Inhalt

VG Ansbach, Beschluss v. 04.07.2025 – AN 17 S 25.50297
Titel:

Keine systemischen Mängel bei der Behandlung von Asylbewerbern in Spanien

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 2 S. 1 Nr. 3, Abs. 5, § 113 Abs. 1 S. 1, § 114 S. 1
AsylG § 34a Abs. 1 S. 1, Abs. 2, § 75 Abs. 1, § 80
Dublin III-VO Art. 3 Abs. 2, Art. 7 Abs. 2, Art. 12 Abs. 2, Abs. 3, Abs. 4, Art. 18 Abs. 1 lit. a, Art. 21 Abs. 1 UAbs. 3, Art. 23 Abs. 2 UAbs. 2, Art. 25 Abs. 1 S. 1, Art. 29 Abs. 2 S. 2
AufenthG § 11 Abs. 1, Abs. 3, § 60 Abs. 5, Abs. 7 S. 1
Leitsätze:
1. Wie sich § 34a Abs. 2 S. 3 AsylG entnehmen lässt, ist einstweiliger Rechtsschutz auch in Bezug auf die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots möglich; er ist über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO zu gewähren. (Rn. 14) (redaktioneller Leitsatz)
2. Bei der Ermessensentscheidung über die Festsetzung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots (§ 11 Abs. 1, Abs. 3 S. 1 AufenthG) hat das Bundesamt einerseits den Zweck und das Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Verfügung und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen zu berücksichtigen. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
3. Soll der Rahmen des § 11 Abs. 3 S. 2 AufenthG mit 60 Monaten ausgeschöpft werden, müssen besondere präventive Gründe vorliegen und iRd Ermessensbegründung vom Bundesamt dargelegt werden, andernfalls ist die Ermessensausübung fehlerhaft. (Rn. 38) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Auslegung eines Antrags nach § 80 Abs. 5 VwGO im Dublin-Verfahren auch als Antrag gegen die Anordnung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots mit Befristung (Antrag vor Rechtsantragstelle des Gerichts), Ermessensfehler bei Höchstfrist von 60 Monaten für Aufenthalts- und Einreiseverbot ohne spezifische Begründung, Aufnahmeverfahren mit zuständigem Staat, wenn dessen Zuständigkeit in einem Dublinverfahren zwischen diesem (hier Spanien) und einem dritten Dublin-Staat (hier Schweiz) bereits festgestellt worden ist (Verhältnis Wiederaufnahmeverfahren zu Aufnahmeverfahren), tellung eines Wiederaufnahmegesuch statt eines Aufnahmegesuchs (kein durchgreifender Rechtsfehler), Dublin-Verfahren, kasachische Staatsangehörige, Schweiz, Spanien, einstweiliger Rechtsschutz, Auslegung Antrag, Umdeutung Wiederaufnahmegesuch, Prinzip der normativen Vergewisserung, systemische Mängel, Verelendung, Zuständigkeitswechsel, Aufnahmeverfahren, Einreise- und Aufenthaltsverbot, Befristung Einreiseverbot, Höchstfrist, Ermessensentscheidung, besondere präventive Gründe
Weiterführende Hinweise:
In Rn. 38 muss es wohl heißen statt "§ 114 Abs. 1 VwGO" richtig: "§ 114 S. 1 VwGO)" 
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17708

Tenor

1. Die aufschiebende Wirkung der Klagen gegen Ziffer 4 des Bescheids des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge vom 24. April 2025 wird angeordnet.
Im Übrigen werden die Anträge abgelehnt.
2. Die Antragsteller tragen die Kosten des Verfahrens zu ¾, die die Antragsgegnerin trägt die Kosten des Verfahren zu ¼. Gerichtskosten werden nicht erhoben.

Gründe

I.
1
Die Antragsteller wenden sich im Wege des einstweiligen Rechtsschutzes gegen eine asylrechtliche Abschiebungsanordnung nach Spanien und ein verfügtes, auf 60 Monate befristetes Einreise- und Aufenthaltsverbot für die Bundesrepublik Deutschland.
