Inhalt

OLG Nürnberg, Endurteil v. 09.04.2025 – 12 U 1004/21
Titel:

Haftung eines Steuerberaters wegen entgangener Erstattungszinsen

Normenketten:
BGB § 280 Abs. 1, § 288, § 289, § 291
UStG § 13b, § 27 Abs. 19
AO § 233a, § 164 Abs. 2
Leitsätze:
1. Bei der Beurteilung, ob dem Mandanten eines Steuerberaters ein Schaden entstanden ist, kann zugunsten des Mandanten auch auf eine zum maßgeblichen Zeitpunkt gängige Praxis der Finanzverwaltung abgestellt werden, auch wenn diese Praxis später wegen rechtlicher Bedenken eingestellt wurde. (Rn. 37) (redaktioneller Leitsatz)
2. Macht der Mandant gegen den Steuerberater entgangene Erstattungszinsen als Schaden geltend, so ist bei der Schadensberechnung nicht zu berücksichtigen, dass der Mandant diese Zinsen hätte versteuern müssen, da er auch die Schadensersatzleistung versteuern muss. (Rn. 55) (redaktioneller Leitsatz)
3. Ein Steuerberater ist insbesondere verpflichtet, sich über Gesetzesänderungen und deren Konsequenzen zu informieren. (Rn. 57) (redaktioneller Leitsatz)
4. Ein Schadensersatzanspruch im Form eines entgangenen Zinsanspruchs ist ungeachtet § 289 BGB nach § 291 BGB zu verzinsen. (Rn. 66) (redaktioneller Leitsatz)
Schlagworte:
Steuerberater, Haftung, Kenntnis, Gesetzesänderung, Konsequenzen, Umsatzsteuer, Bauträger, Erstattungszinsen, Schaden, Steuerpflicht, Rechtshängigkeitszinsen, Zinseszinsverbot, Verschulden, Finanzverwaltung, Praxis
Vorinstanz:
LG Regensburg, Endurteil vom 19.03.2021 – 2 HK O 863/20
Fundstellen:
NWB 2025, 2457
LSK 2025, 17410
BeckRS 2025, 17410

Tenor

I. Auf die Berufung der Klägerin hin wird das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 19. März 2021, Az. 2 HK O 863/20, teilweise abgeändert und wie folgt neu gefasst:
1. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin 24.764,38 € nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz hieraus seit 15. Mai 2020 zu bezahlen.
2. Im Übrigen wird die Klage abgewiesen.
II. Die weitergehende Berufung der Klägerin wird zurückgewiesen.
III. Von den Kosten des Rechtsstreits in beiden Instanzen trägt die Klägerin 75% und die Beklagte 25%.
IV. Das Urteil ist vorläufig vollstreckbar. Das Endurteil des Landgerichts Regensburg vom 19. März 2021 ist, soweit die hiergegen gerichtete Berufung zurückgewiesen wird, ohne Sicherheitsleistung vorläufig vollstreckbar.
Im Übrigen können die Parteien die Zwangsvollstreckung der jeweils anderen Partei durch Sicherheitsleistung in Höhe von 110% des aufgrund des Urteils vollstreckbaren Betrags abwenden, wenn nicht die vollstreckende Partei vor der Zwangsvollstreckung Sicherheit in Höhe von 110% des jeweils zu vollstreckenden Betrags leistet.
Beschluss
Der Streitwert wird für das Berufungsverfahren auf 97.527,63 € festgesetzt.

Entscheidungsgründe

I.
1
Die Klägerin begehrt Schadensersatz in Form eines Zinsschadens wegen Schlechterfüllung des Steuerberatungsvertrags durch die Beklagte bezüglich § 13b des Umsatzsteuergesetzes (UStG).
2
Die Klägerin wurde bis zum 18. Juni 2014 von der Steuerkanzlei H betreut. Diese Steuerkanzlei wurde zum 1. Juli 2014 von der Beklagten übernommen (Anlage K 1).
3
Die Klägerin war als Bauträgerin tätig. Sie meldete für die von ihr in den Jahren 2012 und 2013 bezogenen Bauleistungen aufgrund der damals geltenden Verwaltungsauffassung Umsatzsteuer beim Finanzamt an und führte sie gemäß § 13b UStG an das Finanzamt ab. Am 14. Juli 2015 ergingen Umsatzsteuerbescheide für die Jahre 2012 (Anlage K 5) und 2013 (Anlage K 6), mit denen das Finanzamt den Vorbehalt der Nachprüfung aufhob, und die nach Ablauf der einmonatigen Einspruchsfrist bestandskräftig wurden.
4
Die 2018 gestellten Umsatzsteuererstattungsanträge der Klägerin für 2012 und 2013 wurden vom Finanzamt mit Bescheid vom 23. April 2019 (Anlage K 10) unter Hinweis auf die formell und materiell bestandskräftigen Steuerfestsetzungen abgelehnt.
5
Die Klägerin behauptete erstinstanzlich, die Beklagte sei mit Übernahme der Kanzlei auch für sie als Steuerberater zuständig gewesen. Dabei habe die Beklagte es pflichtwidrig unterlassen, auf die Möglichkeit des Einspruchs gegen die Umsatzsteuerbescheide 2012 und 2013 vom 14. Juli 2015 hinzuweisen. Wenn die Klägerin hinreichend über die Erstattungsansprüche bzw. die Einspruchsmöglichkeit belehrt worden wäre, hätte sie Einsprüche gegen die Umsatzsteuerbescheide eingelegt. Diese Einsprüche hätten auch Erfolg gehabt, da die Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs vorhersehbar gewesen sei. Durch das Unterlassen der Einsprüche sei der Klägerin ein Schaden in Form des Zinsschadens entstanden. Die Klägerin legte der Berechnung dieses Zinsschadens den Zinslauf aus dem Umsatzsteuerbescheid für 2014 vom 6. Mai 2019 (Anlage K 8), sowie einen Zinssatz von 0,5% pro Monat und einen Zinsbeginn 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, für das die Umsatzsteuer jeweils festgesetzt wurde, zugrunde. Hieraus ergebe sich für 2012 bei einem Erstattungsanspruch in Höhe von 146.551,57 € und 62 Monaten ein Zinsschaden in Höhe von 45.431,12 € und für das Jahr 2013 bei einem Erstattungsanspruch in Höhe von 208.369,91 € und 50 Monaten ein Zinsschaden in Höhe von 52.092,50 €. Die Summe bilde den Klageantrag.
