Titel:
Streitwert – außerordentliche und ordentliche Kündigung
Normenkette:
GKG § 42 Abs. 2, § 45 Abs. 1 und 4
Schlagworte:
Kündigungsschutzverfahren, Streitwertfestsetzung, Vergleichsmehrwert, außerordentliche Kündigung, ordentliche Kündigung, Weiterbeschäftigungsanspruch, Zeugnisregelung
Vorinstanz:
ArbG Würzburg, Beschluss vom 16.04.2025 – 3 Ca 1124/24
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17702
Tenor
1. Auf die Beschwerde des Klägervertreters wird der Beschluss des Arbeitsgerichts Würzburg – Kammer Schweinfurt – vom 16.04.2025, Az. 3 Ca 1124/24 abgeändert.
2. Der Streitwert für das Verfahren wird auf 13.424,52 € und für den Vergleich auf 16.484,52 € festgesetzt.
3. Im Übrigen wird die Beschwerde zurückgewiesen.
Gründe
1
Die Parteien stritten im Ausgangsverfahren um die Wirksamkeit einer außerordentlichen Kündigung vom 18.12.2024 und einer ordentlichen Kündigung vom 19.12.2024 zum 31.01.2025 sowie um Weiterbeschäftigung. Das Bruttomonatseinkommen des Klägers betrug 3.060,- €.
2
Das Verfahren endete am 25.03.2025 durch gerichtliche Feststellung eines Vergleichs. Darin einigten sich die Parteien u.a. auf die betrieblich veranlasste Beendigung des Arbeitsverhältnisses zum 31.01.2025, eine Abfindung und die Erteilung eines guten Zeugnisses mit üblicher Schlussformel.
3
Mit Beschluss vom 16.04.2025 setzte das Arbeitsgericht den Streitwert für das Verfahren auf 9.180,- € und im Hinblick auf die Zeugnisregelung für den Vergleich auf 12.240,- fest.
4
Hiergegen erhob der Klägervertreter mit Schriftsatz vom 22.04.2025 Beschwerde. Der Streitwert für das Verfahren und der Vergleichswert seien um die Entgeltdifferenz, die zwischen den beiden Beendigungsterminen lägen, zu erhöhen. Die ordentliche Kündigung sei nicht als hilfsweise Kündigung der außerordentlichen Kündigung zu werten. Hierfür würde es an Anhaltspunkten fehlen.
5
Das Arbeitsgericht half der Beschwerde mit Beschluss vom 29.04.2025 nicht ab und legte das Verfahren dem Landesarbeitsgericht zur Entscheidung vor. Die Kündigungen seien in unmittelbarer zeitlicher Abfolge und offensichtlich auf Grundlage der gleichen einheitlichen Beendigungsentscheidung erklärt worden. Sie würden auf demselben Lebenssachverhalt gründen.
6
Das Landesarbeitsgericht gab den Beteiligten Gelegenheit zur Stellungnahme. Der Klägervertreter hielt in seiner Stellungnahme an seiner Auffassung fest. Die ordentliche Kündigung sei nicht hilfsweise ausgesprochen worden, die außerordentliche Kündigung daüber hinaus von einem nicht zur Kündigung Berechtigten. Die übrigen Beteiligten gaben keine inhaltliche Stellungnahme ab.
7
I. Die Beschwerde ist zulässig. Sie ist statthaft, § 68 Abs. 1 GKG, denn sie richtet sich gegen einen Beschluss, durch den der Wert für die Gerichtsgebühr gemäß § 63 Abs. 2 GKG festgesetzt worden ist. Dies gilt auch bei der Beendigung des Verfahrens durch Vergleich und auch für die Festsetzung eines Vergleichsmehrwerts (LAG Nürnberg 28.05.2020 – 2 Ta 76/20 juris; 24.02.2016 – 4 Ta 16/16 juris mwN). Der Wert des Beschwerdegegenstandes übersteigt 200,- €. Die Beschwerde ist innerhalb der in § 63 Abs. 3 Satz 2 GKG bestimmten Frist eingelegt worden, § 68 Abs. 1 Satz 3 GKG. Der Klägervertreter kann aus eigenem Recht Beschwerde einlegen, § 32 Abs. 2 RVG.