2
Die 1985 bzw. 1986 geborenen, miteinander verheirateten Antragsteller zu 1) und zu 2) und deren 2016, 2018, 2020 und 2022 geborenen Kinder, die Antragsteller zu 3) bis 6) sind Staatsangehörige von Kasachstan. Sie reisten mit kasachischen Reisepässen und mit vom spanischen Konsulat in … erteilten, von 20. Oktober bis 11. November 2024 gültigen Schengen-Visa nach ihren Angaben am 6. November 2024 nach Spanien, von dort am 8. November 2024 weiter in die Schweiz und am 22. Februar 2025 in die Bundesrepublik Deutschland, wo sie am 24. Februar 2025 Asylgesuche und am 20. März 2025 förmliche Asylanträge stellten.
3
Eine EURODAC-Abfrage vom 24. Februar 2025 ergab für die Antragsteller zu 1) und zu 2) Treffer der Kategorie 1 für die Schweiz vom 12. November 2024 und keine Treffer für Spanien. Ein Wiederaufnahmegesuch des Bundesamts für Migration und Flüchtlinge (Bundesamt) vom 2. April 2025 lehnten die Schweizer Behörden am 8. April 2025 ab und teilten mit, dass die Antragsteller am 8. November 2024 in der Schweiz um Asyl nachgesucht hätten. Spanien habe am 3. Februar 2025 der Aufnahme der Antragsteller nach Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO zugestimmt; diese seien unbekannt verzogen, so dass die Überstellungsfrist auf 18 Monate, bis 6. März 2026 verlängert worden sei. Auf ein daraufhin am 9. April 2025 auf Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) Dublin III-VO gestütztes Wiederaufnahmegesuch an Spanien teilte Spanien dem Bundesamt am 22. April 2025 mit, dass die Verantwortung Spaniens nach Art. 12 Abs. 4  Dublin III-VO anerkannt werde und dies auch der Schweiz gegenüber bereits mitgeteilt worden sei.
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Mit Bescheid vom 24. April 2025 lehnte das Bundesamt die Anträge der Antragsteller als unzulässig ab (Ziffer 1), stellte fest, dass Abschiebungsverbote nach § 60 Abs. 5 und 7 Satz 1
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AufenthG nicht vorlägen (Ziffer 2), ordnete die Abschiebung nach Spanien (Ziffer 3) und Einreise- und Aufenthaltsverbote nach § 11 Abs. 1 AufenthG an und befristete diese auf 60 Monate ab dem Tag der Abschiebung (Ziffer 4).
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Hiergegen erhob der Antragsteller zu1) vor der Rechtsantragstelle des Verwaltungsgerichts Ansbach am 30. April 2025 für sich und seine Familie Klage (AN 17 K 25.50298) und beantragte gemäß § 80 Abs. 5 VwGO, die aufschiebende Wirkung der Klagen anzuordnen.
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Er legte dabei eine schriftliche Vollmacht der Antragstellerin zu 2) vor, wonach er von dieser bevollmächtigt werde, sie vor dem Verwaltungsgericht Ansbach zu vertreten.
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Die Antragsgegnerin beantragte mit Schriftsatz vom 5. Mai 2025,
die Anträge abzulehnen.
9
Am 27. Mai 2025 wendete sich der Antragsteller zu 1) an das Bundesamt und stellte für sich und seine Familie einen „Härtefallantrag“ gem. Art. 17. Abs. 1 der Dublin III-VO und verwies zur Begründung darauf, dass seine Tochter unter einem Herzfehler (Loch im Herzen), der Sohn unter einer Brustkorbdeformation und die Antragstellerin zu 2) unter psychischen Belastungen mit Schlafstörungen litten. Die Kinder bräuchten Kontinuität, Sicherheit und medizinische Betreuung. Sie hätten sich auch bereits in Deutschland integriert.
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Wegen der weiteren Einzelheiten des Sachverhalts wird auf die beigezogenen Behördenakten und die Gerichtsakten Bezug genommen.