6
Die Klägerin beantragte in erster Instanz:
„Die Beklagte wird verurteilt an die Klägerin € 97.523,62 nebst Zinsen hieraus in Höhe von
5% Punkten über dem Basiszinssatz p.a. seit 29.04.2019 zu bezahlen.“
7
Die Beklagte beantragte in erster Instanz:
„Klageabweisung.“
8
Die Beklagte trug erstinstanzlich vor, dass sie für die Einlegung der betreffenden Einsprüche bereits nicht mandatiert gewesen sei. Zumindest habe sie keine Pflichtverletzung begangen, denn sie habe bei der entscheidenden ex-ante-Sicht im Juli 2015 davon ausgehen dürfen und müssen, dass kein Erstattungsanspruch gegenüber dem Finanzamt bestehe. Dies habe der gängigen Verwaltungspraxis entsprochen. Dass dies noch im Juli 2017 so gewesen sei, ergebe sich aus dem BMF-Schreiben vom 26. Juli 2017. Die Rechtsprechungsänderung des Bundesfinanzhofs mit Urteil vom 27. September 2018, V R 49/17, sei nicht absehbar gewesen. Es liege daher keine Pflichtverletzung darin, im Jahr 2015 nicht zum Einspruch geraten zu haben. Die Beklagte bestreitet ferner den Schaden dem Grunde und der Höhe nach. Der Vortrag der Klägerin zur Darstellung der Schadenshöhe sei im Sinne eines Gesamtvermögensvergleiches bereits unsubstantiiert. Selbst wenn ein Erstattungsanspruch bestanden hätte, hätte zugleich eine zivilrechtliche Verpflichtung der Weiterleitung an den jeweiligen Subunternehmer bestanden, so dass der Klägerin nach der Differenzhypothese gar kein Schaden entstanden sei. Die Umsatzsteuererstattung sei bei ihr nur ein „Durchlaufposten“. Zudem habe die Beklagte die Klägerin sehr wohl darauf hingewiesen, dass für die Jahre 2012 und 2013 zu viel Umsatzsteuer an das Finanzamt gezahlt worden sei und ein Erstattungsanspruch bestehe. Zugleich sei aber darauf hingewiesen worden, dass nach der damaligen Verwaltungspraxis und Rechtsprechung das Finanzamt in der Regel die zu Unrecht abgeführte Umsatzsteuer nach § 13b UStG mit dem eigenen Umsatzsteuernachforderungsanspruch gegen den leistungserbringenden Subunternehmer aufrechne. § 13b UStG gelte außerdem nur für Generalunternehmer, nicht für Bauträger. Die geltend gemachte Schadenshöhe sei nicht plausibel dargelegt und der Zinssatz von 0,5% pro Monat nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts rückwirkend für das Jahr 2012 als verfassungswidrig anzusehen. Die geltend gemachten Verzugszinsen stellten einen Verstoß gegen das Zinseszinsverbot nach § 289 BGB dar. Der Klageantrag sei wegen einer nicht individualisierten Teilklage unzulässig. Außerdem erhebe die Beklagte die Einrede der Verjährung. Die Umsatzsteuerbescheide seien bereits am 15. August 2015 bestandskräftig geworden. Der Schaden sei daher bereits am 31. Dezember 2015 eingetreten, und die Klageforderung daher am 31. Dezember 2018 verjährt.
9
Die Klägerin replizierte in erster Instanz, dass bereits mit dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013, V R 37/10, festgestanden habe, dass der Bauträger keine Umsatzsteuer für Leistungen seiner Subunternehmer schulde. Das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. September 2018 habe diese bestehende Rechtsprechung lediglich bestätigt. Die (hier einzig eingeklagten) Zinsen müssten gerade nicht an den Subunternehmer weitergeleitet werden, so dass sich auch nach der Differenzhypothese ein Schaden ergebe. Verjährung sei vorliegend nicht eingetreten, da die Klägerin erst mit Kenntnis des Bescheids vom 23. April 2019 (Anlage K 10) Kenntnis von der Pflichtverletzung und dem Schaden erlangt habe.
10
Das Erstgericht hat die Klage mit Endurteil vom 19. März 2021, der Klägerin zugestellt am 23. März 2021, abgewiesen. Verjährung sei zwar noch nicht eingetreten, da die Klägerin erst am 24. April 2019 (Eingang Anlage K 10) Kenntnis von der geltend gemachten Pflichtverletzung und dem Schaden erlangt habe. Im Übrigen ließ das Erstgericht offen, ob es ein Mandat für die Einlegung entsprechender Einsprüche gegeben habe, und ob ein ausreichend substantiierter Vortrag zur Schadenshöhe durch Gesamtvermögensvergleich vorgelegen habe. Zumindest liege keine Pflichtverletzung der Beklagten vor, da diese im Jahr 2015 davon habe ausgehen dürfen, dass entsprechende Einsprüche keine Aussicht auf Erfolg hätten. Der Bundesfinanzhof habe mit Urteil vom 22. August 2013, V R 37/10, entschieden, dass der Leistungsempfänger von Bauleistungen nur dann Steuerschuldner für die an ihn erbrachte Leistung sei, wenn er diese Leistung seinerseits zur Erbringung von Bauleistungen verwende. Bauträger seien keine Steuerschuldner nach § 13b UStG. Diese Grundsätze seien auch im BMF-Schreiben vom 5. Februar 2014 festgehalten worden. Mit BMF-Schreiben vom 26. Juli 2017 sei ausgeführt worden, dass Leistungsempfängern eine Umsatzsteuererstattung nur gewährt werden könne, soweit sie die nachträgliche Zahlung der Umsatzsteuer an den leistenden Unternehmer nachweisen oder mit dem Erstattungsanspruch gegen nach § 27 Abs. 19 UStG vom leistenden Unternehmer an die Finanzbehörde abgetretene zivilrechtliche Forderungen aufgerechnet werden könne. Im Übrigen werde die Umsatzsteuererstattung abgelehnt. Hiergegen habe sich das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. September 2018, V R 49/17, gewendet, das klargestellt habe, dass es nicht auf die Erfüllung eines Nachforderungsanspruchs des leistenden Unternehmers oder die Möglichkeit der Aufrechnung ankomme. Diese Rechtsprechungsänderung sei im Juli 2015 noch nicht vorhersehbar gewesen. Die BMF-Schreiben würden vielmehr zeigen, dass 2015 kein Anspruch nach § 13b UStG gegenüber den Finanzbehörden bestanden habe und mit dem Umsatzsteuer-Nachforderungsanspruch gegen den leistungserbringenden Subunternehmer aufgerechnet worden sei.
11
Gegen dieses Urteil legte die Klägerin mit Schriftsatz ihrer Prozessbevollmächtigten vom 9. April 2021, eingegangen bei Gericht am selben Tag, Berufung ein.
12
Mit der nach entsprechender Verlängerung der Berufungsbegründungsfrist am 16. Juni 2021 eingegangen Berufungsbegründung macht die Klägerin, die ihr erstinstanzliches Klageziel in vollem Umfang weiterverfolgt, geltend, es habe ein Mandatsverhältnis, aufgrund dessen die Beklagte die Klägerin bei Eingang des Bescheids vom 14. Juli 2015 hätte beraten müssen, bestanden. Ferner habe die Beklagte mit Schreiben vom 6. August 2015 (Anlage K 20) ausdrücklich bestätigt, dass sie die Bescheide geprüft habe. Eine Pflichtverletzung der Beklagten liege sehr wohl vor, denn sie hätte die Klägerin bereits aufgrund des Urteils des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013, V R 37/10, darauf hinweisen müssen, dass der Bauträger nicht Steuerschuldner im Sinne des § 13b UStG sei. Insofern komme es nicht darauf an, ob das Urteil des Bundesfinanzhofs vom 27. September 2018, V R 49/17, und das BMF-Schreiben vom 26. Juli 2017 vorhersehbar gewesen seien. Die Klägerin mache vorliegend nur den Zinsschaden geltend, bediene sich hierfür der von der Beklagten berechneten Erstattungsbeträge und berechne die Zinsen nach § 233a AO. Hilfsweise mache die Klägerin Erstattungszinsen in Höhe von 88.650,57 € bis Anfang 2019 geltend, da zu diesem Zeitpunkt vergleichbare Fälle entschieden worden seien. Höchst hilfsweise stünde ihr unter Zugrundelegung einer regelmäßigen Bearbeitungsdauer der Finanzbehörden bei Einlegung eines Einspruchs von vier Monaten ein Mindestschaden in Höhe von 24.764,38 € zu (vgl. dazu im Einzelnen Bl. 97 d.A.). Für die Klägerin streite die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens.
13
Die Klägerin beantragt in der Berufungsinstanz:
„1. Das Urteil des Landgerichts Regensburg – 2. Kammer für Handelssachen – vom 19.03.2021, zugestellt am 22.03.2021, Az.2 HK O 863/20 wird aufgehoben.