8
II. Die Beschwerde ist zum großen Teil begründet. Im vorliegenden Fall waren die beiden Kündigungen gesondert mit je einem Vierteljahresverdienst zu bewerten und der sich ergebende Wert wegen wirtschaftlicher Identität um den sich überlappenden Zeitraum der jeweiligen Vierteljahre zu kürzen.
9
1. Die seit 01.01.2020 für Streitwertbeschwerden allein zuständige Kammer 2 des Landesarbeitsgerichts Nürnberg folgt grundsätzlich den Vorschlägen der auf Ebene der Landesarbeitsgerichte eingerichteten Streitwertkommission. Diese sind im jeweils aktuellen Streitwertkatalog für die Arbeitsgerichtsbarkeit niedergelegt (derzeitige Fassung vom 01.02.2024, NZA 2024, 308). Der Streitwertkatalog entfaltet zwar keine Bindungswirkung. Er stellt aber aus Sicht des erkennenden Gerichts eine ausgewogene mit den gesetzlichen Vorgaben übereinstimmende Orientierung für die Arbeitsgerichte dar.
10
2. Der Streitwert für das Verfahren war auf 13.424,52 € festzusetzen. Soweit der Klägervertreter einen geringfügig höheren Wert errechnet hat, war die Beschwerde zurückzuweisen.
11
a. Nach Ziff. I Nr. 20 iVm 21.3 Streitwertkatalog wird – wenn mehrere Kündigungen streitgegenständlich sind – die erste Kündigung mit der Vergütung für ein Vierteljahr bewertet, es sei denn, unter Auslegung des Klageantrags und der Klagebegründung ist nur der Fortbestand des Arbeitsverhältnisses von unter drei Monaten im Streit (vgl. § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG). Die erste Kündigung ist stets die Kündigung mit dem frühesten Beendigungszeitpunkt, auch wenn sie später ausgesprochen und später angegriffen wird. Für die Folgekündigungen ist jeweils die Entgeltdifferenz zwischen den verschiedenen Beendigungszeitpunkten, maximal die Vergütung für ein Vierteljahr anzusetzen. Nach Ziff. I Nr. 21.1 Streitwertkatalog ist eine außerordentliche Kündigung, die hilfsweise als ordentliche erklärt wird (einschließlich Umdeutung nach § 140 BGB), höchstens mit der Vergütung für ein Vierteljahr zu bewerten, unabhängig davon, ob sie in einem oder mehreren Schreiben erklärt werden. In diesem Falle handelt es sich nämlich wirtschaftlich um eine Einheit, auch der Streitgegenstand ist letztlich der gleiche, da die ausgesprochenen Kündigungen von dem Kündigenden ebenfalls als eine Einheit angesehen werden (GMP Germelmann/Künzl, ArbGG, 10. Aufl., § 12 ArbGG, Rn 109). Deshalb ist auch der Streitwert nicht über die Grenze des § 42 Abs. 2 Satz 1 GKG festzusetzen.