II.
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Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO haben Erfolg, soweit sie sich auf Ziffer 4 des Bescheids des Bundesamts vom 24. April 2025 beziehen, bleiben jedoch erfolglos in Bezug auf Ziffer 3 des Bescheids. Sie sind zulässig, aber nur bezüglich des auf das Einreise- und Aufenthaltsverbots bezogenen Antrags begründet.
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1. Das Gericht legt die Anträge der Antragsteller dahingehend aus, dass sie sich sowohl auf die Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheids vom 24. April 2025 als auch auf das angeordnete und auf 60 Monate befristete Einreise- und Aufenthaltsverbot in Ziffer 4 des Bescheids beziehen. Die Antragsteller sind rechtsunkundig und rechtsanwaltlich nicht vertreten. Sie sind darüber hinaus sprachlich kaum in der Lage, ihren rechtlichen Willen differenziert darzulegen und haben sich zur Antragstellung deshalb auch der Rechtsantragstelle des Gerichts bedient. Die damit angezeigte wohlwollende Auslegung der Anträge ergibt hier, dass sich ihre Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO nicht nur auf die Abschiebungsanordnung als regelmäßigen Gegenstand der Verfahren nach § 80 Abs. 5 VwGO beziehen, sondern auch auf das Einreise- und Aufenthaltsverbot mit Höchstfrist. Es entspricht zum einen im Zweifelfall dem Interesse der Antragsteller, ihre Anträge in einem umfassenden Sinne auszulegen – auch die Rechtsantragstelle hat die Anträge deshalb ohne inhaltliche Einschränkung aufgenommen –, zum anderen tragen die Antragsteller hier wegen der Gerichtskostenfreiheit kein Kostenrisiko und auch keine sonstigen Nachteile im Falle einer Antragsablehnung, so dass auch von daher kein Anlass für eine einschränkende Auslegung besteht.
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2. Die so verstandenen Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sind zulässig.
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Bezüglich der Abschiebungsanordnung nach § 34a AsylG sind Anträge auf Anordnung der aufschiebenden Wirkung statthaft, weil den Klagen hiergegen gemäß § 80 Abs. 2 Satz 1 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 75 Abs. 1 AsylG, keine aufschiebende Wirkung zukommt und der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO damit der zur Verhinderung der Abschiebung notwendige Rechtsbehelf ist. Wie sich § 34a Abs. 2 Satz 3 AsylG entnehmen lässt, ist einstweiliger Rechtsschutz auch in Bezug auf die Anordnung und Befristung eines Einreise- und Aufenthaltsverbots möglich. Er ist ebenfalls über einen Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO und nicht über § 123 VwGO zu gewähren, da in der Hauptsache Rechtschutz über die Anfechtungsklage zu suchen ist, § 123 Abs. 5 VwGO. Bei der Anordnung und der Befristung des Einreise- und Aufenthaltsverbots handelt es sich nämlich um einen unteilbaren und damit einheitlich anzugreifenden Verwaltungsakt (BVerwG, U.v.7.9.2021 – 1 C 47/20 – juris Rn. 10; VGH BW, B.v. 13.11.2019 – 11 S 2996/19 – juris Rn. 40).
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Die Anträge nach § 80 Abs. 5 VwGO sind auch fristgerecht innerhalb einer Woche nach der Bescheidsbekanntgabe, § 34a Abs. 2 Satz 1, Satz 3 AsylG, gestellt worden.