2. Die Beklagte wird verurteilt, an die Klägerin € 97.523,62 nebst Zinsen hieraus in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz p.a. seit 29.04.2019 zu bezahlen.“
14
Die Beklagte beantragt in der Berufungsinstanz:
„Die Berufung des Klägers gegen das Urteil des LG Regensburg – 2 HK 863/20 vom 29.01.2021 wird zurückgewiesen.“
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Die Beklagte bestreitet auch in zweiter Instanz, dass ein Mandat bestanden habe, das die Überprüfung der Bescheide vom 14. Juli 2015 beinhaltet habe. Ferner liege kein Schaden vor. Die klägerseits zugrunde gelegten Erstattungsbeträge seien nicht nachvollziehbar. Der Zinslauf von 62 bzw. 50 Monaten werde bestritten. Ein Vergleich mit den klägerseits herangezogenen Fällen verbiete sich mangels Vergleichbarkeit der Fälle. In dem Schreiben der Beklagten an die Haftpflichtversicherung der Beklagten sei kein Anerkenntnis gegenüber der Klägerin zu sehen. Es liege ferner nach dem anzustellenden Gesamtvermögensvergleich kein Schaden vor, da die Klägerin auch die Zinsen an den Subunternehmer hätte abführen müssen, weil der Subunternehmer die gegen ihn gerichtete Nachforderung verzinsen müsse. Der Steuerbescheid von 2014 stelle keine geeignete Schätzgrundlage dar. Die Forderung der Klägerin verstoße außerdem gegen das Zinseszinsverbot, und die Vollverzinsung mit 6% p.a. sei laut Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 19. August 2021 (1 BvR 2237/14) verfassungswidrig. Des Weiteren rügt die Beklagte den Sachvortrag der Klägerin insofern als verspätet, als die Klägerin in erster Instanz behauptet habe, zu viel Umsatzsteuer gezahlt zu haben, während sie nun in der Berufungsbegründung maßgeblich darauf abstelle, dass die Beklagte die Klägerin nicht darauf hingewiesen habe, dass sie gar keine Umsatzsteuer geschuldet hätte. Damit werde eine neue Pflichtverletzung behauptet. Nach Ansicht der Beklagten hätte ein Einspruch im Jahr 2015 auch keine Aussicht auf Erfolg gehabt. Die Beweislast dafür, dass die Klägerin Bauträgerin gewesen sei und damit nicht Steuerschuldnerin nach § 13b UStG, treffe im Übrigen die Klägerin. Die Klägerin hätte den Erstattungsanspruch bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs vom 27. September 2018 (V R 49/17) nicht durchsetzen können, da die Verwaltungspraxis eine Forderungsabtretung und Aufrechnung vorgesehen habe. Bis zur Entscheidung des Bundesfinanzhofs 2018 sei eine Änderung dieser Praxis nicht absehbar gewesen. Außerdem habe die Beklagte die Klägerin sehr wohl darauf hingewiesen, dass für die Jahre 2012 und 2013 zu viel Umsatzsteuer an das Finanzamt gezahlt worden sei und die Möglichkeit bestünde, hiergegen Einspruch einzulegen. In diesem Zusammenhang habe die Beklagte die Klägerin auch über die damalige Verwaltungspraxis informiert, die einen Erstattungsanspruch entfallen ließ. Aufgrund dessen habe die Klägerin entschieden, keinen Einspruch einzulegen. Die Vermutung beratungsgerechten Verhaltens greife im vorliegenden Fall nicht ein, da diese entkräftet sei, wenn die Mitwirkung Dritter erforderlich sei. Vorliegend wäre eine Weigerung der Subunternehmer bezüglich der Abtretung ihrer Ansprüche und ein Absehen der Finanzverwaltung von der Aufrechnung erforderlich gewesen. Schließlich seien etwaige Ansprüche auch bereits verjährt.
16
Die Klägerin replizierte hierauf, dass sie keinen „fiktiven“ Zinsschaden geltend mache, sondern den Betrag begehre, den sie erhalten hätte, wenn die Beklagte sie ordnungsgemäß informiert hätte. Dies sei nicht geschehen, wie u. a. aus der Mitteilung der Beklagten vom 6. August 2015 (Anlage K 20) folge, dass sich keine Steuererstattungen ergäben. Dass die Klägerin Bauträger gewesen sei, ergebe sich bereits aus dem unstreitigen Teil des erstinstanzlichen Urteils. Die der klägerischen Berechnung zugrunde gelegten Erstattungsbeträge für die Umsatzsteuer 2012/2013 seien von Mitarbeitern der Beklagten ermittelt worden. Das Schreiben der Beklagten an ihre Haftpflichtversicherung sei von der Beklagten an die Klägerin weitergeleitet worden, so dass diese insofern von einem Anerkenntnis habe ausgehen müssen. § 289 BGB greife vorliegend nicht ein, da keine Zinsen, sondern Schadensersatz geltend gemacht werde. Die Verfassungswidrigkeit der 6%-p.a.-Verzinsung sei für den Fall entschieden worden, dass das Finanzamt einen Betrag vom Steuerschuldner verlange, nicht andersherum.
17
Hinsichtlich des weiteren Vortrags der Parteien in beiden Rechtszügen wird auf die gewechselten Schriftsätze und die gerichtlichen Sitzungsprotokolle verwiesen.
II.
18
Die zulässige Berufung der Klägerin ist teilweise begründet. Die Klägerin hat gegen die Beklagte einen Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 24.764,38 € zuzüglich Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit 15. Mai 2020.
19
1. Die Klägerin hat Anspruch auf Schadensersatz in Höhe von 24.764,38 € gemäß § 280 Abs. 1 BGB gegen die Beklagte, da die Beklagte eine Pflicht aus dem bestehenden Mandatsverhältnis schuldhaft verletzt hat.
20
a) Die Beklagte hat eine Pflicht aus dem zwischen ihr und der Klägerin bestehenden Schuldverhältnis im Sinne von § 280 Abs. 1 BGB verletzt.
21
aa) Zwischen der Klägerin und der Beklagten bestand zum streitgegenständlichen Zeitpunkt ein Mandatsverhältnis. Die Beklagte hat die Steuerkanzlei H., die bis dahin die Klägerin betreut hatte, zum 1. Juli 2014 mit dem gesamten Mandantenstamm übernommen (vgl. Anlage K 1). Damit war die Beklagte ab diesem Zeitpunkt für die steuerliche Beratung der Klägerin zuständig. Etwas anderes ergibt sich auch nicht daraus, dass die am 14. Juli 2015 ergangenen Bescheide Umsatzsteuer für die Jahre 2012/2013 betrafen. Die Klägerin hat die Bescheide der Beklagten übersandt. Ein Hinweis, dass insofern kein Mandat vorläge, erfolgte seitens der Beklagten daraufhin gerade nicht. Vielmehr hat sie der Klägerin mit Schreiben vom 6. August 2015 mitgeteilt, dass sie die Bescheide geprüft und zu ihren Unterlagen genommen habe.
22
Gleichgültig ist, ob die Beklagte zur Erhebung eines Einspruchs mandatiert war. Entscheidend im vorliegenden Fall ist die mangelnde Beratung der Klägerin bezüglich der Einspruchseinlegung.
23
bb) Es liegt zur Überzeugung des Senats auch eine Pflichtverletzung in Form mangelnder Beratung bezüglich eines Einspruchs gegen die Umsatzsteuerjahresbescheide 2012 und 2013 vor.
24
Neuer, verspäteter Sachvortrag – wie von der Beklagten behauptet – liegt insofern nicht vor. Die Klägerin hat in der Klageschrift vorgetragen, dass sie für 2012 und 2013 einen Erstattungsanspruch wegen zu viel gezahlter Umsatzsteuer gegen das Finanzamt habe, die Bescheide jedoch mangels entsprechender Beratung der Beklagten bestandskräftig geworden seien, so dass der Klägerin der geltend gemachte Zinsschaden entstanden sei. Nichts anderes trägt die Klägerin in der Berufungsbegründung vor, wenn sie darlegt, dass sie nach § 13b UStG nicht Steuerschuldnerin gewesen sei, die entsprechende Umsatzsteuer aber ans Finanzamt abgeführt habe. Nicht Steuerschuldnerin zu sein, ist gerade kein aliud dazu, zu viel Umsatzsteuer ans Finanzamt gezahlt zu haben.
