Inhalt

VGH München, Beschluss v. 10.01.2025 – 1 CS 24.1368
Titel:

Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung bei einer Abgrabungsgenehmigung für die Erweiterung eines Kiesabbaus in Teilabschnitten

Normenketten:
VwGO § 80 Abs. 5, § 80a Abs. 3
BayAbgrG Art. 8
Leitsatz:
Auch wenn im Rahmen einer Abbaugenehmigung für die Erweiterung eines Kiesabbaus vorgesehen ist, dass die einzelnen Teilabschnitte jeweils den Schwellenwert für eine Umweltverträglichkeitsprüfung nicht überschreiten, ist dennoch eine entsprechende Prüfung vorzunehmen, falls die Abgrabungsgenehmigung (bereits) den gesamten Erweiterungsbereich umfasst. (Rn. 13) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Nachbareilantrag, Erweiterung einer Kiesabbaufläche, Umweltverträglichkeitsprüfung nach Landesrecht, Gliederung der Abgrabung in Bauabschnitte, Erweiterung, Kiesabbau, Kiesabbaufläche, Umweltverträglichkeitsprüfung, Gesamtgebiet, Gesamtbereich, Abschnitt, Teilabschnitt, Abgrabung, Abgrabungsgenehmigung, Schwellenwert
Vorinstanz:
VG München, Beschluss vom 18.07.2024 – M 1 SN 24.846
Fundstelle:
BeckRS 2025, 174

Tenor

I. Die Beschwerde wird zurückgewiesen.
II. Der Antragsgegner trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladene trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
III. Der Streitwert wird für beide Rechtszüge – in Abänderung des verwaltungsgerichtlichen Beschlusses – auf jeweils 6.000 Euro festgesetzt.