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Der Antragsteller zu 1) konnte wirksam für die Antragstellerin zu 2) den Antrag bei Gericht stellen, weil er von der Antragstellerin zu 2) entsprechend bevollmächtigt worden ist. Für eine wirksame Antragstellung für die Kinder bedarf es der Erklärung durch die beiden vertretungsberechtigten Elternteile. Die von der Antragstellerin zu 2) dem Antragsteller zu 1) erteilte Vollmacht betrifft zwar ihrem Wortlaut nach nur die Bevollmächtigung für die eigenen asylrechtlichen Angelegenheiten der Antragstellerin zu 2), es kann im Wege der Auslegung jedoch davon ausgegangen werden, dass die Antragstellerin zu 2) mit ihrer Vollmacht ihren Mann auch dazu bevollmächtigten wollte, ihr Vertretungsrecht für die Kinder auszuüben (zur rechtlichen Möglichkeit vgl. BGH, B.v. 29.4.2020 – XII ZB 112/19 – juris Rn. 10). Auch insoweit ist zu berücksichtigten, dass die Antragsteller juristische Laien sind. Ziel der Bevollmächtigung war ersichtlich, dass der Antragsteller zu 1) alleine zur Antragstellung für die gesamte Familie befugt werden sollte.
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3. Bezüglich des Hauptbegehrens, die aufschiebende Wirkung gegen die Abschiebungsanordnung anzuordnen, sind die Anträge unbegründet, weil die Interessensabwägung des Gerichts ein Überwiegen des Vollzugsinteresses der Antragsgegnerin gegenüber dem Aussetzungsinteresse der Antragsteller ergibt. Im Rahmen der gerichtlichen Ermessensentscheidung spielen vor allem die Erfolgsaussichten der Hauptsacheklage eine maßgebliche Rolle. Die dem Charakter des Eilverfahrens entsprechende summarische Prüfung der Sach- und Rechtslage führt zu dem Ergebnis, dass die Hauptsacheklagen aller Voraussicht nach erfolglos bleiben werden. Die in Ziffer 3 des Bescheids vom 24. April 2025 getroffene Abschiebungsanordnung erweist sich im maßgeblichen Zeitpunkt der gerichtlichen Entscheidung (§ 77 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 AsylG) nämlich als rechtmäßig und verletzt die Antragsteller nicht in ihren Rechten, § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO.
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a) Rechtsgrundlage der Abschiebungsanordnung ist § 34a Abs. 1 Satz 1 Alt. 2 AsylG. Danach ordnet das Bundesamt die Abschiebung in den für die Durchführung des Asylverfahrens zuständigen Staat an, sobald feststeht, dass die Abschiebung dorthin durchgeführt werden kann.
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aa) Spanien ist für die Durchführung der Asylverfahren der Antragsteller zuständig und zur deren Aufnahme nach Art. 18 Abs. 1 Buchstabe a) i.V.m. Art. 12 Abs. 2 bzw. Abs. 4 Dublin III-VO verpflichtet, weil die Antragsteller jeweils mit von der spanischen Auslandsvertretung erteilten Visa in den Dublin-Raum eingereist sind und diese Visa im Zeitpunkt der ersten Asylantragstellung, auf den gemäß Art. 7 Abs. 2 Dublin III-VO abzustellen ist, entweder noch gültig waren (Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO) oder jedenfalls noch keine sechs Monate abgelaufen waren (Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO). Die Visa der Antragsteller waren bis zum 11. November 2024 gültig, die erste Asylantragstellung fand in der Schweiz statt, wobei sich aus der EURODAC-Datei die Antragstellung für den 12. November 2024 ergibt – dann wäre Art. 12 Abs. 4 Dublin III-VO einschlägig –, während die Schweizer Behörden im Schreiben vom 8. April 2024 mitteilten, dass von den Antragstellern bereits am 8. November 2024 in der Schweiz um Asyl nachgesucht worden sei- dann würde Art. 12 Abs. 2 Dublin III-VO eingreifen. Unabhängig vom genauen Tag der Asylantragstellung ist die Zuständigkeit Spaniens jedenfalls klar und ohne Zweifel, zumal die Zuständigkeit auch im Aufnahmeverfahren zwischen der Schweiz und Spanien einvernehmlich und bindend festgestellt worden ist und sich die Antragsteller hiergegen, etwa durch Gerichtsverfahren in der Schweiz, auch nicht gewendet haben. Spanien selbst hat seine Zuständigkeit gegenüber dem Bundesamt am 22. April 2025 auch anerkannt. Eine vorrangige Zuständigkeit der Bundesrepublik Deutschland oder eines anderen europäischen Staates nach Art. 9 bis 11  Dublin III-VO ist nicht ersichtlich.