25
Ein Steuerberater ist im Rahmen eines Mandatsverhältnisses verpflichtet, den Mandanten umfassend zu beraten und ungefragt über alle steuerlichen Einzelheiten und deren Folgen zu unterrichten. Er hat seinen Mandanten möglichst vor Schaden zu schützen. Hierzu hat er den relativ sichersten Weg zu dem angestrebten steuerlichen Ziel aufzuzeigen und die für den Erfolg notwendigen Schritte vorzuschlagen (vgl. BGH, Urteil vom 11. Mai 1995 – IX ZR 140/94, Rn. 23; Urteil vom 28. September 1995 – IX ZR 158/94, Rn. 7; Urteil vom 18. Dezember 1997 – IX ZR 153/96, Rn. 9).
26
Nach diesen Grundsätzen liegt bei mangelnder Aufklärung über die Einspruchsmöglichkeiten gegen die Umsatzsteuerbescheide 2012 und 2013 eine Pflichtverletzung vor. Die Beklagte hätte die Klägerin nach Ergehen der Umsatzsteuerbescheide für 2012 und 2013 darauf hinweisen müssen, dass ein Einspruch – zumindest bezüglich der Zinsen nach § 233a AO – erfolgversprechend erscheint. Dies ist nicht geschehen. Zwar hat die Beklagte u. a. in der Klageerwiderung vorgetragen, dass sie die Klägerin darüber aufgeklärt habe, dass sie für die Jahre 2012/2013 zu viel Umsatzsteuer an das Finanzamt abgeführt und daher einen Erstattungsanspruch habe (Bl. 21 d.A.). Die Beklagte hat jedoch nicht behauptet, die Klägerin auf den von der Durchsetzbarkeit des Umsatzsteuererstattungsanspruchs unabhängigen Zinsanspruch entsprechend hingewiesen und ordnungsgemäß beraten zu haben. In der mündlichen Verhandlung vom 19. Februar 2025 war dies im Übrigen auch unstreitig zwischen den Parteien.
27
(1) Die Klägerin hätte bei Einlegung eines Einspruchs im Jahr 2015 tatsächlich keinen Erfolg mit einem Antrag auf Erstattung der nach § 13b UStG zu viel gezahlten Umsatzsteuer gehabt.
28
Zwar hat die Klägerin materiell zu viel Umsatzsteuer ans Finanzamt abgeführt. Am 22. August 2013 hat der Bundesfinanzhof nämlich entschieden, dass Bauträger nur dann Steuerschuldner im Sinne des § 13b UStG sind, wenn sie die Leistung ihrerseits zur Erbringung von Bauleistungen verwenden und es auf den Anteil der vom Leistungsempfänger ausgeführten Bauleistungen am Gesamtumsatz nicht ankommt (BFH, Urteil vom 22. August 2013 – V R 37/10). Diese Grundsätze wurden nach BMF-Schreiben vom 5. Februar 2014 auch in der Finanzverwaltung zugrunde gelegt.
29
Die Klägerin war nach dem (insofern nicht mit einem Berichtigungsantrag angegriffenen) unstreitigen Tatbestand des erstgerichtlichen Urteils Bauträgerin.
30
Diese Tatsachenfeststellung des Landgerichts ist für den Senat gemäß § 529 Abs. 1 S. 1 ZPO bindend. Denn die Beklagte hat weder neue berücksichtigungsfähige Tatsachen vorgetragen (§ 529 Abs. 1 Nr. 2 ZPO) noch konkrete Anhaltspunkte aufgezeigt, die Zweifel an der Richtigkeit und Vollständigkeit der entscheidungserheblichen Tatsachenfeststellung des Landgerichts insoweit begründen würden (§ 529 Abs. 1 Nr. 1 ZPO).
31
Als Bauträgerin, die als Unternehmerin von ihr errichtete Gebäude an Endkunden liefert, ohne selbst Bauleistungen zu erbringen, schuldete die Klägerin keine Umsatzsteuer nach § 13b UStG und hatte nach dem Urteil des Bundesfinanzhofs vom 22. August 2013 – V R 37/10 grundsätzlich einen Erstattungsanspruch in Höhe der bereits gezahlten Umsatzsteuer gegen das Finanzamt.
32
Die Klägerin hätte allerdings bei einem 2015 eingelegten Einspruch gegen die Umsatzsteuerjahresbescheide für 2012 und 2013 dennoch keinen Erfolg dergestalt gehabt, dass sie die zu viel gezahlte Umsatzsteuer erstattet bekommen hätte. Dies beruht auf dem vor dem 14. Juli 2015, an dem die Umsatzsteuerbescheide für 2012 und 2013 ergingen, eingefügten § 27 Abs. 19 UStG.
33
Dass das Bundesfinanzministerium mit Schreiben vom 26. Juli 2017 ausführte, dass Leistungsempfängern Umsatzsteuererstattung nur gewährt werde, soweit sie die nachträgliche Zahlung der fraglichen Umsatzsteuer an den leistenden Unternehmer nachweisen oder mit dem Erstattungsanspruch gegen nach § 27 Abs. 19 UStG vom leistenden Unternehmer an die Finanzbehörde abgetretene zivilrechtliche Forderungen aufgerechnet werden könne, spielt vorliegend zwar keine Rolle. Dies gilt bereits deshalb, weil ein BMF-Schreiben aus dem Jahr 2017 nicht entscheidend dafür sein kann, ob ein Einspruch 2015 Erfolg gehabt hätte und die Beklagte dies 2015 hätte erkennen können und müssen.
34
In der Praxis fand 2015 aber tatsächlich keine Erstattung der zu viel gezahlten Umsatzsteuer statt, weil das Finanzamt mit dem vom leistenden Unternehmer nach § 27 Abs. 19 UStG (eingeführt am 25. Juli 2014, BGBl. I S. 1266) abgetretenen Anspruch aufrechnete.
35
(2) Hiervon zu unterscheiden ist jedoch die Frage, ob die Klägerin bei einem 2015 eingelegten Einspruch Zinsen aus dem Betrag der zu Unrecht gezahlten Umsatzsteuer erhalten hätte.
36
Zinsen nach § 233a AO wurden 2015 seitens der Finanzverwaltung nämlich sehr wohl ausgezahlt. Zweifel an der Verfassungsgemäßheit des § 27 Abs. 19 UStG und dem bis dahin praktizierten Modell (Aufrechnung bzgl. der USt und Auszahlung der Zinsen nach § 233a UStG) kamen ernstlich erst mit den Beschlüssen des Bundesfinanzhofs vom 17. Dezember 2015 (XI B 84/15) und vom 27. Januar 2016 (V B 87/15) auf, mithin nach dem hier streitgegenständlichen Zeitpunkt, zu dem über die Einspruchseinlegung zu entscheiden war.
37
(a) Die Klägerin hatte dem Grunde nach einen Zinsanspruch nach § 233a AO. Da die von der Klägerin gezahlte Umsatzsteuer nach § 13b UStG von dieser nicht geschuldet war (vgl. o.), ergab sich ein Unterschiedsbetrag nach § 233a Abs. 1 AO, der zu verzinsen war. Hiervon ging auch die Beklagte in ihrem Schreiben an ihre Haftpflichtversicherung aus (vgl. Anlage K 9). Die Finanzbehörden haben aufgrund dieser Situation damals ausnahmsweise den Vorbehalt der Nachprüfung bei entsprechenden Bescheiden aufgehoben (so auch hier, vgl. Anlage K 5 und K 6), weil sie der Ansicht waren, so den Zinslauf beenden zu können. Im Jahr 2015 haben die Finanzbehörden also Zinsen für die nach § 13b UStG zu viel geleistete Umsatzsteuer ausbezahlt, auch wenn der Antrag auf Erstattung der Umsatzsteuer aufgrund Aufrechnung abgewiesen wurde. Erst ab Ende 2015 kamen mit den oben genannten Entscheidungen des Bundesfinanzhofs Zweifel an diesem Modell auf.
38
(b) Der Zinsanspruch beträgt der Höhe nach 24.764,38 €. Der Senat legt seiner Zinsberechnung einen Zinslauf für das Jahr 2012 von April 2014 bis Dezember 2015 und für das Jahr 2013 von April 2015 bis Dezember 2015 zugrunde, § 287 ZPO.
