Titel:
Zur Frage der Erstattungsfähigkeit von Kosten eines Terminsvertreters (sog. „110 %-Grenze", Prognose, (fiktive) Terminsgebühr, maßgeblicher Gegenstandswert).
Normenketten:
ZPO §§ 91 ff.
RVG §§ 23, 32, 33
VV-RVG Nrn. 3200, 3202, 3401, 3402
Schlagworte:
Teilerledigterklärung, Streitwertfestsetzung, Terminsvertreter, Prognoseentscheidung, Reisekosten, Terminsgebühr, Beschwerdeverfahren
Vorinstanz:
LG München I vom -- – 32 O 12115/22
Fundstelle:
BeckRS 2025, 17666
Tenor
I. Unter Zurückweisung der sofortigen Beschwerde im Übrigen wird der Kostenfestsetzungsbeschluss vom 12.05.2025 dahingehend abgeändert, dass die von dem Beklagten an die Klägerin nach dem Anerkenntnisurteil des OLG München vom 24.02.2025 zu erstattenden Kosten auf € 4.665,51 (statt: € 2.839,10) nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 06.03.2025 festgesetzt werden.
II. Von den außergerichtlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen die Klägerin 32 %, der Beklagte 68 %; die Gerichtskosten trägt die Klägerin.
III. Der Wert der Beschwerde beträgt € 2.687,74.
Gründe
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Mit Endurteil vom 30.10.2023 verurteilte das Landgericht den Beklagten (nach einer Teilerledigterklärung) zur Zahlung von noch € 26.793,62 und wies dessen Widerklage über € 22.029,00 ab. Die Kosten des Rechtsstreits legte es dem Beklagten auf und setzte den Streitwert auf € 86.394,00 fest. Der Beklagte legte gegen das Urteil vollumfänglich Berufung ein.
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Nach einer weiteren Teilerledigterklärung über € 19.881,11 terminierte das OLG am 28.11.2024 auf den 17.02.2025. In diesem Termin erschien für die Klägerin Rechtsanwalt …, in Untervollmacht als Terminsvertreter. In dem Termin stimmte der Beklagte der zuletzt erklärten Teilerledigterklärung der Klägerin zu und nahm die Berufung hinsichtlich der Abweisung der Widerklage durch das Landgericht zurück; den zuletzt gestellten Zahlungsantrag der Klägerin erkannte er an. Die Kosten des Berufungsverfahrens hat der Beklagte zu tragen.
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Mit Beschluss vom 24.02.2025 setzte das OLG sodann den Streitwert dieses Verfahren auf € 48.822,62 fest.
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Am 06.03.2025 beantragte die Klägerin diesbezügliche Kostenfestsetzung, wobei sie für den Unterbevollmächtigten Rechtsanwalt … den Nettobetrag der von diesem an die Klägerin gerichteten Rechnung vom 05.03.2025 ansetzte: Rechtsanwalt … macht damit eine 0,8 Verfahrensgebühr sowie eine 1,2 Terminsgebühr (nebst sog. Postpauschale) geltend, netto eine Summe von € 2.578,00.
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Mit dem nunmehr angefochtenen Beschluss setzte die Rechtspflegerin demgegenüber zu Gunsten der Klägerin einen Betrag von nur € 2.839,10 (nebst Zinsen) fest. Zur Begründung wird angeführt, die fiktiven Reisekosten des Hauptbevollmächtigten der Klägerin seien deutlich geringer, so dass hinsichtlich der Kosten des Unterbevollmächtigten lediglich (fiktive) Reisekosten zu berücksichtigen sei. Dagegen wendet sich die Klägerin mit ihrer sofortigen Beschwerde, die sie damit begründet, der Hauptbevollmächtigte habe davon ausgehen dürfen, dass der Streitwert für die Zeit nach der Teilerledigterklärung auf nur mehr € 6.902,74 festgesetzt werde; in diesem Falle lägen die Kosten für den Unterbevollmächtigten unwesentlich höher als die Reisekosten.
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Die gemäß §§ 104 Abs. 3, 567, 569 ZPO zulässige sofortige Beschwerde hat teilweise Erfolg; sie ist zwar insoweit unbegründet, als die Einschaltung eines Terminsvertreters kostenrechtlich nicht statthaft war, ist aber insofern erfolgreich, als die durch das Auftreten des Unterbevollmächtigten angefallene Terminsgebühr zu berücksichtigen ist.
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1. Der Terminsvertreter wurde hier offensichtlich im Namen der Klägerin beauftragt, an die er seine Rechnung auch gerichtet hat; die hier angeschnittene (und zu verneinende – BGH, Beschl. v. 22.05.2023 – VI a ZB 22/22) Frage, ob ein Hauptbevollmächtigter, der einen Ter-minsvertreter im eigenen Namen hinzuzieht, dessen Kosten als Auslagen geltend machen kann, stellt sich daher nicht.