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Ob eine Zuständigkeitsprüfung seitens des Bundesamtes und des Verwaltungsgerichts in der vorliegenden Konstellation, in der zwischen der Schweiz als zuständigkeitsprüfendem Staat und Spanien als (potentiell) zuständigem Staat die Zuständigkeit bereits geklärt wurde, überhaupt stattfinden muss, kann dahinstehen, da über das Ergebnis – nämlich die Zuständigkeit Spaniens – Konsens besteht.
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bb) Es liegen auch keine Umstände nach Art. 3 Abs. 2 Dublin III-VO vor, die eine Rückkehr der Antragsteller nach Spanien unzumutbar erscheinen ließen oder zur Verpflichtung der Antragsgegnerin zur Ausübung des Selbsteintrittsrechts nach Art. 17 Abs. 1 Dublin III-VO führen würden.
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Nach dem Prinzip der normativen Vergewisserung (vgl. BVerfG, U.v. 14.5.1996 – 2 BvR 1938/93 – juris) bzw. dem Prinzip des gegenseitigen Vertrauens (vgl. EuGH, U.v. 21.12.2011 – C 4 11/10 und C 493/10 – juris) gilt die Vermutung, dass die Behandlung der Asylbewerber in jedem einzelnen Mitgliedstaat der Europäischen Union den Vorschriften der Genfer Flüchtlingskonvention (GFK), der Europäischen Konvention für Menschenrechte (EMRK) und der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRCh) entspricht. Diese Vermutung ist jedoch dann widerlegt, wenn das Asylverfahren oder die Aufnahmebedingungen für Asylbewerber in diesem Mitgliedsstaat systemische Mängel aufweisen, zu einer ernsthaften und durch Tatsachen bestätigten Gefahr für die Antragsteller führen, bei Rückführung in den zuständigen Mitgliedstaat einer unmenschlichen oder erniedrigenden Behandlung im Sinne von Art. 4 GRCh bzw. Art. 3 EMRK ausgesetzt zu sein. An die Feststellung derartiger Mängel sind hohe Anforderungen zu stellen und ist ein strenger Beurteilungsmaßstab zugrunde zu legen (vgl. näher BVerwG, B.v. 19.3.2014 – 10 B 6/14 – juris).
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Derartige systemische Mängel werden von der Rechtsprechung für Spanien nicht angenommen (VG Chemnitz, B.v. 12.4.2022 – 5 L 122/22.A – juris Rn. 17ff.; VG Gera, B.v. 22.2.2022 – 6 K 963/21Ge – juris Rn. 26ff.; VG Würzburg, B.v. 9.12.2021 – W 2 S 21.50343 – juris Rn. 19ff. und B.v. 11.1.2019 – W 2 S 19.500022; ständ. Rspr. der Kammer, vgl. VG Ansbach, B.v. 31.5.2022 – AN 17 S 20.50132, B.v. 6.10.2022 – AN 17 S 20.50150 – juris). Sie sind auch konkret für die Antragsteller nicht ersichtlich.
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In Spanien existiert ein rechtsstaatliches Asylverfahren mit administrativen und gerichtlichen Beschwerdemöglichkeiten (vgl. Bundesamt für Fremdenwesen und Asyl der Republik Österreich [BFA], Länderinformationsblatt der Staatendokumentation: Spanien, 8.11.2022, S. 5 ff.). Bedürftige Asylbewerber haben in Spanien Anspruch auf Unterkunft und Grundversorgung (BFA, a.a.O., S. 13). Der Wohnort und die Art der Unterbringung von Dublin-Rückkehrern werden von den spanischen Behörden auf der Grundlage der Bedürfnisse der Asylbewerber zugewiesen (BFA, a.a.O, S. 7). Ebenso sind Asylbewerber berechtigt, sechs Monate nach Asylantragstellung eine Arbeit aufzunehmen (BFA, a.a.O., S. 16). Das spanische Recht sieht für alle Asylbewerber ebenso wie für spanische Bürger den vollen Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem vor. Der universelle Zugang zum öffentlichen Gesundheitssystem gilt auch für irreguläre Migranten (BFA, a.a.O., S. 17 f.).