39
Die Klägerin ist nach allgemeinen Grundsätzen so zu stellen, wie sie stünde, wenn die Beklagte sie 2015 korrekt beraten hätte. Nach der Vermutung des beratungsgemäßen Verhaltens (BGH, Urteil vom 16. Juli 2015 – IX ZR 197/14, Rn. 25) hätte die Klägerin dann Einspruch gegen den Bescheid vom 14. Juli 2015 eingelegt. Diese Grundsätze finden hier entgegen der Ansicht der Beklagten auch Anwendung. Die Beklagte legt in der Berufungserwiderung dar, dass vorliegend die Subunternehmer der Klägerin die ihnen von der Finanzverwaltung ermöglichte Abtretung verweigern müssten, und die Finanzverwaltung von einer Aufrechnung absehen müsste, mithin der Erfolg von einem Handeln Dritter abhinge (Bl. 178 d.A.). Wie oben dargelegt kommt es jedoch auf diese Fragen für den Zinsanspruch nach § 233a AO gar nicht an.
40
(aa) Der Zinslauf beginnt nach § 233a Abs. 2 Satz 1 AO 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, mithin im April 2014 für das Jahr 2012 und im April 2015 für das Jahr 2013.
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(bb) Der Zinslauf hätte zur Überzeugung des Senats im Dezember 2015 geendet.
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(aaa) Insoweit liegt kein Anerkenntnis der Beklagten vor. Insbesondere ist in dem Schreiben der Beklagten an ihre Haftpflichtversicherung (Anlage K 7), das die Beklagte auch an die Klägerin schickte, kein Anerkenntnis des Zinslaufs bis 9. Mai 2019 zu sehen. Die Beklagte wollte dieses Schreiben, in dem sie gegenüber ihrer Haftpflichtversicherung äußerte, dass sie der Ansicht sei, dass die Klägerin keinen Anspruch hinsichtlich der nicht erstatteten Umsatzsteuer, aber sehr wohl auf Erstattungszinsen in dargelegter Höhe habe und dass sie gegen den errechneten Zinslauf keine Einwände erheben werde, nur der Klägerin zur Kenntnis bringen, nicht aber ein rechtsverbindliches Anerkenntnis gegenüber der Klägerin abgeben und sich damit entsprechender Einwendungen im Prozess begeben.
43
(bbb) Entscheidend für die Beendigung des Zinslaufs ist damit, wann das Finanzamt bei sachgerechter Beratung im Jahr 2015 die Steuer für 2012 und 2013 festgesetzt hätte. Der Senat schätzt, dass die Bearbeitungsdauer des Finanzamts nach Einlegung eines Einspruchs innerhalb der bis zum 15. August 2015 laufenden Frist vier Monate betragen hätte, § 287 ZPO.
44
Die Einspruchseinlegung war bis zum 15. August 2015 nach § 355 Abs. 1 Satz 1 AO, § 187 Abs. 1, § 188 Abs. 2 BGB möglich. Entscheidend wäre sodann, wann das Finanzamt bei Einlegung eines Einspruchs bis zum 15. August 2015 die Steuer festgesetzt hätte (ggf. durch Aufrechnung mit dem vom Subunternehmer abgetretenen Anspruch). Die Klägerin selbst geht in ihrem Schriftsatz vom 15. Februar 2021 hilfsweise bei der Berechnung ihres „Mindestschadens“ davon aus, dass eine regelmäßige Bearbeitungszeit von mindestens vier Monaten zugrunde zu legen sei. Der Senat hält die zugrunde gelegte Bearbeitungszeit von vier Monaten, die noch knapp unter der Zeitspanne liegt, nach der man eine Untätigkeitsklage erheben könnte (für gewöhnlich nach sechs Monaten, vgl. BFH, Beschluss vom 27. Juni 2012 – XI B 8/12, Rn. 15), für angemessen, § 287 ZPO. Dies gilt vor allem, da die Zinsgewährung im Jahr 2015 noch außer Streit stand, so dass mit einer zügigen Bearbeitung durch die Finanzbehörden, die kein Interesse daran hatten, den Zinslauf zu verlängern, zu rechnen gewesen wäre.
45
Ein Vergleich mit dem Verfahrensgang bei anderen (nicht unbedingt vergleichbaren) Fällen, die letztlich zum Bundesfinanzhof kamen (vgl. Bl. 155 d.A.), sowie der Vergleich mit der Umsatzsteuer 2014 (vgl. Bl. 153 d.A.) scheiden hier mangels Vergleichbarkeit aus.
46
Es trifft zwar zu, dass die Umsatzsteuer 2014 aufgrund der berichtigten Umsatzsteuerjahreserklärung, die am 26. November 2018 beim Finanzamt einging, erst am 6. Mai 2019 entsprechend festgesetzt wurde (vgl. Anlage K 8). Wäre die Klägerin 2015 korrekt beraten worden, hätte sie für die Jahre 2012 und 2013 aber bereits 2015 Einspruch gegen die Umsatzsteuerjahresbescheide eingelegt und um die zu viel gezahlte Umsatzsteuer korrigierte Angaben gegenüber den Finanzbehörden gemacht. Anders als für den Umsatzsteuerjahresbescheid für das Jahr 2014 war der Vorbehalt der Nachprüfung für die Umsatzsteuerjahresbescheide 2012 und 2013 bei Abgabe der berichtigten Steuererklärungen am 22. November 2018 bereits bestandskräftig aufgehoben worden. Ein Abstellen auf den Festsetzungszeitpunkt für die Umsatzsteuer 2014, bei der eine Änderung bei Eingang der berichtigten Steuererklärung 2018 noch möglich war, verbietet sich bereits deshalb für die Jahre 2012 und 2013.
47
An der Bestandskraft der Bescheide für 2012 und 2013 ändert auch die Prüfungsanordnung vom 12. Dezember 2018 für 2012, 2013 und 2014, auf die die Klägerin verweist, nichts. Anders wäre dies nur gewesen, wenn die Finanzbehörden im Rahmen der Prüfung zu dem Ergebnis gelangt wären, dass gar keine Bestandskraft für die Bescheide für 2012 und 2013 gegeben war. Dies ist vorliegend jedoch nicht der Fall. Die Bescheide für die Umsatzsteuer 2012 und 2013 waren seit 15. August 2015 bestandskräftig. Wäre vor dem 15. August 2015 Einspruch gegen diese Bescheide eingelegt worden, hätte die Finanzverwaltung zeitnah hierüber entschieden.
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Des Weiteren verbietet sich hier ein Vergleich mit der Bearbeitungszeit für die Umsatzsteuer 2014 aufgrund der weit komplexeren Rechtslage für das Jahr 2014, in dem insgesamt drei verschiedene Zeiträume zu unterscheiden waren: Die Zeitspanne bis zur im Bundessteuerblatt für anwendbar erklärten Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs für nach dem 14. Februar 2014 ausgeführte Bauleistungen (BStBl. 2014 I 823, 824), die Zeit nach 1. Oktober 2014 (Einführung des § 27 Abs. 19 UStG, vgl. BGBl. 2014 I 1266, 1286) und der Zeitraum dazwischen. Insofern wäre die Festsetzung der Umsatzsteuer für 2014 im Jahr 2015 weit problembeladener gewesen als die Festsetzung der Umsatzsteuer für 2012 und 2013, da in diesen Jahren nur eine Rechtslage zu prüfen war. Aus der Tatsache, dass der für 2014 beantragte Erstattungsbetrag von den Finanzbehörden im Ergebnis fast gänzlich erstattet wurde, lässt sich nicht, wie die Klägerin meint, ableiten, dass hier keine schwierigen Rechtsfragen zu klären gewesen wären.
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(cc) Der Zinsanspruch bezieht sich auf einen Erstattungsbetrag in Höhe von 146.551,57 € für das Jahr 2012 und auf einen Erstattungsbetrag in Höhe von 208.369,91 € für das Jahr 2013. Diese von der Klägerin bei ihrer Zinsberechnung zugrunde gelegten und von der Beklagten nun bestrittenen Erstattungsbeträge wurden für den Erstattungsantrag der Klägerin vom 22. November 2018 von der Beklagten ermittelt (vgl. Anlagen K 2 und K 3). Es ist nicht ersichtlich, warum diese nicht korrekt sein sollten. Die Beklagte hat dies auch nicht dargelegt, sondern nur vorgetragen, dass die Beträge nicht nachvollziehbar seien (vgl. Bl. 170 d.A.).