Gründe

I.
1
Die Antragstellerin wendet sich im vorläufigen Rechtsschutzverfahren gegen die der Beigeladenen erteilte Abgrabungsgenehmigung für die Erweiterung eines Kiesabbaus im Trockenabbauverfahren.
2
Der Kiesabbau im Bereich der geplanten Erweiterungsfläche soll in drei Abschnitten auf den Vorhabengrundstücken erfolgen. Diese sind im Flächennutzungsplan der Stadt A. als Fläche für die Landwirtschaft dargestellt sowie im Regionalplan als Vorranggebiet für Kies und Sand ausgewiesen und als Ziele der Raumordnung gekennzeichnet. Die offene Gesamtfläche soll sich dabei stets zwischen 7,2 ha und 8,4 ha bewegen. Eine Umweltverträglichkeitsprüfung (UVP) oder eine Vorprüfung zur Feststellung der UVP-Pflicht wurde vom Antragsgegner nicht durchgeführt.
3
Das Landratsamt genehmigte die Erweiterung und die beantragte Tektur mit Bescheid vom 8. Februar 2023. Mit Änderungsbescheid vom 19. Dezember 2023 wurde die Erhöhung der Abbaumenge von 100.000 m³ auf 200.000 m³ pro Jahr und Verringerung der voraussichtlichen Abbaudauer auf sechs Jahre genehmigt. Über die dagegen gerichtete Anfechtungsklage der Antragstellerin liegt noch keine Entscheidung vor. Im vorläufigen Rechtsschutzverfahren ordnete das Verwaltungsgericht mit Beschluss vom 18. Juli 2024 die aufschiebende Wirkung der Klage gegen den Bescheid in Gestalt des Änderungsbescheids an. Die Abgrabungsgenehmigung sei rechtswidrig, weil die nach § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und Abs. 4, § 7 Abs. 1 Satz 1 UVPG i.V.m. Nr. 2.1.2 der Anlage 1 zum UVPG erforderliche Vorprüfung nicht durchgeführt worden sei. Im Abgrabungsplan sei die Fläche des geplanten Vorhabens mit ca. 11,5 ha angegeben. Maßgeblich sei allein, ob die Abbaufläche des Gesamtvorhabens in seiner geänderten Gestalt den Schwellenwert überschreite; eine privilegierende Regelung wie in Art. 8 Abs. 2 Nr. 2 BayAbgrG, wonach es nur auf die Größe der „offenen Grube“ ankomme, enthalte das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz nicht.
4
Mit der Beschwerde wendet sich der Antragsgegner gegen den Beschluss des Verwaltungsgerichts und macht geltend, dass das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz auf den streitgegenständlichen Kiestagebau nicht anwendbar sei; dieser sei insbesondere nicht von Nr. 2.1.2 der Anlage 1 zum UVPG umfasst. UVP-Trägerverfahren für das streitgegenständliche Vorhaben sei das abgrabungsrechtliche Genehmigungsverfahren. Art. 8 BayAbgrG stehe selbständig neben dem Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz. Dieses erfasse nicht alle (eventuell) UVPpflichtigen Vorhaben, diese könnten auch – wie hier – nach Maßgabe des Landesrechts geregelt werden. Der geplante Kiestagebau unterschreite den Schwellenwert von 10 ha in jeder Abbauphase, sodass im abgrabungsrechtlichen Genehmigungsverfahren keine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen sei (Art. 8 Abs. 2 Nr. 2 BayAbgrG). Für die Überschreitung des Schwellenwerts sei ausschließlich das „Prinzip der offenen Grube“ maßgeblich. Eine dem § 7 UVPG vergleichbare Vorprüfung im Einzelfall sehe das Bayerische Abgrabungsgesetz nicht vor.
5
Die Beigeladene unterstützt – ohne Stellung eines Antrags – das Beschwerdevorbringen des Antragsgegners. Die Durchführung einer Umweltverträglichkeitsprüfung sei unselbständiger Teil des jeweils vorgeschriebenen Genehmigungsverfahrens. Gleiches gelte für eine allgemeine oder standortbezogene Vorprüfung. In Art. 8 BayAbgrG seien spezielle und strengere Vorschriften zum unbedingten Erfordernis einer Umweltverträglichkeitsprüfung geregelt worden, die zugleich die Bandbreite der Fälle der allgemeinen Vorprüfung mit abdecken würden. Eine rechtliche Notwendigkeit für eine ergänzende Heranziehung des Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetzes bestehe nicht.
6