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Nach alledem ergibt sich für die Antragsteller bei einer Rückkehr nach Spanien prognostisch auch unter Berücksichtigung ihrer Erkrankungen keine ernsthafte Gefahr einer erniedrigenden oder menschenunwürdigen Behandlung.
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cc) Eine solche droht ihnen auch nicht nach einer etwaigen Anerkennung als Schutzberechtigte, was nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshof bereits im Dublin-Verfahren in den Blick zunehmen ist (EuGH, U.v. 19.3.2019 – C-163/17 – juris Rn. 87 ff.). Die Lage stellt sich für Personen mit internationalem Schutz in Spanien wie folgt dar:
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Anerkannte Flüchtlinge und subsidiär Schutzberechtigte erhalten in Spanien eine Aufenthaltserlaubnis für fünf Jahre, die verlängert werden kann. Die Ausstellung eines langfristigen Aufenthaltstitels ist nach fünf Jahren möglich. Anerkannte Flüchtlinge können die spanische Staatsbürgerschaft frühestens nach fünf Jahren und subsidiär Schutzberechtigte nach zehn Jahren erhalten. International Schutzberechtigte genießen in ganz Spanien Freizügigkeit und haben denselben Zugang zum Arbeitsmarkt wie spanische Bürger. Probleme kann es aufgrund mangelnder Sprachkenntnisse oder Qualifikationen bzw. aufgrund von Diskriminierung geben. Spanien bietet zudem Unterstützung mittels eines Unterbringungs- und Integrationsprogrammes. International Schutzberechtigte haben weiter Zugang zu Sozialhilfe wie spanische Bürger. In der Praxis besteht dieser Zugang ohne besondere Hindernisse. Zugang zu medizinischer Versorgung besteht unter denselben Bedingungen wie für Asylbewerber. Nichtregierungsorganisationen bieten Hilfe, etwa bei dem Finden einer eigenen Wohnung (BFA, a.a.O., S. 18 f.).
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Den Antragstellern droht hiernach keine Verelendung. Jedenfalls ein Elternteil ist prognostisch in der Lage zu arbeiten und den Lebensunterhalt der Familie dadurch zu finanzieren. Tätigkeiten im niedrigqualifizierten Bereich sind dabei zumutbar. Die Antragsteller haben aber auch Anspruch auf Sozialleistungen. Die medizinische Versorgung ist ebenso gewährleistet.
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b) Die Zuständigkeit Spaniens ist auch nicht erloschen, insbesondere ist sie nicht zwischenzeitlich auf die Schweiz oder Deutschland übergegangen. Es bestehen auch keine Verfahrensmängel im Hinblick auf das Übernahmeverfahren zwischen Deutschland und Spanien, auf die sich die Antragsteller berufen könnten.
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Die Zuständigkeit ist nicht auf die Schweiz übergegangen. Ausweislich der EURODAC-Datei und der Mitteilung der Schweizer Behörden haben die Antragsteller in der Schweiz Asylanträge gestellt. Die Schweiz hat jedoch mit Spanien ordnungsgemäß und fristgerecht ein Aufnahmeverfahren nach Art. 18 Abs. 1 Buchst. a), Art. 21, 22 Dublin III-VO durchgeführt, in dem die Zuständigkeit Spaniens festgestellt worden ist. Zu einem Zuständigkeitsübergang auf die Schweiz nach Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 3 Dublin III-VO ist es – soweit dies nachvollzogen werden kann – nicht gekommen. Die Antragsteller haben sich in der Schweiz gegen einen Überstellungsbescheid offensichtlich nicht gewehrt. Die Zuständigkeit Spaniens steht damit fest. Aufgrund des Untertauchens der Antragsteller in der Schweiz, wurde von den dortigen Behörden die Überstellungsfrist nach Art. 29 Abs. 2 Satz 2 Alt. 2 Dublin III-VO auf 18 Monate verlängert, so dass es auch nicht nach Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO zu einem Zuständigkeitsübergang auf die Schweiz gekommen ist.