50
(dd) Schließlich ist – entgegen der Auffassung der Beklagten – eine Verzinsung mit 0,5% pro Monat bei einem Erstattungsbetrag nicht zu beanstanden. Das Bundesverfassungsgericht hat mit Urteil vom 19. August 2021 (1 BvR 2237/14) zwar festgestellt, dass eine entsprechende Verzinsung bei durch den Steuerschuldner zu zahlenden Beträgen verfassungswidrig ist. Die Beklagte übersieht bei einem Verweis auf dieses Urteil jedoch, dass das Bundesverfassungsgericht die Weitergeltung des Zinssatzes für bis einschließlich in das Jahr 2018 fallende Verzinsungszeiträume anordnete und dem Gesetzgeber aufgab, bis zum 31. Juli 2022 eine verfassungsgemäße Neuregelung zu treffen. Den obigen Zinslauf bis Dezember 2015 zugrunde gelegt ist hier eine Verzinsung mit 0,5% pro Monat anzunehmen.
51
Damit gelangt man für das Jahr 2012 zu einem Zinslauf von 21 Monaten (April 2014 bis Dezember 2015), so dass bei einem Erstattungsbetrag in Höhe von 146.551,57 € der Zinsanspruch 15.387,92 € beträgt. Für das Jahr 2013 ergibt sich ein Zinslauf von neun Monaten (April 2015 bis Dezember 2015), so dass sich der Zinsanspruch bei einem Erstattungsbetrag in Höhe von 208.369,91 € auf 9.376,46 € beläuft.
52
(c) Es handelt sich bei den Zinsen entgegen den Ausführungen der Beklagten auch nicht um einen „durchlaufenden Posten“, weil der Bauträger die Zinsen ohnehin an den Subunternehmer weiterreichen müsse, so dass ihm kein Vorteil verbliebe. Vielmehr ist dem Bauträger ein entsprechender Vorteil entgangen, weil er die Zinsen hätte behalten dürfen. Ein Zinsanspruch des Subunternehmers hindert dies – zumindest für die hier in Rede stehenden Zeiträume bis Dezember 2015 – nicht.
53
(aa) Ein zivilrechtlicher Zinsanspruch des Subunternehmers gegen die Klägerin als Bauträger steht dem nicht entgegen. Zwar hat der Subunternehmer aufgrund einer ergänzenden Vertragsauslegung einen Anspruch auf Zahlung des Umsatzsteuerbetrags gegen den Bauträger, sobald dieser gegenüber dem Finanzamt Erstattung der von ihm zu viel entrichteten Umsatzsteuer beantragt, wenn die Parteien bei einem abgeschlossenen und durchgeführten Bauvertrag übereinstimmend von der Steuerschuldnerschaft des Bauträgers gemäß § 13b Abs. 5 Satz 2 Hs. 1 UStG 2011 ausgegangen sind, weil für den Subunternehmer die Gefahr entsteht, wegen der Heranziehung als Steuerschuldner gem. § 27 Abs. 19 UStG die Umsatzsteuer abführen zu müssen (BGH, Urteil vom 25. Juli 2024 – VII ZR 646/21, Rn. 13; Urteil vom 17. Mai 2018 – VII ZR 157/17, Rn. 24). Dieser Anspruch entsteht mit Stellen des Erstattungsantrags gegenüber dem Finanzamt durch den Bauträger. Zuvor kann insofern ohnehin kein zivilrechtlicher Zinslauf beginnen. Der Bundesgerichtshof nahm daher Verzugszinsen erst nach entsprechender Fristsetzung durch den Subunternehmer an (Urteil vom 25. Juli 2024 – VII ZR 84/21).
54
(bb) Auch eine steuerliche Zinspflicht des Subunternehmers steht hier nicht entgegen. Der Subunternehmer muss keine entsprechenden Zinsen an das Finanzamt zahlen, wegen derer er einen Anspruch gegen den Bauträger haben könnte. Der steuerrechtliche Zinslauf zugunsten des Bauträgers ist ein anderer als der zulasten des Subunternehmers. Während ersterer vom Fiskus auf die zu viel gezahlte Umsatzsteuer 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist, nach § 233a Abs. 2 AO Zinsen erhält, muss der Subunternehmer Zinsen an den Fiskus erst 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem sich das rückwirkende Ereignis des Erstattungsantrags des Bauträgers ereignete, nach § 233a Abs. 2a AO zahlen, einen Erstattungsantrag im August 2015 zugrunde gelegt, also erst ab April 2017. Dies kann den hiesigen Zinsausspruch bis Dezember 2015 nicht beeinflussen. Es ist daher auch nach Auffassung des damaligen Parlamentarischen Staatssekretärs im Bundesfinanzministerium Dr. M1. M2. nicht davon auszugehen gewesen, dass es zu einer Festsetzung von Nachzahlungszinsen kommen würde, vgl. BT-Drucks. 18/2038, S. 26.
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(d) Die beklagtenseits ins Feld geführte Pflicht der Klägerin, Erstattungszinsen zu versteuern, steht dem hier bestimmten Zinsanspruch auch nicht entgegen. Zwar trifft es zu, dass die Klägerin die Erstattungszinsen zu versteuern gehabt hätte, denn bei Erstattungszinsen handelt es sich grundsätzlich nach § 20 Abs. 1 Nr. 7 Satz 3 EStG um Einkünfte aus Kapitalvermögen, die aber vorliegend nach § 20 Abs. 8 EStG den Einkünften aus Gewerbebetrieb zuzurechnen sind (vgl. BFH, Urteil vom 30. August 2023 – X R 2/22, Rn. 17). Die Beklagte übersieht jedoch, dass auch die hier eingeklagte Entschädigung zu den zu versteuernden Einkünften nach § 2 Abs. 1 EStG gehört, § 24 Nr. 1a EStG. § 24 Nr. 1a EStG schafft dabei keinen neuen Besteuerungstatbestand, sondern es muss eine kausale Verknüpfung zwischen Entschädigung und den entgangenen Einnahmen bestehen. Die entgangenen Einnahmen müssen, falls sie erzielt worden wären, steuerpflichtig sein (BFH, Urteil vom 11. Februar 2015 – VIII R 4/12, Rn. 17 m. w. N.). Dies ist vorliegend der Fall, wie oben aufgezeigt wurde. Die Erstattungszinsen wären steuerpflichtige Einkünfte aus Gewerbebetrieb nach § 20 Abs. 8 EStG gewesen. Damit unterliegt auch der eingeklagte Entschädigungsbetrag der Besteuerung, so dass hier auch insofern keine Reduzierung des geschätzten Zinsverlusts veranlasst ist.
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b) Die Beklagte handelte fahrlässig. Dass ein entsprechender Zinsanspruch nach § 233a AO bestand und mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit auch durchsetzbar gewesen wäre, war für die Beklagte auch entgegen den Ausführungen des Erstgerichts – das sich allerdings ohnehin nur mit der Erkennbarkeit des Umsatzsteuererstattungsanspruchs an sich und nicht mit der Zinspflicht auseinandersetzte – bereits 2015, also aus der ex-ante-Sicht, erkennbar. Die Verschuldensvermutung des § 280 Abs. 1 Satz 2 BGB ist damit nicht widerlegt.