12
b. Aus Sicht des Beschwerdegerichts folgt aus diesen Grundsätzen im vorliegenden Fall, dass eine gesonderte Bewertung der Kündigungen zu erfolgen hat. Die Beklagte hat zwei Kündigungen ausgesprochen mit jeweils unterschiedlichen Beendigungszeitpunkten. Die außerordentliche Kündigung vom 18.12.2024 hat der Beklagte dem Kläger am selben Tage persönlich übergeben. Sie ist nicht von ihm unterschrieben, sondern offenbar von seiner nicht vertretungsberechtigten Frau. Am 20.12.2024 ging dem Kläger die ordentliche Kündigung vom 19.12.2024 zu, die vom Beklagten unterschrieben ist. Die später ausgesprochene ordentliche Kündigung nimmt keinen Bezug auf die außerordentliche Kündigung, ist also nicht etwa hilfsweise oder vorsorglich ausgesprochen. Es ist zwar ein enger zeitlicher Zusammenhang gegeben. Auch kann unterstellt werden, dass beide Kündigungen auf denselben Kündigungsgründen beruhen. Hierfür spricht, dass die Parteien sich auf eine „betrieblich veranlasste“ Kündigung geeinigt haben. Es ist aber eben nicht ausreichend klar, dass der Beklagte schon vor Zugang der außerordentlichen Kündigung den Entschluss gefasst hatte, auch (hilfsweise) ordentlich zu kündigen. Die ordentliche Kündigung wurde nicht gleichzeitig ausgesprochen, sondern erst einen Tag später. Auch ist nicht ersichtlich, dass dies lediglich auf formalen Gründen beruhte, etwa weil die im Rahmen der Betriebsratsanhörung nach § 102 Abs. 2 BetrVG unterschiedlichen Fristen abgewartet werden mussten. Beruht eine später ausgesprochene Kündigung aber nicht auf demselben Kündigungsentschluss, ist sie grundsätzlich gesondert zu bewerten. Die Kündigungen können dann nicht im Sinne von Ziff. I. Nr. 21.1. Streitwertkatalog als Einheit angesehen werden.
13
c. Der im Verfahren geltend gemachte Weiterbeschäftigungsanspruch war nicht zu bewerten. Er war als Hilfsantrag anzusehen, über den weder eine Entscheidung erging noch die Parteien eine vergleichsweise Regelung getroffen haben (§ 45 Abs. 1 Satz 2, Abs. 4 GKG; vgl. LAG Nürnberg 19.03.2020 – 2 Ta 15/20 und 04.08.2020 – 2 Ta 84/20). Dies hat der Klägervertreter im Beschwerdeverfahren auch nicht mehr geltend gemacht.
14
d. Demgemäß errechnet sich der Streitwert für das Verfahren wie folgt: Die außerordentliche Kündigung vom 18.12.2024 ist mit einem Vierteljahreseinkommen zu bewerten. Damit ist der Zeitraum bis einschließlich 18.03.2025 abgedeckt. Die ordentliche Kündigung vom 19.12.2024 ist ebenfalls mit einem Vierteljahreseinkommen zu bewerten. Damit ist der Zeitraum vom 01.02.2025 bis 30.04.2025 abgedeckt. Die beiden Zeiträume überschneiden sich, so dass das Einkommen vom 19.12.2024 bis 30.04.2025 für die Wertfestsetzung maßgebend ist. Die zwölf Tage im Dezember sind mit 1.184,52 € (3.060,- € ÷ 31 × 12), die Zeit von Januar bis April 2025 mit 12.240,- € (3.060,- € × 4) zu bewerten. Insgesamt beträgt der Streitwert für das Verfahren also 13.424,52 €.
15
3. Demgemäß war der Wert des Vergleichs auf 16.484,52 € festzusetzen. Denn die Einigung auf ein gutes Zeugnis mit üblicher Schlussformel ist dann, wenn die Kündigung auf verhaltens- oder leistungsbedingten Gründen beruht, mit einem Monatseinkommen zu bewerten (vgl. Ziff. I. Nr. 25.1.3 Streitwertkatalog). Dies hat das Arbeitsgericht zu Recht erkannt.
16
Die Entscheidung konnte ohne mündliche Verhandlung durch den Vorsitzenden alleine ergehen, § 78 Satz 3 ArbGG.
17
Für eine Kostenentscheidung bestand kein Anlass, da das Beschwerdeverfahren gebührenfrei ist und eine Kostenerstattung nicht stattfindet, § 68 Abs. 3 GKG.