ließe. Diese Erwägung ist für die gerichtliche Entscheidung unerheblich, weil sich die Klägerin im Zeitpunkt des schädigenden Ereignisses nicht im allgemeinen öffentlichen Verkehrsraum befand.
8
Zur Begründung ernstlicher Zweifel an der Ergebnisrichtigkeit des Urteils genügt es auch nicht, dass sich nach Ansicht der Klägerin Bestandteile der Entscheidungsgründe des angegriffenen Urteils auf Rechtsprechung zu sog. Gelegenheitsursachen beziehen. Denn auch ohne diese Begründungsbestandteile ändert sich nichts daran, dass die Klage abzuweisen war, weil sich die Klägerin im Zeitpunkt des Unfallereignisses aus einem eigenwirtschaftlichen Grund außerhalb des öffentlichen Verkehrsraumes aufgehalten hat.
9
Soweit sich das Antragsvorbringen gegen die rechtliche Wertung des Verwaltungsgerichts richtet, dass die dienstliche Verrichtung der Klägerin unfallrechtlich nicht als wesentliche Ursache für das Unfallereignis anzusehen ist, wird diese Wertung weder widerlegt noch dargelegt, inwiefern der Einwand entscheidungserheblich ist. Sofern man das Vorbringen dahingehend versteht, dass die Klägerin damit die Wertung des Verwaltungsgerichts infrage stellen möchte, dass sie auf dem Nachbargrundstück keiner dienstlichen, sondern einer eigenwirtschaftlichen Tätigkeit nachgegangen ist, legt sie nicht dar, dass diese Wertung falsch ist. Der bloß ursächliche Zusammenhang zwischen ihrer dienstlichen Verrichtung und dem Betreten des Nachbargrundstücks auf dem Rückweg reicht nicht aus, um einen wesentlichen Zusammenhang im Rechtssinne mit der dienstlichen Tätigkeit zu begründen, der die Eigenwirtschaftlichkeit in den Hintergrund treten lassen würde. Die dienstliche Verrichtung ist hier nur eine (von vielen) Ursache(n), in dem weit verstandenen Sinne, dass sie nicht hinweggedacht werden kann, ohne dass das schädigende Ereignis entfiele. Diese Ursächlichkeit ändert aber nichts daran, dass das Deponieren des Torschlüssels bei ihrem Nachbarn keinen dienstlichen, sondern nur privaten Zwecken der Klägerin (zum Hereinlassen des erwarteten Paketdienstes und des Gärtners) diente. Außerdem setzt die Klägerin der Erwägung des Verwaltungsgerichts nichts entgegen, dass es für die dienstliche Verrichtung nicht notwendig war, den Torschlüssel andernorts verwahren zu lassen und hierfür das Grundstück des Nachbarn zu betreten (UA S. 14). Die Klägerin hat ausschließlich aus privaten Motiven eine neue Handlungssequenz eröffnet, die sich deutlich von dem bloßen „vom Dienst nach Hause Fahren“ abgrenzen lässt.
10
1.2 Die Berufung ist nicht nach § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO wegen besonderer tatsächlicher oder rechtlicher Schwierigkeiten der Rechtssache zuzulassen. Sie weicht weder in tatsächlicher noch in rechtlicher Hinsicht signifikant vom Spektrum der in verwaltungsgerichtlichen Verfahren zu entscheidenden Streitfälle ab. Der Sachverhalt ist einfach überschaubar. Die entscheidende Rechtsfrage ist höchstrichterlich geklärt.
11
Eine Rechtssache weist besondere tatsächliche oder rechtliche Schwierigkeiten im Sinne von § 124 Abs. 2 Nr. 2 VwGO auf, wenn das Zulassungsvorbringen gegen das erstinstanzliche Urteil Fragen von solcher Schwierigkeit aufwirft, dass sie sich wegen der Komplexität nicht im Berufungszulassungsverfahren klären lassen. Keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten weist eine Rechtssache auf, wenn die rechtlichen Fragen sich ohne Weiteres aus den Normen ergeben oder in der Rechtsprechung geklärt sind und wenn kein besonders unübersichtlicher oder schwer zu ermittelnder Sachverhalt vorliegt (vgl. Happ in Eyermann, VwGO, 16 Aufl. 2022, § 124 Rn. 28 u. 33 m.w.N.). Auch hier muss sich der die Zulassung beantragende Verfahrensbeteiligte substantiiert mit dem angefochtenen Urteil auseinandersetzen. Insbesondere soweit die Schwierigkeiten darin gesehen werden, dass das Verwaltungsgericht auf bestimmte tatsächliche Aspekte nicht eingegangen ist oder notwendige Rechtsfragen nicht oder unzutreffend beantwortet hat, sind diese Gesichtspunkte in nachvollziehbarer Weise darzustellen und ihr Schwierigkeitsgrad plausibel zu machen (vgl. BVerfG, B.v. 23.6.2000 – 1 BvR 830/00 – juris Rn. 17).
12
Die Klägerin legt keine besonderen rechtlichen oder tatsächlichen Schwierigkeiten dar, indem sie allgemein auf die Möglichkeit verweist, dass sich aus dem Begründungsaufwand des erstinstanzlichen Urteils solche Schwierigkeiten ergeben können. Es fehlt insoweit an einer Begründung, weshalb dies bei dem vorliegenden erstinstanzlichen Urteil konkret der Fall wäre.
13
Ebenso wenig legt die Klägerin besondere rechtliche oder tatsächliche Schwierigkeiten dar, indem sie behauptet, dass die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts hinsichtlich der Vergleichbarkeit des streitgegenständlichen Sachverhalts mit demjenigen einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts einer rechtlichen Nachprüfung im Berufungsverfahren bedürfe. Insoweit macht die Klägerin nicht plausibel, weshalb eine Klärung ihrer Zweifel an der Richtigkeit des Urteils des Verwaltungsgerichts nicht im Berufungszulassungsverfahren erfolgen kann.
14
Diese Klärung ist ohne Weiteres möglich, weil bereits der Aufenthalt der Klägerin auf dem Nachbargrundstück zu einem eigenwirtschaftlichen Zweck – wie höchstrichterlich geklärt ist (s.o. 1.1) – dazu führt, dass für den auf diesem Grundstück erfolgten Sturz kein Dienstunfallschutz besteht.
15
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO.
16
3. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47, § 52 Abs. 2 GKG i.V.m. der Empfehlung in Nr. 10.8 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit.
17
Mit der Ablehnung des Antrags auf Zulassung der Berufung wird das Urteil des Verwaltungsgerichts rechtskräftig (§ 124a Abs. 5 Satz 4 VwGO).