Die Antragstellerin tritt der Beschwerde entgegen. § 7 UVPG i.V.m. § 9 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2, Abs. 4 UVPG seien europarechtskonform dahingehend auszulegen, dass unter „Steinbrüchen“ im Sinn von Nr. 2.1.1 der Anlage 1 zum UVPG auch Tagebaue umfasst seien, insbesondere weil Art. 4 RL 2011/92/EU in den Anhängen eine Gleichsetzung von Steinbrüchen und Tagebauen vorsehe. Für die nach Nr. 2.1 der Anlage 1 zum UVPG maßgebliche Abbaufläche könne nicht auf das Prinzip der „offenen Grube“ abgestellt werden. Maßgeblich sei die Gesamtabbaufläche. Auch nach Art. 8 Abs. 2 Nr. 2 BayAbgrG sei eine Umweltverträglichkeitsprüfung geboten, weil die beantragte Erweiterungsfläche 11,5 ha groß sei und zusammen mit der bei Abgrabungsbeginn noch nicht rekultivierten oder renaturierten Fläche 10 ha überschreite.
7
Ergänzend wird auf die Gerichtsakten und die vorgelegten elektronischen Behördenakten Bezug genommen.
II.
8
Die zulässige Beschwerde hat keinen Erfolg. Die vom Antragsgegner dargelegten Gründe (§ 146 Abs. 4 Satz 6 VwGO) rechtfertigen keine Abänderung oder Aufhebung der angefochtenen Entscheidung. Nach der im Eilverfahren gebotenen summarischen Prüfung der Sach- und Rechtslage hat das Verwaltungsgericht im Ergebnis zur Recht die aufschiebende Wirkung der Klage der Antragstellerin gegen die der Beigeladenen erteilten Abgrabungsgenehmigung angeordnet. Die Klage der Antragstellerin wird im Hauptsacheverfahren voraussichtlich Erfolg haben, sodass das Aussetzungsinteresse der Antragstellerin gegenüber dem Vollzugsinteresse der Beigeladenen vorrangig ist.
9
Der vom Antragsgegner geltend gemachte Beschwerdegrund, dass das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz auf den streitgegenständlichen Kiesabbau nicht anwendbar sei, ist zwar berechtigt. Die angefochtene Entscheidung erweist sich aber aus anderen Gründen als richtig, weil die nach Art. 8 Abs. 1 BayAbgrG erforderliche Umweltverträglicheitsprüfung (UVP) nicht durchgeführt wurde.
10
Entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichts ist eine Vorprüfung nach § 9 Abs. 4 i.V.m. § 7 Abs. 1 Satz 1 UVPG i.V.m. Nr. 2.1.2 der Anlage 1 zum UVPG nicht erforderlich, weil das Umweltverträglichkeitsprüfungsgesetz für das geplante Kiesabbauvorhaben keine Anwendung findet. Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UVPG gilt das Gesetz über die Umweltverträglichkeitsprüfung für die in Anlage 1 dieses Gesetzes aufgeführten Vorhaben. Nr. 2.1.1 der Anlage 1 zum UVPG erfasst Steinbrüche mit einer Abbaufläche von 25 ha oder mehr, Nr. 2.1.2 erfasst Steinbrüche mit einer Abbaufläche von 10 ha bis weniger als 25 ha. Mit dem Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001 (BGBl. I S. 1950) – im Folgenden: UVP-Änderungsgesetz 2001 – wurde abweichend von der früheren Systematik die UVP-Plicht der in der Anlage 1 zum UVPG aufgeführten Vorhaben nicht mehr an das formelle Kriterium eines Zulassungsverfahrens, sondern an sachliche Merkmale (Art, Größe und Leistung, Standort) eines Vorhabens geknüpft. Seitdem ist die Durchführung einer UVP für Anlagen nach den Nummern 1 bis 10 der Anlage 1 zum UVPG unselbständiger Teil des immissionsschutzrechtlichen Genehmigungsverfahrens (Trägerverfahren für die Umweltverträglichkeitsprüfung, vgl. BVerwG, B.v. 11.5.2023- 7 B 13.22 – juris Rn. 13; Begründung zum Gesetz zur Umsetzung der UVP-Änderungsrichtlinie, der IVU-Richtlinie und weiterer EG-Richtlinien zum Umweltschutz vom 27. Juli 2001, BT-Dr. 14/4599 S. 106, 107). Für diese Anlagen wird dies durch die gleichlautende Bezeichnung der Anlagenart im Anhang 1 der 4. BImSchV sichergestellt (vgl. BT-Drs. 14.4599 S. 106). Der hier streitgegenständliche Kiesabbau fällt bereits nach seinem Wortlaut nicht unter Nr. 2.1 der Anlage 1 zum UVPG. Anders als beim Kiesabbau, der in der Regel durch Abgrabung des Lockergesteins und sofortige Verbringung auf ein Transportmittel erfolgt, wird in einem Steinbruch das Gestein mittels Sprengung oder sonstiger Bearbeitung schichtweise aus einer Gesteinslagerstätte entnommen. Für den vorliegenden Kiesabbau ist eine immissionsschutzrechtliche Genehmigung nicht erforderlich (vgl. BayVGH, B.v. 7.12.2023 – 2 CS 23.1169 – juris Rn. 21).
11