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2. Die Parteien verkennen nicht, dass die Kosten für einen Terminsvertreter dann erstattungsfähig sind, wenn sie die (fiktiven) Reisekosten des Hauptbevollmächtigten um nicht mehr als ca. 10% übersteigen (sog. „110 %-Grenze“, vgl. etwa BGH, Beschl. v. 06.11.2014 – I ZB 38/14; Senat, Beschl. v. 15.02.2016 – 11 W 198/16; Gerold/Schmidt-Müller-Rabe, RVG, 26. Aufl., VV 3401 Rn. 85 ff.; Hansens, RVG-Report 2014, 373).
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Richtig ist zwar, dass maßgeblich hierfür eine Prognose ist, dahin, ob – im Zeitpunkt der Beauftragung des Unterbevollmächtigten – dessen Kosten die „110 %-Grenze“ nicht übersteigen werden.
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Davon konnte die Klägerin jedoch auch nach Ansicht des Senats nicht ausgehen; die Annahme, es könne diesbezüglich auf einen Streitwert von nur knapp € 7.000,00 abgestellt werden, ist gewagt: Im Zeitpunkt der Terminierung des OLG auf den 17.02.2025 waren noch wesentlich höhere Summen im Spiel und erst im Termin stimmte der Beklagte einer Teilerledigung zu bzw. nahm die Widerklage zurück. Es konnte nicht davon ausgegangen werden, der „Streitwert“ werde entsprechend niedrig festgesetzt.
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Zunächst setzt das Gericht nur den Streitwert für die Gerichts kosten fest und dieser bemisst sich nach dem insgesamt höchsten Wert, weder die Teilerledigterklärung noch die Rücknahme der Berufung hinsichtlich der Widerklage spielen insoweit eine Rolle. Eine nach Zeitabschnitten gestaffelte Wertfestsetzung für den Streitwert der Gericht skosten ist unzulässig (vgl. zuletzt OLG Köln, Beschl. v. 29.10.2024 – 26 W 12/22; Senat, Beschl. v. 01.07.2024 – 11 W 969/24 e; Beschl. v. 16.10.2020 – 11 W 1436/20; OLG München, Beschl. v. 13.12.2016 – 15 U 2407/16).
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Richtig ist, dass beispielsweise die Terminsgebühr für einen Anwalt nach einer Teilklagerücknahme oder einer Teilerledigung aus einem anderen Wert – also nicht wegen §§ 23, 32 RVG nach dem Wert der Gerichts kosten – zu berechnen sein kann: Dieser wird indes nur auf Antrag gemäß § 33 RVG bestimmt (s. Gerold/Schmidt-Mayer, a.a.O., § 32 Rn. 7). Ein Antrag nach § 33 RVG ist hier nicht erkennbar und hätte auch nichts geändert, da der anwaltliche Gegenstandswert des Berufungsverfahrens bei Beauftragung des Untervertreters noch deutlich höher lag, als es dem zuletzt gestellten Antrag der Klägerin entspricht; die Verfahrensgebühr aus dem höheren Gegenstandswert war daher bereits angefallen. Überdies hat der Senat den Streitwert für das Berufungsverfahren auf immerhin € 48.822,62 festgesetzt; auch insoweit zeigt sich, dass die von der Klägerin angestellte Prognose nicht richtig war.
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3. Erfolg hat die sofortige Beschwerde allerdings insoweit, als das Landgericht offensichtlich keine Terminsgebühr angesetzt hat, obwohl ein solcher stattfand: Verweist man die Klägerin nämlich – hier zutreffend – darauf, ihr Hauptbevollmächtigter habe die Obliegenheit gehabt, selbst anzureisen, so hätte dieser die Gebühr für den Termin vom 17.02.2025 verdient (Müller-Rabe, a.a.O., VV 3401 Rn. 87, 109, 117).
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4. Das bedeutet, dass die von dem Terminsvertreter geltend gemachte 1,2 Terminsgebühr in Höhe von € 1.534,80 zu berücksichtigen ist, so dass sich zusammen mit der 1,6 Verfahrensgebühr des Hauptbevollmächtigten (€ 2.046,40, plus Telekommunikationspauschale) zuzüglich der fiktiven Reisekosten in – nicht angegriffener – Höhe von € 319,40 ein richtiger Nettobetrag von € 3.920,60, brutto € 4.665,51 ergibt. Beantragt hatte die Klägerin am 06.03.2025 € 5.526,84, so dass das Rechtsmittel in Höhe von € 861,33 unbegründet ist und im Übrigen Erfolg hat. Der Beschwerdewert beträgt € 2.687,74 (Differenz zwischen Antrag vom 06.03.2025 und dem Betrag aus dem Kostenfestsetzungsbeschluss).
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5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO. Für die Gerichtskosten (€ 66,-) gilt KV-GKG Nr. 1812; diesbezüglich ist eine Quotelung nicht möglich, da sie nur beim Beschwerdeführer, nicht beim Beschwerdegegner, anfallen können (oder, bei vollständigem Erfolg einer Beschwerde, entfallen; eine Ermäßigung auf die Hälfte erscheint hier nicht veranlasst).