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aa) Die mandatsbezogen erheblichen Gesetzes- und Rechtskenntnisse muss der Steuerberater besitzen oder sich ungesäumt verschaffen. Neue oder geänderte Rechtsnormen hat er in diesem Rahmen zu ermitteln (vgl. BGH, Urteil vom 15. Juli 2004 – IX ZR 472/00, Rn. 7; Beschluss vom 7. März 1978 – VI ZB 18/77, Rn. 7; Beschluss vom 30. Juni 1971 – IV ZB 41/71, Rn. 3). Ein Steuerberater ist nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs daher insbesondere verpflichtet, sich über Gesetzesänderungen sowie die höchstrichterliche Rechtsprechung zu informieren. Der Bundesgerichtshof führt aus, dass ein Steuerberater nicht alle Entscheidungen des Bundesfinanzhofs kennen oder reine Entscheidungssammlungen wie die BFH/NV vollständig auswerten müsse, sondern vielmehr darauf vertrauen dürfe, über etwaige Rechtsentwicklungen durch die allgemeinen steuerrechtlichen Fachpublikationen unterrichtet zu werden. Die Lektüre welcher Zeitschriften genau erwartet werden könne, ließ der Bundesgerichtshof offen, nannte nur beispielhaft das Bundessteuerblatt und die DStR (BGH, Urteil vom 25. September 2014 – IX ZR 199/13, Rn. 14). Wird in der Tages- oder Fachpresse über Vorschläge zur Änderung des Steuerrechts berichtet, die im Falle ihrer Verwirklichung von dem Mandanten des Beraters erstrebte Ziele unter Umständen vereiteln oder beeinträchtigen, kann der Steuerberater allerdings gehalten sein, sich aus allgemein zugänglichen Quellen über den näheren Inhalt und den Verfahrensstand solcher Überlegungen zu unterrichten, um danach prüfen zu können, ob es geboten ist, dem Mandanten Maßnahmen zur Abwehr drohender Nachteile anzuraten (BGH, Urteil vom 15. Juli 2004 – IX ZR 472/00, Rn. 8).
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bb) Die Einführung von § 27 Abs. 19 UStG zum 25. Juli 2014 stellt eine Gesetzesänderung dar, über die und deren Konsequenzen für ihre Mandantin die Beklagte sich als Steuerberaterin hätte kundig machen müssen. Das Rechtsgebiet war insofern „in Entwicklung“ (so der Wortlaut der Beklagten in der Klageerwiderung, Bl. 25 d.A.). Zumindest die Kenntnis entsprechender Bundestagsdrucksachen zu der Thematik erscheint vor dem Hintergrund erwartbar. Dass der Klägerin ein Zinsanspruch im Jahr 2015 zustand und dieser (anders als der Antrag auf Umsatzsteuererstattung) auch durchsetzbar war, wird insbesondere in der Bundestagsdrucksache 18/2038 vom 4. Juli 2014 deutlich, aus der sich ergibt, dass der damalige Parlamentarische Staatssekretär im Bundesfinanzministerium Dr. M1. M2. auf die Frage der Verzinsung antwortete, dass keine Besonderheiten für die Erstattungsansprüche nach § 13b UStG bestünden, wenn der damalige Steuerschuldner nachträglich die von ihm angemeldete und entrichtete Umsatzsteuer zurückfordere. Die Verzinsung erfolge nach § 233a Abs. 2 AO mit der Folge, dass der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden sei, beginne.
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Ferner wurde bereits ab dem Jahr 2014 in der Literatur vielfach betont, dass ein Zinsanspruch des Bauträgers (unabhängig von einer möglichen Abweisung des Umsatzsteuererstattungsantrags wegen Aufrechnung) gegeben sei:
- NWB Nr. 50 vom 8. Dezember 2014, S. 3840: Fritz Schmidt, Praxishinweise zur Rückabwicklung der Umkehrung der Steuerschuldnerschaft bei Bauträgergeschäften:
„Aber selbst wenn der Bauträger die erstattete Umsatzsteuer an den Bauunternehmer weiterleiten muss, dürfte es sich für den Bauträger allein wegen der Erstattungszinsen nach § 233a AO lohnen, wenn er die Berichtigung beantragt.“
„Zur Verzinsung der Ansprüche des Bauträgers äußerte sich die Finanzverwaltung im BMF-Schreiben nicht. Allerdings hat das BMF in der BT-Drucks. 18/2038 vom 4.7.2014 (S. 26) auf die Frage eines Abgeordneten geantwortet, dass im Hinblick auf die Verzinsung dieser Umsatztsteuererstattungen keine Besonderheiten gelten. Damit werden die Ansprüche des Bauträgers 15 Monate (Karenzzeit) nach Ablauf des Kalenderjahres, für das die Änderung begehrt wird, verzinst. Allein aus der Verzinsung können sich erhebliche Vorteile für den Bauträger ergeben. Insofern besteht für den Bauträger kein unmittelbarer Handlungsbedarf. Er muss nur beachten, dass er den Änderungsantrag innerhalb der Festsetzungsfrist stellt.“
- BB 2014, 2391: Fleckenstein-Weiland: Reverse-Charge-Verfahren bei Bauleistungen – Fallbeispiele und Handlungsempfehlungen für betroffene Unternehmer:
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Fleckenstein-Weiland bildet ein Beispiel für Bauleistungen vor dem 15. Februar 2014, bei dem das Finanzamt bzgl. des Umsatzsteuererstattungsbetrags aufrechnet und gelangt zu dem Ergebnis:
„Für B [=Bauträger] ergäbe sich lediglich ein Zinsvorteil nach § 233a AO. Denn der Zinslauf für Umsatzsteuer 2011 begann bei fristgerechter Abgabe der Umsatzsteuererklärung am 1.4.2013.“
„Bauträger können ohne jegliches Risiko Anträge auf Rückerstattung der Umsatzsteuer zzgl. Zinsen stellen. Ob sie letztlich einen Zinsvorteil oder sogar einen Umsatzsteuervorteil – zu Lasten ihres Vertragspartners oder zu Lasten des Fiskus – haben, hängt von der vertraglichen Situation ab. Bei nicht verjährter Nettopreisvereinbarung zwischen Bauträger und Vertragspartner hat der Bauträger allenfalls einen Zinsvorteil, da das FA mit dem abgetretenen Anspruch des Vertragspartners aufrechnen kann.“
- SteuK 2014, 375: Sterzinger, Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen:
„Demgegenüber beginnt beim Bauträger der Zinslauf nach den allgemeinen Regelungen des § 233a Abs. 2 AO, also 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist. Für den Bauträger dürfte deshalb allein aus Gründen von Erstattungszinsen in Altfällen ein gesteigertes wirtschaftliches Interesse bestehen, die Rückabwicklung des Reverse-Charge-Verfahrens zu beantragen.“
- NWB Nr. 10 vom 2. März 2015, S. 677: Professor Dr. O. L., Umsatzbesteuerung von Bauleistungen nach § 13b UStG in sog. Altfällen:
„Darüber hinaus kann der erstattungsberechtigte Leistungsempfänger auch deshalb ein besonderes wirtschaftliches Interesse an der Geltendmachung seines Anspruchs haben, weil der Erstattungsbetrag nach Maßgabe der Regelungen des § 233a Abs. 5 und Abs. 3 Satz 3 AO zu verzinsen ist. Der Zinslauf beginnt 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem der Steueranspruch entstanden ist (…). Gegen den Zinsanspruch können die Finanzämter nicht mit durch Abtretung erlangten Zinsansprüchen aufrechnen.“
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Lippross bringt im Anschluss ein Beispiel, bei dem Bauträger T 2015 die Änderung der Steuerfestsetzung 2012 und Erstattung der Umsatzsteuer beantragt. Das Finanzamt lehnt die Erstattung der Umsatzsteuer nach dem Aufrechnungsmodel ab. Lippross beendet das Beispiel aber klar:
„Auch wenn T im Verfahren gegen den Abrechnungsbescheid unterliegen sollte, hat er einen Anspruch auf Erstattungszinsen für die Zeit ab 1.4.2014 bis zum Zeitpunkt der Aufrechnungserklärung des Finanzamts.“
„Ein Hinausschieben der Rückforderung hat nach dem gegenwärtigen Stand der Verwaltungsanweisungen den Vorteil, dass sich die Verzinsungsphase für den Rückforderungsanspruch verlängert.“
„Es ist davon auszugehen, dass die Finanzämter bei Bauträgern gezielt den Vorbehalt der Nachprüfung aufheben (§ 164 Abs. 3 Satz 1 AO), um Änderungen nach § 164 Abs. 2 AO zu verhindern. In diesem Fall sollte gegen die Aufhebung des Vorbehaltsvermerks Einspruch eingelegt werden. In dem Einspruchsverfahren können nicht nur Einwendungen gegen die Aufhebung des Nachprüfungsvorbehalts, sondern auch gegen die Steuerfestsetzung als solche (nach Grund und Höhe) vorgetragen werden (…). Deshalb kann in dem Einspruchsverfahren noch geltend gemacht werden, dass zu Unrecht Steuer nach § 13b UStG festgesetzt worden ist.“
- Rückblickend: UR 2019, 130: Forster/Striegl, Die Odyssee der Bauträger scheint ein Ende zu nehmen:
„Für die meisten Bauträger stellte diese Entscheidung [BFH Urteil vom 17. Mai 2018] jedoch keine Tragödie dar, weil ihr Ansinnen nicht der Erhalt eines Steuervorteils war, sondern die Aussicht auf eine Verzinsung der Erstattungsansprüche, sozusagen als Entschädigung für die bisherigen administrativen Bürden.“
„(…), haben Bauträger die Erstattung der Steuer nach § 13b UStG alleine aufgrund des ökonomischen Anreizes einer Verzinsung i.H.v. 6% beantragt. Denn es bestand Konsens, dass der Zinslauf beim Bauträger nach den allgemeinen Regelungen des § 233a Abs. 2 AO beginnt, also 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist; allein aus Gründen von Erstattungszinsen hatten die Bauträger ein gesteigertes Interesse, die Rückabwicklung der Steuerschuldnerschaft zu beantragen.