Nach summarischer Prüfung ist jedoch hier anzunehmen, dass für die geplante Erweiterung des Kiesabbaus eine Umweltverträglichkeitsprüfung durchzuführen ist, weil die maßgebliche Erweiterungsfläche den Schwellenwert in Art. 8 Abs. 1 Satz 1 BayAbgrG von 10 ha überschreitet. Der angegriffene Bescheid vom 8. Februar 2023 genehmigt eine Abbaufläche bzw. Erweiterungsfläche von 11,5 ha. Der im Verfahren vorgelegte Erläuterungsbericht (mit Ausgleichsflächen), die artenschutzrechtliche Überprüfung sowie die fachlichen Stellungnahmen, die als Auflagen in den Bescheid aufgenommen wurden, beziehen sich jeweils auf ein Gesamtvorhaben.
12
Auch Art. 8 Abs. 2 Nr. 2 BayAbgrG, wonach die Umweltverträglichkeitsprüfung für die genehmigungsbedürftige Erweiterung von Abgrabungen nur durchzuführen ist, wenn die Erweiterungsfläche zusammen mit der bei Abgrabungsbeginn noch nicht rekultivierten oder renaturierten Fläche den Schwellenwert des Abs. 1 von 10 ha überschreitet, stellt auf die Erweiterungsflächen ab. Die Vorschrift erfasst die Fälle, in denen eine zunächst nach Art. 8 BayAbgrG nicht UVP-pflichtige Abgrabung durch Erweiterung in die UVP-Pflicht gleichsam „hineinwächst“. Bezugspunkt für die UVP-Pflicht ist hier, welche Fläche bei Abgrabungsbeginn noch nicht rekultiviert oder renaturiert ist (Prinzip der „offenen Grube“, vgl. Henning/Jäde in PDK-Kommentar, BayAbgrG, Stand Januar 2015, Art. 8 Rn. 2). Damit wird eine Umgehung der UVP-Pflicht durch eine abschnittsweise und jeweils für sich genommen nicht UVPpflichtige Verwirklichung eines größeren Abgrabungskonzepts unterbunden (vgl. Begründung zum Gesetzesentwurf der Staatsregierung zur Umsetzung der RL 85/337/EWG des Rats vom 27. Juni 1985 über die Umweltverträglichkeitsprüfung bei bestimmten öffentlichen und privaten Projekten, geändert durch die RL 97/11/EG des Rats vom 3. März 1997 (Bayerisches UVP-Richtlinie Umsetzungsgesetz – BayUVPRLUG) vom 18. Mai 1999, LT-Drs. 14/994, S. 22). Danach trägt die Sonderregelung dem Umstand Rechnung, dass die Richtlinie bei der Bestimmung von UVPpflichtigen Projekten ein Vorhaben als Ganzes mit seinen Umweltauswirkungen in den Blick nimmt und nicht darauf abstellt, ob ein Projekt in Bauabschnitten oder in anderer Weise „Schritt für Schritt“ verwirklicht werden soll.
13
Es kann daher entgegen der Auffassung des Antragsgegners nicht darauf abgestellt werden, dass die einzelnen Teilabschnitte jeweils den Schwellenwert nicht überschreiten. Eine abschnittsweise Planung, bei der ein Gesamtvorhaben planerisch in mehreren aufeinander folgenden Etappen verwirklicht wird, setzt zwar eine Gesamtplanungskonzeption voraus, aber die Eigentümlichkeit der Abschnittsbildung besteht gerade darin, dass jeder Abschnitt rechtlich selbständig ist (vgl. BVerwG, B.v. 14.10.1996 – 4 VR 14.96 u.a. – juris Rn. 16). Ein solcher Fall liegt hier nach den vorstehenden Ausführungen nicht vor, da die Abgrabungsgenehmigung den gesamten Erweiterungsbereich umfasst. Der Abbau in Teilabschnitten, der Nr. 4.2.1.2 der Richtlinien für Anlagen zur Gewinnung von Kies, Sand, Steinen und Erden (Bekanntmachung des Bayer. Staatsministeriums für Landesentwicklung und Umweltfragen vom 9.6.1995, Az. 11/53-4511.3-001/90 (AllMBl. S. 589) entspricht, wonach der (genehmigte) Abbau in geordneten räumlichen und zeitlichen Abschnitten durchzuführen ist, vermag an der Größe der genehmigten Erweiterungsfläche nichts zu ändern.
14
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Es entspricht der Billigkeit, dass die Beigeladene, die keinen Antrag gestellt hat, ihre außergerichtlichen Kosten selbst trägt. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1, § 53 Abs. 2 Nr. 2, § 52 Abs. 1 GKG i.V.m. Nr.1.5 und 9.7.1 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit. Die Abänderungsbefugnis für die Streitwertfestsetzung des Verwaltungsgerichts beruht auf § 63 Abs. 3 GKG. Das nachbarliche Interesse ist anhand der geltend gemachten Auswirkungen der Abgrabung auf das Grundstück der Antragstellerin mit einem Streitwert im mittleren Rahmen zu berücksichtigen.
15
Dieser Beschluss ist unanfechtbar.