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Es ist auch nicht zu einem Zuständigkeitswechsel auf Deutschland gekommen. Die Antragsgegnerin hat mit Spanien fristgerecht ein Übernahmeverfahren nach Art. 18, 21 ff Dublin III-VO durchgeführt. Da in Spanien von den Antragstellern bislang kein Asylantrag gestellt worden ist (vgl. EURODAC-Datei, die keinen Treffer aufweist), war seitens der Antragsgegnerin ein Aufnahmegesuch an Spanien zu stellen, vgl. Art. 18 Abs. 1 Buchst. a) Dublin III-VO. Zwar hat das Bundesamt mit Formularvordruck ein Wiederaufnahmegesuch nach Art. 23 ff. Dublin III-VO gewählt, das nur in Betracht kommt, wenn ein Asylantrag auch (oder nur) im ersuchten Staat gestellt worden ist, vgl. Art. 18 Abs. 1 Buchst. b) bis d) Dublin III-VO. Dies stellt jedoch keinen zum Zuständigkeitsübergang führenden Fehler dar. Spanien hat korrekterweise seine Zuständigkeit erklärt und damit faktisch auf ein so verstandenes Aufnahmegesuch geantwortet. Die Fristen des Aufnahmeverfahrens wurden sowohl vom Bundesamt als auch von den spanischen Behörden eingehalten (Gesuch innerhalb von drei Monaten nach Antragstellung, Art. 21 Abs. 1 Unterabs. 1 Dublin III-VO und Antwort innerhalb von zwei Monaten nach Erhalt des Gesuchs, Art. 22 Abs. 1 Dublin III-VO). Eingehalten wurden darüber hinaus auch die teilweise kürzeren Fristen des Wiederaufnahmeverfahrens nach Art. 23 Abs. 2 Unterabs. 2 Dublin III-VO (drei Monate für die Stellung des Gesuchs) und Art. 25 Abs. 1 Satz 1 Dublin III-VO (ein Monat ab Befassung für die Antwort). Es gibt, wenn der zuständige Staat bereits feststeht (hier durch das Verfahren zwischen der Schweiz und Spanien) keinen Vorrang des Wiederaufnahmeverfahrens vor dem Aufnahmeverfahren, so dass das Bundesamt nicht darauf beschränkt ist, eine Rückführung in die Schweiz zu betreiben und die Antragsteller von der Schweiz nach Spanien überführt werden müssten. Ob dies auch möglich wäre, kann dahinstehen. Vorrangig ist dies jedenfalls nicht. Hierfür ergeben sich keine Anhaltspunkte aus der Dublin III-VO, deren Ziel vielmehr die schnelle Klärung der Zuständigkeit für das Asylverfahren ist.
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Die Zuständigkeit ist auch nicht zwischenzeitlich auf Deutschland übergegangen, insbesondere nicht aufgrund des Art. 29 Abs. 2 Satz 1 Dublin III-VO. Durch den Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist es zu einer Unterbrechung der Überstellungsfrist gekommen, Art. 27 Abs. 3, Art. 29 Abs. 1 Dublin III-VO und ein Ablauf mit Zuständigkeitsübergang nicht möglich.
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c) Es ist auch kein zielstaatsbezogenes oder inlandsbezogenes Abschiebungshindernis nach § 60 Abs. 5 bzw. Abs. 7 Satz 1 AufenthG für die Antragsteller erkennbar, das einer Abschiebung nach Spanien entgegenstünde. Die geltend gemachten Erkrankungen sind in Spanien behandelbar, so dass daraus kein Abschiebungshindernis folgt.
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Der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO ist hinsichtlich der Abschiebungsanordnung in Ziffer 3 des Bescheids vom 24. April 2025 somit unbegründet.