Aufgrund dessen haben die Finanzämter den Vorbehalt der Nachprüfung gezielt aufgehoben (§ 164 Abs. 3 Satz 1 AO), um Änderungen nach § 164 Abs. 2 AO zu verhindern, so dass die Bauträger die Steuer nach § 13b UStG im Wege des Einspruchsverfahrens geltend machen mussten.“
„Eine unerwartete Wendung hat der mittlerweile allgemein anerkannte Verzinsungsanspruch im Anschluss an den Beschluss des V. Senats des BFH vom 27.1.2016 erfahren.“
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Aus diesen Veröffentlichungen ergibt sich klar, dass in der Fachpresse in den Jahren 2014/2015 davon ausgegangen wurde, dass der Bauträger zumindest einen Zinsanspruch geltend machen kann. Dies hätte der Beklagten bekannt sein, und sie hätte die Klägerin darauf hinweisen müssen.
63
c) Der Klägerin steht aufgrund dieser schuldhaften Pflichtverletzung der Beklagten mithin ein Schadensersatzanspruch in Höhe von 24.764,38 € zu (vgl. Zur Berechnung oben die entsprechenden Ausführungen zur Bestimmung der Zinshöhe 1. a) bb) (2) (b). Diesem steht auch nicht die sog. „Windfall-Profit“-Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH, Urteil vom 23. Februar 2017 – V R 16, 24/16) entgegen, nach der die Verlagerung der Steuerschuldnerschaft in Bauträgerfällen nicht zu steuerrechtlichen Zufallsgewinnen des Bauträgers führen soll. Die „Windfall-Profit“-Rechtsprechung bezieht sich ausschließlich auf zufällige Steuervorteile, nicht auf entsprechende Zinsansprüche, die sich kraft Gesetzes ergeben. Es handelt sich bei Letzteren auch nicht um einen Zufallsgewinn. Vielmehr ist der Klägerin hier tatsächlich ein Schaden entstanden, da sie über den zu Unrecht ans Finanzamt gezahlten Betrag ja gerade nicht mehr verfügen konnte. Überdies hätte die Finanzverwaltung im Jahr 2015 keinen „Windfall-Profit“-Fall angenommen.
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Auch die in diesem Zusammenhang von der Beklagten in der Berufungserwiderung (Bl. 173 d.A.) erwähnte Erstattung führt zu keinem anderen Ergebnis, denn es war eine solche für das Jahr 2014, lässt also nicht, wie die Beklagte meint, den hiesigen Schaden für die Jahre 2012 und 2013 entfallen.
65
d) Dieser Anspruch ist entgegen den Ausführungen der Beklagten auch nicht verjährt. Die Klägerin hat erst mit Ablehnung der Umsatzsteuererstattung für die Jahre 2012 und 2013 unter Berufung auf die Bestandskraft der Bescheide von 2015 mit Bescheid vom 23. April 2019 Kenntnis von der Pflichtverletzung und dem geltend gemachten Schaden erlangt. Die Verjährung beginnt daher erst mit Ablauf des Jahres 2019. Die hiesige Klageschrift ging am 6. Mai 2020 bei den Justizbehörden ein und wurde am 14. Mai 2020 zugestellt.
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2. Der Zinsanspruch folgt aus § 291 BGB. Einen entsprechenden Verzug hat die Klägerin nicht hinreichend konkret dargelegt. In der Klageschrift beschränkte sich die Klägerin auf den Satz „Der Zinsanspruch resultiert aus den §§ 280 ff. BGB.“ Im Schriftsatz vom 30. Juli 2020 erfolgten zwar weitere Ausführungen u. a. zu dem klägerischen Schreiben vom 29. April 2019. Jedoch hat die Klägerin in dem Schreiben vom 29. April 2019 keine Zahlungsfrist gesetzt (Anlage K 11), so dass durch dieses kein Verzug in Gang gesetzt wurde. Das Schreiben der Klägerin vom 3. Juli 2019 wiederum wurde nicht vorgelegt, so dass sich das Gericht keine Überzeugung davon bilden kann, ob hierin eine entsprechende Frist gesetzt wurde. Die E-Mail der Beklagten vom 6. September 2019 (Anlage K 13) stellt schließlich auch keine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung im Sinne des § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB dar. Die Beklagte hat der Klägerin in dieser E-Mail mitgeteilt, dass nach Auffassung ihrer Versicherung kein Schaden vorliege und dass die Klägerin nicht substantiiert dargelegt habe, warum die Umsatzsteuerbescheide 2015 zwingend hätten offengehalten werden müssen. „Vor diesem Hintergrund“ habe die Beklagte sämtliche von der Klägerin vorgebrachten Ansprüche zurückzuweisen. Aus der Formulierung ergibt sich klar, dass sich etwas anderes bei substantiierter Darlegung durch die Klägerin ergeben könnte, so dass gerade keine endgültige Erfüllungsverweigerung durch die Beklagte in dieser E-Mail zu sehen ist. Deshalb sind der Klägerin Zinsen aus der zuzuerkennenden Schadensersatzforderung in Höhe von 5 Prozentpunkten über dem Basiszinssatz gemäß § 291 BGB erst ab dem auf die Zustellung folgenden Tag zuzusprechen (vgl. BGH, Urteil vom 4. Juli 2017 – XI ZR 562/15, Rn. 103).
67
Das Zinseszinsverbot des § 289 BGB ist entgegen der Behauptung der Beklagten vorliegend nicht einschlägig, da die Klägerin gegenüber der Beklagten mit ihrer Klage einen Schadensersatzanspruch (in Form des entgangenen Zinsanspruchs gegen das Finanzamt) geltend macht.
III.
68
1. Die Kostenentscheidung beruht auf § 92 Abs. 1 ZPO.
69
2. Die Entscheidung zur vorläufigen Vollstreckbarkeit ergibt sich aus § 708 Nr. 10, § 709 Satz 2, § 711 ZPO.
70
3. Die Revision war nicht zuzulassen, da die Rechtssache weder grundsätzliche Bedeutung hat noch die Fortbildung des Rechts oder die Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung eine Entscheidung des Revisionsgerichts erfordert (§ 543 Abs. 2 Satz 1 ZPO). Soweit allgemeine Rechtsfragen entscheidungserheblich waren, folgt der Senat der dazu bestehenden höchst- und obergerichtlichen Rechtsprechung.