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4. Begründet ist der Antrag nach § 80 Abs. 5 VwGO hingegen hinsichtlich der Anordnung eines auf 60 Monate befristeten Einreise- und Aufenthaltsverbotes in Ziffer 3 des Bescheids.
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Rechtsgrundlage für die Festsetzung eines Einreise- und Aufenthaltsverbotes ist § 11 Abs. 1 AufenthG; über die Länge der zu setzenden Frist ist nach Ermessen zu entscheiden, § 11 Abs. 3 Satz 1 AufenthG. Dabei darf die Frist, außer in den Fällen des Abs. 5 bis Abs. 5a, fünf Jahre nicht überschreiten, § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG.
37
Bei seiner Ermessensentscheidung hat das Bundesamt einerseits den Zweck und das Gewicht der das Einreise- und Aufenthaltsverbot veranlassenden Verfügung und andererseits die schützenswerten Belange des Betroffenen, wozu eine Rückkehrperspektive zur Gewährleistung von Art. 6 und Art. 2 Abs. 1 GG, Art. 8 Abs. 1 EMRK und Art. 7 GRCh und allgemeine Verhältnismäßigkeitserwägungen gehören, zu berücksichtigen (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 47/20 – juris Rn. 14, 17). Handelt es sich um einen „Normalfall“, bei dem keine spezifischen Belange für oder gegen den betroffenen Ausländer sprechen, bestehen keinen Bedenken, das abschiebungsbedingte Einreise- und Aufenthaltsverbot auf die Dauer von 30 Monaten – also in der Mitte der Frist von 60 Monaten – zu befristen (BVerwG, U.v. 7.9.2021 – 1 C 47/20 – juris Rn. 18).
38
Soll der Rahmen des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG mit 60 Monaten ausgeschöpft werden – es handelt sich dabei um eine Höchstfrist und nicht um eine Regelfrist (vgl. OVG Koblenz, U.v. 8.11.2016 – 7 A 111058/15 – juris Rn. 38 f.) –, müssen hingegen besondere präventive Gründe vorliegen und im Rahmen der Ermessensbegründung vom Bundesamt dargelegt werden. Ansonsten stellt sich die Ermessensausübung als ermessensfehlerhaft i.S.v. § 114 Abs. 1 VwGO dar (ebenso VG Ansbach, B.v. 7.3.2025 – AN 18 S 25.50061 – juris Rn. 60 ff.; VG Ansbach, B.v. 29.4.2025; VG Aachen, U.v. 26.3.2025 – 4 K 207/25.A – juris Rn. 76 ff.; VG Würzburg, U.v. 29.1.2025 – W 5 K 25.50003 – juris Rn. 42).
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Im vorliegenden Fall sind Einzelfallgründe, die ein (längeres) Fernhalten der Antragsteller vom Bundesgebiet plausibel machen würden, nicht ersichtlich. Der Begründung des Bundesamts im Bescheid vom 24. April 2025 lassen sich keine individuellen oder spezifischen Erwägungen in diesem Sinne entnehmen. Solche ergeben sich auch nicht dem Inhalt der Behördenakte. Vielmehr hat das Bundesamt die Höchstfrist des § 11 Abs. 3 Satz 2 AufenthG faktisch zu einer Regelfrist gemacht. Dies verkennt die Systematik und den Zweck der Norm und macht vom Ermessen in einer vom Gesetz nicht vorgesehenen Weise Gebrauch und stellt damit einen Ermessensfehlgebrauch dar. Die aufschiebende Wirkung der Klage ist insoweit deshalb anzuordnen.
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5. Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 155 Abs. 1 VwGO. Dem Rechtschutz gegen die Abschiebungsanordnung kommt dabei ein deutlich höheres Gewicht zu als demjenigen gegenüber dem Einreise- und Aufenthaltsverbot für 60 Monate. Die Gerichtskostenfreiheit ergibt sich aus § 83b AsylG.
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6. Dieser Beschluss ist gem. § 80 AsylG unanfechtbar.